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Lösung Einführung in die Sprachwissenschaft 2004/2005 PROBEKLAUSUR A. Phonetik und Phonologie 1) Schreiben Sie die folgenden sechs Wörter in normaler orthographischer Schreibweise: (Beispiel: [brIN] bring) a) [nas´] nasse b) [zINk´n] sinken c) [brYç´] Brüche d) [Stat] Stadt/statt e) [kOnzåvati…f] konservativ f) [zYntaks] Syntax 2) Im Deutschen gibt es die sogenannte ‘Auslautverhärtung’ (final devoicing) bei der finale Obstruenten stimmlos ausgesprochen werden: 2a) Kreuzen Sie an, welche der fünf Regeln (rules), die hier stehen, diesen Prozess beschreibt: x Möglichkeit 1: C -> C / _# | | [obstruent] [-voice] 2b) Die sogenannte Ableitung (derivation), die zeigt wie diese Regel arbeitet, sieht so aus: Input: r Regel: Output: r a: a: d t t Kreuzen Sie an, was richtig ist (es sind mehrere Kreuze möglich): O O x O x O x Die Ableitung ist falsch herum dargestellt, d.h. Input und Output sind vertauscht. Der Input ist die Oberflächenform (surface form) Der Input ist die Tiefenstruktur (underlying structure) Der Output wird normalerweise in schräge Klammern gesetzt (also / ra:t / ) Der Output wird normalerweise in eckige Klammern gesetzt (also [ ra:t ] ) Weder Input noch Output haben etwas mit Tiefenstruktur und Oberflächenform zu tun. Die Phonologie beschäftigt sich mit der Tiefenstruktur -1- 2c) Beim Sprechen werden manchmal Laute weggelassen, was in der Dichtung mit einem Apostroph angedeutet wird (z.B. “Sah ein Knab’ ein Röslein steh’n”). Lässt man bei dem Wort “Hase” ( [ha…z´] ) den letzten Laut weg, dann wird es “ Has’ ” geschrieben. Wie wird dieses Wort im Deutschen ausgesprochen (ankreuzen): x ha…s 3) Bestimmen Sie Onset, Nukleus, Rhyme und Coda für die folgenden drei Wörter (vergessen Sie nicht, dass Sie von den Lauten ausgehen müssen): O 3a) [ m N 3c) [ U σ σ σ R R R N a: C k t] 3b) [S σ σ σ R R R O N O t E t C O N O N C m g e: b U N ] N ´] 4) In einer Sprache der Zorks gelten folgende Betonungsregeln: Extrametrikalität: letzte Coda Silbenbildung: Onset-maximierung und Sonoritätshierarchie werden befolgt ([r] ist ein Approximant) Silbengewicht: geschlossene Silben und Silben mit langen Vokalen oder Diphthongen sind schwer, alle anderen leicht Parse-Richtung: von rechts-nach-links Fuß-Typ: Jambus (• x) End-Regel: links Parsen sie mit diesen Angaben das folgende Wort und bestimmen Sie so die Betonte Silbe: a) Zerlegen in Silben (sie brauchen Onset, Nukleaus, Rhyme und Coda nicht gesondert markieren zeichen Sie nur Linien, welche Laute zu einer Silbe gehören) b) bestimmen des Silbengewichts ( leicht σ* oder schwer σ@ ) -2- c) Bilden der Füße d) Anwenden der Endregel Betonung Hier! ( x ) σ@ (x) σ@ (x) σ@ σ* [ U l t r a… S t a r k ´ k -3- (x) σ@ σ* l a•U z U r ] B. Morphologie und Syntax Identifizieren Sie in den folgenden Sätzen jeweils die Kategorie der Wörter, die in den Sätzen vorkommen. Geben Sie für die unterstrichenen Wörter zudem an, welche grammatischen Merkmale sie aufweisen (im jeweiligen syntaktischen Kontext). 5a) (4) a. DerD DozentN hatV inP Vorlesungen: b. VorlesungenN oftAdv gehustetV. N, Dativ, Plural, Femininum. ErN mussteV dieseD verflixteA AufgabeN jaPrt lösenV. musste: V, Indikativ, Aktiv, Präteritum, 3.Person, Singular 5b) Zerlegen Sie das folgende Wort in seine Morphembestandteile. Welche Morpheme sind frei, welche sind gebunden? (5) Entdeckungsreise: Ent- gebunden Morphem deck- urspr. frei (nicht mehr transparent) -ung- gebundenes Morphem -s- Fugenelement/morphem (gebunden) reise freies Morphem 5c) Die unterstrichenen Wörter im folgenden Satz können eine Konstituente bilden oder nicht. Daraus ergeben sich zwei Lesarten: ‘Gestern hat er den Mann, der das Fernrohr (bei sich) hatte, gesehen.’ ‘Gestern hat er mit Hilfe des Fernrohrs den Mann gesehen.’ Zeigen Sie mit zwei Konstituententests (Pronominalisierungstest, Umstellungstest) wie Sie diese beiden Lesarten unterscheiden können. (6) Gestern hat er den Mann mit dem Fernrohr gesehen. Die Bedeutung des Satzes verändert sich, je nachdem, ob der Mann mit dem Fernrohr eine Konstituente ist oder nicht (Kompositionalität). Der Umstellungstest: [Den Mann mit dem Fernrohr] hat er gestern gesehen. (eine Konstituente) [Den Mann] hat er gestern [mit dem Fernrohr] gesehen. (zwei Konstituenten) bzw.: [Mit dem Fernrohr] hat er gestern [den] Mann gesehen Der Pronominalisierungstest: Gestern hat er ihn gesehen. (ihn = den Mann mit dem Fernrohr) Gestern hat er ihn mit dem Fernrohr gesehen. (ihn = den Mann) Die beiden Tests können auch kombiniert werden: Ihn hat er gestern gesehen. (ihn = den Mann mit dem Fernrohr) -4- Ihn hat er gestern mit dem Fernrohr gesehen. (ihn = den Mann) 6a) Geben Sie für die komplexen Wörter in (7) jeweils an, durch welche Wortbildungsoperation (Komposition der Form X-X, Derivation, Konversion) sie gebildet worden sind und welches Element der Kopf des komplexen Worts ist. (7) Operation Kopf a. Probeklausur Komposition (N+N) Klausur (N) b. Beginn Konversion [N ∅] (ein leeres N) c. haftbar Derivation -bar (A-Affix) 6b) Analysieren Sie das komplexe Wort in (8) (via Klammerstruktur oder Baum) und identifizieren Sie den Kopf der Bildung. (8) Zuckerwürfelpackung: Die beiden Stämme/Wurzeln Zucker (N) und Würfel (N) werden durch N+N-Komposition zum komplexen Nomen Zuckerwürfel kombiniert. –ung ist ein Affix, das einen Verbstamm nimmt und zu einem Nomen macht. pack- ist also ein verbaler Stamm (V), der durch Derivation mit –ung zum Nomen Packung wird. Die Komposition der beiden komplexen Nomen Zuckerwürfel und Packung ergibt das komplexe Nomen Zuckerwürfelpackung, der Kopf der Bildung ist Packung (vgl.: die Packung, der Zuckerwürfel), letzten Endes das Affix –ung. N N N N Zucker N V Naf würfel pack- -ung 7a) Die folgenden Beispiele sind im Rahmen des Stellungsfeldermodells falsch analysiert. Setzen Sie in die jeweils folgende Zeile die korrekte Analyse ein. (9) a. b. Vorfeld weil LK Mittelfeld ihm Hugo zu glauben RK schien weil ihm Hugo Frieda fing an die Uni zu glauben schien zu hassen Frieda fing an -5- Nachfeld die Uni zu hassen hassen 7b) Analysieren Sie den folgenden Satz (vollständig!) im Rahmen des topologischen Modells. (Abhängige Sätze werden zunächst in ihrer Position im Matrixsatz analysiert und dann als eigene Struktur). (10) Wer hat den Mann gesehen, der gestern mein Auto gestohlen hat? Vorfeld Wer LK hat der Mittelfeld den Mann RK gesehen gestern mein Auto gestohlen hat Nachfeld der gestern mein Auto gestohlen hat Anm.: Das Relativpronomen der stand in der ursprünglichen Lösung inkorrekterweise in der linken Klammer. 8a) Geben Sie für die Phrase in (11) die Struktur an. Welcher Ausdruck ist der Kopf der gesamten Phrase? (11) der Entdecker der Relativitätstheorie Die Kategorien sind sehr einfach: der ist jeweils ein Determinierer (D), Entdecker und Relativitätstheorie sind Nomen (N). Wir haben die DPs [DP [D der] [NP Entdecker]] und [DP [D der] [NP Relativitätstheorie]]. Wie hängen diese DPs zusammen? Die DP der Relativitätstheorie ist Genitiv-Objekt zu Entdecker, strukturell also Komplement zu N Entdecker. Der Kopf der gesamten Konstituente ist der Determiner der zur definiten NP der Entdecker. (11) der Entdecker der Relativitätstheorie DP D Der NP N Entdecker DP D NP der Relativitätstheorie 8b) Der V2-Satz in (12a) kann im Rahmen der Baumstruktur in (12b) analysiert werden. Tragen Sie die Ausdrücke gemäß ihrer Konstituentenstruktur in ihre Basispositionen (in VP) ein und chrakterisieren Sie kurz die Verschiebungen, die zur Ableitung des V2-Satzes notwendig sind. -6- (12) a. b. Welche alten Bücher liest der Professor? CP SpecC C’ C VP DP V’ D NP DP der Professor D NP welche AP alten VF LK MF V liest NP Bücher RK Der lexikalische Aufbau des Satzes ist einfach: der Professor ist die Subjekt-DP, welche alten Bücher ist die Objekt-DP, liest ist das finite Verb. V2-Sätze sind abgeleitete Strukturen, die durch Verschiebung des finiten Verbs in die Zweitposition (im topologischen Modell: die linke (Satz-) Klammer LK) und die Besetzung der Position davor (im topologischen Modell: das Vorfeld VF) durch eine (fast beliebige Konstituente zu Stande kommen. Strukturell entspricht der linken Klammer die Kopfposition der Satzkategorie, bei uns: C, dem Vorfeld die Spezifikator-Position von der Kategorie C (= SpecC). Zur Verdeutlichung der Entsprechungen steht oben das topologische Modell unter den entsprechenden strukturellen Positionen. Der Satz in (12a) ist ein wh-Interrogativsatz mit V2-Stellung: • Wie in jedem V2-Satz wird das finite Verb (hier: liest) in die Kopfposition der Satzkategorie C (in die linke Klammerposition) verschoben. • In wh-Interrogativsätzen muss eine Konstituente, die einen wh-Ausdruck enthält, nach SpecC (ins Vorfeld) verschoben werden: welche ist der wh-Ausdruck, die verschobene Konstituente ist welche alten Bücher. Strukturell ist das finite Verb ein Kopf und kann nur in eine Kopfposition (hier: den Kopf von C, die linke Klammer) verschoben werden. welche alten Bücher ist eine komplette Phrase, und kann nur in eine phrasale Position (hier: SpecC, das Vorfeld). -7- C. Semantik und Pragmatik 9) In welcher logischen Beziehung stehen lexikalische Konversen wie kaufen—verkaufen? Begründen Sie Ihre Antwort so kurz wie möglich! • kontradiktorisch • Begründung: Lexikalische Konversen treten paarweise auf, eine dritte Option der Darstellung der denotierten Situation wird nicht lexikalisiert. (Deshalb z.B. keine konträre Beziehung.) 10) Bestimmen Sie für die folgenden Gruppierungen von Ausdrücken jeweils, ob sie sich am besten taxonomisch, meronymisch oder in Form von Wortfeldern ordnen lassen. Begründen Sie Ihre Entscheidung stichwortartig mithilfe eines entscheidenden Kriteriums, welches diese drei Arten lexikalischer Oppositionen unterscheidet! (a) Haus, Ziegelstein, Schornstein, Erdgeschoß, Fenster • • (b) Wolkenkratzer, Hütte, Iglu, Haus, Gebäude, Bauwerk, Zelt • • (c) taxonomisch Beziehung zwischen Merkmalen, Art-Gattung-Relation Sprache, Rede, Schrift, Literatur, Zunge, Stimmbänder, Schreibfeder, Tinte • • 11) meronymisch reale Teil-Ganzes-Beziehung Wortfeld „Kommunikation“ (o.ä.) Man kann einen Oberbegriff finden, aber es gibt keine Subordinations- oder Teil-Ganzes-Beziehungen. Welche der Konversationsmaximen wird systematisch verletzt, wenn man höflich, das heißt indirekt eine Bitte formuliert? Vergleichen Sie zum Beispiel: Würde es Ihnen etwas ausmachen, woanders zu rauchen? Haben Sie schon bemerkt, dass Sie seit 3 Minuten auf meinem Fuß stehen? • Quantitätsmaxime (genauer: Untermaxime (i)) -8- 12) Bestimmen Sie in dem folgenden kurzen Text den referenziellen Status der unterstrichenen Nominal- bzw. Präpositionalphrasen und begründen Sie so kurz wie möglich, warum sie entweder definit oder indefinit sind. Ein Gutsbesitzer traf einen Mann und ging mit ihm an das Ufer des naheliegenden Sees. Das Schilf war hochgewachsen, so dass man das andere Ufer nicht sehen konnte. Der Gutsbesitzer wies auf die Weide und sagte: „Sehen Sie den grau gescheckten Hengst dort?“ Dabei nickte er in die entsprechende Richtung. Der andere Mann fragte: „Ja, aber wo ist das schwarze Pferd? Ich würde es gerne einmal reiten.“ Der Gutsbesitzer schüttelte den Kopf und antwortete, dass das schwarze Pferd leider über Nacht krank geworden sei. Damit war die Unterhaltung beendet und die beiden Männer gingen zurück. • ein Gutsbesitzer: spezifisch; indefinit, weil diese NP den Referenten zum ersten Mal erwähnt. • mit ihm: spezifisch; definit, weil es anaphorisch auf ein Gutsbesitzer verweist. • an das Ufer: spezifisch; definit, weil der Referent dieser PP in einer metonymischen Beziehung zum Referenten der NP des naheliegenden Sees steht (zu welcher die PP ein Attribut darstellt). • den grau gescheckten Hengst: spezifisch; definit wegen deiktischer Referenz. • das schwarze Pferd (1. Erwähnung): spezifisch; definit aufgrund von deixis ad phantasma. • das schwarze Pferd (2. Erwähnung): spezifisch; definit wegen anaphorischen Bezugs auf die Ersterwähnung. • die Unterhaltung: spezifisch; definit durch Bezug auf die Äußerungen (frame-artig begründete Definitheit) -9- D. Psycholinguistik und Computerlinguistik 13a) Erläutern Sie in ca. zwei bis drei Sätzen den Unterschied zwischen Fixationen und Sakkaden beim Lesen. Lösung: Bei einer Fixation verweilt das Auge auf einer Textstelle; hierbei findet die Informationsaufnahme statt. Sakkaden dienen dem Bewegen des Auges über den Text hinweg. 13b) Im Experiment von van Orden (1987) wurden Worttripel wie beispielsweise "meet", "meat" und "melt" mittels einer lexikalischen Kategorisierungsaufgabe untersucht. Nennen Sie eine mögliche Kategorie für das angegebene Worttripel und das wichtigste Ergebnis der Studie von Van Orden. Lösung: mögliche Kategorien sind: "etwas zu essen" oder "Aktivitäten, die mehrere Personen involviert" ; das wichtigste Ergebnis ist, dass Homophone häufiger falsch kategorisiert werden als Nicht-Homophone (Heterophone) . 14a) Paraphrasieren Sie die beiden Lesarten für den folgenden ambigen Satz: (1) Wir haben Peter Max vorgezogen Lösung: Paraphrase 1: Wir haben dem Peter den Max vorgezogen. Paraphrase 2: Wir haben den Peter dem Max vorgezogen. (oder zwei andere Paraphrasen, aus denen eindeutig hervorgeht, wer wem vorgestellt wurde) 14b) Formulieren Sie diesen Satz in einen Passivsatz um und bestimmen Sie, ob der Satz immer noch ambig ist. Lösung: Peter wurde Max vorgezogen, ja, immer noch ambig 15a) Erläutern Sie anhand des Beispiels in Aufgabe 14 die Begriffe "serielles Parsing" und "paralleles Parsing. Lösung: Beim seriellen Parsing wird immer nur eine syntaktische Struktur berechnet, auch wenn der Input mit mehr als einer Struktur kompatibel ist. Für Satz (1) also entweder die Struktur, in der Peter Akkusativ- und Max Dativobjekt ist, oder aber die - 10 - Struktur, in der Peter Dativ- und Max Akkusativobjekt ist. Beim parallelen Parsen werden dagegen beide Strukturen gleichzeitig berechnet. 15b) Erläutern Sie anhand eines selbstgewählten Beispiels, was ein Garden-Path-Satz ist. Lösung: Wenn man einen Garden-Path-Satz wie "The horse raced past the barn fell" liest, entscheidet man sich zunächst für die Lesart, in der raced ein Vollverb ist. Dies ist mit dem letzten Wort nicht kompatibel. An dieser Stelle muss reanalisiert werden: raced past the barn muss nachträglich als reduzierter Relativsatz analysiert werden. 16a) Erklären Sie, was man in der Spracherwerbsforschung unter den beiden Begriffen "positive Evidenz" und "negative Evidenz" versteht. Schreiben Sie pro Begriff ein oder zwei Sätze Lösung: "positive Evidenz": Das, was das Kind in seiner Umgebung hört. "negative Evidenz": Information über die Ungrammatikalität von Sätzen. 16b) Erläutern sie in zwei oder drei Sätzen, welche Rolle die unter (16a) genannten Begriffe für das logische Problem des Spracherwerbs spielen. Lösung: Der Spracherwerb muss sich ausschließlich auf positive Evidenz stützen, da negative Evidenz, wenn überhaupt, nur unzuverlässig vorkommt. Dies wirft die Frage auf, wie unter solchen Bedingungen ein so komplexes Gebilde wie die natürliche Sprach erworben werden kann - 11 -