Eisige Mauerblümchen

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Eisige Mauerblümchen
Eisige Mauerblümchen-Schmonzette
Geschrieben von: Theo Müller/Bilder: Piper-Verlag, Summit Entertainment/Concorde
Ich habe etwas getan, von dem ich mir sicher war, dass ich es nie tun würde. Verächtlich
habe ich über sie gelächelt: über diese irre giggelnden zehnjährigen Mädchen, die ihre
Gesichter in den „Twilight“-Bücher versenkten und behaupteten, es gäbe nichts
Schöneres auf der Welt. Nie würde ich einen Blick in diesen kindischen Unsinn werfen,
nahm ich mir fest vor. Nachdem aber jeder außer mir die Handlung eben dieses Unsinns
zu kennen schien, bin ich in diesen Ferien schwach geworden.
Dankenswerterweise bietet der Piper-Verlag das Werk mittlerweile auch in einem halbwegs
neutralen Umschlag als Taschenbuch an. Und so vertiefte ich mich einen Tag lang in das Buch
mit dem halbwegs originellen deutschen Titel Bis(s) zum Morgengrauen. Meine Ehre versuchte
ich damit zu retten, dass ich das Werk nur aus der journalistischen Distanz heraus lesen würde.
Ohnehin darf man
Twili
ght
a
ls Junge eigentlich nicht lesen, ohne schief angesehen zu werden: Ich gehöre einfach nicht zur
Zielgruppe.
Langatmige, spannende Schmonzette
Die Story, die annähernd jedem Mädchen zwischen 10 und 20 ein Begriff sein dürfte, ist schnell
erzählt. Highschool-Mauerblümchen Isabella „Bella“ Swan entdeckt in neuem Heimatdorf den
geheimnisvollen Edward Cullen für sich. Der entpuppt sich unglücklicherweise als ewig jung
gebliebener Vampir aus dem vorletzten Jahrhundert. Buchstäblich ist er hin- und hergerissen
zwischen seinem Hunger auf menschliches Fleisch und dem Wunsch, Bella zur Freundin zu
haben. Bis zum vorhersehbaren Happy End wird diese bisweilen langatmige, aber doch
spannend bleibende Schmonzette auf insgesamt 511 Seiten ausgerollt.
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Geschrieben von: Theo Müller/Bilder: Piper-Verlag, Summit Entertainment/Concorde
Am Ende bleibt das schale Gefühl, billig, aber effektvoll unterhalten worden zu sein. Es gibt
reichlich überflüssige Sätze in diesem Buch. „Seit meinem letzten richtigen Mädchenabend war
reichlich Zeit vergangen, und der Östrogenausstoß regte meine Lebensgeister an“ ist nur das
offensichtlichste Beispiel für diverse stilistische Schwächen. Auch die deutsche Übersetzung
ruckelt ab und an („Wegen dem…“). Aber dennoch: Bis(s) zum Morgengrauen ist spannend,
wenn auch auf nicht sonderlich subtile Art und Weise.
Dankbare Identifikationsfiguren
Die Protagonisten Bella und Edward sind etwas lieblos aufpolierte Stereotypen. Sie werden
dadurch zu dankbaren Identifikationsfiguren. Wer kann nicht mitfiebern mit Bella, der
tollpatschigen Highschool-Gängerin, umschwärmt und gleichzeitig ohne echte Freunde in einer
neuen, unbekannten Umgebung?
Stephenie Meyers Kritiker haben in gewisser Weise Recht, wenn sie der Autorin vorwerfen, ein
überkommenes Rollenmodell zu pflegen. Ihre Hauptfigur erscheint als schutzbedürftiges, mit
seinem Leben streckenweise überfordertes Mädchen, errettet nur durch den omnipotenten
Märchenprinz Edward. Einen sonderlichen toughen, emanzipierten Eindruck macht Bella in
dieser Rolle natürlich nicht. Andererseits: Es handelt sich schließlich auch um eine
Liebesgeschichte – wer ist im Zustand völliger Verliebtheit schon sonderlich selbstbewusst?
Vorhersehbare Story
Bis(s) zum Morgengrauen ist eine sehr klassische Highschool-Lovestory. Meyers genialer,
wenn auch nicht einzigartiger Kunstgriff liegt darin, diesen an sich sehr biederen Stoff mit
Grusel- und Fantasyelementen zu verknüpfen.
Ähnlich kunstvoll gehen auch Meyers Agenten zu Werke, die die „Twilight“-Serie vermarkten.
Sie haben die Vampir-Geschichten zu einem globalen Phänomen gemacht. Ähnlich wie bei den
Harry-Potter-Büchern, mit denen die Reihe unverdienterweise häufig verglichen wird, ist die
Story nur der Mittelpunkt einer gigantischen Merchandising-Lawine. Sie profitiert von einer
scharf umrissenen Zielgruppe – kaufkräftigen, pubertierenden Mädchen mit Hang zur
Schwärmerei. Nicht umsonst bekannte Schauspieler und Edward-Mime Robert Pattinson
angeblich in einem Interview, er fühle sich wie ein „gehetztes Wiesel“.
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Geschrieben von: Theo Müller/Bilder: Piper-Verlag, Summit Entertainment/Concorde
Video: Concorde
Trailer zu „Bis(s) zur Mittagsstunde“
512 Seiten sind gelesen, das Buch liegt auf dem Schreibtisch. Werde ich die Fortsetzung
(„Bis(s) zur Mittagsstunde“) in Angriff nehmen? Wohl eher nicht. Die Geschichte ist mir zu
einfach gestrickt und vorhersehbar – aber zugegebenermaßen nicht unspannend. Vielleicht
sehe ich mir Teil 2 ja im Kino an, wenn er dort ab dem 26. November anläuft. Aber nur in einer
Spätvorstellung. Dann nämlich liegt die giggelnde Zielgruppe längst im Bett. (42/13.10.2009)
Theo Müller, Jg. 13, ist Redaktionsleiter des NGO-Onlinemagazins.
Und was meint ihr dazu?
Schreibt uns eure Meinung!
Stephenie Meyer
Bis(s) zum Morgengrauen (Originaltitel: Twilight)
Fantasy-Roman, 2007 (diese Ausgabe 2008)
512 Seiten (kartoniert) | 9,95 €
Piper Taschenbuch
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Eisige Mauerblümchen-Schmonzette
Geschrieben von: Theo Müller/Bilder: Piper-Verlag, Summit Entertainment/Concorde
ISBN 978-3-492-25149-5
Robert Pattinson, Kristen
Stewart in „Twilight“ (2009)
Bis(s) zum Morgengrauen (Originaltitel: Twilight) erschien bereits im Jahr 2006 in den
USA. Der Roman war die erste Veröffentlichung der US-Schriftstellerin Stephenie Meyer, die
als bekennende Mormonin in Arizona lebt. Auf
Twilight
folgten weitere fünf Vampirromane, die sich viele Millionen Mal verkauften. In vielen Ländern, so
auch zurzeit in Deutschland, rückten sie an der Spitze der
Bestseller-Listen
.
Twilight und die Fortsetzung New Moon wurden in Hollywood mit Kristen Stewart und Robert
Pattinson in den Hauptrollen verfilmt. New Moon kommt am 26. November in die deutschen
Kinos.
Kritiker werfen der Autorin vor, in ihren Werken ein veraltetes Rollenbild darzustellen.
Ausgehend von ihren religiösen Überzeugungen propagiere sie außerdem eine reaktionäre
Position zur vorehelichen Keuschheit. -tm Bild: Concorde Filmverleih
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Geschrieben von: Theo Müller/Bilder: Piper-Verlag, Summit Entertainment/Concorde
Zu diesem Thema im NGO-Onlinemagazin
-
Leidenschaftliche Teenie-Romanze – „Twilight“ läuft in deutschen Kinos an (19.01.2009)
- Wehmut nach mehr – „Bis(s) zum Abendrot“ erscheint auf Deutsch (15.03.2008)
- Empfehlung: Kräftig reinbeißen – „Bis(s) zum Ende der Nacht“ beherrscht
Bestseller-Listen (08.03.2009)
Weblinks zum Thema
-
www.stepheniemeyer.com – Internetseite der Autorin Stephenie Meyer
http://newmoon.twilight-filme.de/ – Internetseite zur kommenden Verfilmung „New Moon“
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