cult Ein Elefant im Wasserglas
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cult Ein Elefant im Wasserglas
musik cult Er will ja nur spielen Das Comeback von „Rude Dude“ Billy Idol e Trotzdem irgendwie frisch: Billy Idol. Foto: Label Ein widersprüchlicher Geist war Billy Idol schon in seinem Erfolgsjahrzehnt, den achtziger Jahren: der Brite in Amerika, der Punk unter Hardrockern, ein platinblonder Igel vor seiner Fangemeinde aus Langhaarigen. Er grinste und meinte es böse. Sein neues Werk DEVIL’S PLAYGROUND bleibt dieser Tradition treu, denn es ist etwas vom Besten und trotzdem irgendwie frisch. Nach einer zwölfjährigen Pause ohne reguläres Album – zuletzt erschien 1993 CYBERPUNK – muss sich der 50-Jährige den Vorwurf anhören, er erfinde das Rad nicht neu und klaue bei seinen eigenen Hits. Doch war er klug genug, die besten davon als Vorbild zu nehmen, und so ist es doch ein fröhliches Hallo, wenn das neue „Scream“ an das legendäre „Rebel Yell“ erinnert. Andere Songs auf D EVIL ’ S PLAYGROUND machen Vergnügen, weil sie so überraschend zeitgemäß sind. Schon der Einstieg „Super Overdrive“ ist ein wildes Stück Rock’n’Roll, das ein wenig auf der aktuellen Retro-Welle mitreiten würde – wenn nicht Idols impertinentes Geraunze den gewissen Unterschied zu machen wüsste. Die Zeit zum Staunen ist nur kurz, denn die College-Punk-Nummer „World Comin’ down“ hetzt hintendrein. Es ist auch der vermehrte Einsatz von Akustikgitarren, den man dem reumütig zurückgekehrten Bandmitglied Steve Stevens zu verdanken hat und der für den aktuellen Idol-Sound charakteristisch ist. Nach dem inflationären Einsatz von E-Drums in den 80ern mancher erschaudert beim Gedanken an „Flesh for fantasy“ - kehrt der Lederfetischist also zu seinen analogen Wurzeln zurück. Bei D EVIL’S P LAYGROUND liegt die Betonung eher auf verspielt als auf diabolisch, denn Wandlungsfähigkeit und Sinn für Abwechslung sind es, die Billy Idol mit seinem neuen Werk beweist. Wie der Teufel klingt das eigentlich nicht, eher wie der Spaß am musikalischen Ausprobieren. Mag Idol - der in den letzten Jahren so manchen Schicksalsschlag einzustecken und andere Schläge auszuteilen wusste – persönlich die Welt als teuflische Spielwiese erscheinen. Er präsentiert sich aber nicht als gebrochener, sondern als gutgelaunter Musiker, der genug Augenzwinkern für eine Countrynummer wie „Lady do or die“ aufbringt, genug raue Energie für das jagende „Body Snatcher“ und überhaupt genug Rock’n’Roll für dieses ansehnliche Comeback . Petra Schönhöfer Billy Idol: DEVIL’S PLAYGROUND, Sanctuary Records, 2005. Ein Elefant im Wasserglas d The White Stripes und ihr fünftes Album GET BEHIND ME SATAN Die Spannung ist groß, weil man so wenig erwarten kann. Werden sie es schaffen aus dem Wenigen, das sie sich noch gelassen haben, wieder die übliche Magie zu kreieren? Werden sie die engen Grenzen maximal ausnutzen und irgendwie den Elefanten in ein Wasserglas zwängen? Die White Stripes sind Oberreduktionisten und haben sich einen geradezu gewaltsamen Minimalismus auferlegt. Man weiß nicht, ob sie es getan haben, aber man könnte es sich gut vorstellen, dass sie ein Dogma für ihre Musik aufgeschrieben haben und bisher noch keine Freunde gefunden haben, die bedingungslos mitmachen. Das könnte Sätze wie diese enthalten: Du sollst zu zweit sein beim Musizieren; du sollst zwei Wochen damit verbringen, die neue Platte zu komponieren und aufzunehmen, sonst gilt sie nicht. Zwei Jahre haben Meg und Jack White sich Zeit gelassen, bevor sie sich zwei Wochen dem neuen Album widmeten. Und es gibt eigentlich keinen Grund anzunehmen, dass dieses fünfte mit der Tradition brechen würde, seinen Vorgänger komplett zu ersetzen. Denn das Schöne an jeder neuen White Stripes war, dass sie von jedem Song der zuvor erschienenen Platte ein Update lieferte, weshalb man die alte nie mehr auch nur eine Sekunde hören musste. Seite 26 Zunächst klingt allerdings GET BEHIND ME SATAN nach musikalischer Erweiterung: viel mehr Klavier als früher, die elektrische Gitarre bei Liedern wie „The Nurse“ nur noch als Lärmverstärker. Slide-Gitarren tauchen auf, manche akustischen Nummern müssen fürs Lagerfeuer nicht mehr umarrangiert werden. Einige Stücke sind nahezu schön. Da ist nach außen hin was passiert, aber das Herz wurde nicht verraten. Wenn die White Stripes jetzt auch weniger Hardrocker sind, als sie es schon mal waren, haben sie ihre Haltung dennoch bewahrt: Alles wird angerissen, viel zitiert, aber richtig Einlassen auf irgendwas ist verboten. Was daraus resultiert, ist eine Variante von Alsob-Pop, die durch ihre Unverbindlichkeit die Türen zum Hochfeuilleton aufstößt. Man muss, um die White Stripes gut zu finden und damit glaubwürdig zu sein, keine Kutten mit Aufnähern anziehen und Dosenbier über den Vollbart sudeln, man muss sich auch nicht Blumen ins Haar stecken und hat doch eine vollwertige Portion Folk im Haus. Man kann Bein wippend in seiner Schreibstube sitzen und hat vor sich mehrere musikalische Universen in einer dreiviertel Stunde ausgebreitet. Das ist nichts Negatives, das ist ein konsequenter Schritt in der Evolution, dass ursprünglich ausschließlich emotional erfahrbare Bereiche nicht durch Anhebung des Niveaus, sondern durch größere innere Distanz zum Objekt des Genusses intellektuell erschlossen werden. Die White Stripes bleiben als Prinzip trotzdem sympathisch, sie haben etwas ungeheuer Aufbauendes in ihrem radikal ausgestellten Dilettantismus. Jeder kann das, was die da machen. Rissen jetzt auf einmal alle Stricke im eigenen Leben, man könnte sich immer noch mit dem besten Kumpel zusammentun zu einer Band und die Welt erobern mit seiner ausgefeilten Schlichtheit. Auch jetzt schon ist kaum ein Grad größerer Geborgenheit vorstellbar: Zu zweit musizieren, Freunde sein, Bier saufen, abhängen, über vieles reden, Geheimnisse haben vor der Welt, sich inszenieren, alles teilen, Mythen erfinden und erfinden lassen – die White Stripes können nicht enttäuschen, das gibt ihr Konzept nicht her, das ist wahrscheinlich das Geniale daran; sie können auf der anderen Seite aber auch nicht Fan-Massen in Ekstase verwandeln. Sie sind in der Rockmusik der Schuss Mystizismus, den sich die katholische Kirche aus den Naturreligionen konserviert hat und der heutzutage ausschließlich die alten Weiber in Verzückung versetzt und die Aufgeklärten lediglich amüsiert. Willibald Spatz The White Stripes: GET BEHIND ME SATAN, XI/Beggars (Indigo), 2005. Meg und Jack White machen Musik zum Beinwippen und erobern Universen. Foto: Label