Belastungsprofile von Beschäftigten in Call Centers
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Belastungsprofile von Beschäftigten in Call Centers
1 Anna-Marie Metz, Heinz-Jürgen Rothe & Mirko Degener Belastungsprofile von Beschäftigten in Call Centers1 Schlüsselwörter: Teleservice; Call Center; arbeitsbedingte Belastung; arbeitsbedingte Beanspruchung Key words: teleservice; call center; stress; strain Anschrift: Prof. Dr. A.-M. Metz PD Dr. H.-J. Rothe Dipl.-Psych. M. Degener Universität Potsdam Institut für Psychologie Postfach 60 15 53 14415 Potsdam Zusammenfassung In der vorliegenden explorativen Studie wurden arbeitsbedingte Belastungen von Mitarbeitern in zwei Call Centers erhoben. Die Untersuchungen wurden in einer unternehmensinternen und einer externen Teleserviceeinrichtung mit Hilfe des SPA-Verfahrens (Screening pathogener Arbeitsbelastungen) durchgeführt. Das Verfahren besteht aus drei Teilen: (1) bedingungsbezogene Erfassung der Arbeitsbelastungen, personbezogene Erfassung der (2) Arbeitsbelastungen und (3) der Arbeitsbeanspruchungen. Zusätzlich wurde die ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze analysiert und bewertet. Die Ergebnisse weisen generell hin auf restriktive Entscheidungsspielräume, geringe Komplexität und Variabilität der Arbeitsaufgaben sowie geringe Nutzung der Qualifikation bei den hier untersuchten Tätigkeiten. Das berichtete Beanspruchungserleben der Beschäftigten korrespondiert nicht mit der bedingungsbezogen erhobenen Belastung, obwohl die Mitarbeiter die Arbeitssituationsmerkmale in ähnlicher Weise wie die Experten reflektieren. Abstract Mental Load of Call Center Agents The paper reports an exploratory study aimed to check the profile of mental load of call center agents. The analyses were realized in two call centers. The first was a special unit belonging to an electronic enterprise. The second was an external center for teleservices. The working activities and the work conditions in these two call centers were analyzed by means of a screening procedure for detecting pathogenic work load. This procedure consists of three parts: (1) An item list of situation features assessed by experts, (2) a questionnaire related to the same situation features assessed by workers and (3) a questionnaire of subjective strain assessed by workers, too. Additionally, the ergonomic design of work places was evaluated. The results of expert judgments indicate that the decision latitude within the work of the call center agents is restricted, the agents have to make only partial and repeating activities and they cannot use sufficiently their professional competence. In general, the agents judge their mental load on the same level or a higher level as experts. In contradiction to this, all call center agents judge their own strain as insignificant. 1 erschienen 2001 in Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 45 (3), 124-135 2 1 Einführung: Neue Arbeitsplätze durch Telekommunikation Technisch-technologische Innovationen im Bereich der Telekommunikation beziehen sich sowohl auf die technischen Anlagen zum Senden und zum Empfang von Daten, Sprache, Texten und Bildern als auch auf die Übertragungsmedien. Durch Kopplung von Telekommunikationstechnik und Informationsverarbeitungstechnik eröffnen sich völlig neuartige Möglichkeiten der Arbeitsorganisation nicht nur im industriellen, sondern vor allem auch im Dienstleistungsbereich. Es kommt zur Telekooperation als einer mediengestützten arbeitsteiligen Leistungserstellung zwischen verteilten Aufgabenträgern, Organisationseinheiten und Organisationen (Reichwald & Möslein, 1996). Dabei werden drei Hauptformen unterschieden: Telearbeit Unter Telearbeit versteht man jede auf Kommunikations- und Informationstechnik gestützte Tätigkeit zur Bewältigung von Sachaufgaben (z. B. Softwareentwicklung), die teilweise oder ausschließlich an einem außerhalb des Unternehmens befindlichen Ort ausgeübt wird. Die daraus resultierenden Vor- und Nachteile für Unternehmen werden z. Zt. in der betriebswirtschaftlichen Fachliteratur breit diskutiert (s. z. B. Reichwald, Möslein, Sachenbacher, Englberger & Oldenburg, 1998). Die Auswirkungen von Telearbeit auf Leistung und Wohlbefinden des Arbeitenden sind seit wenigen Jahren auch Gegenstand arbeitspsychologischer Forschung (s. hierzu z. B. Büssing & Aumann, 1996; Büssing & Broome, 1999; Glaser & Glaser, 1995 und 1999; Konradt & Schmook, 1999; Wieland, 1999). Telemanagement Telemanagementtätigkeiten unterscheiden sich von den „normalen“ Managementtätigkeiten insofern, als dass auf Grund der Globalisierung von Produktion und Dienstleistungen u. U. sehr große räumliche Entfernungen zwischen Organisationseinheiten bestehen und die koordinativen Managementaufgaben nur unter Nutzung von Telekommunikationstechnik gelöst werden können. Über die Auswirkungen auf das psychophysische Befinden der Führungskräfte sind Forschungsvorhaben begonnen (s. z. B. Grote, 1994). Teleservices Unter Teleservices werden unterschiedliche Dienstleistungen wie Telemarketing, Telebanking, Teleberatung, Teleübersetzung, Telewartung von Maschinen und Anlagen u. ä. verstanden, bei denen die interpersonale Kommunikation Voraussetzung und Mittel zur Aufgabenlösung ist. Diese Tätigkeiten werden zumindest in Deutschland vorrangig im Rahmen herkömmlicher organisationaler Strukturen in sog. Call Centers ausgeführt; Heimarbeitsplätze bilden noch die Ausnahme. Allerdings nimmt auch die Vielfalt organisationaler Strukturen zu, in denen Serviceleistungen erbracht werden. Sie reicht von unternehmensinternen Serviceabteilungen mit wohldefinierten Aufgaben bis zu externen Dienstleistungszentren, die wechselnde Aufträge von anderen Unternehmen im Zuge des Outsourcings von Serviceleistungen erfüllen. Call Center sind neue organisationale Strukturen zur mediengestützten Erbringung von Serviceleistungen. Die Anzahl von Call Centers nimmt gegenwärtig rasch zu, bundesweit sind bereits mehr als 180 000 Mitarbeiter in ca. 1 800 Call Centers beschäftigt. Sie sind über das gesamte Bundesgebiet verteilt. Trotz der Anzahl von Beschäftigten und vor allem der erwarteten Zunahme derartiger Arbeitsplätze liegen bisher nur wenige (publizierte) arbeitspsychologische Untersuchungsergebnisse zu derartigen Tätigkeiten vor (s. Scherrer & Wieland, 1998; Isic, Dormann & Zapf, 1999; Rothe & Metz, 1999; Rothe, Metz & Degener, 1999). Im vorliegenden Beitrag wird über explorative Studien2 in Call Centers berichtet. Ziel unserer Untersuchung ist die Ermittlung von Anforderungsprofilen der Beschäftigten und die Beurteilung der psychophysischen Beanspruchungen. 2 Wir danken den Mitarbeitern des Amtes für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik Neuruppin für die Unterstützung bei der Datenerhebung und -auswertung. 3 2 Arbeitstätigkeiten in Call Centers 2.1 Aufbau- und Ablauforganisation in Call Centers Nach Wiencke & Koke (1997, S. 11) sollen Call Centers „... mit Hilfe modernster Infomations- und Telekommunikationstechnik einen serviceorientierten telefonischen Dialog des Unternehmens mit Kunden, Interessenten und Lieferanten gewährleisten...“ . Um welche Aufgaben und Ziele es sich dabei handelt, zeigt Tabelle 1 anhand von zwei Beispiellisten. Tab. 1: Beispiele für Aufgaben, die gegenwärtig von Call Centers erledigt werden • • • • • • • • • Aufgaben von Call Centers Wiencke & Koke (1997) Köpf (1998) Informations-Hotline • Hotline, Kundenservice Beschwerdenmanagement • Auftragsannahme Auftrags- und Bestellannahme • Beschwerdenmanagement Ticket-Service • Kundenbindung Direktvertrieb/Telebanking • Informationssystem Marktforschung • Adreßqualifikation Notfall- und Support-Service • Auftragsabwicklung aktive Händler- und Kundenbetreuung • Auftragsakquisition aktives Telefonmarketing • Terminvereinbarung • Buchungssystem Arbeitspsychologisch relevant sind u. E. zwei in der betriebswirtschaftlichen Literatur zu findende Ansätze zur Klassifikation der Aufgaben (s. z. B. Wiencke & Koke, 1997; Köpf, 1998; Reichwald et al., 1998). Der erste unterscheidet nach der Art der Auslösung von Arbeitshandlungen: Es wird zwischen Inbound- und Outbound-Gesprächen differenziert. Bei Inbound-Gesprächen muss der Call Center-Mitarbeiter auf eingehende Anrufe reagieren. Dazu gehören Kundendienste, Auftrags-, Bestellungs- und Beschwerdeannahmen, Auskunftserteilungen u. ä.. Bei Outbound-Gesprächen wird der Mitarbeiter von sich aus aktiv, was z. B. bei Kundenzufriedenheitsbefragungen, Marktforschungsaktivitäten, Meinungsumfragen oder Telefonverkäufen der Fall ist. Der zweite Ansatz differenziert zwischen einfachen Kommunikationsdienstleistungen, die in hoher Anzahl vorliegen, aber in relativ kurzer Zeit erledigt werden können und komplexeren Dienstleistungen, die sehr viel länger dauern und von denen folglich pro Zeiteinheit nur wenige erledigt werden können. Zu ersteren gehören Auskunfts- und Hotline-Dienste, Auftragsannahmen und Telefonvertrieb, zu letzteren umfassende Kundenberatungen, Störungsdiagnosen oder Fernwartungen für technische Anlagen. Unterschiede bzgl. der in einem Call Center zu erfüllenden Aufgaben schlagen sich bisher aber nicht in der Arbeitsgestaltung nieder. Bei Empfehlungen für die Auslegung von Call Centers steht zunächst immer die technisch- technologische Ausstattung im Mittelpunkt. Im wesentlichen handelt es sich um drei miteinander verknüpfte Systeme, eine ACD-Anlage (Automatic Call Distribution), ein IVR-System (Interactive Voice Response) und eine CTI-Anlage (Computer Telephony Integration). Die ACD-Anlage verteilt die eingehenden Anrufe gleichmäßig an die Mitarbeiter, die gerade nicht in einem Gespräch sind. Durch entsprechende Programmierung können die Anrufe aber auch so gesteuert werden, dass sie auf bestimmten Plätzen ankommen und so ein Kunde immer mit „seinem“ Berater sprechen kann. Darüber hinaus ermöglicht die Anlage Auswertungen bzgl. der Anzahl und Dauer von Gesprächen, der Verweildauer von Anrufen in der Warteschleife oder der Anzahl verlorengegangener Anrufe wegen Leitungsbesetzung. Das System ermöglicht eine auf die Mitarbeiter bezogene Auswertung von Art und Inhalt der Gesprächsführung. 4 IVR-Anlagen sind in der Regel der ACD-Anlage vorgeschaltet. Sie ermöglichen einen automatisierten Sprachdialog zwischen dem Anrufer und dem Call Center, in dem z. B. beim Telefon-Banking das System nach Kontonummer und Geheimzahl fragt sowie ein Menü von Aufträgen anbietet, aus dem der Anrufer entsprechend seinem Anliegen sprachlich oder per Tastendruck eine Auswahl trifft. Somit kann eine gewisse „Vorverarbeitung“ erfolgen, die als Grundlage für die Anrufzuteilung zu einer bestimmten Mitarbeitergruppe dient. Es ist abzusehen, dass IVR-Systeme bei einfachen Teleservicedienstleistungen in Zukunft immer mehr den Call Center-Mitarbeiter vollständig ersetzen werden. Insofern erscheint es fraglich, ob langfristig die mit den Call Centers neu geschaffenen Arbeitsplätze in vollem Umfang erhalten bleiben. Die CTI-Anlage verbindet das Telefon mit dem Computer. Nach Identifikation des Anrufers anhand seiner Telefonnummer oder auf Grund der abgefragten persönlichen Geheimzahl bzw. Kundennummer werden gespeicherte Kundendaten, Auftragsbearbeitungsleistungen, technische Daten der vom Kunden erworbenen Produkte u. ä. aktiviert. Diese Dateien werden vom Mitarbeiter aufgerufen und ermöglichen so den sofortigen personbezogenen Service. Bei Dokumentation des Kundenkontaktes bzw. bei der Erfüllung von Aufträgen wird der Mitarbeiter durch die Bereitstellung von Masken, standardisierten Frage-Antwort-Dialogen, Scripts und Argumentationsvorschlägen bei der Dialogführung unterstützt. Call Centers sind in der Regel in „front office“- und „back office“-Bereiche gegliedert. Im „front office“ befinden sich die Telefonarbeitsplätze. Sie entsprechen Bildschirmarbeitsplätzen. Zusätzliche Arbeitsmittel der Mitarbeiter sind sog. Headsets, die als kombinierte Kopfhörer-Mikrofon-Einheiten die möglichst störfreie Kommunikation mit dem Anrufer gewährleisten sollen und zugleich ermöglichen, dass der Mitarbeiter beide Hände frei hat, um mit Computertastatur, Maus und anderen peripheren Geräten sowie mit schriftlichen Unterlagen hantieren zu können. Die Mitarbeiter gehören in der Regel formalen Teams mit 10 bis 15 Personen an. Der Teamleiter hat zusätzlich vor allem koordinative und administrative Aufgaben zu erfüllen. Eine weitaus geringere Zahl von Mitarbeitern ist im „back office“ beschäftigt und erledigt Sekretariats- und schriftliche Sachbearbeitungen, Software-Pflege und SoftwareAnpassung sowie technische Wartungen, ist aber auch befasst mit der Akquisition von Dienstleistungsaufträgen, der Vorbereitung und Koordination von Anlernprogrammen für die „front office“-Mitarbeiter bei Übernahme neuer Serviceaufgaben, der internen Kenndatenauswertung zur Evaluation der Arbeit des Call Centers u. ä.. In Abhängigkeit vom Aufgabenspektrum sind neben dem Call Center-Manager noch Projekt- oder Bereichsleiter tätig, die auch dem „back office“ angehören. Call Center-Mitarbeiter sind in der Regel in Schichten tätig, häufig wird ein 24-StundenService angeboten, der auch Sonn- und Feiertage einschließt. 2.2 Allgemeine Anforderungen an Call Center-Mitarbeiter Die Tätigkeit eines Call Center-Mitarbeiters stellt bisher noch keinen Ausbildungsberuf dar. Lt. Bundesanstalt für Arbeit können diese Tätigkeit „... praktisch Angehörige aller Berufe...“ ausüben (BA, 1998). Häufig genannt werden in Anzeigen als wünschenswerte Eingangsqualifikationen diejenigen von Einzelhandels-, Industrie-, Bank- und Versicherungskaufleuten, Anlagen- und Finanzierungsberatern, Vertriebsingenieuren und Vertriebstechnikern, aber auch von Maschinenbauingenieuren, Elektronikern und Informatikern. Besonderer Wert wird auf bestimmte Persönlichkeitseigenschaften gelegt, woraus auch der Bedarf nach entsprechenden psychologisch fundierten Assessment Centers zur Ermittlung dieser Eigenschaften resultiert (s. Spörer, 1999). Tabelle 2 enthält Beispiele. Voraussetzung für die Aufnahme einer Tätigkeit als Call Center-Mitarbeiter ist letztlich dann der erfolgreiche Abschluss der Call Center-spezifischen Ausbildung. In ihr sollen vor allem folgende Kompetenzen erworben werden (s. Wiencke & Koke, 1997; Köpf, 1998). 5 Fachkompetenz: Kenntnisse über Produkte, Wissen über Kundenbedürfnisse, Kundenprobleme und Reklamationsgründe, Wissen über Abläufe und Serviceleistungen und über die Unternehmensleitbilder. Systemkompetenz: Beherrschung der Telefon- und Computertechnik sowie anwendungsbereites Wissen über die Software. Kommunikative Kompetenz: Beherrschung von kommunikativen Fertigkeiten in den verschiedensten, auch konfliktbehafteten Gesprächssituationen. Der Umfang der Ausbildung hängt vom Aufgabenprofil des Call Centers ab. In der Regel kann aber davon ausgegangen werden, dass die Mitarbeiter überqualifiziert sind, weil einfache Serviceleistungen überwiegen. Reichwald u. a. (1998) weisen darauf hin, dass für die Erbringung dieser einfachen Serviceleistungen eine tayloristische Arbeitsteilung und organisation angemessen ist. Damit besteht aber u. E. zugleich arbeitspsychologischer Handlungsbedarf. Tab. 2: Persönlichkeitsmerkmale, die von Call Center-Mitarbeitern erwartet werden Beratungs- und Vermittlungsdienst der Bundesanstalt für Arbeit(1998) .Auszug • freundlich • kommunikativ • teamfähig • angenehme Stimme • belastbar, stressfähig • ausdauernd • beharrlich • durchsetzungsfähig • erfolgsorientiert Wiencke & Koke (1997) • positive Grundeinstellung zur Tätigkeit • kontakt- und kommunikationsfreudig • persönliche Ausstrahlung • klare und deutliche Sprechweise • schnelle Reaktionsfähigkeit • Ausdauer und Erfolgswille • Belastbarkeit und Streßstabilität • Teamfähigkeit Köpf (1998) • gute Telefonstimme, wenig Dialektfärbung • hohe Kontaktfreudigkeit • rhetorische Gewandtheit • schnelles Reaktionsvermögen • persönlich Ausstrahlung • hohe Belastbarkeit • Erfolgswille • Durchsetzungsvermögen • Überzeugungskraft • hohes Einfühlungsvermögen • Gelassenheit und Ruhe bei Konflikten 3 Fragestellungen der empirischen Analysen Es gilt inzwischen als gesichertes arbeitspsychologisches Wissen, dass fehlende Möglichkeiten, vorhandene berufliche Kompetenzen im Arbeitsprozess auch tatsächlich zu nutzen, langfristig bei Mitarbeitern zu Dequalifikationen und Motivationsverlusten führen. Sind die Arbeitstätigkeiten zudem unter Zeitdruck auszuführen, wiederholen sie sich häufig und können die Mitarbeiter wenig Einfluss auf die Arbeitsabläufe nehmen, steigt die Gefahr arbeitsbedingter psychischer Beeinträchtigungen (s. Ulich, 1998; Hacker, 1998; Richter & Hacker , 1998; Frieling & Sonntag, 1999). In den von uns durchgeführten Untersuchungen sollen daher die an Call Center-Mitarbeiter gestellten konkreten Anforderungen analysiert werden. Zunächst interessiert, • welche arbeitsbedingten Belastungen im Sinne von Risikopotentialen vorliegen und • wie diese von den Mitarbeitern erlebt werden. Im einzelnen soll geklärt werden, welchen Einfluss 6 • der Typ der Organisation - unternehmensinternes Kundenservicezentrum (internes Call Center - ICC) vs. externes Dienstleistungszentrum (externes Call Center - ECC) – und • die Art der Auftragsbearbeitung - Inbound-Gespräche vs. Outbound-Gespräche – auf die Belastung bzw. das Belastungserleben von Call Center-Mitarbeitern haben. 4 Methodisches Vorgehen 4.1 Untersuchungsfelder Das ICC gehört zu einem Elektronikkonzern, der Telekommunikationsanlagen herstellt. Der Service für die Großkunden wird durch das ICC koordiniert. Aufgabe der Call CenterMitarbeiter im „front office“ ist es insbesondere, Störungsmeldungen der Kunden entgegenzunehmen, entsprechend Anlagentypen zu klassifizieren und die Informationen an die zuständigen Serviceingenieure weiterzuleiten. Die Aufgabenerfüllung wird durch ein spezielles Computerprogramm unterstützt. Zur Störungsaufnahme sind Kundendaten, Störungsbeschreibung sowie Störungsart und Angaben zur Weiterleitung in Leerfelder einer Maske einzutragen. Mittels der kundenspezifischen Vertragsnummern können Angaben über die Art der vereinbarten Serviceleistungen abgerufen werden, die z. B. bei der Einordnung der Dringlichkeit eines Auftrages relevant sind. Darüber hinaus nehmen die Call Center-Mitarbeiter Anrufe für abwesende Mitarbeiter anderer Abteilungen entgegen, die am gleichen Firmenstandort untergebracht sind, sofern diese eine Anrufumleitung geschaltet haben. Erhaltene Informationen sind für die jeweiligen Mitarbeiter in einer Mailbox zu hinterlegen. Zum Team gehören 7 fest angestellte Mitarbeiterinnen (6 Vollzeitbeschäftigte, 1 Halbtagsbeschäftigte) sowie 7 Studenten, die je nach Bedarf stunden- oder tageweise eingesetzt werden. An den Erhebungen nahmen die 7 Mitarbeiterinnen und 2 Studenten teil. Die Betriebszeit des ICC liegt zwischen 7 und 17 Uhr. Zwischen 7 und 8 Uhr sowie zwischen 16 und 17 Uhr sind nur 2, in der Hauptgeschäftszeit 7 Arbeitsplätze besetzt. Eine der Mitarbeiterinnen fungiert zusätzlich als „erste Disponentin“. Sie nimmt die Verbindungsposition zwischen dem Leiter des ICC und den anderen Mitarbeiterinnen ein. Sie informiert den Leiter über erbrachte Leistungen in Form von statistisch aufbereiteten Daten, erstellt Einsatz- und Urlaubspläne, sie ist für den Kundenschriftverkehr und den Informationstransfer vom Leiter zu den Mitarbeiterinnen zuständig. Zwei weiteren Mitarbeiterinnen können bei Bedarf Teile dieser Zusatzaufgaben übertragen werden. Das ICC ist gemeinsam mit den Serviceingenieuren in einem Großraumbüro untergebracht. Das Aufgabenspektrum des ECC enthält Bestellannahme im Versandhandel, Markt- und Meinungsforschung, Informations-Hotlinedienste sowie Flugauskunftserteilung und Verkauf von Tickets. Während im ICC fast ausschließlich Inbound-Gespräche geführt werden, erfüllen die Mitarbeiter im ECC sowohl Aufträge mit Inbound- als auch mit Outbound-Gesprächen. Die Aufträge sind jeweils einzelnen Mitarbeitern fest zugeordnet. Anfänger werden zunächst mit Outbound-Aufträgen betraut. Wechsel zwischen Outbound- und Inbound-Gesprächen finden bei erfahrenen Mitarbeitern nicht systematisch statt. Auch hier wird die Auftragsbearbeitung durch entsprechende Software unterstützt. Bei den Inbound-Aufträgen sind das wiederum Masken mit Leerfeldern für Kundendaten und Produktmerkmale bzw. Kennwerte von Dienstleistungen. Bei Outbound-Aufträgen werden neben Masken mit den relevanten Kundendaten zur Registrierung der Antworten von angerufenen Personen vor allem Scripts bzw. Argumentationshilfen zur Gesprächsführung angeboten. Die Mitarbeiter waren zum Zeitpunkt der Analysen in 2 Räumen mit je 15 Arbeitsplätzen untergebracht. An den Erhebungen nahmen 30 Mitarbeiter/-innen teil, von denen 20 vorrangig mit Inbound-Tätigkeiten und 10 vorrangig mit Outbound-tätigkeiten befasst waren. Die wichtigsten Angaben zur Kennzeichnung der untersuchten Call Centers enthält zusammengefasst Tabelle 3. Darin enthalten sind auch vorläufige, auf der Auswertung von Daten 7 eines Monats basierende Angaben zur jeweiligen Gesprächshäufigkeit und -dichte im Durchschnitt pro Arbeitsplatz. Tab. 3: Untersuchungsfelder Aufgaben Gesprächsdauer (inbound) Gesprächsdichte Arbeitszeit Betriebszeit Anzahl der Mitarbeiter Anzahl der Arbeitsplätze Ort externes Call Center (ECC) internes Call Center (ICC) outbound inbound sonstige Aufgaben 1-3 Minuten ca. 40 pro Stunde 6 - 8 Stunden 7.00 - 23.00 Uhr 35 30 ländlicher Raum inbound sonstige Aufgaben ca. 3 Minuten 5- 10 pro Stunde 8 Stunden 7.00 - 17.00 Uhr 14 7 Großstadt 4.2 Erhebungsmethoden Grundlage der Datenerhebung bildeten systematische Beobachtungen der Tätigkeiten der Call Center-Mitarbeiter über eine Woche sowie Interviews und schriftliche Befragungen. Zwei arbeitsanalytische Verfahren wurden eingesetzt: 1. System zur Analyse der Hardware-Komponenten am Bildschirmarbeitsplatz (SAHIB) von Kurtz, Buchheim & Hippmann (1995). Hierbei handelt es sich um eine Checkliste hardware-ergonomischer Kriterien. Analysiert werden Arbeitsmittel und -bedingungen (s. Tabelle 4). Die Items sind jeweils mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten. Je mehr Negativantworten vorliegen, d. h., je weniger ergonomische Richtlinien eingehalten sind, um so höher ist der Gestaltungsbedarf. 2. Screening pathogener Arbeitsbelastungen (SPA) von Metz & Rothe (1998). Hier wird über den Einsatz von 2 Teilverfahren des Verfahrenspaketes berichtet: Screening pathogener Arbeitsbelastungen - Situation (SPA-S) Das SPA-S ist für den externen arbeitspsychologisch geschulten Beurteiler konzipiert. Die zu beurteilenden Merkmale der Arbeitssituation bilden das Analyseraster. Sie gliedern sich in folgende Analysebereiche: • Entscheidungsspielraum Itembeispiel: a) Zeitpunkte/Dauer aktiver Tätigkeit werden im wesentlichen vom Beschäftigten selbstbestimmt. b) Zeitpunkte/Dauer aktiver Tätigkeit sind durch technische/technologische, andere objektive Erfordernisse festgelegt und vom Beschäftigten kaum zu beeinflussen. • Komplexität/Variabilität Itembeispiel: a) Arbeitsaufgaben wiederholen sich selten. b) Arbeitsaufgaben wiederholen sich im Laufe eines Arbeitstages ständig, die Bearbeitungsdauer ist < 3 Minuten. • Qualifikationserfordernisse Itembeispiel: a) Die Arbeitsaufgaben erfordern häufiges Neu- und Umlernen. a) Die Arbeitsaufgaben erfordern in der Regel nach der Einarbeitungszeit kein Neu- und Umlernen. 8 • Risikobehaftete Arbeitssituationen/besondere Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit Itembeispiel: a) Die Erfüllung der Arbeitsaufgaben unterliegt keiner engen Zeitbindung. b) Die Arbeitsaufgaben erfordern die Einhaltung eines exakten Zeitregimes bei der Planung und Ausführung der Tätigkeiten. • Unspezifische Belastungen Itembeispiel: a) Die Tätigkeit kann kontinuierlich ohne Unterbrechungen/Störungen ausgeführt werden. b) In der Tätigkeit treten häufig unvorhersehbare Unterbrechungen/Störungen auf. Entsprechend der Intention eines Screeningverfahrens bilden die Itemformulierungen jeweils die extremen Ausprägungen eines Merkmals ab. Das SPA-S enthält 37 Merkmale formuliert in 74 Statements. Der Beurteiler muss sich für eine der beiden Alternativen entscheiden. Screening pathogener Arbeitsbelastungen - Person (SPA-P) Die personbezogenen Verfahrensteile SPA-P ermitteln anhand von Fragebögen die individuelle Reflexion der Arbeitssituation (SPA-P1) sowie die individuelle Bewertung der erlebten Beanspruchung (SPA-P2) durch die Arbeitenden. Die Analysebereiche sind identisch mit denen des SPA-S. In einem sechsten Analysebereich werden zusätzlich die sozialen Beziehungen erfragt: • Entscheidungsspielraum Itembeispiel: Ich kann selbst bestimmen, wann ich meine Arbeit unterbreche und eine Pause machen will. • Komplexität/Variabilität Itembeispiel: Meine Arbeitsaufgaben wechseln häufig. • Qualifikationserfordernisse Itembeispiel: Um meine Tätigkeit richtig zu beherrschen, muß ich häufig Neues dazulernen. • Risikobehaftete Arbeitssituationen/besondere Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit Itembeispiel: Bei meiner Tätigkeit gibt es kaum Phasen, in denen ich in Zeitnot gerate. • Unspezifische Belastungen Itembeispiel: In meiner Tätigkeit gibt es kaum unvorhersehbare Störungen und Unterbrechungen. • Soziale Beziehungen Itembeispiel: In meiner Abteilung/meinem Team wird jede gute Leistung anerkannt. Das SPA-P enthält 60 Statements. Der Grad der Zustimmung wird 4-stufig erfasst (SPA-P1: „trifft zu“, „eher ja“, „eher nein“, „nein“; SPA-P2: „das ist mir recht so“, „nicht belastend“, „belastend“, „sehr belastend“)3. Die Items von SPA-S und SPA-P sind direkt aufeinander bezogen, d. h., zu jeder SPA-S-Aussage gehören ein oder mehrere SPA-P-Items. 3 Das Adjektiv „belastend“ wird hier - abweichend von der arbeitswissenschaftlich korrekten Bezeichnung „beanspruchend“ - i. S. des umgangssprachlichen Gebrauchs gewählt. 9 Die Auswertung des SPA-Verfahrens leitet sich aus dem theoretischen Grundanliegen der Verfahrenskonstruktion ab. Basis ist ein hierarchisch-sequentielles Vorgehen. Im ersten Schritt werden auf Item-Ebene objektive (SPA-S) und subjektive (SPA-P) Fehlbelastungsindikatoren bestimmt. Sie ergeben sich beim SPA-S aus den Negativeinstufungen der Einzelitems (b-Anworten). Beim SPA-P werden den verbalisierten Antwortstufen Zahlenwerte zugeordnet, so dass die im Mittel pro Item von den Beschäftigten abgegebenen Urteile errechnet werden können. Überschreiten diese Werte vorgegebene Grenzwerte gelten sie als Fehlbelastungsindikatoren. Wiederum durch Vergleich mit Grenzwerten erfolgt im zweiten Schritt auf der Merkmalsebene die Ermittlung der Analysebereiche (Entscheidungsspielraum usw.) mit Fehlbelastungsausprägung. Die Grenzwerte bezüglich der Fehlbelastung sind definiert durch die Hälfte der jeweils maximal möglichen Punktsumme negativer Urteile. Durch gewichtete Summation werden auf der Teilverfahrensebene (SPA-S, SPA-P1, SPA-P2) im dritten Schritt Zuordnungen zu Fehlbelastungsstufen (0-“keine psychische Fehlbelastung“, 1-“psychische Fehlbelastung nicht ausgeschlossen“, 2-“psychische Fehlbelastung wahrscheinlich“, 3“psychische Fehlbelastung hoch wahrscheinlich“) vorgenommen. Die Fehlbelastungsstufen bilden die Grundlage für die im vierten Schritt erfolgende Gesamtbewertung. Dabei wird berücksichtigt, dass sich Expertenbeurteilungen und Betroffenenurteile von Arbeitssituationen durchaus unterscheiden und somit unterschiedliche Einstufungskombinationen vorliegen können. Für die denkbaren Fälle werden Entscheidungsalgorithmen vorgegeben. Sie basieren auf der Überzeugung, dass notwendige Veränderungen der Arbeitssituation auch dann angezeigt sind, wenn nur die Experten Fehlbelastungen ausmachen (Fehlbelastungsstufen 2 oder 3 im SPA-S), nicht aber die Beschäftigten (Fehlbelastungsstufen 0 oder 1 im SPA-P) oder umgekehrt. Über das eigentliche Anliegen von Gefährdungsanalysen hinaus werden damit jene Bereiche (Merkmale von Arbeitssituationen) bestimmt, in denen ein Interventionsbedarf besteht. 5 Ergebnisse und Diskussion 5.1 Vergleich der beiden Call Centers Die ergonomische Beurteilung der Arbeitsplätze der Mitarbeiter in den beiden Call Centers gibt Tabelle 4 in zusammengefasster Form wider. Tab. 4: Bewertung der Hardware-Komponenten (SAHIB) (+ : positive Merkmalsausprägung; -/+ : schwach defizitäre Merkmalsausprägung; - defizitäre Merkmalsausprägung) Analysebereiche • • • • • • • • • • • Monitor Arbeitsplatz Tastatur Manuskripthalter Arbeitstisch Arbeitsstuhl Fußstütze Beleuchtung Lärm Klima Raumgestaltung externes Call Center (ECC) + -/+ + -/+ + -/+ - internes Call Center (ICC) -/+ -/+ + + + + + -/+ -/+ 10 Mängel resultierten in beiden Call Centers aus der Anordnung der Monitore. Es traten störende Reflexionen auf, die Beleuchtungsbedingungen waren ungünstig und die Beschäftigten klagten über Zugluft und fehlende Möglichkeiten der Temperaturregelung. Im ECC wurden zusätzlich Mängel bei den Arbeitstischen und -stühlen festgestellt, außerdem war der Abstand zwischen den Arbeitsplätzen zu gering. Die Ergebnisse des SPA enthält Tabelle 5. Entsprechend dem Screening-Ansatz werden die Merkmalsbereiche positiv oder negativ bewertet. Tab. 5: Bewertung der Belastung durch Merkmale der Arbeitssituation (SPA-S, SPA-P1) und des Belastungserlebens dieser Merkmale (SPA.P2) sowie abgeleitete Fehlbelastungsstufen für die Mitarbeiter in den analysierten Call Centers (+ : positive Merkmalsausprägung; -: negative Merkmalsausprägung) Analysebereich externes Call Center (ECC) SPA-S SPA-P1 SPA-P2 internes Call Center (ICC) SPA-S SPA-P1 SPA-P2 Entscheidungsspielraum - - + - - + Komplexität/ Variabilität - + + - - + Qualifikationsanforderungen - + + - - + + - + - - + Unspezifische Belastungen + + + + + + Fehlbelastungsstufe 1 2 0 3 3 0 Besondere Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit Übereinstimmend stellten die Experten (SPA-S-Einstufung) in beiden Call Centers fest, dass der Entscheidungsspielraum der „front office“-Mitarbeiter eingeschränkt ist, die Arbeitstätigkeiten partialisiert sind und sich häufig wiederholen. Berufliche Kompetenzen können nur zum Teil genutzt werden. Unspezifische Belastungen treten in geringem Umfang auf. Unterschiede ergaben sich zwischen den beiden Call Centers bzgl. der Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit. Für das ICC wurden auf Grund der hohen Verantwortung für die schnelle und effektive Behebung von Störungen die Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit bedeutend höher beurteilt. Daraus resultiert auch, dass entsprechend SPA-S für die ICC-Mitarbeiter psychische Fehlbelastungen hoch wahrscheinlich (Stufe 3) sind, während für die ECC-Mitarbeiter psychische Fehlbelastungen lediglich nicht auszuschließen sind (Stufe 1). Bzgl. der Reflexion der Arbeitssituation durch die betroffenen Mitarbeiter besteht im Falle des ICC zwischen Experten- und Mitarbeiterurteilen Übereinstimmung. Daraus resultieren die gleichen Fehlbelastungseinstufungen. Im Falle des ECC liegen aber differente Ergebnisse vor. Die Urteile stimmen nur hinsichtlich des zu geringen Entscheidungsspielraumes überein. Die Komplexmerkmale „Komplexität/Variabilität“ und „Qualifikationserfordernisse“ wurden von den Mitarbeitern positiver, das Komplexmerkmal „Besondere Anforderungen an die Hand- 11 lungszuverlässigkeit“ negativer beurteilt. Im Ergebnis ergibt sich aus der Mitarbeiterbeurteilung die Stufe 2 (psychische Fehlbelastungen wahrscheinlich) und aus der Expertenbeurteilung die Stufe 1 (psychische Fehlbelastungen nicht ausgeschlossen). Die differenten Urteile resultieren vor allem aus den Unterschieden bzgl. der Beurteilung der Inbound-Tätigkeiten im ECC durch Experten und Mitarbeiter. (s. Punkt 5.2) Die Belastungsurteile (SPA-P1-Einstufungen) der Mitarbeiter des ICC fielen insgesamt auch negativer aus (Fehlbelastungsstufe 3) als die der Mitarbeiter des ECC (Fehlbelastungsstufe 2): Die mittleren Belastungswerte der ICC-Mitarbeiter für die 37 Merkmale (Items) waren bei 7 Items aus den Analysebereichen „Entscheidungsspielraum“, „Komplexität/Variabilität“, „Qualifikationserfordernisse“, „Besondere Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit“ und „Unspezifische Belastungen“ signifikant höher (t-Test für unabhängige Stichproben; s. Tabelle 6). Tab. 6: Signifikante Mittelwertdifferenzen zwischen erlebten Belastungen bei ICC- und Mitarbeitern Analysebereich Entscheidungsspielraum • Vorgabe von Teilzielen, Methoden/Verfahren und Abfolge der Arbeitsschritte Komplexität/Variabilität • Vielfalt der Arbeitsmethoden und -verfahren • Körperliche Aktivitäten und Körperhaltungen Qualifikationserfordernisse • Anwendbarkeit beruflicher Qualifikationen • Erforderliches Neu- und Umlernen Besondere Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit • Parallele Ausführung von Arbeitstätigkeiten mit unterschiedlicher Zielsetzung und Ablaufstruktur Unspezifische Belastungen • Konfliktpotential sozialer Kontakte ECC- Mittelwert (SD) ICC ECC t-Wert Prüfgröße (FG = 37) Signifikanzniveau 6,67 (2,45) 4,30 (1,66) t = 2,72 < TG = 3,35 p = 0,01 2,44 (0,73) 4,00 (1,32) 1,77 (0,73) 2,67 (0,92) t = 2,03 < TG = 2,41 p = 0,05 t = 2,72 < TG = 3,43 p = 0,01 1,56 (1,13) 1,00 (0,87) 0,73 (0,87) 0,45 (0,51) t = 2,03 < TG = 2,34 p = 0,05 p = 0,05 3,44 (1,24) 1,90 (0,96) t = 2,72 < TG = 3,94 p = 0,01 2,00 (0,87) 1,17 (0,91) t = 2,03 < TG = 2,39 p = 0,05 t = 2,03 < TG = 2,39 Erstaunlicherweise schätzten die Mitarbeiter beider Call Centers aber übereinstimmend die aus den so beurteilten Belastungen resultierenden Beanspruchungen in allen Analysebereichen als unbedeutend ein (SPA-P2-Einstufung). Im Widerspruch zu Erkenntnissen der Beanspruchungs- und Stressforschung führen die negativ beurteilten Belastungsmerkmale offensichtlich nicht zu negativ erlebten Beanspruchungen. Vielfach wird sogar das Urteil „das ist mir recht so“ abgegeben. Auf der Basis der vorliegenden Daten kann dieses Problem nur unzureichend geklärt werden. Wir können daher nur annehmen, dass die Bewertung der arbeitsbedingten Beanspruchung erheblich beeinflusst wurde durch Faktoren wie z. B. die vermutete - soziale Erwünschtheit der Urteile und damit die Angst vor Arbeitsplatzverlust bei 12 „unerwünschten“ Angaben. Gestützt wird die Hypothese durch einen zusätzlichen Befund aus dem ICC: Ein eingesetzter Fragebogen zur Beurteilung der Teamsituation konnte nicht ausgewertet werden, weil lt. Auswertevorschrift die ermittelten Werte bei den Kontrollitems zur „sozialen Erwünschtheit“ die vorgegebenen Grenzwerte weit überschritten. Zur Klärung dieses Phänomens sind weitere Untersuchungen geplant. Ein Konstruktionsfehler des Instrumentariums kann ausgeschlossen werden, da in Analysen mit Beamten (also Personen mit gesichertem Arbeitsplatz) die Urteile zwischen eingeschätzten Arbeitsmerkmalen und erlebter Beanspruchung hoch positiv korrelierten (Metz & Rothe, 1999). 5.2 Vergleich von Inbound- vs. Outbound-Tätigkeiten Auf Grund der im ECC vorliegenden Arbeitsteilung können Inbound- und OutboundTätigkeiten bzgl. ihrer Belastungen und deren Auswirkungen auf das Belastungserleben der betroffenen Mitarbeiter verglichen werden. Tab. 7: Bewertung der Merkmale der Arbeitssituation (SPA-S, SPA-P1) und daraus abgeleitete Fehlbelastungsstufen bei Call Center-Mitarbeitern mit Inbound- oder Outbound-Tätigkeiten (+: positive Merkmalsausprägung; -: negative Merkmalsausprägung) Analysebereich Inbound - Tätigkeiten SPA-S SPA-P1 Outbound - Tätigkeiten SPA-S SPA-P1 Entscheidungsspielraum - - - + Komplexität/Variabilität - + - + Qualifikationsanforderungen - + - + Besondere Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit + - + + Unspezifische Belastungen + + + + Fehlbelastungsstufe 1 2 1 0 Aus Tabelle 7 wird deutlich, dass sich die Expertenurteile (SPA-S) zwischen den Tätigkeitsarten nicht unterscheiden. Die Fehlbelastungseinstufung entspricht der Beurteilung aller Arbeitsplätze im ECC. Deutliche Unterschiede weisen aber die Urteile über die Situationsmerkmale durch die Beschäftigten (SPA-P1) aus. Die Komplexmerkmale „Entscheidungsspielraum“, „Komplexität/Variabilität“ und „Qualifikationserfordernisse“ werden für Outbound-Tätigkeiten positiver beurteilt. Entsprechend der Auswerteprozedur ordnen somit die Beschäftigten den OutboundTätigkeiten die Fehlbelastungsstufe 0 (keine psychischen Fehlbelastungen) zu. Das ist eine günstigere Bewertung als die der Experten, die die Fehlbelastungsstufe 1 (psychische Fehlbelastungen nicht ausgeschlossen) vorgenommen haben. Im Gegensatz dazu beurteilen die Beschäftigten die Inbound-Tätigkeiten ungünstiger als die Experten: Während sich aus den Urteilen der Mitarbeiter die Fehlbelastungsstufe 2 (psychische Fehlbelastungen wahrschein- 13 lich) ergibt, resultiert aus den Urteilen der Experten nur die Fehlbelastungsstufe 1. Hier liegt wahrscheinlich ein „Kontrastphänomen“ in dem Sinne vor, dass die Mitarbeiter die zweifellos bestehenden Unterschiede bzgl. der Anforderungen bei Inbound- und Outbound-Tätigkeiten höher bewerten als die Experten. Auch letztere kommen zu geringeren Punktwerten (Fehlbelastungen) für die Beurteilung der Komplexmerkmale bei Outbound-Tätigkeiten, auf Grund der Auswertevorschrift des Screening-Ansatzes werden aber die Grenzwerte noch nicht überschritten. Bei den Inbound-Tätigkeiten resultiert der Unterschied zwischen Experten- und Mitarbeiterurteilen insbesondere aus der differenten Beurteilung der Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit, sie werden von den Mitarbeitern höher eingestuft als von den Experten. Vergleicht man die Belastungsurteile zwischen den Mitarbeitern mit Inbound-Tätigkeiten und denen mit Outbound-Tätigkeiten (SPA-P1-Einstufungen), ergeben sich in der Regel höhere Belastungswerte bei Inbound-Tätigkeiten. Bei 3 der 37 Items aus den Analysebereichen „Besondere Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit“ und „Unspezifische Belastungen“ sind die Differenzen signifikant(t-Test für unabhängige Stichproben, vgl. Tabelle 8). Tab. 8: Signifikante Mittelwertdifferenzen zwischen erlebten Belastungen bei Inbound-und OutboundTätigkeiten Analysebereich Mittelwert t-Wert Prüfgröße Signifi(SD) (FG = 28) kanzniveau Inbound Outbound Besondere Anforderungen an die Handlungszuverlässigkeit • Risiken und Gefahren für Personen und Sachmittel Unspezifische Belastungen • Schichtarbeit • Möglichkeit zum kurzzeitigen Verlassen des Arbeitsplatzes 1,35 (1,14) 0,40 (0,70) t = 2,05 < TG = 2,41 p = 0,05 2,80 (0,52) 3,20 (1,51) 0,80 (0,63) 0,90 (0,88) t = 2,76 < TG = 9,26 p = 0,01 t = 2,76 < TG = 4,43 p = 0,01 Insbesondere anhand der Beurteilung der „Unspezifischen Belastungen“ wird deutlich, dass im Falle der Inbound-Tätigkeiten die Mitarbeiter Situationsmerkmale, die sich von denen bei Outbound-Tätigkeiten objektiv kaum unterscheiden, negativer erleben. 6 Schlussfolgerungen 6.1 Interventionsvorschläge In beiden Call Centers überwiegen einfache Teledienstleistungen. Der Entscheidungsspielraum ist relativ gering, einfache Arbeitshandlungen wiederholen sich häufig und Qualifikationspotentiale der Mitarbeiter werden nur teilweise genutzt. Dies stimmt mit Befunden von Scherrer & Wieland (1998) und Isic et al.(1999) überein. Aus unserer Sicht sind Veränderungen des Arbeitsinhalts und der Arbeitsteilung realisierbar, die sowohl die Belastungen reduzieren, wie auch zur Effizienzsteigerung der Call Center beitragen können. Im ECC könnte die Aufteilung von Inbound- und Outbound-Tätigkeiten auf die Mitarbeiter weitgehend aufgehoben werden. Dies würde die Flexibilität dieser Mitarbeiter erhöhen und zugleich könnten durch einen derartigen Arbeitswechsel die Anforderungen an die Nutzung der vorhandenen Qualifikation erweitert und damit die Attraktivität der Arbeit erhöht werden. Darüber hinaus könnte die Trennung zwischen „front office“ und „back office“ beseitigt wer- 14 den. Nach Qualifizierung der „front office“-Mitarbeiter könnten diese in systematischem Wechsel auch mit „back office“-Aufgaben betraut werden. Im ICC sollte zunächst eine Abflachung der Hierarchie erfolgen und die Funktion der ersten Disponentin abgeschafft werden. Ihre Zusatzaufgaben könnten ebenfalls in systematischem Wechsel den Mitarbeitern des Teams übertragen werden. Außerdem wäre nach Qualifikation und u. U. Einführung wissensbasierter Systeme eine wesentliche Bereicherung der Arbeit dadurch möglich, dass nicht nur Störungsannahme und -klassifikation sowie die zeitliche Koordination der Außendienst-Serviceingenieure von Mitarbeiter der Call Centers erfolgt, sondern dass diese für die „Normalfälle“ auch das Management der (Tele-)Störungsdiagnose und -behebung durchführen. Die nachgeordnete Serviceabteilung wäre dann nur noch mit besonders schweren und seltenen Störungen befasst. Auf diese Weise könnte der „Tele-Taylorismus“ in den von uns untersuchten Call Centers aufgehoben oder doch wenigstens reduziert werden. Die Behebung der ergonomischen Mängel dürfte generell unproblematisch sein. 6.2 Offene Fragen Auf der Basis der Analyseergebnisse zweier Call Centers mit einfachen Teledienstleistungsaufträgen lassen sich natürlich nur begrenzt verallgemeinerbare Schlussfolgerungen ziehen. Viele Fragen bleiben offen, die auch mit Hilfe der einschlägigen Literatur nicht beantwortet werden können, weil vergleichbare Untersuchungen bisher kaum vorliegen. Weiterer Forschungsbedarf resultiert u. E. zunächst daraus, dass unklar ist, • welche Beanspruchungen aus qualifizierteren, komplexen Serviceleistungen (Teleberatung, -wartung, -diagnose) resultieren und wie diese von den betroffenen Call CenterMitarbeitern beurteilt werden; • ob die Ursachen für die von Call Center-Managern allenthalben beklagte hohe Fluktuation ihrer Mitarbeiter auch im partialisierten Arbeitsinhalt und in ungünstigen Arbeitsbedingungen zu suchen sind; • ob und wie durch die o. g. Formen von Arbeitserweiterung und Arbeitsbereicherung die psychophysische Belastung und deren Erleben durch die Beschäftigten in Call Centers mit einfachen Teledienstleistungsaufträgen modifiziert werden kann; • welche langfristigen gesundheitsrelevanten Folgen bei Call Center-Mitarbeitern (z. B. auch auf Grund der Stimmbelastungen) auftreten. Zur Beantwortung dieser Fragen sind neben weiteren Belastungsanalysen in Call Centers mit Unterschieden bzgl. Arbeitsorganisation, Serviceleistungen und Qualifikation der Mitarbeiter auch Langzeitstudien erforderlich. Aber bereits die ermittelten Anforderungsprofile von den jeweiligen Call CenterMitarbeitern verweisen u. E. darauf, dass es sich nicht um einen Beruf handelt, für den ein einheitliches Ausbildungskonzept zu erarbeiten sinnvoll wäre. Gemeinsame Voraussetzung für die Anforderungsbewältigung ist sicher in jedem Fall eine hohe kommunikative Kompetenz. Für die Erbringung einfacher Teledienstleistungen ist sie die entscheidende Qualifikationsgrundlage. Fachliche Kompetenzen sind nur auf einem niederen Niveau gefordert. In dem Maße wie einfache Teledienstleistungen aber von Automaten abgewickelt werden, nimmt die Bedeutung von Fachkompetenzen zu. Dadurch könnte auch die gegenwärtig existierende Diskrepanz zwischen der geforderten und der tatsächlich genutzten Qualifikation aufgehoben werden. Weitere offene Fragen an die Gestaltung von Personalauswahl und -entwicklung, aber auch an die Arbeitsteilung und -gestaltung werden sich somit ergeben. 15 7 Literatur Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.). (1998). Arbeitsplatz Call-Center: Ein neuer Wirtschaftszweig boomt. Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste der Bundesanstalt für Arbeit, 39, 3520-3580. Büssing, A. & Aumann, S. (1996). Telearbeit. Mehrfachbelastungen, Qualifikationsanforderungen und berufliche Qualifizierung im Spannungsfeld von Beruf, Familie und Freizeit. Bericht Nr. 33, Lehrstuhl für Psychologie der TU München. Büssing, A. & Broome, P. (1999). Vertrauen unter Telearbeit. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 3, 122-133. Frieling, E. & Sonntag, Kh. (1999). Lehrbuch Arbeitspsychologie. Bern: Huber. Glaser, W. R. & Glaser, M. O. (1995). Telearbeit in der Praxis. Psychologische Erfahrungen mit außerbetrieblichen Arbeitsstätten bei der IBM Deutschland GmbH. Neuwied: Luchterhand. 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