Osmanisch für Anfänger

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Osmanisch für Anfänger
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FEUILLETON
DEFGH Nr. 5, Donnerstag, 8. Januar 2015
Osmanisch für Anfänger
Präsident Erdoğan überrascht die Zeitgenossen mit einer Kehrtwende in der Sprach- und Schriftpolitik.
Aber ist jetzt wirklich mit einer Rückkehr zum traditionellen Arabisch in der Türkei zu rechnen?
er diese „Orientalisten“ in einer seiner Rede im selben Atemzug wie Kolonialisten
nennt, fügt sich in sein von der antiwestlichen Apologetik der vorletzten Jahrhundertwende geprägtes Weltbild.
Auf der anderen Seite beklagt er aber
durchaus zu Recht, dass es vielen Menschen nicht gelingt, ein arabisch geschriebenes Hüve’l-Bâki („ER ist der ewige“) auf
Grabstelen zu erkennen oder die Schutzformel Yâ Hâfiz („Oh Bewahrer“) auf dem Türstock vieler Häuser. Ältere osmanische Texte müssen für moderne Türken kein Buch
mit sieben Siegeln sein. Eine schlichte
Chronik des 16. Jahrhunderts, die Verse eines volkstümlichen Mystikers, selbst das
Befehlsschreiben eines Herrschers können
noch heute verständlich sein. Die anrührenden Verse von der Prophetengeburt des
Süleyman Çelebi – eine Art frühosmanische Weihnachtserzählung - haben sich
über ein halbes Jahrtausend lebendig erhalten.
von klaus kreiser
K
einer soll sich vor dem Osmanischen fürchten“, beschwichtigte Recep Tayyip Erdoğan am 12. Dezember seine Zuhörer. Er sprach bei der Verleihung einer Auszeichnung für den Kalligrafen Hasan Çelebi. Der betagte Künstler gilt
als ein lebendes Beispiel dafür, dass der Koran zwar in Medina herabgesandt wurde,
aber nach wie vor in Istanbul am schönsten niedergeschrieben wird. Ein willkommener Anlass für den Präsidenten der Republik, um an seine wenige Tage zuvor in
Ankara gehaltene und auch international
hohe Wellen schlagende Rede anzuknüpfen. Erdoğan hatte vor der „Ratsversammlung für Glaubensfragen“ (Din Şurası) unvermittelt angekündigt: „Osmanisch wird
unterrichtet werden, ob sie es wollen oder
nicht“ (wer immer auch mit „sie“ unter seinen Widersachern gemeint sein mag).
Dass er dabei keine Rücksicht auf die noch
bevorstehende Meinungsbildung des aus
Religionsmännern und Pädagogen bestehenden Gremiums nahm, überrascht
nicht. Mancher wird dankbar gewesen
sein, dass kurz danach Ministerpräsident
Davutoğlu, ohne auf die Zuständigkeit seines Schulministers zu pochen, in seiner
freundlichen Art für „Osmanisch“ nur als
Wahlfach an den Schulen eintrat.
Intensiver als vor dem Wechsel von der
arabischen zur lateinischen Schrift
(1928/29) wurde in der Vergangenheit der
Streit zwischen Progressiven und Konservativen in der Sprachfrage ausgetragen.
Während die Neutöner das Türkische aus
der „Gefangenschaft“ der als fremd diffamierten Sprachen, vorab des Arabischen,
erlösen wollten, verwiesen die Hüter der
Tradition auf die lebendige, aus vielen
Quellen genährte Muttersprache. Erdoğan
hat nun, fast aus heiterem Himmel, die seit
Generationen eher ruhende Schriftfrage
angefacht und schickt sich an, in die Stundenpläne der Nation einzugreifen.
Das osmanische kulturelle Erbe
ist von der persischen Sprache
und Literatur nicht zu trennen
Im Kampf gegen Verwestlichung
wird Istanbul als Hochburg der
Kalligrafie in Stellung gebracht
Die Rolle des Oberlehrers der Nation hatte zuerst Mustafa Kemal Atatürk (18811938) bei der Einführung des lateinischen
Alphabets übernommen, als er auf Marktplätzen Schultafeln aufstellen ließ, um mit
der Kreide in der Hand die einfachere und
für das Türkische angemessenere neue
Schrift zu propagieren. Vor diesen Erinnerungsorten der Republik stellen sich manche Beobachter die Frage, ob Erdoğan eine
Umkehrung der Reform anstrebt. Will er
seine Macht und seinen zunehmenden Einfluss auf die Medien nutzen, um den Türken mit der arabischen Schrift wieder den
Gebrauch der Rohrfeder anzugewöhnen?
Dass wäre nicht nur undurchführbar, es ist
auch sehr unwahrscheinlich, dass der gern
polternde Erdoğan eine solche Absicht
hegt. Gewiss, er lässt sich in seiner von kritischem Geschichtswissen unberührten
Begeisterung für alles Osmanische von niemand übertreffen. Aber es fällt auf, dass er
bei seinen wiederholten Angriffen auf „bestimmte Kreise“, die sich von „bestimmten
Klischees“ nicht lösen können, immer wieder auf den so empfundenen Zivilisationsbruch im Kemalismus zurückkehrt.
Ende der 1920er Jahre wurde der Inhalt
der in Hunderte von Fächern aufgeteilten
Setzkästen mit arabischen Typen eingeschmolzen und in eine übersichtliche Zahl
von Antiqualettern umgegossen. Die große Mehrheit der türkischen Bevölkerung
konnte zum Zeitpunkt der Schriftumstellung weder lesen noch schreiben, sondern
wurde mit den neuen, leichter vermittelbaren Zeichen erst alphabetisiert. Nur eine
schmale Schicht musste sich auf die nun in
„türkischen Buchstaben“ gedruckten Texte umstellen. Die Intelligenzija kannte das
neue Alphabet längst auf Grund ihrer Vertrautheit mit dem Französischen, quasi
Dieses Plakat zum 10. Republikjubiläum warb 1933 für die
Vorteile der lateinischen Schrift, die 1928/29 in der
Türkei eingeführt worden war. FOTO: ARCHIV KREISER
der zweiten Amtssprache des Reichs. Verbieten konnte man die arabischen Zeichen
im öffentlichen Raum und im amtlichen
Verkehr, nicht aber auf Briefen, Postkarten, in Tagebüchern oder anderen privaten
Äußerungen. Selbst beinharte Kemalisten
der Übergangsgeneration benutzten die alte Schrift bis zu ihrem Lebensende. Man erzählt sich Geschichten von Journalisten,
die ihre Artikel in arabischer Schrift formulierten, bevor sie von kundigen Setzern latinisiert wurden.
Das Dilemma der arabischen Konsonantenschrift in ihrer Anwendung auf das vokalreiche Türkische war auch ihren Anhängern bewusst. Die eindeutige Umschreibung von fremden Namen war fast unmöglich. Mehrdeutige Wörter konnten nur im
Kontext verstanden werden. Kritische Zeitgenossen wussten schon vor der Reform,
dass nur wenige Menschen die Voraussetzung für eine Beherrschung der osmanischen Hochsprache mitbrachten: Dazu gehörten gute Kenntnisse der arabischen
und persischen Morphologie, ein umfangreicher Wortschatz in beiden Sprachen
und die Elemente der klassischen Metrik
und Prosodie. All das setzte jahrelangen
Unterricht voraus, der von Kursen in eini-
gen der sechs kanonischen Schriftdukten
begleitet werden musste. Der Idealtyp unter den osmanischen Literati, der über die
„Drei Sprachen“ gebot, war ohnehin längst
ausgestorben.
Die meisten Zeitgenossen um die Wende zum 20. Jahrhundert waren frei von Illusionen über den Erfolg des damaligen
Schulunterrichts im Arabischen und Persischen. Der noch heute – in modernisierter
Sprachgestalt – gelesene Schriftsteller
Halid Ziya Uşaklıgil (1866-1945) schrieb in
seinen Memoiren nüchtern: „Am Ende der
Schule konnte ein junger Mann weder einem persischen Teekellner einen Satz aus
mehreren Wörtern vorsprechen, noch einen zehnzeiligen Artikel in einer ägyptischen Zeitung verstehen.“
Erdoğan vergleicht die Wirkungen von
Atatürks Reformen mit der Brandschatzung von Bagdad durch die Mongolen Hülagus (1258)– freilich ohne den Staatsgründer, dessen Porträt auch in seinem Amtszimmer hängt, zu nennen. Abgesehen von
der Maßlosigkeit dieser Attacken, geht er
in seinen jüngsten Statements über das rituelle Kemalisten-Bashing hinaus. Er lastet auch den Reformern des 19. Jahrhunderts die Verantwortung für hemmungslo-
se Verwestlichung an. Dabei ist unstrittig,
dass bei allen kriegerischen Niederlagen
und wirtschaftlichen Katastrophen erst
während der Tanzimat-Reformen (der
„Neuen Ordnung“ ab 1839) eine osmanische Erzähl- und Theaterliteratur im modernen Sinn entstand und traditionelle
künstlerische Genres wie Kalligrafie und
Epigraphik blühten. Atatürks elaborierte
osmanische Prosa ist ein später Nachklang
dieser Epoche.
Im Einzelnen aber fordert Präsident Erdoğan Kompetenzen ein, die sich große Teile der akademischen Jugend längst angeeignet haben: Ein Blick in die vollen Lesesäle der staatlichen Archive und Handschriftenbibliotheken könnte ihn davon überzeugen. Es ist verwunderlich, wenn er provokant frägt: „Kann denn in einer Stadt wie Istanbul, einst Mittelpunkt der Kalligrafie,
mit seinen gigantischen Archivschätzen
niemand die nach Millionen zählenden Dokumente lesen? George liest sie, Hans liest
sie, aber Ahmet, Mehmet, Hüseyin können
sie nicht lesen?“ Die Georges und Hanse
stehen in Erdoğans Rede für ausländischen Experten, die das Fach Osmanistik
vertreten, das in Europa entstand, aber
von Kalifornien bis Japan expandiert. Dass
All das gilt nicht für die Masse der Handschriften in Bibliotheken und Archiven.
Ein osmanisches Lexikon passt nicht zwischen zwei Buchdeckel, weil die Literatursprache offen war für den Wortschatz der
großen orientalischen Nachbarsprachen.
Vor allem ist das osmanische kulturelle Erbe von der persischen Sprache und Literatur nicht zu trennen. Trotz seines hohen
Prestiges behielt das Persische für manche
orthodoxe Muslime das Odium des Sektiererischen. Es wurde auch nie in das Kurrikulum der Medresen (Koranschulen) aufgenommen. Hingegen findet es sich ab
dem 19. Jahrhundert auf den Lehrplänen
der staatlichen Lyzeen. Die türkische Memoirenliteratur enthält wunderbare Erinnerungen an Persischlehrer nicht nur in
der Hauptstadt, auch in Albanien, auf Kreta oder im kurdischen Kirkuk. Die besten
Köpfe der Zeit sahen bei aller Einsicht in
die Notwendigkeit, mit Französisch das
Tor zur Welt zu öffnen, im Persischen den
Schlüssel zur östlichen Kultur.
Die Handschriftensammlungen der Türkei, über die laut Erdoğan ein Mongolensturm hinweggegangen sei soll, bestehen
zum größten Teil aus den Bibliotheken der
Medresen und Derwischkonvente. In sie gelangten zum überwiegenden Teil Bücher
aus den islamischen Traditionswissenschaften und der Jurisprudenz. Der Anteil
osmanischer, hier :türkischer Texte in arabischer Schrift, war bescheiden.
Viele Türken aus der Generation des
1954 geborenen Recep Erdoğan leben in
dem wehmütigen Bewusstsein, dass ihre
Großeltern die „letzten Osmanen“ waren.
Dabei handelt es sich um eine moderne Zuschreibung, denn kaum einer der um 1900
geborenen Untertanen des Sultans hätte
sich einem Fremden gegenüber als „Osmane“ ausgegeben. In einer gemischten
Schulklasse auf dem Balkan oder Anatolien war man zunächst Muslim, dann folgten die Subidentitäten wie Albaner, Türke
oder Izmirli. Receps Großvater hätte sich
in Istanbul als „Karadenizli“ ausgegeben,
als einer von der pontischen Küste. Wenn
Erdoğan ausruft: „Wir sind alle Kinder der
Osmanen“ trifft er gleichwohl auf breitere
Zustimmung als jene humanistisch-säkularen Intellektuellen, die sich – gewiss
nicht im Ernst – als „Enkel der Hethiter“
identifizierten. Ironischerweise verwendet Erdoğan für seine Direktive „Osmanisch wird unterrichtet werden“ ein Verb
für „unterrichten“ (öğretmek), das kein im
osmanischen
Reich
aufgewachsener
Mensch verstanden hätte, weil es ein Retortenwort der 1930er Jahre ist.
Klaus Kreiser ist emeritierter Professor für Türkische Sprache, Geschichte und Kultur der Universität Bamberg.
Belgische Nullkommanix-Diät
eine der Welthauptstädte des Tanzes.“
Recht hat sie.
Der Wegfall dieser Bühne und damit des
prächtigsten Tanzschaufenster Belgiens
wird sich weithin bemerkbar machen.
Dass die Choreografin den Monnaie-Chef
frontal angeht und nicht die Politiker, die
dem Haus bis 2019 Einsparungen von fast
sieben Millionen Euro verordnet haben,
mag verfehlt erscheinen. Verständlich ist
es allemal. Schließlich steht La Monnaie
jenseits seiner Bedeutung als zeitgenössi-
sche Exzellenzplattform für eine große Tradition. Waren einst Maurice Béjart und
sein epochales „Ballet du XXe Siècle“ hier
ansässig, so wurden seit den 1990er-Jahren neben Keersmaekers Kreationen regelmäßig Stücke von Sidi Larbi Cherkaoui
und Sasha Waltz koproduziert und aufgeführt. Für die drei Künstler und ihre Kompanien bricht nun ein wesentlicher Finanzpfeiler weg, zudem verlieren sie ihre Brüsseler Repräsentanz.
Erfolg, Auslastung, Zuspruch –
das spielt alles keine Rolle,
wenn die Controller anrücken
Mehr bleibt nicht: Sidi Larbi Cherkaoui choreografiert bereits für Brüsseler Opernproduktionen wie hier für „Shell Shock“ von Nicholas Lens & Nick Cave. FOTO: FILIP VAN ROE
Sasha Waltz ist von den fruchtlosen Berliner Diskussionen um die Zukunft ihrer
Truppe so zermürbt, dass sie sich derzeit
nicht zum Monnaie-Debakel äußern will.
Dafür hat Sidi Larbi Cherkaoui kurz nach
Keersmaeker reagiert. Belgiens umtriebigster Tanzmacher, der zuletzt als Choreograf für die Uraufführung von Nicholas
Lens’ und Nick Caves Oper „Shell Shock“ in
Brüssel wirkte, ließ wissen, er sei „enorm
bestürzt und traurig“. Zugleich habe er Verständnis für Caluwes Entscheidung – „angesichts der ihm auferlegten Sparzwänge“.
Doch die Totalabwicklung des Tanzes ist
weder in Brüssel noch sonstwo alternativ-
Die Partei, die immer recht hatte, erklärte ihn 1954 zum trotzkistischen
Agenten. Nur „mit Abscheu“ konnten
sich die Genossen von dem Mann abwenden, der im Jahr zuvor noch für sie
und also „für den Frieden kämpfte“. Da
hieß er Hermann Wunderlich, war ein
aufrechter Kommunist und diente der
Partei als Kader bei der Unterwanderung Westdeutschlands.
Hermann Weber kam 1928 standesgemäß als Arbeiterkind zur Welt. Die
Gestapo sperrte seinen Vater ein. Der
Sohn musste die Ausbildung zum Lehrer abbrechen und kontrollierte Fahrkarten in der Straßenbahn. Im Bildungsroman ist für den halbwegs aufgeklärten Menschen vorgeschrieben,
dass er als Kommunist beginne, da der
weitere Lebensgang ihn schon auf die
rechte Seite lenken werde. Weber machte es sich nicht ganz so leicht. Nach der
Befreiung trat er 1945 sofort in die KPD
ein und wurde Staatsfeind. Er kam auf
die Hochschule der SED in Kleinmachnow, erhielt den Tarnnamen „Wunderlich“ und erlebte bald, wie Marx’ kategorischer Imperativ „An allem ist zu
zweifeln“ bei den Staatskommunisten
am allerwenigsten galt. Den 17. Juni
1953 erlebte er im Gefängnis in Essen.
Der Aufstand gab ihm den letzten Anstoß, sich von der Partei zu lösen.
Plötzlich auf sich gestellt, feindliches Subjekt im Osten wie im Westen,
musste sich Weber mit Anzeigen-Akquise durchbringen; seine Frau verkaufte Staubsauger. Er holte das Abitur nach, studierte Politik und Geschichte und wurde 1975 auf den Lehrstuhl für Politische Wissenschaft in
Mannheim berufen. Wie viele Renegaten mochte er von seinem Jugendtraum nicht lassen, doch begnügte sich
Weber nie mit dem vorgeschriebenen
Antikommunismus, sondern suchte
wissenschaftlich zu ergründen, was
ihn einst gelockt hatte.
Weber sind Grundlagenwerke zur
Stalinisierung der KPD, zum kommunistischen Terror und zur Geschichte
der DDR zu verdanken. Nebenbei leitete er in Mannheim den Forschungsschwerpunkt DDR-Geschichte und
wirkte an der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit. Ein
ganz eigenes Werk, eine Reise in seine
eigene stalinistische Finsternis, ist der
Erinnerungsband „Damals, als ich
Wunderlich hieß“ (2002).
Hermann Weber
trat 1945 der KPD
bei, 1954 wurde er
ausgeschlossen. Ab
1970 lehrte er Politologie. Weber ist
Autor zahlreicher
Werke zum Kommunismus und der
DDR. FOTO: DPA
Soeben ist ein weiterer Dokumentenband zu dem vom Komintern gestifteten besonderen Verhältnis zwischen
Deutschland und Russland erschienen.
Darin findet sich als Erstveröffentlichung eine Begutachtung des Genossen Walter Ulbricht, dem 1939 streng
vertraulich „Starrheit, bürokratische
Tendenzen, Kommandeursmethoden,
krankhafter Ehrgeiz“ vorgeworfen werden. Eigenschaften also, die ihn, wie
die Weltgeschichte, die auf ihre Art erst
recht immer recht hat, aufs Schönste
lehrte, zur stalinistischen Kommandierung der DDR befähigten.
Mit seiner ideologiefreien Gründlichkeit erwarb sich der geläuterte Idealist Weber ein so hohes Ansehen, dass
jetzt von der FAZ bis zum Neuen
Deutschland alle ehemaligen Zentralorgane fast freundschaftlich von ihm Abschied nehmen. Der große Gelehrte
Hermann Weber ist, wie erst jetzt bekannt wurde, am 29. Dezember in seiner Heimatstadt Mannheim gestorben.
willi winkler
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Das Théâtre de la Monnaie in Brüssel, eines der renommiertesten Häuser Europas für Ballett und Oper, stellt sein Tanzprogramm ein
Die belgische Choreografin Anne Teresa de
Keersmaeker gehört zu den Schweigsameren in der Szene. Sie hasst Interviews, vermeidet Auftritte in Talkrunden und igelt
sich völlig ein, wenn sie ein neues Stück
austüftelt. Umso erstaunlicher ist darum
die Pressemitteilung, die Keersmaeker
kurz vor dem Jahreswechsel verbreiten
ließ, mitten in den Proben zur Uraufführung von „Golden Hours“.
Wie es aussieht, wird die für Ende Januar angesetzte Premiere die letzte sein, die
Keersmaeker unter dem Dach und mit Mitteln des Théâtre de La Monnaie in Brüssel
ausrichtet. In ihrem Statement erklärt
Keersmaeker, warum: „Die Nachricht,
dass das Théâtre de la Monnaie sein gesamtes Tanzprogramm einstellt, ist unfassbar.
Der Tanz hat stets zur Mission des La Monnaie gehört.“ Und die Choreografin zu denjenigen, die davon profitiert haben.
La Monnaie unterhält keine eigene Kompanie, sondern arbeitet fest mit handverlesenen Choreografen und Ensembles zusammen, deren Stücke kofinanziert werden. Ein Modell, mit dem das Opernhaus
seinen Ruf als erstrangige Tanzbühne über
Jahrzehnte hinweg behauptet hat. Dass
der zum Sparen verdammte Intendant Peter de Caluwe nun ausgerechnet an dieser
Stelle streicht, beschädigt, wie Keersmaeker kritisiert, „die Bedeutung Brüssels als
Zum Tod von
Hermann Weber
los. Vielmehr wird der Sparte eine strukturelle Schwäche zum Verhängnis, die sich
auch hierzulande beobachten lässt: Tanzleute beanspruchen keine unabhängigen
Machtpositionen, sie begnügen sich mit
schlanken Infrastrukturen, oft genug mit
Zuschuss- und Spielstätten-Zusagen. So
hängen sie eben am Tropf der Oper und
sind die Gelackmeierten, wann immer EtatEinschnitte drohen. Der Erfolg, die Auslastung, der internationale Zuspruch – das alles spielt keine Rolle, wenn das Budget
schrumpft und Controller anrücken.
Peter de Caluwe hat gegen die Kürzungen protestiert, demissionieren will er offenbar nicht. Zwar hat er auch dem Barockopernspezialisten René Jacobs den Laufpass gegeben und die Zahl der Musiktheaterproduktionen verringert. Das Kerngeschäft von La Monnaie aber bleibt erhalten. Opernaffine Choreografen können also immerhin noch mit Regieaufträgen
Geld verdienen. Sasha Waltz und Sidi Larbi
Cherkaoui sind bereits einschlägig unterwegs, der Tausendsassa ist zudem offenbar als künftiger Leiter des Königlichen
Balletts von Flandern im Gespräch. Falls
daraus etwas wird: hoffentlich nur mit eigenem Haushaltstitel! Am Ende ist das die
einzige Garantie gegen die NullkommanixDiät, die La Monnaie dem Tanzpublikum
zumutet.
dorion weickmann
80TH ANNIVERSARY EDITION
3 CDs
Ausverkauf
In Nordrhein-Westfalen steht ein weiterer
Verkauf von Kunst aus indirektem Landesbesitz bevor. Die WestLB-Nachfolgerin Portigon will bald ihre Kunstsammlung aus
rund 400 Werken auf den Markt bringen.
Erstmals äußerte sich Portigon-Chef Kai
Wilhelm Franzmeyer in der „Rheinischen
Post“ und dem WDR konkret zu den Plänen. „Es gibt zum Verkauf der PortigonKunstsammlung keine Alternative“, sagte
Franzmeyer. Aufgrund von Vorgaben der
EU-Kommission müsse Portigon abgewickelt werden. In einer „Übergangszeit“ von
ein bis zwei Jahren wolle Portigon NRWMuseen Teile der Sammlung für Ausstellungen anbieten. Später werde die Kunst
vermutlich auf Auktionen verkauft. dpa