Einführung in die Linguistik Butt / Eulitz / Wiemer Semantik I
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Einführung in die Linguistik Butt / Eulitz / Wiemer Semantik I
Einführung in die Linguistik Butt / Eulitz / Wiemer Semantik I Semantik Die Semantik ist die Theorie der sprachlichen Bedeutung. Im Detail geht es um: • Ambiguitäten (lexikalische und strukturelle) • Beziehungen zwischen Wörtern (z.B. Synonymie) • Satzbedeutung — Ermittlung von Wahrheitswerten (ist ein Satz wahr?) — Identifikation von Referenten in der Welt — Diskursverständnis Semantik Guter Text: Semantik: Eine Einführung von Sebastian Löbner N.B. Ein grosser Teil des Materials auf diesen Folien geht zurück auf die Skripte von Wilhelm Geuder (Einf. in die Ling. 2001), Ingrid Kaufmann und Barbara Stiebels. Ambiguität Eine Ambiguität liegt vor, wenn ein Satz oder ein Wort mehrdeutig ist. Mehrdeutigkeiten können auf verschiedene Weisen entstehen. • Auf der Ebene des Wortes (lexikalische Ambiguität) • Auf der Ebene des Wortes in Zusammenspiel damit, was in der Syntax für Zusammensetzungen möglich sind. • Auf der Ebene der syntaktischen Zusammensetzung (es muss keine in sich ambigen Worte geben). Lexikalische Ambiguität Eine Ambiguität liegt vor, wenn ein Satz oder ein Wort mehrdeutig ist. setzte sich, und genoss das Panorama. Sie spazierte zur Bank Platz zum Sitzen und hob 100 Euro ab. Geldinstitut Ewas schauspielerisch darstellen Sie spielte ein Klavier. Musik produzieren und wurde für die gute Darstellung eines unbelebten Objekts hoch gelobt. und wurde für die gelungene Musik gelobt. Eine Ambiguität kann oft erst durch weitere Informationen im Kontext aufgelöst werden. Lexikalische Ambiguität Ein Wort, das mehrdeutig ist, ist polysem. Polysemie: Ausdruck mit verschiedenen Bedeutungen, die alle auf eine Grundbedeutung zurückgeführt werden können (etymologisch gleiche Wurzel). Weitere Beispiele: Ton: 1) Musik (falscher Ton, hoher Ton) 2) Redeweise (ungehöriger Ton) 3) Linguistik (Ton/Akzent auf Silben) 4) Farbe (kräftiger Ton) Horn: 1) Teil von Tieren (spitze, gebogene Hörner) 2) Material (Brille aus Horn) 3) Musik (Hörner im Orchester) Lexikalische Ambiguität Ambiguität kann aber auch durch Homonyme entstehen. Homonyme sind Wörter, die zwar verschieden sind, aber gleich ausgesprochen werden (Homophone) oder gleich geschrieben werden (Homographe). Homophone von “to grind” “How is bread made?” “I know that!” Alice cried eagerly. “You take some flour—” “Where do you pick the flower?” the White Queen asked. “In a garden, or in the hedges?” “Well it isn’t picked at all,” Alice explained: “it’s ground—” “How many acres of ground?” said the White Queen. mit Deutsch “Grund” verwandt Homographe Alice in Wonderland, Lewis Carroll Lexikalische Ambiguität Homonymie: formgleiche, nichtverwandte (nicht etymologisch verwandt) Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung. Weitere Beispiele: Homophonie: Mohr/Moor Homographie: Ténor/Tenór Um zu entscheiden, ob Wörter polysem oder homonyn sind, muss man die etymologische Geschichte der Wörter kennen (aber das ist kein muttersprachliches Wissen, also ist diese Unterscheidung keine sehr natürliche). Beispiel: Schloß (auf dem Berg, zum Wohnen) vs. Schloß (an der Tür zum Abschließen) ? Lexikalische/Strukturelle Ambiguität Warum sind solche Sätze ambig? Visiting relatives can be dangerous. A V N Modal V A Fruit flies like a banana. N N V A V P N Einzelne Worte sind mehrdeutig, weil sie verschiedenen Wortarten zugeordnet werden können. Lexikalische/Strukturelle Ambiguität Weiterhin ist die Struktur des Englischen so, dass beide möglichen Wortarten gut in eine mögliche syntaktische Struktur passen. NB: detailiertere Analysen (mit IP relatives ist der Kopf, visiting ein Adjunkt Bewegung, etc.) finden Sie in der Datei sem-trees.pdf. I’ VP V’ NP AP I A N Modal V A Visiting relatives can be dangerous Lexikalische/Strukturelle Ambiguität visiting ist der Kopf, relatives das Komplement (Argument) IP I’ VP VP V’ V’ NP AP I V N Modal V A Visiting relatives can be dangerous Strukturelle Ambiguität Man muss aber nicht unbedingt mehrdeutige Wörter haben, um ambige Sätze zu erzeugen. Shankar sah den Affen mit dem Fernrohr. Frage: Wer hat das Fernrohr? 1. Möglichkeit (Lesart): der Affe hat das Fernrohr. 2. Möglichkeit (Lesart): Shankar hat das Fernrohr. Hier handelt es sich um eine rein strukturelle Ambiguität, denn die 2 Lesarten kommen durch 2 verschiedene syntaktische Analysemöglichkeiten zustande. Strukturelle Ambiguität 1. Lesart: der Affe hat das Fernrohr IP I’ VP V’ DP NP I [+Past] V N Shankar sah PP ist Adjunkt von DP PP D N P D den Affen mit dem N Fernrohr Strukturelle Ambiguität 2. Lesart: Shankar hat das Fernrohr IP PP ist Adjunkt von VP (das Sehen passiert mit dem Fernrohr) I’ VP V’ DP NP I [+Past] V N Shankar sah PP D N P D den Affen mit dem N Fernrohr Strukturelle Ambiguität Die strukturelle Ambiguität mit PPs ist allgemein als “PPattachment” bekannt. Sie stellt ein riesiges Problem für die Computerlinguistik dar, da man im Prinzip unendliche viele PPs als Adjunkte haben kann, und jede weitere PP die Ambiguität um einen Faktor von 2 erhöht. Shankar sah den Affen mit dem Fernrohr. 2 Lesarten Shankar sah den Affen mit dem Fernrohr auf der Mauer. 4 Lesarten Shankar sah den Affen mit dem Fernrohr auf der Mauer vor dem Fenster. 8 Lesarten ... Strukturelle Ambiguität Strukturelle Ambiguitäten bereiten auch Schwierigkeiten für das menschliche Verarbeiten von Sätzen (parsing). Ein bekanntes Beispiel: The horse raced past the barn fell. The horse ridden past the barn fell. “raced” kann intransitiv oder transitiv (Partizip) sein, “ridden” nur transitiv Dies sind sogenannte “garden path” Sätze. Deutsches Beispiel (aber hier setzen wir meist Komma, oder haben eine desambiguierende Intonation): Stefan versucht das Rennen aufzugeben zögerte. Parsing Probleme Trotz eindeutiger Strukturen sind manche Sätze schwer zu verarbeiten. Relativsätze sind ja bekannterweise (siehe Brandner Folien) rekursiv und somit infinit lang zu gebrauchen. The man the girl likes is here. ? The man the girl the boy knows likes is here. Derjenige, der denjenigen, der das getan hat, anzeigt, erhält eine Belohnung. ? Derjenige, der denjenigen, der das Schild, das an der Straße, die nach Weimar führt, stand, umgeworfen hat, anzeigt, erhält eine Belohnung. Obwohl die Relationen immer lokal sind (siehe Brandner Folien), hat der Mensch trotzdem große Verarbeitungschwierigkeiten. Metaphern Die Bezeichnung “garden path” beim Parsing kommt von “to lead somebody down the garden path” und bedeutet “jemanden irreführen”. Diese Art von semantischer Bedeutung hat sehr wenig mit den Details der syntaktischen Struktur zu tun, stellt aber auch ein Art von Ambiguität dar. Bei Metaphern gibt es immer eine wörtliche und eine übertragene Interpretation (bildhafter Vergleich, Ähnlichkeitsbeziehung). John is a snake in the grass. Wörtlich: John ist eine Schlange, die sich gerade im Grass befindet. Metaphorisch: John ist nicht zu trauen. Abweichung von wörtlicher Bedeutung Der bildhafte Vergleich (übertragene Interpretation) stellt eine Abweichung von der wörtlichen Bedeutung dar. Du bist ein Elefant im Porzellanladen. Wörtlich: Du bist ein Elefant, der gerade in einem Porzellanladen ist. Metaphorisch: Du bist extrem ungeschickt. Abweichung von wörtlicher Bedeutung Metonymie ist eine Begriffsübertragung, die voraussetzt, dass ein semantischer Zusammenhang zwischen den tatsächlichen Referenten und dem gewählten Ausdruck besteht. Das Jägerschnitzel am Ecktisch hat noch nicht bezahlt. Tatsächlicher Referent: Mensch im Restaurant Ich liebe Goethe. Gewählter Ausdruck: Das Ding, das der Mensch gegessen hat. Gewählter Ausdruck: Der Author der Werke (Goethe, der Mensch). Tatsächlicher Referent: Goethes Werke Komm, lass uns noch ein Glas trinken. Tatsäch. Ref.: Inhalt des Glases Gewählter Ausdruck: Objekt, das den Inhalt enthählt. Idiome “Eingefrorene” Ausdrücke mit einer bestimmten Bedeutung, die aber nicht unbedingt zugänglich ist (man muss sie auswendig lernen). Du bist ins Fettnäpfchen getreten. Er hat was auf dem Kerbholz. Was ist überhaupt ein Fettnäpfchen? Oder ein Kerbholz?