Mit Industrie 4.0 auf dem Weg in eine schöne neue Welt?

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Mit Industrie 4.0 auf dem Weg in eine schöne neue Welt?
Mit Industrie 4.0 auf dem Weg in eine schöne neue Welt?
Von Michael Seufert
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wir stehen an der Schwelle zu einer schönen neuen Welt, wenn die
Visionen zur weltweiten Automatisierung und von den Chancen der
Industrie 4.0 wahr werden: Mercedes hat sich auf den Weg gemacht, das autonome Auto zu bauen, der Fahrer sitzt zwar noch am
Steuer, lässt sich aber von Sensoren, Kameras und Computern gesteuert chauffieren. Im vorigen Sommer hat ein Roboterauto die erste
Testfahrt zwischen Mannheim nach Pforzheim absolviert, immerhin
100 Kilometer und unfallfrei.
In Frankreich arbeiten zahllose Ingenieure daran, selbst fahrende Taxis zu konstruieren, die ihre Passagiere führerlos durch das Pariser Verkehrsgetümmel transportieren sollen.
Amazon will seine Pakete in Zukunft mit Drohnen anliefern.
Mit der sogenannten Agenten-Technik unterhalten sich produzierende Industrie-Roboter und transportierende Gabelstapler mit den Warenbeständen in Hochregallagern.
In der ADAC-Motorwelt werden in Anzeigen die ersten 3D-Drucker
zum Vorteilspreis angepriesen. Der Slogan: „Drucken Sie 3D-Objekte
aus belastbarem, sehr stabilem Hart-Kunststoff“.
Und die Hochschule in Emden hat im winterdunklen Nordschweden
drei autonome Systeme im Testbetrieb erfolgreich verbunden – Autos, Straßenbeleuchtung und Garagentore.
Der Internet-Riese Google hat gerade angekündigt, dass er für 3.2
Milliarden Dollar die Firma „Nest Labs“ übernehmen will, die in Amerika intelligente Thermostate und Rauchmelder herstellt. Via Internet
werden Haushaltsgeräte miteinander vernetzt, um Energie zu sparen
oder Brände früh zu erkennen. „Wir sehen, wenn Leuten ihr Toast ver-
brennt oder Kohlenmonoxid austritt“, sagt Firmenchef Tony Fadell.
Und Shyam Patil, ein US-Analyst findet: „Die Automatisierung von
Haushalten ist eine der größten Geschäftsmöglichkeiten, wenn man
vom allgegenwärtigen Internet redet, das alles verbinden wird.“
Europa könnte viel besser vernetzt werden, heißt es. „Serviceoriented Architectures, Cloud Automation and Systems-of –Systems
geben uns die Werkzeuge an die Hand, um eine bessere Zukunft zu
bauen“ – verspricht Armando W. Colombo, Koordinator des Projekts
IMC-AESOP. Große Industrieanlagen wie Ölraffinerien oder Papierfabriken könnten mit einer neuen Generation von Kontrollsystemen
ihre Effizienz steigern und gleichzeitig Energie sparen, indem alle Informationen gesammelt, ausgewertet und stets auf dem neusten
Stand gehalten werden.
Energie ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort, denn
ohne Energie rechnet kein Computer und alle Roboter stehen still.
Energie ist auch das politische Thema Nr. 1 in der aktuellen Debatte.
Mit der Energie-Wende hat sich Deutschland eine Sisyphus-Projekt
aufgeladen, gegen das sich der neue Berliner Flughafen, Stuttgart 21
und die Hamburger Elbphilharmonie zusammen genommen wie
Peanuts ausnehmen. In der griechischen Mythologie gilt Sisyphos als
gerissenes Schlitzohr, das trickreich alle überlistet, sogar den Todesgott Thanatos. Und wenn man sich den Stand der Energiewende anschaut, kann man schon auf die Idee kommen, Sisyphos sei hier am
Werk.
So hat der CO2-Ausstoß 2013 in Deutschland im Zusammenhang mit
der Stromerzeugung laut der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen
um 20 Millionen Tonnen oder um gut 2 Prozent zugenommen, obwohl
der Anteil der erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren
kräftig gestiegen ist. Der Grund: Noch nie ist soviel Strom durch die
Verbrennung von Braunkohle erzeugt worden, wie im vergangenen
Jahr.
Der von Lobbyisten und vielen Experten prophezeite Blackout wegen der Abschaltung der Hälfte der deutschen Atomkraftwerke hat
nicht stattgefunden, im Gegenteil es gibt Strom im Überfluss. An der
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Energiebörse EEX in Leipzig sind die Preise im Keller, und trotzdem
müssen die Normalverbraucher ständig mehr für die Kilowattstunde
bezahlen. Ein Mirakel.
Der Wahnsinn hat Methode und heißt EEG, Erneuerbare Energien Gesetz. Das garantiert den Ökostrom-Erzeugern, die Windkrafträder oder Fotovoltaik-Anlagen betreiben, 20 Jahre lang einen Festpreis für
ihre Lieferung. Sie dürfen ihren Strom auch zu jeder Zeit ins Netz einspeisen, ob Bedarf besteht oder nicht. Die Netzbetreiber verkaufen
ihn an der Börse. Wegen des Überangebots kostete dort 2012 die Kilowattstunde im Jahresdurchschnitt 4.3 Cent. So billig können viele
Kraftwerke den Strom gar nicht produzieren. Im vergangenen Jahr
sank der Preis an vielen Tagen auf 1 bis 0 Cent, ja immer häufiger
muss sogar Geld gezahlt werden, damit irgend jemand die überschüssige Energie abnimmt.
Die Netzbetreiber haben dadurch keinen Verlust, denn nach EEG
zahlen sie den Ökostrom-Produzenten die garantierte Vergütung,
ziehen davon ihren Börsenerlös ab, die Differenz wird durch die EEGUmlage ausgeglichen, die der normale Stromkunde bezahlt. Ein absurdes Ergebnis eines gut gemeinten Projektes.
Doch die Realität ist noch verrückter. Da es in Deutschland kaum
Pumpspeicherwerke gibt und andere Speichermedien nicht vorhanden sind, werden Stromüberschüsse zu Minipreisen, gratis oder sogar
gegen Entgelt etwa nach Österreich geliefert, wo systematisch
Pumpspeicherkraftwerke gebaut werden. Mit deutschem Billigstrom
wird Wasser in Speicherseen hoch gepumpt. Wenn dann später am
Tag in Deutschland der Strombedarf und die Börsenpreise steigen,
liefern die Österreicher ihren Strom aus Wasserturbinen zurück. Die
FAZ schrieb: „Wenn es ganz blöd läuft für Deutschland, dann verschenkt es morgens seinen Strom an Österreich, um ihn abends wieder teuer zurückzukaufen.“
Doch damit nicht genug: Für betriebsfertige Windparks in der Nordsee, die noch keinen Strom produzieren, weil sie noch nicht ans Netz
angeschlossen sind, berappt der Normalverbraucher ebenfalls via
EEG-Umlage Entschädigung an die Betreiber. Großverbraucher wie
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die Aluminium- oder die Chemische Industrie sind zu Lasten der Normalverbraucher von der EEG-Umlage befreit. Sie sollen im internationalen Wettbewerb nicht durch hohe Stromkosten benachteiligt werden. Doch auf wundersame Weise hat sich die Zahl der subventionierten Firmen erst jüngst kräftig erhöht, profitierten 2013 nur 1.720 Unternehmen von der Regelung, so sind es in diesem Jahr schon 2.400.
Kein Wunder, dass die EEG-Umlage für eine Kilowattstunde von 0,54
Cent im Jahr 2004 auf 6,24 Cent 2014 gestiegen ist. Der Gesamtaufwand kletterte in der selben Zeit von 3,16 auf 21,5 Milliarden Euro.
Nicht vergessen sollte man in dem Zusammenhang allerdings, dass
die Stromerzeugung aus Kohle und Atomkraft seit Jahrzehnten mit
Milliarden subventioniert wird. Diese Kosten werden den Verbrauchern im Unterschied zum Ökostrom aber zum großen Teil nicht direkt
aufgebürdet, sondern aus Steuermitteln bezahlt. Da spürt der Verbraucher den Schmerz nicht direkt. Nach einem EU-Papier vom Dezember 2013 werden Kernkraftwerke jährlich mit 35 Milliarden unterstützt, erneuerbare Energien werden mit 30 Milliarden gefördert. Kohlesubventionen sind in diesen Zahlen nicht berücksichtigt.
Welche Chancen bieten sich in dieser Situation für die Industrie 4.0?
Vor allem kann sie das Beste tun, nämlich Strom sparen, Strom, der
nicht erzeugt und nicht bezahlt werden muss. Erreicht werden kann
das durch intelligente Vernetzung und Steuerung zwischen den Erzeugern von Wind- und Solarenergie und konventionellern Kraftwerken und die wiederum mit den Verbrauchern. Was spricht dagegen,
dass ein Computerprogramm aus fünf Strom-Angeboten den günstigsten Preis und den besten Zeitpunkt auswählt, zu dem die Waschmaschine laufen kann. Kühltruhen und Kühlschränken können so
programmiert werden, dass innerhalb eines Wärmepuffers von 5
Grad der günstigste Zeitpunkt gewählt wird, zu dem das Gerät wieder heruntergekühlt wird. Ähnliche Modelle gelten natürlich vor allem
auch für große Industriekomplexe.
Genauso lassen sich Maschinen intelligent steuern. Häufig wird die
Effizienz einer Maschine noch nach ihrer größtmöglichen Auslastung
bemessen, also der Menge der produzierten Waren ohne Rücksicht
auf den Energieeinsatz. Das ändert sich heute hin zur optimalen Aus
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lastung, zur Produktion mit geringsten Stromverbrauch. Das Problem
dabei ist die gute Verknüpfung aller Komponenten im Netzwerk, um
stets Informationen à la Card zu haben und permanent Daten austauschen zu können. So können sie selbstständig Material anfordern
und Konstruktionsdaten abrufen. Die Produktion steuert sich automatisch bei günstigem Energieverbrauch. Besonders interessant: Ob es
nur ein Artikel ist oder eine ganze Serie davon, die Produktionskosten
bleiben gleich. Der Verbraucher kann so ein ganz eigenes Handy,
eine spezielle Brille oder einzigartige Jogging-Schuhe bekommen.
Für den Konsumentenbereich scheinen Nest Labs und Google auf
diesem Weg mit großen Schritten vorangehen zu wollen. Der Trend
heißt „Internet der Dinge“, wenn analoge Geräte mit dem Internet
verbunden und via Internet gesteuert werden. Die „Nest“- Thermostate registrieren, wann jemand zur Arbeit geht und wann er zurückkehrt, um die Wohnräume entsprechend zu heizen. Google kann diese Aktionen verfeinern, indem es dies mit den Einträgen im GoogleTerminkalender kombiniert. Ist abends ein Kinobesuch oder eine Party
angesagt, wird die Heizung später hochgefahren.
Schöne neue Welt. Mancher wird diese Aussichten zum Gruseln finden. Werden wir alle zum gläsernen Menschen? Wird der Big Brother
alles über uns wissen? Und wie sicher sind diese Systeme überhaupt,
zum Beispiel gegen kriminelle Hacker-Angriffe? Wann immer Maschinen unter einander Informationen vor allem per Funk austauschen,
haben Hacker eine große Chance.
Auf der IT-Sicherheitsmesse „it-sa“ in Nürnberg im Oktober 2013
warnte die Sicherheitsexpertin des Fraunhofer-Instituts Claudia Eckert,
die Angriffe auf digitale Anlagensteuerungen nähmen in jüngster Zeit
zu. Es bestehe die Gefahr, dass Hacker die Produktion sabotierten.
Und der Technologiechef des Sektors Industrie bei Siemens, Dieter
Wegener prophezeite: „Industrie 4.0 wird sich nur durchsetzen, wenn
die gesamte Wertschöpfungskette der produzierenden Industrien
auch hohe Sicherheitsanforderungen erfüllt.“ Schon heute sind
schlecht geschützte Wartungszugänge, das Einfallstor für Hacker. Unvergessen etwa der Computer-Wurm „Styxnet“, mit dem 2010 die
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Steuerungstechnik der Urananreicherungsanlage im Iran lahmgelegt
wurden.
Schöne neue Welt? Die Möglichkeiten der Industrie 4.0 sind faszinierend, ich glaube aber, Skepsis ist trotzdem angebracht.
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