Liebe Gemeinde, „ich bin dann mal weg“ – vielleicht kennen Sie den

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Liebe Gemeinde, „ich bin dann mal weg“ – vielleicht kennen Sie den
Liebe Gemeinde,
„ich bin dann mal weg“ – vielleicht kennen Sie den Buchtitel von Hape
Kerkeling. Das Buch handelt vom Pilgern auf dem Jakobsweg und hatte großen
Erfolg. Erst vor kurzem lief die Verfilmung in den Kinos. Kerkeling verlässt sein
gewohntes Umfeld und verabschiedet sich so: „Ich bin dann mal weg“.
Tut das Jesus auch? Heute ist Himmelfahrt. Jesus verabschiedet sich von
seinem Leben auf der Erde und kehrt in eine andere Welt zurück. Die
Erzählungen davon sind recht knapp. Grade mal drei Verse nimmt die
Schilderung im Lukasevangelium ein, die ich nachher noch vorlesen werde.
Himmelfahrt – der Tag, an dem Jesus sagt: „ich bin dann mal weg“?
Jedenfalls scheint Himmelfahrt ein Tag der Trennung zu sein. Jesus verlässt die
Erde, verlässt unser bodenständiges, geschöpfliches Leben. Er geht. Es geht
etwas zu Ende, nämlich der unmittelbare Kontakt zwischen Gott und Mensch.
Die Zeit des Abschieds ist gekommen. Im Kirchenjahr merken wir das auch: die
Osterfestzeit geht zu Ende. Zum letzten Mal klingt ein Lied nach Ostern, nach
„Christ ist erstanden“, aber der Text hat sich schon verändert (EG 120). Wenn
Jesus geht, dann passiert etwas Endgültiges. Himmel und Erde – weit
voneinander entfernt. Gott da oben, wir hier unten auf der Erde.
Zurückgeworfen auf unser alltägliches, pragmatisches Leben mit seinen großen
und kleinen Problemen und Sorgen, Aufgaben und Vergnügungen. Himmelfahrt
– ein Tag der Trennung.
Dass Gott „weg“ ist, das trifft die Erfahrung vieler Zeitgenossen und oft genug
auch unsere eigene. Von der Entzauberung der Welt hat Anfang des 20.Jh. Max
Weber gesprochen. Die Welt ist die Welt, ganz profan, dahinter verbergen sich
keine geheimnisvollen Dämonen, keine Geister im Nebel über dem Fluss und
keine Götter verwandelt in Tieren. Keine Magie mehr, kein Zauber. Eine solche
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Hinterwelt gibt es nicht. Gott ist gegangen. Viele Philosophen und Theologen
haben im letzten Jahrhundert diese Vorstellung aufgegriffen, weil sie dem
entsprachen, was sie gefühlt und wahrgenommen haben. Wir leben in der
Welt, als ob es Gott nicht gäbe, sagte Bonhoeffer. Und kommen damit gut
zurecht. Dorothee Sölle hat gesagt, Gott ist verreist. Dass Gott abwesend zu
sein scheint, trifft das Empfinden vieler Menschen in der Moderne. Entzaubert
ist die Welt.
Auch Christinnen und Christen machen die Erfahrung der Ferne Gottes. In
großen persönlichen Krisen oder mit Blick auf die Krisen in der Welt. Oder
einfach dadurch, dass Gottes Ferne oder Nähe gar nicht relevant zu sein
scheint.
Zugleich aber sind Sie und ich ja heute hierhergekommen. Sie als Gemeinde, Sie
verstehen sich als Christinnen und Christen und Sie tun das bewusst. Und ich
unterstelle: Weil Sie – und auch ich – Erfahrungen der Nähe Gottes gemacht
haben. Eine Taufe, wie wir sie heute gefeiert haben, bringt diese Nähe und
dieses bewusste Ja zum Christsein zum Ausdruck. Gott ist nah. Einige von
unseren Konfirmandinnen und Konfirmanden erzählen noch heute mit
leuchtenden Augen vom Konfi-Camp in Italien. Wenn das Meer in der Sonne
glitzert, der Sand unter den Füßen knirscht, ich mich aufgehoben fühle bei den
anderen, ein Lied zur Gitarre singe, das ich schon auswendig kann, und dann
sehe, wie ein Freund im Meer getauft wird - dann ist da doch ein Stück Zauber
in meinem Leben.
Manchmal scheint Gott nah, manchmal fern. Diese Spannung scheint mir der
Knackpunkt heute zu sein. Als Christen leben wir in diesem Spalt. Wir leben
ausgestreckt zwischen Himmel und Erde. Mit beiden Beinen fest auf dem
Boden, mit dem Blick nach oben, ausgestreckt in den Himmel. Wir erheben die
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Herzen in die Höhe, wenn wir Abendmahl feiern. Vielleicht sind es auch
manchmal die Hände, die wir gen Himmel strecken. Das ist unsere
Körperhaltung, das ist unsere Lage – ausgespannt zwischen Himmel und Erde.
Himmelfahrt macht uns das bewusst, auch schmerzlich bewusst. Wir fahren
nicht mit in den Himmel, wir bleiben geerdet – und dennoch spüren wir als
Christen die Sehnsucht nach diesem anderen Ort, einem Ort der Leichtigkeit,
ohne Erdenschwere, abgehoben vielleicht sogar, ganz im Zauber. Wir leben in
Spannung. Denn: woran wir glauben, ist nicht von dieser Welt – aber wir sind
es.
Wie leben wir in dieser Spannung, ausgestreckt zwischen Himmel und Erde?
Wie lässt Gott uns hier leben? „Ich bin dann mal weg“ – und das war’s? Ich
frage den Predigttext. Er steht im Lukasevangelium im 24. Kapitel.
„[Jesus] führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und
segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr
auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem
mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.“
Recht kurz, ja. Fast klingt es nach einem lapidaren „Ich bin dann mal weg“. Und
doch nicht. Was Jesus zuletzt hinterlässt, damit wir leben können zwischen
Himmel und Erde, das ist: Segen. Dreimal kommt in diesen drei Sätzen dieses
Wort vor, in jedem Satz einmal. Nie zuvor hat Lukas davon erzählt, dass Jesus
seine Jünger gesegnet hätte. Aber jetzt tut er es, als Letztes, bevor er geht. Zum
Abschied.
Segen ist das, was wir bekommen für das Leben zwischen Himmel und Erde.
Und dieser Segen hat zwei Richtungen.
Zum einen hat dieser Segen eine „erdende“ Kraft. Jesus segnet seine Jünger.
Jesus hebt die Hände auf über uns, so wie wir hier stehen. Segen verweist uns
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auf unseren Platz auf der Erde. Und: er setzt unsere Potentiale frei. Ich erinnere
Sie an die Schöpfungsgeschichte. Als Gott sich dort aus der Erde zurückzieht,
segnet er die Tiere und die Pflanzen, das Gewürm und das Getier, das auf der
Erde und im Wasser wimmelt, kreucht und fleucht. Alles ist gut gemacht. Die
Schöpfung ist fertig; fähig, selbständig zu leben. Aber damit das Getier auch
wirklich wimmelt und die Pflanzen auch wirklich aufgehen, damit die Menschen
sich vermehren und auch die Tiere, braucht es den Segen Gottes. Er setzt die
Potentiale frei, die Gott in den Geschöpfen angelegt hat. Gottes Segen aktiviert
die Welt dazu, das zu werden, was sie sein soll.
Was heißt das für unser Leben zwischen Himmel und Erde? Wir sind gesegnet
als solche, die wir sind. Lassen Sie uns auch so auf uns und die Welt schauen.
Wie oft nervt uns das ganz Profane. Z.B. die Beine, die jeden Morgen wehtun.
Nach und nach schwinden die Kräfte, vieles geht nicht mehr, was früher kein
Problem war. Mein Körper wird mehr und mehr zur Last, ich hätte ihn am
liebsten los. Ich hätte mich am liebsten los. Und dennoch: Du bist gesegnet, so
wie du bist. Ein anderes Beispiel: Ein Sohn beschließt, sich jetzt für die Mutter
einzusetzen, die krank geworden ist. Voller Idealismus packt er an, baut die
Wohnung um, macht sie barrierefrei, repariert den Fernseher. Und dann dauert
der Antrag für die Pflegestufe so lang. Der Papierkram zieht sich. Der Schwung
lässt nach. Er redet sich den Mund fusselig, um die Mutter aufzuheitern. Aber
sie ist traurig. So zermürbt der Alltag den jungen Mann. Und dennoch: Was er
tut, darauf liegt der Segen Gottes. Es ist gut, wenn er sich um den Antrag
kümmert. Es ist gut, wenn Menschen sich um die bessere Gesetze im
Sozialbereich bemühen. Gottes Segen erdet uns. Er schickt uns in die Welt,
nicht in den Himmel.
Die andere Richtung des Segens verläuft von unten nach oben. Diese Richtung
hat Luther ein bisschen versteckt, als er den griechischen Text übersetzt hat.
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Am Ende des Textes schreibt er: „und sie priesen Gott“. Im griechischen
Wortlaut steht dort aber exakt dasselbe Wort wie für den Segen. Wörtlich also:
„und sie segneten Gott“. Ein ungewöhnlicher Gedanke: Menschen segnen Gott.
Für das Leben zwischen Himmel und Erde finde ich das aber wichtig. Denn
wenn Menschen Gott segnen, richten sie ihren Blick nach oben – und stehen
gleichzeitig mit beiden Beinen auf der Erde. Wenn Menschen Gott segnen,
lassen sie ihn nicht entkommen aus der Welt, halten ihn fest, behaften ihn mit
seiner Verantwortung für die Welt. Wer Gott segnet, setzt darauf, dass auch
Gott seine Potentiale verwirklicht – oder: dass seine Macht sich ausbreitet.
Christen beten: Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Das heißt:
Deine Macht, die doch Frieden und Gerechtigkeit bringt, breite sich aus auf der
ganzen Erde. Dein Reich komme. Deine Liebe soll keine Grenzen mehr kennen,
auf keine Widerstände mehr treffen. Durchdringe die Welt und mach sie zu
dem, was sie sein soll. Lass sie so werden, wie Du sie gemeint hast. Und wenn
es Jahre dauert, bis der Antrag durch ist und die Strukturen sich ändern. Lass
nicht ab davon, halte den Himmel offen über der ganzen Welt. Schließe ihn
nicht ab davon. Trenn Dich nicht von uns. Oder wie Salomo betet: Lass Dein
Wort wahr werden, das Du Israel zugesagt hast.
Was heißt das für unser Leben zwischen Himmel und Erde? Bleiben wir
wachsam dafür, wessen Macht wir für selbstverständlich halten und wessen
Macht wir bestätigen. Segnen wir Gott in seinem Vorhaben mit der Welt
anstatt die Welt abzusegnen, so wie sie ist. Lassen Sie uns die Visionen der
Bibel für einen umfassenden Frieden auf der Welt nicht als entrückte Utopien
begreifen, sondern erstnehmen für die Welt. Lassen Sie uns nicht in pauschalen
Pessimismus verfallen, als ob immer alles nur schlechter würde, sondern halten
wir uns an die Stellen, wo sich ein Spalt auftut für die Nähe Gottes. Lassen Sie
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uns die Welt nicht ohne Himmel denken, lassen Sie uns die Hoffnung für die
Welt – in ihrer Weltlichkeit! – nicht aufgeben.
Leben zwischen Himmel und Erde – das heißt in dieser doppelten Bewegung
des Segens leben. Ja – Himmel und Erde sind getrennt, solange wir hier leben.
Ja – Gott ist manchmal nah und manchmal fern. Ja – unser Leben ist profan.
Aber die Bibel lässt Himmel und Erde deswegen nicht auseinanderfallen.
Himmel und Erde sind getrennt, aber dazwischen schwingt der Segen rege hin
und her. Wir stehen auf der Erde, ausgestreckt zum Himmel, in einem Kreislauf
von Segen, der uns erdet und der uns zum Himmel streckt. Geben Sie keine
Seite auf: weder von sich noch von der Welt. Unser Platz ist die Welt – aber
nicht ohne den Himmel.
Oder anders, wenn wir noch einmal Jesus Worte in den Mund legen: Ich bin
dann mal weg – aber ich komme wieder.
Amen.
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