Das Vergnügen, sich zur Verfügung zu stellen

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Das Vergnügen, sich zur Verfügung zu stellen
Das Vergnügen, sich zur Verfügung zu stellen
Ein Gespräch mit dem Regisseur Andreas Kriegenburg
Andreas Kriegenburg ist seit 2001 Oberspielleiter am Thalia Theater
und im Augenblick einer der wichtigsten Regisseure des
deutschsprachigen Theaters.
Andreas Kriegenburg ist als Regisseur Autodidakt, er macht eine
Ausbildung zum Modelltischler, arbeitet am Theater in Magdeburg als
Tischler und Techniker. Daneben schreibt er und beginnt, erste Texte zu
inszenieren. Er nimmt Pantomimenunterricht und saugt alles auf, was
es aufzusaugen gibt, Menschen, Stimmen, Bücher, Filme, Musik,
Videos. Buster Keaton und Pina Bausch, Brecht und Heiner Müller,
Borchert und Sartre. 1984 wird er Regieassistent in der tiefsten
ostdeutschen Provinz, in Zittau, 1988-1991 dann die Wendejahre als
Regieassistent und Regisseur an der polnischen Grenze, in
Frankfurt/Oder. Frank Castorf sieht Arbeiten von ihm und holt ihn
nach Berlin an die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Gleich seine
erste Arbeit dort, „Woyzeck“, wird zum Berliner Theatertreffen
eingeladen.
1991-1996 fester Regisseur Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz,
1996-1999 fester Regisseur am Schauspiel Hannover, 1999-2001 fester
Regisseur am Wiener Burgtheater, seit 2001 Oberspielleiter am Thalia
Theater, daneben Inszenierungen u.a. in Zürich, am Deutschen Theater
Berlin, an den Münchner Kammerspielen, an der Oper Magdeburg.
Sieben Einladungen zum Berliner Theatertreffen: „Woyzeck“,
Volksbühne Berlin 1991, „Draußen vor der Tür’“, Bayerisches
Staatsschauspiel München 1997, „Ein Volksfeind“, Schauspiel Hannover
1998, „Orestie“ 2003 und „Die Nibelungen“ 2005 , beide Münchner
Kammerspiele, „Drei Schwestern“, Münchner Kammerspiele 2007 und
„Die schmutzigen Hände“, Thalia Theater Hamburg 2007. In der
nächsten Spielzeit wird er u.a. in Hamburg ein neues Stück von Dea
Loher und an der Münchner Staatsoper „Wozzek“ inszenieren.
Seit Februar 2008 ist Andreas Kriegenburg ernannter Professor der
Hochschule für Musik und Theater Hamburg.
Sowohl mit der Schauspielabteilung wie mit den Regiestudiengängen
der Hamburger Theaterakademie verbindet dich eine enge
Zusammenarbeit: du hast Schauspieldiplome inszeniert, du
unterrichtest Schauspiel- und neuerdings auch
Musiktheaterregisseure, gibst workshops, betreust Studienprojekte
und Regiediplome, Schauspielstudenten spielen in deinen
Inszenierungen am Thalia Theater, Regiestudenten hospitieren bei dir,
du sitzt in den Aufnahmeprüfungenfür den Regiestudiengang und
nicht zuletzt engagierst du Absolventen wie Daniel Hoevels oder Jette
Steckel - das ist für einen Oberspielleiter und viel beschäftigten
Regisseurs sehr viel Engagement und Arbeit. Ich würde dich gerne
nach deinem Motiv fragen. Hat das auch etwas mit dem eigenen Alter
zu tun: du bist jetzt 43 Jahre alt und seit 23 Jahren inszenierst du
Theaterstücke, Theatertexte. In einem Gespräch mit Studenten hast du
mal den schönen Satz gesagt: „Regie führen heißt, raus kriegen zu
wollen, wer man ist, und Frieden damit zu machen, dass man andere
dazu benutzt.“ Gilt das auch für dich als Lehrer?
Nein, überhaupt nicht. In der Arbeit mit Schauspielstudenten tritt das,
was sonst für mich Regie führen bedeutet, sehr weit in den Hintergrund,
wird fast vollständig von der Routine, szenisch zu arbeiten und einen
Theaterabend zu organisieren, übernommen. Das bedeutet für mich
eine enorme Entspannung. Es geht eben in diesen Arbeiten nicht um
mich und eigenen Intentionen und das Weiterverfolgen der eigene
Suche, es geht um die Studenten, und darum, sie auf der einen Seite mit
dem Tempo und der Rigorosität und den Zwängen des
Stadttheateralltags zu konfrontieren und sie auf der anderen Seite zu
überraschen mit dem, wie viel sie können, oder wie schnell sie lernen,
was ihnen vorher ungeheuer schwierig schien. Insofern ist es nicht so,
dass ich die Studenten für etwas benutze, viel eher ist es mein
Vergnügen, mich ihnen zur Verfügung zu stellen.
Du bist selber sehr komplizierte Wege gegangen, um Regisseur zu
werden - wie ist dein Blick auf den Studiengang Regie? Was sollte ein
junger Regisseur lernen in ein einem Regiestudium?
Eine sehr schwer zu beantwortende Frage. Das Dilemma im Studium
zur Regie ist ja, das bei allem, von dem behauptet wird, es sei richtig,
man immer sehr schnell das Beispiel für das Gegenteil findet, was
ebenso richtig zu sein scheint. Das heißt also, alles was man in der Regie
zu lehren versucht, sei es die Frage der Textanalyse, der Ökonomie der
Dramatik innerhalb einer Aufführung, des Zusammenhangs von
Bühnenbildentscheidung und Spielweise, muss man immer in den
Kontext einer bestimmten Stilentscheidung eingrenzen. Und natürlich
stellt sich sofort die Frage, wie genau sich die verschiedenen Stile des
Theaters voneinander trennen lassen, und ob nicht, bei der Vielzahl von
Mischformen, fast schon nichts mehr wirklich beschreibbar ist und als
Regel einem Unterricht zu Grunde liegen kann.
Ich versuche dem zu begegnen, in dem ich zweierlei produziere; zum
einen versuche ich die Studenten dahin zu bringen, genauer zu
beschreiben, vor allem einfacher zu beschreiben, nicht das, was man bei
anderen sieht, sondern die eigene Arbeit, die eigenen Intentionen,
Lesarten von Texten, aber auch Prozesse in den eigenen Proben. Ich
versuche sie dahin zu bringen, dass sie das, was sie tun, bewusster tun.
Planvoller. Zum anderen versuche ich sie zu verlocken, viel zu wissen
oder viel wissen zu wollen. Je mehr man weiß, je mehr man über
verschiedene Arbeitseinsätze, Stile oder theatertheoretische Konzepte
weiß, umso besser kann man sich zu ihnen in Beziehung setzen oder
abgrenzen. Die eigene Arbeit ist im Kontext zur Tradition einfacher zu
beschreiben.
Auch in der Zusammenarbeit mit dem Schauspieler in der Probe ist oft
hilfreich, sich zum Beispiel von Stanislawski entfernen, um sich eher
Grotowski oder Meyerhold annähern zu wollen. Je mehr ich als
Regisseur Kenntnisse habe von Theorie und Traditionen, umso
einfacher ist es für mich, mir aus diesem Reichtum heraus in jeder
Arbeit neu zu orientieren oder aber als Entscheidung bewusster
Eingrenzung mich für einen Zeitraum einer bestimmten Stilrichtung
zuzuordnen und andere auszugrenzen.
Und Beschreibungskompetenz führt automatisch zur
Inszenierungskompetenz?
Das Problem ist, das einem jungen Regisseur ein komplexes
theoretisches Wissen nur sehr bedingt hilft. Einen großer Teil dessen,
was seinen Beruf ausmacht, ist ja das, was man mit „sozialer
Kompetenz“ beschreibt, das heißt, die Fähigkeit, verschiedenste
Charaktere, verschiedenste künstlerischer Eigensinnigkeiten, aber auch
verschiedenste technische Gewerke anzuleiten und in einer Aufführung
zu vereinen. Ich weiß auch nicht zu beantworten, ob man diese „soziale
Kompetenz“ lehren, lernen oder wenigstens trainieren kann.
Ich versuche in den Begegnungen mit den Studenten immer wieder das
Bewusstsein von der hohen Komplexität ihrer Arbeit zu stärken: das
Zusammenspiel von Schauspieler, Bühnenbild, Licht, der
Probenatmosphäre, der Probenökonomie und der Mechanik eines
Stadttheaters. Sie sollen verstehen, dass sie die einzige Person im
Zusammenspiel aller Einzelteile einer Aufführung sind, die, geführt von
einer Intention, der Vision einer Aufführung, diese einzelnen Teile in
ihren Händen halten und sie zueinander gewichten muss. Der Regisseur
sollte - zum Beispiel - vor der ersten Probe das Verhältnis von
Bühnenbild zum Schauspieler für sich entschieden haben, sollte
entschieden haben, ob eine Aufführung eher visuell dominiert ist, eher
von Bildern lebt, in denen die Schauspieler ein Teil einer vielleicht sehr
stark abgegrenzten aber opulenten Wirklichkeit darstellen, mit der
Konsequenz, dass Bühnenbild und Licht eine viel stärkere erzählende
Dimension erhalten und dementsprechend viel mehr Raum in den
Proben einnehmen, als in einer Aufführung, die vor allem von der
Psychologie der Figuren und Nuancierungskraft und Nuancierungslust
der Schauspieler lebt.
Sicherlich kann man diese Doppelgesichtigkeit der Regie - auf der einen
Seite völlig egoman versuchen, den eigenen Intentionen Raum und
Gestaltung zu geben und der Verwirklichung einer Vision alles
unterzuordnen, und auf der anderen Seite fähig zu sein, mit vielen zu
kommunizieren und unterschiedlichstes zusammenzubringen - nur
über eigene Erfahrungen in der Arbeit lernen, aber ein Studium zur
Regie sollte doch versuchen, die Studenten an einem Punkt in ihrer
Entwicklung zu führen, an dem sie in der Mechanik eines Stadttheaters
auch erst einmal funktionieren. Das heißt, sie sollten nicht nur mit dem
Schauspieler reden können, sondern auch mit dem
Beleuchtungsmeister und dem Bühnenmeister.
Und was ist die größte Gefahr für ihn?
Scheinbar im Widerspruch zu dem, was ich gerade sagte, ist vielleicht
die größte Gefahr für den Studenten, dass er innerhalb des Studiums in
seinen Regiearbeiten zu sehr versucht zu funktionieren. Dass er zu
wenig mutig ist, an Gewagtem zu scheitern, an Misslungenem zu lernen,
dass er zu sehr versucht, schon den fertigen Regisseur zu spielen, in
seinen Proben zu den Studienprojekten quasi die Rolle des Regisseurs
übernimmt, die er dann die Probenzeit über seinen Schauspielern
vorspielt, um mit ihnen etwas zu entwickeln, was dann wie Theater
aussehen soll, gemessen an den Qualitäts - und Verwertungsmaßstäben
der Stadttheater.
Du hast im letzten Jahr zum ersten Mal eine Oper inszeniert, bereitest
dich gerade auf eine weitere in Magdeburg vor und dann kommt schon
die Staatsoper München mit Kent Nagano am Pult - was sagt oder rät
man da jungen Opernregiestudenten, die sich durch Partituren,
Werkanalysen durchquälen müssen, für die es so unendlich schwer ist,
Sänger und Sängerinnen zu finden.
Auf der einen Seite unterscheidet sich das, was ich den Studenten der
Opernregie aus meiner Arbeit erzähle und beschreibe, nicht von den
Begegnungen mit Studenten der Schauspielregie. Das heißt, ich
verteidige ebenso meine Subjektivität im Umgang mit dem Material, wie
ich meinen Arbeitsweg der Annäherung an einen Stoff über Analyse hin
zur Interpretation beschreibe. Auf der anderen Seite ist es aber in der
Begegnung mit Studenten der Opernregie so, dass ich versuche, so viel
wie möglich von ihnen zu lernen. Überraschend war für mich, wie viel
Zeit nötig war, die sehr weit voneinander entfernten Sprachwelten zu
erkennen, zu akzeptieren, um sich dann vorsichtig durch dieses Dickicht
der Missverständnisse hindurch wieder anzunähern.
Stichwort Schauspielausbildung: viel hat sich ja in den letzten Jahren
verändert im deutschen Theater, ganz sicher auch die Spielweise von
vielen Schauspielern. So etwas wie eine psychologisch-realistische
Spielweise scheint kaum noch möglich, zuviel an Brechungen,
Selbstaufhebungen, Ironisierungen ist sichtbar und nicht mehr
wegdenkbar. Wie, denkst du, sollte man da reagieren als
Schauspiellehrer?
Was ich bei vielen Schauspielstudenten bemerkt habe, ist eine gewisse
Ratlosigkeit. Als hätten die Schulen vor der Vielzahl der Stile und
Möglichkeiten kapituliert und dann, wie um diese Kapitulation zu
erklären und zu rechtfertigen, werden die Studenten mit einer möglichst
großen Zahl verschiedenster Spielweisen und Theatertheorien
konfrontiert, mit dem Hinweis, man könne sich doch aus der Fülle
selber aussuchen, wohin Veranlagung oder Interesse oder Leidenschaft
einen zieht. Diese übergroße Freiheit des Überangebots macht die
Studenten oft ebenso ratlos, wie sie der Geschmacksdoktrin eines
einzelnen Dozenten gegenüber anderen Spielweisen oder
Theateransätzen - welche Form des Spielens richtig und welche Form
des Spielens falsch sei -, hilflos oder bestenfalls verärgert
gegenüberstehen. Ich will mir natürlich nicht anmaßen, mal rasch aus
dem Ärmel zu schütteln, wie eine Schauspielausbildung auszusehen hat,
aber ich bin jemand, der immer eine auf das Handwerk und die Technik
in ihrer Komplexität zwischen körperlichem Spiel und nuanciertem
Sprechen konzentrierte Ausbildung befürworten würde.
Die Zusammenarbeit Regisseur und Schauspiel oder Sänger ist ja keine
unkomplizierte, das gleiche gilt natürlich auch für die Ausbildung - wie
wichtig sind dir da wechselseitige Schutzräume? Wen kann oder soll
man da schützen?
Der Begriff „Schutzräume“, so wie ich ihn sehr oft in der Beschreibung
meiner Arbeit oder auch in den Proben benutze, beschreibt für mich
weniger, wer vor wem geschützt wird oder geschützt werden muss.
Vielmehr sollen es Räume seien, in denen sich der Schauspieler auf der
Probe oder auch in der Aufführung geschützt fühlt. Nicht angreifbar. Es
geht von keiner Seite eine Bedrohung aus, der ich mich entziehen oder
auf die ich reagieren muss.
Das heißt, dieser Schutzraum ist ein Raum, in der der Gegner oder
Feind, was auch immer mir sonst Angst bereitet, keine Realität hat.
Diese Räume sollen also die Routine des “wer- gegen-wen“ aufheben.
Die Fragen stellte Michael Börgerding 

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