Frauenbeschäftigung in der IT
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Frauenbeschäftigung in der IT
Feministisches Grundstudium Lehrgang universitären Charakters 6. Diplomlehrgang Jänner 2008 bis Dezember 2009 Frauenbeschäftigung in der IT Chancen und Risiken von aktuellen Entwicklungen im IT-Management Mag.a Sabine Gruber Erstbegutachterin: MMag.a Dr.in Gabriele Michalitsch Zweitbegutachterin: Dir.in Dr. in Ursula Kubes-Hofmann Abgabetermin: 30. Mai 2010 Rosa-Mayreder-College Bundesinstitut für Erwachsenenbildung Die Wiener Volkshochschulen GmbH Mein besonderer Dank gilt Gabriele Michalitsch. Ihr treffendes und kritisches Feedback trug wesentlich zur Zusammenführung meiner Ideen zu einer einheitlichen Aussage sowie zur Schärfung der Argumente bei. Die intensive Beschäftigung mit der Fragestellung der Diplomarbeit unter diesen Rahmenbedingungen ermöglichte mir ein besseres Verständnis meiner Arbeitswelt, der IT-Branche, im gesellschaftlichen Kontext und stellt für mich eine große Bereicherung dar. Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Sabine Gruber, Wien, 30.05.2010 2/75 Inhalt 1 EINLEITUNG ..................................................................................................5 1.1 Motivation ................................................................................................................................5 1.2 Fragestellung...........................................................................................................................6 1.3 Überblick über die Arbeit und Forschungsdesign ..............................................................7 1.4 Bedeutung der Partizipation von Frauen am IT-Arbeitsmarkt............................................8 2 INFORMATIONSTECHNOLOGIE ................................................................10 2.1 Definitionen ...........................................................................................................................10 2.2 Entwicklung und aktuelle Situation der IT..........................................................................10 2.2.1 Historische Einblicke ...............................................................................................................10 2.2.2 Aktueller Stand und Paradigma der IT....................................................................................12 2.2.3 Das Good Practice Framework ITIL........................................................................................14 2.2.4 Überblick über das Tätigkeitsspektrum in der heutigen IT......................................................16 2.2.5 Charakteristika von IT-Berufen ...............................................................................................16 3 FRAUEN AUF DEM IT-ARBEITSMARKT....................................................19 3.1 Unselbständig Erwerbstätige ..............................................................................................20 3.2 Selbständige..........................................................................................................................23 3.3 Managementpositionen ........................................................................................................23 3.4 Forschung & Entwicklung....................................................................................................24 3.5 Teilzeitquote und durchschnittliche Arbeitszeit................................................................25 3.6 Geringfügig Beschäftigte .....................................................................................................25 3.7 Arbeitslosigkeit im IT-Bereich .............................................................................................26 3.8 Gehaltsschere in der IT-Branche.........................................................................................26 3.9 Frauenanteil in der IT bei Klassifikation nach Tätigkeiten ...............................................27 3.10 IT-Branche im internationalen Vergleich ............................................................................28 4 URSACHEN DER UNTERREPRÄSENTANZ VON FRAUEN IN DER IT ....29 4.1 Geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes...............................................29 4.1.1 Historische Wurzeln der Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen ................................29 4.1.2 Persistenz der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes.............................29 4.1.3 Geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation in Österreich.............................................31 4.2 Kultureller Kontext der IT .....................................................................................................36 4.2.1 IT – Technik – Macht – „Männlichkeit“ ....................................................................................36 4.2.2 Erklärungsansätze für die geringe Anzahl von Frauen in Technik und IT ..............................37 4.2.3 Schulischer Bereich und Vorbilder..........................................................................................41 4.2.4 Gendering der IT-Artefakte .....................................................................................................42 3/75 4.2.5 Das Image der IT-Kultur und Computer-Nutzung im privaten Bereich ...................................42 4.2.6 IT – Technik – Macht – „Männlichkeit“ aus heutiger Sicht („Doing Gender“ & „Doing Technology“) ...........................................................................................................................43 4.3 Spezifische IT-Arbeitsmarkt-Barrieren für Frauen ............................................................44 4.3.1 Zugang zum Arbeitsmarkt .......................................................................................................44 4.3.2 Barrieren in der IT-Arbeit und im Karriereverlauf....................................................................45 4.3.3 Angebliche „frauenspezifische“ Fähigkeiten als Vorteile? ......................................................46 4.4 Maßnahmen zur Verbesserung der IT-Partizipationschancen von Frauen.....................48 5 IT-TRENDS UND PARTIZIPATIONSCHANCEN VON FRAUEN AM ITARBEITSMARKT .........................................................................................50 5.1 Interne Analyse .....................................................................................................................51 5.1.1 Stärken ....................................................................................................................................51 5.1.2 Hindernisse .............................................................................................................................51 5.2 Externe Analyse und Abgleich mit dem Ergebnis der internen .......................................52 5.2.1 Chancen durch Standardisierung der IT-Prozesse.................................................................52 5.2.2 Chancen durch Geschäfts-IT-Integration................................................................................56 5.2.3 Risiken durch Standardisierung der IT-Prozesse ...................................................................58 5.2.4 Risiken durch Geschäfts-IT-Integration ..................................................................................59 5.3 Ergebnisse der Gruppen-Diskussion..................................................................................59 5.3.1 Vorteile und Nachteile von IT-Jobs aus Sicht der Beraterinnen .............................................59 5.3.2 Befunde über Prozess-Standardisierung und Geschäftsorientierung ....................................62 5.4 Handlungsoptionen für einen verbesserten IT-Zugang von Frauen ...............................63 5.4.1 Handlungsoptionen zur Nutzung der Chancen .......................................................................63 5.4.2 Abbau von Hindernissen durch neue IT-Trends .....................................................................63 5.4.3 Notwendige Maßnahmen zum Abbau der Hindernisse ..........................................................64 5.5 Conclusio ...............................................................................................................................65 REFERENZEN ..........................................................................................................67 A Literatur..................................................................................................................................67 B Websites ................................................................................................................................72 APPENDIX ................................................................................................................73 A Klassifikations-Schema für Wirtschaftszweige der IT Branche .......................................73 B Klassifikations-Schema für Tätigkeiten in der IT...............................................................74 C Leitfaden der Gruppendiskussion.......................................................................................75 4/75 1 Einleitung 1.1 Motivation Seit zehn Jahren arbeite ich in einem internationalen IT1-Beratungsunternehmen in einem Team, das sich auf Beratung für IT-Management spezialisiert hat. Unsere Tätigkeit besteht aus der Unterstützung der Kunden bei der Definition und softwareunterstützten Einführung von Prozessen für die Steuerung und Verwaltung von IT-Infrastrukturen (zum Beispiel Störungsmanagement). Im Rahmen dieser Tätigkeit konnte ich die IT-Abteilungen mehrerer großer österreichischer und einiger internationaler Unternehmen kennenlernen. Sowohl in der Firma, in der ich arbeite, als auch auf Kundenseite2 sind die mit IT-Agenden betrauten Personen großteils männlich. Nicht anders war die Situation an der Formal- und Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, wo ich Mathematik und Physik studierte und Tutorien und Proseminare abhielt. Selbst wurde ich im universitären und beruflichen Kontext bisher selten in mir bewusster Form aufgrund meines Geschlechts diskriminiert. Ich erlebe mich bei der Ausübung meiner Tätigkeit in diesen männerdominierten Bereichen allerdings immer als ein nicht ganz korrekt passender Puzzlestein. Im Zuge der Beratungstätigkeit versuche ich, auf etwaige durch ihren „Minderheitenstatus“ verursachte spezielle Herausforderungen für Frauen im IT- und Technikumfeld einzugehen. Das Interesse an den Ursachen für die geschlechtsspezifische Segregation3 zwischen Branchen und die männliche Dominanz in der IT-Branche sowie der Bedarf an entsprechenden Handlungsoptionen in diesem beruflichen Umfeld zählte zu meinen Beweggründen, das Feministische Grundstudium zu beginnen und mündete schließlich in die Themenwahl der Diplomarbeit. 1 IT steht abgekürzt für „Informationstechnologie“, siehe Kap. 2.1 2 Dies gilt in erster Linie für die österreichischen Kunden, nicht für die in osteuropäischen Ländern. 3 Unter Segregation wird die Tatsache verstanden, dass Frauen und Männer in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern, Berufen und Branchen (horizontale Segregation) sowie auf unterschiedlichen Hierarchieebenen (vertikale Segregation) beschäftigt sind (Leitner 2000). 5/75 1.2 Fragestellung Als Ausgangspunkt für diese Abschlussarbeit dienen einerseits Arbeiten über die Ursachen und Auswirkungen der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes (Leitner 2000, Schunter-Kleemann 2001, Friese 2004, Michalitsch 2005a; 2005b, Bettio 2009, Europäische Kommission 2009). Andererseits wurde Literatur über die Ursachen und Auswirkungen des niedrigen Frauenanteils in der ITBranche rezipiert. Die Forschungsthemen haben sich hier von frauenspezifischen ITZugängen zu strukturellen und symbolischen Barrieren durch die Vergeschlechtlichung der Technik und der IT verlagert (Collmer 1997, Ruiz Ben 2004, Sorger 2004, Valenduc 2004, Funder 2006, Weber 2006, Paulitz 2008, Weilenmann 2008, Bath 2002; 2008). Untersuchungen über Frauen in IT-Berufen berücksichtigen die neueren Entwicklungen zwar, hinsichtlich ihrer Auswirkung auf Frauenpartizipation in der IT fehlt es bisher jedoch an spezifischen Analysen. Daher möchte ich mich in dieser Arbeit dieser Aufgabe widmen. Das Good Practice Framework „ITIL“ (siehe dazu Kap. 2.2.3) bildet zur Zeit einen de-facto-Standard für IT-Management, berücksichtigt die aktuellen IT-Entwicklungen und wird daher im Zuge dieser Arbeit als Grundlage für die Beantwortung der Forschungsfrage herangezogen. Konkret soll folgende Fragestellung behandelt werden: „Eröffnet die Standardisierung der IT-Prozesse und die Integration der IT in das operative Kerngeschäft4 Frauen neue Partizipationschancen in der IT-Branche?“ Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden folgende Hypothesen aufgestellt, die im Zuge dieser Arbeit überprüft werden sollen: • Die Standardisierung der IT-Prozesse bietet Möglichkeiten, strukturelle Barrieren für Frauen beim Zugang zum IT-Arbeitsmarkt und im IT-Arbeitsalltag zu beseitigen, da durch die Formalisierung von Rollen und Arbeitsabläufen traditionelle Geschlechterkonstruktionen in der IT an Relevanz verlieren. • Die Betrachtung der IT als integraler Bestandteil des Kerngeschäfts von Unternehmen eröffnet Frauen neue Chancen für die Beteiligung an der ITBranche, da durch die Integration der geschäftlichen Aspekte in die IT – 4 Details siehe Kap. 2.2.3 6/75 neben den technisch orientierten – neue IT-Arbeitsfelder mit organisatorischem, kommunikativem und wirtschaftlichem Fokus entstehen. Die Untersuchungen werden auf Österreich beschränkt. Dabei soll von einem konstruktivistischen Ansatz ausgegangen werden, der Unterschiede zwischen Naturwissenschaften) Frauen nicht und durch Männern „natürliche“ (im Umgang Differenzen mit oder IT und starre Sozialisationsmuster erklärt, sondern Geschlecht als bewusst und unbewusst interaktiv laufend hergestellt versteht. Dementsprechend sehe ich die Chancen für Frauen nicht in einer vielfach behaupteten von Männern unterschiedlichen („besseren“) Herangehensweise an die neuen IT-Herausforderungen, sondern im Sinken der Relevanz von Geschlechterstereotypen im IT-Berufsalltag und in der Herauslösung der IT aus dem Bedeutungskomplex der Technik. Insbesondere muss bei der Bewertung der Chancen und Risiken der neuen IT-Arbeitswelten aus einer Perspektive, welche die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern kritisch analysiert, sehr wohl von nach wie vor existierenden erheblichen Unterschieden in den Lebensrealitäten von Frauen und Männern ausgegangen werden. 1.3 Überblick über die Arbeit und Forschungsdesign In Kap. 2 werden die aktuellen Hauptproblemstellungen und Trends der Informationstechnologie sowie die speziellen Charakteristika der Jobs in der IT erläutert. In der Folge wird in Kapitel 3 anhand statistischer Auswertungen ein Überblick über den IT-Arbeitsmarkt gegeben. Kapitel 4 widmet sich den Ursachen der Unterrepräsentanz von Frauen in der IT anhand aktueller Erklärungsmodelle. Darauf aufbauend erfolgt in Kapitel 5 die Beantwortung der Forschungsfrage: Die oben aufgestellten Hypothesen sollen dabei anhand einer SWOT-Analyse5 näher überprüft werden. Dieses Werkzeug wird auch in der IT-Branche häufig verwendet und erlaubt durch die Betrachtung von als positiv und negativ qualifizierten Aspekten 5 „A technique that reviews and analyses the internal strengths and weaknesses of an Organization and the external opportunities and threats that it faces. SWOT stands for Strengths, Weaknesses, Opportunities and Threats” (Case 2007: 211, Details siehe Kap. 5). 7/75 eine differenzierte Bewertung von Situationen, in denen Entscheidungen getroffen werden sollen. Es wird für die speziellen Anforderungen dieser Arbeit geringfügig angepasst. Als weitere Grundlage für die Überprüfung der Hypothesen werden Chancen und Risiken einer ITIL-Einführung für Frauenpartizipation am IT-Arbeitsmarkt mit ITManagement-Beraterinnen auch im Rahmen einer Gruppendiskussion beleuchtet. Die Ergebnisse der Diskussion werden den Ergebnissen der Literatur sowie der Untersuchung von ITIL gegenübergestellt. Als zusätzliches Ergebnis der SWOT-Analyse sollen notwendige Maßnahmen und mögliche Handlungsoptionen aufgezählt werden, die zu einer Erweiterung der Mitbestimmungsmöglichkeiten von Frauen in der IT führen könnten. 1.4 Bedeutung der Partizipation von Frauen am IT-Arbeitsmarkt Die IT-Branche bietet die Möglichkeit für Tätigkeiten, die als faszinierend, herausfordernd, zufriedenstellend und kreativ gelten. Die Offenheit der Perspektiven und die diversen Möglichkeiten zur Weiterbildung werden ebenfalls oft als Vorteile genannt. Die IT-Industrie wird als Leitbranche hinsichtlich technologischer und wirtschaftlicher Weiterentwicklung gesehen und stellt nach wie vor eine Wachstumsbranche dar. Wenn auch im Herbst 2009 ein Einbruch am ITArbeitsmarkt stattfand, wird in Österreich von einem IT-Fachkräftemangel gesprochen (Trauner 2009, Maierbrugger 2009). Schon allein um dem Prinzip der Chancengleichheit gerecht zu werden, sollte die weibliche Hälfte der Menschheit an diesem Bereich teilhaben können (Valenduc 2004). Da die IT neben dem hohen Männeranteil aufgrund ihrer Technik-Konnotation auch symbolisch männlich belegt ist und Männlichkeit allgemein mit Technikaffinität assoziiert wird, könnte ein ausgeglichenes Verhältnis der Geschlechter in dieser Branche aber auch zu einer Veränderung bestehender Weiblichkeits- und Männlichkeitsentwürfe in der Gesellschaft wesentlich beitragen. Abgesehen davon sind viele AutorInnen der Ansicht, dass die IT-Industrie eine Leitbranche im Transformationsprozess von der Industriegesellschaft zu einer so 8/75 genannten „Wissensgesellschaft“6 darstellt. In der IT-Industrie sind entsprechende Veränderungen bei der Organisation von Wissensarbeit bereits zu beobachten: Einerseits sind IT-Unternehmen wissensbasiert, d.h. ihre wichtigste Ressource sind ihre MitarbeiterInnen, die über spezifisches Know-how verfügen und dieses eigenständig weiterentwickeln. Andererseits generieren IT-Unternehmen ihr Wissen zunehmend quasi-wissenschaftlich, um immer neue, spezifische Probleme ihrer Geschäftskunden unter Wettbewerbsdruck zu lösen. Die Wissensgenerierung erfolgt dabei innerhalb von Teams, die aus Personen mit unterschiedlichen Kompetenzen zusammengesetzt sind (Funder 2006). Darüber, wie sich diese Veränderungen auf die Gesellschaft auswirken werden, besteht derzeit keine Einigkeit. Möglicherweise können durch die Entwicklungen der IT-Industrie aufgrund ihrer Leitfunktion Veränderungen in anderen Bereichen beeinflusst werden. Ein höherer Frauenanteil in der IT könnte so auch allgemein zur Auflösung traditioneller Geschlechterentwürfe und Geschlechterhierarchien beitragen (siehe auch Bath 2002 und Unger 2003). 6 Von einer Wissensgesellschaft kann gesprochen werden, wenn sukzessive alle Bereiche des Lebens vom Vorhandensein quasi-wissenschaftlich erarbeiteten Wissens abhängig werden. Dabei wird das Wissen als Ressource angesehen und bewusst laufend hinterfragt und erweitert. Indizien für diese Entwicklung sind der wachsende Anteil wissensbasierter Berufe, die Ausweitung von Forschungsaktivitäten auf den nichtwissenschaftlichen Bereich und anwendungsorientiertes Problemlösen (Funder 2006, Sorger 2004). 9/75 2 Informationstechnologie 2.1 Definitionen „IT“ ist die Abkürzung für „Informationstechnik“, bzw. für „Informationstechnologie“, in Anlehnung an das englische „Information Technology“ und wird definiert als „The use of technology for the storage, communication or processing of information. The technology typically includes computers, telecommunications, Applications and other software. The information may include Business data, voice, images, video, etc. Information Technology is often used to support Business Processes through IT Services“ (Iqbal 2007: 242). Auch Telekommunikation (die Übertragung von Informationen) wird also laut dieser Definition zum Bereich der IT gezählt, in dieser Arbeit soll jedoch die Telekommunikationsbranche nicht betrachtet werden. Auch der Hardware-Produktionsbereich sowie IT-Vertriebstätigkeiten werden in der Folge ausgeklammert. 2.2 Entwicklung und aktuelle Situation der IT 2.2.1 Historische Einblicke In der Folge wird ein kurzer Überblick über die historische Entwicklung der IT gegeben, insbesondere die Rolle von Frauen soll hierbei thematisiert werden (siehe auch Oechtering 2001 sowie Schinzel 1998). Die im 19. Jahrhundert konzipierte „Analytical Engine“ kann als erster Computer bezeichnet werden, wurde jedoch zur Zeit seiner Erfindung aus Kostengründen nicht gebaut. Eine Abhandlung über dessen Programmierungsmöglichkeiten wurde von Ada King, Countess of Lovelace, verfasst. Sie gilt daher heute als „die/der erste ProgrammiererIn“. Der tatsächliche Bau erster Computer fällt in die 1930er Jahre. Die Anlagen dienten militärischen Zwecken, Männer waren die Entscheidungsträger und für die Konstruktion der Maschinen verantwortlich. Mit der Realisierung der Programme, d.h. mit der Konzeption und physischen Implementierung7 an den Computern waren allerdings hauptsächlich Frauen beschäftigt. Dies lässt sich damit erklären, dass der 7 Programme mussten durch Einstellen von Schaltern und Umstecken von Kabeln an der Maschine implementiert werden. Dafür war ein detailliertes Verständnis der Programme notwendig. 10/75 seit Ende des 19. Jahrhundert existierende Beruf des „Computers“, in dem die Aufgabe darin bestand, Rechenprobleme unter Verwendung mechanischer Rechenmaschinen zu lösen, als Frauendomäne galt und Frauen diese Tätigkeiten vor der Automatisierung bereits ausgeführt hatten. Diese Art der Programmierung wurde ab Mitte der 1940er Jahren durch das Speichern der Programme im Computer selbst abgelöst. Um die Kommunikation mit der Maschine anwendungsfreundlicher zu gestalten, wurden Programmiersprachen entwickelt, die an menschliche Sprachen angelehnt waren und die Programme in die Sprache der Maschine übersetzten. Dies wurde aufgrund ihrer Erfahrungen mit den Computern der ersten Generation maßgeblich von Frauen getragen (z.B. von Betty Holberton, Grace Hopper, Lois M. Haibt) und hat die IT nachhaltig beeinflusst. So wurden z.B. die in der in den 1960er Jahren entwickelten Sprache COBOL geschriebenen Programme bis zur letzten Jahrtausendwende verwendet und mussten damals aufgrund der Unmöglichkeit, vierstellige Jahreszahlen abbilden zu können, ersetzt werden. Die Dateneingabe erfolgte bis in die 1970er Jahre über Lochkarten aus Papier. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese so genannten Großrechner auch in der Verwaltung, in großen Unternehmen und in Wissenschaft und Forschung zur Verarbeitung großer Datenmengen eingesetzt und gewannen so allgemein an Bedeutung. Diese Entwicklungen bedeuteten eine Aufwertung der „Software“ gegenüber der „Hardware“, die daran federführend beteiligten Frauen konnten davon allerdings nicht profitieren, da sie bei der staatlich geplanten Überführung der IT-Forschung und Entwicklung in den zivilen Bereich insbesondere durch das Wirken von Männernetzwerken sukzessive aus Entscheidungspositionen verdrängt wurden (Oechtering 2001: 42). Das rasche Wachstum der Branche führte in den 1960er Jahren dazu, dass die immer größer werdenden Programme nicht mehr handhabbar waren. Als Abhilfe wurde der Softwareentwicklungsprozess in Anlehnung an die Ingenieurwissenschaften standardisiert und formalisiert, d.h. die auch heute gültige Arbeitsteilung in Anforderungsanalyse, Design, Umsetzung, Qualitätssicherung, etc. wurde eingeführt (Oechtering 2001). Im Zuge dieser ingenieurmäßigen 11/75 Professionalisierung nahm nun neben dem Hardwarebereich8 auch der Softwarebereich zunehmend technische Züge an und wurde somit ebenfalls als männliche Domäne betrachtet (Ruiz Ben 2004, Weber 2006). Die Entwicklung seit den 1970er Jahren war geprägt von einer rasanten Optimierung der elektronischen Bauteile, sodass die Kosten für Computer auf einen Bruchteil bei gleichzeitiger Vervielfachung der Leistung sinken konnten. Computer für den Geschäftsbereich erhielten Ein- und Ausgabemöglichkeiten über Tastatur, Diskettenlaufwerk und Monitor, Computer für den privaten Bereich waren seit Ende der 1970er Jahre verfügbar. Personal Computer (PCs) fanden auch Verwendung auf den Büro-Arbeitsplätzen der Unternehmen und wurden dort vernetzt. Neue so genannte „Client-Server-Konzepte“ erlauben seither die Verteilung der Aufgaben auf mehrere Computer. Diese Entwicklung führte zur vollständigen Entkopplung der Software- von der Hardwareproduktion und ließ eine neue Industrie entstehen, die sich auf die Herstellung von Software konzentrierte (Funder 2006). Ein weiterer entscheidender Schritt hin zu der heutigen IT-Welt war die zunehmende Nutzung des Internets sowie firmeninterner IT-Netzwerke für die elektronische Verlinkung von Datenaustausch, Unternehmen (Email, Online-Präsenz durch automatische Websites, Schnittstellen Geschäftsportale, für Social Networks, Telephoniedienste, etc.). Die neuen Informations- und die ebenfalls sehr stark weiterentwickelten Kommunikationstechnologien bilden schließlich die Basis für die globale Vernetzung von Unternehmen (Willke 2003: 178, Heilbroner 1998: 220). Gleichzeitig macht ihre Kapitalintensivität die Kooperation von Konzernen und Interessensgruppen notwendig. In den USA ermöglichten internetbasierte Unternehmen, so genannte „dot.coms“ einen starken ökonomischen Aufschwung. Ende des letzten Jahrtausends kam es allerdings zu einer Konsolidierung des Marktes (Willke 2003: 34). 2.2.2 Aktueller Stand und Paradigma der IT Heute stellt sich der Stellenwert der IT im geschäftlichen Umfeld folgendermaßen dar (siehe auch Cartlidge 2007, Statistik Austria 2009c): 8 Der Hardwarebereich der IT erforderte schon zu Beginn den Einsatz und die Entwicklung neuer Technologien und wurde aufgrund der männlichen Konnotation von Technik (siehe Kap. 4.2.1) immer schon als Männerdomäne angesehen. 12/75 Unternehmen sind praktisch vollständig von IT-Nutzung abhängig. 100% der österreichischen Unternehmen mit mehr als 250 MitarbeiterInnen verwendeten im Jänner 2009 Computer und Internet, der niedrigste Anteil an Computer und Internet nutzenden Unternehmen findet sich mit 96,6% bzw. 92,3% bei Beherbergungs- und Gastronomieunternehmen. Aufgrund der hohen IT-Abhängigkeit reicht es nicht mehr aus, den AnwenderInnen PCs und IT-Anwendungen zur Verfügung zu stellen, sondern die IT-Organisation muss zusätzlich Dienstleistungen erbringen, um die Verfügbarkeit des Gesamtsystems zu gewährleisten. Die Gesamtheit aus ITAnwendung, deren Schnittstellen und notwendigen Betriebstätigkeiten stellt daher selbst eine Dienstleistung dar. Die IT liefert diese so genannten IT-Services zu vereinbarten Preisen mit der notwendigen Qualität und ohne Entstehung unerwarteter Kosten und Risiken für die Kunden9. IT-Services dienen dazu, Nutzen für die Kunden zu generieren, indem sie das Erreichen der Kunden-Geschäftsziele ermöglichen. Daher orientieren sich alle Entscheidungen in der IT weitgehend an den Geschäftszielen der Kunden (Iqbal 2007). IT-Services selbst haben oft komplexe Architekturen bestehend aus hunderten Hardware-, Software- und Netzwerk-Komponenten, zahlreichen Schnittstellen sowie von Personen zu erbringenden Dienstleistungsanteilen und sollten modular aufgebaut sein. An der Serviceerbringung sind in der Regel mehrere Partner beteiligt, oft werden ganze Teilbereiche ausgelagert. Dieses so genannte „Outsourcing“ kann aufgrund der Modularität auf allen Ebenen der Services ansetzen (d.h. auf Ebene des Services selbst, einzelner Applikation, Datenbanken etc.). Je nach Geschäftsbedarf werden derartige Auslagerungen mitunter in relativ kurzer Zeit und oft in Länder mit einem niedrigeren Lohnniveau durchgeführt. Die Qualität der ITServices muss vertraglich zwischen den Partnern geregelt und laufend überwacht und adaptiert werden, um den geplanten Nutzen aus Sicht des Konsumenten sicherzustellen. „Cloud Computing“ stellt einen der neuesten Trends dar. Dabei sind Anwendungen und Datenspeicherung nicht mehr lokal verfügbar, sondern werden als gesamte Services in Großrechenzentren zur Verfügung gestellt, der Zugriff erfolgt über das 9 Dabei ist nicht eine natürliche Person gemeint, sondern die Organisation, die die Dienstleistung konsumiert. In der Regel sind das die operativen Geschäftsbereiche eines Unternehmens. Daher wird in diesem Fall nur die männliche Form „Kunde“ verwendet. 13/75 Internet. Das Anwendungsgebiet reicht von privater PC-Anwendung bis zu komplexen Unternehmensapplikationen. In Österreich haben selbst Großunternehmen bis dato selten mehrere dieser Konzepte umgesetzt, sind daher „erst auf dem Weg“ in diese Zukunft und arbeiten nicht immer serviceorientiert. Outsourcing (z.B. in osteuropäische Länder) ist allerdings bereits Realität. 2.2.3 Das Good Practice Framework ITIL Die „IT Infrastructure Library“ (ITIL) ist der de-facto-Standard10 für das Management von IT-Services. ITIL wurde in den 1980er Jahren in Großbritannien in der öffentlichen Verwaltung entwickelt und hat sich seither weltweit etabliert, die aktuelle Version 3 deckt die neuesten Fortschritte der IT-Branche ab. Die ITIL-Literatur besteht aus einer strukturierten Sammlung von in großen internationalen Organisationen bewährten Praktiken für IT-Service-Management, aufbereitet durch die führenden IT- und Beratungsunternehmen. Die Themen reichen von der Entwicklung einer Service-Strategie über das Management der Geschäftsbeziehung zwischen den Kunden und den IT-Organisationen bzw. Partnerunternehmen über das Design und die sichere Einführung neuer oder veränderter Services bis zu Betriebsthemen wie dem Umgang mit Störungen, Anwenderanfragen, automatischen Benachrichtigungen über Serviceausfälle etc. und sind als Vorschläge zu sehen (Cartlidge 2007). Neben den ITIL-Publikationen bietet diese Industrie zusätzlich Trainings, Zertifizierungen, Beratungsinstrumente, Konferenzen und Organisationen (siehe dazu auch APM Group11). In der Folge werden die beiden im Zentrum der Forschungsfrage stehenden ITILKonzepte kurz erläutert. 10 Ein Standard ist eine verbindliche Auflage: “A mandatory Requirement. Examples include ISO/IEC 20000 (an international Standard)…. The term Standard is also used to refer to a Code of Practice or Specification published by a Standards Organization such as ISO or BSI” (Iqbal 2007). Mit „de-factoStandard“ wird ein „nicht von einer offiziellen Standardisierungsorganisation definierter Standard, der gleichwohl weitgehend eingehalten wird“, bezeichnet (Gabler Wirtschaftslexikon). 11 Offizielle ITIL Website: www.itil-officialsite.com. 14/75 2.2.3.1 Standardisierung der IT-Prozesse Standardisierung ist zwar, wie oben beschrieben, schon seit den 1960er Jahren ein Thema in der IT, aber noch immer aktuell, in der Regel in Hinblick auf Kostenoptimierung (z.B. Vereinheitlichung der Hardware-Infrastruktur; Butters 2005). Laut ITIL sollen auch die Tätigkeiten in der IT standardisiert, d.h. in Prozessen – als logisch zusammenhängende Reihe von Aktivitäten zur Erreichung eines vorab definierten Ziels – organisiert werden. Dabei wird vorgeschlagen, welche Prozesse implementiert werden sollten und wie sie zu gestalten und miteinander zu integrieren sind. Ziel dieser Arbeitsform ist, Tätigkeiten bei klaren Verantwortlichkeiten immer nach dem gleichen Schema durchzuführen, Transparenz und Effizienz der Abläufe zu erhöhen und Steuerbarkeit zu ermöglichen. Ein weiterer wesentlicher Punkt im Zuge der Einführung von IT-Prozessen ist die Verbesserung der Betreuung der AnwenderInne durch Einrichtung einer einzigen Anlaufstelle („Service-Desk“). Weiters soll ein Datenbanksystem zur Aufbereitung und Bereitstellung von Informationen und Wissen über die IT-Infrastruktur aufgebaut werden („Wissensmanagementsystem“). 2.2.3.2 Geschäfts-IT-Integration Wie oben beschrieben, sollen die Geschäftsziele der Kunden der IT-Organisation der Ausgangspunkt für alle Entscheidungen in der IT sein. Um das zu erreichen, müssen die IT-Prozesse mit dem operativen Kerngeschäft verzahnt werden, und der Zusammenhang zwischen den Kunden-Geschäftsprozessen und den IT-Services muss bekannt sein (und im Wissensmanagementsystem abgebildet werden). Dieses Konzept wird mit Geschäfts-IT-Integration („Business-IT integration“) bezeichnet. Ein Beispiel für seine Anwendung ist das Verständnis und die Berücksichtigung der Geschäftsplanung des Kunden, um die benötigten IT-Services rechtzeitig und mit entsprechendem Funktionsumfang und geforderter Performanz zur Verfügung stellen zu können. Weiters muss der Service-Betrieb adäquat gesteuert werden können: Tätigkeiten in Zusammenhang mit Ausfällen oder Änderungen müssen immer in Hinblick auf deren Geschäftsrelevanz priorisiert werden. Die Etablierung eines derartigen Fokus in einer IT-Organisation bedeutet immer eine Veränderung der Unternehmenskultur und sollte von entsprechendem Veränderungsmanagement begleitet werden. 15/75 2.2.4 Überblick über das Tätigkeitsspektrum in der heutigen IT IT-Services werden einerseits genutzt, andererseits erbracht, wobei „Nutzung“ sowohl in beruflichen Kontexten (z.B. Textverarbeitung, Email, Zeiterfassung, Produktionssteuerung, etc.) als auch in der Freizeit stattfinden kann. Die Arten von Berufen für die „Erbringung“ von IT-Services lassen sich grob entlang deren Lebenszyklus betrachten: IT-Services und ihre Komponenten werden zuerst entwickelt, anschließend betrieben (z.B. in Rechenzentren oder in Form von PCArbeitsplätzen) und fortwährend gesteuert (IT-Management12), wobei im Allgemeinen von einer IT-Strategie ausgegangen wird. Weiters wird die zugrunde liegende Hardund Software produziert bzw. entwickelt. Software kann sowohl als Standardsoftware (z.B. Microsoft Produkte wie Word oder Excel für den Arbeitsplatz-Rechner oder SAP als Business-Applikation etc.) erworben und mehr oder weniger an spezielle Bedürfnisse angepasst, als auch individuell programmiert werden. Je nach Unternehmensgröße entsprechen diese Tätigkeiten unterschiedlichen Job-Profilen. In großen13 Unternehmen findet sich eine starke Ausdifferenzierung, in kleinen werden verschiedene Tätigkeiten durch wenige Personen erledigt. Da für viele Bereiche der IT Spezialwissen benötigt wird, das einzelne Unternehmen selbst nicht aufbauen können, hat sich eine eigene Branche entwickelt, die sich auf die Beratung von IT-Organisationen spezialisiert hat und dabei die ganze Palette an in der IT benötigten Dienstleistungen und Artefakten abdeckt. 2.2.5 Charakteristika von IT-Berufen Die Branche gehört zu denjenigen mit einem relativ hohen Gehaltsniveau (Rechnungshof 200814, Kienbaum 2009). Im Diagramm unten sind die 20 Branchen (von insgesamt 60) mit dem höchsten Gehaltsniveau, gereiht nach dem obersten Quartil, abgebildet. Die IT-Branche nimmt dabei die 7. Stelle ein, wobei in den drei 12 Information wird als wichtigste strategische Ressource gesehen. Für deren Sammlung, Analyse, Verteilung etc. wird Informationstechnologie benötigt. IT-Services werden daher auch als „Assets“ (Vermögenswerte) gesehen und sind daher als solche zu managen. 13 Ruiz Ben 2004 liefert keine Definition für die Größeneinteilung von Unternehmen. Aus dem Kontext kann auf die übliche Einteilung in kleine, mittelständische und große Unternehmen geschlossen werden: Ein Unternehmen gilt somit ab einem Jahresumsatz von 1 Mio. Euro oder ab 500 Beschäftigten als „groß“, unter 50 Mio. Euro und zehn Beschäftigen als „klein“ (Gabler Wirtschaftslexikon). 14 ÖNACE (2003) „Datenverarbeitung und Datenbanken“: 2007 waren laut dieser Statistik 43.562 Personen in der IT unselbständig beschäftigt. Die Differenz zu den Ergebnissen im nächsten Kapitel liegt an den unterschiedlichen Klassifikationen und der unterschiedlichen Art der Datenerhebung. 16/75 Branchen mit den besten Verdienstmöglichkeiten15 nur zwischen 1.000 und 2.000 Personen tätig sind. Für die IT-Branche ergibt sich somit für 2007 im Hinblick auf Bruttojahresgehälter der unselbständig Erwerbstätigen folgendes Bild: 25% der Beschäftigten verdienen weniger als 17.500 € (11.259 € Branchendurchschnitt), 50% verdienen weniger als 35.800 € (23.613 € Branchendurchschnitt) und 75% verdienen weniger als 54.019 € (35.965 € Branchendurchschnitt). Unselbst. Erw. 2007 - Gehaltsniveau je Branche 100.000 600.000 90.000 500.000 80.000 70.000 400.000 50.000 300.000 Personen Euro 60.000 40.000 200.000 30.000 20.000 100.000 Branche Abbildung Nr 1. 25% 50% 75% Herstellung und Verarbeitung von Papier und Pappe Öffentliche Verwaltung, Landesverteidigung, Sozialversicherung Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen Maschinenbau Forschung und Entwicklung Herstellung von Büromaschinen, Datenverarbeitungsgeräten Verlagswesen, Druckerei, Vervielfältigung Sonstiger Fahrzeugbau Metallerzeugung und bearbeitung Flugverkehr Herstellung von Chemikalien und chemischen Erzeugnissen Erzbergbau Exterritoriale Organisationen und Körperschaften Versicherungswesen Datenverarbeitung und Datenbanken Herstellung von Geräten der Elektrizitätserzeugung, -verteilung u.ä. Rundfunk-, Fernseh- und Nachrichtentechnik Kreditwesen Energieversorgung Tabakverarbeitung Kokerei, Mineralölverarbeitung 0 Erdöl- und Erdgasbergbau sowie damit verbundene Dienstleistungen 10.000 - Anzahl der Personen Bruttojahresgehälter der unselbständig Erwerbstätigen 2007 Das Einkommen ist allerdings oft nicht fix, sondern zu einem Teil an die Erreichung bestimmter Ziele geknüpft. Insbesondere in den oberen Laufbahnstufen sind zusätzlich „All-In“-Verträge üblich, die von einer Erbringung der Arbeit ausgehen, relativ unabhängig von der benötigten Zeit. Im ungünstigsten Fall müssen Tätigkeiten außerhalb der Normalarbeitszeit erbracht werden, ohne eine Zielerreichung sicherzustellen. Dies ermöglicht den Unternehmen, durch „Vermarktlichung“ interner Prozesse (Funder 2006) externe Einflüsse sowie internes Risiko direkt auf die Belegschaft abzuwälzen. 15 Erdöl- und Erdgasbergbau sowie Mineralölverarbeitung, Tabakverarbeitung. damit verbundene Dienstleistungen, Kokerei, 17/75 Realisierungen neuer Services und andere größere Veränderungen werden im Rahmen von Projekten16 abgewickelt. Bei dieser Organisationsform arbeiten Personen aus unterschiedlichen Bereichen mit den notwendigen Kenntnissen zusammen (Funder 2006). Geleitet werden diese temporären Strukturen von so genannten Projektmanagern, die für die Erreichung des Ziels unter Einhaltung der Rahmenbedingungen (Budget, Zeit, Qualität) verantwortlich sind, was aufgrund der hohen technischen, organisatorischen und sozialen Komplexität von Projekten in der Regel eine große Herausforderung darstellt. Es entsteht oft großer Zeitdruck insbesondere in den Endphasen, was hohe zeitliche Flexibilität und gute Selbstorganisationstechniken erfordert (siehe auch Valenduc 2004). Doch auch im Tagesgeschäft ist hohe Flexibilität notwendig, da IT-Infrastrukturen einerseits fehleranfällig sind, Störungen wichtiger Services aber sofort beseitigt werden müssen und andererseits Änderungen oft nur in der Nacht oder an Wochenenden durchgeführt werden dürfen, um die IT-Verfügbarkeitsanforderungen der Unternehmen zu erfüllen. Weiters findet hohe Spezialisierung und Bündelung von Kompetenzen statt, in internationalen Konzernen meistens auf Ebene einzelner Gruppen oder Teams in je einem Land, was zusammen mit dem Outsourcing ganzer Bereiche auch örtliche Flexibilität der MitarbeiterInnen erfordert. Um in diesem Umfeld entsprechend zeitnah reagieren zu können, sind MitarbeiterInnen von ITBetreibern oder Beratungsunternehmen oft permanent erreichbar, z.B. über Mobiltelefone mit Email-Funktionalität. Laufende Weiterbildung ist Teil des Jobs, da die Entwicklung der Standards und neuer Technologien sehr rasch fortschreitet. Die MitarbeiterInnen sind teilweise selbst dafür verantwortlich bzw. erfolgt die Wissensaneignung oft während der Durchführung der Arbeit (siehe auch Ruiz Ben 2004). Zusätzlich führt die häufige Umstrukturierung der Unternehmen dazu, dass der Erwerb von Erfahrung und Kompetenzen keine hinreichende Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere darstellt. Die MitarbeiterInnen müssen sich selbst um ihre Vernetzung am Arbeitsmarkt und innerhalb des (oft internationalisierten) Unternehmens kümmern (Valenduc 2004). 16 „Ein Projekt ist eine zeitlich befristete, relativ innovative und risikobehaftete Aufgabe von erheblicher Komplexität, die aufgrund ihrer Schwierigkeit und Bedeutung meist ein gesondertes Projektmanagement erfordert“ (Gabler Wirtschftslexikon). 18/75 3 Frauen auf dem IT-Arbeitsmarkt Um den Anteil weiblicher Beschäftigter am IT-Arbeitsmarkt und dessen Entwicklung darzustellen, werden in der Folge Statistiken mit Schwerpunkt Österreich betrachtet. Statistische Aussagen über den Arbeitsmarkt werden durch die Aggregation von Beschäftigungsdaten in Bezug auf die amtlichen Klassifikationen ÖNACE (für Branchen) und Ö-ISCO (für Tätigkeiten) durchgeführt, wobei für eine Analyse hinsichtlich Geschlechterdifferenzen zusätzlich die Kategorie „Geschlecht“ in den Rohdaten enthalten sein muss. Bei der Verfügbarkeit geeigneter Daten auf der Ebene von spezifischen Bereichen treten folgende Probleme auf (siehe auch Sorger 2004, Pölsler 2007, Ruiz Ben 2004, Valenduc 2004): Die Klassifikationen fassen Berufe bzw. Tätigkeiten zu „Gruppen“ zusammen, jene wiederum zu „Abteilungen“, welche schließlich zu „Abschnitten“ aggregiert werden. Die behördlichen bereichsspezifische Anbieter Analysen von Statistiken notwendigen bieten nicht auf Aggregationsebenen allen für aufbereitete geschlechtsdifferenzierte Daten gemäß der neuesten Version der Klassifikation an. Ein Hinzuziehen weiterer Quellen ist notwendig (z.B. BALIWeb). Mitunter muss auch auf eine Ebene mit einem niedrigeren Detaillierungsgrad zurückgegriffen werden. Die Systematik sowohl der Wirtschaftszweige als auch der Tätigkeiten wurde im Jahr 2008 aktualisiert. Zeitreihen setzen eine Zuordnung von alten und neuen Kategorien voraus, wie in Appendix A beschrieben. Im Fall der Tätigkeitsklassen ist die neue Klassifikation in Österreich noch nicht implementiert. Bezogen auf die IT bedeutet dies: Aufgrund des raschen Wachstums der Branche sind IT-Berufe nicht eindeutig klassifizierbar und identifizierbar, die alten Systematiken repräsentieren sie, insbesondere auf der Ebene der „Abteilungen“, nicht sehr gut. Eine Klassifizierung nach Wirtschaftszweigen erlaubt weniger aussagekräftige Aussagen über die IT-Branche als eine nach Tätigkeiten, da in ersterer sämtliche Tätigkeiten in der Branche inkludiert sind und andererseits IT-Tätigkeiten auch in anderen Branchen vorzufinden sind. Die Aussagen dieses Kapitels basieren daher auf unterschiedlichen Datenbeständen, je nach Zweck und Verfügbarkeit. Im Appendix findet sich ein detaillierter Überblick über die Abbildung der IT anhand der ÖNACE und Ö-ISCO. 19/75 3.1 Unselbständig Erwerbstätige Die folgenden Ergebnisse wurden mit Datenmaterial von BALIWeb erarbeitet, da hier mit der ÖNACE-Gruppe ein hoher Detaillierungsgrad vorhanden ist. Sie basieren auf ÖNACE 2008, wobei Daten aus früheren Jahren dieser Version der Systematik angepasst wurden. Es zeigen sich folgende Veränderungen: Seit 2000 mit Ausnahme der Jahre 2002-2004 stieg die Anzahl der in der IT-Branche Beschäftigten kontinuierlich an. Die Anzahl an weiblichen Arbeitskräften stieg absolut gesehen ebenfalls an, allerdings weniger stark als die der männlichen. Dadurch kam es zum Sinken des Frauenanteils in IT-Berufen von 30,37% auf 27,81% zwischen 2000 und 2009. Der Klassifikation von Leitner (2000; siehe Kap. 4.1.3) folgend, gilt die IT also zwar nicht als „stark segregierter Männerberuf“ (Frauenanteil < 10%), jedoch als „segregierter Männerberuf“ (Frauenanteil 10 - 29,9%). Unselbständig Erwerbstätige in der IT Branche 30.000,00 25.000,00 Personen 20.000,00 15.000,00 10.000,00 5.000,00 0,00 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Gesamt Frauen 7.127,42 8.275,67 8.499,67 8.141,58 7.921,75 8.119,08 8.522,00 9.049,50 9.682,08 9.868,27 Gesamt Männer 16.344,08 19.217,75 20.337,83 20.190,08 20.399,50 21.339,75 22.462,42 23.893,17 25.301,75 25.619,55 Jahr Abbildung Nr 2. Unselbständig Erwerbstätige in der IT im Jahresdurchschnitt 20/75 Während der schwachen Konjunkturphase in Europa zwischen 2002 und 200417 blieb die Gesamtzahl der männlichen IT-Angestellten beinahe unverändert. Die Gesamtzahl der weiblichen Beschäftigten in der IT sank um insgesamt ca. 7%. Ein Blick auf die Gesamtheit der Branchen zeigt in diesem Zeitraum ein anderes Bild: die Anzahl der männlichen Erwerbstätigen blieb in Österreich beinahe konstant, die der weiblichen stieg in 2 Jahren um 3% an. Daraus lässt sich schließen, dass Frauen in der IT leichter ihren Arbeitsplatz verlieren als ihre männlichen Kollegen und als in manchen anderen Branchen. Die meisten IT-Beschäftigten sind in der Programmierung, im Bereich „Datenverarbeitung & Hosting“ sowie in der Beratung tätig, wobei der Frauenanteil im Bereich „IT-Betrieb“ (Datenverarbeitung & Hosting / ÖNACE-Abschnitt 63) höher ist als im Bereich „IT-Konzeption und Entwicklung“ (Programmierung und Beratung / ÖNACE-Abschnitt 62), wie die folgende Abbildung zeigt, was die horizontale Segregation innerhalb der Branche deutlich macht. IT Berufsgruppen - Anteile unselbständig Erwerbstätiger Frauen Datenverarbeitung etc. 10% Männer Erbringung v. ITBeratungsleistungen Frauen 13% Erbringung v. ITBeratungsleistungen 4% Männer Datenverarbeitung etc. 24% Männer Erbringung sonst. ITDienstleistungen 4% Frauen Erbringung sonst. ITDienstleistungen 2% Weitere 7% Frauen Webportale 0% Frauen Programmierungstätigkeiten 11% Männer Programmierungstätigkeiten 31% Abbildung Nr 3. Männer Webportale 1% Männer Betrieb v. EDV-Einrichtungen für Dritte 0% Frauen Betrieb v. EDV-Einrichtungen für Dritte 0% Männer- und Frauenanteil in den unterschiedlichen IT-Bereichen 17 In Folge der Marktkonsolidierung im Technologiebereich und der Anschläge auf das New Yorker World Trade Center 2001. 21/75 Frauenanteil unselbständig Erwerbstätiger 40,00% 35,00% Datenverarbeitung etc. 30,00% Erbringung v. ITBeratungsleistungen Frauenanteil 25,00% Programmierungstätigkeiten 20,00% 15,00% 10,00% 5,00% 0,00% Jan 00 Jan 01 Jan 02 Jan 03 Jan 04 Jan 05 Jan 06 Jan 07 Jan 08 Jan 09 Jan 10 Jahr Programmierungstätigkeiten Abbildung Nr 4. Erbringung v. IT-Beratungsleistungen Datenverarbeitung etc. Frauenanteil im zeitlichen Verlauf (größte IT-Bereiche) In den letzten Jahren bis Herbst 2009 zeichnete sich ein Trend zur Verringerung der Segregation ab, da der Frauenanteil in der IT-Entwicklung angestiegen und im ITBetrieb gesunken ist. Seither kehrt sich dieser Trend wieder um. Die Bereiche Webportale und „Betrieb von EDV-Einrichtungen für Dritte“ sind in Österreich nicht stark vertreten, weisen aber bezüglich der Geschlechterverteilung eine von den Hauptbereichen unterschiedliche Struktur auf: Die Personenanzahl im Bereich Webportale stieg von 35 auf 350, wobei der Frauenanteil von anfänglich 50% auf 41% gefallen ist, aber noch immer über dem Durchschnitt liegt. Im Bereich „Betrieb von EDV-Einrichtungen für Dritte“ blieb die Anzahl der Frauen über den Betrachtungszeitraum konstant, der moderate Anstieg der Beschäftigtenzahlen erfolgte bei den männlichen Arbeitnehmern. Der Frauenanteil sank dadurch von 59% auf 48%. Die Sparte „Erbringung sonstiger IT-Dienstleistungen“ erfuhr in den letzten beiden Jahren einen starken Aufschwung. Der Frauenanteil stieg von 27% auf 29% seit 2000. 22/75 3.2 Selbständige Laut Statistik Austria (2010) kann auf Ebene des ÖNACE-Abschnitts (J) für weibliche Selbständige in „Information und Kommunikation“ aus der Mikrozensus-Erhebung keine statistische Aussage getroffen werden: Von gesamt 16.800 Selbständigen sind 14.700 männlich, die Anzahl der weiblichen Personen ist kleiner als 4.000. 3.3 Managementpositionen Zu diesem Bereich liegt wenig Datenmaterial vor. Wenige Frauen sind in ITFührungspositionen, die Schere zwischen Frauen und Männern ist in der IT größer als in anderen Branchen (Vendramin 2008). 2005 wurde in Österreich eine Studie über die Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen in mittleren und großen Unternehmen mit mehr als 50 MitarbeiterInnen sowie in der Selbstverwaltung18 durchgeführt (Fuchshuber 2006). Die Stichprobe von ca. 500 Unternehmen entspricht 10% der Unternehmen in Österreich und wird somit von den AutorInnen als repräsentativ angesehen. Folgende Teilergebnisse sind in Zusammenhang mit der Thematik Frauen in der IT relevant: IT-Abteilungen werden großteils von Männern geleitet, nur 7,3% von Frauen. In Unternehmen, die in der Studie unter der Sparte „Information & Consulting“ geführt werden, liegt der Frauenanteil in der höchsten Führungsebene bei 7% und bei Abteilungsleitungsfunktionen bei 27%. Die im Rahmen dieser Studie befragten Personalverantwortlichen der Unternehmen nennen als Gründe für das geschlechtsspezifische Ungleichgewicht in Führungsetagen vor allem die folgenden: Gründe für die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen Schwierigkeiten in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Männerdominierte Branche Zu wenig Frauen mit technischer Ausbildung Zu wenige Bewerbungen von Frauen Männerdominierte Spielregeln beim Aufstieg nach oben Unternehmenspolitik Zu wenig Ermutigung für Frauen, Führungsverantwortung zu übernehmen Lange Arbeitszeiten als Grundvoraussetzung für den Aufstieg Zu wenig Interesse der Frauen an Karriere 89,50% 74,90% 64,90% 64,00% 59,60% 58,20% 50,90% 48,40% 32,20% 18 210 Selbstverwaltungsträger, sowohl Bundes- als auch Landesorganisationen, Magistrate der Statutarstädte und ihre dazugehörigen Einrichtungen 23/75 Gründe für die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen Zu wenig (Führungs-)Erfahrung Frauen haben weniger Bereitschaft zu Überstunden Tab. 1. 30,60% 25,20% Von Personalverantwortlichen genannte Gründe für weibliche Unterrepräsentanz in Führungsebenen Hervorgehoben werden in der Studie einige Unternehmen mit besonderem Engagement bei der Förderung von Frauenkarrieren. Vier davon gehören der IToder verwandten Branchen (Telekommunikation, Technik) an und werden in der Folge vorgestellt. Ergänzt wird die Liste durch einen IT-Konzern, der ebenfalls bestrebt ist, den Frauenanteil zu heben (Hewlett Packard, in: Pichler 2009). • T-Systems: Frauenanteil allgemein 26%, in Führungspositionen 17%. • Siemens: Frauenanteil allgemein 22,1%. Insgesamt werden 1/7 aller Führungspositionen von Frauen eingenommen, davon auf der zweiten Managementebene 13,5%, in der ersten Managementebene 3,4%, im Vorstand 20%. • IBM: Frauenanteil allgemein ca. 30%, 1/5 aller Führungspositionen werden von Frauen eingenommen. • Telekom: Frauenanteil allgemein 24%, in der ersten und zweiten Managementebene knapp 17%. • Hewlett Packard Österreich: Frauenanteil allgemein 31,37%, im Management 17,56%. Eine aktuelle Studie in Deutschland zeigt, dass der Frauenanteil an den ITFührungspositionen seit 2007 von 7,4 auf 5,4 Prozent gesunken ist (Kienbaum 2009). Eine aus 2002 stammende Übersicht über die größten Unternehmen der Informations- und Telekommunikationsbranche in Deutschland in der „Europäischen Datenbank Frauen in Führungspositionen“ zeigt einen 4%-igen Frauenanteil in Aufsichtsrat und Vorstand. 3.4 Forschung & Entwicklung Ein Blick auf den Bereich Forschung & Entwicklung im Jahr 2007 (Statistik Austria 2010b) ergibt folgenden Befund: In der ÖNACE Version von 2003 findet sich die ITBranche unter „Datenverarbeitung und Datenbanken“. Der Frauenanteil unter den 24/75 insgesamt rund 2.800 Personen in Forschung und experimenteller Entwicklung beträgt 11%. 3.5 Teilzeitquote und durchschnittliche Arbeitszeit Daten über branchenspezifische Teilzeitquoten sind nur auf Ebene der ÖNACEAbschnitte (und nicht der Gruppen) verfügbar. Die Mikrozensusdaten von 2008 basieren bereits auf ÖNACE 2008, da in früheren Datenbeständen basierend auf ÖNACE 2003 die IT-Branche auf Ebene der Abschnitte nicht darstellbar ist, konnte keine Zeitreihe erstellt werden. Die folgende Tabelle zeigt eine Gegenüberstellung der Teilzeitquote und durchschnittlichen Arbeitszeit in der IT Branche und den übrigen Branchen (Statistik Austria 2009e). Durchschn. Wochenarbeitszeit (h) Frauen Männer Gesamt Branchen Ges. 28,5 36,8 33,0 Teilzeitquote Frauen Männer Gesamt 42,1% 6,5% 23,2% Tab. 2. IT-Branche (ÖNACE 2008) 28,2 36,3 33,4 39,8% 10,0% 20,9% Teilzeitquote und Wochenarbeitszeit Die Differenz der wöchentlichen Arbeitszeit zwischen Frauen und Männern liegt demnach im allgemeinen Schnitt, die Teilzeitquote der Frauen liegt unter dem Branchendurchschnitt, die der Männer darüber. 3.6 Geringfügig Beschäftigte Über die Anzahl von Frauen und Männern in der IT mit geringfügiger Beschäftigung können aus BALIWeb unter Anwendung der ÖNACE-Korrespondenztabelle (Statistik Austria 2009a; siehe Appendix A) zumindest grobe Aussagen getroffen werden. Die Daten umfassen die Abschnitte 62 und 63 aus ÖNACE 2008 sowie das entsprechende Gegenstück in ÖNACE 2003 (Abschnitt 72). Für 2010 sind die Monate Jänner und Februar abgedeckt. Mit 8,8% liegt das Verhältnis zu den unselbständig Erwerbstätigen in Vollzeit im Branchendurchschnitt, der Anstieg ist mit mehr als einer Verdreifachung aber deutlich höher als in den anderen Branchen (ca. 25/75 das 1,7-fache seit 1998). Es zeigt sich ein hoher Frauenanteil an diesen Jobs, der seit 1998 fast kontinuierlich abnimmt. Männer Frauen Fr.-Ant. 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 288 438 598 726 800 829 867 921 938 1.026 1.101 1.189 1.245 736 989 1.233 1.442 1.615 1.684 1.794 1.941 1.934 2.007 1.945 2.046 2.054 72% 69% 67% 67% 67% 67% 67% 68% 67% 66% 64% 63% 62% Tab. 3. Geringfügig Beschäftigte 3.7 Arbeitslosigkeit im IT-Bereich Ebenfalls mit Daten aus BALIWeb und anhand der ÖNACE-Korrespondenztabelle wurde ein Überblick über die im IT-Bereich als arbeitslos gemeldeten Personen erstellt. Der Frauenanteil ist in dieser Gruppe demnach in den letzten 11 Jahren von 40% auf 32% gesunken. Frauen finden rascher wieder einen Arbeitsplatz (mit Ausnahme der Jahre 2002 und 2003, wo der Unterschied marginal ist), wie ein Vergleich der Verweildauer in Arbeitslosigkeit (gemessen beim Abgang) von Frauen und Männern zeigt. Männer Frauen Frauenanteil Tab. 4. Männer Frauen 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 319 306 291 368 548 697 695 721 674 614 910 1.278 1.333 216 202 189 262 333 373 371 378 346 326 504 599 640 40% 40% 39% 42% 38% 35% 35% 34% 34% 35% 36% 32% 32% Arbeitslos gemeldete Personen (absolut) und Frauenanteil in Prozent 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 150 144 145 104 110 116 138 128 124 117 209 220 231 169 137 120 96 109 113 122 125 113 105 201 204 223 Tab. 5. Verweildauer in Arbeitslosigkeit (in Tagen) 3.8 Gehaltsschere in der IT-Branche Verglichen mit der durchschnittlichen Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen ist die Situation in der IT ungünstiger für Frauen, wie die folgende Tabelle zeigt. (Datenbasis: Unselbständig Erwerbstätige 2007, ohne Arbeitszeitbereinigung, ÖNACE 2003, „Datenverarbeitung und Datenbanken“, Quelle: Rechnungshof 2008). Dies liegt im allgemeinen Trend „segregierter Männerberufe“, zu denen auch die ITJobs zählen (siehe Leitner 2000 und Kap. 4.1.3.3). 26/75 Personen 25% 50% 75% Mittelwert verdienen weniger als ... Euro ITBranche Frauen Männer Gesamt Frauen verd. % weniger als M. 12.784 30.778 43.562 Branchen Frauen gesamt Männer Gesamt Frauen verd. % weniger als M. 1.750.899 2.008.058 3.758.957 Tab. 6. 7.982 25.450 17.500 21.751 41.650 35.800 36.642 59.782 54.019 25.427 45.753 39.788 69% 48% 39% 44% 7.804 17.693 11.259 17.217 29.057 23.613 27.977 42.190 35.965 20.218 33.771 27.458 56% 41% 34% 40% IT-Gehaltsschere im Branchen-Vergleich 3.9 Frauenanteil in der IT bei Klassifikation nach Tätigkeiten Die Ergebnisse der Volkszählung 2001 (Statistik Austria 2005) ermöglichen statistische Auswertungen von Beschäftigungszahlen bezüglich der Ö-ISCO 88 auf Berufsuntergruppenebene19. Bei Repräsentation der IT durch die entsprechenden Tätigkeiten zeigt sich gegenüber der Branchenbetrachtung ein wesentlich niedrigerer Frauenanteil. Tätigkeit PhysikerInnen, MathematikerInnen, IngenieurwissenschaftlerInnen davon InformatikerInnen Technische Fachkräfte davon Datenverarbeitungskräfte Gesamt Berufsgruppen Gesamt Berufsuntergruppen für IT Tab. 7. Gesamt 43.124,00 Männer 36.405,00 Frauen 6.719,00 Anteil Frauen 16% 26.532,00 165.939,00 34.930,00 209.063,00 61.462,00 22.511,00 139.130,00 29.460,00 175.535,00 51.971,00 4.021,00 26.809,00 5.470,00 33.528,00 9.491,00 15% 16% 16% 16% 15% Frauenanteil nach Tätigkeitsklassen Zeitreihen zu dieser Fragestellung können nur auf Ebene der Berufsgruppen (also für alle PhysikerInnen, MathematikerInnen, IngenieurwissenschaftlerInnen20 und technischen Fachkräfte) und nur für die letzten 6 Jahre (Statistik Austria, ISIS- 19 Ö-ISCO 88 spiegelt zwar die heutige IT-Welt nicht wieder, ist aber die aktuellste verfügbare Klassifikation von Tätigkeiten. 20 Ö-ISCO 88: InformatikerInnen, ArchitektInnen, MaschinenbauingenieurInnen, etc. 27/75 Datenbank) erstellt werden und werden aufgrund des zu geringen Detaillierungsgrades nicht weiter betrachtet. 3.10 IT-Branche im internationalen Vergleich Auf europäischer Ebene liefert das Projekt WWW-ICT im Jahr 2004 einen ähnlichen Befund (siehe Valenduc 2004): Statistiken über die IT-Branche seien schwer zu erstellen. Der Frauenanteil in der IT als Branche wurde als bei 28% liegend ermittelt, für IT-Tätigkeiten bei 17% – mit fallender Tendenz (siehe auch Bettio 2009). Angaben für Deutschland weisen ebenfalls auf ein Sinken des Frauenanteils hin und zwar von 20,4% (2000) auf 18,9% (2009), wie in Leopold (2009) angeführt. Eurostat liefert Daten nur auf Ebene der NACE-Abschnitte21, daher ist aufgrund der genannten Umstellung der zugrunde liegenden Klassifikation eine Betrachtung der Jahre vor 2008 nicht sinnvoll. Die folgende Graphik zeigt den Frauenanteil unter den Erwerbstätigen in der EU-27 sowie in einigen ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten. Frauenanteil Erwerbstätiger (Labour Force Survey) 50,00% 45,00% 40,00% Frauenanteil 35,00% 30,00% 2008 25,00% 2009 20,00% 15,00% 10,00% 5,00% ei ch Be lg ie N n ie de rla nd e k in ig te s Kö n ig r en em ar ed Ve re w än D eg en Sc h or w kr ei ch N ic h Ö st er re Fr an n ni on U he op äi sc d lie Ita la n en Eu r G rie ch Po le n ga l rtu Po ni en Sp a ts ch la nd D eu nd än ie n um R rie Bu lg a Fi nn la n 0,00% Abbildung Nr 5. Frauenanteil in Information & Kommunikation – EU-27 und ausgewählte Mitgliedsstaaten 21 Europäische Klassifizierung der Wirtschaftszweige, von der ÖNACE abgeleitet wird. 28/75 4 Ursachen der Unterrepräsentanz von Frauen in der IT Als Ursachen für den niedrigen Frauenanteil in der IT sehen Vendramin et al. (2004: 35) die einander Rahmenbedingungen beeinflussenden und kultureller Problemfelder: Hintergrund, Gesellschaftliche familiäre Strukturen und Sozialisation, Bildung, Arbeitsmarkt und IT-Organisationen, wie sie in weiterer Folge erläutert werden. 4.1 Geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes 4.1.1 Historische Wurzeln der Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert erfolgte eine Auslagerung der Erwerbsarbeit des Mannes aus dem häuslichen Bereich. Frauen blieben die Tätigkeiten innerhalb des Hauses (des privaten Bereichs), wodurch sich auch eine Aufteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit auf Männer und Frauen ergab. Zusätzlich wurden die entsprechenden Kompetenzen der Frauen nicht mehr als erworbene Fähigkeiten, sondern als der „weiblichen Natur“ entsprechend definiert (Kubes-Hofmann 1993). Diese Entwicklung wurde über das Humboldt’sche Bildungsmodell, das aufbauend auf einer allgemeinen Bildung eine Spezialisierung für die Ausübung unterschiedlicher Berufe vorsah, in den Bildungsbereich getragen. So entwickelten sich geschlechtsspezifische Bildungswege, die für Männer eine Ausbildung für Gewerbe, Verwaltung etc., also für Tätigkeiten im öffentlichen Bereich abseits häuslicher Arbeit, für Frauen allerdings versorgende und haushaltsnahe Tätigkeiten vorsahen. Die zugeschriebenen weiblichen Eigenschaften gaben die Richtung der Spezialisierung vor und wurden gleichzeitig in das Zentrum Frauen zugedachter Ausbildungswege gestellt. Dies führte schließlich dazu, dass die in dieser Tradition stehenden Berufe einen semi-professionellen Status erhielten. Die Unterordnung der dienenden, den zugeschriebenen „weiblichen Eigenschaften“ entsprechenden Tätigkeiten unter die schaffenden, „männlichen“, geht schließlich auch mit Hierarchisierung der Geschlechterverhältnisse einher. 4.1.2 Persistenz der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes Legistische Rahmenbedingungen für eine Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Arbeitswelt (und beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen) sind in 29/75 Österreich gegenwärtig wohl vorhanden (z.B. das Gleichbehandlungsgesetz, GlBG), dessen ungeachtet und trotz Auftretens und Verschwindens von Berufsgruppen gibt es noch immer erhebliche geschlechtsspezifische Differenzen auf dem Arbeitsmarkt sowohl hinsichtlich der ausgeübten Berufe (horizontale Segregation) als auch hinsichtlich der eingenommenen Stellung in der Jobhierarchie (vertikale Segregation) und der Einkommen. Da in typischen Frauenberufen die Aufstiegschancen im Allgemeinen schlechter und die Einkommen niedriger sind als in Männerberufen, wie in der Folge dargestellt wird, impliziert horizontale vielfach auch vertikale Segregation, also geschlechtsspezifische Hierarchisierung und Chancenungleichheit zwischen Männern und Frauen (Leitner 2000). Die Ursachen für die Beständigkeit der Segregation sind in der konstanten Zuweisung unbezahlter Haushalts- und Kinderbetreuungspflichten an Frauen zu sehen, da das dahinter liegende Rollenklischee in die Arbeitswelt übertragen wird und umgekehrt die ungleiche Situation am Arbeitsmarkt Geschlechterhierarchien stützt (Weber 2006, Leitner 2000, Collmer 1997, Sorger 2004). Angelika Wetterer (zit. in: Collmer 1997: 89) formuliert dazu die „Hierarchiethese“: Historische Untersuchungen der Entwicklung von Berufen zeigen, dass manche Professionen früher einem anderen Geschlecht zugeordnet waren als gegenwärtig, wie z.B. die der ProgrammiererInnen (siehe Kap. 2.2.1 und Leitner 2000), SekretärInnen und ÄrztInnen22 (Collmer 1997). In manchen Fällen blieben die Arbeitsinhalte konstant, während die Definition des Berufs als „männlich“ oder „weiblich“ verändert wurde, in anderen Fällen wiederum haben sich Tätigkeiten verändert, werden aber nach wie vor demselben Geschlecht zugeschrieben. Basierend auf diesen Ergebnissen lässt sich die These formulieren, dass Frauen Berufe aufgrund der nach wie vor existierenden Geschlechterhierarchien zugewiesen bekommen, die Tätigkeiten aber erst im Nachhinein als geeignet für Frauen definiert werden. Umgekehrt wurde auch beobachtet, dass bei Eindringen von Frauen in eine Sparte die dortigen Aufgaben als „leichter“ gelten, was den Status des Berufs sinken lässt. In manchen Branchen, wie z.B. in der IT, kristallisiert sich zusätzlich eine geschlechtsspezifische Segregation innerhalb der Branche heraus, je nach Status der durchgeführten Tätigkeiten (Collmer 1997, siehe auch Kap. 3.1). 22 Collmer (1997) erwähnt hier die „weisen“, heilkundigen Frauen der vormodernen Gesellschaft. 30/75 4.1.3 Geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation in Österreich Österreich lag im Jahr 2000 bezüglich der Arbeitsmarktsegregation unter den Schlusslichtern im OECD-Vergleich (Leitner 2000), seither fand jedoch eine DeSegregation statt, sodass Österreich im Jahr 2007 im – allerdings hohen23 – EU-27Schnitt lag. Der aktuelle Bericht der Europäischen Kommission über die Arbeitsmarktsegregation konstatiert ein beinahe unverändertes Ausmaß für die EU12 (seit 1992) und einen leichten Anstieg der Segregation für die EU-27 (seit 2000). Dahinter verbergen sich unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Ländern. Während in den meisten nordeuropäischen Ländern (mit einer bisher hohen Segregation) sowie in Österreich und Tschechien eine De-Segregation stattfindet, vergrößert sich die Segregation in den Mittelmeer- und osteuropäischen Ländern (Bettio 2009). Leitner (2000) fasst Berufe gemäß ihrem Frauenanteil in fünf Kategorien zusammen, wobei „integrierte / gemischte Berufe“ als jene definiert werden, die dem durchschnittlichen Frauenanteil entsprechen (+/- 10 Prozentpunkte). Für 1998 ergibt sich folgendes Bild: „stark segregierte Frauenberufe“24 Frauenanteil ab 80% „segregierte Frauenberufe25“ Frauenanteil 50 bis 79,9% „Frauenberufe“ „Integrierte / gemischte Berufe“ Frauenanteil 30 bis 49,9% „segregierte Männerberufe“ Frauenanteil 10 bis 29,9% „stark segregiert Männerberufe“ Frauenanteil unter 10% „Männerberufe“ Tab. 8. Berufsklassifikation gemäß Frauenanteil 23 Segregation kann mittels verschiedener Indizes definiert und gemessen werden. Der standardisierte oder Karmel-and-MacLachlan-Index „IP“ kann als der Prozentsatz der Erwerbstätigen interpretiert werden, die ihren Beruf bzw. die Branche wechseln müssten, um ein ausgeglichenes Verhältnis von Frauen und Männern über alle Berufe bzw. Branchen zu erreichen. Der IP kann maximal einen Wert von 50 annehmen und lag 2007 in der EU-27 bei 25,2 für Berufe und bei 18,4 für Branchen. 24 Nicht-wissenschaftliche Lehrkräfte, biowissenschaftliche und Gesundheitsfachkräfte 25 In dieser Gruppe (Verkaufs- und Dienstleistungshilfskräfte, Modelle, VerkäuferInnen und VorführerInnen, Büroangestellte, Wissenschaftliche Lehrkräfte, Pers. Dienstleistungsberufe und Sicherheitsbedienstete) finden sich die „klassischen Frauenberufe“. 31/75 Diese Darstellung erlaubt die Betrachtung von Führungskräfteanteil und Einkommensverteilung in Abhängigkeit vom Frauenanteil in Berufen. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen ist seit dem Jahr 2000 gestiegen. 45% aller Frauen (64% der 15-64-jährigen) gehörten 2006 dem Arbeitskräftepotential an, dies entspricht einem Anteil von 46% aller Erwerbstätigen (Statistik Austria 2007). Eine aktualisierte Version dieser Klassifikation müsste daher diesen höheren Wert als Bezugspunkt verwenden. 4.1.3.1 Ausmaß der Arbeitsmarktsegregation Der Arbeitsmarkt 1998 stellt sich damit folgendermaßen dar Leitner (2000): • 2/3 der Frauen arbeiten in „Frauenberufen“ o 9% arbeiten in „stark segregierten Frauenberufen“ o 50% aller Frauen konzentrieren sich auf 4 Berufe • 1/4 der Frauen ist in „gemischten oder integrierten Berufen“ tätig • 8% der Frauen sind in „Männerberufen“ tätig • 60% der Männer teilen sich beinahe gleichmäßig auf „gemischte / integrierte“ oder „segregierte Männer- und Frauenberufe“ auf o 50% aller Männer konzentrieren sich auf 8 Berufe • 40% aller Männer arbeiten in „stark segregierten Männerberufen“ Männerdominierte Bereiche sind also für Frauen weniger durchlässig als frauendominierte für Männer. Männer haben demnach seltener KollegInnen des anderen Geschlechts, was Frauen öfter in eine „Außenseiterposition“ bringt. (Leitner 2000, Weber 2006). Die oben erwähnte De-Segregation des österreichischen Arbeitsmarktes in den letzten zehn Jahren wurde durch einen verstärkten Zustrom zu den „Frauenberufen“ verursacht und nicht durch ein Sinken der geschlechtsspezifischen Segregation innerhalb von Berufen oder Branchen. Dass durch diese strukturellen Effekte Segregation sinken kann, lässt sich folgendermaßen erklären: Frauen können leichter in wachsenden Bereichen Fuß fassen, wodurch unter Umständen die Segregation zuerst steigt. Aus diesen Bereichen finden sie in der Folge aber Zugang 32/75 zu männerdominierten Segmenten, was im Endeffekt zu einem Sinken der Segregation führen kann (Bettio 2009: 34f). 4.1.3.2 Bildungssituation Von den 25- bis 64-jährigen Personen der Wohnbevölkerung besitzen im Jahr 2008 ca. 319.000 Frauen und 293.000 Männer einen Universitäts- oder verwandten Abschluss (2001 waren es 219.000 Frauen bzw. 223.000 Männer; Statistik Austria 2009d). Insgesamt gibt es eine starke geschlechtsspezifische Konzentration auf bestimmte Fächer. So findet sich eine Unterrepräsentanz von Frauen in technischen Studienrichtungen, nur 19% dieser Studienabschlüsse des Studienjahres 2004/05 entfallen auf Frauen (Statistik Austria 2007). Die Ergebnisse von Leitner (2000) ermöglichen eine detaillierte Betrachtung der Anteile höherer Bildungsabschlüsse in den fünf Berufskategorien: Die beiden „stark segregierten“ Berufe nehmen eine Sonderstellung ein: Das Ausbildungsniveau der Frauen ist in beiden Fällen höher als das der Männer. Zusätzlich lässt sich feststellen: Der höchste Anteil höherer Bildungsabschlüsse der Erwerbstätigen einer Kategorie findet sich bei den „stark segregierten Frauenberufen, der niedrigste Anteil bei den „stark segregierten Männerberufen“. In den übrigen Kategorien ist der Anteil höherer Bildungsabschlüsse umso niedriger, je höher der Frauenanteil ist. 4.1.3.3 Hierarchiebildung durch Arbeitsmarktsegregation Verdienstmöglichkeiten und Aufstiegschancen können als Indikatoren für den Status von Berufsklassen gesehen werden. Leitner (2000) legt zwecks Vergleichbarkeit die Einkommenshöhe auf 40 Arbeitsstunden um und führt die Statusanalyse unter Berücksichtigung des in den Berufskategorien vorgefundenen Ausbildungsniveaus26 durch. Bei der Betrachtung der Anteile an Personen in Führungsfunktionen zeigt sich ein ähnlicher Trend wie im Fall des Ausbildungsniveaus, jedoch mit folgenden Unterschieden: Die Anzahl weiblicher Führungskräfte ist in allen Berufskategorien niedriger als die der männlichen. Dies gilt auch für die „stark segregierten Berufe“. Die bessere Ausbildung der in diesen Berufskategorien tätigen Frauen kann also nicht in einen Karrierevorteil umgesetzt werden. In den letzten Jahren blieb der Anteil 26 Die zugrundeliegende ISCO Klassifikation enthält das Ausbildungsniveau bereits indirekt. 33/75 weiblicher Führungskräfte27 EU-weit unverändert und liegt 2007 für Österreich bei 31.9% und somit knapp unter dem EU-Durchschnitt (Europäische Kommission 2009). Auch die Höhe der Einkommen folgt in etwa diesem Muster: Frauen verdienen in jeder Kategorie weniger als Männer (Medianeinkommen), insgesamt ergibt sich in der Studie von Leitner (2000) für das Jahr 1998 folgendes Bild: In den „stark segregierten Männerberufen“ erzielen Frauen die niedrigsten, in den „stark segregierten Frauenberufen“, wo nur 9% der Frauen tätig sind, die höchsten Einkommen. In dieser Kategorie sind auch die Einkommen von Frauen und Männern nahezu gleich. In „segregierten“ und „gemischten“ Berufen ist das Lohnniveau (von Frauen und Männern gemeinsam) umso niedriger, je höher der Frauenanteil ist, die von Frauen erzielten Gehälter sind allerdings großteils unabhängig vom Frauenanteil. Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern wachsen also mit abnehmendem Frauenanteil (inklusive 28 Männerberufe). 2007 liegt der Gender Pay Gap der stark segregierten in Österreich bei 25,5%, wobei seit 2003 ein kontinuierlicher Anstieg zu verzeichnen ist. Damit liegt Österreich vor Estland an vorletzter Stelle innerhalb der EU-27, der EU-Durchschnitt liegt bei 17,4% (Europäische Kommission 2009; aktuellste Daten stammen aus dem Jahr 2007). 4.1.3.4 Geschlechtsspezifische Segregation von Teilzeitarbeit und geringfügiger Beschäftigung Der Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Frauen beruht auf einer Zunahme bei Teilzeitbeschäftigung, Teilzeitarbeitsplätze für Frauen verdrängen deren Vollzeitarbeitsplätze (Michalitsch 2005a). Im 4. Quartal 2009 lag der Anteil der Frauen in Teilzeitarbeit bei 42,7% (Statistik Austria 2010a). EU-weit liegt Österreich damit an vierter Stelle (Europäische Kommission, 2009). Als Motive für die Ausübung von Teilzeitarbeit werden bei der Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung von mehr als 27 ISCO-Kategorien 121 (Directors and chief executives) und 13 (Managers of small enterprises) 28 Der EU-Strukturindikator für geschlechtsspezifische Verdienstunterschiede „Gender Pay Gap“ stellt Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen auf Basis von Brutto-Stundenlöhnen dar. Da die Datenbasis sowohl 2002 (EU-SILC) als auch 2007 (Verdienststrukturerhebung) verändert wurde, können Zeitreihen nicht durch 1:1-Übernahme der früheren Werte erstellt werden (Statistik Austria 2007, Geisberger 2009). 34/75 der Hälfte der Befragten familiäre Gründe29 angegeben, die am stärksten von Teilzeit betroffene Gruppe sind Frauen ab 30 mit Kindern. Männer befinden sich wesentlich seltener in Teilzeiterwerbstätigkeit: Ende 2009 waren es 9,1% der Erwerbstätigen (Statistik Austria 2010a), wobei die Hauptmotive aus Sicht der teilzeitbeschäftigten Männer darin lagen, dass entweder aufgrund benötigter Zeitautonomie „keine Vollzeittätigkeit gewünscht“ war (Michalitsch 2005a), oder dass die Personen an Ausoder Fortbildung teilgenommen haben (Statistische Auswertungen über Motive stammen aus dem Jahr 2008, siehe Statistik Austria 2009e). Eine weitere Auswirkung der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist die Erhöhung der „atypischen“ Beschäftigungsverhältnisse wie z.B. geringfügige Beschäftigung und freie Dienstverträge (Michalitsch 2005a, Michalitsch 2005b). Im April 2010 waren ca. 293.000 Personen geringfügig beschäftigt, davon etwa zwei Drittel Frauen (Quelle: BALIWeb). Teilzeitmodelle werden als Strategie zur Öffnung des Arbeitsmarktes für Frauen auf nationaler und EU-Ebene gefördert, wobei die traditionelle Rollenverteilung als gegeben gesehen wird. ArbeitnehmerInnen sehen in dieser Arbeitsform sehr wohl Vorteile durch flexiblere Zeitgestaltung und besserer Vereinbarungschancen mit Versorgungstätigkeiten, betrachten aber das niedrige Einkommen als Nachteil. Da Frauen in der Regel auch bei Normalarbeitszeit weniger verdienen als Männer, werden zur Organisation familiärer Betreuungspflichten die Angebote zu Reduktion und anderer Flexibilisierung der Arbeitszeit aus ökonomischen Gründen meistens von Frauen angenommen, was wiederum zu einer Verfestigung der Geschlechterungleichheiten am Arbeitsmarkt führt (Michalitsch 2005a). Bergmann et al. (2010) plädieren für eine Verbesserung der Qualität von Teilzeitarbeit und sehen darin, neben einer neuen Verteilung unbezahlter und bezahlter Arbeit, eine Maßnahme zur Erhöhung der Chancengleichheit von Männern und Frauen. Qualifizierte Teilzeitarbeit sollte demnach im Rahmen eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses organisiert sein, an die Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen angepasst werden und ein existenzsicherndes Einkommen ermöglichen. Weiters sollten den in Teilzeit Beschäftigten qualifikationsadäquate 29 „Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Erwachsenen“ oder „andere persönliche oder familiäre Gründe“. 35/75 Aufgaben zugewiesen Firmenkommunikation, werden, entsprechende Weiterbildung und Einbindung Aufstiegsmöglichkeiten in die sollten gewährleistet sein. Schunter-Kleemann (2001) sieht in diesem Zusammenhang eine Gleichstellung des Status von Teilzeit- und Vollzeitarbeit als essentiell, welche unter anderem durch Rechtsanspruch auf Teilzeit im Fall von Pflegeverpflichtungen bei gleichzeitigem staatlichen Einkommensausgleich und Ausweitung des Konzepts auch auf hoch qualifizierte Bereiche erreicht werden soll. Eine weitere Möglichkeit, bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von familiären Verpflichtungen und Berufsleben zu schaffen, wäre Reduktion der VollzeitArbeitszeit und gleichmäßige Aufteilung der Reproduktionstätigkeiten auf Männer und Frauen. Schunter-Kleemann (2001) folgert aus der Tatsache, dass derartige Modelle seitens der EU blockiert werden, dass die Umverteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Männern und Frauen nicht gewünscht ist. 4.1.3.5 Chancen und Problemfelder Insgesamt ergeben sich für Frauen die besten Aufstiegschancen also in den „segregierten Männerberufen“, zu denen auch die IT-Branche zählt, wo das höhere Ausbildungsniveau am stärksten mit Aufstiegschancen korreliert. Problematisch ist, dass die meisten Frauen in den „segregierten Frauenberufen“ tätig sind, wo das Lohnniveau und die Aufstiegschancen am niedrigsten sind. Aufgrund der niedrigen Anzahl von Berufen in dieser Gruppe und der Abgeschlossenheit der von Männern besetzten Domänen ist ein Ausweichen auf andere Berufe nicht leicht möglich. Dies erleichtert die Aufrechterhaltung von „Frauen- und Männerberufen“ und trägt zur Reproduktion und Verfestigung der Geschlechterhierarchien bei. 4.2 Kultureller Kontext der IT 4.2.1 IT – Technik – Macht – „Männlichkeit“ Der Zusammenhang zwischen Technik und Männlichkeit gründet im Paradigma der Naturwissenschaften und der Technik, die naturwissenschaftliche Erkenntnisse anwendet. Diese Disziplinen sind auf Verständnis und Bezwingung der Natur ausgerichtet. Basierend auf der Abstraktion von Fragestellungen werden mathematische und physikalische Theorien entwickelt, in deren Rahmen Lösungen für reale Probleme erarbeitet werden können. Anwendung finden Theorien 36/75 schließlich durch die Technik in der Entwicklung von Maschinen. Letztere können auch losgelöst von der ursprünglichen Fragestellung eingesetzt werden. Dieses Muster trifft auch auf die IT zu, da die Funktionsweise von Computern oder komplexem IT-Services im Allgemeinen dem alltäglichen Verständnis nicht zugänglich sind. Collmer (1997) argumentiert dazu, dass die Erfahrung der Beherrschung der „künstlichen Symbolwelt“ „tiefliegende Allmachtsbedürfnisse befriedigt“ und (männliche) Computer-Affinität auch als Ausdruck der Partizipation an gesellschaftlicher Macht interpretiert werden kann. Letztendlich ermöglichen Besitz und Beherrschung von Technologien auch die Ausübung von Macht. Das Geschlechterbild des 19. Jahrhunderts assoziiert im Zuge der Trennung von privatem und öffentlichem Bereich (siehe Kap. 4.1.1) Frauen mit „Natur“ und Männlichkeit mit „Rationalität“, welche nach damaliger Vorstellung naturwissenschaftliche Forschung und logisches Denken erst ermöglicht. Frauen zählen somit zum „zu erforschenden“ (und zu unterwerfenden) Teil der Welt und nicht zum forschenden, was zu ihrem weitgehenden Ausschluss aus Naturwissenschaften und Technik führt. In Ländern, in denen Technik weniger prestigeträchtig und männlich konnotiert ist, wie z.B. in Osteuropa, findet sich auch ein höherer Frauenanteil in technischen Berufen (siehe auch Kap. 3.10., Valenduc 2004, Collmer 1997). Die IT gilt aufgrund ihrer primär technischen Konnotation (siehe Kap. 2.2.1) ebenfalls als männlich besetzt. 4.2.2 Erklärungsansätze für die geringe Anzahl von Frauen in Technik und IT Techniksoziologie versteht Technik nicht als neutrale Instanz außerhalb des Sozialen sondern als gesellschaftliches Konstrukt und somit Technikentwicklung als gesellschaftlichen Prozess. Erst durch diese Betrachtungsweise wird es möglich, Zuschreibungen und Bewertungen im Umgang mit technischen Produkten, gesellschaftliche Effekte wie die „Computerkultur“ oder Geschlechterverhältnisse in Bezug auf den Umgang mit IT zu untersuchen. Collmer (1997) formuliert drei Modelle für die Erklärung geschlechtsspezifischer Technikzugänge und fasst damit die Entwicklung der Forschung auf diesem Gebiet seit den 1980er Jahren zusammen. In der Folge wendet sie diese Modelle auf das Themenfeld „Frauen und Männer am Computer“ an. 37/75 4.2.2.1 Differenzmodell An die Tradition des Differenzfeminismus anschließend liefert das Differenzmodell eine Erklärung für den niedrigen Frauenanteil in der Technik durch einen angeblichen biologisch begründeten „natürlichen“ Unterschied zwischen Männern und Frauen. Technik wird in diesem Modell von Frauen außerdem als Ausdruck patriarchaler Herrschaftswünsche interpretiert und entsprechend abgelehnt (siehe auch Jenkner 2007). 4.2.2.2 Distanzmodell Als Reaktion auf die Kritik am Differenzmodell aufgrund seines inhärenten Biologismus entstanden Theorien, welche Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Umgang mit Technik rein durch Sozialisation zu erklären versuchten, basierend auf dem Gender-Begriff aus den 1970er Jahren. Mädchen würden diesen Ansätzen zufolge durch eine geschlechtsspezifische Erziehung andere Verhaltensmuster erlernen als Buben und dadurch höhere Sozialkompetenzen sowie bessere Anpassungsfähigkeit aber auch eine Distanz zu technischen Themen entwickeln. 4.2.2.3 Ambivalenzdisposition Beide oben beschriebenen Modelle wurden aufgrund ihrer Betonung der Geschlechterdichotomie, basierend auf den Begriffen „Sex“ (i.e. biologisches Geschlecht) einerseits bzw. „Gender“ (i.e. soziales Geschlecht) andererseits, als zu eng betrachtet, da sie keinen Rahmen für die Beschreibung unterschiedlicher Lebensrealitäten, wie z.B. der Situation von Frauen, die in der Technik arbeiten, zur Verfügung stellen. Ambivalenzmodelle gehen ebenfalls von geschlechtsspezifischer Sozialisation aus, folgern daraus aber, dass Frauen mit Technik nicht „anders“ umgingen als Männer, sondern diese unterschiedlich und kritischer bewerteten (Collmer 1997: 58ff). Frauen und Männer verwenden technische Geräte wie z.B. Computer ähnlich und empfinden intellektuelles Vergnügen bei der Verrichtung der entsprechenden Tätigkeiten. Der Ausübung von Kontrolle und Macht bei der Verwendung der technischen Hilfsmittel stehen Frauen allerdings ambivalent gegenüber (Collmer 1997). Dies gründet darin, dass Frauen andere Erfahrungen als Männer machen, 38/75 und zwar solche, die mit realer Fürsorge und sozialem Engagement verbunden sind. Sie erleben die Entfremdung von der Realität als Mangel und können Gefühle der Befriedigung bei Ausübung von Macht und Kontrolle nicht zulassen, da dies mit dem Frauen zugeschriebenen Rollenmodell nicht kompatibel ist. Weiters sind sich Frauen der mit Ausübung von Macht verbundenen Verantwortung bewusst. Diese widersprüchlichen Gefühle in Zusammenhang mit Technik erleben auch Männer, dies wird allerdings von der Forschung nicht thematisiert (Collmer 1997). Frauen haben andererseits auch zwiespältige Erlebnisse in Bezug auf tradierte Geschlechterkonstruktionen. So stehen Frauen in der Technik mitunter vor dem Problem, weibliche Stereotype von ihren männlichen Kollegen übergestülpt zu bekommen, da diese nach wie vor der Ansicht sind, Frauen wären nicht für technische Berufe geeignet. Wird eine Frau von ihren männlichen Kollegen doch als kompetent anerkannt, wird ihr eher abgesprochen, eine Frau zu sein, als dass das stereotype Rollenbild hinterfragt wird (Collmer 1997). Der Technik-Konnex der IT kann also für Frauen eine Barriere gegenüber dem ITBereich darstellen, da die Zuschreibungen der Tätigkeiten als inkompatibel mit den zugeschriebenen geschlechtsspezifischen Rollenbildern erlebt werden (können). Frauen sehen Technikkompetenz auch oft nicht bei sich selbst, sehr wohl aber bei anderen Frauen und Männern. Ein Indiz für diese Argumentation ist weiters, dass viele Frauen über nicht-technische Fachgebiete zur IT kommen wie z.B. über die Mathematik (Ruiz Ben 2004). Die Tatsache, dass diverse Untersuchungen doch wieder auf eine Präferenz der nicht-technischen oder praktischen IT-Bereiche durch Frauen hindeuten (siehe auch Collmer 1997), kann als Abgrenzungsstrategie gegen männliche Berufsbilder interpretiert werden (Ruiz Ben 2004). Eine neuere Studie zur Nicht-Offenheit des IT-Sektors gegenüber Frauen mit Fokus Europa fand allerdings keine Bestätigung der These, dass Frauen die IT aufgrund der Technik-Konnotation meiden würden (Valenduc 2004). Manche Frauen haben auch gerade einen für Frauen als atypisch geltenden Beruf gewählt, um sich gegenüber den weiblichen Rollenklischees, die ihnen nichts zu bieten haben, abzugrenzen (siehe auch Ruiz Ben 2004). Der Ambivalenzansatz geht also auf subjektive Thematiken ein, berücksichtigt Differenzen zwischen Frauen und enthält eine Kritik der Stereotypisierung (Collmer 1997). 39/75 4.2.2.4 Thematische Einordnung des Ambivalenzmodells – „Doing Gender“ Ambivalenzansätze verwenden zwar „Geschlecht“ als Analysekategorie, gehen dabei aber von kulturell konstruierten oder durch Sozialisation festgelegten und nicht von biologischen Unterschieden aus. Daher können sie zu den konstruktivistischen bzw. „Doing Gender“-Theorien gezählt werden. Diese verstehen Geschlecht (sowohl im Sinne von „Gender“ als auch von „Sex“) als nicht vorgegeben, sondern als in der Interaktion zwischen Menschen laufend als unterschiedlich konstruiert, also als Prozess (siehe auch Greif 2007, Weber 2006). Unhinterfragt wird dabei von der Existenz zweier Geschlechter ausgegangen, an die unterschiedliche Rollenerwartungen gestellt werden, anknüpfend an die entsprechende Tradition 19. Jahrhunderts. Diese gesellschaftlichen Vorgaben für das Agieren der einzelnen Personen machen es im sozialen Umgang schwierig, sich dem erwarteten Rollenspiel zu entziehen oder eine Identität unabhängig von der Einteilung weiblich/männlich zu finden. Die individuellen Handlungen in diesem eingeschränkten Rahmen wirken wiederum bestätigend und verfestigend auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. geschlechterkonstruierendem Diese Alltagshandeln „Wechselwirkungen und zwischen geschlechterverfestigenden Sozialstrukturen“ (Weber 2006) machen es unmöglich, Ursache und Wirkung der Konstruktion zu unterscheiden. Aufgrund der Komplexität der Mechanismen sind die Geschlechterdichotomie und die entsprechenden Rollenverständnisse nicht leicht als künstlich hergestellt zu identifizieren (auch wenn die Ausprägung der Zuschreibungen an das jeweilige Geschlecht sich im Laufe der Zeit ändert). Dieses Missverständnis wiederum bestätigt im Alltag die unhinterfragte Annahme, Geschlecht sei natürlich vorgegeben, wodurch die Geschlechter-Dichotomie bis heute bestehen blieb (obwohl die Variabilität der zugeschriebenen Attribute eigentlich auf deren Konstruiertheit schließen lässt). Das Hauptproblem der angeblichen Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern ist, wie bereits in Kap. 4.1.3.3 und 4.2.1 erläutert, dass damit auch eine Rangordnung mitgedacht wird, die Männer als dominant und Frauen als untergeordnet betrachtet, was zur Diskriminierung von Frauen in diversen Bereichen führt. 40/75 4.2.2.5 Schlussfolgerung für die Forschung Ein Ziel feministischer Theorien ist die Sichtbarmachung und Aufhebung dieser Konstruktionsmechanismen und damit verbundener Machtstrukturen. In der Forschung stellt sich in diesem Zusammenhang das Problem, dass die Verwendung der Kategorie „Geschlecht“, welche für Forschungsaussagen hinsichtlich Geschlechterdisparitäten benötigt wird, die konstruierte Geschlechter-Dichotomie weiter verfestigen kann (siehe auch Weber 2006). Collmer (1997) zitiert Rödig dazu folgendermaßen: „Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen" und schlägt, um dieser Problematik zu entkommen, die Verwendung der in der Ethnomethodologie verwendeten „Empirischen Rekonstruktion“ vor. Dabei wird bei der Erhebung der Daten das Alltagswissen über die Existenz zweier Geschlechter zugelassen, auch um den befragten Personen ausreichend Raum für Ihre Sicht zu bieten. Bei der Analyse der Ergebnisse muss allerdings die Prämisse der Existenz zweier Geschlechter fallengelassen werden. Dadurch kann die Art und Weise, wie Geschlecht konstruiert wird, untersucht werden. 4.2.3 Schulischer Bereich und Vorbilder Dass die IT in der Schule in Zusammenhang mit Naturwissenschaften und Technik auftritt (und nicht z.B. mit Management und Kommunikation) kann ebenfalls zu den Ursachen für den niedrigen Frauenanteil in der IT gezählt werden. Mädchen können bereits in der Schule aufgrund geschlechtsspezifischen Rollenverhaltens der Kinder an diesen Fächern das Interesse verlieren. Durch das Dominanzverhalten und die Inszenierung von Sachverstand der Buben steht ihnen nicht ausreichend Raum für das Entdecken der eigenen Interessen und Fähigkeiten auf diesen Gebieten zur Verfügung. Sie werden in der Regel von den Buben – den Stereotypen entsprechend – „Zu Assistentinnen degradiert“ (Sorger 2004; Daher wirkt sich Koedukation in naturwissenschaftlichen oder technischen Fächern für Mädchen eher nachteilig aus.) Weiters trägt das Fehlen von Vorbildern (Lehrpersonal in diesem Bereich ist hauptsächlich männlich) zur negativen Einstellung gegenüber IT bei Mädchen bei. Da im Alltagswissen nur diffuse Vorstellungen über die Tätigkeiten in der IT vorhanden sind, kann dieses Bild auch meistens nicht korrigiert werden (Valenduc 2004). 41/75 4.2.4 Gendering der IT-Artefakte IT-Anwendungen, die geschlechtsneutral erscheinen, sind ebenfalls Geschlechterentwürfe eingeschrieben, da bei ihrer Konzeption und Implementierung das Selbstverständnis der HerstellerInnen sowie das Bild, das jene von den Nutzenden haben, einfließen. Sie sind somit realitätskonstituierend. Da laut Harris (2007) weltweit mehr als 90% der IT-Services oder -Produkte durch Männer konzipiert werden, werden Frauen mitunter mit nicht ihren Ansprüchen gerecht werdenden IT-Anwendungen konfrontiert. Ein weiteres Beispiel in dieser Hinsicht ist die Darstellung von Wissen im Wissensmanagement, das zwar den Anspruch der Objektivität besitzt, aber in Hinblick auf einen bestimmten Benutzertypus (männlich, gebildet, ohne Migrationshintergrund) konzipiert wurde, was für Personen, die diesem Schema nicht entsprechen, ausschließend wirken kann (Bath 2008, Valenduc 2004). Auch die Figuren in den Computerspielen besitzen stereotype Charakteristika. Auswege aus dieser Konstellation eröffnen sich unter anderem durch die Einbeziehung der späteren NutzerInnen in Anforderungsanalyse und Gestaltungsprozess, wobei die IT-ExpertInnen eine genderkritische Perspektive einnehmen müssen. Umfassende Lösungskonzepte für ein De-Gendering von Produkten der IT sind noch zu entwickeln und zu erproben (Bath 2008). 4.2.5 Das Image der IT-Kultur und Computer-Nutzung im privaten Bereich Die Computerkultur gilt als technisch und männlich geprägt und stellt daher für junge Männer eine Unterstützung bei der Entwicklung männlicher Identität dar. Seitens der männlich dominierten Computer-Community besteht daher nicht das Interesse, Frauen aktiv einzubeziehen (Collmer 1997). Vielen Frauen erscheint die IT auch aufgrund der männlichen und wenig kommunikativen Konnotation als unattraktiv. Sie bezeichnen die in virtuelle Welten vertieften Männer abfällig als „Nerds“, also als farblose Fachspezialisten mit eingeschränktem Sozialverhalten (Vendramin 2008, Unger 2003). Charakteristisch für die Computerkultur ist die Wettbewerbsorientierung der in der Regel männlichen Nutzenden: Zum einen geht es um die Beherrschung von Computer-Anwendungen oder Programmiersprachen, entweder aus Spieltrieb oder um sich selbst Kompetenz zu beweisen, wobei dies sowohl auf berufliche wie auch private Nutzung (Computerspiele) zutrifft. Insbesondere die Hacker- 42/75 Philosophie, in der dieses Moment auf die Spitze getrieben wird, indem versucht wird, IT-Systeme und Sicherheitsmechanismen zu knacken bzw. auszuhebeln, ist rein männlich geprägt. Andererseits spielt auch der Wettbewerb zwischen den Nutzenden eine Rolle, da die Beherrschung von IT-Artefakten hohes Ansehen genießt. Intensive Vertiefung in eine Problemstellung mit dem Computer bietet zudem Möglichkeiten, die Umwelt zu vergessen und lässt Flow-Erlebnisse und Eskapismus zu (Collmer 1997, Bath 2008). Neuere Studien zeigen hier bei der jüngeren Generation eine Veränderung. Aktuelle Zahlen belegen zwar im Durchschnitt häufigere private Computernutzung durch Männer als durch Frauen (Statistik Austria 2009b), allerdings ist der geschlechtsspezifische Unterschied innerhalb der Gruppe der 16- bis 24-jährigen sehr klein. Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine aktuelle Studie über das Freizeitverhalten in Österreich. Diese konstatiert, dass von den 15- bis 29-jährigen Frauen 80% regelmäßig in der Freizeit einen Computer nutzen. Das ist der höchste Anteil an PC nutzenden Personen einer Altersgruppe überhaupt und liegt über dem der gleichaltrigen Männer (74%, Zellmann 2010). Das Internet dürfte eine der Ursachen für diesen Wandel sein, da die hier verfügbaren Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten Frauen einen mit dominanten Weiblichkeitsentwürfen kompatiblen Umgang mit Technik erlauben (siehe auch Bath 2008). 4.2.6 IT – Technik – Macht – „Männlichkeit“ aus heutiger Sicht („Doing Gender“ & „Doing Technology“) Neuere Strömungen feministischer Technikforschung richten den Blick weg von Frauen in der Technik hin zu vergeschlechtlichten Strukturen der Technik selbst. Dabei wird – ausgehend davon, dass es nicht möglich scheint, Gender ohne Technik und Technik ohne Gender zu verstehen – die These aufgestellt, „dass Geschlecht und Technik einander gegenseitig konstituieren“ (Bath 2002). Analog zu „Doing Gender“-Ansätzen kann von einem „Doing Technology“ gesprochen werden. Als technisch geltende Tätigkeiten sind ausgehend vom historischen Konnex zwischen Männlichkeit und Technik in der Regel männlich konnotiert, doch auch im Fall der Technik wird oft unabhängig von den Inhalten „vereinbart“, welche Tätigkeiten als technisch gelten und welche nicht. Die Fachkultur der Informatik steht, wie in Kap. 2.2.1 geschildert, ganz in dieser Tradition. Umgekehrt tragen technische Produkte, wie der Computer, zu Herstellung von Geschlechteridentitäten bei. Wie in Kap. 43/75 4.2.2.3 geschildert, finden davon abweichende Kombinationen mit Geschlechtsidentität wie technik-kompetente Frauen keinen Platz. Schließlich fließen, wie in Kap. 4.2.4 erläutert, Geschlechterkonstruktionen bei der Konzeption und Entwicklung direkt in IT-Produkte und -Services ein. Bath (2002) spricht von einem „Zirkel sich gegenseitig bestätigender Konstruktionen von Technik, Macht und Männlichkeit“ (siehe auch Weilenmann 2008). 4.3 Spezifische IT-Arbeitsmarkt-Barrieren für Frauen 4.3.1 Zugang zum Arbeitsmarkt Aufgrund der großen Vielfalt an Tätigkeiten ist der IT-Arbeitsmarkt offen für Personen mit unterschiedlichen Qualifikationsprofilen und Karriereverläufen. Auch QuereinsteigerInnen, darunter viele Frauen, wurden in IT-Boomzeiten eingestellt, Trainingsmaßnahmen für Schulung und Umschulung wurden implementiert. Nach der Ausdifferenzierung von IT-Tätigkeiten in den letzten Jahren sowie bei Sättigung des Bedarfs findet wieder eine Rückbesinnung auf akademische Qualifikationen, technische Skills und traditionelle Arbeitsteilung statt (Frauen werden in weniger angesehene, technikfernere Bereiche verwiesen; siehe auch Ruiz Ben 2004, Unger 2003, Funder 2006). Jobanzeigen sind aufgrund des Gleichbehandlungsgesetzes zwar geschlechtsneutral zu formulieren, die Texte sind aber oft so gestaltet, dass sie zwischen den Zeilen die Präferenz männlicher Bewerbungen erahnen lassen (Unger 2003). Die geringe Formalisierung sowohl der Tätigkeiten an sich als auch des Erwerbs von Know-how in manchen (in der Regel kleineren) Unternehmen führt dazu, dass in diesen Organisationen formalen IT-Qualifikationen weniger Bedeutung zukommt. Bei der Einstellung wird so genanntes „technisches Know-how“ und durch Berufserfahrung erlangtes Allround-Wissen verlangt. Die unklare Formulierung öffnet eine Hintertüre für Stereotypisierungen und die Anwendung informeller Kriterien (Ruiz Ben 2004). Frauen wird dabei oft eine angebliche „Technikferne“ attestiert, was sich schließlich in deren nicht qualifikationsadäquaten beruflichen Einsatz niederschlagen kann. Tatsächlich wird die angebliche Nichteignung für bestimmte Berufe Frauen oft aus Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes zugeschrieben, derartige Vorurteile dienen dem Erhalt des Einflusses in prestigeträchtigen Bereichen (Collmer 1997). 44/75 Die zunehmende Formalisierung von Tätigkeiten und somit der Einstellungskriterien führt zwar wie oben beschrieben mitunter zum Ausschluss von QuereinsteigerInnen, trägt aber auch, im Gegensatz zu einer Orientierung an informellen Kriterien, zu einer objektiveren Vergabe der freien Stellen bei. Insbesondere in großen IT-Firmen, wo eine höhere Ausdifferenzierung der Tätigkeiten möglich ist, haben Frauen daher bessere Chancen auf Einstellung. Die Vergabe der unterschiedlichen Jobs erfolgt aber auch dort entlang klassischer Geschlechterentwürfe (Ruiz Ben 2004, Bettio 2009). Zusätzlich kann das “Jung & Dynamisch”-Image der IT-Welt Frauen auch implizit ausschließen, wie Valenduc (2004) beschreibt: „The caricatured world of connected dynamic young people is not open to candidates relatively aged (for the profession), with children, and even more if they are women". 4.3.2 Barrieren in der IT-Arbeit und im Karriereverlauf Die hohen zeitlichen Flexibilitätsanforderungen (die in der Praxis oft ungeplante Überstunden bedeuten) und die Notwendigkeit oft zu reisen werden aufgrund der Unvereinbarkeit mit Versorgungspflichten von mehreren AutorInnen als wesentliche strukturelle Barrieren für Frauen in der IT genannt. Insbesondere spricht Valenduc (2004) von einem Teufelskreis: Da hauptsächlich Männer in der Branche beschäftigt sind, gibt es keine Notwendigkeit zur Änderung der zeitlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen. Diese wirken für Frauen aber ausschließend und verhindern so eine Erhöhung des Frauenanteils in der IT, was ein Überdenken der Arbeitsbedingungen notwendig machen würde. Eine weitere strukturelle Hürde stellt die kurze Halbwertszeit des IT-Fachwissens und die Art und Weise, wie es erworben wird, dar. Einerseits müssen in der IT laufend Qualifikationen für neue Technologien oder Praktiken, die nach kurzer Zeit wieder überholt sind, erworben werden. Andererseits wird eine sinnvolle Anwendung der so erworbenen Kenntnisse erst durch ihre Umsetzung in der Praxis möglich bzw. sehen viele Firmen die laufende Weiterbildung als Aufgabe der MitarbeiterInnen. Da die ITAufgaben in der Regel komplex sind und jedes Projekt oder jeder Arbeitsauftrag neue Herausforderungen mit sich bringen kann, ist eine gewisse Kontinuität der Erwerbstätigkeit notwendig, um Erfahrung zu sammeln. Für Frauen mit Kindern wirkt 45/75 sich daher eine längere Karenzzeit sehr ungünstig für die Chancen auf Wiedereinstieg in die ursprüngliche Position aus (Ruiz Ben 2004, Sorger 2003). Zusätzlich ergibt sich allein schon daraus, dass Frauen in der IT in der Minderheit und daher stärker sichtbar sind, ein höherer Leistungsdruck (Sorger 2004, Collmer 1997). Konstruktive Beiträge von Frauen werden selten von KollegInnen als Ergebnis der jeweiligen Person gewürdigt, sondern entweder als eigene Idee verkauft oder als Teamergebnis interpretiert. Erlangen der Anerkennung der KollegInnen und Aufstieg sind also schwierig, Förderung durch Vorgesetzte ist bei Frauen selten, bei Männern aufgrund von „Seilschaften“ die Regel (Collmer 1997, Leopold 2009). Weiters verbringen Männer, die auch die Mehrheit der IT-Beschäftigten ausmachen, mehr Zeit miteinander, z.B. während Überstunden oder nach der Arbeit bei gemeinsamen Freizeitaktivitäten, auf Geschäftsreisen etc., was dazu führt, dass Frauen nicht alle relevanten Informationen erhalten und nicht sofort vermittelt bekommen, wie die Kommunikation im Unternehmen läuft. Frauen können sich so weniger einbringen und seltener ihre Sicht der Dinge, wie z.B. ihre Vorstellungen über IT-Kultur und aktuelle Ereignisse, mitteilen. Dies führt schließlich zum Ausschluss aus strategischen Entscheidungen und verhindert einen Aufstieg in höhere Positionen (Valenduc 2004). Funder (2006) konstatiert bei vielen Unternehmen die Existenz eines „Egalitätsmythos“, der auf angeblich bereits erreichter Gleichstellung beruht und zur Folge hat, dass Geschlechtdisparitäten und männliche Dominanz nicht mehr diskutiert werden können, obwohl sie sehr wohl noch vorhanden sind. 4.3.3 Angebliche „frauenspezifische“ Fähigkeiten als Vorteile? Bei der Auswahl von Frauen und Männern für bestimmte Jobs wird oft von traditionellen Geschlechterkonstruktionen ausgegangen, wobei auch in der IT nun zunehmend als notwendig erachtete Soft Skills wie Sozialkompetenz, Kommunikationsfähigkeit etc. aufgrund der tradierten Geschlechterbilder Frauen zugeschrieben werden. Speziell erwähnt werden sollte hier die Gartner Group30, die vorschlägt, Unterschiede zwischen Frauen und Männern anzuerkennen: "Let's be 30 Gartner bezeichnet sich selbst als “the world's leading information technology research and advisory company” und wird in der Branche auch entsprechend wahrgenommen und gehört. 46/75 frank: Men and women behave, think and operate differently. To pretend otherwise is to ignore fruitful inputs…..“ (Harris 2007). Geschlechtsspezifische Charaktereigenschaften (biologischen und psychologischen Ursprungs), die sich zwar nicht bei einzelnen Personen, jedoch in größeren Teams manifestierten, sollten in der IT-Branche genutzt werden. Insbesondere würden Frauen aufgrund angeblicher spezifisch „weiblicher Eigenschaften“ in einer kundenorientierten und vernetzten IT-Welt dringend benötigt. Die als „reality“ bezeichneten Geschlechterdifferenzen unterscheidet Gartner dezidiert von zu Diskriminierung führenden negativen „Stereotypen“, welchen durch entsprechende Maßnahmen entgegenzuwirken sei. Die Verwendung zugeschriebener geschlechtsspezifischer Eigenschaften als Begründung für gute Chancen von Frauen in IT-Berufen ist abzulehnen, auch wenn dieses Argument hier angeblich zum Vorteil von Frauen eingesetzt wird. Im Arbeitsalltag werden diese angeblich „weiblichen“ Eigenschaften als „natürliche“ Ressource“ der Mitarbeiterinnen angesehen, daher vorausgesetzt und nicht gesondert honoriert. Männliche Kollegen können ausgeprägte Sozialkompetenzen dagegen als Zusatzleistung verkaufen (Ruiz Ben 2004, Sorger 2004, Valenduc 2004, Weber 2006, Funder 2006). Insbesondere besteht die Gefahr der Verfestigung der Geschlechterstereotypen und der damit verbundenen Hierarchisierung und Machtstrukturen (siehe auch Kap. 4.1.2, Bath 2002). Entsteht ein Interessenskonflikt zwischen Frauen zugedachten beruflichen und familiären Aufgaben, entscheidet sich dieser im Sinne der Erhaltung der traditionellen Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern, wie folgendes Beispiel zeigt: Projektmanagement oder Teamleitung wird oft aufgrund angeblich ausgeprägter Social Skills Frauen zugeschrieben (z.B. Harris 2007), auch Networking würde Frauen angeblich besonders gut liegen. Wie Sorger (2004) erläutert (und in Kap. 3.3 dargestellt wird), sind Frauen in den IT-Management-Bereichen jedoch unterrepräsentiert, unter anderem aufgrund von Unvereinbarkeit dieser Jobs und des notwendigen zeitintensiven Networkings mit Kinderbetreuungspflichten bzw. Teilzeitarbeit (siehe auch Leopold 2009). 47/75 4.4 Maßnahmen zur Verbesserung der IT-Partizipationschancen von Frauen Zur verstärkten Öffnung der IT-Branche für Frauen gibt es unzählige Maßnahmen und Initiativen auf nationaler und EU-Ebene. Wie in der Einleitung dieses Kapitels erläutert wurde, bewirken mehrere Faktoren im Zusammenspiel das Verdrängen von Frauen aus der IT-Branche. Gegenmaßnahmen müssen daher in allen genannten Bereichen ansetzen und umfassen z.B. folgende Konzepte (siehe z.B. Valenduc 2004, Paulitz 2008): Zur Überwindung von Barrieren bieten sich Maßnahmen wie Trainings speziell für Frauen, Coaching und Tutoring an. Dabei sollen der Einstieg in eine eventuell wenig bekannte und männerdominierte Domäne erleichtert und in der Folge Ansprechmöglichkeiten im Fall von Diskriminierung institutionalisiert werden. Ein Beispiel dazu ist telm@31 (siehe auch Weber 2006), eine 18-monatige Ausbildung für Frauen von Frauen, die Frauen durch die Förderung von IT-Interesse und ITKompetenz ein breiteres Berufenspektrum und somit bessere Chancen auf eigenständige Existenzsicherung eröffnet. Das Curriculum enthält neben ITspezifischen Themen auch interdisziplinäre Elemente. Netzwerke, wie z.B. im Rahmen von FEMtech32, einem Programm zur Förderung von Frauen in Forschung und Technologie, organisiert, tragen weiters dazu bei, Frauen abseits der traditionell männlich besetzten Netzwerke vielfältige Austauschmöglichkeiten zu bieten und Frauen in diesen männerdominierten Bereichen sichtbarer nach außen zu machen. In diesem Zusammenhang sei auch fForte33 genannt, eine Initiative von vier österreichischen Ministerien (in die auch FEMtech eingebettet ist), die Frauen im Forschungs- und Technologiebereich als Zielgruppe hat und Frauen während aller Phasen ihres Bildungs- und Karrierewegs durch Abbauen von Hindernissen stärken soll. Im Bereich Bildung und Ausbildung unterstützen Beratungsorganisationen oder Programme wie z.B. der Verein Sprungbrett oder FIT34 Mädchen und junge Frauen 31 www.telma.at/ 32 www.femtech.at 33 www.fforte.at/ 34 www.sprungbrett.or.at/, www.fitwien.at/ 48/75 bei der Berufswahl durch Beratung, Workshops, Studieninformation, Exkursionen, Computertraining, Informationstagen, Schulseminaren, Vorträgen etc. Die Problematik der vergeschlechtlichten Strukturen der IT erfordert Maßnahmen zur Veränderung dieser Bedingungen, um bei Frauen das Interesse an der IT zu fördern. Paulitz (2008) und Bath (2008) zitieren dazu das von Margolis und Fischer 2002 beschriebene Erfolgsmodell der Carnegie Mellon Universität in den USA. Dort führte ein speziell konzipiertes und auf allen Ebenen (Bild in der Öffentlichkeit, Aufnahmebedingungen, Interdisziplinarität der Curricula, Fachkultur) ansetzendes Maßnahmenbündel dazu, dass der Frauenanteil in der Informatik innerhalb von 6 Jahren von 7% auf 42% anstieg. 49/75 5 IT-Trends und Partizipationschancen von Frauen am ITArbeitsmarkt In diesem Kapitel werden nun zwei der aktuellen Entwicklungen in der IT-Branche hinsichtlich der Chancen und Risiken für Frauen bezüglich des Zugangs zum ITArbeitsmarkt sowie der Gleichstellung im IT-Berufsalltag bewertet. Da es sich bei den untersuchten Trends um Entwicklungen aus dem IT-Management handelt, sind davon einige IT-Bereiche (wie z.B. die Programmierung) nicht direkt, sondern nur indirekt – z.B. durch die Einbeziehung über Prozess-Schnittstellen – betroffen. Insbesondere relevant sind die Aussagen für IT-Betrieb, IT-Management, IT-ServiceKonzeption, IT-Beratung und IT-Projektmanagement. Als erster zu untersuchender Trend wurde mit der Standardisierung der IT-Prozesse ein Konzept gewählt, das bereits seit mehreren Jahren relevant ist und in Teilen bereits in der Praxis Anwendung findet. Als zweiter Trend soll die Geschäfts-ITIntegration untersucht werden, da es sich dabei um eine Neuerung der letzten Jahre handelt, die nicht zuletzt in ITIL V3 beschrieben, derzeit von zahlreichen Unternehmen implementiert wird (vgl. Kap. 2.2.3). Für die Untersuchung wurde die Methode der SWOT-Analyse gewählt, die im Allgemeinen verwendet wird, um interne Stärken und Schwächen sowie externe Chancen und Risiken von Organisationseinheiten oder auch einzelner Personen zu ermitteln. SWOT-Analysen ermöglichen die Ableitung von Strategien zur Erreichung eines bestimmten Ziels. Im ersten Schritt werden also Stärken, Schwächen, Risiken und Chancen der Organisation in Bezug auf das Ziel in Form eines Brainstormings ermittelt. In der Folge werden thematische Überschneidungen der internen und externen Analyseergebnisse, vermeidenden Risiken etc. d.h. die weiter identifiziert. ausbaufähigen Schließlich werden Chancen, Strategien zu zur Realisierung der Chancen und Vermeidung der Risiken erarbeitet. In dieser Arbeit soll die SWOT-Methode in abgewandelter Form für Frauen in der ITBranche angewendet werden, um Handlungsoptionen für einen verbesserten Zugang zum IT-Arbeitsmarkt und bessere Aufstiegschancen für Frauen in der IT zu abzuleiten. Die Adaptierung der Methode betrifft den internen Teil, da die Untersuchung von Frauen als Gruppe bezüglich von „Stärken“ und „Schwächen“ abseits der geschlechtsspezifischen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen 50/75 problematisch ist und jene überdies keinen Platz in der üblichen SWOT-Methode finden. Stärken und „Schwächen“ werden daher hauptsächlich in den gegenwärtigen Lebensrealitäten von Frauen gesehen. Anstelle des Ausdrucks „Schwäche“ wird daher der adäquatere Term „Hindernisse“ verwendet. 5.1 Interne Analyse Um die Bildung von Klischees und Naturalisierung zu vermeiden, wird bei der „internen“ Analyse dezidiert nicht mit Stereotypen oder „natürlichen“ Eigenschaften argumentiert (siehe dazu auch Kap. 4.3.3). 5.1.1 Stärken 5.1.1.1 Hohe Anzahl von Hochschulabschlüssen (St-Bildung) Das hohe Ausbildungsniveau von Frauen auch in nicht-technischen Studienrichtungen kann zu den Stärken hinsichtlich des in der Analyse verfolgten Ziels gezählt werden: In einer mit dem operativen Geschäft integrierten IT könnten Arbeitsplätze am Rand der „klassischen“ IT-Bereiche entstehen, z.B. im TrainingsOrganisations- und Finanzbereich. 5.1.1.2 Hohe Motivation aufgrund „atypischer“ Berufswahl (St-Motivation) Frauen, die einen IT-Job aus speziellem Interesse für die Thematik wählen und dabei größere Barrieren zu überwinden haben als ihre männlichen Kollegen oder durch die Annahme eines „atypischen“ Berufs einen Gegenpol zu klassischen Weiblichkeitskonstruktionen suchen, sind oft überdurchschnittlich motiviert für ihre Arbeit (Collmer 1997). 5.1.2 Hindernisse 5.1.2.1 Zuschreibung der Kinderbetreuung und Reproduktionsarbeit (Hi- TradGeschlEntw) Die häuslichen Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, Reproduktionsarbeit und Pflege werden noch immer als weibliche Domänen gesehen, sind unbezahlt und werden großteils von Frauen erledigt. Dies ist mit ein Grund für die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes und Schlechterstellung von Frauen hinsichtlich Aufstiegschancen, Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Weiters schränken diese 51/75 Pflichten bei ungleicher Aufteilung auf Männer und Frauen Arbeitszeiten, Zeit für Ausbildung und örtliche und zeitliche Flexibilität von Frauen ein. 5.1.2.2 Stereotype Geschlechterentwürfe und das Fehlen weiblicher Vorbilder (HiStereotype) Die Zuschreibung geschlechtsspezifischer Eigenschaften führt zu folgenden Problemen: Einerseits können Mädchen ihre Potentiale nicht frei entfalten und ziehen daher Ausbildungen für „atypische“ Berufe wie z.B. IT-Jobs gar nicht erst in Betracht. Andererseits werden innerhalb technisch konnotierter Arbeitszusammenhänge Frauen oft durch nicht-transparente Einstiegs- und Aufstiegs-Bedingungen, fehlende Förderung und Unterstellung von Technikferne benachteiligt. 5.2 Externe Analyse und Abgleich mit dem Ergebnis der internen Die „externe“ Analyse wird für die IT unter dem Gesichtspunkt der „Standardisierung der IT-Prozesse“ bzw. „Integration der IT mit dem operativen Geschäft“ durchgeführt. Es ist zu beachten, dass nur hinreichend umgesetzte Konzepte auch tatsächlich Chancen eröffnen35. In einem zweiten Schritt werden die Überschneidungen zwischen „internen“ und „externen“ Themen identifiziert. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Ergebnisse beider Schritte in diesem Kapitel zusammengefasst. 5.2.1 Chancen durch Standardisierung der IT-Prozesse 5.2.1.1 ITIL als interdisziplinäres Managementthema (Ch-Interdisz.) Das ITIL-Framework schlägt vor, was in einer IT-Organisation zu berücksichtigen ist, und nicht wie es zu tun ist36. Die Tatsache, dass sich alle Beteiligten an den Prozess und die Verantwortlichkeiten der darin definierten Rollen halten müssen, macht zusätzlich zum technischen Know-how das Wissen über einzuhaltende Abläufe und Zusammenhänge notwendig, kreiert neue koordinierende Rollen und stellt die IT in 35 Eine falsche oder für eine Organisation unpassende Implementierung der Prozesse und Strukturen würde unter Umständen den gegenteiligen Effekt erzielen und zum Risiko werden. Z.B. kann ein schlecht organisierter Service-Desk die Distanz der NutzerInnen zum PC vergrößern und die Einstellung gegenüber der IT verschlechtern. Schlechtes Projektmanagement kann ungeplante Überstunden zur Folge haben. 36 Z.B. im Fall von Change-Management, das für sichere Umsetzung von Änderungen an IT-Services verantwortlich ist, wird empfohlen, den „Change“ zuerst in einer Testumgebung und bei Erfolg in der Produktivumgebung umzusetzen. Im Detail werden die Tätigkeiten den SpezialistInnen überlassen. 52/75 einen Management-Kontext (siehe auch Ruiz Ben 2004). IT-Prozesse laufen in der Regel quer zur klassischen Aufbauorganisation einer IT-Organisation, schließen Teile des Kerngeschäfts ein und sollten auch finanzielle Aspekte berücksichtigen. Somit kommt es zur interdisziplinären Zusammenarbeit mehr und weniger technisch orientierter Bereiche. Möglicherweise tragen diese neuen Aspekte dazu bei, die Techniklastigkeit der IT abzuschwächen. Auch die Verantwortungsbereiche der neuen Management-Rollen verlaufen oft quer zum Linien-Management37 und bieten so gute Möglichkeiten zur Profilierung und zu einem Aufstieg unabhängig von der Firmenhierarchie. Überschneidungen: St-Bildung, St-Motivation, Hi-Stereotype • St-Bildung, St-Motivation: Das hohe Ausbildungsniveau von Frauen auch in nicht-technischen Bereichen und die gute Motivation von Frauen in IT-Jobs bieten einerseits aufgrund der Interdisziplinarität und andererseits aufgrund der derzeitigen ungleichen Geschlechterverteilung im „segregierten Männerbereich“ IT gute Einstiegs- bzw. Aufstiegschancen. • Hi-Stereotype: Eine niedrigere Technik-Konnotation der IT und ein besseres Allgemeinwissen über die IT-Berufsbilder könnten sich positiv auf die Öffnung des IT-Bereichs für Frauen auswirken. 5.2.1.2 Formalisierung der Jobprofile und Laufbahnstufenmodelle (Ch-Formalis.) Die Verfügbarkeit von Rollenbeschreibungen für alle IT-Tätigkeiten sollte zu weiterer Formalisierung der Einstellungsverfahren und höherer Transparenz der Promotionsmodelle führen, was der Anwendung informeller Kriterien weniger Spielraum bieten dürfte. Auch eine Verbesserung der Qualität von Teilzeitarbeit könnte erreicht werden, indem Positionen gemäß Qualifikation und nicht gemäß zeitlicher Verfügbarkeit vergeben werden. Überschneidungen: Hi-TradGeschlEntw, Hi-Stereotype • Hi-TradGeschlEntw: Frauen nehmen den Großteil der Teilzeitarbeitsplätze ein, was durch Formalisierungstendenzen unmittelbar nicht geändert werden kann. 37 Z.B. muss die Release-Manager-Rolle diverse IT- und Kunden-MitarbeiterInnen koordinieren 53/75 Die Arbeitsbedingungen im Teilzeitbereich könnten allerdings sehr wohl verbessert werden. • Hi-Stereotype: Bei Vorhandensein formaler Einstellungs- und Aufstiegskriterien fallen informelle Kriterien und Geschlechterstereotype, die insbesondere Frauen am Einstieg in die und Aufstieg in der IT behindern, weniger stark ins Gewicht. 5.2.1.3 Einsatz von Wissensmanagementsystemen (Ch-Wiss.) Als Basis für die IT-Prozesse sollten Datenbanken gepflegt werden, die aufbereitete Informationen über die IT-Infrastruktur38 bereitstellen. Die transparente Darstellung des gesammelten Wissens von SpezialistInnen ermöglicht auch neuen MitarbeiterInnen, rasch die spezifischen IT-Strukturen eines Unternehmens kennen zu lernen und dieses Wissen für die eigene Arbeit zu nutzen. Dies wirkt den von Collmer (1997) beschriebenen Tendenzen zur Zurückhaltung von Informationen aufgrund Konkurrenzdenkens entgegen. Besonders wichtig ist die „Configuration Management Database“, in der die wichtigsten Services aus Kundensicht mit der darunterliegenden Infrastruktur sowie den nutzenden Kunden gespeichert werden39. Dieses Konzept stellt also technische, organisatorische und kommerzielle Zusammenhänge von Services dar. Die Arbeitsorganisation in Form von Prozessen basierend auf Wissensmanagementsystemen, in der Regel ihrerseits unterstützt durch IT-Anwendungen (Workflowsysteme, Datenbanken) trägt zur Verbesserung des (offiziellen) Informationsflusses im Unternehmen und zur Aufteilbarkeit von Arbeit auf mehrere Personen bei. Dadurch kann die Qualität von Teilzeitarbeit im Sinne von Bergmann (2010) erhöht werden. Überschneidungen: St-Motivation, Hi-TradGeschlEntw • St-Motivation: Der eher pragmatische Zugang von Frauen zur IT könnte für eine effiziente Nutzung dieser Wissens-Ressourcen förderlich sein. Gute Motivation und Willen zur Zusammenarbeit sind notwendig, um Informationen in diesen Applikationen in guter Qualität zu pflegen und auf dem aktuellen Stand zu halten. EinsteigerInnen sind vermutlich eher dazu zu motivieren als 38 Z.B. bereits erprobte Lösungen oder Antworten auf häufige Fragen 39 Z.B. bei der Behebung eines Fehlers kann anhand dieser Informationen rascher eine Lösung gefunden und die Auswirkung auf die Kunden beurteilt werden. 54/75 alteingesessene IT-Techniker, die oft schwer von den Vorteilen der ITProzesse und IT-Management-Applikationen zu überzeugen sind. Die Wissensaufbereitung durch Frauen und Männer ist auch relevant für eine höhere Diversifikation der in die Inhalte eingeschriebenen Zugänge. • Hi-TradGeschlEntw: Die häufigeren Diskontinuitäten in den Erwerbsbiographien von Frauen sowie deren vermehrte Teilzeittätigkeit könnten durch prozessuales Arbeiten unter Verwendung von Wissensdatenbanken weniger stark ins Gewicht fallen. 5.2.1.4 Projektarbeit und Planbarkeit (Ch-Projekt) Projektarbeit ist zwar nicht direkt in ITIL, sondern in damit kompatiblen Frameworks40 beschrieben, soll hier aber als zentrale Arbeitsform in Teilbereichen der IT ebenfalls erwähnt werden. In der Beratung, Konzeption und Entwicklung ist Arbeit üblicherweise in Form von Projekten organisiert, Tätigkeitsblöcke und Verantwortlichkeiten haben daher fixe Endtermine. Die Projektteams können für neue Projekte unterschiedlich zusammengesetzt werden, wobei die Übergabe von Ergebnissen formalisiert ist und es üblich ist, Ergebnisse von KollegInnen zu übernehmen. Dadurch können berufliche Abwesenheiten besser als in Berufen mit Tagesgeschäft und fixen Verantwortlichkeiten organisiert werden. Projektmanagement macht auch den Ressourceneinsatz während der Projekte planbar. Dadurch lassen sich ungeplante Überstunden vermeiden und Personen in Teilzeit ebenfalls gezielt einsetzen41. Überschneidung: Hi-TradGeschlEntw: In Form von Projekten organisierte Arbeit könnte dazu beitragen, dass Frauen (wie auch Männer) notwendige Abwesenheiten vom Beruf, wie Karenzzeiten, besser in ihr Berufsleben integrieren können. Eine gleichmäßige Aufteilung der Karenzzeiten auf Männer und Frauen ist allerdings eine Vorraussetzung für die Realisierbarkeit dieser Chance, da nur so die Karenzdauer für Frauen auf ein „jobverträgliches“ Maß reduziert werden kann. 40 Z.B. PRINCE2 (Projects in controlled environments) 41 Valenduc (2004) empfiehlt die Verbesserung der Zeit- und Projektmanagement-Kompetenzen der MitarbeiterInnen in der IT, da Projekte nicht immer erfolgreich und nach Plan umgesetzt werden. 55/75 5.2.2 Chancen durch Geschäfts-IT-Integration 5.2.2.1 Änderung der Arbeitskultur – „Veränderungsmanagement“ (Ch-CultChange) Die Einführung von Konzepten und Prozessen nach ITIL erfordert eine Veränderung der Art und Weise der Zusammenarbeit und der Einstellung gegenüber Kunden und AnwenderInnen. „Silo-Denken“, d.h. das Beschränken eigener Verantwortlichkeiten auf einen engen (technologischen) Themenbereich, sollte einem Gesamtverständnis von IT-Services aus Kundensicht Platz machen. Die Hinwendung zu einem neuen Arbeitsstil und der Abbau von Ängsten vor Veränderungen sollten durch Sensibilisierungskampagnen, Prozess-Training und Coaching bei der Arbeit erreicht werden. ITIL schlägt weiters die Einführung eines „Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses“ vor, der anhand messbarer Kriterien längerfristig die Optimierung der IT-Services und IT-Prozesse gewährleisten soll. Dabei soll eine „Guiding Coalition“ aus erfahrenen und gut in der Organisation verankerten Personen gebildet werden, welche die Umsetzung vorantreibt. Überschneidungen: Hi-TradGeschlEntw, St-Motivation • Hi-TradGeschlEntw: Im Rahmen des Veränderungsmanagements, das meistens durch externe Beratungsunternehmen betreut wird, könnten die unterschiedlichen Voraussetzungen von Frauen und Männern hinsichtlich Geschlechterrollen und Lebensrealitäten berücksichtigt und ausgleichende Maßnahmen verankert werden42. Der kontinuierliche Verbesserungsprozess bietet eine Möglichkeit, zusätzlich zu den IT-relevanten Kennzahlen solche für die Messung des Gleichstellungsgrades von Frauen und Männern zu 42 Dieser Vorschlag entspricht dem Konzept „Gender Mainstreaming“, der von der EU propagierten Methode für Gleichstellungspolitik: "Gender Mainstreaming" ist die systematische Einbeziehung der jeweiligen Situation, der Prioritäten und der Bedürfnisse von Frauen und Männern in alle Politikfelder, wobei mit Blick auf die Förderung der Gleichstellung von Frauen sämtliche allgemeinen politischen Konzepte und Maßnahmen an diesem Ziel ausgerichtet werden …" (Europäische Kommission, zit. In Schunter-Kleemann 2003). Gender Mainstreaming bezieht Frauen und Männer in Gleichstellungsmaßnahmen ein, findet daher eher Akzeptanz als rein auf Frauen ausgerichtete Konzepte und kann Frauen verbesserten Zugang zu Leitungsfunktionen eröffnen. Problematisch ist unter anderem, dass aufgrund von Gender Mainstreaming dezidiert auf Frauen ausgerichtete Maßnahmen und Budgets als obsolet erklärt werden können. Weiters ist das Konzept auf Effizienzsteigerung ausgerichtet und nicht auf die Verringerung der Machtungleichheiten zwischen Frauen und Männern und kommt daher nicht allen Frauen, sondern hauptsächlich gut ausgebildeten zugute (Schunter-Kleemann 2003). Speziell auf Frauen ausgerichtete Elemente sollten daher parallel dazu in Bereichen besonderer Benachteiligung ergänzt werden. 56/75 definieren und ebenfalls im Zuge des Prozesses zu überwachen. Dabei sollte auf eine Ausgeglichenheit der Darstellung geachtet werden. • St-Motivation: Frauen könnten dabei, z.B. in der „Guiding Coalition“, eine aktive Rolle einnehmen, um sich in der Organisation zu verankern und auf die Entwicklung der Organisation einwirken zu können. 5.2.2.2 Notwendigkeit zum Verständnis des Kundengeschäfts (Ch-Geschäft) Das Verständnis für die Geschäftsziele der IT-Service-Kunden ist für erfolgreiches ITManagement essentiell. Verschiedene Job-Profile sind von diesem Zusammenhang in ihrem Berufsalltag unterschiedlich stark betroffen. Bei der Konzeption neuer ITServices müssen die Verantwortlichen ihr Wissen über das operative Kerngeschäft aktiv einbringen. Im IT-Betrieb können die entsprechenden Informationen aus dem Wissensmanagementsystem abgerufen werden, ein tieferes Verständnis für Kundenzusammenhänge ist dabei nicht notwendig. Dennoch sollte die Relevanz und die in den verschiedenen Bereichen stärker oder schwächer ausgeprägte Präsenz der Geschäftssicht zu einer niedrigeren Priorisierung des Technikaspekts der IT führen, da einzelne Technologien gegenüber einer kommerziellen und organisatorischen Gesamtsicht an Bedeutung verlieren. Mitgestaltung durch die Fachbereiche oder Einstieg in die IT aus den Fachbereichen wird möglich, mitunter durch Teilnahme an einem Projekt oder in einer der Schnittstellenfunktionen zwischen IT und operativem Geschäft (siehe auch Valenduc 2004). Überschneidungen: St-Bildung, Hi-Stereotype: Eine Reduktion der Technik- Konnotation könnte den IT-Bereich für Frauen mit Ausbildungen aus nichttechnischen Bereichen öffnen, möglicherweise hätten sie auch mit weniger Widerständen aus der IT-Kollegenschaft zu rechnen. AnwenderInnen, sehr oft Frauen, werden zu ExpertInnen für ihren Bereich, indem sie Ihr Wissen über die Geschäftsprozesse und Geschäftsanforderungen an die IT in die Gestaltung der ITServices einbringen. Sie könnten auf diese Art adäquate Anerkennung erfahren. (Ruiz Ben 2004). 57/75 5.2.3 Risiken durch Standardisierung der IT-Prozesse 5.2.3.1 Arbeitsteilung entlang Spezialisierungslevel (Ri-Spezialis.) IT-Prozesse nach ITIL sind auf Steigerung der Effizienz des IT-Betriebs ausgerichtet, mit dem Ziel der Kostenreduktion und Steigerung der Servicequalität. Z.B. werden Störungen nicht nach der Reihenfolge ihres Auftretens selbstbestimmt durch die MitarbeiterInnen der IT-Organisation behoben, sondern die Information über die Störung durchläuft falls notwendig, angefangen vom Service Desk, wo „Erste Hilfe“ geboten wird, mehrere Stationen bei immer höher spezialisierten MitarbeiterInnen43. Diese Arbeitsteilung ermöglicht, dass in den früheren Prozessstufen MitarbeiterInnen mit niedrigeren Qualifikationen eingesetzt werden können und auch Teilzeitarbeit möglich ist. Diese Umstrukturierung, oft auch als Folge der Fusionierung von Bereichen zur Schaffung einheitlicher Strukturen, führt unter Umständen auch zum Wegfallen von Arbeitsplätzen. Die Arbeitsteilung entlang von Spezialisierungslevel erfordert den Einsatz von Wissensmanagementsystemen, wovon, wie oben erläutert, Chancen für den ITZugang von Personen mit einer weniger spezialisierten Ausbildung abgeleitet werden können. Die Einführung standardisierter Prozesse basierend auf Wissensmanagementsystemen kann also divergierende Effekte mit sich bringen. Überschneidungen: Hi-TradGeschlEntw, Hi-Stereotype: Diese Arbeitsteilung stellt zwar, wie oben erwähnt, prinzipiell eine Erleichterung beim Einstieg in die IT dar, birgt aber andererseits die Gefahr, dass von den Einstiegs-Jobs aus für Frauen keine Weiterentwicklung in höher qualifizierte Bereiche möglich ist, da entweder aufgrund klassischer Geschlechterhierarchien als höherwertig geltende Aufgaben eher an Männer vergeben werden oder Frauen aufgrund von Familienpflichten keine Möglichkeit zu Vollzeitarbeit44 haben. Auch beim Abbau von Arbeitsplätzen besteht das Risiko der Rückkehr der Präferenz traditioneller Job-Besetzungen, was zu einer Verdrängung von Frauen aus der IT führen kann. 43 Wissen, das im Zuge der späteren Prozessstufen produziert wird (z.B. Umgehungslösungen), wird den früheren Prozessstufen über das Wissensmanagementsystem zur Verfügung gestellt. 44 Dieses Argument könnte bei Realisierung der Chance „Ch-Projekt“ an Relevanz verlieren. 58/75 5.2.3.2 IT als „Massenware“ (Ri-Commodity) Indem IT-Basisservices wie z.B. Email-Versand und -Empfang in Aufbau und Betrieb vereinheitlicht werden und somit leichter verwaltet werden können, können die Betreibenden mit relativ niedrigem Aufwand ersetzt werden. Basisservices werden also zur „Commodity“. Überschneidung: Hi-TradGeschlEntw: Gemäß der Hierarchiethese (Kap. 4.1.2) besteht die Gefahr, dass Frauen zwar erweiterten Zugang zu IT-Tätigkeiten finden, der entsprechende Bereich aber abgewertet wird und das Gehaltsniveau sinkt. 5.2.4 Risiken durch Geschäfts-IT-Integration 5.2.4.1 Flexibilisierung und Globalisierung (Ri-Global.) Die Integration der Geschäftsziele in die IT bedeutet in Zeiten von Globalisierung und Unternehmensfusionen erhöhte zeitliche und räumliche Flexibilitätsanforderungen an die IT-Belegschaften und -BeraterInnen. Rund um die Uhr verfügbare IT-Services machen eine Betreuung der IT-Infrastruktur im Schichtdienst oder über Rufbereitschaft notwendig. IT-Jobs sind daher unter Umständen schwer mit Versorgungspflichten zu vereinbaren. Überschneidungen: Hi-TradGeschlEntw: Die entsprechenden unregelmäßigen Arbeitszeiten und verstärkte Reisetätigkeit stellen für Frauen oft (aufgrund der Lebensrealitäten und Rollenzuweisungen) strukturelle Barrieren dar. 5.3 Ergebnisse der Gruppen-Diskussion Die Diskussion wurde mit zwei IT-Beraterinnen geführt. Zur Einführung wurden einige Inputs zum Thema Frauen in der IT gegeben und positive und negative Aspekte von IT-Jobs aus Sicht der Beraterinnen diskutiert45. Weiters wurden Chancen und Risiken einer ITIL-Einführung für den IT-Zugang von Frauen unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erörtert. 5.3.1 Vorteile und Nachteile von IT-Jobs aus Sicht der Beraterinnen Beide Beraterinnen sehen diverse Vorteile in IT-Jobs. Sie ermöglichten “Entfaltung der Kreativität“ und seien aufgrund der Tatsache, dass es für die Anforderungen der 45 Der Leitfaden findet sich im Appendix. 59/75 Kunden immer mehrere Lösungs-Ansätze gebe, sehr offen für eigene Gestaltung. Die Arbeit wird als „spannend“ bewertet, die „End-to-End“-Betrachtung, d.h. die Prozess-Sicht46 unter Berücksichtigung der Kundenaspekte, sei interessant. Reisetätigkeit sowie geforderte Flexibilität wurden als positiv bewertet. Weiters wurde die Tatsache, dass in der IT immer neue Themen relevant werden, als Bereicherung betrachtet, ebenso die Notwendigkeit zur laufenden Fortbildung. Diese positive Einstellung gegenüber der Arbeit in der IT beschreiben auch diverse AutorInnen (z.B. Ruiz Ben 2004, Collmer 1997). Bezüglich der Frage, ob (technische) Detailarbeit oder die Kunden- bzw. ÜberblicksSicht zu bevorzugen sei, konnten sich die Diskutantinnen nicht einigen: Die in vielen Bereichen notwendige technische Detailarbeit wurde durch eine der Beraterinnen als besonders interessant bewertet. Sie fände es spannend, wenn etwas nicht funktioniert und sie es wieder zum Laufen bringen müsse. Die zweite Diskutantin bevorzugt eher „High-Level“ Tätigkeiten. Ihr Thema seien Standardapplikationen, auf dieser Ebene seien die Dinge „greifbarer“. Tätigkeiten auf der Ebene der Datenbanken oder Betriebssysteme, also der unterliegenden Software-Infrastruktur seien weniger „greifbar“. IT solle aus Ihrer Sicht funktionieren. Beide Diskutantinnen sahen Präferenzen bezüglich der Arbeitsinhalte eher von Person und Historie (d.h. wie früh jemand mit IT in Kontakt kommt) abhängig als vom Geschlecht. Argumente für bessere Partizipationschancen von Frauen am IT-Arbeitsmarkt aufgrund „spezieller Eigenschaften“ konnten daher nicht nachvollzogen werden und wurden aufgrund der dadurch wiederholten Vorurteile abgelehnt. Durch die Bezeichnung von Software-Produkten, die näher oder distanzierter47 zur Hardware angesiedelt sind, mit besser oder schlechter „greifbar“ („greifbar“ wurde mit „durch Frauen präferiert“ identifiziert), findet eine allerdings unbewusste Vergeschlechtlichung dieser Konzepte statt. Bei direktem Nachfragen wurde eine angebliche Existenz von in der heutigen IT besonders nützlichen weiblichen Eigenschaften – wie z.B. von Harris (2007) postuliert – durch die Diskutantinnen verneint. 46 Dabei handelt es sich um eine externe Sicht: Die Beraterinnen erarbeiten und implementieren ITManagement-Konzepte für Ihre Kunden. 47 Betriebssysteme sind z.B. sehr „nahe“ and der Hardware, Applikationen setzen (vereinfacht gesprochen) auf Betriebssysteme auf und sind somit „distanzierter“ zu Hardware als Betriebssysteme. 60/75 Standardapplikationen werden durch Customizing48 an die Kundenbedürfnisse angepasst. Diese Tätigkeit umfasst das Konzipieren von Problemlösungen und Abbilden mitunter komplexer elektronischer Abläufe („Workflows“), Datenstrukturen und Schnittstellen mithilfe einer graphischen Benutzeroberfläche. Customizing wurde im Gespräch als „mädchenkompatibel“ und „weniger technisch“ bezeichnet und als guter Kompromiss für Personen, die nicht programmieren, aber doch mit ITApplikationen arbeiten möchten, befunden. Auch hier zeigen sich – ähnlich wie in der Diskussion über den Technikzugang – Ansätze klassischer Weiblichkeitsentwürfe, wobei mit „mädchenkompatibel“ nicht etwa „auch für Mädchen erlernbar“ gemeint war, sondern dass sich somit für (junge) Frauen zusätzliche Einstiegsmöglichkeiten in die IT abseits hochgradiger Spezialisierung, die eher Männern zugeschrieben werden könnte, ergeben. Der Term „mädchenkompatibel“ könnte auch im Sinne einer Öffnung für andere als männliche Stakeholder im Software- Entwicklungsprozess durch eine universelle Plattform, wie in Kap. 4.2.4 beschrieben, verstanden werden. Auch die Einbeziehung der späteren NutzerInnen in den Entstehungsprozess ist aufgrund des „Baukastensystems“ mancher CustomizingPlattformen schon in einem relativ frühen Stadium möglich. Beide Diskutantinnen stellen nach wie vor existierende Vorurteile gegenüber Frauen in der Branche fest. Beim Erstkontakt im Kontext der Beratungsarbeit wären Kunden mitunter skeptisch, die Vorbehalte würden aber, sobald die Kompetenz der Beraterinnen erkannt wurde, einem sehr guten Arbeitsverhältnis Platz machen, schlechte Erfahrungen aufgrund des Geschlechts seien noch nicht gemacht worden. Eine der Beraterinnen sieht sich selbst als besser integriert als manche männliche Kollegen. Diese hätten „Freunde und Feinde“, sie selbst würde mit allen gut auskommen. Letzteres kann im Sinne von Collmer (1997) als kompetitives Verhalten unter IT-Kollegen ausgelegt werden. Bewerbungssituationen wurden unterschiedlich erlebt: Von schwierig in einem „konservativen“ Unternehmen bis zu besonders positiv. In diesem Fall wurde die Beraterin gerade als Frau eingeladen, da der Arbeitgeber „neugierig“ war, das Gespräch verlief sehr erfreulich. Auch die spezielle 48 „Anpassung der Standardsoftware an kundenindividuelle Anforderungen. Die Anpassung umfasst sowohl die Auswahl und Parametrisierung der Funktionen, als auch die Adaption der Daten zur Unternehmensstruktur. Die Parametrisierung der vordefinierten Programmfunktionen kann auf verschiedene Arten erfolgen. Im Extremfall umfasst sie das Programmieren von Teilfunktionen mithilfe einer Metasprache (Makrosprache)“ (Gabler Wirtschaftslexikon). 61/75 Sichtbarkeit von Frauen in einem männerdominierten Metier mit positiven wie auch negativen Auswirkungen wird in der Literatur beschrieben (Collmer 1997). Als mögliche Ursachen für den niedrigen Frauenanteil in der IT nannten die Beraterinnen, dass allgemein aufgrund der Vielschichtigkeit der IT nicht bekannt sei, was „dahinter steckt“ und viele Frauen sich einen Job in der IT „nicht zutrauen“ würden. In einem hohen Technik-Bezug der IT wurde dagegen kein Problem gesehen. Diese Aussagen finden sich auch in der Literatur wieder, z.B. bei Collmer (1997) und Ruiz Ben (2004). Dass der Technikbezug als Ausschließungsgrund von IT-Berufen für Frauen an Relevanz verliert, konnte auch Valenduc (2004) feststellen. 5.3.2 Befunde über Prozess-Standardisierung und Geschäftsorientierung Geschäfts-IT-Integration und Prozessorientierung der Tätigkeiten wurden aufgrund der durch diese Konzepte erforderlichen Erweiterung der Themen der IT von rein technischen zu wirtschaftlichen und organisatorischen als positiv hinsichtlich Frauenpartizipation am IT-Arbeitsmarkt bewertet. Der Einstieg über die Sicht des operativen Geschäfts stellt eine zusätzliche Option dar und ist leichter als über den technischen Bereich. Von dort aus besteht die Möglichkeit, auch tiefer in die technischen Bereiche einzudringen. Diese Sicht aus der Gruppendiskussion deckt sich mit den eigenen Ergebnissen und wird auch in der Literatur als möglich erachtet (Ruiz Ben 2004). Die Auswirkung der Prozess-Standardisierung auf die eigentlichen IT-Tätigkeiten der MitarbeiterInnen ohne Leitungsfunktionen wird als gering eingeschätzt, lediglich die Art der Kommunikation ändere sich. In den durch die Prozessorientierung neu geschaffenen Management-Positionen wurden aber Chancen für Frauen identifiziert. Andererseits bestehe aufgrund der üblichen hierarchischen Zuweisung der Tätigkeiten die Gefahr, dass Frauen weniger angesehene Tätigkeiten mit geringerer Arbeitsplatzsicherheit und Männer die neuen Managementrollen einnehmen könnten. In der Diskussion konnte keine Einigkeit erlangt werden, ob Prozess- Standardisierung eher als Chance oder Risiko einzuschätzen sei, was auch dem eigenen Ergebnis entspricht. Befunde über die negativen Auswirkungen der Persistenz der Geschlechterhierarchien auf die Arbeitsmarktchancen von Frauen (Michalitsch 2005a) deuten eher darauf hin, dass diese IT-Entwicklungen mehr Nachteile als Vorteile für Frauen mit sich bringen. 62/75 Das Framework ITIL wurde hinsichtlich seiner Auswirkung auf das Image der IT nicht nur positiv bewertet. Bei ungenauer Kenntnis der Inhalte könne der Begriff abschreckend wirken. Um negative Reaktionen auf ITIL zu verhindern, wurde Kommunikation der tatsächlichen Inhalte als sehr wichtig erachtet. Wissen über die Berufsbilder der IT sollte bereits in der Schule kommuniziert werden. Ein Manko an Kenntnis der IT-Berufsbilder im Alltag wird auch in der Literatur beschrieben, siehe z.B. Valenduc (2004) und Sorger (2004). 5.4 Handlungsoptionen für einen verbesserten IT-Zugang von Frauen Die SWOT-Analyse ermöglicht nun einerseits die Ableitung von Handlungsoptionen und möglichen Maßnahmen zur Verbesserung der Zugangschancen von Frauen zum IT-Arbeitsmarkt sowie der Aufstiegschancen für Frauen in der IT und andererseits die Beantwortung der Forschungsfrage „Eröffnet die Standardisierung der IT-Prozesse und die Integration der IT in das Partizipationschancen in der operative Kerngeschäft Frauen neue IT-Branche?“. Die im vorigen Kapitel herausgearbeiteten thematischen Überschneidungen bezüglich der verschiedenen Kombinationen aus Stärken/Hindernissen und Chancen/Risken bilden dabei den Ausgangspunkt. 5.4.1 Handlungsoptionen zur Nutzung der Chancen Die hohe Korrelation von Stärken und Chancen lässt darauf hoffen, dass sich eine neuorientierte IT-Welt Frauen verstärkt öffnen könnte, wie auch die Analyse von Leitner (2000) bezüglich segregierter Männerberufe im Allgemeinen ergab. Damit diese Chancen genutzt werden können, wäre zu empfehlen, in IT-Organisationen die Prozesse (in höherem Ausmaß und unter Einbeziehung der Geschäftssicht) zu standardisieren, allerdings unter Begleitung von Veränderungsmanagement- Maßnahmen, welche die Perspektive von Frauen und Männern und insbesondere die ungleiche Arbeitsteilung, die Frauen die Reproduktionsarbeit und Verantwortung für die Kinderbetreuung zuweist, berücksichtigt. 5.4.2 Abbau von Hindernissen durch neue IT-Trends Die Übereinstimmung der Hindernisse mit einem Großteil der Chancen kann – in Abwandlung der SWOT-Methode – als Option zur Abschwächung der Hindernisse 63/75 durch die neuen IT-Trends gewertet werden. Es konnten mehrere Hinweise für eine Auflösung des Technik-Konnexes der IT sowie zusätzliche Einstiegsmöglichkeiten für Frauen identifiziert werden. Beides könnte zu Abbau der Konstruktion der IT als „männlich“ beitragen, da einerseits neue Arbeitsbereiche mit einer geringeren Techniknähe entstehen und anderseits Frauen, eventuell über alternative Einstiege wie z.B. aus dem Fachbereich, in technischen Bereichen Fuß fassen könnten. Die identifizierten Stärken von Frauen bieten dafür geeignete Voraussetzungen. Darüber hinaus könnte Standardisierung ein Aufweichen struktureller Barrieren und klassischer Geschlechterkonstruktionen ermöglichen. 5.4.3 Notwendige Maßnahmen zum Abbau der Hindernisse Immerhin zwei wesentliche Charakteristika der neueren IT-Entwicklungen bzw. von ITIL ziehen Risiken nach sich (siehe 5.2.3.15.2.4.1: z.B. die schlechtere Vereinbarkeit von flexibilisierten IT-Jobs mit Versorgungspflichten und der eventuelle Wegfall von Arbeitsplätzen), die sich thematisch mit den gesellschaftlichen „Hindernissen“ für Frauen überschneiden. Das bedeutet, dass die Ausrichtung von IT-Organisationen nach ITIL zum Eintreten dieser Risiken führen könnte, was zu einer weiteren Verdrängung von Frauen aus dem IT-Bereich beitragen könnte. Im nächsten Schritt der SWOT-Methode sollte eine Vermeidungsstrategie für diese Risiken erarbeitet werden. Da diese für Frauen infolge ihrer Lebensrealitäten problematisch werdenden Risiken allerdings nicht durch die Betroffenen selbst „vermieden“ werden können, müssen an dieser Stelle insbesondere – neben speziellen Anforderungen an die ITIL-Implementierung – gesellschaftspolitische Forderungen formuliert werden: Als essentielle Voraussetzung für eine Verbesserung der Situation von Frauen allgemein in der Arbeitswelt und in der IT im Speziellen müssten die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändert werden. Eine Ausweitung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie die Gleichverteilung von Karenzzeiten und Reproduktionstätigkeiten zwischen Partnern könnte die Problematik der Zeitkonflikte relativieren und die Abwertung der Arbeit von Frauen abschwächen. Bei der Modellierung der Prozesse, Strukturen, Rollen und IT-Anwendungen müssen die unterschiedlichen Voraussetzungen von Frauen und Männern aufgrund der tradierten Geschlechterkonzepte und ungleich verteilten Versorgungspflichten 64/75 berücksichtigt und gezielte Schritte hinsichtlich der innerbetrieblichen Weiterentwicklung und Verbesserung der Qualität von Teilzeitarbeitsplätzen gesetzt werden. Weiters sollte durch die Einführung transparenter Laufbahnstufenmodelle und durch auf Antidiskriminierung gerichtetes Verhalten der Führungskräfte die Eliminierung von Geschlechterstereotypen forciert werden. Für die Verfolgung all dieser Ziele sind Veränderungsmanagement- und kontinuierliche Verbesserungsmaßnahmen geeignete Vehikel. 5.5 Conclusio Für die Gültigkeit der beiden Thesen „Die Standardisierung der IT-Prozesse bietet Möglichkeiten, strukturelle Barrieren für Frauen beim Zugang zum IT-Arbeitsmarkt und im IT-Arbeitsalltag zu beseitigen“ sowie „Die Betrachtung der IT als integraler Bestandteil des Kerngeschäfts von Unternehmen eröffnet Frauen neue Chancen für die Beteiligung an der IT-Branche“ konnten partiell wohl bestätigende Argumente gefunden werden, die negativen Effekte dieser Trends scheinen aber aufgrund der ungleichen Verteilung der produktiven und reproduktiven Arbeit sowie von Geschlechterstereotypen zu überwiegen, was eher einer „Falsifizierung“ der Thesen gleichkommt. Allgemein kann die Fragestellung nach De-Gendering in der IT und Erweiterung von Frauenpartizipationsmöglichkeiten in diesem Bereich durch aktuelle IT- Entwicklungen also mit einem „Ja – aber“ beantwortet werden, was bedeutet, dass sich für Frauen dadurch sehr wohl Chancen auf neue Tätigkeitsbereiche, erweiterten IT-Zugang, Aufweichung der Geschlechterstereotype, etc. eröffnen, diese aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen möglicherweise allerdings erst längerfristig wirksam werden49 und unmittelbar sogar zu einem Re-Gendering der IT führen könnten, z.B. indem sich IT-Berufe oder bestimmte IT-Berufsklassen zu „Frauenberufen“, mit den üblichen schlechteren Rahmenbedingungen entwickeln. IT-Management-Konzepte bieten also Optionen zur Abfederung der Geschlechterproblematik im IT-Alltag sowie Chancen zur Reduzierung der 49 Die Einführung derartiger Konzepte dauert längere Zeit und ist in ihrem Erfolg von vielen Faktoren wie Wirtschaftslage, Bekenntnis des Managements, Qualität der Beratung etc. abhängig. 65/75 Vergeschlechtlichung der IT, können aber die durch die hierarchische Geschlechterordnung verursachten Defizite nicht ausgleichen. Die im Rahmen dieser Arbeit aufgestellten Thesen wären in einem nächsten Schritt durch eine breiter angelegte empirische Untersuchung zu überprüfen. In der Folge könnten detaillierte Beratungsinstrumente für eine gendersensible ITIL-Einführung erarbeitet werden. 66/75 Referenzen A Literatur Bath, Corinna (2002): Genderforschung in der Informatik: 10 Jahre zurück - 10 Jahre voraus? 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Statistik Austria 2008). ÖNACE 2003 (gültig bis 2007) bildet die IT-Branche in der heutigen Ausprägung weniger adäquat ab und zwar in: Abschnitt DL „Herstellung von Büromaschinen, Datenverarbeitungsgeräten und -einrichtungen; Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik“ und Abschnitt K „Grundstücks- und Wohnungswesen, Vermietung beweglicher Sachen, Erbringung von unternehmensbezogenen Dienstleistungen.“ In beiden Fällen sollten für die Erstellung aussagekräftiger Statistiken zur IT-Branche nicht alle Abteilungen eingeschlossen werden. Details dazu werden nur im Rahmen der ÖNACE Korrespondenztabelle (Statistik Austria 2009a), welche die Entsprechung von ÖNACE 2008 und 2003 Branchen darstellt, angeführt: 50 Die Beschäftigten der IT Branche machen ca. 50% aller Beschäftigten der Abteilung J aus. Dies ist für Aussagen basierend auf statistischen Ergebnissen auf Ebene der Abteilung relevant. 51 Erbringung von IT-Dienstleistungen durch Mitarbeit direkt beim Kunden. 52 Z.B. PC Support (Hardware, Software). 53 Z.B. Rechenzentrums-Betrieb. Siehe auch: Statistik Austria (2008) 73/75 ÖNACE 2008 ÖNACE 2003 62.01 Programmierungstätigkeiten K 72.22 Softwareberatung und -entwicklung K 72.40 Datenbanken 62.02 Erbringung von Beratungsleistungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie K 72.10 Hardwareberatung 62.03 Betrieb von Datenverarbeitungseinrichtungen für Dritte K 72.30 Datenverarbeitungsdienste 62.09 Erbringung von sonstigen Dienstleistungen der Informationstechnologie DL 30.02 Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten und -einrichtungen K 72.22 Softwareberatung und -entwicklung K 72.22 Softwareberatung und -entwicklung K 72.60 Sonstige mit der Datenverarbeitung verbundene Tätigkeiten 63.11 Datenverarbeitung, Hosting und damit verbundene Tätigkeiten K 72.30 Datenverarbeitungsdienste 63.12 Webportale K 72.40 Datenbanken Tab. 9. K 72.40 Datenbanken ÖNACE Korrespondenztabelle Aufgrund der Weiterentwicklung der Branche ist keine 1:1-Zuordnung möglich. (z.B.: „Webportal“ umfasst „Datenbank“ sowie „Website“; vgl. Statistik Austria 2008). Der Bereich DL 30.02 wird in dieser Arbeit nicht weiter betrachtet. B Klassifikations-Schema für Tätigkeiten in der IT Besser geeignet für die Darstellung statistischer Ergebnisse über den IT-Arbeitsmarkt wäre die Verwendung von Tätigkeitsklassen. Die entsprechende Systematik ist ÖISCO, auch hier fand 2008 eine Aktualisierung statt, die allerdings derzeit erst implementiert wird und daher nicht für statistische Auswertungen zur Verfügung steht. Analysen müssen auf Basis Ö-ISCO 88 erstellt werden, folgende Tätigkeiten bilden die Grundlage der Betrachtungen: Berufshauptgruppe 2 „Akademische Berufe“ sowie 3 „TechnikerInnen und gleichrangige nichttechnische Berufe“ und dort die Berufsgruppen • 21, PhysikerInnen, MathematikerInnen, IngenieurwissenschaftlerInnen, wobei nur die Berufsuntergruppe InformatikerInnen eingeschlossen werden sollte, bzw. • 31 Technische Fachkräfte, wobei nur die Berufsuntergruppe Datenverarbeitungsfachkräfte eingeschlossen werden sollte. 74/75 C Leitfaden der Gruppendiskussion Zur Einführung wurden folgende Inhalte kurz erläutert: • Frauenanteil in der IT in Österreich bei Branchen- und Tätigkeitsbetrachtung • Ursachen & Erklärungen (gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Image der IT, strukturelle Barrieren im IT-Alltag, Hindernisse im Karriereverlauf; Erklärungsmodelle, insbesondere „Doing Gender“) • Situation im eigenen Personalentwicklung Unternehmen für die (Frauenanteil, Erhöhung des Maßnahmen Frauenanteils, der vertikale Segregation, etc.) Als Einleitung wurden folgende Fragen diskutiert: • Wie erlebt Ihr die IT Branche? Welche positiven und negativen Aspekte sind zu nennen? Dabei wurden zur Stimulation der Diskussion folgende Zusatzfragen gestellt: • Warum gibt es Eurer Meinung nach weniger Frauen als Männer in der IT? • Erlebt Ihr die IT-Welt und die Computerkultur als männerdominiert, welche Auswirkungen hat das? Wie ist Eure Einstellung gegenüber Technik? • Gartner Group propagiert, Frauen aufgrund „spezieller“ Eigenschaften in der IT einzustellen. Was ist Eure Einschätzung dieser Argumentation? Schließlich wurde die Diskussion auf die Forschungsfrage geleitet: • Eröffnen die IT-Trends der letzten Jahre Frauen verbesserte Partizipationschancen am IT-Arbeitsmarkt oder ist das Gegenteil der Fall und warum? Welche Chancen und Risiken ergeben sich durch ProzessStandardisierung, ITIL, Kundenorientierung? Zum Abschluss wurden Möglichkeiten zur Verringerung der Risiken diskutiert. 75/75