TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung für eine
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TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung für eine
TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung für eine zukunftsorientierte Produktentwicklung Masterarbeit von Florian Heid PLATZHALTER Diese Seite wird durch das unterzeichnete Exemplar ersetzt. Vorlage siehe Vorlage Aufgabenstellung.dot Erklärung Prüfungsleistung 1. Ich versichere, dass ich die als Prüfungsleistung zu erbringende Arbeit ohne fremde Hilfe und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Quellen angefertigt habe und dass die Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegen hat und von dieser als Teil einer Prüfungsleistung angenommen wurde. Alle Ausführungen, die wörtlich oder sinngemäß übernommen wurden, sind als solche gekennzeichnet. 2. Mir ist ferner bekannt, dass die Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg aufgrund der prüfungsrechtlichen Vorschriften einen Anspruch auf das Original der Arbeit hat. Dieser Anspruch bezieht sich jedoch nur auf das körperliche Eigentum an der Arbeit als solches und auf deren Verwendung zu den in der Prüfungsordnung festgelegten Zwecken. Ort, Datum Vorname, Nachname Erklärung Nutzungsrecht und Geheimhaltung In Ergänzung zu anderen Erklärungen im Rahmen der Arbeit erkläre ich Folgendes: Es entspricht meinem ausdrücklichen Wunsch, dass ich vom Lehrstuhl für Konstruktionstechnik (im Folgenden Universität genannt) die als Prüfungsleistung zu erbringende Arbeit zur Bearbeitung erhalte, für die die nachfolgenden Bedingungen gelten. Ich wurde darauf hingewiesen, dass ich auch ein anderes Thema hätte erhalten können, für das diese Bedingungen nicht gelten würden. Ich erkläre mich mit folgenden Punkten einverstanden: 1. Ich räume der Universität für Zwecke der Forschung und Lehre ein einfaches, kostenloses, zeitlich und örtlich unbeschränktes Nutzungsrecht an den Arbeitsergebnissen einschließlich etwaiger Schutzrechte und Urheberrechte ein. Das Nutzungsrecht der Universität umfasst die Befugnis zur Weitergabe der Arbeit an Dritte zur Nutzung in Forschung und Lehre. 2. Wegen des Praxisbezugs meiner Arbeit werde ich Informationen erhalten und Einblick in Unterlagen nehmen, die vertraulich zu behandeln sind. Da die Ergebnisse meiner Arbeit auf den vorgenannten Informationen bzw. Unterlagen beruhen werden, werde ich meine Arbeit nur mit Zustimmung des betreuenden Hochschullehrers Dritten zugänglich machen bzw. veröffentlichen. Ort, Datum Vorname, Nachname Inhaltsverzeichnis I Inhaltsverzeichnis 1 2 Einführung ......................................................................................................... 1 1.1 Ausgangssituation ......................................................................................... 1 1.2 Problemstellung ............................................................................................ 3 1.3 Zielsetzung.................................................................................................... 7 1.4 Aufbau der Arbeit .......................................................................................... 8 Stand der Forschung ...................................................................................... 11 2.1 Präzisierung des Technologieverständnisses ............................................. 11 2.1.1 Abgrenzung des Technologiebegriffs .................................................... 12 2.1.2 Klassifizierung von Technologien .......................................................... 13 2.2 Grundlagen des Technologiemanagements ............................................... 19 2.2.1 Einführung in das Technologiemanagement ......................................... 19 2.2.2 Instrumente des strategischen Technologiemanagements .................... 24 2.2.2.1 Technologiefrüherkennung.............................................................. 24 2.2.2.2 Technologiebewertung .................................................................... 26 2.3 Überblick über den Produktentstehungsprozess ......................................... 28 2.3.1 Produktplanung...................................................................................... 30 2.3.2 Entwicklung & Konstruktion ................................................................... 33 2.3.3 Arbeitsvorbereitung & Produktherstellung ............................................. 36 2.4 Unterstützung von Technologieentscheidungen in der Produktplanung ..... 37 2.4.1 Technologiefrüherkennung und -bewertung zur Entscheidungsunterstützung in der strategischen Produktplanung ............................... 38 2.4.2 Multikriterielle Entscheidungsunterstützung ........................................... 39 2.5 Methodisch gestützte Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung ................................................................................................... 43 2.5.1 Methoden zur Technologiefrüherkennung ............................................. 43 2.5.1.1 Expertenbefragung .......................................................................... 45 2.5.1.2 Patentanalyse ................................................................................. 46 2.5.1.3 Technologie-Roadmapping ............................................................. 46 2.5.1.4 TRIZ – Theorie des erfinderischen Problemlösens ......................... 48 II Inhaltsverzeichnis 2.5.2 Einzel-Methoden zur Technologiebewertung ........................................ 60 2.5.2.1 Trendextrapolation .......................................................................... 63 2.5.2.2 Nutzwert-Analyse ........................................................................... 63 2.5.2.3 Relevanzbaumanalyse ................................................................... 64 2.5.2.4 Portfolio-Analyse ............................................................................ 65 2.5.2.5 Brainstorming ................................................................................. 67 2.5.2.6 Delphi-Studie .................................................................................. 67 2.5.2.7 Szenario-Analyse ........................................................................... 68 2.5.3 Integrative Ansätze zur Technologiebewertung .................................... 77 2.5.3.1 Ansatz nach HIERONYMUS, TINTELNOT & VON WICHERT-NICK ............ 78 2.5.3.2 Ansatz nach BRANDENBURG ............................................................ 79 2.5.3.3 2.5.3.4 3 4 Ansatz nach HALL ........................................................................... 81 Ansatz nach KRÖLL ......................................................................... 82 Ableitung des Handlungsbedarfs ................................................................. 84 3.1 Allgemeine Kritik der Methoden zur Technologiebewertung ....................... 84 3.2 Forschungsspezifische Evaluierung der Methoden zur Technologiebewertung................................................................................................... 88 3.3 Konkreter Handlungsbedarf ........................................................................ 93 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung ................................... 94 4.1 Grundkonzept der Bewertungsmethode ..................................................... 95 4.2 Phasen der Bewertungsmethode ............................................................. 102 4.2.1 Phase 1 – Vorbereitungsphase ........................................................... 103 4.2.2 Phase 2 – Systemische Exploration .................................................... 109 4.2.3 Phase 3 – Bestimmung von Technologieoptionen .............................. 125 4.2.4 Phase 4 – Multikriterielle Technologiebewertung ................................ 131 4.3 5 Excel-Tool für eine rechnergestützte Anwendung .................................... 144 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG ............... 150 5.1 Der Frequenzumrichter als Praxisbeispiel ................................................ 150 5.1.1 Aufbau und Funktionsweise ................................................................ 150 5.1.2 Untersuchungshintergrund .................................................................. 153 5.2 Anwendung der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung ..... 154 5.2.1 Vorbereitungsphase ............................................................................ 155 5.2.2 Systemische Exploration ..................................................................... 159 Inhaltsverzeichnis III 5.2.3 Bestimmung von Technologieoptionen ................................................ 178 5.2.4 Multikriterielle Technologiebewertung .................................................. 185 5.2.5 Fazit ..................................................................................................... 193 6 Diskussion der Ergebnisse .......................................................................... 195 6.1 Methodisches Konzept in der Praxis ......................................................... 195 6.2 Excel-Tool ................................................................................................. 198 7 Zusammenfassung ....................................................................................... 202 8 Ausblick ......................................................................................................... 206 9 Bibliografie .................................................................................................... 208 Anhang A Sammlung der erweiterten TESE ...................................................... 220 Anhang B Verzeichnis Excel-Tool_Praxisbeispiel ............................................ 223 Anhang C Verzeichnis Datenträger .................................................................... 224 Anhang D Datenträger ......................................................................................... 225 Anhang E Lebenslauf .......................................................................................... 226 IV Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Bild 1.1: Bild 1.2: Bild 1.3: Bild 2.1: Umsatzwachstum von Technologieführern im Vergleich zum nominalen BIP-Wachstum .......................................................................................... 2 Defizite bei der integrativen Prognose von technologischen Entwicklungen und Bedarfsfeldern............................................................ 4 Aufbau der Arbeit ...................................................................................... 9 Bild 2.6: Bild 2.7: Bild 2.8: Traditionelles und integratives Begriffsverständnis von Technologie und Technik ............................................................................................ 13 Unterscheidung zwischen Produkt- und Prozesstechnologie am Beispiel eines Feuermelders ................................................................... 14 Technologie-Lebenszyklusmodell ........................................................... 16 Darstellung des Doppel-S-Kurven-Konzepts........................................... 17 Möglichkeiten zur organisatorischen Verankerung des Technologiemanagements ......................................................................................... 20 Prozessmodell des strategischen Technologiemanagements ................ 22 Der Technologiefrüherkennungsprozess ................................................ 25 Produktentstehungsprozess entlang Produktlebenszyklus ..................... 29 Bild 2.9: Bild 2.10: Bild 2.11: Bild 2.12: Bild 2.13: Bild 2.14: Bild 2.15: Bild 2.16: Bild 2.17: Bild 2.18: Erfolgspotentiale von morgen ................................................................. 31 Vorgehensmodell für die Produktplanung ............................................... 32 Zyklischer Produktentwicklungsprozess ................................................. 35 Ablaufschema einer multikriteriellen Bewertung ..................................... 41 Beispielhafte Darstellung einer Technologie-Roadmap .......................... 47 Prinzipielles Vorgehen zur Problemlösung mit TRIZ ............................... 49 Aufbau des System Operators ................................................................ 51 Erweitertes TESE-Modell ........................................................................ 53 S-Kurve eines technischen Systems mit ihren spezifischen Phasen ...... 54 Ablauf der Directed Evolution™ .............................................................. 58 Bild 2.19: Bild 2.20: Bild 2.21: Bild 2.22: Bild 2.23: Bild 2.24: Bild 2.25: Technologie-Portfolio .............................................................................. 66 Grundprinzipen des Denkens in Szenarien ............................................. 69 Ablauf der Szenario-Analyse................................................................... 71 Grundgerüst einer Einflussmatrix ............................................................ 72 Aufbau eines System-Grids zur Auswahl der Schlüsselfaktoren............. 73 Zukunftsraum-Mapping ........................................................................... 76 Prozess der integrativen Technologiebewertung .................................... 78 Bild 2.2: Bild 2.3: Bild 2.4: Bild 2.5: Abbildungsverzeichnis Bild 2.26: Bild 2.27: Bild 3.1: Bild 4.1: Bild 4.2: Bild 4.3: Bild 4.4: Bild 4.5: Bild 4.6: Bild 4.7: Bild 4.8: Bild 4.9: Bild 4.10: Bild 4.11: Bild 4.12: Bild 4.13: Bild 4.14: Bild 4.15: V Ablaufschema der Methode ..................................................................... 80 Vorgehensmodell zur Technologiebewertung ......................................... 83 Evaluierung der vorgestellten Methoden zur Technologiebewertung ...... 90 Prozessuales Ablaufschema der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung ............................................................................ 99 Integration der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung in die strategische Produktplanung ........................................................... 101 Vorgehensweise zur Festlegung des Untersuchungsrahmens .............. 104 Systemkomponenten ............................................................................. 105 Vorgehensweise zur Systemtechnischen Strukturierung....................... 107 Trendmodell auf Basis des modifizierten System Operators ................. 111 Vorgehensweise zur Gestaltung des Trendmodells .............................. 113 Vorgehensweise zur Erstellung des Szenariofelds ................................ 115 Grundaufbau der modifizierten Einflussmatrix ....................................... 116 Vorgehensweise zur Einflussanalyse .................................................... 118 Vorgehensweise zur Erstellung von Zukunftsprojektionen .................... 121 Aufbau der Konsistenzmatrix ................................................................. 122 Mustersteckbrief eines suchfeldspezifischen Szenarios ........................ 124 Vorgehensweise zur Szenariobildung ................................................... 125 Verdichtung von Signalen über neue technologische Potentiale in der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung ............................ 127 Bild 4.16: Bild 4.17: Bild 4.18: Bild 4.19: Bild 4.20: Bild 4.21: Vorgehensweise zur Technologieidentifikation ...................................... 129 Vorgehensweise zur Beschreibung der Technologieoptionen ............... 131 Grundgerüst der Bewertungskriterien .................................................... 133 Beispiel einer paarweisen Vergleichsmatrix .......................................... 136 Vorgehensweise zur Aufbereitung der Bewertungskriterien .................. 137 Beispielhafte Darstellung der Bewertungsmatrizen zur Bestimmung der Gesamtpotentiale .................................................................................. 139 Bild 4.22: Vorgehensweise zur multikriteriellen Bewertung der Technologieoptionen................................................................................................. 140 Bild 4.23: Handlungsportfolio der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung .............................................................................................. 141 Bild 4.24: Bild 4.25: Bild 4.26: Bild 4.27: Bild 4.28: Bild 5.1: Vorgehensweise zur Ableitung von Handlungsempfehlungen ............... 143 Zentrale Aspekte eines Decision Support Systems ............................... 145 Screenshot zum Ablaufmodell im Hauptmenü des Excel-Tools ............ 147 Screenshot zur VBA-basierten Darstellung der Arbeitsanweisungen .... 148 Screenshot zu den erweiterten Hilfsfunktionen ..................................... 149 Standardaufbau eines Frequenzumrichters ........................................... 152 VI Bild 5.2: Bild 5.3: Bild 5.4: Bild 5.5: Bild 5.6: Bild 5.7: Bild 5.8: Bild 5.9: Bild 5.10: Bild 5.11: Bild 5.12: Bild 5.13: Abbildungsverzeichnis Querschnitt durch einen Leistungshalbleiter ......................................... 152 Systemtechnische Strukturierung des Frequenzumrichters im Praxisbeispiel .................................................................................................. 158 Screenshot aus dem Excel-Tool zur Beschreibung der SystemGegenwart ............................................................................................ 160 Screenshot aus dem Excel-Tool zur Beschreibung der System-Historie..................................................................................... 163 Historische Entwicklung der Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung von Leistungshalbleitern in Frequenzumrichtern ............................................................................................. 164 Screenshot aus dem Excel-Tool zum Ausblick in die Zukunft ............... 165 Screenshot aus dem Excel-Tool zur Bestimmung der Systemdeskriptoren .......................................................................................... 167 Screenshot aus dem Excel-Tool zur Bestimmung der Umfelddeskriptoren .......................................................................................... 168 Screenshot aus dem Excel-Tool zur Einflussanalyse ........................... 169 Screenshot aus dem Excel-Tool zur Berechnung der charakteristischen Kennzahlen einer Einflussanalyse ........................................................ 170 Screenshot aus dem Excel-Tool zur Erstellung potentieller Projektionen für die Schlüsseldeskriptoren ................................................................ 172 Screenshot aus dem Excel-Tool zur Konsistenzanalyse ...................... 174 Bild 5.14: Screenshot aus dem Excel-Tool zur steckbriefartigen Beschreibung von suchfeldspezifischem Szenario I .................................................... 177 Bild 5.15: Screenshot aus dem Excel-Tool zu den technologiespezifischen Signalen ................................................................................................ 179 Bild 5.16: Screenshot aus dem Excel-Tool zur datentechnischen Beschreibung der Technologieoptionen ...................................................................... 182 Bild 5.17: Power Chip Embedding ........................................................................ 184 Bild 5.18: Screenshot aus dem Excel-Tool zur Gewichtung der Bewertungskriterien des Technologiepotentials....................................................... 187 Bild 5.19: Screenshot aus dem Excel-Tool mit den fertigen Bewertungsmatrizen zur Bestimmung der Gesamtpotentiale ................................................. 189 Bild 5.20: Screenshot aus dem Excel-Tool mit den finalen Bewertungsergebnissen .......................................................................................... 190 Bild 5.21: Screenshot aus dem Excel-Tool mit dem finalen Handlungsportfolio ... 191 Bild 6.1: Begrenzte Übersichtlichkeit im Excel-Tool am Beispiel der Trendmodell-Matrix ........................................................................................ 199 Abbildungsverzeichnis Bild 7.1: VII Beantwortung der zentralen Fragestellungen im Rahmen der Masterarbeit ..................................................................................................... 202 VIII Tabellenverzeichnis Tabellenverzeichnis Tabelle 2.1: Tabelle 2.2: Tabelle 2.3: Tabelle 2.4: Tabelle 2.5: Klassifizierungsmöglichkeiten von Technologien ................................ 18 Unterschiede zwischen Multi-Attribut- und Multi-Objective-Ansätzen .. 40 Methoden-Übersicht zur Technologiefrüherkennung ........................... 44 TRIZ-Werkzeuge ................................................................................. 50 Auswahl an Indikatoren zur S-Kurven-Analyse ................................... 56 Tabelle 2.6: Methoden-Übersicht zur Technologiebewertung ................................. 62 Tabelle 4.1: Einflusskennzahlen ........................................................................... 117 Tabelle 5.1: Zusammenfassung der Systemkomponenten des Frequenzum richters............................................................................................... 158 Tabelle 5.2: Zusammenfassung der Schlüsseldeskriptoren mit dem größten Einfluss auf die Weiterentwicklung des Suchfelds ............................. 170 Tabelle A: Erweiterte TESE ................................................................................ 220 Formeln, Indizes & Abkürzungen Formeln, Indizes & Abkürzungen Formeln a Potentialabschätzung (0, 1, 2, …, 10) gi relativer Gewichtungsfaktor i Zeilennummer (Kriterium) j Spaltennummer (Kriterium bzw. Technologieoption) n Anzahl der Kriterien (1, 2, …, N) p ji Teilpotential einer Technologieoption je Kriterium Pi Gesamtpotential einer Technologieoption r Relevanz (-1, 0, 1) zi relative Gewichtungssumme Zi Gewichtungssumme bzw. Zeilensumme Indizes 1, 2, 3, … Zählindex Abkürzungen Ag Elementsymbol für Argentum bzw. Silber AG Aktiengesellschaft Anm. des Verf. Anmerkung des Verfassers ARIZ Algorithmus zur Lösung der Erfindungsprobleme bspw. beispielsweise bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise BIGT Bimodule-Insulated-Gate-Transistor BIP Bruttoinlandsprodukt BTR Bipolartransistor d.h. das heißt DE Directed Evolution™ DSS Decision Support System et al. und andere etc. et cetera IX X Formeln, Indizes & Abkürzungen F&E Forschung und Entwicklung FET Feldeffekttransistor GTO Gate-Turn-Off inkl. inklusive IGBT Insulated-Gate-Bipolartransistor IGCT Integrated-Gate-Commutated-Thyristor Inc Incorporated MZK Maße, Zeit, Kosten MOSFET Metall-Oxid-Halbleiter-Feldeffekttransistor MPV Main Parameter of Value Q1…Q4 Quadranten der Einflussmatrix sog. sogenannt(e) SiC Siliziumcarbid, chemische Verbindung aus Silizium und Kohlenstoff SRI Stanford Research Institute TESE Trends of Engineering System Evolution (dt. Trends der Technikevolution) TRIZ Theorie des erfinderischen Problemlösens usw. und so weiter v.l.n.r. von links nach rechts vgl. vergleiche VBA Visual Basic for Applications VDI Verein Deutscher Ingenieure WOIS widerspruchsorientierte Innovationsstrategie z.B. zum Beispiel 1 Einführung 1 1 Einführung Im Zeichen des globalen Wettbewerbs unterliegen Märkte aktuell einer sehr hohen Dynamik, die Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen vor große Herausforderungen stellt. Hier sind insbesondere die immer kürzer werdenden Produktlebensund Innovationszyklen sowie die wachsenden Anforderungen der Kunden an Qualität, Kosten und Funktionalität der Produkte zu nennen (VDI 2206, 2004, S. 3; BULLINGER, W ARSCHAT & FISCHER, 2000, S. 99; IANSITI, 1995, S. 37). Um sich diesen Herausforderungen langfristig stellen und die eigene Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten zu können, sind Unternehmen auf überlegene Problemlösungen angewiesen, die sich in „zukunftsträchtigen Produkten mit technologischem und qualitativem Vorsprung“ wiederspiegeln (KRÖLL, 2007, S. 11). Der technologische Fortschritt spielt dabei eine tragende Rolle. UTTERBACK sieht darin einerseits eine treibende Kraft für unternehmerisches Wachstum, andererseits aber auch ein potentielles Risiko für Unternehmen, den Puls der Zeit zu verpassen und die geschäftliche Existenz zu gefährden (UTTERBACK, 2003, S. 81). Der Wettbewerb wird immer mehr zu einem Kampf um Technologieführerschaft (KRÖLL, 2007, S. 11). In der Folge entwickeln sich zukunftsträchtige Technologien zu einem elementaren Faktor für Unternehmen, um damit die eigene Marktposition zu sichern, gleichzeitig aber auch neue Potentiale für die künftige Unternehmensentwicklung zu erschließen (INGERFELD, 2006, S. 1; KLAPPERT, SCHUH & AGHASSI, 2011, S. 6). 1.1 Ausgangssituation Je rascher und effizienter solch zukunftsträchtige Technologien in marktfähige Produktlösungen umgesetzt werden, desto deutlicher können sich Unternehmen von potentiellen Wettbewerbern absetzen und als Technologieführer etablieren (KRÖLL, 2007, S. 12–13). Bild 1.1 verdeutlicht diesen Umstand und zeigt das jährliche Umsatzwachstum von Technologieführern aus großen Industrienationen im Vergleich zu Mitläufern und Nachfolgern sowie dem jährlichen Wachstum des nominalen Bruttoinlandsprodukts. Dabei wird ersichtlich, dass sich Pioniere enorme Vorteile gegenüber Technologiemitläufern und -nachzüglern verschaffen können, deren Produktivität oftmals gar hinter der durchschnittlichen Wirtschaftsleistung des eigenen Landes zu- 2 1 Einführung rück bleibt. Die Beherrschung neuester Technologien vor der Konkurrenz eröffnet Technologieführern beispielsweise den Zugang zu neuen Märkten und potentiellen Kunden, was sich letztendlich in einem deutlich höheren Umsatzwachstum niederschlägt. Die intensive und frühzeitige Nutzung neuer, zukunftsträchtiger Technologien ist folglich ein entscheidendes Merkmal für eine erfolgreiche Geschäftsentwicklung und unternehmerisches Wachstum (BCG, 2013, S. 8–10). 30 durchschnittliches, jährliches Umsatzwachstum (2010–2012) in % China Deutschland 25 Führer USA 20 Führer Nachzügler Mitläufer 15 Führer 10 Mitläufer Nachzügler 5 Mitläufer Nachzügler durchschnittliches, jährliches Wachstum des nominalen BIP (2010–2012) in % 0 Bild 1.1: 5 10 15 20 25 30 Umsatzwachstum von Technologieführern im Vergleich zum nominalen BIP-Wachstum nach BCG, 2013, S. 10 Als Treiber für Erfolg und Wachstum sind Technologien stets differenzierungs- und kostenrelevant und bergen enorme Optimierungspotentiale (KRÖLL, 2007, S. 11). Diese manifestieren sich nicht nur in der Schaffung, Sicherung sowie dem Ausbau von markt- und kundenseitigen Wettbewerbsvorteilen, sondern auch in der Optimierung der unternehmenseigenen Prozesse im Rahmen der Leistungserstellung zur Förderung der Wirtschaftlichkeit. So lassen sich bestehende Produkte sowie deren Herstellungsprozesse aus funktionaler und ökonomischer Sicht nicht nur gezielt verbessern, sondern gegebenenfalls auch durch besonders vielversprechende technische Lösungen vollständig ersetzen (INGERFELD, 2006, S. 3, S. 14). Zur möglichst effektiven Nutzung der geschilderten Optimierungspotentiale müssen Unternehmen allerdings schon frühzeitig „Entscheidungen darüber treffen, welche Technologien wann und wie zum Einsatz kommen“ (HIERONYMUS, TINTELNOT & VON WICHERT-NICK, 1996, S. 26). Grundlegende Technologieentscheidungen sind deshalb bereits im Rahmen einer strategischen Produktplanung anzusiedeln, die als 1 Einführung 3 vorgelagerte Phase der eigentlichen Produktentwicklung zur Konkretisierung von Entwicklungsvorhaben auf Basis zukünftiger Erfolgspotentiale dient (GAUSEMEIER, EBBESMEYER & KALLMEYER, 2001, S. 43–44; KRÖLL, 2007, S. 19–20). Dazu werden funktionale, kosten- sowie qualitätstechnische Merkmale des künftigen Produkts festgelegt und in vorläufige Anforderungen an die Produktentwicklung überführt. Um zeitlichen, markt- oder kundenseitigen Fehlentwicklungen wie auch kostenintensiven Änderungsvorhaben im weiteren Verlauf des Produktentstehungsprozesses vorbeugen zu können, sind in dieser Phase immer umfassendere Kenntnisse über verfügbare Technologien sowie potentielle Technologietrends gefordert (KRÖLL, 2007, S. 17). Demnach hängt die „erfolgreiche Integration neuer Technologie in Produkte und deren Kommerzialisierung“ erheblich von einem gut koordinierten Zusammenspiel zwischen Technologiemanagement und Produktentstehungsprozess ab (ZAHN, 1995, S. 20). Eine gründliche, fortwährende Analyse des Technologiemarkts zur frühzeitigen Erkennung und Bewertung geeigneter Technologien erfüllt hierbei eine wichtige Querschnittsfunktion des strategischen Technologiemanagements und dient als richtungsweisende Grundlage für Technologieentscheidungen im Hinblick auf eine zukunftsorientierte Produktentwicklung (INGERFELD, 2006, S. 3; KRÖLL, 2007, S. 12; SCHÄPPI, 2005, S. 14). 1.2 Problemstellung Getrieben durch den intensiven Wettbewerb und die stetig wachsenden Kundenansprüche mündet die permanente Schaffung von technologischem Know-how in betrieblichen F&E-Aktivitäten sowie öffentlichen Forschungseinrichtungen oder Universitäten in einen stetig wachsenden und verflochtenen Bestand an Technologien (HALL, 2002, S. 1; SCHÄPPI, 2005, S. 5). Entstehungsprozesse von Technologien sind immer seltener durch lineare Abläufe geprägt, vielmehr sind sie „als wechselseitige Trial- & Error-Suchprozesse zwischen frühem Technologieangebot und dem Problemlösungsbedarf in potentiellen Einsatzbereichen zu verstehen“ (SERVATIUS & PEIFFER, 1992, S. 75). Diese Problematik hat sich in den vergangenen Jahren wegen des zunehmenden Querschnittscharakters von Technologien zusätzlich verschärft (SCHNEIDER, 2002, S. 8). Speziell technologische Weiterentwicklungen auf Basis interdisziplinären Know-hows führen dazu, dass Technologien zunehmend „für vielfältige und heterogene technische Einsatzbereiche Relevanz besitzen“ (SERVATIUS & PEIFFER, 1992, S. 74). In der Folge bieten sich den Unternehmen zwar weitaus mehr technologische Alternativen als früher, jedoch gestaltet sich die zielgerichtete Auswahl geeigneter 4 1 Einführung Technologien aus diesem diffusen Technologiebestand als äußerst schwierig (HALL, 2002, S. 1; STECK, 1997, S. 1–2). Für Entscheidungen über den Einsatz von Technologien in Produkten und deren Herstellungsprozessen hat dies letztendlich sichtbar veränderte Rahmenbedingungen zur Folge (HAAG, SCHUH, KREYSA & SCHMELTER, 2011, S. 311; SERVATIUS & PEIFFER, 1992, S. 77): Die Dynamik und Komplexität im Bereich der Entstehung von Technologien nimmt zu. Die eben geschilderte, zunehmende Vernetzung, Multikausalität und Vielschichtigkeit von technologischen Entwicklungen führt zu Prognosedefiziten beim Mapping von verfügbarem Technologieangebot und künftigem Problemlösebedarf. Bild 1.2 verdeutlicht in diesem Zusammenhang die Schwierigkeit bei der Abschätzung, ob das bestehende Technologieangebot genügend Potential aufweist, um auch künftige Bedarfsfelder bzw. den entsprechenden Problemlösebedarf abdecken zu können. Es bestehen Prognose- und Wissensdefizite bzgl. der Einschätzung technologischer Entwicklungen und deren Funktionalität bzw. Leistungsfähigkeit. bestehendes Technologieangebot ??? Technologische Lösung Technologiepotential Bild 1.2: ??? künftiger Problemlösebedarf Bedarfspotential Defizite bei der integrativen Prognose von technologischen Entwicklungen und Bedarfsfeldern nach SERVATIUS & PEIFFER, 1992, S. 77 Um die Qualität von Technologieentscheidungen sowie den damit verbundenen Handlungserfolg als Folge des herbeigeführten Technologieeinsatzes zu erhöhen, sind Bewertungsmethoden zur Beurteilung von Technologien hinsichtlich spezifischer Kriterien einzusetzen (HAAG ET AL., 2011, S. 310; SCHNEIDER, 2002, S. 73). Aufgrund 1 Einführung 5 der aufgezeigten, veränderten Rahmenbedingungen im Bereich der Technologieentstehung und -entwicklung ist der verfügbare Bestand an Methoden zur Technologiebewertung aktuell jedoch wesentlichen Schwierigkeiten bzw. Problembereichen ausgesetzt (HAAG ET AL., 2011, S. 311). Einen ersten Problembereich bildet die Informationserfassung als datentechnische Grundlage einer methodischen Technologiebewertung. Diese erweist sich aufgrund der hohen Komplexität, Dynamik sowie Verflochtenheit von Technologieentstehung und -entwicklung häufig als diffus, ungeordnet und unvollständig. Der Grund ist insbesondere bei den unterschiedlichen Datentypen zu finden, die aus zahlreichen Informationsquellen bezogen werden und innerhalb der Bewertungsmethode trotz divergierender Verlässlichkeitsgrade systematisch zu verarbeiten sind (HAAG ET AL., 2011, S. 310–311; SERVATIUS & PEIFFER, 1992, S. 77–78). Neben technologiespezifischen Informationen, die sich aus der komplexen Beschaffenheit des aktuellen Unternehmensumfelds ergeben, müssen dabei auch unternehmensinterne Faktoren und Gegebenheiten möglichst vollständig berücksichtigt werden. Äußerst schwierig gestaltet sich in diesem Zusammenhang vor allem die Beschaffung externer Informationen, die stark an den Wandel auf dem Technologiemarkt geknüpft sind, kaum zeitlichen Regelmäßigkeiten folgen und somit nur bedingt prognostizierbar sind. Sie sollen Auskunft über das relative Potential bzw. die künftige Relevanz einer Technologie im Vergleich zu technologischen Alternativen liefern. Unternehmensinterne Informationen zielen dagegen auf die positiven wie negativen Auswirkungen einer Technologie für das Unternehmen ab (SERVATIUS & PEIFFER, 1992, S. 73; S. 77). Zeitgemäße Bewertungsmethoden müssen demnach so konzipiert sein, dass sie trotz dieser breiten aber auch lückenhaften sowie unsicheren Informationsbasis ihrem vorausschauenden Charakter gerecht werden und aussagekräftige Ergebnisse nach sich ziehen (HAAG ET AL., 2011, S. 311). Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Festlegung und Erfassung der Bewertungskriterien, die „aufgrund des Fehlens einer umfassenden Theorie für die Entstehung und Verbreitung technischer Innovationen auf keinem theoretischen Fundament aufbauen“ (SCHNEIDER, 2002, S. 78). Bewertungskriterien sind keine absoluten Größen und hinsichtlich ihrer Gewichtung immer einem subjektiven Einfluss ausgesetzt. Nichtsdestotrotz gelten sie als elementare Wegweiser innerhalb einer jeden Bewertungsmethode, stecken den Rahmen für die bewertungsrelevanten Informationen ab und gewährleisten eine adäquate Bewertung in Richtung einer vorgegebenen Zielsetzung (SCHNEIDER, 2002, S. 78). Unternehmen können dabei zwischen unternehmensinternen und unternehmensexternen Bewertungskriterien unterscheiden. Abgesehen von klassischen, unternehmenstypischen Kriterien wie Funktionsfähigkeit und Wirtschaft- 6 1 Einführung lichkeit werden dabei auch ökologische, soziale oder rechtliche Kriterien wie Gesellschaftsqualität, Sicherheit oder Umweltqualität immer wichtiger (HAAG ET AL., 2011, S. 311; SCHNEIDER, 2002, S. 75). Im Rahmen der Technologiebewertung sind also „neben exakten und quantifizierbaren Bewertungsinformationen (wie z.B. Funktionsfähigkeit) zusätzlich ‚weiche‘ und qualitative Bewertungsinformationen (wie z.B. Sicherheit) zu berücksichtigen“ (SCHNEIDER, 2002, S. 76). Um trotz dieser Vielfalt an teils insuffizienten Bewertungskriterien vergleichende und objektive Aussagen über Technologiealternativen tätigen sowie fundierte Entscheidungen herbeiführen zu können, muss bei der Konzipierung der Methoden dem Leitgedanken einer systematischen „Bewertung hinsichtlich mehrerer, verschiedener Kriterien (multikriterielle Bewertung)“ Folge geleistet werden (W ARTZACK, 2001, S. 62). Jene Kriterien sollten dabei stets widerspruchsfrei sowie leicht erfassbar sein und sich immer nur auf miteinander vergleichbare Bewertungsobjekte beziehen (BREIING & KNOSALA, 1997, S. 6– 7). Ferner werden Technologien im Rahmen einer methodisch gestützten Technologiebewertung häufig nur isoliert betrachtet, was hinsichtlich ihres zunehmend vernetzten Charakters nicht zielführend erscheint. Um fundierte Entscheidungen über den Einsatz von Technologien in Produkten herbeiführen zu können, sind zwingend die Wechselwirkungen zwischen Technologien innerhalb einer Bewertung zu berücksichtigen (KRÖLL, 2007, S. 52). „Folgt man dem Gedanken, dass jede Produktfunktion durch eine bestimmte Technologie realisiert wird, die wiederum durch verschiedene Verfahren unterstützt oder beeinflusst werden kann, so ergeben sich Verbünde von miteinander in unterschiedlichen Beziehungen stehenden Technologien“ (SPECHT, BEHRENS & KIRCHHOF, 1999, S. 720). Werden diese Wechselwirkungen vernachlässigt, können neu eingesetzte Technologien bzw. Weiterentwicklungen von Technologien zu unbemerkten Veränderungen der funktionalen Zusammenhänge im Produkt führen. Demzufolge dürfen Bewertungsmethoden Technologien nicht ausschließlich nach ihren Potentialen oder charakteristischen Merkmalen beurteilen, sondern immer mit engem Bezug zu dem Produkt, in dem sie verwendet werden (SPECHT ET AL., 1999, S. 720). Des Weiteren erfordern die zunehmend standardisierten und technisierten Entwicklungsprozesse in Unternehmen mittlerweile sehr systematische Bewertungsmethoden, die eine objektive Vergleichbarkeit sowie wiederholbare Anwendung ermöglichen. Zeitgemäße Methoden sollten sich daher auf einen prozessualen und durchgängigen Aufbau stützen, der sich leicht in die organisationalen Strukturen eines Unternehmens integrieren lässt. Damit neben einer effizienten Handhabung auch eine rasche, situationsspezifische Anpassung bzw. Modifizierbarkeit einer Methode ge- 1 Einführung 7 währleistet werden kann, wird eine rechnergestützte Ausgestaltung des zugrundeliegenden Methodenkonzepts immer wichtiger (KRÖLL, 2007, S. 18). 1.3 Zielsetzung Vor diesem Hintergrund wird in dieser Masterarbeit eine systematische und praxistaugliche Methode zur Erfassung und Bewertung von Technologiealternativen erarbeitet, deren Wirkungskreis sich auf eine frühzeitige, technologiebezogene Anpassung bzw. Weiterentwicklung eines bestehenden Produkts im Hinblick auf eine zukunftsorientierte Produktentwicklung legt. Die Methode hat den in Kapitel 1.2 erläuterten Problembereichen einer methodisch gestützten Technologiebewertung standzuhalten und einen wesentlichen Beitrag für Technologieentscheidungen zu leisten, die auf den Einsatz zukunftssicherer Technologien in künftigen Produktlösungen abzielen. Auf diese Weise erhalten Unternehmen die Möglichkeit, dem technologischen Wandel schon frühzeitig entgegenzuwirken und sich entscheidende Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz zu sichern. Um dem Aspekt der Frühzeitigkeit gerecht zu werden und eine systematische Vorbereitung auf die eigentliche Produktentwicklung zu gewährleisten, ist die Methode bereits in der strategischen Produktplanung einzusetzen und rechnergestützt auszugestalten. Neben klassischen Elementen der Technologiebewertung müssen auch wesentliche Aspekte der Technologiefrüherkennung in das methodische Konzept implementiert werden. Damit soll erreicht werden, dass die Methode nicht nur neuartige, technologische Entwicklungen innerhalb eines festgelegten Suchfelds bewerten, sondern auch vorab identifizieren und datentechnisch erfassen kann. In der Folge sind auf Basis erkennbarer Trends innerhalb der wesentlichen Komponenten des Produkts sowie dessen Umfeld alternative Entwicklungsrichtungen des Suchfelds (suchfeldspezifische Szenarien) zu erarbeiten. Dabei ist es wichtig, dass das Suchfeld klar und präzise in die funktionale Struktur des Produkts eingeordnet und somit eine isolierte Betrachtung vermieden wird. Die erarbeiteten Szenarien stecken schließlich einen plausiblen und konsistenten Zukunftsraum ab, der zum einen konkrete Hinweise für die Suche nach neuen Technologieoptionen liefert und zum anderen auch eine Einstufung bzgl. deren Zukunftspotential erlaubt. Diese Einstufung fließt schließlich in die abschließende Technologiebewertung ein, die eine systematische und multikriterielle Beurteilung der Technologieoptionen hinsichtlich Technologiepotential, Zukunftspotential sowie deren Realisierbarkeit durch das Unternehmen ermöglicht. So kann gezielt bei Technologieentscheidungen unterstützt werden, die 8 1 Einführung Unternehmen bereits in der strategischen Produktplanung dabei helfen, künftige Produktlösungen zukunftssicher zu gestalten. Darauf aufbauend lassen sich folgende Fragestellungen ableiten, deren schrittweise Beantwortung im weiteren Verlauf dieser Arbeit maßgeblich zur Erreichung der übergeordneten Zielsetzung beiträgt: Was sind die Schwierigkeiten und Anforderungen einer methodisch gestützten Technologiebewertung für eine zukunftsorientierte Produktentwicklung? Mit welchen Mitteln und prozessualen Strukturen in Verbindung mit Analyseelementen bestehender Methoden zur Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung lässt sich ein systematisches und rechnergestütztes, methodisches Konzept entwickeln, das diesen Schwierigkeiten und Anforderungen gerecht werden kann? Erweist sich die erarbeitete Methode als tauglich für einen Einsatz in der unternehmerischen Praxis? 1.4 Aufbau der Arbeit Der Aufbau der Arbeit gliedert sich nach dem Schema, das in Bild 1.3 dargestellt wird. Im ersten Kapitel wurde bereits durch die Schilderung der Ausgangssituation sowie der konkreten Problembereiche im Bereich einer methodisch gestützten Technologiebewertung eine Einführung in die Thematik geliefert und die entsprechende Zielsetzung der Arbeit herausgearbeitet. Das zweite Kapitel steckt den theoretischen Bezugsrahmen der Arbeit ab und liefert einen Einblick in den aktuellen Stand der Forschung. Für ein besseres Verständnis des Technologiebegriffs wird dieser zunächst inhaltlich abgegrenzt und konkretisiert. Anschließend folgt eine Abhandlung der Grundlagen des Technologiemanagements, wobei insbesondere die Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung als wichtige Instrumente des strategischen Technologiemanagements näher untersucht werden. Beide Instrumente werden zudem in den Prozess der Produktentstehung eingeordnet, um das Einsatzfeld der zu entwickelnden Bewertungsmethode klar abstecken und in der Folge gezielt bei Technologieentscheidungen unterstützen zu können. Ein Einblick in die multikriterielle Entscheidungsunterstützung dient indes der Vermittlung von Grundkenntnissen für eine zeitgemäße Bewertung verschiedener Alternativen hinsichtlich zahlreicher, unterschiedlicher Kriterien. Abschließend liefert dieses Kapitel eine Übersicht über gängige Methoden aus Literatur und Praxis, 1 Einführung 9 die im Rahmen der Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung angewandt werden. Aufbauend auf den Stand der Forschung werden die vorgestellten Methoden zur Technologiebewertung im dritten Kapitel dieser Arbeit evaluiert. Dafür werden ausgehend von den in Kapitel 1.2 geschilderten Problembereichen verschiedene Bewertungsmerkmale hergeleitet, anhand derer die einzelnen Methoden beurteilt werden. So können gezielt Schwachstellen und Defizite des gegenwärtigen MethodenPortfolios aufgedeckt und in konkrete Anforderungen an die zu entwickelnde Bewertungsmethode überführt werden. Dieses Kapitel gibt letztendlich also Aufschluss über den tatsächlichen Handlungsbedarf als Anstoßpunkt für die weiteren Ausführungen innerhalb dieser Arbeit. Kapitel 1: Ausgangssituation, Problemdefinition, Zielsetzung Kapitel 2: Stand der Forschung Kapitel 3: Ableitung des Handlungsbedarfs Kapitel 4: Kapitel 5: Erarbeitung der Technologiebewertungsmethode Anwendung der Methode in der Praxis Kapitel 6: Kritische Würdigung der Methode Kapitel 7: Zusammenfassung Kapitel 8: Ausblick Bild 1.3: Aufbau der Arbeit Der praktische Teil der Arbeit beginnt schließlich im vierten Kapitel. Auf Basis des abgeleiteten Handlungsbedarfs erfolgt darin die schrittweise Erarbeitung einer systematischen Methode zur Technologiebewertung für eine zukunftsorientierte Produktentwicklung. Vor diesem Hintergrund wird zuallererst der Lösungsansatz dargestellt und in das Grobkonzept der Methode überführt. Im Anschluss erfolgt die detaillierte Konzipierung und Vorstellung der einzelnen Phasen und Ablaufschritte der Bewertungsmethode. Dafür werden bewährte Ansätze der TRIZ-Methodik, der Szenario-Analyse sowie der multikriteriellen Bewertung mit eigens entwickelten Analyseelementen zu einem durchgängigen methodischen Konzept verknüpft. Für eine rechnergestützte Anwendung der Bewertungsmethode in der Praxis wird abschließend 10 1 Einführung noch ein strukturiertes sowie nachvollziehbares Software-Tool erarbeitet und dem Leser vorgestellt. Das fünfte Kapitel umfasst schließlich die Anwendung der erarbeiteten Methode am Praxisbeispiel von Frequenzumrichtern der SIEMENS AG. Hierfür werden sowohl bewährte als auch neue, alternative Technologien zur elektrischen und mechanischen Anbindung von Leistungshalbleitern in Frequenzumrichtern identifiziert und nachfolgend hinsichtlich ihres künftigen Einsatzpotentials bewertet. Die Bewertungsmethode wird im sechsten Kapitel unter Berücksichtigung der im Praxisbeispiel gewonnenen Erkenntnisse kritisch beäugt. Dafür erfolgt eine Erläuterung von positiven Aspekten aber auch Problembereichen bzw. kritischen Stellen aus dem methodischen Konzept sowie dem Software-Tool, die sich im Rahmen der praktischen Anwendung herauskristallisiert haben und konkrete Rückschlüsse auf die Praxistauglichkeit der Methode zulassen. Das siebte Kapitel fasst die Kernresultate der Arbeit in einem abschließenden Schlusswort noch einmal zusammen. Einen Ausblick auf weiteren Forschungs- bzw. Optimierungsbedarf liefert das achte Kapitel. 2 Stand der Forschung 2 11 Stand der Forschung Gestützt auf eine gründliche Abhandlung des aktuellen Forschungsstands vermittelt dieses Kapitel die notwendigen Grundkenntnisse rund um den Themenbereich der Technologiebewertung als Basis für die weiteren Ausführungen dieser Arbeit. In diesem Zusammenhang ist zunächst eine Präzisierung des Technologiebegriffs vorzunehmen, um das diffuse Verständnis von Technologien zu entwirren und sie einer zweckmäßigen Beschreibung zugänglich zu machen. Ferner erfolgt eine Einführung in die Grundlagen des Technologiemanagements mit Fokus auf die Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung als zentrale Elemente dieser Arbeit. Diese werden anschließend aufgrund ihres Querschnittscharakters in die strategische Produktplanung zur Vorbereitung auf die eigentliche Produktentwicklung eingeordnet. Abgerundet wird das Kapitel durch eine Übersicht über den gegenwärtigen Bestand an Methoden zur Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung. 2.1 Präzisierung des Technologieverständnisses Trotz der weiten Verbreitung des Technologiebegriffs im gewöhnlichen Sprachgebrauch wie auch in fachspezifischen Diskussionen (Managementliteratur, wirtschaftspolitische Abhandlungen etc.) sucht man vergebens nach einer einheitlichen und allgemeingültigen Definition von Technologie (ZAHN, 1995, S. 4). In Kapitel 2.1.1 wird der Technologiebegriff daher inhaltlich von dem eng verwandten Begriff der Technik abgegrenzt und für ein zweckmäßiges Verständnis innerhalb der weiteren Ausführungen dieser Arbeit konkretisiert. Ferner ist eine systematische Klassifizierung von Technologien nach unterschiedlichen Merkmalen äußerst hilfreich, um gerade im Hinblick auf eine spätere Bewertung eine gewisse Ordnung und Vergleichbarkeit im Technologiebestand zu schaffen. Dies fördert zudem auch das Technologieverständnis an sich und dient einer zweckmäßigen Beschreibung von Technologien (HALL, 2007, S. 22). Dafür werden in Kapitel 2.1.2 verschiedene Möglichkeiten zur Klassifizierung von Technologien vorgestellt. 12 2 Stand der Forschung 2.1.1 Abgrenzung des Technologiebegriffs Anknüpfend an die terminologischen Ursprünge des Technologiebegriffs aus dem achtzehnten Jahrhundert bezeichnet ROPOHL Technologie als die „Wissenschaft von der Technik“ (ROPOHL, 2009, S. 31). Geprägt durch das Aufkommen der Ingenieurswissenschaften sowie der Verfahrenskunde hat sich der Technologiebegriff zusammen mit der Gesellschaft im Laufe der Jahre jedoch stetig weiterentwickelt und entsprechend konkretisiert (BULLINGER, 1994, S. 32–33; W EULE, 2002, S. 24). Zur Verdeutlichung werden nachfolgend einige Beispiele für zeitgemäße Erklärungen des Technologiebegriffes aufgeführt: Technologie ist „das Wissen um naturwissenschaftlich-technische Zusammenhänge […], soweit es Anwendung bei der Lösung technischer Probleme finden kann […], verbunden mit betriebswirtschaftlichen, organisatorischen, sozialen, politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen“ (BULLINGER, 1994, S. 33–34). Technologie ist die „Umschreibung von natur-, sozial- und ingenieurwissenschaftlichem Wissen, welches zur Lösung von praktischen Problemen […] verwendet wird“ (TSCHIRKY, 1998, S. 226). „Technologie ist Kunstlehre, ist Lehre von Techniken, umfasst Verfahrensregeln und Anleitungen […]. Technologien nennen auf ein Ziel hin gerichtete Handlungsmöglichkeiten für einen bestimmten Anwendungsbereich, wobei sie zu generalisieren versuchen“ (BROCKHOFF, 1999, S. 27). Den Definitionen zufolge steht Technologie also für Anwendungswissen über technisch-naturwissenschaftliche Phänomene als Grundlage für die Entwicklung von Produkten und Prozessen (ZAHN, 1995, S. 4; ZAHN, 2004, S. 125). Der Technologiebegriff findet heutzutage oftmals eine synonyme Verwendung mit dem Technikbegriff, wobei beiden Begriffen rein inhaltlich unterschiedliche Bedeutungen zukommen (HALL, 2007, S. 7). Technik steht nach TSCHIRKY etwa für den „Prozess der Technologienutzung sowie dessen materielle und immaterielle Erzeugnisse“ (TSCHIRKY, 1998, S. 227). Da Technik nach dieser Auffassung gewissermaßen eine materialisierte Form von Technologie darstellt, also quasi ein Subsystem von Technologie bildet, ist eine strikte Trennung der beiden Begriffe letztendlich nur bedingt zielführend (BINDER & KANTOWSKY, 1996, S. 89). Deutlich sinnvoller erscheint in diesem Zusammenhang ein systemorientiertes bzw. integratives Begriffsverständnis von Technologie und Technik, wie es bspw. BINDER & KANTOWSKY nahe legen. Bild 2.1 verdeutlicht diese Integration von Technik in das übergeordnete Technologie-System und zeigt, dass Technologie nun neben sämtli- 2 Stand der Forschung 13 chem Anwendungswissen zur Lösung technischer Probleme auch die Gesamtheit der Prozesse und Anlagen zur praktischen Nutzung dieses Wissens (Technik) beinhaltet. Die traditionellen Definitionen von Technologie und Technik bleiben zwar für sich bestehen, jedoch erfolgt eine Erweiterung des Technologiebegriffs um die Komponente der Technik. Dadurch wird das Problem der begrifflichen Überschneidungen zwischen Technologie und Technik auf eine integrative Weise gelöst. Als Systembegriff steht Technologie also nicht mehr nur allein für Anwendungswissen, sondern auch für dessen Umsetzung (BINDER & KANTOWSKY, 1996, S. 91–92). Bild 2.1: Traditionelles Begriffsverständnis Integratives Begriffsverständnis Technologie Technologie Technik Technik Traditionelles und integratives Begriffsverständnis von Technologie und Technik nach BINDER & KANTOWSKY, 1996, S. 92 Ein fertiges Produkt ist vor diesem Hintergrund jedoch nicht mit Technologie an sich gleichzusetzen. Vielmehr setzt es sich aus einer Vielzahl von nicht immer direkt erkennbaren Technologien bzw. Technologie-Kombinationen zusammen, „welche die (natur)wissenschaftlichen Grundlagen für die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Produkten“ darstellen (GERPOTT, 2005, S. 18). 2.1.2 Klassifizierung von Technologien Eine erste Möglichkeit zur Technologieklassifizierung ist die Unterscheidung von Technologien nach funktionalen bzw. objektorientierten Gesichtspunkten. Hier lassen sich in erster Linie Produkt- und Prozesstechnologien voneinander abgrenzen. Dies untermauert vor allem den eigentlichen Zweck einer Technologie, nämlich als Fundament für eine wirtschaftliche Produkterstellung sowie die Entwicklung der dafür 14 2 Stand der Forschung Neues Produkt Feuermelder Produktfunktionen benötigten Herstellungsprozesse zu dienen (SPUR, 1998, S. 87; TSCHIRKY, 1998, S. 228; WEULE, 2002, S. 28; ZAHN, 1995, S. 6). Während Produkttechnologien das fertige Produkt über entsprechende Funktions- bzw. Wirkweisen und spezifische Leistungsmerkmale definieren, beruhen Prozesstechnologien auf den Verfahren und Anlagen zur Erstellung eben dieser Produkte. Prozesstechnologien sind also entscheidende Wegbereiter bei der Realisierung überlegener Produktlösungen und tragen entscheidend zu einer effizienten Produkterstellung bei. Der Bedarf an Prozesstechnologien wird in Unternehmen nicht nur intern, sondern auch extern gedeckt. Dazu werden Technologien von externen Anbietern beschafft und durch eine entsprechende Anpassung an die unternehmensspezifischen Abläufe intern bereitgestellt. Hauptgrund dafür ist die Einsparung von Entwicklungsaufwand und -kosten im eigenen Unternehmen (W EULE, 2002, S. 28–29). Kundenbedürfnis Schutz vor Feuerschaden Detektion von Feuer Produkttechnologien (z.B. Streulicht-Technologie) Herstellung Prozesstechnologien (z.B. Bonding) Bild 2.2: Entwicklung Prozesstechnologien (z.B. Nanotechnologie) Unterscheidung zwischen Produkt- und Prozesstechnologie am Beispiel eines Feuermelders in Anlehnung an TSCHIRKY, 1998, S. 228 Zum besseren Verständnis liefert Bild 2.2 ein exemplarisches Beispiel zur Unterscheidung von Produkt- und Prozesstechnologien bei einem Feuermelder. Produkttechnologien sind dabei also jene Technologien (z.B. Streulicht-Technologie), die der Erfüllung der kundenrelevanten Produktfunktionen (z.B. Detektion von Feuer) dienen. Um die Technologien zur Realisierung der Produktfunktionen allerdings bereitstellen zu können, sind wiederum verschiedene Prozesstechnologien im Rahmen der Produktentwicklung (z.B. Nanotechnologie) und -herstellung (z.B. Bonding) erforderlich (TSCHIRKY, 1998, S. 228). Dadurch wird deutlich, wie sich ein fertiges Produkt letzt- 2 Stand der Forschung 15 endlich aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Technologien bzw. TechnologieKombinationen zusammensetzt, die nicht unbedingt auf den ersten Blick zu erkennen sind (vgl. Kapitel 2.1.1). Eine weitere Möglichkeit zur Klassifizierung von Technologien ist die Differenzierung bezüglich ihres Grades der Produktintegration. Man differenziert hier zwischen Kernund Unterstützungstechnologien. Während Kerntechnologien direkt in das zu erstellende Produkt einfließen, werden Unterstützungstechnologien herangezogen, um das fertige Produkt letztendlich auch für den Kunden zugänglich und dauerhaft nutzbar zu machen (ZAHN, 1995, S. 6–7). Vergleicht man Technologien nach ihrem Anwendungsspektrum, so stößt man auf Querschnittstechnologien und anwendungsspezifische Technologien. Querschnittstechnologien sind durch ihre enorme Anwendungsvielfalt gekennzeichnet und bilden die Basis für technologischen Fortschritt. Als Beispiel kann hier die Technologie der Mikroelektronik genannt werden, die als Anstoßpunkt für viele technologische Neuerungen auf den Gebieten der Telekommunikation und der Computer gilt. Im Gegensatz dazu sind anwendungsspezifische Technologien nur auf ein sehr begrenztes Anwendungsspektrum reduziert und stehen oftmals für sehr spezielle Arten von Technologien. Ein Beispiel hierfür wäre die erwähnte Bonding-Technologie, die eine sehr spezielle Verfahrensweise in der Mikroelektronik zur Herstellung von leitenden Verbindungen auf kleinstem Raum darstellt (TSCHIRKY, 1998, S. 231, S. 235). Die wohl geläufigste Möglichkeit zur Klassifizierung von Technologien ist eine Einstufung hinsichtlich des Wettbewerbspotentials bzw. Entwicklungsstadiums (BINDER & KANTOWSKY, 1996, S. 93; Arthur D. Little, 1988, S. 38; TSCHIRKY, 1998, S. 232; WOLFRUM, 1991, S. 97; ZAHN, 1995, S. 8). Nach Arthur D. Little lassen sich dabei drei typische Entwicklungsstufen von Technologien identifizieren (Arthur D. Little, 1988, S. 38): Schrittmachertechnologien: Aufgrund ihres frühen Entwicklungsstadiums sind Schrittmachertechnologien nur begrenzt auf dem Markt verfügbar. Künftige Einsatzpotentiale lassen sich demzufolge nur schwer konstatieren. Dennoch verfügen Schrittmachertechnologien über einen beträchtlichen Einfluss auf die Leistungsmerkmale sowie Kosten der gekoppelten Produkte. Schlüsseltechnologien: Schlüsseltechnologien bestimmen maßgeblich die Wettbewerbsfähigkeit, da sie den jeweiligen Akteuren enorme Möglichkeiten zur Differenzierung ihres Produktportfolios bieten. Zudem verfügen Schlüsseltechnologien über ein beachtliches Weiterentwicklungs- und Einsatzpotential. 16 2 Stand der Forschung Basistechnologien: Basistechnologien bieten dagegen kaum mehr Spielraum zur Weiterentwicklung bzw. Differenzierung gegenüber den Wettbewerbern. Sie werden im Normalfall von allen Akteuren gleichermaßen beherrscht und sind in einer großen Bandbreite an Produkten und Prozessen etabliert. Sämtliche Potentiale erweisen sich somit als weitestgehend ausgeschöpft. Zur Erweiterung der eben erwähnten Entwicklungsstufen von Technologien wird oftmals noch zwischen zwei weiteren Entwicklungsstadien unterschieden (W OLFRUM, 1991, S. 5): Neue Technologien: Neue Technologien finden noch keinen Einsatz in marktfähigen Produkten und sind mit einem hohen Investitionsrisiko behaftet. Verdrängte Technologien: Das Potential verdrängter Technologien ist völlig ausgeschöpft. Sie werden bereits durch andere Technologien ersetzt. Ausschöpfung des Wettbewerbspotentials Basistechnologien Verdrängte Technologien Reife Degeneration Schlüsseltechnologien Schrittmachertechnologien Einführung Bild 2.3: Wachstum Zeit Technologie-Lebenszyklusmodell nach BINDER & KANTOWSKY, 1996, S. 94; W OLFRUM, 1991, S. 98 Die verschiedenen Entwicklungsstufen von Technologien lassen sich in einem idealtypischen Technologie-Lebenszyklusmodell darstellen, das sich an einem S-förmigen Kurvenverlauf orientiert. Ein solches Modell beschreibt die Entwicklung einer Technologie entlang ihrer Lebensdauer über den Ausschöpfungsgrad ihres Wettbewerbspotentials. Bild 2.3 zeigt beispielhaft ein solches Technologie-Lebenszyklusmodell, in dem die unterschiedlichen Entwicklungsstufen von Technologien den charakteristischen Phasen des Produktlebenszyklus (Einführung, Wachstum, Reife, Degeneration) zugeordnet werden. Eine entsprechende Einstufung von Tech- 2 Stand der Forschung 17 nologien anhand solcher Modelle gibt Unternehmen die Möglichkeit, Rückschlüsse auf „technologiestrategische Optionen“ zu ziehen (Arthur D. Little, 1998, S. 29; WOLFRUM, 1991, S. 97–99). Einen prinzipiell ähnlichen Kurvenverlauf nutzt die Unternehmensberatung McKinsey & Company in ihrem weit verbreiteten S-KurvenKonzept zur Beschreibung der Leistungsfähigkeit einer Technologie, das in Bild 2.4 dargestellt wird. Darin wird die Leistungsfähigkeit im Verhältnis zum kumulierten F&E-Aufwand aufgetragen, um Potentiale zur Leistungssteigerung sowie mögliche Leistungsgrenzen einer Technologie hervorzuheben (BINDER & KANTOWSKY, 1996, S. 94–95). Leistungsfähigkeit (Nutzen/Kosten) Leistungsgrenze neue Technologie langfristiges Substitutionspotential neue Technologie Leistungsgrenze alte Technologie alte Technologie Sprung auf neue Technologie kumulierter F&E-Aufwand Bild 2.4: Darstellung des Doppel-S-Kurven-Konzepts in Anlehnung an BULLINGER, 1994, S. 125; FOSTER, 1986, S. 110 Der Verlauf der Leistungsfähigkeit einer Technologie wird dabei grundsätzlich über die F&E-Produktivität bzw. das klassische Verhältnis zwischen Nutzen und Kosten ausgedrückt. Zur Quantifizierung der Leistungsfähigkeit können spezifische Leistungsindikatoren einer Technologie (z.B. Leuchtkraft einer Glühbirne in Lumen pro Watt) herangezogen werden. Im Idealfall ergibt sich aus einem solchen Verlauf die typische S-Kurve. Kommt eine Technologie an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit (bspw. durch physikalische Grenzen), so stellt sich die Frage, ob die ausgereifte Technologie nicht besser durch eine neue, wesentlich leistungsfähigere Technologie substituiert werden sollte. Ein solcher Technologiesprung lässt sich, wie in Bild 2.4 zu sehen, über ein sog. Doppel-S-Kurven-Konzept darstellen und verdeutlicht das Potential zur Leistungssteigerung, das durch eine entsprechende Substitution der alten 18 2 Stand der Forschung Technologie zu erwarten ist (BULLINGER, 1994, S. 124–126). FOSTER bezeichnet diesen Übergangspunkt als „Diskontinuität“ (FOSTER, 1986, S. 110). Die in dieser Phase notwendige Entscheidung zwischen weiteren Investitionen in die alte oder den Sprung auf eine neue Technologie wird daher auch als Management technologischer Diskontinuitäten bezeichnet (BULLINGER, 1994, S. 125). Tabelle 2.1: Klassifizierungsmöglichkeiten von Technologien Klassifizierungsmerkmal Arten Funktion bzw. Objekt Produkttechnologie Prozesstechnologie Produktintegrationsgrad Kerntechnologie Unterstützungstechnologie Anwendungsspektrum Querschnittstechnologie anwendungsspezifische Technologie Wettbewerbspotential neue Technologie Schrittmachertechnologie Schlüsseltechnologie Basistechnologie verdrängte Technologie Neben den eben vorgestellten, gängigen Klassifizierungsmöglichkeiten von Technologien, die in Tabelle 2.1 noch einmal abschließend gegenübergestellt werden, weist SPUR auf neu entstandene, technologieorientierte Begrifflichkeiten wie z.B. Technologietyp, Technologiemarketing, Technologieablösung, Technologierisiko oder Technologiepolitik hin. Solche Wortschöpfungen lassen sich nach inhaltlichen, ökonomischen, zeitlichen, qualitativen sowie personellen Kriterien unterteilen und gelten in Anbetracht des an sich schon äußerst komplexen Technologiebegriffs als äußerst umstritten (SPUR, 1998, S. 89). Als Basis für eine umfassende Beschreibung von Technologien entstehen auf diese Weise jedoch zusätzliche Informationsklassen, die im Hinblick auf eine nachfolgende Technologiebewertung durchaus „der iterativen Vergrößerung und Verfeinerung des Bestandes an Bewertungsinformationen“ dienen können (SERVATIUS & PEIFFER, 1992, S. 80). KRÖLL gibt in diesem Zusammenhang einige Beispiele zur Beschreibung von Technologien nach besagten Informationsklassen (KRÖLL, 2007, S. 33): Inhaltliche Beschreibungsmerkmale: Funktionalität, Anwendungsfall, Umsetzbarkeit, physikalische Daten & Informationen etc.; Ökonomische Beschreibungsmerkmale: F&E-Aufwand, Investitionsbedarf, Ressourcenbedarf, Produktionskosten etc.; Zeitliche Beschreibungsmerkmale: Trends, Entwicklungsdauer etc.; 2 Stand der Forschung 19 Qualitative Beschreibungsmerkmale: Zuverlässigkeit, Robustheit, Verwertbarkeit, Flexibilität etc.; Personelle Beschreibungsmerkmale: Personalbedarf und -qualifikation etc.. 2.2 Grundlagen des Technologiemanagements Das Technologiemanagement bildet den theoretischen Bezugsrahmen der für diese Arbeit so wichtigen Aufgabenfelder der Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung. In der Folge wird daher auf die Grundlagen dieser Managementdisziplin eingegangen sowie die Stellung und Bedeutung der Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung im Rahmen des strategischen Technologiemanagements herausgearbeitet. 2.2.1 Einführung in das Technologiemanagement Im heutigen, stark technologiegetriebenen Zeitalter führt das rasante Aufkommen von Technologien zu einem Umdenken in Unternehmen. Insbesondere für produzierende Unternehmen ist es äußerst wichtig, attraktive Technologien zu entwickeln bzw. zu adaptieren und im Rahmen der Leistungserstellung effizient einzusetzen. Über die klassischen, finanz- und marketingtechnischen Aufgabenbereiche hinaus muss sich das Management heutzutage also auch verstärkt mit technologierelevanten Fragestellungen auseinandersetzen (BULLINGER, 1994, S. 39; TSCHIRKY, 1998, S. 194). Unter dem Standpunkt, „dass ein gesamtheitlicher Führungsrahmen des Umgangs mit Technologien für die vertiefte Auseinandersetzung mit dem technologischen Wandel in Lehre und Praxis eine notwendige Voraussetzung darstellt“, gewinnt ein systematisches Technologiemanagement immer mehr an Bedeutung (TSCHIRKY, 1998, S. 194). Technologiemanagement wird im Allgemeinen als „integrierte Planung, Gestaltung, Optimierung, Einsatz und Bewertung von technischen Produkten und Prozessen aus der Perspektive von Mensch, Organisation und Umwelt“ definiert (BULLINGER, 1994, S. 39). Daraus resultiert folgende übergeordnete Zielsetzung im Technologiemanagement: die aus zeitlicher und wirtschaftlicher Perspektive zweckmäßige Bereitstellung benötigter Technologien für die Erstellung aktueller oder künftiger Produktlösungen zur nachhaltigen Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens (BULLINGER, 1994, S. 39; KLAPPERT ET AL., 2011, S. 6). Um dies zu ermöglichen, müssen im Rahmen des Technologiemanagements passende Antworten auf eine Vielzahl von komplexen Fragestellungen gefunden werden. Dazu zählen bspw. die Integration von Technologie in die übergeordnete Unternehmensstrategie, die Bewer- 20 2 Stand der Forschung tung von Technologien, die Wirtschaftlichkeit des Technologieeinsatzes, die Organisation des Technologietransfers oder auch die Weiterbildung des technischen Personals. Technologiemanagement ist im Grunde also eine interdisziplinäre Managementaufgabe, die Kompetenzen aus naturwissenschaftlichen, ingenieurwissenschaftlichen, betriebswirtschaftlichen aber auch sozialwissenschaftlichen Bereichen zu bündeln hat. Eine isolierte Betrachtungsweise des Technologiemanagements innerhalb einer Organisation würde diesem Grundgedanken somit nicht gerecht werden, gerade weil durch gut abgestimmte Aktivitäten im Rahmen des Technologiemanagements verschiedenste Bereiche des Unternehmens effektiv unterstützt werden können (BULLINGER, 1994, S. 42–43). Gremium Linienorganisation Projektgruppe Unternehmensfunktionen Technologiemanagement Center Bild 2.5: Stabsorganisation Implizite Form extern Möglichkeiten zur organisatorischen Verankerung des Technologiemanagements nach SCHUH, KLAPPERT & MOLL, 2011, S. 22 Technologiemanagement muss vielmehr „als Querschnittsfunktion im Unternehmen verstanden werden. Um den ganzheitlichen Blick für den Nutzen des Unternehmens zu wahren, ist es nötig, die Aktivitäten im Technologiemanagement mit allen relevanten Unternehmensbereichen zu synchronisieren. Daher kommt der organisatorischen Verankerung des Technologiemanagements im Unternehmen eine besondere Bedeutung zu“ (SCHUH, KLAPPERT & MOLL, 2011, S. 18). Hier kristallisieren sich verschiedene Verankerungsformen heraus, die in Bild 2.5 der Übersicht halber dargestellt sind. In der einfachsten Form wird der Aufgabenbereich des Technologiemanagements auf einzelne Mitarbeiter übertragen (implizite Verankerung), ohne dass eine gesondert dafür zuständige Organisationseinheit gebildet werden muss. Als deutlich 2 Stand der Forschung 21 systematischer, koordinierter und zielorientierter erweisen sich jedoch explizite Organisationseinheiten innerhalb des Unternehmens in Form von Gremien, Projektgruppen, Centern, Stabs- oder Linienorganisationen. Zudem besteht die Möglichkeit, bestimmte Aufgabenbereiche des Technologiemanagements an externe Unternehmensberatungen auszulagern (SCHUH ET AL., 2011, S. 21–24). Im Technologiemanagement lässt sich darüber hinaus auch zwischen operativen und strategischen Tätigkeitsfeldern unterscheiden (BULLINGER, 1994, S. 39–40). Operatives Technologiemanagement befasst sich vorrangig mit der tatsächlichen und effizienten Umsetzung der technologischen Erfolgspotentiale eines Unternehmens in ökonomischen bzw. monetären Wert (BULLINGER, 1994, S. 41; QIAN, 2002, S. 38). Technologische Erfolgspotentiale werden im Rahmen des strategischen Technologiemanagements durch eine zielgerichtete Adaption bzw. (Weiter-)Entwicklung neuer oder bereits bestehender Technologien geschaffen (QIAN, 2002, S. 38). Weitere wesentliche Bestandteile sind die damit verbundene Ausrichtung konkreter Technologiestrategien und die Koordination der strategischen Geschäftsfelder eines Unternehmens sowie der beteiligten Funktionsbereiche im Rahmen der Produkterstellung (W OLFRUM, 1991, S. 69). Strategisches Technologiemanagement bezieht sich demnach auf „den gesamten technologierelevanten Entscheidungsprozess und schließt Entscheidungen über die Auswahl alternativer, neu zu entwickelnder Technologien, über Kriterien ihrer Anwendung in Produkten, Prozessen und der Produktion sowie über die Bereitstellung von Ressourcen zur erfolgreichen Implementierung ein“ (BULLINGER, 1994, S. 40). Die grundlegenden Aufgabenbereiche des strategischen Technologiemanagements lassen sich wie folgt zusammenfassen (BULLINGER, 1994, S. 40–41; EWALD, 1989, S. 46; SPUR, 1998, S. 113; W OLFRUM, 1991, S. 118): Früherkennung und strategische Analysen: Erkennen und Analysieren neuer, signifikanter Technologien sowie strategisch relevanter Technologiefelder; Strategieformulierung und -ausgestaltung: Zuordnung der strategischen Technologiefelder zu den strategischen Geschäftsfeldern, Ausformulierung konkreter Technologiestrategien und Abstimmung mit der strategischen Unternehmensplanung; Strategieimplementierung: Implementierung und Umsetzung der ausgearbeiteten Technologiestrategien, Entwicklung von Organisations- und Führungskonzepten für die zuständigen, operativen Geschäftsbereiche; Strategische Kontrolle: kontinuierliche Überwachung und Kontrolle der Umsetzung sowie Wirksamkeit der Strategieimplementierung. 22 2 Stand der Forschung Strategisches Technologiemanagement darf sich allerdings nicht nur mit der Entwicklung neuer und der Weiterentwicklung bestehender Technologien sowie deren Nutzung befassen, es muss auch die Ablösung veralteter Technologien unterstützen. ZAHN überführt daher das strategische Technologiemanagement mit all seinen Aufgaben in ein übergreifendes Prozessmodell entlang des gesamten TechnologieLebenszyklus, und zwar von der Entstehung einer Technologie bis hin zu deren Ablösung durch eine neue, leistungsfähigere Technologie (ZAHN, 1995, S. 21–22). TechnologieAblösung TechnologieEntstehung TechnologieReife TechnologieFrüherkennung TechnologieNutzung TechnologieAkzeptanz Bild 2.6: TechnologieBewertung TechnologieTransfer Prozessmodell des strategischen Technologiemanagements nach SCHNEIDER, 2002, S. 19; ZAHN, 1995, S. 22 Die einzelnen Phasen dieses Modells, das in Bild 2.6 in seiner zyklischen Form dargestellt ist, werden nun der Reihe nach vorgestellt (SCHNEIDER, 2002, S. 19; ZAHN, 1995, S. 22–25): Technologie-Entstehung: Schaffung und Nutzung von technologischem Wissen durch das Management von Innovations- und Lernprozessen; Technologiefrüherkennung: systematische Beobachtung und Analyse des Technologiemarkts zur frühzeitigen Bereitstellung von Informationen über Chancen und Risiken neuer technologischer Entwicklungen; Technologiebewertung: Spezifizierung der technologierelevanten Informationsbasis durch eine Bewertung der identifizierten Technologien hinsichtlich ihres Einsatzpotentials in Produkten und Prozessen unter Berücksichtigung markt-, kunden- und unternehmensspezifischer Gesichtspunkte; 2 Stand der Forschung 23 Technologie-Transfer: Zusammenführung von Geschäfts- und Technologieplanung, Ausarbeitung von Technologiestrategien, Überführung der Technologiestrategien in die operativen Bereiche; Technologie-Akzeptanz: Beseitigung markt- und unternehmensseitiger Widerstände gegenüber neuen Technologien durch akzeptanzfördernde Maßnahmen im Unternehmen, auch in Verbindung mit Wettbewerbern oder Kunden; Technologie-Nutzung: konsequente Technologieanwendung gemäß der ausgearbeiteten Technologie- und Markteinführungsstrategie; Technologie-Reife: kontinuierliches Überwachen der Technologiereife anhand geeigneter Indikatoren zur Eindämmung ineffizienter und ineffektiver F&E-Tätigkeiten; Technologie-Ablösung: rechtzeitige Substitution veralteter Technologien durch leistungsfähigere Technologie-Generationen. Die weiteren Ausführungen dieser Arbeit konzentrieren sich in der Folge auf die Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung (vgl. Bild 2.6). Beiden Instrumenten ist im Rahmen des strategischen Technologiemanagements eine wichtige Rolle zuzuschreiben. Sie stehen in enger Verbindung zueinander und sind maßgeblich dafür verantwortlich, aufstrebende Technologien mit reichlich Entwicklungspotential zu identifizieren und hinsichtlich einer möglichen Anwendung im Rahmen der Produktentstehung zu bewerten. Sie liefern und verarbeiten dabei grundlegende Informationen, die von Unternehmen für die Planung des Technologieeinsatzes benötigt werden (ZAHN, 1995, S. 23–24). Eine systematische Verankerung der beiden Instrumente innerhalb der Organisation führt folglich zu einer effektiven Unterstützung von Entscheidungsprozessen über den künftigen Technologieeinsatz, insbesondere weil die vielfältigen, technologiespezifischen Informationen in der Entscheidungsvorbereitung auf diese Weise wesentlich strukturierter verarbeitet werden können. Unternehmen sind also „zunehmend auf derart effiziente und integrierte Instrumente angewiesen. Eine solche Analyse, Bewertung, Auswahl und bedarfsgerechte Adaption von Technologien als Bestandteil eines umfassenden Technologiemanagements sowie deren wirtschaftlicher Einsatz fördert die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und hilft sich von Wettbewerbern zu differenzieren“ (KRÖLL, 2007, S. 12). In diesem Zusammenhang sind auch die beiden der Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung vor- bzw. nachgelagerten Phasen der Technologie-Entstehung und des Technologie-Transfers zu erwähnen. Nur durch die Schaffung und Nutzung von neuem, technologischem Wissen über Innovations- und Lernprozesse im Rahmen der Technologie-Entstehung können technologische Entwicklungen im Rahmen der Technologiefrüherkennung überhaupt erst erkannt werden. Gleichermaßen kön- 24 2 Stand der Forschung nen die identifizierten sowie bewerteten technologischen Alternativen erst nach einem erfolgreichen Technologietransfer in die operativen Bereiche des Unternehmens vollständig genutzt werden (ZAHN, 1995, S. 22, S. 24). 2.2.2 Instrumente des strategischen Technologiemanagements 2.2.2.1 Technologiefrüherkennung Der technologische Fortschritt, die schnelle Ausbreitung neuer Technologien in unterschiedliche Wirtschaftsbranchen sowie deren zunehmender Einfluss auf die Wettbewerbsverhältnisse führen dazu, dass Unternehmen immer mehr auf eine systematische Technologiefrüherkennung zur rechtzeitigen Identifikation und Analyse von Veränderungen im technologischen Unternehmensumfeld angewiesen sind (ZAHN & BRAUN, 1992, S. 5). Im Forschungsbetrieb wird der Begriff der Technologiefrüherkennung nicht einheitlich verwendet. Häufig stößt man dabei auf den Begriff der Technologiefrühaufklärung, der synonym zu Technologiefrüherkennung verwendet wird (SCHNEIDER, 2002, S. 45). Auch in der englischsprachigen Literatur kursieren unterschiedliche Begrifflichkeiten wie z.B. „Technology Intelligence“, „Technology Monitoring“ oder „Technology Forecasting“, die allesamt auf das Grundprinzip der Technologiefrüherkennung abzielen (LICHTENTHALER, 2007, S. 1110). Dieses Grundprinzip charakterisiert Technologiefrüherkennung als die „Analyse und Prognose der technologischen Potentiale neuer sowie der Bestimmung technologischer Leistungsgrenzen bestehender Technologien. Zielsetzung ist die Identifikation von Entwicklungen in relevanten Technologiefeldern als Grundlage für Technologieentscheidungen im Unternehmen“ (W ELLENSIEK, SCHUH, HACKER & SAXLER, 2011, S. 89). Technologiefrüherkennung kann somit als elementarer Eckpfeiler der technologiebezogenen Handlungen eines Unternehmens betrachtet werden (MIEKE, 2005, S. 11). Bild 2.7 zeigt die Technologiefrüherkennung als Prozess, in dem sich drei typische Aufgabenbereiche herauskristallisieren (SPECHT, BERNTSEN, NAGEL, BRAUNISCH & SCHULZ, 2009, S. 154; ZWECK, 2005, S. 174–180): Informationserfassung: In dieser Phase werden Signale über Veränderungen aus dem technologischen Unternehmensumfeld erfasst. Man konzentriert sich dabei auf Informationen über mögliche, neue Anwendungsgebiete oder Entwicklungspotentiale bereits bestehender Technologien, das Aufkommen vollkommen neuer Technologien sowie gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche oder rechtliche Veränderungen, die sich auf die technologischen Kompe- 2 Stand der Forschung 25 tenzen des Unternehmens auswirken können. Die Suche nach Informationen erfolgt dabei entweder ungerichtet (Scanning) oder anhand einer gerichteten Beobachtung von vorab festgelegten Frühindikatoren (Monitoring) wie bspw. Kennzahlen aus Publikations- oder Patentanalysen. Informationsbewertung: Die erfassten Signale müssen im nächsten Schritt verdichtet und bezüglich ihrer Auswirkungen auf das Unternehmen untersucht werden. Hierfür bedient man sich qualitativer und quantitativer Instrumente zur Analyse und Prognose der Veränderungen im technologischen Unternehmensumfeld (vgl. Kapitel 2.5.1). Auf diese Weise können Aussagen bzw. Einschätzungen über potentielle Einsatzgebiete oder zeitliche Entwicklungslinien von neu identifizierten Technologien sowie über den Aufwand des Unternehmens zur Realisierung dieser Technologien getätigt werden. Informationszusammenführung und -strukturierung: Abschließend werden die aufbereiteten Informationen hinsichtlich eventueller Gemeinsamkeiten oder Zusammenhänge so verknüpft und strukturiert, dass eine zielgerechte und wirkungsvolle (Weiter-)Nutzung im Unternehmen möglich ist. Wissen über zukünftige Entwicklungen 1 2 3 Informationen erfassen Informationen bewerten Informationen zusammenführen und strukturieren Identifikation der Signale Diagnose Evaluation Bild 2.7: Der Technologiefrüherkennungsprozess nach SPECHT, BERNTSEN, NAGEL, BRAUNISCH & SCHULZ, 2009, S. 154 Die Technologiefrüherkennung dient insgesamt also einer systematischen, strukturierten sowie möglichst vollständigen Bereitstellung von Informationen über technologierelevante Veränderungen und leistet somit bereits einen wesentlichen Beitrag zur Vorbereitung auf fundierte Technologieentscheidungen (GERPOTT, 2005, S. 101). 26 2 Stand der Forschung 2.2.2.2 Technologiebewertung Zur Vervollständigung der notwendigen Informationen für fundierte Technologieentscheidungen im Hinblick auf die Planung des Technologieeinsatzes sind die technologischen Entwicklungen, die im Rahmen der Technologiefrüherkennung identifiziert und analysiert wurden, einer Bewertung zu unterziehen (HIERONYMUS ET AL., 1996, S. 26; SERVATIUS & PEIFFER, 1992, S. 73; ZAHN, 1995, S. 23–24). Bei einer Technologiebewertung vereint man sowohl unternehmensexterne Bewertungsinformationen zur Einschätzung der relativen Zukunftsrelevanz einer Technologie als auch unternehmensinterne Informationen, die Aufschluss über die Auswirkung der Technologie auf das Unternehmen selbst geben. So lassen sich wesentliche Erfolgspotentiale und Risiken ableiten, die mit der Nutzung und Weiterentwicklung der jeweiligen Technologien verbunden sind (SERVATIUS & PEIFFER, 1992, S. 73). Ihren Ursprung findet die Technologiebewertung in einem Konzept, das seit den 1970er Jahren im englischsprachigen Raum unter der Bezeichnung „Technology Assessment“ „für die systematische und breite Erforschung und Entwicklung von Technologien, ihren individuellen, organisatorischen und gesellschaftlichen sowie weiteren technologischen Auswirkungen und Folgen“ verwendet wird (BULLINGER, 1994, S. 49). In diesem Zusammenhang stößt man im deutschsprachigen Raum häufig auf die Begriffe der Technologie- bzw. Technikfolgenabschätzung. BULLINGER sieht diese Art der Übersetzung jedoch kritisch, da mit dem Wort „Folgen“ zumeist negative Assoziationen hervorgerufen werden. „Technology Assessment“ beschreibt an sich aber ein neutrales Konzept, das sowohl die negativen als auch die positiven Aspekte einer Technologie bewertet. Demnach wäre Technologiepotentialabschätzung im Sinne einer Beurteilung der Gefahren bzw. Risiken (Folgen) sowie der Nutzenpotentiale einer Technologie die treffendere Bezeichnung (BULLINGER, 1994, S. 49–50; KRÖLL, 2007, S. 38). Das Konzept des „Technology-Assessment“ wurde in der Folge vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) weiterentwickelt und in die VDI-Richtlinie 3780 der Technikbewertung überführt (BULLINGER, 1994, S. 50; KORNWACHS, 1995, S. 226–227; SCHNEIDER, 2002, S. 70). Technikbewertung definiert sich demzufolge als „das planmäßige, systematische, organisierte Vorgehen, das den Stand einer Technik und ihre Entwicklungsmöglichkeiten analysiert, unmittelbare und mittelbare technische, wirtschaftliche, gesundheitliche, ökologische, humane, soziale und andere Folgen dieser Technik und möglicher Alternativen abschätzt, aufgrund definierter Ziele und Werte diese Folgen beurteilt oder auch weitere wünschenswerte Entwicklungen fordert, 2 Stand der Forschung 27 Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten daraus herleitet und ausarbeitet, so dass begründete Entscheidungen ermöglicht und gegebenenfalls durch geeignete Institutionen getroffen und verwirklicht werden können“ (VDI 3780, 2000, S. 2–3). Dadurch soll das übergeordnete Ziel technischen Handelns beherzigt werden, nämlich „die menschlichen Lebensmöglichkeiten durch Entwicklung und sinnvolle Anwendung technischer Mittel zu sichern und zu verbessern. Die fachliche Aufgabe des Ingenieurs besteht zunächst darin, hierfür geeignete technische Systeme zu entwickeln und deren Funktionsfähigkeit sicherzustellen. Darüber hinaus gilt es, einen möglichst sinnvollen Gebrauch von den stets nur in begrenztem Umfang vorhandenen Ressourcen (Rohstoffe, Energie, Arbeit, Kapital usw.) zu machen, so dass die technische Funktion auf möglichst sparsame und damit wirtschaftliche Weise erreicht wird“ (VDI 3780, 2000, S. 12). Neben diesen funktionalen und wirtschaftlichen Zielen hat man sich aber auch an Werten wie Wohlstand, Umweltqualität, Gesundheit, Sicherheit, Persönlichkeitsentfaltung oder Gesellschaftsqualität zu orientieren (VDI 3780, 2000, S. 12). Der ursprüngliche Bewertungshorizont aus den Anfängen der Technologiebewertung wird somit deutlich erweitert und impliziert dabei vor allem außertechnische bzw. außerwirtschaftliche Ziele und Werte (BULLINGER, 1994, S. 51). Das Hauptaugenmerk der Technologiebewertung darf aber nicht allein auf der Abschätzung der Folgen einer Technologie für die Gesellschaft liegen, sondern vielmehr auf der Beurteilung der komplexen Auswirkungen neuer Technologien für ein Unternehmen (HAAG ET AL., 2011, S. 311). Technologiebewertung dient somit der Unterstützung von Entscheidungsprozessen über einen möglichen Technologieeinsatz in Unternehmen. „Beispiele dafür sind Ja-/Nein-Entscheidungen bezüglich der Erfüllung von Zielkriterien, Auswahlentscheidungen zur Bildung von Rang- und Reihenfolgen oder die Auswahl günstigster Alternativen oder Entscheidungen zur Veränderung von Einflussfaktoren auf den Stellenwert von Technologien. Technologiebewertung kann daher das Ermitteln der Vor- und Nachteile verschiedener Alternativen aus verschiedenen Perspektiven bedeuten, aber auch das Messen oder Schätzen von Parametern des Bewertungsobjektes. Die Bewertung, d. h. der Vergleich zwischen dem ermittelten Soll- oder Zielzustand mit dem erfassten Ist-Zustand eines Bewertungsobjektes, erfolgt auf der Grundlage von Bewertungsmaßstäben und mit Hilfe geeigneter Bewertungsmethoden“ (HAAG ET AL., 2011, S. 310). Jedoch wird der prinzipielle Ablauf einer Technologiebewertung in der Literatur sehr heterogen betrachtet. Entgegen der Technologiefrüherkennung wird hier kein einheitliches Vorgehen postuliert. SCHNEIDER hat vor diesem Hintergrund in einer Studie untersucht, ob den unterschiedlichen Ansätzen zur Technologiebewertung dennoch ein grundlegendes Ablaufschema unterliegt (SCHNEIDER, 2002, S. 29). Dabei haben sich zwei 28 2 Stand der Forschung wesentliche Phasen herauskristallisiert, die sämtlichen Ansätzen gemein sind – die Datenerhebungsphase und die Bewertungsphase. Während in der ersten Phase die nötigen Bewertungsinformationen mittels Exploration, Frühaufklärung etc. beschafft und verdichtet werden, dient die Bewertungsphase letztendlich der eigentlichen Beurteilung der Technologien auf Basis der gesammelten Informationen (SCHNEIDER, 2002, S. 35). 2.3 Überblick über den Produktentstehungsprozess Für eine effektive und effiziente Umsetzung von Technologien im Hinblick auf eine erfolgreiche Produktentwicklung ist ein gut koordiniertes Zusammenspiel zwischen Technologiemanagement und Produktentstehungsprozess nötig (ZAHN, 1995, S. 20). Vor diesem Hintergrund liefert dieses Kapitel einen Überblick über den Produktentstehungsprozess mit seinen charakteristischen Phasen als Grundlage für eine nachfolgende Einordnung der Technologiefrüherkennung und -bewertung in die strategische Produktplanung zur gezielten Unterstützung von Technologieentscheidungen. Die industrielle Herstellung eines Produkts ist ein sehr umfangreiches und komplexes Unterfangen. „Ein Produkt entsteht also nicht in einem einzigen, großen Schritt, vielmehr in vielen kleinen Schritten, deren Inhalte genau festgelegt und deren Schnittstellen untereinander genau beschrieben sein müssen“ (FELDHUSEN & GROTE, 2013, S. 11). Diese Schritte werden in ihrer Gesamtheit als Produktentstehungsprozess bezeichnet. Darin sind die Eigenschaften eines Produkts zunächst modellhaft zu definieren und anschließend im Rahmen der Produktherstellung entsprechend zu materialisieren. Besonders zu beachten ist dabei der Leitsatz, dass „alle Produkteigenschaften am stärksten durch die Entscheidungen beeinflusst werden, die am Anfang seines Lebenslaufs liegen, sozusagen bei Zeugung, Geburt und in der Kinderstube“ (EHRLENSPIEL & MEERKAMM, 2013, S. 162). Der Produktentstehungsprozess mit seinen charakteristischen Phasen ist somit ein wesentlicher Bestandteil des übergeordneten Produktlebenszyklus. Bild 2.8 verdeutlicht diesen Umstand und zeigt die Integration des Produktentstehungsprozesses in den gesamten Lebenszyklus eines Produkts. Dieser erstreckt sich weit über die eigentliche Produktentstehung hinaus und umfasst auch die Phasen der tatsächlichen Produktnutzung durch den Anwender bis hin zur Produktentsorgung (PAHL, BEITZ, FELDHUSEN & GROTE, 2007, S. 3; VDI 2221, 1986, S. 6; WARTZACK, 2000, S. 8). Diese ganzheitliche Betrachtungsweise eines Produkts gewinnt gerade aufgrund des wachsenden Verantwortungsbereichs von Unternehmen gegenüber dem Kunden und der Umwelt immer mehr an Bedeutung. Speziell unternehmenseigene Dienst- 2 Stand der Forschung 29 leistungen zur Unterstützung der Produktnutzung oder -entsorgung lassen sich auf diese Weise sehr systematisch in den Produktlebenszyklus integrieren (EHRLENSPIEL & MEERKAMM, 2013, S. 162). Produktplanung Entwicklung & Konstruktion Arbeitsvorbereitung & Produktherstellung Produktentstehungsprozess Markt, Umfeld, Unternehmen Vertrieb, Beratung & Verkauf Nutzung, Verbrauch & Instandhaltung Recycling Umwelt & Deponie Bild 2.8: Produktentstehungsprozess entlang des Produktlebenszyklus in Anlehnung an PAHL, BEITZ, FELDHUSEN & GROTE, 2007, S. 3; VDI 2221, 1986, S. 6; W ARTZACK, 2000, S. 8 Wie in Bild 2.8 zu sehen ist, umfasst der Produktentstehungsprozess ausgehend von einer umfassenden Analyse von Markt, Umfeld und Unternehmen die Phasen der Produktplanung, der Entwicklung und Konstruktion sowie die Schritte zur Arbeitsvorbereitung und Produktherstellung (PAHL ET AL., 2007, S. 3; VDI 2221, 1986, S. 6; WARTZACK, 2000, S. 8). Im Folgenden werden die charakteristischen Phasen des Produktentstehungsprozesses näher vorgestellt. 30 2 Stand der Forschung 2.3.1 Produktplanung Am Anfang des Produktentstehungsprozesses steht die Produktplanung. In deren Zentrum steht immer eine Produktidee, die zu „der strategischen Entscheidung eines Unternehmens (führt, Anm. des Verf.), ein bestimmtes Produkt zu entwickeln, zu produzieren und am Markt anzubieten“ (SCHINDLER, 2012, S. 400). Dieses Bestreben wird im weiteren Verlauf der Produktplanung konkretisiert und in eine spezifische Entwicklungsaufgabe überführt (SCHINDLER, 2012, S. 400). Produktideen lassen sich auf zwei grundsätzliche Ansätze zurückführen – die Lösungsidee und die Problemidee. Lösungsideen verkörpern neue, technische Lösungen bei bekannten Problemstellungen. Ein typisches Beispiel dafür ist der Versuch von Unternehmen, neue Technologien in marktfähigen Produkten zu etablieren, weshalb dieser Ansatz auch als „Technology-Push“ bezeichnet wird. Demgegenüber stützen sich Problemideen auf neue Problemstellungen oder Anforderungen seitens Markt und Kunden, die sich durch bereits bekannte Lösungsmöglichkeiten realisieren lassen. Dieser Ansatz nennt sich „Demand-Pull“. In der Praxis führt allerdings meistens eine Kombination aus „push“- und „pull“-orientierten Ideen zu erfolgreichen Produktlösungen (PAHL ET AL., 2007, S. 111). Gerade im Hinblick auf eine erfolgreiche sowie zukunftsorientierte Produktentwicklung müssen vor der Ideenfindung allerdings zwingend erst „die Anforderungen an die Produkte zur Eroberung der Märkte von morgen“ ermittelt werden (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 49). Wie in Bild 2.9 zu erkennen ist, finden sich diese Anforderungen hauptsächlich an der Schnittstelle zwischen Markt, Wettbewerbern und Technologie (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 52). Dafür muss diese Schnittstelle jedoch „systematisch mit geeigneten Mitteln ‚angezapft‘ werden. Als unterstützende Instrumente stehen dafür unter anderem Methoden der Marktforschung, des Technologiemanagements, der Konkurrenzanalyse und auch sogenannte Kreativitätstechniken zur Verfügung“ (SCHÄPPI, 2005, S. 14). Der Konkretisierung der Entwicklungsaufgaben im weiteren Verlauf der Produktplanung kann dadurch eine zukunftssichere Denkrichtung vorgegeben werden (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 51). Entwicklungsaufgaben selbst lassen sich in unterschiedliche Typen unterteilen und bestimmen in hohem Maße den Umsetzungsaufwand in der späteren Entwicklung & Konstruktion (PAHL ET AL., 2007, S. 94; SCHINDLER, 2012, S. 398–399): Neukonstruktion: Bewältigung völlig neuer Aufgabenstellungen bzw. Probleme mit neuen technischen Lösungen oder Neukombinationen bekannter Lösungen; Innovation (neue Lösung für neue Funktionen); Neuentwicklung 2 Stand der Forschung 31 (neue Lösung für bekannte Funktionen); Weiterentwicklung (bekannte Lösung mit neuen Funktionen); Anpassungskonstruktion: partielle Anpassung der Konstruktion an neue Rahmenbedingungen bei bestehender technischer Lösung; Variantenkonstruktion: Variation der Größe oder Anordnung von Teilen und Baugruppen bei bestehender technischer Lösung; Wiederholkonstruktion: erneuter Fertigungsanlauf für ein bereits entwickeltes und gefertigtes Produkt. Markt Ersatzprodukte Schwächen/Lücken neue Konkurrenten Geschäftsausrichtung Potentiale Wettbewerber Bild 2.9: neue Bedarfe wachsende Segmente ungedeckte Bedarfe neue Verbrauchergruppen neue Werkstoffe neue Komponenten neue Prozesse neue Standards Technologien Erfolgspotentiale von morgen nach GAUSEMEIER, EBBESMEYER & KALLMEYER, 2001, S. 52 Mit der Festlegung der unterschiedlichen Entwicklungsaufgaben kann bereits in der Produktplanung maßgeblich Einfluss auf eine innovative Ausrichtung des Unternehmens genommen werden. Sie wird deshalb auch oft als Innovationsplanung bezeichnet und orientiert sich stark an den übergeordneten Zielen und Strategien der Organisation. Zusätzlich zur Unternehmensleitung können auch zahlreiche andere Unternehmensbereiche wie z.B. Vertrieb, F&E oder Marketing in die Produktplanung involviert sein (PAHL ET AL., 2007, S. 103). Vor diesem Hintergrund sind in den vergangenen Jahren unterschiedliche Ansätze entstanden, die auf einen formalisierten und strukturierten Prozess der Produktplanung abzielen. PAHL ET AL. haben diesbezüglich ein umfassendes Vorgehensmodell entwickelt, das die wesentlichen Phasen dieser Ansätze vereint und einen systematischen Ablauf der Produktplanung darstellt. Nach dem traditionellen Verständnis der Konstruktionslehre wird die Produktplanung in dem Modell, das in Bild 2.10 dargestellt ist, als vorgelagerte Phase der 32 2 Stand der Forschung Produktentwicklung verstanden und umfasst folgende Schritte inkl. dafür vorgesehener Handlungsempfehlungen (PAHL ET AL., 2007, S. 104–105): Analysieren der Situation: umfassende Analyse der aktuellen Situation auf dem Markt, im Unternehmensumfeld und im Unternehmen selbst; Erkennen von externen Impulsen; Aufstellen von Suchstrategien: Finden von strategischen Lücken und Freiräumen; Ableiten von Problemideen (neues Problem für bekannte Lösung; „Demand-Pull“) oder Lösungsideen (neue Lösung für bekanntes Problem; „Technology-Push“) als Ausgangspunkt für Produktideen; Erkennen soziokultureller Trends; technologieorientierte Analysen; Finden von Produktideen: Ideenfindung durch Innovations-Workshops, Kundenanalysen oder Kreativitätstechniken; Markt, Umfeld, Unternehmen 1 – Analyse der Situation Situationsanalyse 2 – Aufstellen von Suchstrategien Suchfeldvorschlag Produktideen 4 – Auswahl von Produktideen ausgewählte Produktideen 5 – Definieren von Produkten Produktplanung 3 – Finden von Produktideen Produktvorschläge 6 – Umsetzungsplanung Umsetzungsplan Entwicklungsauftrag 7 – Klären und Präzisieren der Aufgabe Anforderungsliste Entwickeln & Konstruieren Bild 2.10: Vorgehensmodell für die Produktplanung nach PAHL, BEITZ, FELDHUSEN & GROTE, 2007, S. 105 2 Stand der Forschung 33 Auswahl von Produktideen: Berücksichtigung von strategischen Rahmenbedingungen; Durchführung von Marktforschung und Ideenbewertungen; Auswahl geeigneter Produktideen; Definieren von Produkten: Konkretisierung der Produktideen zu Produktvorschlägen; Umsetzungsplanung: Erstellung eines Umsetzungsplans; Überführung in eine konkrete Entwicklungsaufgabe; Klären und Präzisieren der Aufgabe: fließender Übergang zur eigentlichen Produktentwicklung. Das beschriebene Vorgehensmodell ist keinesfalls als starrer Prozess vorgesehen. Vielmehr wird für eine erfolgreiche Produktplanung ein iteratives Vorgehen mit Vorbzw. Rücksprüngen oder Wiederholungen zwischen den einzelnen Schritten empfohlen (vgl. Bild 2.10). Zudem sind die im Vorgehensmodell empfohlenen Handlungsempfehlungen nur beispielhaft aufgeführt. Unternehmen können in der Praxis auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Hilfsmitteln zur Unterstützung der jeweiligen Planungsschritte zurückgreifen (PAHL ET AL., 2007, S. 104). 2.3.2 Entwicklung & Konstruktion Zentrales Element des Produktentstehungsprozesses ist die Entwicklung & Konstruktion und somit die eigentliche Produktentwicklung. Anhand umfassender Überlegungen, Prinzipien, Verfahren und Berechnungen sowie der Erstellung der technischen Dokumentation wird darin die technische Umsetzung eines Entwicklungsvorhabens mit all seinen Funktionen bis ins Detail abgesichert (SCHINDLER, 2012, S. 395). Die Produktentwicklung ist demnach ein sehr komplexes Vorhaben, an dem zahlreiche Personen und Unternehmensbereiche beteiligt sind. Dies erfordert letztendlich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben (FELDHUSEN & GROTE, 2013, S. 14; LINDEMANN, 2009, S. 8). Diese erstrecken sich dabei von völligen Neuentwicklungen bzw. Innovationen bis hin zu weniger aufwändigen Anpassungs- oder Wiederholentwicklungen, bei denen die technische Lösung bereits (größtenteils) existiert (LINDEMANN, 2009, S. 7; SCHINDLER, 2012, S. 398–399). Prinzipiell stellt die Entwicklung eines Produkts den Entwickler vor ein technisches Problem, das es schrittweise zu lösen gilt. Dieses Problem muss dafür zunächst vollständig analysiert und verstanden werden. Im weiteren Verlauf erarbeitet der Entwickler unterschiedliche Lösungsansätze, die nach und nach zur vollständigen Lösung verknüpft werden. Durch entsprechende Rückkopplung zwischen den einzelnen Arbeitsschritten im Lösungsprozess kann das vorläufige Ergebnis immer wieder optimiert, angepasst oder ergänzt werden (SCHINDLER, 2012, S. 400–401). 34 2 Stand der Forschung Die traditionelle Produktentwicklung mit ihren wesentlichen Phasen lässt sich sehr gut in einem Prozessmodell darstellen. PAHL & BEITZ haben in diesem Zusammenhang ein weit verbreitetes Prozessmodell entwickelt, das die Produktentwicklung in vier grundlegende Arbeitsschritte gliedert (FELDHUSEN & GROTE, 2013, S. 17; PAHL ET AL., 2007, S. 198). Der VDI hat dieses Prozessmodell konkretisiert und in die VDIRichtlinie 2221 überführt. Darin wird die grundlegende Vorgehensweise nach PAHL & BEITZ durch Zwischenlagerung zusätzlicher Arbeitsschritte erweitert, so dass eine wesentlich spezifischere Abgrenzung zwischen einzelnen Aufgabenbereichen möglich ist. Die vier klassischen Phasen der Produktentwicklung, die beiden Ansätzen jedoch gemein sind, lauten wie folgt (PAHL ET AL., 2007, S. 194; SCHINDLER, 2012, S. 401–402; VDI 2221, 1986, S. 7–9): Planen und Klären der Aufgabe (informative Festlegung); Konzipieren (prinzipielle Festlegung); Entwerfen (gestalterische Festlegung); Ausarbeiten (produktionstechnische Festlegung). In der ersten Phase zum Planen und Klären der Aufgabe hat sich der Entwickler vollständige Klarheit über die Entwicklungsaufgabe zu verschaffen, die ihm als Resultat der vorgelagerten Produktplanung zugetragen wird. Es entstehen konkrete Anforderungen an das zu entwickelnde Produkt. In der Phase des Konzipierens werden zunächst verschiedene Lösungsmöglichkeiten zur Erfüllung der Entwicklungsaufgabe erarbeitet. Unter Berücksichtigung der Produktanforderungen wählt man aus diesen Lösungsmöglichkeiten schließlich die bevorzugte, prinzipielle Lösung aus. Hauptaufgabe in der Phase des Entwerfens ist in der Folge die sukzessive und iterative Konkretisierung der prinzipiellen Lösung. Das zu realisierende Produkt wird dabei gestalterisch festgelegt, wobei man hier neben rein technischen Parametern auch wirtschaftliche Randbedingungen berücksichtigen muss. Als Vorbereitung auf die Produktherstellung sowie zur Unterstützung der späteren Nutzung wird in der Phase des Ausarbeitens die technische Dokumentation des Produkts vervollständigt und freigegeben (PAHL ET AL., 2007, S. 195–197; SCHINDLER, 2012, S. 402). „Produkte werden unter aktuellen Bedingungen für zukünftige Situationen entwickelt. Kunden ändern jedoch ihre Meinung, Wettbewerber melden Patente an, wichtige Wissensträger verlassen das Unternehmen, der Umsatz geht zurück. Produktentwickler sehen sich also mit einer ständigen Veränderung von Märkten, Werten, Technologien und vielen anderen Aspekten konfrontiert“ (LINDEMANN, 2009, S. 29). Des Weiteren identifizieren EHRLENSPIEL & MEERKAMM in der Produktentwicklung drei wesentliche Problembereiche, die vor allem auf der heutzutage stark arbeitsteiligen Produktentstehung beruhen: organisatorische Probleme, zeitliche Probleme und 2 Stand der Forschung 35 technisch-wirtschaftliche Probleme. Dies erfordert letzten Endes eine stärkere Integration der arbeitsteiligen Bereiche in den gesamten Entwicklungsprozess (EHRLENSPIEL & MEERKAMM, 2013, S. 187–193). Denn „offensichtlich ist die Fähigkeit der Menschen, zielgerichtet und effizient zusammenzuarbeiten, der herausragende Erfolgsfaktor auf dem Weg zu Produkten von morgen“ (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 46). Dieses neue Verständnis einer integrierten Produktentwicklung ist letztendlich „eine Abkehr vom traditionellen, rein funktionsorientierten und hierarchischen Denken und Arbeiten“ (EHRLENSPIEL & MEERKAMM, 2013, S. 196). Vom Entwickler als Mensch wird vielmehr eine ganzheitliche Denkweise sowie eine zielgerichtete Verknüpfung technischer, organisatorischer und methodischer Hilfsmittel gefordert (EHRLENSPIEL & MEERKAMM, 2013, S. 194). Produktfindung Fertigungsplanung Ausarbeiten Potentialfindung Konzipieren Entwerfen Geschäftsplanung Serienanlauf Strategische Produktplanung Produktentwicklung Prozessentwicklung Bild 2.11: Zyklischer Produktentwicklungsprozess in Anlehnung an GAUSEMEIER, EBBESMEYER & KALLMEYER, 2001, S. 44 GAUSEMEIER ET AL. haben daher ein praxisnahes Prozessmodell einer integrierten Produktentwicklung vorgestellt. Das in Bild 2.11 veranschaulichte Modell beruht auf einer Reihe von Zyklen, die ineinander greifen und einen fließenden Übergang zwischen den einzelnen Prozessphasen gewährleisten. Im ersten Zyklus der strategischen Produktplanung verknüpfen GAUSEMEIER ET AL. die ursprünglich vorgelagerte Phase der Produktplanung mit den klassischen Phasen zum Planen und Klären der Aufgabe sowie zum Konzipieren. Letztere leitet schließlich den Zyklus der eigentlichen Produktentwicklung ein, in dem die prinzipielle Lösung gestaltet und ausgearbeitet wird. Der finale Zyklus der Prozessentwicklung begleitet das Produkt schließ- 36 2 Stand der Forschung lich zum erfolgreichen Markteintritt. Hauptaufgabe ist hier vor allem die Planung der Fertigung bis hin zur abschließenden Optimierung von Produkt und Fertigungssystem im Serienanlauf (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 43–46). Mit diesem Modell verdeutlichen GAUSEMEIER ET AL. besonders den Aspekt einer ganzheitlichen und kooperativen Produktentwicklung. Im Gegensatz zum traditionellen Modell der Produktentwicklung werden dabei gezielt Elemente der Geschäftsplanung und Potentialfindung sowie der Prozessentwicklung (erfolgsorientierte Gestaltung der Herstellungsprozesse, logistischen Prozesse etc.) in die eigentliche Produktentwicklung integriert (vgl. Bild 2.11), um einen möglichst durchgängigen Prozess von der Geschäftsidee bis zum erfolgreichen Markteintritt zu schaffen (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 45). Diese ganzheitliche Betrachtungsweise der Produktentwicklung erfordert „einerseits ein geändertes Denkverhalten, umgesetzt in partnerschaftlichem, interdisziplinären Arbeiten sowohl innerhalb des Unternehmens als auch mit Kunden und Zulieferanten, andererseits eine methodische Vorgehensweise mit Betrachtung des gesamten Produktlebenszyklus und einer verstärkten Beachtung der Wechselwirkung zwischen Produkt und Prozess“ (EHRLENSPIEL & MEERKAMM, 2013, S. 195). Nach dem Grundsatz des „Simultaneous Engineering“, das als Organisationsmodell eine geteilte und parallele Arbeitsweise vorsieht, ist hier vor allem eine enge Kooperation zwischen Produkt- und Prozessentwicklung gefordert. Nur so kann der Entwickler letztendlich unter Einhaltung zeitgemäßer Gestaltungsrichtlinien („Design for X“) eine fertigungsund montagegerechte Produktkonzeption gewährleisten (EHRLENSPIEL & MEERKAMM, 2013, S. 354; KLOCKE, EVERSHEIM, FALLBÖHMER & BRANDENBURG, 1999, S. 186; BIRKNER, BRAUN, EGELKRAUT, GRAUER, MÄRZ, MEYER, RITTNER & ZELTNER, 2009, S. 5; WARTZACK, 2000, S. 8). 2.3.3 Arbeitsvorbereitung & Produktherstellung Am Ende des Produktentstehungsprozesses stehen die Arbeitsvorbereitung (W ARTZACK, 2000, S. 8) sowie die einzelnen Arbeitsschritte „zur Herstellung der Komponenten wie Bauteile und Baugruppen und deren Montage“ zu einem serientauglichen Gesamtprodukt (FELDHUSEN & GROTE, 2013, S. 14). Ausgehend von der technischen Dokumentation, die in der Phase der Ausarbeitung erstellt und freigegeben wird, liegt der Fokus in der Arbeitsvorbereitung insbesondere auf den Aspekten der Materialwirtschaft, Logistik, Fertigungs- und Montagevorbereitung zur Festlegung der spezifischen Arbeitsanweisungen sowie zur Bereitstellung sämtlicher Fertigungsmittel für die nachfolgende Fertigung und Montage (EHRLENSPIEL & MEERKAMM, 2013, S. 163; GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 46). Während der Fertigung und Montage werden die in der technischen Dokumentation festgelegten Produkteigenschaften schließlich mate- 2 Stand der Forschung 37 riell umgesetzt (EHRLENSPIEL & MEERKAMM, 2013, S. 162). Das Ergebnis der gesamten Produktherstellung ist dann letztendlich ein physisches Produkt, das durch den gezielten Einsatz der dafür notwendigen, operativen Ressourcen wie Produktionsanlagen, Personal, Betriebs- oder Finanzmittel im Rahmen der Fertigung und Montage realisiert und dem Kunden nach erfolgreichem Serienanlauf sowie Inbetriebnahme bereitgestellt wird (EIGNER & STELZER, 2009, S. 2; GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 44; SCHINDLER, 2012, S. 400; W ARTZACK, 2000, S. 8). Im zyklischen Produktentwicklungsprozess von GAUSEMEIER ET AL. (vgl. Bild 2.11) wurde bereits deutlich, dass die einzelnen Phasen der Produktentstehung im Hinblick auf eine integrierte Produktentwicklung immer mehr miteinander verschmelzen. Davon sind auch wesentliche Elemente der Arbeitsvorbereitung und Produktherstellung betroffen, die von GAUSEMEIER ET AL. unter dem Aspekt der Prozessentwicklung als finaler Schritt eines erfolgreichen Markteintritts in ihr Modell eingebunden werden. Ausgehend von den klassischen Phasen des Entwerfens und Ausarbeitens umfasst die Prozessentwicklung dabei die Fertigungsplanung zur Bereitstellung von Fertigungsmitteln, Arbeitsplänen und -programmen sowie die Optimierung von Fertigungssystem und Produkt im Rahmen des Serienanlaufs (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 44). Eine erfolgreiche Produktherstellung und Markteinführung kann jedoch „nicht allein Sache der Prozessentwicklung sein, sondern beruht auf dem integrativen Denken und Handeln aller Beteiligten in den vorgestellten Zyklen“ (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 46). Die Voraussetzungen dafür werden bereits im Rahmen der eigentlichen Produktentwicklung durch eine fertigungs-, montage-, prüf- sowie normgerechte Konstruktion geschaffen (W ARTZACK, 2000, S. 8). 2.4 Unterstützung von Technologieentscheidungen in der Produktplanung Nachfolgend werden die Technologiefrüherkennung und -bewertung als Instrumente des strategischen Technologiemanagements zur Unterstützung von Technologieentscheidungen in die strategische Produktplanung eingeordnet. Zudem muss vor diesem Hintergrund auch eine Auseinandersetzung mit dem Thema der multikriteriellen Entscheidungsunterstützung stattfinden, das aufgrund der zunehmenden Komplexität in Entscheidungssituationen immer mehr an Bedeutung gewinnt und im Rahmen einer zeitgemäßen Technologiebewertung zwingend berücksichtigt werden muss. 38 2 Stand der Forschung 2.4.1 Technologiefrüherkennung und -bewertung zur Entscheidungsunterstützung in der strategischen Produktplanung Rückblickend auf Kapitel 2.3.1 wird deutlich, dass Technologieentscheidungen schon sehr früh im Produktentstehungsprozess – d.h. innerhalb der strategischen Produktplanung – getroffen werden müssen, um Optimierungspotentiale an der Schnittstelle zwischen Markt, Wettbewerbern und Technologie möglichst vollständig ausschöpfen und auf deren Basis Entwicklungsaufgaben für die Produktentwicklung konkretisieren zu können (KRÖLL, 2007, S. 16). Ferner kann damit auch verhindert werden, dass Produktkonzepte im weiteren Verlauf des Produktentstehungsprozesses aufgrund fehlender technischer bzw. technologischer Möglichkeiten nachträglich noch geändert werden müssen. Dies würde einen erheblichen kosten- sowie ressourcentechnischen Aufwand für das Unternehmen nach sich ziehen (SCHÄPPI, 2005, S. 14). Wesentliches Element zur Vorbereitung auf solche Entscheidungen ist eine systematische Identifikation, Bewertung und Auswahl von Technologien als Bestandteil eines umfassenden Technologiemanagements. Durch einen bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Einsatz zukunftsträchtiger Technologien können Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und sich entscheidend von der Konkurrenz abgrenzen (KRÖLL, 2007, S. 12; TSCHIRKY, 1998, S. 322). Demnach greift man in der Phase der strategischen Produktplanung, in der Produktideen auf Basis von Markt-, Wettbewerber- und Technologieanalysen generiert und konkretisiert werden, auf die Technologiefrüherkennung und -bewertung als unterstützende Instrumente des strategischen Technologiemanagements zurück. So lassen sich vor allem neue technologische Entwicklungen frühzeitig erkennen und hinsichtlich eines möglichen Einsatzes in künftigen Produktlösungen bewerten (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 43–44; SCHÄPPI, 2005, S. 14). Damit wird grundsätzlich geklärt, mit welchen bereits beherrschten oder neu verfügbaren Technologien die entsprechenden Produktvorhaben realisiert werden können (SCHÄPPI, 2005, S. 16). Bei solchen Bewertungsmaßnahmen sind vor allem funktions-, kosten- sowie qualitätstechnische Aspekte zu beachten, die sich aus den konkreten Rahmenbedingungen der gegenwärtigen Situation auf dem Markt, im Unternehmensumfeld und im Unternehmen selbst ergeben (KRÖLL, 2007, S. 17). Um gleichzeitig auch den Anforderungen an die produktspezifischen Herstellungsprozesse gerecht zu werden und eine fertigungs- sowie montagegerechte Konstruktion sicherstellen zu können, müssen dabei auch neue Entwicklungen im Bereich der Fertigungs- und Montagetechnologien berücksichtigt werden (BIRKNER ET AL., 2009, S. 5; SCHÄPPI, 2005, S. 15). Aufbauend auf den vorab gesammelten Erkenntnissen haben Entwickler dann schließlich im Rahmen der eigentlichen Produktentwicklung die Möglichkeit, die richtigen 2 Stand der Forschung 39 Technologien nach ihrer erfolgreichen Bereitstellung zur Erfüllung der einzelnen Produktfunktionen einzusetzen (TSCHIRKY, 1998, S. 251). Zudem wird Entwicklern entscheidend dabei geholfen, „schon bei der konstruktiven Auslegung und Gestaltung von Produkten die werkstoff- und verfahrensspezifischen Randbedingungen ausreichend zu berücksichtigen. Hierbei können die Faktoren Gestalt, Werkstoff und Technologie optimal aufeinander abgestimmt werden“ (KLOCKE ET AL., 1999, S. 186). „Die Weichen für den Produkterfolg werden (somit schon, Anm. des Verf.) in der strategischen Produktplanung gestellt“ (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 51). Durch eine immer stärkere Verknüpfung von Produktplanung mit der eigentlichen Produktentwicklung im Sinne einer integrativen Produktentwicklung gewinnen somit auch die Technologiefrüherkennung und -bewertung zur Unterstützung dieses Prozesses immer mehr an Bedeutung (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 43–44; SCHÄPPI, 2005, S. 14). 2.4.2 Multikriterielle Entscheidungsunterstützung Die in Kapitel 2.2.2.2 geschilderte, notwendige Ausweitung des Betrachtungshorizonts einer Technologiebewertung (Umwelt, Sicherheit, etc.) führt zu einem deutlichen Zuwachs an möglichen Bewertungskriterien für eine Technologie. Zudem geht aus Kapitel 2.4.1 hervor, dass besonders bei Technologieentscheidungen im Rahmen einer strategischen Produktplanung zahlreiche unternehmensinterne wie auch -externe Aspekte an der Schnittstelle von Markt, Wettbewerbern und Technologie berücksichtigt werden müssen, um den komplexen Anforderungen an eine erfolgreiche und zukunftsorientierte Produktentwicklung gerecht zu werden. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema der multikriteriellen Entscheidungsunterstützung für eine systematische Beurteilung von Alternativen unter Berücksichtigung einer Vielzahl von unterschiedlichen Kriterien ist daher zwingend notwendig (W ARTZACK, 2000, S. 62). Diese Notwendigkeit ergibt sich im Einzelnen aus diversen Unzulänglichkeiten, die mit intuitiv und unsystematisch vorgenommenen Bewertungen einhergehen (VDI 2223, 2004, S. 61–62; WARTZACK, 2000, S. 63): Subjektiv beeinflusste, sprunghafte Bewertungsprozesse; Gefahr von latenten Vereinfachungen; Vernachlässigung gewisser Anforderungen, Rahmenbedingungen und somit wichtiger Bewertungskriterien; Unverhältnismäßige Gewichtung von Bewertungskriterien; Unverhältnismäßige Bewertung von Alternativen aufgrund augenscheinlicher Stärken bzw. Schwächen. 40 2 Stand der Forschung Im Allgemeinen sind Ansätze zur multikriteriellen Entscheidungsunterstützung durch eine Analyse einer diskreten oder kontinuierlichen Menge an Optionen (z.B. Alternativen, Lösungen, Handlungsmöglichkeiten oder Aktionen) gekennzeichnet, auf deren Basis nachfolgend eine Auswahl der Optionen getroffen, eine Rangfolge gebildet oder eine entsprechende Klassifizierung vorgenommen werden kann (OBERSCHMIDT, 2010, S. 56). Zu diesem Thema sind in den vergangenen Jahrzehnten viele unterschiedliche Forschungsansätze aus Theorie und Praxis veröffentlicht worden (BANA E COSTA, STEWART & VANSNICK, 1997, S. 29; OBERSCHMIDT, 2010, S. 56; STEWART, 1992, S. 569). Diese lassen sich prinzipiell in Multi-Attribut-Ansätze sowie MultiObjective-Ansätze unterteilen, deren wesentliche Unterschiede in Tabelle 2.2 zusammengefasst sind. Multi-Objective-Ansätze sind speziell auf Optimierungsvorhaben ausgelegt, bei denen aus einer quasi unendlichen Menge an möglichen Optionen unter Berücksichtigung diverser Rahmenbedingungen eine optimale Lösung bestimmt werden soll. Dazu greift man hauptsächlich auf mathematische Modelle zur Vektoroptimierung zurück, um die vektoriellen Zielfunktionen bestmöglich zu lösen. Der Fokus bei Multi-Attribut-Ansätzen liegt dagegen auf einer simultanen Bewertung einer bereits bekannten Menge an Optionen anhand mehrerer, unterschiedlich gewichteter Kriterien (multikriterielle Bewertung). Es soll diejenige Option ermittelt werden, die den Zielvorstellungen der Entscheidungsträger am ehesten entspricht. Besagte Zielvorstellungen bzw. Präferenzen spiegeln sich dabei in den unterschiedlich gewichteten Bewertungskriterien wider (GELDERMANN, 2008, S. 12; OBERSCHMIDT, 2010, S. 56–58). Tabelle 2.2: Unterschiede zwischen Multi-Attribut- und Multi-Objective-Ansätzen nach GELDERMANN, 2008, S. 12; OBERSCHMIDT, 2010, S. 57 Merkmal Multi-Attribut-Ansätze Multi-Objective-Ansätze Lösungsraum Menge an bekannten, diskreten Optionen meist kontinuierliche Menge an Optionen (offene Lösungssuche) Ziel Klassifizierung bzw. Ordnung von Alternativen Berechnung der optimalen Lösung aus dem Lösungsraum Ausgangsbasis Menge entscheidungsrelevanter Kriterien quantifizierbare Zielfunktionen aus mehreren Vektoren Formulierung der Problemstellung Zielerreichungs- bzw. Entscheidungsmatrix Modelle zur Vektoroptimierung Bei der multikriteriellen Bewertung unterscheidet man grundsätzlich zwischen Ansätzen der amerikanischen und der europäischen Schule. Innerhalb der amerikanischen Schule werden die Präferenzvorstellungen der Entscheidungsträger über numerische Nutzenfunktionen abgebildet. Der Gesamtnutzen einer Option lässt sich schließlich über eine Aggregation der entsprechenden Teilnutzwerte hinsichtlich der einzelnen, 2 Stand der Forschung 41 gewichteten Bewertungskriterien ermitteln. Als bekannte Methoden, die sich auf ein solches Bewertungsschema stützen, sind vor allem die Nutzwert-Analyse sowie der Analytisch Hierarchische Prozess zu nennen (GELDERMANN, 2008, S. 13; OBERSCHMIDT, 2010, S. 58–59). Demgegenüber unterstellt die europäische Schule den Entscheidungsträgern eine Unklarheit über ihre Präferenzen und liefert deshalb sog. Outranking-Verfahren, mit denen man „auch widersprüchliche Informationen verarbeiten kann, um die Entscheidungssituation zu strukturieren und die Konsequenzen unterschiedlicher Kriterien-Gewichtungen aufzuzeigen“ (OBERSCHMIDT, 2010, S. 59– 60). Klärung der Problemstellung Auswahl der Kriterien Bestimmung der Kriterien-Ausprägungen je Option Gewichtung der Kriterien Entscheidungsunterstützungssystem Festlegung der Optionen Aggregation zur Gesamtbewertung je Option Sensitivitätsanalysen Handlungsempfehlungen Bild 2.12: Ablaufschema einer multikriteriellen Bewertung in Anlehnung an OBERSCHMIDT, 2010, S. 62 Prinzipiell liegt jedoch allen Ansätzen zur multikriteriellen Bewertung ein einheitliches Ablaufschema zugrunde, das in Bild 2.12 vorgestellt wird. Zunächst ist darin die Problemstellung zu klären und eine Festlegung der zu bewertenden Optionen vorzunehmen. Ebenso müssen die Bewertungskriterien in Absprache mit Interessensgruppen und Entscheidungsträgern in Diskussionen, Interviews oder Workshops ent- 42 2 Stand der Forschung sprechend ausgewählt werden. In der Folge bestimmt man die jeweiligen KriterienAusprägungen der betrachteten Optionen und gewichtet darüber hinaus die einzelnen Kriterien nach ihrer relativen Bedeutung (OBERSCHMIDT, 2010, S. 61). Zur Strukturierung der Bewertungskriterien greift man häufig auf baumähnliche Darstellungsweisen zurück, die den relevanten Kriterien eine gewisse hierarchische Ordnung verleihen. Bei der Bestimmung der Kriterien-Ausprägungen können neben quantitativen auch qualitative Informationen berücksichtigt werden, denen über Ordinal-Skalen (bspw. von „1“ für gut, „2“ für mittel bis „3“ für schlecht) dann entsprechende Zahlenwerte beigemessen werden. Einfache Möglichkeiten zur Kriterien-Gewichtung stellen subjektive Vergaben der Gewichtungsfaktoren über Entscheidungsträger oder nachgelagerte Gewichtungen von zunächst gleichbedeutenden Kriterien über Sensitivitätsanalysen dar. Eine weitaus objektivere Alternative bietet dagegen der paarweise Vergleich, bei dem alle möglichen Kriterien-Paarungen entsprechend eines skalierten Maßstabs hinsichtlich ihrer Bedeutung gegeneinander abgewogen und darauf aufbauend die relativen Gewichtungsfaktoren der einzelnen Kriterien bestimmt werden (OBERSCHMIDT, 2010, S. 67–70). Zu guter Letzt werden die erarbeiteten Daten zu einer Gesamtbewertung je Option aggregiert und die Ergebnisse durch Sensitivitätsanalysen auf ihre Standhaftigkeit überprüft. Das beschriebene Ablaufschema lässt sich in seiner Gesamtheit gut in ein Entscheidungsunterstützungssystem wie bspw. eine Bewertungsmethode oder ein Software-Tool integrieren, so dass in der Folge gezielt Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können (OBERSCHMIDT, 2010, S. 61–62). Eine multikriterielle Bewertung übergeht letztendlich die eingangs dieses Abschnitts erwähnten Unzulänglichkeiten einer intuitiven, unsystematischen Bewertung, indem sie eine objektive sowie parallele Berücksichtigung verschiedener „Aspekte unter Einbeziehung qualitativer und quantitativer Informationen“ ermöglicht (OBERSCHMIDT, 2010, S. 56). Ferner lässt sich durch eine multikriterielle Bewertung auch die Multikausalität einer Problemstellung wesentlich strukturierter wie auch wertneutraler darstellen und ein systematisch begründeter Weg zur Entscheidungsfindung aufzeigen. Dies liegt insbesondere daran, dass jedes der betrachteten Bewertungskriterien einen gewissen Teilaspekt der ursprünglichen Problemstellung repräsentiert und in der Gesamtbewertung entsprechend berücksichtigt wird (BANA E COSTA ET AL., 1997, S. 30). Multikriterielle Bewertungselemente sind somit prädestiniert für einen Einsatz im Rahmen der Technologiebewertung (OBERSCHMIDT, 2010, S. 57). 2 Stand der Forschung 43 2.5 Methodisch gestützte Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung Methoden werden grundsätzlich als „Regeln und Anweisungen verstanden, die das Vorgehen weitgehend festlegen. Den Methoden liegt ein plausibles Konzept zugrunde, das eine Beurteilung der Aussagefähigkeit und der Anwendungsgrenzen zulässt; außerdem sollen sie nachvollziehbar sein“ (GESCHKA, 1995, S. 630). Zur Sicherstellung einer systematischen und strukturierten Technologiefrüherkennung wird Unternehmen daher empfohlen, den Technologiefrüherkennungsprozess methodisch zu unterstützen (MIEKE, 2005, S. 22). Auch im Rahmen der Technologiebewertung ist der Einsatz von Methoden dringend notwendig. So kann einer zielgerichteten und systematischen Arbeitsweise während der Bewertung von Technologien Folge geleistet werden (BULLINGER, 1994, S. 55). Gleichermaßen soll durch den Einsatz von Bewertungsmethoden die Entscheidungsqualität und somit auch der Erfolg der technologischen Maßnahmen erhöht werden (HAAG ET AL., 2011, S. 310). Aufgrund der engen Verbundenheit von Technologiefrüherkennung und -bewertung (vgl. Kapitel 2.2.1) sowie der oftmals unscharfen Methodentrennung zwischen beiden Aufgabenbereichen (vgl. Kapitel 2.5.1 & 2.5.2) gewährt dieses Kapitel nachfolgend einen Einblick in den aktuellen Stand der Forschung über Methoden zur Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung. 2.5.1 Methoden zur Technologiefrüherkennung Angesichts der unbeständigen Veränderungsraten im Unternehmensumfeld ist das genaue Festlegen von Zeitspannen für die Beschaffung technologierelevanter Informationen widersinnig. Dennoch ist Zeit für Unternehmen mittlerweile ein erheblicher Erfolgsfaktor und aufgrund der Vergänglichkeit eine knappe Ressource. Methoden zur Technologiefrüherkennung müssen diesen Umstand berücksichtigen und eine frühzeitige Informationsbeschaffung gewährleisten (MIEKE, 2005, S. 22). Neben dem Aspekt der Frühzeitigkeit zählen jedoch auch Qualität, Gültigkeit und Exklusivität der zu verarbeitenden Informationen zu den wesentlichen Anforderungen an die Technologiefrüherkennung und ihre Methoden (W ELLENSIEK ET AL., 2011, S. 102). Grundsätzlich lassen sich Methoden zur Technologiefrüherkennung in quantitative und qualitative Methoden unterteilen. Während sich quantitative Methoden verstärkt auf explizites Datenmaterial in Form von Messgrößen oder Modellvorstellungen zur Beschreibung bzw. Prognose technologischer Entwicklungen stützen, beziehen quantitative Methoden auch subjektive Einschätzungen und implizites Wissen von Fachpersonal mit ein (W ELLENSIEK ET AL., 2011, S. 133–134). In der Literatur stößt 44 2 Stand der Forschung man auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Methoden, die im Rahmen der Technologiefrüherkennung eingesetzt werden. Zur Verdeutlichung stellt Tabelle 2.3 verschiedene Methoden-Sammlungen gegenüber. Dabei decken sich die Auflistungen von LICHTENTHALER und BÜRGEL, REGER & ACKEL-ZAKOUR weitestgehend. FIRAT, WOON & MADNICK identifizieren dagegen über einhundert verschiedene, oftmals sehr spezifische Methoden und ordnen diese übergeordneten Methodenklassen zu. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden nur Letztere in Tabelle 2.3 aufgezeigt. Detaillierte Informationen über die einzelnen Methoden sind der weiterführenden Literatur von FIRAT ET AL. zu entnehmen (FIRAT, W OON & MADNICK, 2008, S. 5–6). Aus der insgesamt sehr umfangreichen Methoden-Übersicht in Tabelle 2.3 erweisen sich insbesondere Patentanalysen, Befragungen von Experten, Technologie-Roadmapping und die Szenario-Analyse als besonderes verbreitete Methoden (BÜRGEL, REGER & ACKEL-ZAKOUR, 2005, S. 40). Aber auch Werkzeuge der TRIZ-Methodik, die ursprünglich nicht dem Themenfeld des Technologiemanagements entstammt, gewinnen in letzter Zeit immer mehr an Bedeutung (GRAWATSCH, 2005, S. 31). Tabelle 2.3: Methoden-Übersicht zur Technologiefrüherkennung in Anlehnung an BÜRGEL, REGER & ACKEL-ZAKOUR, 2005, S. 41; FIRAT, W OON & MADNICK, 2008, S. 5–6; LICHTENTHALER, 2004, S. 130 LICHTENTHALER (2004) Publikationsanalysen Konferenzanalysen Patentanalysen S-Kurven-Analysen Wettbewerbs-Analysen Portfolio-Analyse Delphi-Studien Expertenbefragungen Technologie-Roadmapping Produkt-Roadmapping Erfahrungskurven Simulationen Optionspreismodelle Szenario-Analyse Lead-User-Methode Quality Function Deployment BÜRGEL, REGER & ACKELZAKOUR (2005) FIRAT, WOON & MADNICK (2008) Patentanalysen Publikationsanalysen Marktanalysen Trendanalysen Trendextrapolation Wettbewerbs-Analysen Competitive Intelligence Kundenbefragungen Co-Word-Analysen Risikoanalysen Competence Gap Analysen Internet-Such-Systeme Technologie-Landkarten Delphi-Studien Relevanzbaum-Analysen Szenario-Analyse Technologie-Roadmapping Produkt-Roadmapping Kreativitätstechniken Experten-Analysen Trendanalysen Monitoring Statistische Methoden Modelle/Simulationen Szenario-Analyse Bewertungsmethoden Entscheidungsmethoden Wirtschaftliche Methoden Deskriptive Methoden Matrix-Methoden Kreativitätstechniken Abgesehen von der Szenario-Analyse, die erst in Kapitel 2.5.2 unter den Methoden zur Technologiebewertung eine entsprechende Würdigung erfährt, werden die erwähnten Methoden dem Leser nun näher vorgestellt. 2 Stand der Forschung 45 2.5.1.1 Expertenbefragung Die Befragung von Experten gilt im Rahmen der Technologiefrüherkennung als vielversprechende Quelle zur Beschaffung technologierelevanter Informationen und Prognose bestimmter Ereignisse (W OLFRUM, 1991, S. 139). Experten sind Fachleute, die exklusiven und frühzeitigen Zugang zu neuen Erkenntnissen haben. Sie verfügen durch eine entsprechende Ausbildung, breite Erfahrung, wertvolle Kontakte zu anderen Wissensträgern oder die Beteiligung an zukunftsweisenden Forschungsprojekten über Insider-Informationen und fachspezifisches Know-how (GESCHKA, 1995, S. 631). Je nach Anzahl der Experten und Art der Befragung lassen sich unterschiedliche Typen von Expertenbefragungen ausmachen (MIEKE, 2005, S. 25). Während einer klassischen Expertenbefragung befragt man mehrere Experten in Einzelgesprächen (Interviews). Dabei vertieft man die Fragestellungen sukzessive von Gespräch zu Gespräch, um letztendlich detaillierte und zielführende Informationen von den Experten zu erhalten. Die einzelnen Interviews werden möglichst vollständig dokumentiert und die Ergebnisse in einem abschließenden Dokument zusammengefasst (GESCHKA, 1995, S. 631). Bei der Expertenanhörung liefern Experten bestimmter Institutionen im Einzelgespräch konkrete Informationen über ein vorab festgelegtes Themenfeld. Durch eine entsprechende Überprüfung potentieller Experten hinsichtlich ihrer Sachkenntnis und Denkhaltung versucht man schon im Vorfeld einen geeigneten Expertenkreis zu selektieren. Neben der fachlichen Kompetenz wird von Experten in diesem Zusammenhang auch eine zukunftsorientierte und konstruktive Denkweise gefordert. Man erhofft sich dadurch eine Eindämmung des Risikos zur Selbstüberschätzung und eine deutlich höhere Ergebnisqualität im Rückschluss auf eine wirksame Technologiefrüherkennung (MIEKE, 2005, S. 25–26). Experten-Workshops sind dagegen gruppenorientierte Vorhaben. Auch hier spezialisiert man sich auf ein bestimmtes Themen- bzw. Technologiefeld. Eine kleine Gruppe von Experten gibt dabei Auskunft über ihren Kenntnisstand zu potentiellen, technologischen Entwicklungen. Wissens- und Kompetenzlücken sowie Fehldeutungen und falsche Tendenzen können durch den Gruppencharakter ausgeglichen bzw. verhindert werden. Dennoch werden auch abweichende Meinungen einzelner Experten in Betracht gezogen, da die Mehrheitsmeinung nicht zwangsläufig auch den einzig richtigen Weg weisen muss (GESCHKA, 1995, S. 631; MIEKE, 2005, S. 26–27). Insgesamt bieten Expertenbefragungen eine effektive Möglichkeit, frühzeitig an relevante Informationen über zukünftige, technologische Entwicklungen zu gelangen. Entscheidendes Kriterium dafür ist jedoch die Auswahl der richtigen Experten (GE- 46 2 Stand der Forschung 1995, S. 632). Im Falle von Workshops ist zudem der „Einsatz geschulter und erfahrender Moderatoren“ notwendig, um eventuelle Konkurrenzgedanken oder dominantes Verhalten einzelner Teilnehmer innerhalb der Gruppe zur vermeiden (W OLFRUM, 1991, S. 141). SCHKA, 2.5.1.2 Patentanalyse Gefördert durch Staat sowie Industrie- und Handelskammern hat sich die Patentanalyse als Methode der Technologiefrüherkennung in den vergangenen Jahrzehnten etabliert. Da ein Patent zwangsweise die Entwicklung einer technischen bzw. technologischen Neuerung voraussetzt, führt eine Analyse von Patentdaten automatisch zu Erkenntnissen über neue technologische Entwicklungen (BECKER, 1988, S. 20). Patente sind amtliche Dokumente mit juristischer Wirkung und entstehen nach vorgegeben Richtlinien. Zudem sind Patentinformationen qualitativ äußerst hochwertig und den üblichen Marktinformationen in der Regel um mehrere Jahre voraus. Neben Hinweisen auf neue Technologietrends lassen sich damit auch frühzeitig Anzeichen über mögliche Wettbewerber oder neue Forschungsfelder erkennen. Zahlreiche Patentdatenbanken aus dem Internet sowie softwaregestützte Recherche-Programme vereinfachen die Patentanalyse heutzutage beträchtlich (GESCHKA, 1995, S. 634– 635). Dennoch sind einer Patentanalyse sowohl fachliche als auch technologieseitige Grenzen gesetzt. „Einerseits schlagen sich neue Entwicklungen erst mit zeitlicher Verzögerung in Patentstatistiken nieder. Andererseits sind viele Forschungsergebnisse, besonders solche der Grundlagenforschung, nicht patentfähig“ (BECKER, 1988, S. 22). Aus diesem Grund empfiehlt sich eine zusätzliche Analyse der in den Patenten zitierten Literatur zur Vervollständigung der gesammelten Informationen (Becker, 1988, S. 22). Des Weiteren erfordert eine Patentanalyse auch enormes Geschick und viel Erfahrung vom jeweiligen Analysten (GESCHKA, 1995, S. 635). 2.5.1.3 Technologie-Roadmapping Als bewährte Methode im Rahmen der Technologiefrüherkennung erfüllt Technologie-Roadmapping den Wunsch nach „der Prognose der zeitlichen Entwicklungen von Technologien samt ihren häufig heterogenen Verknüpfungen sowie der Ableitung von Maßnahmen, die der Erhaltung bzw. Verbesserung der technologischen Position eines Unternehmens dienlich sind“ (MÖHRLE & ISENMANN, 2005, S. 1). Seinen Ursprung findet Technologie-Roadmapping in der amerikanischen Automobilindustrie. Weiterführende Ansätze von Global Playern wie MOTOROLA Inc oder PHILIPS in 2 Stand der Forschung 47 den 1970er und 1980er Jahren förderten die starke Verbreitung der Methode in der Folge enorm (PHAAL, FARRUKH & PROBERT, 2004, S. 10). Im Mittelpunkt des Technologie-Roadmappings steht eine Roadmap, wie sie beispielhaft in Bild 2.13 dargestellt ist. Sie dient der Visualisierung von Technologien sowie deren Verknüpfung bzw. Zusammenführung mit F&E-Aktivitäten, Produkten und dem Markt entlang eines bestimmten Betrachtungshorizonts. So kann Unternehmen sowohl eine technologische Marschrichtung als auch eine Orientierungshilfe für eine bessere, bereichsübergreifende Zusammenarbeit vorgegeben werden. Die Tätigkeiten zur Erstellung und Pflege solcher Roadmaps bezeichnet man schließlich als Technologie-Roadmapping (MÖHRLE & ISENMANN, 2005, S. 3–4; PETRICK & ECHOLS, 2004, S. 89). Wichtige Informationen, die Aufschluss über technologischen Entwicklungen, notwendige Ressourcen für deren Umsetzung und mögliche Anwendungsmöglichkeiten im Produktportfolio geben, werden dabei gesammelt, verknüpft und in eine konsistente Roadmap überführt (PETRICK & ECHOLS, 2004, S. 89). Markt M1 P1 M2 P2 P3 Produkt P4 Technologie F&EAktivitäten T1 F&E 1 T2 F&E 2 P5 T3 F&E 3 F&E 4 Zeit Bild 2.13: Beispielhafte Darstellung einer Technologie-Roadmap in Anlehnung an PETRICK & ECHOLS, 2004, S. 89 Beim Technologie-Roadmapping ist jedoch zu beachten, dass man hauptsächlich mit Prognosen technologischer Entwicklungen und deren wechselseitigen Beziehungen zu anderen Gegebenheiten arbeitet. Unsicherheit spielt hier also eine große Rolle und muss in der Anwendung der Methode berücksichtigt werden. Man läuft sonst schnell Gefahr, durch ein stures Festhalten an einer Roadmap den Zufall durch den Irrtum zu ersetzen. Dennoch genießt die Methode in der Praxis eine hohe Wert- 48 2 Stand der Forschung schätzung, da sie neben einer technologischen und marktbezogenen Orientierung auch eine effiziente sowie einfache Handhabung ermöglicht (MÖHRLE & ISENMANN, 2005, S. 9–10). 2.5.1.4 TRIZ – Theorie des erfinderischen Problemlösens TRIZ entstammt ursprünglich nicht der Technologiefrüherkennung, wird aber aufgrund ihrer Vielseitigkeit und ihres Problemlösecharakters mittlerweile verstärkt auch in diesem Themenfeld eingesetzt (GRAWATSCH, 2005, S. 31). Die Entstehung von TRIZ geht auf den Wissenschaftler GENRICH S. ALTSCHULLER zurück. Er verfolgte „das Ziel, dem Entwickler eine Methode an die Hand zu geben, die ihn bei der Lösung technischer Probleme unterstützen sollte“ (GRAWATSCH, 2005, S. 33). Grundlage bildet dabei die Annahme, dass die Evolution technischer Systeme ihre eigenen Gesetz- und Regelmäßigkeiten aufweist. Werden solche Regelmäßigkeiten erkannt, können sie gezielt zur Problemlösung eingesetzt werden. Durch langjährige Patentanalysen sowie zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten und empirische Studien hat ALTSCHULLER zusammen mit seinen Kollegen diese Annahme gestützt und in eine Methodik namens TRIZ überführt (ALTSCHULLER, 1996, S. 2–6; ILEVBARE, PROBERT & PHAAL, 2013, S. 31). TRIZ ist dabei das russische und auch international anerkannte Akronym für die „Theorie des erfinderischen Problemlösens“ (KOLTZE & SOUCHKOV, 2011, S. 18). Die umfangreichen Arbeiten und Studien von ALTSCHULLER und seinen Kollegen führten zu wesentlichen Erkenntnissen, die als Leitsätze einer TRIZgestützten Denkweise gelten (EVERSHEIM, BREUER, GRAWATSCH, HILGERS, KNOCHE, ROSIER, SCHÖNING & SPIELBERG, 2003, S. 151; GRAWATSCH, 2005, S. 33–34; KOLTZE & SOUCHKOV, 2011, S. 18): Systematische Erarbeitung innovativer Problemlösungen durch präzise Problembeschreibungen sowie die wiederkehrende Nutzung bereits bekannter Lösungsprinzipien aus unterschiedlichen Bereichen oder Branchen; Überwindung von Widersprüchen für innovative Problemlösungen; Existenz von Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien in der technischen Evolution. Aufbauend auf diese Erkenntnisse hat sich im Rahmen der TRIZ ein prinzipielles Vorgehen zur Problemlösung herauskristallisiert, dessen prinzipieller Ablauf in Bild 2.14 dargestellt ist. Dieser Ablauf erfolgt schrittweise und beruht auf der Verwendung von Analogien. Im ersten Schritt wird das zugrundeliegende Problem generalisiert, um entsprechende Analogien zu früheren Problemstellungen aufspüren zu können. Deren bekannte Lösungsmuster lassen sich schließlich auf die ursprüngliche Problemstellung übertragen und regen den Entwickler dazu an, eigene problemspezifi- 2 Stand der Forschung 49 sche Lösungsideen zu entwickeln und umzusetzen (EVERSHEIM ET AL., 2003, S. 152; GRAWATSCH, 2005, S. 34). Abstrakte Lösung Konkretes Problem Konkrete Lösung Abstrahieren Konkretisieren Abstraktes Problem Bild 2.14: Prinzipielles Vorgehen zur Problemlösung mit TRIZ nach EVERSHEIM, BREUER, GRAWATSCH, HILGERS, KNOCHE, ROSIER, SCHÖNING & SPIELBERG, 2003, S. 152 Zur systematischen Unterstützung des Problemlöseprozesses im Sinne der TRIZ sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Techniken, Methoden und Hilfsmittel entwickelt worden (GRAWATSCH, 2005, S. 34; ILEVBARE ET AL., 2013, S. 31). Der Großteil dieser TRIZ-Werkzeuge lässt sich unabhängig voneinander in spezifischen Situationen zur Anwendung bringen. Werkzeuge der klassischen TRIZ wurden bis 1989 noch von ALTSCHULLER und seinem Team selbst entwickelt. In der Folgezeit hat sich dieses ursprüngliche Portfolio um fortgeschrittene sowie besonders praxis- und softwareorientierte Werkzeuge noch zusätzlich erweitert (KOLTZE & SOUCHKOV, 2011, S. 20, S. 31). Tabelle 2.4 zeigt in diesem Zusammenhang eine umfassende Auswahl an klassischen sowie neuartigen TRIZ-Werkzeugen, die in der Literatur vorwiegend Erwähnung finden. Insbesondere TRIZ-Werkzeuge, die auf die „Antizipation technologischer Entwicklungen“ abzielen, bergen dabei enormes Potential für einen Einsatz im Rahmen einer systematischen Technologiefrüherkennung und genießen verstärkte Aufmerksamkeit im Forschungsbetrieb (GRAWATSCH, 2005, S. 36; KUCHARAVY, 2007, S. 44; LITVIN, 2014, S. 3). Hierbei handelt es sich vor allem um das Prinzip der Idealität, den System Operator, die Trends der Technikevolution, die S-KurvenAnalyse, die „Main Parameters of Value Discovery“, das „TRIZ-Forecasting“, die Directed Evolution™ sowie die Ansätze zur TRIZ-basierten Technologiefrüherkennung 50 2 Stand der Forschung und zum TRIZ-basierten Technologie-Roadmapping. Die aufgezählten Werkzeuge werden im Folgenden näher vorgestellt. Tabelle 2.4: TRIZ-Werkzeuge in Anlehnung an GRAWATSCH, 2005, S. 138; Innovation Tool Academy, 2011, S. 481; KOLTZE & SOUCHKOV, 2011, S. 31; LITVIN, 2011, S. 4; MÖHRLE, 2005, S. 185; SOUCHKOV, 2008, S. 1–6 Werkzeuge der klassischen TRIZ Neuartige TRIZ-Werkzeuge Idealität Technische/physikalische Widersprüche Widerspruchsmatrix 40 Innovationsprinzipien 4 Separationsprinzipien Stoff-Feld-Modell 76 Standardlösungen Trends der Technikevolution Evolutionsgesetze, -trends, -linien Zwergemodell Operator MZK System Operator ARIZ Ressourcen-Checkliste Innovations-Checkliste Funktionsmodell Trimmen Feature-Transfer Funktionsorientierte Suche S-Kurven-Analyse „Main Parameters of Value Discovery“ Innovation Roadmaps „TRIZ Forecasting“ Directed Evolution™ TRIZ-basiertes Technologie-Roadmapping TRIZ-basierte Technologiefrüherkennung Idealität Das Prinzip der Idealität ist ein wesentlicher Bestandteil der TRIZ-gestützten Denkweise. Manifestiert ist dieses Bestreben in der zentralen Gesetzmäßigkeit der technischen Evolution: Sämtliche technischen Systeme entwickeln sich in Richtung eines ansteigenden Grads an Idealität (SALAMATOV, 2005, S. 141). Idealität ist dabei ein Maß für den Erreichungsgrad des idealen technischen Systems und lässt sich mathematisch als der Quotient zwischen Nutzen und Aufwand ausdrücken. TRIZ definiert das ideale technische System über eine Extremwertbetrachtung dieses Quotienten. Dem maximalen Nutzen steht dabei ein Null-Aufwand gegenüber. Hier wird bewusst der Bogen zu einem idealen aber unrealistischen technischen System gespannt, um gezielt zur Entdeckung und Berücksichtigung bisher ungeahnter, neuartiger Evolutionsstufen anzuregen (ILEVBARE ET AL., 2013, S. 32; KOLTZE & SOUCHKOV, 2011, S. 33). Zum einen kann der Optimierung eines technischen Systems dadurch ein konkreter Orientierungsrahmen vorgegeben werden, zum anderen wird die Suche nach den notwendigen Ressourcen wie bspw. Technologien zur Umsetzung der jeweiligen Evolutionsstufen deutlich erleichtert (ILEVBARE ET AL., 2013, S. 32; STRATTON, MANN & OTTERSON, 2000, S. 3). Für die Formulierung eines idealen technischen Systems sind prinzipiell auch keine Kunden- oder Marktanalysen notwendig, da sich das Prinzip der Idealität an allgemeingütigen sowie zeitunabhängigen Fragen nach Kosten, Nutzen oder Schäden orientiert (KOLTZE & SOUCHKOV, 2011, S. 38–39). 2 Stand der Forschung 51 System Operator Der System Operator, auch „Multi-Screen“-Ansatz genannt, ist ein Werkzeug, mit dem die Evolution eines technischen Systems detailliert und systematisch aufgeschlüsselt werden kann. Man betrachtet die zeitliche Entwicklung des Systems mit all seinen Bestandteilen sowie der Umgebung, in der das System zur Anwendung kommt (ILEVBARE ET AL., 2013, S. 32). Wie in Bild 2.15 zu sehen ist, lässt sich der System Operator typischerweise als eine Matrix aus neun oder mehr Feldern darstellen, die für eine ganzheitliche Beschreibung des technischen Systems entsprechend befüllt werden muss. Die vertikale Achse veranschaulicht darin die Systemstruktur, während die horizontale Achse die zeitliche Entwicklung von der Vergangenheit bis in die Zukunft darstellt. Die Systemstruktur ergibt sich wiederum aus dem System selbst, dessen Subsystem sowie dem umgebenden Supersystem (KOLTZE & SOUCHKOV, 2011, S. 191; LOVEL, SEASTRUNK & CLAPP, 2006, S. 8). Vergangenheit Gegenwart Zukunft Supersystem Schritt 4 Schritt 3 Schritt 5 System Schritt 4 Schritt 1 Schritt 5 Schritt 4 Schritt 2 Schritt 5 Subsystem Bild 2.15: Aufbau des System Operators in Anlehnung an ADUNKA, 2014, S. 18, S. 24; KOLTZE & SOUCHKOV, 2011, S. 192 Die Befüllung der Matrix beginnt im mittleren Feld, in dem das gegenwärtige System möglichst eindeutig und vollständig zu beschreiben ist. Im nächsten Schritt wird das System in seine einzelnen Komponenten (Bauteile, Baugruppen) mit deren Ausprägungen (Material, Funktion, Form etc.) zerlegt, die zusammengefasst das Subsystem repräsentieren. Anschließend ist die Umgebung des Systems zu betrachten. Hier rücken vor allem die unterschiedlichen Anwendungsbereiche des Systems in den Vordergrund. Ferner ist dabei zu untersuchen, mit welchen weiteren Systemen das 52 2 Stand der Forschung betrachtete System in Kontakt steht und wie es durch die Umwelt beeinflusst wird. Im Folgenden muss die Historie bzw. Technikgeschichte von Subsystem, System und Supersystem erarbeitet und in die vorgesehenen Felder eingetragen werden (ADUNKA, 2014, S. 18). Durch den zeitlichen Rückblick sollen mögliche Trends und Entwicklungslinien auf den unterschiedlichen Ebenen des technischen Systems verdeutlicht werden. Diese sollen schließlich dazu anregen, im letzten Schritt auf potentielle Entwicklungsmöglichkeiten in der Zukunft zu schließen (KOLTZE & SOUCHKOV, 2011, S. 192–193). Die mehrschichtige Denkweise im System Operator erweitert somit gezielt den Lösungshorizont und schafft neue Suchfelder für die Identifikation wichtiger Ressourcen wie z.B. Technologien (KOLTZE & SOUCHKOV, 2011, S. 191; LOVEL ET AL., 2006, S. 8). Trends der Technikevolution Die Trends der Technikevolution, im englischsprachigen Raum auch „Trends of Engineering System Evolution“ (TESE) genannt, stehen für die natürlichen Übergänge zwischen den einzelnen Evolutionsstufen eines technischen Systems. Sie gelten als allgemeingültige Entwicklungsgesetze, die sich nach langjährigen und umfangreichen Untersuchungen an einer Vielzahl von unterschiedlichen Systemen herauskristallisiert haben, und liefern wichtige Hinweise zu neuen Lösungsansätzen oder technologischen Weiterentwicklungen (ADUNKA, 2014, S. 317; SHENG, NAMASIVAYAM & THONG, 2012, S. 184). ALTSCHULLER beschreibt diese Gesetze nach der klassischen TRIZ-Lehre wie folgt (ADUNKA, 2014, S. 318; KUCHARAVY, 2007, S. 35): Gesetz der Vollständigkeit der System-Komponenten: Vorliegen der Hauptteile und minimalen Funktionsfähigkeit eines Systems; Gesetz der energetischen Leitfähigkeit eines Systems: Energiefluss durch alle System-Komponenten; Gesetz der Harmonisierung der System-Komponenten: Abstimmung der Rhythmik (Frequenz, Periodizität etc.) zwischen allen System-Komponenten; Gesetz der zunehmenden Idealität: Entwicklung in Richtung der Erhöhung des Idealitätsgrades; Gesetz der ungleichmäßigen Evolution von System-Komponenten: ungleichmäßige Entwicklung der einzelnen System-Komponenten; Gesetz des Übergangs zum Supersystem: Aufnahme des Systems als ein Teil des Supersystems; Gesetz des Übergangs von Makro- zu Mikroebene: Entwicklung der Arbeitsorgane eines Systems auf Makro- und dann auf Mikroebene; Gesetz des zunehmenden Anteils von Stoff-Feld-Beziehungen: Erhöhung des Anteils und der Rolle von Stoff-Feld-Wechselwirkungen. 2 Stand der Forschung 53 In der neueren TRIZ-Literatur stößt man auf modifizierte bzw. erweiterte Darstellungsweisen der TESE, die unabhängig von Zeit, Erfinder oder Branche ihre Geltung genießen (ADUNKA, 2014, S. 329; GEN3 Partners, 2007, S. 33; SHENG ET AL., 2012, S. 184). Eine dieser Darstellungsweisen, in der vor allem die hierarchische Struktur und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Trends betont werden, ist beispielhaft in Bild 2.16 veranschaulicht. Evolution entlang der S-Kurven Zunehmende Idealität Übergang zum Supersystem Zunehmende Fluss-Optimierung Vollständigkeit der Systemkomponenten Abnehmende menschliche Interaktion Zunehmender Trimm-Grad Zunehmende Koordination, Kontrollierbarkeit & Dynamisierung Ungleichmäßige Entwicklung von Systemkomponenten Bild 2.16: Erweitertes TESE-Modell nach ADUNKA, 2014, S. 329 In diesem Modell orientiert man sich an der übergeordneten Entwicklung sämtlicher technischer Systeme entlang einer charakteristischen S-Kurve, die vor allem durch den Trend der zunehmenden Idealität aller Technologien geprägt ist. Letztere lässt sich dabei über das Verhältnis von Funktionalität zu Kosten darstellen, welches sich während der Lebensdauer eines technischen Systems gemäß dessen Leistungsfähigkeit verändert. Die übrigen Trends dieses Modells sind wiederum der Idealität untergeordnet und bestimmen maßgeblich deren Veränderung im Laufe der Zeit (ADUNKA, 2014, S. 329, S. 336–337). Solche Trends lassen sich als Subtrends bezeichnen und beschreiben mögliche Entwicklungsrichtungen eines technischen Systems. Ihre entsprechende Ausprägung wird jedoch abermals von zahlreichen weiteren, untergeordneten Trends entscheidend beeinflusst (Innovation Tool Academy, 2011, S. 153). Eine vollständige Übersicht über sämtliche Trends, Subtrends, SubSubtrends sowie deren spezifische Verläufe innerhalb des erweiterten TESE-Modells ist dem Anhang dieser Arbeit zu entnehmen (vgl. Anhang A). 54 2 Stand der Forschung S-Kurven-Analyse & “Main Parameters of Value Discovery” Wie aus den TESE bereits hervorgeht, ist die S-Kurven-Analyse ein elementares Hilfsmittel, um die Entwicklung eines Systems mit all seinen Komponenten und Technologien zu beschreiben (Innovation Tool Academy, 2011, S. 8). Der idealtypische Verlauf einer solchen Kurve ist in Bild 2.17 dargestellt und lässt sich in die Evolutionsstufen der Einführung, des Übergangs, des Wachstums, der Reife sowie der Degeneration unterteilen. Letztere leitet dabei immer den Sprung auf eine neue SKurve ein und kennzeichnet somit den baldigen Übergang zu einem neuen technischen System oder einer neuen Technologie (ADUNKA, 2014, S. 333). Entwicklungsgrenze Indikator/ MPV Degeneration Reife Neues, technisches System/ Technologie Wachstum Übergang Einführung Technisches System/ Technologie Zeit Bild 2.17: S-Kurve eines technischen Systems mit ihren spezifischen Phasen in Anlehnung an ADUNKA, 2014, S. 332–333 Die einzelnen Evolutionsstufen sind selbst wiederum durch äußerst charakteristische Merkmale geprägt, die im Folgenden näher vorgestellt werden (Innovation Tool Academy, 2011, S. 19, S. 42, S. 53, S. 76, S. 116): Einführungsphase: Entstehung des technischen Systems; Bereitstellung der Systemfunktion; Verfeinerung des Systemdesigns sowie der Systemkomponenten; Abstimmung der Wirkweisen zwischen den Systemkomponenten und dem Supersystem; langsamer Anstieg der Leistungsfähigkeit; Übergangsphase: Versuch der Markteinführung am Ende der Einführungsphase; Konfrontation des technischen Systems mit gesellschaftlichen und marktseitigen Reaktionen sowie konkurrierenden Systemen; Durchsetzung des technischen Systems; erfolgreiche Markteinführung; 2 Stand der Forschung 55 Wachstumsphase: Anstieg der Leistungsfähigkeit und des Produktionsvolumens; Erschließung neuer Anwendungsgebiete; Reifephase: Erreichung der Leistungsgrenze; Stabilisierung des Produktionsvolumens; Degenerationsphase: Wertverlust; Rückgang des Produktionsvolumens. Im Rahmen der TRIZ unterscheidet man im Allgemeinen zwei Varianten der SKurven-Analyse (Innovation Tool Academy, 2011, S. 9–10). Bei der gewöhnlichen SKurven-Analyse liegt das Analyselevel auf der Ebene des technischen Systems. Dieses wird anhand unterschiedlicher Indikatoren, die sich bspw. auf Anwendungsgebiete, Marktverhalten oder die Interaktion mit dem Supersystem beziehen, in seine spezifische Evolutionsstufe eingeordnet. Dabei wird angenommen, dass sich der Großteil der wesentlichen Komponenten eines Systems in der gleichen Stufe befindet wie das System selbst. Ferner existieren für jede Stufe entsprechende Handlungsempfehlungen, die dabei helfen sollen, das technische System in seiner Entwicklung voranzubringen. Tabelle 2.5 zeigt vor diesem Hintergrund eine Auswahl bewährter Indikatoren und Handlungsempfehlungen für die einzelnen Evolutionsstufen (Innovation Tool Academy, 2011, S. 9). Die fortgeschrittene Variante der S-Kurven-Analyse stützt sich hingegen auf die „Main Parameters of Value Discovery“ (Innovation Tool Academy, 2011, S. 10). „Main Parameters of Value“ (MPVs) sind Schlüsselattribute eines technischen Systems und stehen für richtungsweisende Größen innerhalb des Kaufentscheidungsprozesses (JUNG, 2010, S. 8; LITVIN, 2011, S. 7). Grundsätzlich unterscheidet man dabei zwischen strategischen und funktionalen MPVs. Während strategische Parameter eher allgemein formuliert sind und sich direkt auf das Kaufverhalten der Kunden auswirken, sind funktionale Parameter sehr spezifisch auf die charakteristischen Eigenschaften und Merkmale eines Systems ausgerichtet. Sie können bspw. geometrische, physikalische, chemische oder biologische Attribute beschreiben und bilden somit die technischen Voraussetzungen für die strategischen MPVs. Um MPVs systematisch bestimmen zu können, ist oftmals eine strukturierte und hierarchische Aufschlüsselung des Systems in seine Haupt- und Teilfunktionen sowie deren technische Voraussetzungen hilfreich (IKOVENKO, 2008, S. 9–11). Gemäß den TESE entwickeln sich letztendlich auch MPVs entlang einer charakteristischen S-Kurve (vgl. Bild 2.17), über deren Analyse sich in der Folge schwach ausgeprägte Parameter eines technischen Systems identifizieren lassen. Das Auffinden solch unterentwickelter Parameter erlaubt wiederum konkrete Rückschlüsse auf benötigte Ressourcen wie z.B. neue Technologien, die entscheidende Meilensteine für die Weiterentwicklung des technischen Systems darstellen können (Innovation Tool Academy, 2011, S. 10; MALININ, 2014, S. 23). 56 2 Stand der Forschung Tabelle 2.5: Auswahl an Indikatoren zur S-Kurven-Analyse in Anlehnung an Innovation Tool Academy, 2011, S. 146–147 Evolutionsstufen Indikatoren Handlungsempfehlungen Einführungsphase neues, nur bedingt marktreifes System ansteigende Funktionalität lässt Kosten stark sinken Adaption von Technologien anderer Systeme Kosten überwiegen im Vergleich zum Umsatz langsam anwachsende MPVs Feststellen von Engpässen, die den Markteintritt erschweren Nutzung vorhandener Ressourcen und Infrastrukturen Integration von führenden Systemen auf dem Markt elementare Änderungen am System sind erlaubt Prognose des Supersystems Übergangsphase rasch anwachsende MPVs Marktreife fast erreicht nur bedingt erfolgreiche Markteinführung des Systems rasche Markteinführung Fokus auf die Spitzenmerkmale weniger elementare Änderungen am System sind noch erlaubt Wachstumsphase Übergang zur Massenproduktion erste Erweiterungen der Anwendungsgebiete steigender Differenzierungsgrad vereinzelte Interaktion mit Supersystem Verbrauch von systemspezifischen Ressourcen ganzheitliche Optimierung Erschließung neuer Anwendungsgebiete Beseitigen von Schwachstellen Adaption neuer Komponenten für höhere Funktionalität Identifikation von systemspezifischen Ressourcen Reifephase Erreichung von Entwicklungsgrenzen verstärkte Interaktion mit Supersystem Verbrauch von höchstspezifischen Ressourcen Design und Funktion als Differenzierungsmerkmale Erschließung neuer Anwendungsgebiete oder Marktnischen langsam anwachsende MPVs Reduktion von Kosten, Verbesserung von Design und Service Vorbereitung auf den Übergang zum Supersystem Änderung des Funktionsprinzips von System oder Komponenten Fokus auf unterentwickelte MPVs Degenerationsphase System nur noch in spezifischen Bereichen zweckmäßig System als Komponente des Supersystems Reduktion von Kosten, Verbesserung von Design und Service Änderung des Funktionsprinzips von System oder Komponenten Übergang zum Supersystem Suche nach weiteren Märkten „TRIZ-Forecasting“ In der TRIZ-Forschung hat sich mit dem „TRIZ-Forecasting“ ein weiterer Ansatz zur Technologiefrüherkennung hervorgetan, mit dem man zusätzlich zu potentiellen Weiterentwicklungen von Technologien auch neue konstruktive Produktlösungen identifizieren kann (Innovation Tool Academy, 2011, S. 481–486). Dafür kombiniert man 2 Stand der Forschung 57 klassische Prognosewerkzeuge wie die TESE sowie die MPV-gestützte S-KurvenAnalyse mit problemlösenden TRIZ-Werkzeugen wie der Funktionsanalyse, der Ursache-Wirkungsanalyse, dem Trimmen, dem Feature-Transfer oder der funktionsorientierten Suche zu einem umfassenden Vorgehensmodell. Neu ist darin auch ein Benchmarking-Tool, das S-Kurven-Analysen entlang existierender oder prognostizierter MPVs verwendet, um technische Systeme bzw. Technologien mit konkurrierenden oder ähnlichen Systemen bzw. Technologien zu vergleichen und somit mögliche Schwachstellen, Leistungsgrenzen oder Entwicklungslücken aufzudecken (Innovation Tool Academy, 2011, S. 3, S. 489–496). Gegenüber einer klassischen Produktverbesserung sind innerhalb dieses Ansatzes deutliche Unterschiede hinsichtlich Betrachtungshorizont und technischer Zielsetzung zu erkennen. Der Fokus liegt hier weniger auf einer zeitnahen Optimierung eines Produkts mit seinen spezifischen, technischen Eigenschaften und Parametern, sondern vielmehr auf einer zukunftsorientierten und weitgefassten Suche nach neuen Technologien und potentiellen Märkten für eine ganze Produktkategorie. Der gestalterische Spielraum ist dementsprechend groß und Veränderungen können für sämtliche Produktaspekte herbeigeführt werden (Innovation Tool Academy, 2011, S. 488). Directed Evolution™ Im Zentrum der bisher beschriebenen TRIZ-Werkzeuge zur Früherkennung von Technologien steht vor allem die Frage, mit welchen technologischen Veränderungen das betrachtete System auf seine nächste Evolutionsstufe gebracht werden kann (KUCHARAVY, 2007, S. 49). ZLOTIN & ZUSMAN erweitern mit ihrem Konzept der gerichteten Evolution bzw. Directed Evolution™ (DE) diese Fragestellung und führen ein Verfahren zur Erarbeitung von potentiellen Evolutionsszenarien für Technologien, Produkte, Unternehmen, Industrien, Märkte oder die Gesellschaft ein. Die vielversprechendsten Szenarien werden in der Folge, gestützt auf einen strategischen Entscheidungsprozess, systematisch in die Organisation eingebunden. Der naturgemäße Prognosecharakter einer Technologiefrüherkennung wird somit durch die konkrete Umsetzung einer gerichteten Evolution verdrängt (ZLOTIN & ZUSMAN, 2001, S. 20). Folgende Axiome liegen dem theoretischen Grundgerüst der DE dabei zugrunde (ZUSMAN, ZLOTIN & ZAINIEV, 2012, S. 2–6): Existenz von Evolutionsmustern; Markt- bzw. kundengesteuerte Evolution von Systemen; Evolution auf Kosten von Ressourcen; Abhängigkeit der Langzeitentwicklung vom Gesamtsystem; Existenz von alternativen Evolutionsrichtungen. 58 2 Stand der Forschung In ihrem Aufbau orientiert sich die DE sehr stark an bestimmten Evolutionsmustern, die um weitere Hilfsmittel, Techniken, Werkzeuge und Software-Tools ergänzt und zu einem systematischen Vorgehen verknüpft werden (ZLOTIN & ZUSMAN, 2001, S. 20– 21). Sammlung historischer Daten Entscheidungsfindung 1 4 Vergangenheit Heute Zukunft 5 Unterstützung der gerichteten Evolution 2 3 Directed Evolution Diagnose Ideensynthese Bild 2.18: Ablauf der Directed Evolution™ nach ZLOTIN & ZUSMAN, 2001, S. 21 Bild 2.18 zeigt das Vorgehen der DE, das sich in fünf typische Phasen mit spezifischen Aufgabenbereichen unterteilen lässt. Die einzelnen Phasen werden nachfolgend näher erläutert (ZLOTIN & ZUSMAN, 2001, S. 22–31): Sammlung historischer Daten: Historische Betrachtung des Systems in Verbindung mit Super- und Subsystem zur Verdeutlichung der Systemstruktur; Ableitung genereller Evolutionstrends im System und Systemumfeld; Unterstützung durch Patentanalysen, Expertengespräche oder auch spezielle DEWerkzeuge wie z.B. DE-Fragebogen oder DE-Fehleranalyse; DE-Diagnose: Identifikation potentieller Evolutionsrichtungen des Systems unter Berücksichtigung künftiger Hindernisse oder Probleme; Abgleich mit Evolutionsmustern technischer Systeme; Überführung in konkrete, künftige Evolutionslinien des Systems; Unterstützung durch S-Kurven-Analysen; Ideensynthese: Generierung und Sammlung spezifischer Ideen zur Weiterentwicklung des Systems entlang seiner Evolutionslinien; Unterstützung durch Kreativitätstechniken; Entscheidungsfindung: Überführung der erarbeiteten Ideen in konsistente Evolutionsszenarien; Einbindung von Entwicklern sowie Fachleuten des Ver- 2 Stand der Forschung 59 triebs, Marketings oder Finanzwesens; Ausarbeitung von konkreten Zielsetzungen, Strategien, Ressourcen- und Umsetzungsplänen für die einzelnen Szenarien; Unterstützung der gerichteten Evolution: systematische Planung und Ausgestaltung der Evolutionsszenarien; kontinuierliche Überwachung, Kontrolle und Anpassung der Szenario-Umsetzung. Zusammenfassend erweist sich die DE als sehr systematisches, aber auch komplexes und äußerst aufwändiges Konzept, das nicht nur auf die Früherkennung von Technologien abzielt, die für die Weiterentwicklung eines zu untersuchenden Systems relevant sind, sondern auch eine ganzheitliche Planung und Umsetzung einer zukunftsweisenden, gerichteten Evolution des entsprechenden Systems gewährleistet. Gerade bei komplexeren Aufgabenstellungen empfehlen ZLOTIN & ZUSMAN daher den Einsatz von Software-Tools zur Unterstützung der DE (ZLOTIN & ZUSMAN, 2001, S. 20–22). TRIZ-basiertes Technologie-Roadmapping Auch außerhalb der reinen TRIZ-Forschung wurden TRIZ-Bestandteile adaptiert und in Ansätze zur Technologiefrüherkennung integriert. MÖHRLE bedient sich dabei an den Entwicklungsgesetzen technischer Systeme und verknüpft diese mit der Methode des Technologie-Roadmappings. Ziel ist es, neben einer zeitlichen und inhaltlichen Prognose von Technologien auch dem kreativen Denken bei der Produktfindung eine erfolgversprechende Richtung vorzugeben (MÖHRLE, 2005, S. 185). Dafür wird ein Vorgehensmodell vorgeschlagen, das auf fünf wesentlichen Schritten aufbaut. Zunächst muss das Untersuchungsfeld festgelegt und im Anschluss eine funktionale Abstraktion des technischen Systems vorgenommen werden. Im dritten Schritt erfolgt ausgehend von den TRIZ-Entwicklungsgesetzen eine Prognose sowie Bewertung der potentiellen Technologien. Die prognostizierten und bewerteten Technologien werden daraufhin in entsprechende Technologie-Roadmaps überführt, um ein Entwicklungsmodell für die Zukunft zu schaffen. Der letzte Schritt dient schlussendlich dazu, aus diesem Entwicklungsmodell konkrete Produkt-, Prozessoder Dienstleistungsideen abzuleiten (MÖHRLE, 2005, S. 193–194). MÖHRLE weist abschließend darauf hin, dass dieses systematische Vorgehen vor allem für eine funktionsübergreifende bzw. interdisziplinarische Zusammenarbeit ausgelegt ist. So kann dem zugrundeliegenden Vorhaben eine deutlich höhere Nachvollziehbarkeit verliehen und entscheidend zur Konsensbildung und homogenen Ausrichtung einer Organisation beigetragen werden (MÖHRLE, 2005, S. 202). 60 2 Stand der Forschung TRIZ-basierte Technologiefrüherkennung GRAWATSCH hat mit seinem Ansatz zur TRIZ-basierten Technologiefrüherkennung eine Methodik vorgestellt, „mit der das Potential von Produkttechnologien, die dieselbe primäre Funktion erfüllen, aus der Sicht eines Technologieeigners abgeschätzt werden kann“ (GRAWATSCH, 2005, S. 43). Er verbindet darin die wesentlichen TRIZWerkzeuge und TRIZ-Philosophien mit bewährten Elementen der Technologiefrüherkennung (GRAWATSCH, 2005, S. 43). Für eine solche Potentialabschätzung entlang des Technologiefrüherkennungsprozesses (vgl. Kapitel 2.2.2.1) ist es wichtig, innerhalb eines festgelegten Suchfelds zukunftsträchtige Technologien zu identifizieren sowie deren mögliche Entwicklungsrichtungen und -grenzen zu antizipieren (GRAWATSCH, 2005, S. 44). Zur Strukturierung des Suchfelds und der damit verbundenen Informationsbeschaffung über potentielle Technologien stützt sich GRAWATSCH auf das Konzept des System Operators. Die Antizipation von Entwicklungsmöglichkeiten sowie -grenzen der identifizierten Technologien beruht in der Folge auf S-KurvenAnalysen und den Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien technischer Evolution (GRAWATSCH, 2005, S. 65, S. 75, S. 95). Insgesamt ist die TRIZ-basierte Technologiefrüherkennung bewusst auf die aktuell sehr dynamischen sowie komplexen Rahmenbedingungen für Unternehmen ausgelegt und darf deshalb „keinesfalls als starres Werkzeug verstanden werden, sondern muss flexibel an die individuelle Situation und an zukünftige Veränderungen des technologischen und unternehmerischen Umfeldes angepasst werden“ (GRAWATSCH, 2005, S. 138). Besonders aufgrund der Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten der Evolution technischer Systeme, die eine zentrale Rolle bei den vorgestellten TRIZ-Werkzeugen spielen, erweist sich TRIZ als vielversprechende Methode zur Unterstützung einer systematischen Technologiefrüherkennung (GRAWATSCH, 2005, S. 36). Zusätzlich wird durch die TRIZ-Denkweise eine enge Verknüpfung zum untersuchten Objekt und dessen technologischem Grundgerüst gewährleistet (LOVEL ET AL., 2006, S. 1). TRIZWerkzeuge zur Technologiefrüherkennung liefern dabei hauptsächlich qualitative Ergebnisse, die jedoch nur begrenzt quantitativ untermauert werden. Zudem erweist sich die Reproduzierbarkeit dieser sehr spezifischen Werkzeuge oftmals als Problem. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich der aktuelle Forschungsbetrieb verstärkt auf die Optimierung einer TRIZ-gestützten Technologiefrüherkennung, um die genannten Defizite zu beseitigen (KUCHARAVY, 2007, S. 59–61). 2.5.2 Einzel-Methoden zur Technologiebewertung Methoden zur Technologiebewertung verfolgen aufgrund ihres konzeptuellen Charakters das Ziel, in komplexen Entscheidungssituationen eine Basis für wohldurch- 2 Stand der Forschung 61 dachtes und zielgerichtetes Handeln zu schaffen und die Entscheidungsqualität auf diese Weise maßgeblich zu erhöhen. Methoden zur Technologiebewertung müssen daher klassischen, methodologischen Anforderungen wie Zweckmäßigkeit, Nachvollziehbarkeit, Zugänglichkeit und Beständigkeit gerecht werden (SCHNEIDER, 2002, S. 73–74). Ferner besagt das methodische Fundamentalprinzip, dass „Technologiebewertungs-Methoden zukunftsgerichtete Methoden sein sollen, die Entscheidungsfelder konstruieren sollen, anstatt nur zu helfen, vergangene Situationen zu konservieren“ (PFEIFFER & WEIß, 1995, S. 671). Ebenso muss das Variationsprinzip berücksichtigt werden, das für „die maximale Vermehrung eines bewährten Informationsstandes die Beobachtung bzw. die Bearbeitung der Natur an möglichst vielen Stellen und jeweils unter extrem variierten Bedingungen erfordert“ (PFEIFFER & W EIß, 1995, S. 671). Zur Vermeidung einer verzerrten Bewertung von Technologien verlangt dieses Prinzip neben der Verarbeitung von präzisen und begründeten Informationen auch die Implikation von technologischen Informationen im Frühstadium, die mit Unsicherheiten behaftet sind (SCHNEIDER, 2002, S. 74). Ein weiterer, wichtiger Anforderungspunkt an Bewertungsmethoden ist das sog. Entlastungsprinzip. Dabei ist der Betrachtungshorizont, in dessen Rahmen die Technologiebewertung durchzuführen ist, möglichst weit zu fassen, so dass zukünftige Entwicklungen frühestmöglich erkannt werden können und bei der nachfolgenden Umsetzung der technologischen Maßnahmen kein Zeitdruck entsteht (PFEIFFER & W EIß, 1995, S. 671–672). Wie bereits bei den Methoden zur Technologiefrüherkennung lassen sich auch hier qualitative und quantitative Methoden unterscheiden. Quantitative Methoden stützen sich vor allem auf aussagekräftiges und stichhaltiges Datenmaterial zur Beschreibung der Leistungs- und Anwendungspotentiale von Technologien (GERPOTT, 1999, S. 110–112). Dies erfordert jedoch viel Erfahrung und spezifisches Know-how von den zuständigen Analysten. Zudem ist die Aussagekraft quantitativer Methoden sichtlich begrenzt, „da regelhafte und gesetzesartige Zustände unterstellt werden, die zwar eine gewisse Plausibilität aufweisen, aber erfahrungswissenschaftlich nicht überprüfbar sind bzw. sich nicht bewährt haben“ (SCHNEIDER, 2002, S. 87–88). Qualitative Methoden nutzen dagegen den Bestand an quantitativen Informationen und erweitern diesen um Einschätzungen und Beurteilungen von Fachpersonal. Sie sind somit deutlich flexibler als quantitative Methoden, an unterschiedliche Bewertungssituationen anpassbar, aber auch subjektiven Einflüssen ausgesetzt, die die Methoden in der Folge sehr komplex und schwer nachvollziehbar machen können (GERPOTT, 1999, S. 112; SCHNEIDER, 2002, S. 88). Letzten Endes ist eine Einteilung der Methoden in die quantitative oder qualitative Methodenklasse oftmals nicht eindeutig. Vielmehr verschwimmen die Grenzen beider Kategorien, da viele Methoden sowohl quantitative als auch qualitative Analyseelemente für die Technologiebewertung ver- 62 2 Stand der Forschung wenden (SCHNEIDER, 2002, S. 89). Tabelle 2.6 zeigt abschließend eine Gegenüberstellung verschiedener Methoden-Sammlungen zur Technologiebewertung aus der Literatur. Tabelle 2.6: Methoden-Übersicht zur Technologiebewertung in Anlehnung an PFEIFFER & W EIß, 1995, S. 669; SCHNEIDER, 2002, S. 87; VDI 3780, 2000, S. 31 VDI 3780 (2000) PFEIFFER & WEIß (1995) SCHNEIDER (2002) Trendextrapolation Historische Analogiebildung Brainstorming Delphi-Studien Morphologische Analysen Relevanzbaumanalyse Risikoanalyse Verflechtungsmatrix Modellsimulation Szenario-Analyse Kosten-Nutzen-Analyse Nutzwert-Analyse Technologie-Portfolio S-Kurven-Analyse Technologische Analyse Suchfeld-Analyse Funktionalmarkt-Konzept Kreativitätstechniken Technologieprogramm Morphologischer Kasten Patent-Portfolio F&E-Budget Ökologische Schrauben Technologie-Listen Technologie-Indikatoren Brainstorming Lebenszyklus-Modelle Relevanzbaumanalyse Cross-Impact-Analyse Patentanalyse Szenario-Analyse Delphi-Studien Portfolio-Analyse Trendextrapolation In der Richtlinie zur Technikbewertung hat der VDI eine Reihe von bewährten Methoden vorgestellt, die allesamt ihren Ursprung als heuristische Methoden des Problemlösens haben und in unterschiedlichen Aufgabenfeldern zum Einsatz kommen (VDI 3780, 2000, S. 31). Aufgrund des „fließenden Übergang(s, Anm. des Verf.) von Technologie- und Technikentstehung“ können diese Methoden auch im Rahmen der Technologiebewertung eingesetzt werden (KRÖLL, 2007, S. 39). PFEIFFER & W EIß erweitern dieses Portfolio klassischer Methoden des Problemlösens um sehr spezifische Bewertungsmethoden wie Budgetierungs-Konzepte oder Technologie-Listen, die an den Kontext der Technologieplanung angelehnt sind (PFEIFFER & WEIß, 1995, S. 669). Eine aktuellere Auswahl, die „anhand aktueller Tendenzen in Wissenschaft und Praxis vorgenommen“ wurde, liefert dagegen SCHNEIDER (SCHNEIDER, 2002, S. 87). Es wird deutlich, dass Methoden wie die Szenario-Analyse, Delphi-Studien oder Patentanalysen, die bereits unter den Methoden zur Technologiefrüherkennung zu finden waren, auch im Rahmen der Technologiebewertung zum Einsatz kommen. Eine eindeutige Zuordnung dieser Methoden in die jeweiligen Aufgabenfelder der Technologiefrüherkennung oder -bewertung scheint folglich nicht möglich. Ebenso genießen qualitative Methoden insgesamt eine größere Beliebtheit als quantitative bzw. mathematische Methoden, die trotz ihrer mutmaßlichen Aussagekraft deutlich unterrepräsentiert sind (SCHNEIDER, 2002, S. 86–87). Bei der folgenden Vorstellung einzelner Methoden zur Technologiebewertung wird sich grob an den Sammlungen 2 Stand der Forschung 63 von SCHNEIDER sowie des VDI orientiert, die sich größtenteils überdecken und sowohl wissenschaftlich als auch praktisch eine hohe Relevanz genießen. 2.5.2.1 Trendextrapolation Die Trendextrapolation ist eine Methode, die ausgehend von bekannten Entwicklungen aus der Vergangenheit eine Analyse und Prognose zukünftiger Entwicklungen vornimmt (KRÖLL, 2007, S. 40; SCHNEIDER, 2002, S. 100). Hintergrund ist die mathematisch-statistische Analyse einer vergangenen Zeitreihe sowie deren näherungsweise Überführung in eine mathematische Funktion der Zeit. Es wird angenommen, dass sich die bekannte Zeitreihe als beständig erweist und immer wiederkehrt. Die Einflussfaktoren auf diese Zeitreihe sind dabei in ihrer Anzahl begrenzt und werden als statisch betrachtet (GESCHKA, 1995, S. 635–636; KRÖLL, 2007, S. 40). Der Stand der prognostizierten Entwicklung für künftige Zeitpunkte lässt sich auf diese Weise durch eine Extrapolation der Funktion in die Zukunft ermitteln. Man erhält somit auf relativ einfachem Weg Prognosewerte zu bestimmten Untersuchungsmerkmalen, die wiederum schnelle Aussagen über Trends zulassen. Innerhalb der Technologiebewertung können auf diesem Weg bspw. die Entwicklungen technologischer Leistungsindikatoren vorausschauend beschrieben und beurteilt werden (SCHNEIDER, 2002, S. 100–101). 2.5.2.2 Nutzwert-Analyse Die Nutzwert-Analyse basiert auf einem entscheidungstheoretischen, multikriteriellen Modell und vereint sowohl quantitative als auch qualitative Analyseelemente. Sie dient der Bestimmung von Nutzwerten für unterschiedliche, technologische Handlungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung vorab festgelegter sowie gewichteter Bewertungskriterien (KRÖLL, 2007, S. 43; ZWECK, 2005, S. 191). Zur Gegenüberstellung der zu untersuchenden Handlungsalternativen und Bewertungskriterien bedient man sich einer Matrix. Dabei wird jede Handlungsalternative auf Basis der einzelnen Bewertungskriterien beurteilt und dafür ein entsprechend skalierter Zahlenwert in die vorgesehene Zelle eingetragen. Durch Multiplikation der Gewichtungsfaktoren der Bewertungskriterien mit den entsprechend skalierten Zahlenwerten lassen sich sog. Teilnutzwerte für die jeweiligen Handlungsalternativen bestimmen. Diese werden daraufhin zu einem Gesamtnutzwert aufsummiert, der schlussendlich einen Vergleich und eine Abwägung zwischen Handlungsalternativen zulässt (KRÖLL, 2007, S. 43; ZWECK, 2005, S. 191). 64 2 Stand der Forschung Mit der Nutzwert-Analyse können komplexe Bewertungsvorgänge sichtbar vereinfacht und strukturiert werden. Zudem wird eine rational begründete Priorisierung von Handlungsalternativen ermöglicht, die Diskussionen im Rahmen der Entscheidungsfindung deutlich erleichtert (KRÖLL, 2007, S. 43). 2.5.2.3 Relevanzbaumanalyse Die Relevanzbaumanalyse, die ursprünglich aus dem militärischen Sektor stammt und deren Anwendung im Laufe der Zeit auch auf ökonomische Problemstellungen erweitert wurde, ist ein Verfahren zur multikriteriellen Entscheidungsunterstützung. Die zugrunde liegende Problemstellung wird dabei nach und nach in einzelne Teilbereiche zergliedert, was letztendlich zur Strukturierung und vereinfachten Analyse einer verflochtenen Problemstruktur führt (SCHNEIDER, 2002, S. 142). Prinzipiell basiert die Relevanzbaumanalyse auf einer „grafentheoretischen Baumstruktur und dient dazu, komplexe mehrstufige Bedingungsgefüge oder Folgenbündel eines angestrebten oder erwarteten Ereignisses transparent zu machen“ (KRÖLL, 2007, S. 41). Für die Aufstellung der Baumstruktur kann zwischen zwei Vorgehensweisen unterschieden werden. Beim „Bottom-Up“-Ansatz ist das übergeordnete Ziel zunächst unklar. Man arbeitet sich ausgehend von bekannten, potentiellen Handlungsalternativen schrittweise voran und strebt danach, durch deren sinnvolle Kombination eine konkrete Zielsetzung abzuleiten. Im Rahmen der Technologiebewertung ermöglicht diese Vorgehensweise eine relativ offene Suche nach Technologiebereichen, in denen drastische Veränderungen zu erwarten sind. Beim „Top-Down“Ansatz ist die Zielsetzung dagegen von vornherein klar. Man sucht in der Folge nach Handlungswegen, die die Erreichung der Zielsetzung möglich machen. So lassen sich unter Berücksichtigung der übergeordneten Unternehmensziele bspw. zukünftige technologische Entwicklungen identifizieren, die dringend vom Unternehmen beherrscht werden müssen (SCHNEIDER, 2002, S. 143–144). Um die Relevanz der jeweiligen Handlungswege zu quantifizieren, bedient man sich numerischer Verfahren. Damit können den Knoten und Ästen des Relevanzbaums Zahlenwerte und Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden, über deren mathematische Verknüpfung sich schließlich die Relevanz der Handlungswege bestimmen lässt. Eine solche Quantifizierung der Relevanzen ist aber nur dann sinnvoll, wenn man auf empirisch gültige Schätzwerte zurückgreifen kann (KRÖLL, 2007, S. 41; ZWECK, 2005, S. 189). Mit der Relevanzbaumanalyse lassen sich letztendlich auf simple sowie übersichtliche Weise komplexe Problemstellungen systematisieren und strukturieren. Die Methode kann außerdem Zusammenhänge zwischen Handlungsalternativen visualisieren und entsprechend quantifizieren (SCHNEIDER, 2002, S. 144). 2 Stand der Forschung 65 2.5.2.4 Portfolio-Analyse Ein Portfolio beschreibt eine Matrix entlang einer horizontalen und vertikalen Achse, mit der sowohl aktuelle als auch zukünftige Zustände von strategischen Geschäftsfeldern untersucht werden können. Auf diese Weise lässt sich die Position eines strategischen Geschäftsfelds in Bezug auf bestimmte unternehmensinterne Kriterien (direkt beeinflussbar) sowie unternehmensexterne Kriterien (nicht direkt beeinflussbar) ermitteln. Die Selektion der jeweiligen Bewertungskriterien hängt letztendlich davon ab, welche grundlegende Aussage mit dem Portfolio getätigt werden soll (PFEIFFER, METZE, SCHNEIDER & AMLER, 1989, S. 65; SCHNEIDER, 2002, S. 131). Anfänglich wurden Portfolio-Analysen hauptsächlich für marktorientierte Untersuchungen verwendet. Dabei hat man „lediglich die Marktzyklen von Produkten – und der dahinterstehenden Technologien – , nicht jedoch die vorgelagerten Entstehungsund Beobachtungszyklen der inkorpierten Technologien, in denen sich schwache Signale aus dem technisch-naturwissenschaftlichen Umfeld andeuten“, berücksichtigt (W OLFRUM, 1991, S. 198–199). Vor diesem Hintergrund wurden in den 1980er Jahren Portfolio-Ansätze entwickelt, die ihren Fokus verstärkt auf die Technologiedimension richten (SCHNEIDER, 2002, S. 132–133). Anstelle der strategischen Geschäftsfelder lassen sich in den sog. Technologie-Portfolios unterschiedliche Prozess- und Produkttechnologien strategisch positionieren (HAHN, 2006, S. 226–227). Unternehmen können dadurch einerseits ihre aktuelle Technologieposition bestimmen, andererseits aber auch „Konstellationen über zukünftige Technologieentwicklungen in der jeweiligen Branche ableiten“ (SCHNEIDER, 2002, S. 133). Das Technologie-Portfolio nach PFEIFFER ET AL. stellt in diesem Zusammenhang ein sehr weit verbreitetes Konzept dar. Zur Verdeutlichung zeigt Bild 2.19 ein solches Portfolio in seiner typischen Form. Darin wird eine 9-Felder-Matrix anhand zweier, unabhängiger Dimensionen aufgestellt, die eine differenzierte Einstufung der betrachteten Technologien ermöglichen. Die erste Dimension nennt sich Technologieattraktivität und dient der potential- und bedarfsseitigen Beurteilung von Technologien. Sie steht folglich für die Betrachtung der Umweltsituation und ist vom Unternehmen kaum zu beeinflussen. Die zweite Dimension ist die Ressourcenstärke, die sich aus der Fähigkeit des Unternehmens zur (Weiter-)Entwicklung von Technologien ergibt (PFEIFFER ET AL., 1989, S. 79–80). Für die Erstellung und Analyse eines solchen Technologie-Portfolios werden folgende Schritte durchlaufen (HAHN, 2006, S. 227– 228; W OLFRUM, 1991, S. 200–201): Umfeldanalyse: Im ersten Schritt werden die Rahmenbedingungen für die Technologiebewertung und anschließende Strategieformulierung festgelegt. 66 2 Stand der Forschung zu bewertenden Technologie. Dies beschreibt letztendlich die technologische Ist-Situation des Unternehmens. Transformation der Ist-Situation in die Zukunft: Abschließend werden die bewerteten Technologien mit potentiellen, zukünftigen Substitutionstechnologien oder sich ergänzenden Technologien verglichen, um einer vorausschauenden und dynamischen Betrachtungsweise gerecht zu werden. Y1 X1 Technologieattraktivität hoch Identifikation der Technologien: Dieser Schritt beinhaltet die Erfassung der relevanten Produkt- und Prozesstechnologien sowie deren strategischer Bedeutung für das Unternehmen. Bewertung der Technologien: Die identifizierten Technologien sind nun hinsichtlich der beiden Bewertungsdimensionen, also der Technologieattraktivität und Ressourcenstärke, zu bewerten. Als mögliche Bewertungskriterien der Technologieattraktivität sind bspw. die Anwendungsbreite, das Weiterentwicklungspotential, die Akzeptanz oder die Kompatibilität einer Technologie zu nennen. Beispiele für Bewertungskriterien der Ressourcenstärke sind dagegen der Beherrschungsgrad, die Reaktionsgeschwindigkeit oder ressourcenbezogene Potentiale eines Unternehmens im Hinblick auf die Umsetzung der X Produkttechnologie Y Prozesstechnologie X3 niedrig Y2 Y3 X2 niedrig hoch Ressourcenstärke Bild 2.19: Technologie-Portfolio nach PFEIFFER, METZE, SCHNEIDER & AMLER , 1989, S. 93 Insgesamt liefert ein Technologie-Portfolio umfassende Erkenntnisse, die für grundlegende Entscheidungen über den künftigen Technologieeinsatz herangezogen werden können (HAHN, 2006, S. 228). Dabei lässt sich die aktuelle Position des Unternehmens hinsichtlich der betrachteten Technologien ermitteln und bspw. in Norm- 2 Stand der Forschung 67 strategien bzw. Handlungsempfehlungen zur Umsetzung der Technologien in entsprechenden Entwicklungsprojekten überführen (SCHNEIDER, 2002, S. 138). 2.5.2.5 Brainstorming Brainstorming als Kreativitätstechnik regt zur intuitiven, unstrukturierten Ideenfindung an. Dies dient der raschen und unvoreingenommenen Sammlung von unterschiedlichen Lösungsvorschlägen für eine bestimmte Problemstellung (SCHNEIDER, 2002, S. 92). Die Methode wird in einem möglichst kleinen und heterogenen Teilnehmerkreis durchgeführt. Dabei fordert man die Teilnehmer auf, sich offen und spontan zu einer konkreten Frage- bzw. Problemstellung zu äußern. Vorgebrachte Ideen können indes von anderen Teilnehmern aufgegriffen und weitergedacht werden (KRÖLL, 2007, S. 40; ZWECK, 2005, S. 188). „Dadurch wird versucht, die Qualität und Quantität der Ideengenerierung zu erhöhen und die Identifikation der Teilnehmer mit der Ideendurchsetzung zu stärken“ (SCHNEIDER, 2002, S. 93). Die gesammelten Ideen und Lösungsvorschläge sind entsprechend zu protokollieren und abschließend einer Ordnung und Bewertung zu unterziehen (KRÖLL, 2007, S. 40). Die Trennung der beiden Phasen zur Ideenfindung und Ideenbewertung ermöglicht dabei eine unvoreingenommene und vorurteilsfreie Atmosphäre, die häufig zu völlig neuen und unkonventionellen Herangehensweisen und Ansichten führt. Bspw. lassen sich dadurch völlig neue Konzeptionen oder Folgen eines geplanten Technologieeinsatzes skizzieren. Die Bewertung der Ergebnisse findet jedoch nicht im Kollektiv statt, sondern wird vom Moderator übernommen (SCHNEIDER, 2002, S. 93–94; ZWECK, 2005, S. 188). 2.5.2.6 Delphi-Studie Die Delphi-Studie stellt eine erweiterte Form der Expertenbefragung dar. Durch die mehrstufige Erhebung sowie Auswertung von Einschätzungen und Prognosen ausgewählter Experten können Ideen generiert und Zukunftsprognosen aufgestellt werden (KRÖLL, 2007, S. 40; SCHNEIDER, 2002, S. 95; ZWECK, 2005, S. 189). Da Einzelmeinungen von Experten meist von subjektiven Einflüssen bzw. persönlichem Interesse beeinflusst sind, ist es sinnvoll, sich im Sinne einer höheren Aussagekraft auf mehrere Expertenmeinungen zu stützen. Die Delphi-Studie verfolgt diesen Gedanken und beinhaltet folgende Grundregeln (GESCHKA, 1995, S. 637–638): Schriftliche Befragung mehrerer Experten in mehreren Befragungsrunden; Verdichtende Auswertung der Ergebnisse nach jeder Befragungsrunde; 68 2 Stand der Forschung Rückmeldung der ausgewerteten Zwischenergebnisse an die Experten vor der nächsten Befragungsrunde; Ergebnisse der letzten Befragungsrunde stellen endgültige Prognosewerte dar; Wahrung der Anonymität der Experten untereinander und gegenüber der Öffentlichkeit. Letztendlich liegt der Sinn der Delphi-Studie darin, „dass gegenwärtige Entwicklungen eingeschätzt, kollektiv überprüft und diskutiert werden, um hieraus Maßnahmen ableiten zu können, die diesen Entwicklungen dienlich sind bzw. sie verhindern“ (SCHNEIDER, 2002, S. 96). Dadurch werden jedoch nicht nur zukünftige technologische Entwicklungen identifiziert und analysiert, sondern auch gleichermaßen Informationen über Veränderungen im gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Kontext verarbeitet und bewertet (SCHNEIDER, 2002, S. 96). Auf anonyme Weise können mittels einer Delphi-Studie durch Rückkopplung und Selbstreflexion fundierte, kollektive Expertenmeinungen gesammelt werden. Dabei lassen sich Gruppendynamiken, Vorurteile sowie weitere sozio-psychologische Effekte ausschließen und auch durchschnittliche oder abweichende Denkhaltungen gleichwertig berücksichtigen (SCHNEIDER, 2002, S. 97). 2.5.2.7 Szenario-Analyse Die Szenario-Analyse ist ein strategisches Planungsinstrument, das bei der Entscheidungsfindung unterstützt (KOSOW & GAßNER, 2008, S. 16). Im Rahmen technologieorientierter Analysen lässt sich die Szenario-Analyse sowohl im Bereich der Technologiefrüherkennung als auch der Technologiebewertung einsetzen. Man schreibt ihr demzufolge einen phasenübergreifenden Charakter zu (SCHNEIDER, 2002, S. 156). Mit der Szenario-Analyse können technologische Entwicklungen und Wechselwirkungen erfasst, prognostiziert und systematisch zu konsistenten Szenarien verknüpft werden (MIEKE, 2005, S. 32; ZERNIAL, 2007, S. 106). „Die für technologische Entwicklungen typischen Sprünge und Durchbrüche, Unsicherheiten, alternativen Entfaltungs- und Anwendungsmöglichkeiten sowie die zum Teil nur qualitativ beschreibbaren Wirkungszusammenhänge lassen sich mit dieser Methodik problemlos behandeln“ (Geschka, 1995, S. 640). Darüber hinaus ermöglicht die SzenarioAnalyse den Vergleich der erarbeiteten Szenarien und somit auch eine Bewertung alternativer Handlungsoptionen im Rahmen der Entscheidungsfindung (KOSOW & GAßNER, 2008, S. 16). Die Leitidee der Szenario-Analyse ist das „Denken in Szenarien“ (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 79). Szenarien stehen für Darstellungen einer möglichen Situation in der 2 Stand der Forschung 69 Zukunft (Zukunftsbild) sowie konsistenter Entwicklungspfade, die zu dieser Situation führen. Letztere orientieren sich dabei an bestimmten Schlüsselfaktoren, die den Weg in die Zukunft entscheidend beeinflussen (HAMBACH & ALBRECHT, 2014, S. 117; KOSOW & GAßNER, 2008, S. 9–10). Die Grundprinzipien dieser Denkweise sind in Bild 2.20 dargestellt und lauten wie folgt (GAUSEMEIER, FINK & SCHLAKE, 1998, S. 114; GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 79): Das Prinzip des vernetzten Denkens: Aufgrund der Annahme, dass das Unternehmensumfeld mit all seinen Einflussgrößen ein vernetztes und vielschichtiges System darstellt, wird die Zukunft in komplexen Bildern beschrieben. Das Prinzip der multiplen Zukunft: Die Zukunft kann sich in mehrere Richtungen entwickeln. Sie ist multipel und somit nicht exakt prognostizierbar. Wettbewerbsfähigkeit Wirtschaftswachstum Zukunft Produktivität heute Mitarbeitermotivation Lohnniveau Arbeitsorganisation vernetztes Denken multiple Zukunft Zeit Bild 2.20: Grundprinzipen des Denkens in Szenarien nach GAUSEMEIER, EBBESMEYER & KALLMEYER, 2001, S. 79 Dabei verdeutlicht besonders das Grundprinzip des vernetzten Denkens, dass zukünftige Situationen entscheidend von den wechselwirkenden Einflussgrößen im Unternehmen und dessen Umfeld abhängen (GESCHKA, 1994, S. 162). Die Darstellung der multiplen Zukunft im sog. Trichter-Modell zeigt zudem, dass sich der Zukunftsraum mit steigendem Betrachtungshorizont immer weiter aufspannt und die Unsicherheit bzgl. des Eintreffens von Szenarien dadurch deutlich zunimmt. Dieser Unsicherheit muss beim Aufstellen der Entwicklungspfade hin zu einem Zukunftsbild durch die Berücksichtigung von Ereignisketten, Verzweigungspunkten und Wahr- 70 2 Stand der Forschung scheinlichkeiten entsprechend Rechnung getragen werden (KOSOW & GAßNER, 2008, S. 12; ZERNIAL, 2007, S. 106). Militärische Organisationen, staatliche Institutionen sowie Forschungs- und Bildungseinrichtungen nutzen die Szenario-Analyse schon seit geraumer Zeit zur Unterstützung strategischer Entscheidungen (BRADFIELD, W RIGHT, BURNS, CAIRNS & VAN DER HEIJDEN, 2005, S. 797). Nach und nach gewinnt die Szenario-Analyse auch in der Unternehmenswelt immer mehr an Bedeutung. Einer der Pioniere der szenariobasierten Zukunftsforschung war PIERRE WACK von ROYAL DUTCH SHELL in Kooperation mit SRI International (MIETZNER & REGER, 2005, S. 222). Ihr Konzept der „Intui-tive Logics“ hat sich erfolgreich in den Ölkrisen der 1970er Jahre bewährt. Hauptmerkmal ist dabei die Erstellung flexibler, konsistenter Szenarien, fernab jeglicher mathematischer Werkzeuge und ausschließlich gestützt auf Intuition und Logik. WACK hat dieses Konzept schließlich für die Wissenschaft formuliert und dabei ein grundlegendes Prinzip festgestellt. Unsicherheit muss akzeptiert, verstanden und somit ein Teil unseres Denkens werden (HUSS & HONTON, 1987, S. 21–22; WACK, 1985, S. 73–74). In der Folge haben sich zahlreiche neue Ansätze zur weiteren Systematisierung und Optimierung der Szenario-Analyse als strategisches Werkzeug für Unternehmen entwickelt (MIETZNER & REGER, 2005, S. 220). Besonders verbreitet sind dabei die Ansätze von VON REIBNITZ & GESCHKA, SCHWARTZ, GODET & REBOULAT oder auch GAUSEMEIER ET AL. (MIETZNER & REGER, 2005, S. 228–229; GAUSEMEIER ET AL., 1998, S. 116; GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 78). Trotz vereinzelter Unterschiede hinsichtlich des zugrundeliegenden Prozessmodells steckt hinter sämtlichen Ansätzen ein sehr ähnliches Grundkonzept (ZERNIAL, 2007, S. 107). Dieses Grundkonzept wird nachfolgend am Beispiel des Ansatzes von GAUSEMEIER ET AL. näher vorgestellt. GAUSEMEIER ET AL. verfolgen mit ihrem Konzept das Ziel, „Chancen/Erfolgspotentiale und Gefahren zu erkennen und dementsprechend strategische Entscheidungen zu unterstützen. Die zu unterstützenden Entscheidungen beziehen sich immer auf einen bestimmten Gegenstand – beispielsweise ein Unternehmen oder eine Geschäftseinheit […], ein Produkt […] oder eine Technologie […]“ (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 82). Der Untersuchungsgegenstand wird sinnbildlich Gestaltungsfeld genannt, da dessen Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb eines bestimmten Betrachtungshorizonts, dem sog. Szenariofeld, beschrieben werden sollen. Das Szenariofeld kann dabei rein externe, nicht steuerbare Umfeldgrößen beinhalten, die bspw. die Marktentwicklung eines bestimmten Systems beeinflussen. Man spricht in diesem Fall von Umfeld-Szenarien. Demgegenüber stehen Gestaltungsfeld-Szenarien, die sich ausschließlich auf interne und direkt steuerbare Größen wie bspw. Produktmerkmale stützen. System-Szenarien stehen dagegen für eine Kombination aus Umfeld- und Gestaltungsfeld-Szenarien und verknüpfen demnach sowohl externe als auch interne 2 Stand der Forschung 71 Szenario-Erstellung Einflussgrößen. Die Szenario-Analyse als Ganzes orientiert sich letztendlich an dem in Bild 2.21 dargestellten Prozessmodell, das sich in fünf Phasen untergliedern lässt (GAUSEMEIER ET AL., 1998, S. 118; GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 82–84; ZERNIAL, 2007, S. 107). Szenario-Vorbereitung Szenario-Plattform Projektdefinition Ausgangssituation Szenariofeld-Analyse Schlüsselfaktoren Szenario-Prognostik Zukunftsprojektionen Szenario-Bildung Szenarien Szenario-Transfer Strategien Handlungsoptionen Bild 2.21: Ablauf der Szenario-Analyse nach GAUSEMEIER, EBBESMEYER & KALLMEYER, 2001, S. 84 Szenario-Vorbereitung Die erste Phase dient der Vorbereitung einer Szenario-Analyse. Dort werden die grundlegenden Ziele sowie die Organisation der Untersuchung festgelegt (ZERNIAL, 2007, S. 107). Die Ziele stehen dabei eng mit dem Gestaltungsfeld in Verbindung, das im Rahmen der Szenario-Analyse untersucht werden soll. Aufgabe ist es daher, dieses Gestaltungsfeld zunächst entsprechend festzulegen und zu konkretisieren. Dabei muss vor allem die aktuelle Situation beschrieben werden, die das Gestaltungsfeld gegenwärtig umschließt. Hierfür stehen unterschiedliche Methoden und Verfahren (Marktanalysen, Portfolio-Analysen etc.) zur Verfügung, die Aufschluss über die momentane Situation im Unternehmen bzw. Unternehmensumfeld geben. Am Ende einer solchen Gestaltungsfeld-Analyse stehen schlussendlich die Herausforderungen, die sich aus der gegenwärtigen Situation ergeben und in Zukunft gelöst werden sollen (GAUSEMEIER ET AL., 1998, S. 116; GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 86). Szenariofeld-Analyse Die wesentliche Aufgabe der zweiten Phase ist die Analyse des Szenariofelds, um sog. Schlüsselfaktoren zu bestimmen (KOSOW & GAßNER, 2008, S. 21; ZERNIAL, 2007, 72 2 Stand der Forschung S. 107–108). Schlüsselfaktoren stehen in diesem Zusammenhang für besonders markante Einflussgrößen, die sich maßgeblich auf die zukünftige Entwicklung des Gestaltungsfelds auswirken. Für deren Identifikation ist es notwendig, dass zunächst die relevanten Einflussbereiche festgelegt werden, von denen das Gestaltungsfeld umgeben wird. Die Einflussbereiche selbst beruhen wiederum auf mehreren opportunen Einflussgrößen (auch Einflussfaktoren oder Deskriptoren genannt), die in der Folge bestimmt sowie verständlich beschrieben werden müssen (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 86–88). Während dieses Schrittes ergeben sich in der Regel viele unterschiedliche Einflussgrößen, die untereinander Wirkungsbeziehungen aufweisen können, jedoch nicht gleichermaßen für die weiteren Schritte der Szenario-Analyse relevant sind. Zur Ermittlung der relevanten Einflussgrößen (Schlüsselfaktoren) sowie 3 Q1 14 6 2 16 7 1 12 4 15 8 18 9 14 4 Einflussgröße Z 1 1 … Einflussgröße W 3 1 … Einflussgröße V 2 Wirkungssumme … … … Einflussgröße B 1 2 Einflussgröße E Einflussgröße A Einflussgröße B Aktivsumme Interne Einflussgrößen Externe Einflussgrößen Bewertungsmaßstab: 0: kein Einfluss 1: schwacher Einfluss 2: mittlerer Einfluss 3: starker Einfluss Einflussgröße A deren Bedeutung für das Szenariofeld bedient man sich demzufolge einer Einflussanalyse auf Basis einer sog. Einflussmatrix (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 88; ZERNIAL, 2007, S. 107–108). Q2 … Einflussgröße E 1 2 Einflussgröße V 2 3 Einflussgröße W 1 2 1 1 3 3 Q3 … Q4 … Einflussgröße Z Passivsumme 16 1 1 2 2 17 18 17 14 13 487 Bild 2.22: Grundgerüst einer Einflussmatrix nach GAUSEMEIER, EBBESMEYER & KALLMEYER, 2001, S. 89 Wie Bild 2.22 zeigt, setzt sich eine Einflussmatrix prinzipiell aus vier Quadranten (Q1 bis Q4) zusammen, in denen die skalierten Wirkungsbeziehungen zwischen den betrachteten Einflussgrößen in die dafür vorgesehenen Zellen eingetragen werden. Die Unterteilung in vier Quadranten hat eine entsprechende Trennung von externen und internen Einflussgrößen auf den beiden Achsen der Matrix zur Ursache (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 88–89). Die Einflussanalyse selbst erfolgt dann schließlich nach fol- 2 Stand der Forschung 73 gendem Muster (GAUSEMEIER S. 89–91): ET AL., 1998, S. 119–120; GAUSEMEIER ET AL., 2001, Direkte Einflussanalyse: Hier erfolgt zunächst eine paarweise Bewertung der direkten Beziehungen zwischen den betrachteten Einflussgrößen anhand eines skalierten Maßstabes. Die grundlegende Frage ist, wie schnell, stark oder in welchem Ausmaß sich Einflussgröße A auf Einflussgröße B auswirkt. Auf Basis dieser paarweisen Bewertung lassen sich signifikante Kennzahlen (Aktivsumme, Passivsumme, Wirkungssumme, Impuls-Index, Dynamik-Index) ermitteln, die Aussagen über die Relevanz der Einflussgrößen nach unterschiedlichen Betrachtungsmaßstäben zulassen und eine Datenbasis für die Auswahl der Schlüsselfaktoren schaffen. Indirekte Einflussanalyse: Neben direkten Beziehungen zwischen Einflussgrößen herrschen in einem komplexen und vernetzten System auch indirekte Beziehungen. Diese können bei Bedarf entsprechend identifiziert und in die Analyse einbezogen werden. Aktivsumme 100 Einflussgröße impulsive Größen dynamische Größen 50 reaktive Größen 0 Passivsumme 50 100 Bild 2.23: Aufbau eines System-Grids zur Auswahl der Schlüsselfaktoren nach GAUSEMEIER, FINK & SCHLAKE, 1998, S. 120 Bestimmung der Schlüsselfaktoren: Unter Berücksichtigung der ermittelten Kennzahlen und Wirkungsbeziehungen aus der Einflussmatrix lassen sich sog. System-Grids erstellen, mit deren Hilfe markante Schlüsselfaktoren entsprechend ihres Systemverhaltens identifiziert werden können. Der Aufbau eines System-Grids ist beispielhaft in Bild 2.23 dargestellt und ermöglicht eine 74 2 Stand der Forschung Kategorisierung der Einflussgrößen bzgl. ihres charakteristischen Systemverhaltens. Impulsive Größen sind durch einen starken Einfluss auf das Gesamtsystem gekennzeichnet, ohne selbst dadurch großartig beeinflusst zu werden. Sie wirken wie Stellhebel. Dynamische Größen weisen dagegen sowohl ein hohes Einflussmaß als auch eine hohe Beeinflussbarkeit durch andere Größen auf. Sie können folglich destabilisierend auf die Entwicklung des Gesamtsystems wirken. Zu guter Letzt existieren noch reaktive Größen, die sich aufgrund ihrer Reaktionsfreudigkeit vor allem bei kurzfristigen Betrachtungshorizonten als geeignete Schlüsselfaktoren erweisen. Szenario-Prognostik Die dritte Phase der Szenario-Analyse, die Szenario-Prognostik, umfasst schließlich den eigentlichen Ausblick in die Zukunft, in dem die einzelnen Schlüsselfaktoren zu Zukunftsprojektionen fortgeschrieben werden. Dies hat zur Folge, dass sich der Szenario-Trichter in seiner charakteristischen Weise aufspannt (GAUSEMEIER ET AL., 1998, S. 120–121; KOSOW & GAßNER, 2008, S. 21; ZERNIAL, 2007, S. 108). Dafür muss zunächst jedoch ein geeigneter Zeithorizont festgelegt werden. Weiterhin sollten die Zukunftsprojektionen nicht nur die wahrscheinlichsten, sondern auch extreme und dennoch vorstellbare Entwicklungsmöglichkeiten darstellen. So kann zum einen der Kreativität und zum anderen dem Aspekt Rechnung getragen werden, dass in der Vergangenheit oftmals auch das Undenkbare bzw. Unwahrscheinliche zur Realität geworden ist (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 91–92). Bei der Erstellung der Zukunftsprojektionen müssen letztendlich folgende Schritte durchlaufen werden (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 92–94): Ermittlung möglicher Zukunftsprojektionen: Auf analytische und kreative Weise sind in diesem Schritt zunächst potentielle Projektionen der Schlüsselfaktoren zu generieren. Der analytische Weg stützt sich dabei auf bestimmte Merkmale, die zahlentechnisch erfasst werden können. Der kreative Weg verläuft dagegen auf qualitativer und narrativer Basis. Insgesamt schreiben GAUSEMEIER ET AL. für diesen Schritt kein exaktes Handlungsschema vor, geben aber einige, alternative Hilfestellungen für die Prognostik: Entwicklungen fortschreiben oder simulieren, Entwicklungen und ihre Merkmale überzeichnen, Entwicklungen bewusst beschleunigen, Entwicklungen aus dem Umfeld bewusst berücksichtigen, Zukunftsprojektionen aus Prozessen ableiten. Auswahl geeigneter Zukunftsprojektionen: Die ermittelten Zukunftsprojektionen müssen anschließend gebündelt und vorselektiert werden. Bei der Vorselektion sind für die einzelnen Schlüsselfaktoren diejenigen Projektionen 2 Stand der Forschung 75 auszuwählen, die deren zukünftige Entwicklung besonders deutlich charakterisieren. Formulierung und Begründung der Zukunftsprojektionen: Pro Schlüsselfaktor werden die charakteristischen Zukunftsprojektionen abschließend ausformuliert und begründet. Den Projektionen ist dabei eine Kurzbezeichnung zuzuordnen und die dazugehörige Begründung präzise sowie ausführlich zu formulieren. Die Textelemente bilden später eine wichtige Basis für die Beschreibung der Szenarien. Szenario-Bildung „In der Szenario-Bildung werden konsistente und plausible Szenarien herausgearbeitet“ (ZERNIAL, 2007, S. 108). Diese ergeben sich meist aus Projektionsbündeln bzw. Projektionsketten verschiedener, konsistenter Schlüsselfaktoren. Die Konsistenz, also Widerspruchsfreiheit, ist eine elementare Notwendigkeit und entscheidend für die Glaubwürdigkeit der Szenarien (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 96). Die Anzahl der gebildeten Szenarien sollte so gewählt werden, dass damit einerseits die Komplexität der Analyse in Grenzen gehalten werden kann, gleichzeitig aber auch ein möglichst vielfältiges Bild der Zukunft entsteht (KOSOW & GAßNER, 2008, S. 21–22). Die einzelnen Schritte der Szenario-Bildung nach GAUSEMEIER ET AL. lauten wie folgt (GAUSEMEIER ET AL., 1998, S. 121–123; GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 97–102): Konsistenzanalyse: Anfänglich müssen die Zukunftsprojektionen paarweise auf Konsistenz geprüft werden. Wie auch bei der Einflussanalyse stützt man sich dabei auf eine Bewertungsmatrix. Der Aufbau der sog. Konsistenzmatrix ähnelt stark dem Aufbau der Einflussmatrix. Jedoch überprüft man hier die Verträglichkeit der einzelnen Projektionspaare anhand entsprechend skalierter Konsistenzwerte. Es genügt zudem nur eine einseitige Beurteilung der Projektionspaare, da innerhalb einer Konsistenzbewertung keine gerichteten Auswirkungen untersucht werden. Nach der paarweisen Konsistenzbewertung lassen sich über Sichtprüfungen des Anwenders sowie rechnergestützte Verfahren auf Basis der Kombinatorik konsistente Projektionsbündel bzw. -ketten (je eine Projektion pro Schlüsselfaktor) bilden. Rohszenario-Bildung: Einzelne Projektionsbündel werden in diesem Schritt aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu sog. Rohszenarien zusammengefasst. Die verschiedenen Rohszenarien sollen untereinander möglichst heterogen sein, selbst aber aus homogenen Projektionsbündeln bestehen. Zukunftsraum-Mapping: Im sog. Zukunftsraum-Mapping wird die Bildung der Rohszenarien visualisiert. Bild 2.24 zeigt eine solche „Zukunfts-Landkarte“, die der Positionierung der einzelnen Projektionsbündel nach deren Ähnlichkeit 76 2 Stand der Forschung dient. Ähnliche Bündel liegen darin sehr dicht beieinander und repräsentieren somit ein Rohszenario, während unähnliche Bündel relativ weit voneinander entfernt liegen. Zur Unterstützung des Zukunftsraum-Mappings wird häufig auf eine rechnergestützte, multidimensionale Skalierung zurückgegriffen, so dass den einzelnen Projektionsbündeln entsprechende Koordinatenwerte zugeordnet werden können. Über die Größe des Durchmessers der dargestellten Projektionsbündel lassen sich auch Aussagen über deren Konsistenz verbildlichen. Eine weitere Darstellungsmöglichkeit bieten spezielle Pfeile, mit deren Hilfe sich grundlegende Unterscheidungsmerkmale zwischen Rohszenarien in Form von ausgewählten Schlüsselfaktoren und deren Projektionen veranschaulichen lassen. Szenario-Beschreibung: Anhand von Ausprägungslisten wird hier zunächst ermittelt, wie häufig die einzelnen Projektionen der Schlüsselfaktoren in den Projektionsbündeln der Rohszenarien auftreten. Man unterscheidet dabei zwischen eindeutiger, dominanter und alternativer Ausprägung. Die für die Rohszenarien markanten Projektionen werden anschließend über die vorab formulierten Textelemente (vgl. Schritt zur Szenario-Prognostik) ausführlich beschrieben und zu den endgültigen Szenarien verknüpft. 2 Rohszenario III Rohszenario I 1 Projektionsbündel -4 -3 -2 1 -1 2 3 -1 Rohszenario II -2 Bild 2.24: Zukunftsraum-Mapping nach GAUSEMEIER, EBBESMEYER & KALLMEYER, 2001, S. 100 Szenario-Transfer Die letzte Phase der Szenario-Analyse dient der Nutzung der Szenarien im Hinblick auf strategische Entscheidungen und wird als Szenario-Transfer bezeichnet (KOSOW 2 Stand der Forschung 77 & GAßNER, 2008, S. 23; ZERNIAL, 2007, S. 108). Die Szenarien müssen diesbezüglich auf künftige Erfolgs- bzw. Gefahrenpotentiale „für das etablierte Geschäft“ untersucht und bewertet werden (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 105). Hierfür steht Unternehmen eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung, die von simplen Wahrscheinlichkeitsrechnungen oder Trendextrapolationen bis hin zu beliebig gestaltbaren Matrix- und Portfoliodarstellungen reichen (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 109–116; KOSOW & GAßNER, 2008, S. 58). GAUSEMEIER ET AL. liefern zusätzlich noch einige grundlegende Orientierungshilfen im Rahmen der szenariobasierten Entscheidungsfindung bzw. Strategieausrichtung (GAUSEMEIER ET AL., 1998, S. 124–126): Orientierung der Entscheidung bzw. Strategie am wahrscheinlichsten Szena- rio; Orientierung der Entscheidung bzw. Strategie am Szenario mit den größten Erfolgspotentialen; Orientierung der Entscheidung bzw. Strategie am Szenario mit den größten Gefahrenpotentialen; Entscheidung bzw. Strategie mit Fokus auf die Minimierung möglicher Gefahrenpotentiale; Entscheidung bzw. Strategie mit Fokus auf die Erweiterung der Flexibilität; Entscheidung bzw. Strategie mit Fokus auf die ideale Zukunftsvorstellung. Letztendlich ist die Szenario-Analyse eine aufwändige und komplexe Methode, die sich jedoch aufgrund ihrer Flexibilität, der zugrundeliegenden Systematik sowie ihrer guten methodischen Unterstützbarkeit besonders für die Erstellung und Beurteilung von Technologieszenarien eignet (GESCHKA, 1994, S. 162; GESCHKA, 1995, S. 640; ZERNIAL, 2007, S. 111). Vor allem der Unsicherheit und Dynamik im heutigen, technologiegetriebenen Unternehmensumfeld kann dadurch angemessen entgegengewirkt werden (GAUSEMEIER ET AL., 1998, S. 129). 2.5.3 Integrative Ansätze zur Technologiebewertung Ergänzend zu den bisher vorgestellten, eigenständigen Bewertungsmethoden wurde in den vergangenen Jahren eine Reihe an integrativen Ansätzen entwickelt, die verschiedene Elemente bewährter Methoden zu neuen Bewertungsansätzen verknüpfen und eine möglichst systematische sowie ganzheitliche Technologiebewertung gewährleisten sollen (SCHNEIDER, 2002, S. 29). Eine Auswahl von themenverwandten Ansätzen wird nachfolgend vorgestellt. 78 2 Stand der Forschung 2.5.3.1 Ansatz nach HIERONYMUS, TINTELNOT & VON WICHERT-NICK HIERONYMUS ET AL. setzen in ihrem Ansatz auf einen „Prozess der technologiestrategischen Entscheidungsfindung und damit auch der Technologiebewertung“ (HIERONYMUS ET AL., 1996, S. 26). Der in Bild 2.25 visualisierte Prozess setzt sich aus aufeinander aufbauenden, jedoch in Wechselwirkung miteinander stehenden Phasen zusammen (HIERONYMUS ET AL., 1996, S. 27–28): Ableitung des Handlungsbedarfs durch Technologiefrüherkennung und eigene Visionen; Analyse und Prognose durch technologische Konkurrenzanalysen, Bedarfsanalysen und -prognosen sowie Technologieprognosen; Ableitung von technologischen Entscheidungsalternativen; Bewertung der technologischen Entscheidungsalternativen anhand von Istund Soll-Positionierungen; Treffen der Technologieentscheidung. Ableitung des Handlungsbedarfs Analyse Prognose technologische Entscheidungsalternativen Bewertung Technologieentscheidung Bild 2.25: Prozess der integrativen Technologiebewertung nach HIERONYMUS, TINTELNOT & VON W ICHERT-NICK, 1996, S. 27 Die ersten drei Schritte dieses integrativen Bewertungsprozesses dienen offenkundig der Vorbereitung auf die eigentliche Technologiebewertung und gehen immer aus einem konkreten Handlungsbedarf hervor. Dabei werden notwendige, entscheidungsrelevante Informationen gesammelt und zu technologischen Entscheidungsalternativen verdichtet. Zudem unterteilt man den gesammelten Informationsbestand in verschiedene Klassen, die im Rahmen der Bewertung als Entscheidungskriterien 2 Stand der Forschung 79 herangezogen werden. Die technologischen Alternativen werden nachfolgend anhand dieser Entscheidungskriterien mittels Soll- und Ist-Positionierungen gegenübergestellt. Für solche Gegenüberstellungen empfehlen HIERONYMUS ET AL. bspw. die Verwendung von Technologie-Portfolios oder Stärken-/Schwächen-Profilen. Letzten Endes lassen sich so alternative Wege zur Ausrichtung der Technologiestrategie ermitteln und entsprechende Technologieentscheidungen ableiten (HIERONYMUS ET AL., 1996, S. 28). Durch den prozessualen Charakter ist der vorgestellte Bewertungsansatz insgesamt sehr systematisch und leistet einen gezielten Beitrag zur strategischen Planung des Technologieeinsatzes. Des Weiteren werden bei der Bewertung neben technologiespezifischen Informationen auch Markt- und Wettbewerbsinformationen berücksichtigt (SCHNEIDER, 2002, S. 32). 2.5.3.2 Ansatz nach BRANDENBURG BRANDENBURG entwickelt in seinem Forschungsbeitrag eine Methode zur Planung und Bewertung von technologischen Produktinnovationen, indem er sowohl bewährte Ansätze aus der Literatur als auch eigens entwickelte Methodenelemente in sein Konzept integriert (BRANDENBURG, 2002, S. 36). Dieses „soll den Problemlösungsprozess in den frühen Phasen der Produktinnovationsplanung durchgängig umfassen“ und die Lösungsentwicklung auf operativer Ebene gezielt unterstützen (BRANDENBURG, 2002, S. 4). Das methodische Grundgerüst setzt sich aus einem Vorgehens-, Zukunfts-, Informations-, Bewertungs- sowie Umsetzungsmodell zusammen. Die einzelnen Modelle weisen dabei folgende charakteristische Inhalte auf (BRANDENBURG, 2002, S. 46–49, S. 125–127): Vorgehensmodell: Abbildung des Planungsprozesses; ganzheitliche und integrierte Modellierung der frühen Phasen des Produktinnovationsprozesses; Zukunftsmodell: systematische Analyse der Gestaltungsbereiche des Unternehmens; Identifikation und Modellierung zukünftiger Chancen, Anforderungen und Potentiale; Informationsmodell: Strukturierung der planungs- und bewertungsrelevanten Informationen in Form einer Wissensbasis; Bereitstellung der Informationen bei der Planung der Zukunftsprojekte (Produktideen, Innovationsvorhaben); Bewertungsmodell: Bewertungssystem auf Basis entscheidungstheoretischer Algorithmen zur Verbesserung der Entscheidungsqualität; adäquate und effektive Priorisierung und Terminierung von Innovationsvorhaben; 80 2 Stand der Forschung Umsetzungsmodell: Zusammenführung der Planungs- und Bewertungsergebnisse in Innovations-Roadmaps; Handlungsorientierung für die Umsetzung der Produktideen im weiteren Verlauf des Innovationsprozesses. Bild 2.26 zeigt die Verknüpfung der einzelnen Modelle zum generellen Ablaufschema der Methode (BRANDENBURG, 2002, S. 48). Das Zukunftsmodell stützt sich dabei auf ein eigens konzipiertes Matrizensystem zur Analyse der Gestaltungsbereiche eines Unternehmens. Der Aufbau des Matrizensystems ist dabei an ein „House of Quality“ gemäß der Quality-Function-Deployment-Methode angelehnt (BRANDENBURG, 2002, S. 70). Das Bewertungsmodell orientiert sich dagegen an einem System aus entscheidungstheoretischen Ansätzen einer multikriteriellen Bewertung sowie der „Fuzzy-Set“-Theorie zur präzisen Herleitung von Normstrategien für Produktideen, die mittels Innovations-Roadmaps letzten Endes einer konkreten Umsetzung zugänglich gemacht werden (BRANDENBURG, 2002, S. 104, S. 126–127). Anstoß der Aktivitäten Planungsrelevante Informationen Vorgehensmodell Zukünftige Potentiale und Anforderungen Bewertungsmodell Informationen Zukunftsmodell Bewertungsrahmen Anstoß der Aktivitäten Informationsmodell Entscheidungsgrundlage Umsetzungsmodell Informationsbasis Produktideen Bild 2.26: Ablaufschema der Methode nach BRANDENBURG, 2002, S. 48 Die Praxistauglichkeit der Methode hat sich in unterschiedlichen industriellen Anwendungen erwiesen. Der Einsatz der Methode führt zwar nicht zu einem quantitativen Zuwachs von Produktideen, jedoch kann die Qualität der Produktideen sowie der Planungserfolg im Rahmen von Innovationsprozessen entscheidend erhöht werden. Die von Brandenburg entwickelte Methode leistet somit einen elementaren Beitrag zur Erhöhung der Innovationsfähigkeit eines Unternehmens. Innerhalb des Unternehmens sind dafür aber Kreativität, Engagement, Akzeptanz sowie Innovationsbereitschaft gefordert (BRANDENBURG, 2002, S. 127). 2 Stand der Forschung 81 2.5.3.3 Ansatz nach HALL HALL verfolgt mit seinem Ansatz das Ziel einer ganzheitlichen Technologiebewertung. Ganzheitlichkeit bedeutet dabei die Betrachtung von Technologie als Sach- und Handlungssystem entlang des gesamten Produktlebenszyklus, die Berücksichtigung des Markts sowie einen hinreichend ausgedehnten Betrachtungshorizont, der über technische und wirtschaftliche Ziele hinausreicht (HALL, 2002, S. 9; SCHNEIDER, 2002, S. 29). Das Bewertungsmodell von HALL stützt sich auf zwei übergeordnete Phasen. Die erste Phase nennt sich Exploration. Hier werden wichtige Daten über neue Kundenanforderungen oder potentielle Konkurrenzaktivitäten gesammelt. Ebenso erfasst man dabei die notwendigen Informationen über die zu bewertende Technologie durch eine technologieorientierte Analyse von Wettbewerbern. Die zweite und abschließende Phase dient der Bewertung. Dort werden die gewonnenen Informationen aus der Explorationsphase verarbeitet und in eine visuelle Form für entsprechende Interpretationen überführt. Wesentliches Element bildet dabei eine simple Matrix, in der die Kundenanforderungen den charakterisierenden Merkmalen der zu betrachtenden Technologie gegenübergestellt werden (HALL, 2002, S. 63–64, SCHNEIDER, 2002, S. 29–30). Die notwendigen Merkmale zur Charakterisierung der Technologie setzen sich wie folgt zusammen (SCHNEIDER, 2002, S. 29): Prozessdimension: Flexibilität, Produktivität, Verfügbarkeit, etc. einer Technologie; Strukturaspekt: technische und physikalische Aspekte einer Technologie; Wirtschaftlichkeit: Auswirkung einer Technologie auf die Kosten- und Gewinnstruktur des Unternehmens; Gesellschaft: Auswirkungen einer Technologie auf soziale Systeme; Umwelt: Auswirkung einer Technologie auf die Umwelt und ihre Ressourcen. Die Überführung der technologieseitigen sowie kundenbezogenen Informationen in die Matrix schafft einen qualitativen Zusammenhang zwischen den beiden Größen und wird als der eigentliche Bewertungsschritt betrachtet. So lassen sich Einschätzungen entsprechend eines skalierten Maßstabs treffen, wie die einzelnen Technologiemerkmale zum Gesamtnutzen der Technologie beitragen und wie stark die betrachtete Technologie insgesamt die Anforderungen des Markts erfüllt (HALL, 2002, S. 63–64). Insgesamt erweist sich der Ansatz von HALL als sehr übersichtliche und systematische Möglichkeit, um Technologien aus einer ganzheitlichen Sichtweise zu beurtei- 82 2 Stand der Forschung len. Aufgrund seines zweiphasigen Aufbaus ist das methodische Konzept zudem durch eine hohe Transparenz und begrenzte Komplexität gekennzeichnet (SCHNEIDER, 2002, S. 30). 2.5.3.4 Ansatz nach KRÖLL KRÖLL dagegen stellt einen Ansatz zur Technologiebewertung vor, der schon frühzeitig in der Produktentstehung im Rahmen einer „durchgängigen und ganzheitlichen Planung des Technologieeinsatzes“ eingesetzt werden kann (KRÖLL, 2007, S. 19). Dieser Ansatz stützt sich auf eine Bewertung des Reifegrades von Technologien im Hinblick auf einen erfolgreichen Einsatz in der späteren Serienentwicklung. Dabei wird der Nutzen der Technologien sowohl für das Unternehmen selbst als auch für die Kunden gleichermaßen berücksichtigt (KRÖLL, 2007, S. 22). Das Vorgehensmodell, das hinter dem Bewertungsansatz von KRÖLL steckt und in Bild 2.27 dargestellt ist, baut auf fünf charakteristischen Phasen mit spezifischen Inhalten auf (KRÖLL, 2007, S. 69–71): Analyse und Abbildung von Produktfunktionen: systematische Analyse, Erfassung und Beschreibung der umzusetzenden Funktionen eines Produkts; Modell zur Technologiebeschreibung: Überführung der Funktionen in ein Funktionsmodell, Auswahl von Technologieelementen zur Erfüllung der Funktionen, Vernetzung der Technologieelemente, Spezifikation der Technologieelemente; Abbildung alternativer Technologiemodelle: Darstellung verschiedener Technologiealternativen in entsprechenden Technologiemodellen; Modell zur Technologiebewertung: Definition der Bewertungskriterien, Durchführung der Bewertung, Zusammenführung der Bewertungsergebnisse zu einer multikausalen Aussage, Interpretation der Aussage; Umsetzung einer Technologiealternative: Einsatz der Technologiealternative im Produkt. KRÖLL setzt im Rahmen seiner Bewertung auf Wahrscheinlichkeitsverteilungen zur Beschreibung der Kriterien-Ausprägungen, die über Transformationsfunktionen normiert werden. Die gesammelten Daten werden anschließend anhand einer Aggregation verdichtet. Zur Gegenüberstellung der einzelnen Alternativen dient letztendlich eine multikriterielle Bewertung der Technologien bzgl. Qualität, Flexibilität, Kosten und technologischem Reifegrad (KRÖLL, 2007, S. 70–71). Aufgrund der eben erwähnten Normierung durch Transformationsfunktionen können sowohl quantitative als auch qualitative Bewertungsgrößen berücksichtigt werden (KRÖLL, 2007, S. 141). „So lässt sich aus einer Vielzahl von technologischen Möglichkeiten der Funktion- 2 Stand der Forschung 83 sumsetzung eine Erfolg versprechende, zu realisierende Technologiealternative determinieren“ (KRÖLL, 2007, S. 71). Analyse und Abbildung von Produktfunktionen Modell zur Technologiebeschreibung Funktionsmodell Auswahl der Technologieelemente Vernetzung & Spezifikation der Technologieelemente Abbildung alternativer Technologiemodelle Modell zur Technologiebewertung Kriterienbewertung Aggregation Bewertungsergebnisse Umsetzung einer Technologiealternative Bild 2.27: Vorgehensmodell zur Technologiebewertung nach KRÖLL, 2007, S. 69 Letztendlich hat KRÖLL mit seinem methodischen Konzept eine Möglichkeit entwickelt, wie Entscheidungen zur Auswahl von Technologiealternativen im Hinblick auf eine ergebnisorientierte Produktentwicklung systematisch unterstützt werden können. Das Konzept wurde zwar im Rahmen der Elektronik-Industrie erarbeitet, ist aber aufgrund seines abstrakten Aufbaus auch auf andere Branchen übertragbar (KRÖLL, 2007, S. 140–141). 84 3 3 Ableitung des Handlungsbedarfs Ableitung des Handlungsbedarfs In diesem Kapitel wird der konkrete Handlungsbedarf für die weiteren Ausführungen dieser Arbeit abgeleitet. Dafür erfolgt zunächst eine allgemeine Kritik der vorgestellten Methoden zur Technologiebewertung (vgl. Kapitel 2.5.2 & 2.5.3) gemäß grundlegender Erkenntnisse aus der Literatur. Im Anschluss werden jene Methoden noch einer forschungsspezifischen Evaluierung hinsichtlich der anfangs der Arbeit dargelegten Problemstellung und Zielsetzung (vgl. Kapitel 1.2 & 1.3) unterzogen. Dadurch lassen sich konkrete Schwachstellen und Defizite im Methodenportfolio aufdecken, die letztendlich zur Aufstellung von signifikanten Anforderungen an die zu entwickelnden Bewertungsmethoden führen. 3.1 Allgemeine Kritik der Methoden zur Technologiebewertung Die einzelnen Methoden zur Technologiebewertung aus Kapitel 2.5.2 & 2.5.3, die anhand gegenwärtiger Tendenzen in Wissenschaft und Praxis ausgewählt wurden, sind allesamt durch charakteristische Stärken und Schwächen gekennzeichnet, die in der forschenden Literatur bereits mehr oder weniger umfassend aufgearbeitet wurden. Diese charakteristischen Stärken und Schwächen werden dem Leser nachfolgend näher gebracht. Den integrativen Ansätzen zur Technologiebewertung mangelt es dabei teilweise noch an handfesten Studien bzw. Untersuchungen über ihr Eignungspotential, weshalb in diesem Zusammenhang vor allem auf die Hinweise der Verfasser auf weiteren Optimierungsbedarf eingegangen wird. Brainstorming & Trendextrapolation Es wird deutlich, dass Methoden wie die Trendextrapolation oder das Brainstorming, die sehr simpel konzipiert und nach ihrem methodischen Grundprinzip nur bedingt für Bewertungszwecke ausgelegt sind, den komplexen Rahmenbedingungen und Anforderungen einer zeitgemäßen Technologiebewertung nicht standhalten können (vgl. Kapitel 2.5.2.1 & 2.5.2.5). Das Brainstorming als qualitative Methode beinhaltet dabei weder methodische Operationalisierungselemente noch eine strukturierte Bewertungssystematik. Ferner ist der Bewertungsprozess, da er allein dem Moderator obliegt, sehr stark dessen Fähigkeiten und subjektiven Einschätzungen ausgesetzt 3 Ableitung des Handlungsbedarfs 85 (SCHNEIDER, 2002, S. 93–94). Die Trendextrapolation verarbeitet dagegen nur quantitative Daten und ist demnach sehr einseitig konzipiert. Zudem unterliegen die Ergebnisse der Trendprognosen aufgrund der Extrapolation von Vergangenheitswerten sowie der statischen Randbedingungen oft einer gewissen Fehlerhaftigkeit, was eine nachfolgende Bewertung auf Grundlage der verfälschten Prognosedaten nutzlos erscheinen lässt. Den sich stark verändernden Rahmenbedingungen im aktuell sehr dynamischen Unternehmensumfeld kann die Trendextrapolation vor diesem Hintergrund nicht gerecht werden. Für komplexe und vielschichtige Fragestellungen im Rahmen der Technologiebewertung ist die Methode heutzutage somit kaum noch geeignet (KRÖLL, 2007, S. 40; LUDWIG, 1995, S. 59). Nutzwert-Analyse & Relevanzbaumanalyse Entscheidungs- oder grafentheoretische Instrumente wie die Nutzwert- oder Relevanzbaumanalyse können Problemsituationen klar strukturieren und dabei helfen, Handlungsalternativen gegeneinander abzuwägen. Ferner beinhalten sie auch wesentliche Elemente einer multikriteriellen Bewertung (vgl. Kapitel 2.5.2.2 & 2.5.2.3). Die quantitativen Analyseelemente beider Methoden erweisen sich aus mathematischen, mess- sowie entscheidungstheoretischen aber auch datentechnischen Gründen jedoch nicht immer als verlässlich (KRÖLL, 2007, S. 41, S. 43–44; LUDWIG, 1995, S. 59, S. 61–62; SCHNEIDER, 2002, S. 144–145). Bei der Nutzwert-Analyse liegt die Schwierigkeit insbesondere bei der objektiven Gewichtung der Bewertungskriterien (LUDWIG, 1995, S. 61). Bei der Relevanzbaumanalyse ist dagegen problematisch, „dass die Methode keine Operationalisierungsvorschläge bietet, wie die zur Baumkonstruktion notwendigen Wissenselemente zu gewinnen sind“ (SCHNEIDER, 2002, S. 145). Zudem ist die Auswahl der Handlungsalternativen subjektiven Einflüssen ausgesetzt und die Prognose von zukünftigen, technologischen Entwicklungen nur unzureichend in das methodische Konzept integriert (SCHNEIDER, 2002, S. 144–145). Delphi-Studie Mit Hilfe der Delphi-Studie lassen sich fachlich hochwertige, kollektive Expertenmeinungen über zukünftige technologische Entwicklungen bilden, indem Informationen über Veränderungen im gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Kontext verarbeitet und bewertet werden (vgl. Kapitel 2.5.2.6). Die Qualität der Bewertung ist hier allerdings durch einen möglichen Zweckoptimismus der Befragungsteilnehmer eingeschränkt, da oftmals gesellschaftliche sowie marktseitige Widerstände aber auch generelle Schwierigkeiten bei der Implementierung der technologischen Entwicklungen in das Unternehmen unberücksichtigt bleiben. Auch kritische Meinungen einzelner Experten können aufgrund der Konsensorientierung der Methode leicht vernachläs- 86 3 Ableitung des Handlungsbedarfs sigt werden (SCHNEIDER, 2002, S. 97). Darüber hinaus ist es für eine hohe Ergebnisqualität von großer Bedeutung, die richtigen Experten mit dem notwendigen Fachwissen gezielt auszuwählen. In der Praxis erweist sich die Einschätzung von Experten im Voraus jedoch häufig als problematisch (LUDWIG, 1995, S. 58; SCHNEIDER, 2002, S. 98). Portfolio-Analyse & Szenario-Analyse Die beiden Methoden der Portfolio- und Szenario-Analyse bestechen durch ihre strategische Ausrichtung sowie stringenten Analyseschritte und schaffen somit eine gute Grundlage zur Entscheidungsunterstützung (vgl. Kapitel 2.5.2.4 & 2.5.2.7). Aufgrund der zweidimensionalen Bewertungskriterien ist die Portfolio-Analyse hinsichtlich der Bewertungsqualität jedoch nur durchschnittlich ausgeprägt. Es besteht das Risiko, dass relevante Daten bei der Verdichtung der Bewertungsinformationen auf nur zwei Dimensionen verloren gehen. Dies wirkt sich vor allem auf die Aussagekraft der Normstrategien aus, die auf Basis der zweidimensionalen Portfolios ausgerichtet werden. Als nachteilig bzgl. der Bewertungsqualität erweisen sich auch die teils abhängigen Bewertungskriterien, wie z.B. finanzieller Aufwand und Technologieattraktivität (SCHNEIDER, 2002, S. 136–142). Die Szenario-Analyse ist dagegen wesentlich flexibler ausgerichtet und ermöglicht eine sehr gute Unterstützbarkeit durch weitere Methoden, Hilfsmittel oder Software-Tools. Besonders die systematische Integration und Verarbeitung von qualitativen sowie quantitativen Daten aus unterschiedlichen Einflussbereichen zu plausiblen und konsistenten Zukunftsannahmen schaffen eine hervorragende Bewertungsgrundlage. Außerdem können vernetzte Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Einflussbereichen angemessen berücksichtigt werden (SCHNEIDER, 2002, S. 153; ZERNIAL, 2007, S. 111). Für die endgültige Beurteilung der erarbeiteten Szenarien im Hinblick auf die Entscheidungsfindung existiert allerdings kein spezifisches bzw. fest vorgegebenes Bewertungsschema. Vielmehr erhält der Anwender die Möglichkeit, auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Methoden und Hilfsmittel zurückzugreifen und somit den Bewertungsprozess situationsspezifisch anzupassen (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Anwender müssen sich jedoch des teils spekulativen Charakters der Szenario-Analyse bewusst sein und auf das „Denken in Alternativen“ einlassen (ZERNIAL, 2007, S. 111). Ansatz nach HIERONYMUS, TINTELNOT & VON WICHERT-NICK HIERONYMUS ET AL. legen ihr Bewertungsmodell anhand einer sukzessiven Einbindung von Technologiefrüherkennung, -analyse und -prognose sehr zukunftsorientiert aus (vgl. Kapitel 2.5.3.1). Die Ergebnisse der Bewertung, die über TechnologiePortfolios ausgedrückt werden, fließen dabei direkt in die strategische Planung des 3 Ableitung des Handlungsbedarfs 87 Technologieeinsatzes ein. Derart wichtige Entscheidungen im Rahmen einer strategischen Technologieplanung jedoch allein auf Elemente der Portfolio-Analyse zu stützen, erscheint in Anbetracht der erwähnten Schwachstellen von PortfolioDarstellungen als fragwürdig. Hinweise zur weiteren, methodischen Ausgestaltung und Operationalisierung der einzelnen Bewertungsschritte sind nach Angaben der Verfasser dringend erforderlich (HIERONYMUS ET AL., 1996, S. 28; SCHNEIDER, 2002, S. 32–33). Ansatz nach BRANDENBURG Der Ansatz von BRANDENBURG leistet einen Beitrag zur Problemlösung in den frühen Phasen der Innovationsplanung von Produkten. Der Ansatz beinhaltet ein systematisches Bewertungsmodell auf Basis entscheidungstheoretischer Algorithmen unter dem Leitgedanken einer multikriteriellen Bewertung, so dass eine gute Bewertungsqualität und plausible Entscheidungsunterstützung bei der Auswahl von Produktideen gewährleistet werden kann. Die Orientierung an künftigen Chancen und Potentialen wird außerdem durch ein Zukunftsmodell ermöglicht, das die Gestaltungsbereiche des Unternehmens analysiert (vgl. Kapitel 2.5.3.2). Die Methode unterstützt letztendlich eine offene Suche sowie systematische Umsetzung von neuen, aussichtsreichen Produktideen in verschiedenen Gestaltungsbereichen des Unternehmens und fördert gezielt die Erschließung technologischer Potentiale. Es wird allerdings deutlich, dass der Fokus der Methode nicht auf einer klassischen Technologiebewertung liegt (BRANDENBURG, 2002, S. 127). Ansatz nach HALL HALL rückt in seinem Ansatz den Aspekt der Ganzheitlichkeit in den Mittelpunkt. Technologien werden dabei nicht nur einer kunden- bzw. marktseitigen Bewertung unterzogen, sondern auch entsprechend ihrer charakteristischen Merkmale, ihres Systemcharakters sowie ihrer Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft beurteilt (vgl. Kapitel 2.5.3.3). Dem Ansatz mangelt es jedoch an Anhaltspunkten zur Gewichtung der einzelnen Bewertungskriterien. So muss dem Ansatz eine gleichgestellte Betrachtung der Kriterien unterstellt werden, was die Eignung der Methode für eine flexible Anwendung bei Bewertungsprojekten mit dynamischen Rahmenbedingungen deutlich einschränkt. Auch wird einer zukunftsorientierten bzw. langfristigen Technologiebetrachtung sowie einer konkreten Ausrichtung entlang eines geplanten Technologieeinsatzes innerhalb des methodischen Konzepts kaum Beachtung geschenkt. Eine angemessene Unterstützung von Technologieentscheidungen kann somit nicht gewährleistet werden (SCHNEIDER, 2002, S. 30–31). 88 3 Ableitung des Handlungsbedarfs Ansatz nach KRÖLL Der Ansatz von KRÖLL umfasst eine Methode zur Technologiebewertung für eine ergebnisorientierte Produktentwicklung. Die zu bewertenden Technologiealternativen werden dabei als Technologiemodelle innerhalb eines geplanten Produkts hinsichtlich Qualität, Flexibilität, Kosten und technologischem Reifegrad systematisch beurteilt. Das Produkt wird dazu in ein Funktionsmodell überführt, das die Analyse von Technologiealternativen unter Einhaltung der funktionalen Anforderungen des Produkts ermöglicht. Dieser enge Bezug zu einem geplanten Produkt und dessen Funktionen führt zu einer deutlich verbesserten Entscheidungsunterstützung (vgl. Kapitel 2.5.3.4). Nichtsdestotrotz offenbart auch dieser Ansatz diverse Schwachstellen. Verbesserungspotential existiert insbesondere bzgl. einer verstärkten Systematisierung der Methode durch ein entsprechendes Software-Tool sowie einer Verfeinerung des Bewertungsprozesses. Auch die gezielte Erweiterung von Bewertungskriterien und Beschreibungsmerkmalen der betrachteten Technologiealternativen ist in diesem Zusammenhang zu nennen (KRÖLL, 2007, S. 141–143). 3.2 Forschungsspezifische Evaluierung der Methoden zur Technologiebewertung Nachdem die vorgestellten Methoden zur Technologiebewertung zunächst einer allgemeinen Methodenkritik unterzogen wurden, folgt nun eine spezifische Evaluierung im Sinne dieser Forschungsarbeit. Die konsultierten Bewertungsmerkmale sind dabei so auszuwählen, dass einem Methodeneinsatz in der strategischen Produktplanung unter Berücksichtigung der eingangs der Arbeit geschilderten Problemstellung (vgl. Kapitel 1.2) und Zielsetzung (vgl. Kapitel 1.3) entsprechend Rechnung getragen werden kann. Die Bewertungsmerkmale setzen sich daher wie folgt zusammen: Technologieerfassung: Früherkennung, Datenintegration; Objektbezug; Bewertungsqualität: qualitative Analyse, quantitative Analyse, multikriterielle Analyse; Systematik: strukturiertes Konzept, Toolunterstützung. Mit dem Merkmal der Technologieerfassung wird untersucht, inwieweit die einzelnen Bewertungsmethoden eine frühzeitige Erfassung von Signalen über künftige technologische Entwicklungen inkl. der dazugehörigen Daten und Informationen in ihr methodisches Konzept integrieren. So lassen sich die Methoden hinsichtlich einer zukunftsorientierten Ausrichtung sowie einer zweckmäßigen Datenerfassung und 3 Ableitung des Handlungsbedarfs 89 -integration beurteilen (vgl. Kapitel 1.2). Das Merkmal umfasst demnach die beiden untergeordneten Eigenschaften der Früherkennung und Datenintegration. Mit der Eigenschaft der Früherkennung soll gezeigt werden, ob die Bewertungsmethoden entsprechende Analyseelemente beinhalten, die für eine systematische Technologiefrüherkennung (vgl. Kapitel 2.2.2.1 & 2.5.1) ausgelegt sind. Die Datenintegration beschreibt dagegen, inwiefern die Methoden eine zielgerichtete Verarbeitung (Zusammenführung von Bewertungsinformationen) der gesammelten, technologiespezifischen Daten ermöglichen. Das Merkmal des Objektbezugs liefert eine Aussage über die Ausrichtung der einzelnen Methoden an einem konkreten Untersuchungsobjekt wie bspw. einem Produkt, in dessen Rahmen die alternativen Technologien hinsichtlich ihres Einsatzpotentials bewertet werden sollen. Gerade für eine Technologiebewertung in der strategischen Produktplanung ist dies entscheidend, da Technologien auf diese Weise gemäß ihres zunehmend vernetzten Charakters und der Wechselwirkungen mit anderen Komponenten des betrachteten Produkts angemessen beurteilt werden können. So lässt sich vermeiden, dass der Einsatz neuer Technologien als Folge einer isolierten Technologiebewertung zu unbemerkten Unstimmigkeiten in der funktionalen Struktur des Produkts und somit zum Verlust der Funktionsfähigkeit führt (vgl. Kapitel 1.2). Die Untersuchung der Bewertungsqualität gibt Aufschluss darüber, inwiefern die Methoden einerseits quantitative sowie qualitative Analyseelemente in ihren Bewertungsablauf integrieren und andererseits den Anforderungen einer multikriteriellen Bewertung gerecht werden. Beides sind wichtige Voraussetzungen für stichhaltige und schlüssige Ergebnisse einer Technologiebewertung. Die Verknüpfung von quantitativen mit qualitativen Analyseelementen bei der Verarbeitung der Bewertungsinformationen führt dazu, dass die Schwachstellen einer einseitig ausgelegten Bewertung entsprechend übergangen werden können (vgl. Kapitel 1.2). Ferner beseitigt die Berücksichtigung von multikriteriellen Bewertungselementen die Schwierigkeiten einer intuitiven, unsystematischen Bewertung (vgl. Kapitel 2.4.2) anhand einer strukturierten und objektiven Beurteilung von Alternativen hinsichtlich einer Vielzahl von gewichteten Kriterien. Abschließend zeigt das Merkmal der Systematik, ob den vorgestellten Methoden ein strukturiertes sowie toolgestütztes Konzept zugrunde liegt, das eine praktikable Anwendung im Unternehmen ermöglicht und evtl. auch rechnergestützt umsetzbar ist (vgl. Kapitel 1.2). Die Eigenschaft des strukturierten Konzepts beschreibt dabei, inwieweit die Methoden durch einen systematischen und durchgängigen Ablauf gekennzeichnet sind, der eine nachvollziehbare Handhabung durch den Anwender ge- 90 3 Ableitung des Handlungsbedarfs währleistet. Mit der Eigenschaft der Toolunterstützung wird dagegen ausgedrückt, in welchem Maß die Vorgehensweise der einzelnen Methoden durch den Einsatz weiterer Methoden, Hilfsmittel oder Software-Tools unterstützt bzw. modifiziert werden kann. Bild 3.1 liefert vor diesem Hintergrund eine Übersicht über die entsprechenden Merkmalsausprägungen für die betrachteten Methoden zur Technologiebewertung. Nachfolgend wird noch einmal im Detail auf die Stärken und Schwächen der Methoden hinsichtlich der einzelnen Bewertungsmerkmale eingegangen. Systematik Toolunterstützung Strukturiertes Konzept Multikriterielle Analyse Quantitative Analyse Qualitative Analyse Früherkennung stark ausgeprägt Objektbezug moderat ausgeprägt Datenintegration nicht bis kaum ausgeprägt Bewertungsqualität Technologieerfassung Ausprägungen: Trendextrapolation Nutzwert-Analyse Relevanzbaumanalyse Portfolio-Analyse Brainstorming Delphi-Studie Szenario-Analyse Ansatz nach HIERONYMUS ET AL. Ansatz nach BRANDENBURG Ansatz nach HALL Ansatz nach KRÖLL Bild 3.1: Evaluierung der vorgestellten Methoden zur Technologiebewertung Hinsichtlich einer zweckmäßigen Technologieerfassung existieren erkennbare Schwachstellen im Methoden-Portfolio. Während die Erfassung und Verarbeitung der technologiespezifischen Daten mit dem Großteil der Methoden noch angemessen umgesetzt werden kann, wird einem frühzeitigen Erkennen von zukunftsrelevanten technologischen Entwicklungen nur spärlich Folge geleistet. Die Gründe liegen hier 3 Ableitung des Handlungsbedarfs 91 zum einen bei einer mangelnden Einbindung von Elementen der Technologiefrüherkennung in die methodischen Abläufe, zum anderen bei Problemen einer „zeitlich und inhaltlich flexible(n, Anm. des Verf.) Zuordnung von bewertungsrelevanten Daten, und unterschiedliche(n, Anm. des Verf.) Sicherheits- und Genauigkeitsgrade(n, Anm. des Verf.) bei der Informationsbeschaffung und -auswertung“ (KRÖLL, 2007, S. 50). Die Szenario-Analyse sowie der Ansatz nach BRANDENBURG erfüllen dieses Kriterium noch am ehesten. Die Szenario-Analyse, die generell auch im Rahmen der Technologiefrüherkennung eingesetzt werden kann, trägt diesem Umstand vor allem aufgrund ihrer zukunftsorientierten Auslegung Rechnung (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Man zielt dabei aber weniger auf die gezielte Suche nach neuen Technologien ab, sondern vielmehr auf die Erfassung und Verarbeitung von Trends zu konsistenten Szenarien, die „plausible Annahmen über zukünftige Entwicklungen“ von Technologien liefern können (SCHNEIDER, 2002, S. 153). Die Methode von BRANDENBURG erlaubt durch die Integration eines Zukunfts- und Informationsmodells eine ausgesprochen gute Beschaffung und Verarbeitung von Informationen über zukünftige Chancen und Potentiale. Jedoch liegt der Fokus dabei nicht konkret auf technologiespezifischen Informationen für eine nachfolgende Technologiebewertung (vgl. Kapitel 2.5.3.2). Insgesamt besteht also dringender Handlungsbedarf hinsichtlich einer verstärkten Integration von Elementen der Technologiefrüherkennung (vgl. Kapitel 2.5.1) in zeitgemäße Bewertungskonzepte. In Bezug auf die Bewertungsqualität sind deutliche Unterschiede im MethodenPortfolio zu erkennen. Als positiv ist zu erwähnen, dass – abgesehen von den Methoden der Trendextrapolation und des Brainstormings – sämtliche Methoden sowohl quantitative als auch qualitative Analyseelemente beinhalten. Diese werden vom Großteil der Methoden jedoch in vereinfachte Bewertungsmodelle integriert, um somit eine scheinbare Vergleichbarkeit zwischen den bewertungsrelevanten Größen zu schaffen und den Bewertungsvorgang deutlich zu vereinfachen. Dadurch geht ein wesentliches Maß an Bewertungsqualität verloren (KRÖLL, 2007, S. 51–52; LUDWIG, 1995, S. 31–32). Lediglich die Szenario-Analyse sowie die Ansätze nach BRANDENBURG und KRÖLL (vgl. Kapitel 2.5.2.7, 2.5.3.2 & 2.5.3.4) verfügen über sehr ausgefeilte Analyseschritte, die eine systematische und wesensgerechte Verarbeitung der Bewertungsinformationen gewährleisten. Zu beachten ist dabei allerdings, dass die Szenario-Analyse für die endgültige Bewertung keinen spezifischen Bewertungsansatz vorgibt, sondern eher Möglichkeiten liefert, den Bewertungsprozess durch den Einsatz unterschiedlicher Methoden und Hilfsmittel situationsspezifisch anzupassen. Ferner liegt bei BRANDENBURG der Fokus, wie bereits erwähnt, nicht konkret auf der Bewertung von Technologien, weshalb diesem Ansatz trotz seines hohen Potentials nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Neben Methoden wie der Nutzwert- 92 3 Ableitung des Handlungsbedarfs Analyse (vgl. Kapitel 2.5.2.2) und bedingt auch der Relevanzbaumanalyse (vgl. Kapitel 2.5.2.3) sowie Portfolio-Analyse (vgl. Kapitel 2.5.2.4) schenken besonders die integrativen Methoden zur Technologiebewertung dem Leitgedanken einer multikriteriellen Bewertung Beachtung. Dieser Umstand verdeutlicht, dass eine multikriterielle Bewertung gerade aufgrund der Vielzahl von aktuell zu berücksichtigenden Kriterien aus dem Unternehmensumfeld sowie dem Unternehmen selbst immer mehr an Bedeutung gewinnt und in zeitgemäßen Bewertungsmethoden zwingend eingebunden werden muss (vgl. Kapitel 2.4.2). Gerade vor dem Hintergrund, dass die Technologiebewertung im Rahmen der strategischen Produktplanung als Vorbereitung für eine zukunftsorientierte Produktentwicklung immer mehr an Bedeutung gewinnt, wird deutlich, dass die Ausrichtung der Methoden an konkreten Objekten bzw. Produkten nur unzureichend ausgeprägt ist. Lediglich die Szenario-Analyse und der Ansatz nach KRÖLL ermöglichen eine Berücksichtigung der funktionalen Verknüpfung von Technologien mit dem umgebenden System bzw. Produkt und umgehen somit eine isolierte Betrachtung von Technologien. Bei der Szenario-Analyse lassen sich solche Wirkungsbeziehungen bspw. anhand der Einflussanalyse untersuchen und darstellen (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Noch präziser geht dagegen KRÖLL vor, der die Vernetzung sämtlicher Technologien eines Produkts über ein Funktionsmodell abbildet (vgl. Kapitel 2.5.3.4). Den übrigen Methoden mangelt es aber an einer solch produktbezogenen Betrachtung, die gerade für eine Bewertungsmethode zur Unterstützung von Technologieentscheidungen in der strategischen Produktplanung eine wichtige Voraussetzung darstellt. Die vorgestellten Methoden sind allesamt durch eine strukturierte Vorgehensweise gekennzeichnet. Dennoch kann eine angemessene tool- bzw. rechnergestützten Ausgestaltung der Methoden nur bedingt als erfüllt betrachtet werden. Insbesondere die Methode des Brainstormings, die qualitativ ausgerichtet ist und sich hauptsächlich auf eine interaktive Vorgehensweise stützt, wird diesem Kriterium nicht gerecht (vgl. Kapitel 2.5.2.5). Die übrigen Methoden, die auch quantitative Analyseelemente beinhalten, sind in ihrer Anwendung dagegen leichter durch diverse, rechnergestützte Tools zu untermauern und entsprechend der heutzutage stark technisierten und standardisierten Arbeitsabläufe in Unternehmen zu systematisieren. Bis auf die Szenario-Analyse gibt allerdings kaum eine Methode ausreichend Hinweise auf eine phasenspezifische Unterstützung oder Modifizierbarkeit durch weitere Methoden bzw. Hilfsmittel. Dementsprechend flexibel erweist sich die Szenario-Analyse in ihrer Anwendbarkeit gegenüber den anderen Methoden, gerade was den Detailgrad oder den Zweck des Untersuchungsvorhabens betrifft (ZERNIAL, 2007, S. 111). Letzten Endes existiert aber auch hier sichtlicher Handlungsbedarf, wie einzelne Methoden 3 Ableitung des Handlungsbedarfs 93 etwa durch den Einsatz weiterer Methoden, Hilfsmittel oder Software-Tools unterstützt bzw. modifiziert werden können. 3.3 Konkreter Handlungsbedarf Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nicht die „ideale“ Methode zur Technologiebewertung existiert. Vielmehr ist unter diesen Umständen eine Kombination von unterschiedlichen Bewertungsansätzen gemäß ihrer Stärken und Zweckmäßigkeiten zu empfehlen, um letztendlich technologische Entwicklungen systematisch erschließen sowie bewerten zu können und damit eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu schaffen (SCHNEIDER, 2002, S. 166–167). Vor diesem Hintergrund ergeben sich für die anschließende Erarbeitung der Methode zur Technologiebewertung für eine zukunftsorientierte Produktentwicklung folgende, signifikante Anforderungen: Erarbeitung eines strukturierten, toolgestützten Vorgehensmodells für eine einfache praktische Umsetzung in Unternehmen durch Verknüpfung eigens entwickelter Analyseelemente mit geeigneten Analyseelementen aus dem vorgestellten Methoden-Portfolio (vgl. Kapitel 2.5.2 & 2.5.3); Integration von Elementen der Technologiefrüherkennung (vgl. Kapitel 2.5.1) in das methodische Konzept zur Gewährleistung einer umfassenden Beschaffung und Verarbeitung von Informationen über zukunftsrelevante technologische Entwicklungen; Produktspezifische Auslegung der Methode für eine zielgerichtete Analyse und Bewertung von Technologien unter Berücksichtigung ihrer funktionalen Wechselwirkungen im betrachteten Produkt; Systematische und multikriterielle Bewertung der Technologiealternativen über quantitative sowie qualitative Analyseelemente zur Sicherstellung aussagekräftiger Bewertungsergebnisse. 94 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung Die Erarbeitung der Bewertungsmethode in diesem Kapitel orientiert sich strikt an den hergeleiteten Anforderungen aus Kapitel 3.3, so dass den eingangs der Arbeit geschilderten Problembereichen im Rahmen einer methodisch gestützten Technologiebewertung (vgl. Kapitel 1.2) Rechnung getragen sowie die übergeordnete Zielsetzung (vgl. Kapitel 1.3) erreicht werden kann. Die Bewertungsmethode ist auf einen Einsatz in der strategischen Produktplanung ausgelegt und ermöglicht somit eine frühzeitige, technologiebezogene Anpassung bzw. Weiterentwicklung eines bestehenden Produkts im Hinblick auf eine zukunftsorientierte Produktentwicklung. Mit ihrer Anwendung sollen systematisch Technologieentscheidungen unterstützt werden, die auf den Einsatz zukunftssicherer Technologien aus einem spezifischen Suchfeld in künftigen Produktlösungen abzielen. Die gewonnenen, technologischen Erkenntnisse liefern dem Unternehmen dabei wichtige Indizien für mögliche Varianten- bzw. Änderungskonstruktionen oder sogar Neukonstruktionen (vgl. Kapitel 2.3.1). Das Konzept der Bewertungsmethode stützt sich in der Folge auf drei wesentliche Leitmotive: Systemische Exploration zur Erforschung der Produkthistorie als Ausgangspunkt für die Ableitung von Systemtrends sowie die darauf aufbauende Erstellung suchfeldspezifischer Szenarien zur Erfassung technologiespezifischer Signale; Bestimmung von potentiellen Technologieoptionen unter Berücksichtigung der technologiespezifischen Signale; Multikriterielle Bewertung der Technologieoptionen hinsichtlich Technologiepotential, Zukunftspotential sowie deren Realisierbarkeit durch das Unternehmen. Um diesen Leitmotiven gleichzukommen, beinhaltet die Bewertungsmethode ausgewählte Elemente einer methodisch gestützten Technologiefrüherkennung (vgl. Kapitel 2.5.1) sowie einzelne Bausteine der vorgestellten Methoden zur Technologiebewertung (vgl. Kapitel 2.5.2 & 2.5.3), die der kritischen Beurteilung aus Kapitel 3.1 & 3.2 standhalten. Diese werden zusammen mit eigens entwickelten Analyseelementen zu einem systematischen, methodischen Grundkonzept verknüpft, das im Fol- 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 95 genden mit seinen wesentlichen Analyseelementen vorgestellt und schematisch in den Ablauf der strategischen Produktplanung integriert wird. Anschließend erfolgen eine detaillierte Schilderung von Aufbau, Inhalt und Vorgehen in den einzelnen Phasen und Ablaufschritten der Methode sowie die Vorstellung des Software-Tools zur phasenspezifischen Unterstützung. 4.1 Grundkonzept der Bewertungsmethode Das Grundkonzept der Bewertungsmethode orientiert sich an den eben erwähnten Leitmotiven, die schließlich mit eigenen Methodenbausteinen sowie passenden Analyseelementen bewährter Methoden zur Technologiefrüherkennung und -bewertung zu einem durchgängigen, methodischen Grundkonzept auszugestalten sind. Die aufeinander aufbauenden Leitmotive werden mit samt ihrer methodischen Ausgestaltung nachfolgend erläutert. Leitmotiv I - Systemische Exploration Das Leitmotiv der systemischen Exploration dient dazu, den Systemcharakter des betrachteten Produkts herauszuarbeiten und die Grundvoraussetzung zu schaffen, um potentielle Technologieoptionen in einem festgelegten, produktspezifischen Suchfeld unter Berücksichtigung ihrer funktionalen Wechselwirkungen zu den übrigen Komponenten des Produkts zielgerichtet identifizieren und nachfolgend bewerten zu können. In einem Trendmodell ist dafür zunächst eine Analyse der historischen Entwicklung der Systemkomponenten – bestehend aus dem Suchfeld, den übrigen Komponenten eines Produkts sowie technischen Systemen, mit denen das Produkt in Kontakt steht – vorzunehmen, um darauf aufbauend Entwicklungstrends im Produkt und dessen Umfeld (Systemtrends) identifizieren zu können. Aufbauend auf das Trendmodell werden in der Folge schlüssige Entwicklungsszenarien für das Suchfeld erarbeitet. Dadurch soll ein nachvollziehbarer und möglichst konsistenter Zukunftsraum beschrieben werden, der Aufschluss über signifikante Evolutionslinien bzw. neue technologische Trends im Suchfeld gibt und eine plausible Basis für die Einstufung des Zukunftspotentials von Technologieoptionen schafft. Methodisch unterstützt wird dieses Leitmotiv insbesondere durch ausgewählte, modifizierte Bestandteile der TRIZ-Methodik und der Szenario-Analyse, die ähnlich der Vorgehensweise einer Directed Evolution™ miteinander verknüpft werden (vgl. Kapitel 2.5.1.4). Aufbauend auf eine retrospektive Systemanalyse sowie wissenschaftlich nachgewiesene Entwicklungstrends eines technischen Systems lassen sich dadurch potentielle Entwicklungsrichtungen von Produkt und Suchfeld in der Zukunft aufzei- 96 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung gen. Besonders TRIZ-Werkzeuge eignen sich aufgrund ihrer Orientierung an den Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten der technischen Evolution sowie der systemischen Betrachtungsweise sehr gut dazu, Trends in einem technischen System aufzuzeigen und neue technologische Erkenntnisse unter Berücksichtigung der funktionalen Zusammenhänge im Produkt zu sammeln (vgl. Kapitel 2.5.1.4). Anhand einer systematischen und konsistenten Verarbeitung von qualitativen sowie quantitativen Daten zu plausiblen Zukunftsbildern können mit der Szenario-Analyse anschließend Wege aufgezeigt werden, wie sich das betrachtete Suchfeld unter dem Einfluss der verschiedenen Systemtrends künftig gestalten könnte (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Neben der Forderung nach einer Einbindung von Elementen der Technologiefrüherkennung kann somit auch einer produktspezifischen Auslegung der Methode sowie einer systematischen und wesensgerechten Aufbereitung von Daten und Informationen als Fundament für eine aussagekräftige Technologiebewertung Rechnung getragen werden. Als notwendige Vorbereitungsmaßnahme der systemischen Exploration ist allerdings erst eine systemtechnische Strukturierung des betrachteten Produkts notwendig, bei der das Suchfeld als Systemkomponente festgelegt und die übrigen Systemkomponenten im Produkt sowie dessen Umfeld bestimmt werden. Dabei wird sich am klassischen TESE-Gesetz zur Vollständigkeit der Systemkomponenten (vgl. Kapitel 2.5.1.4) orientiert, das jedem technischen System vier grundlegende Komponententypen (Ausführungsteil, Übertragungsteil, Energiequelle, Kontrollteil) zuschreibt, die sowohl Bestandteil des Systems selbst als auch Teil dessen Umfeld sein können und das funktionale Fundament für die Lebensfähigkeit des Systems schaffen. Wird im Übertragungsteil ferner noch zwischen Energie-, Stoff- und Informationsfluss differenziert, so erhält man eine zusätzliche Möglichkeit zur Spezifizierung der Systemkomponenten (GRAWATSCH, 2005, S. 68–69). Mit dem Grundgerüst des System Operators lässt sich in der Folge ein produktspezifisches Trendmodell gestalten, das auf systematische Weise eine übersichtliche Analyse der historischen Entwicklung der identifizierten Systemkomponenten mit Folgerung auf Trends (Systemtrends) bzw. künftige Weiterentwicklungen zulässt (vgl. Kapitel 2.5.1.4). Unterstützt wird die Ermittlung der Systemtrends und potentiellen Weiterentwicklungen durch eine produktspezifische Analyse bzw. Projektion der erweiterten TESE (vgl. Anhang A). Die Erstellung der suchfeldspezifischen Szenarien auf Basis des Trendmodells orientiert sich in der Folge an den wesentlichen Ablaufschritten der Szenario-Analyse nach GAUSEMEIER ET AL. (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Das Trendmodell fungiert dabei als Datengrundlage für das Szenariofeld, in dem die aufbereiteten Systemtrends zu po- 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 97 tentiellen Einflussgrößen (Deskriptoren) für die Weiterentwicklung des Produkts überführt werden. Auch externe Trends mit potentiellem Einfluss auf das Produkt (Markt, Politik, Gesellschaft, Umwelt) sind dabei zu berücksichtigen und über einschlägige Trendliteratur zu erfassen. Aus diesem Pool an Deskriptoren werden markante Schlüsseldeskriptoren identifiziert, die die künftige Entwicklung des Suchfelds am stärksten beeinflussen, und zu möglichen Zukunftsprojektionen fortgeschrieben. Abschließend werden konsistente Zukunftsprojektionen gebündelt und zu plausiblen Szenarien verarbeitet. Zur Gewährleistung einer fundierten Datenbasis für die weiteren Untersuchungen sind die Szenarien präzise, nachvollziehbar und vollständig zu beschreiben. Besonderer Fokus liegt dabei auf den Forderungen, die die einzelnen Szenarien an die Technologieentwicklung im Suchfeld stellen. Diese liefern wichtige Signale über signifikante Evolutionslinien bzw. technologische Trends als Vorbereitung auf die nachfolgende Suche nach Technologieoptionen. Leitmotiv II – Bestimmung von Technologieoptionen Die Basis des zweiten Leitmotivs zur Bestimmung von Technologieoptionen bildet die Technologieentwicklung im Suchfeld, die anhand der retrospektiven Systemanalyse im Trendmodell bereits erfasst und über die erweiterten TESE sowie die Erstellung der suchfeldspezifischen Szenarien in die Zukunft fortgeschrieben wurde. Angelehnt an den typischen Zweck und Ablauf der Technologiefrüherkennung (vgl. Kapitel 2.2.2.1) sind hier die erfassten Signale über technologische Trends bzw. signifikante Evolutionslinien entsprechend zu verdichten, so dass gezielt auf neue technologische Potentiale geschlossen werden kann. Neben neu identifizierten Technologieoptionen im Suchfeld sind in der Folge auch die gegenwärtig eingesetzten Technologieoptionen zu berücksichtigen und datentechnisch zu beschreiben. So kann bei der nachfolgenden Bewertung beurteilt werden, ob sich ein radikaler Sprung von bewährten auf neue Technologien für das Unternehmen überhaupt lohnen würde. Die nach diesem Leitmotiv geforderte Verdichtung der technologiespezifischen Signale im Suchfeld und die gezielte Suche nach neuen Technologieoptionen stützen sich methodisch auf zwei aufeinander aufbauende Lösungswege. Der kreative Weg kommt bereits bei der Erstellung der suchfeldspezifischen Szenarien zum Tragen, in denen die signifikanten Evolutionslinien bzw. technologischen Trends wichtige Hinweise für die Suche nach neuen Technologieoptionen liefern. Der in diesem Leitmotiv manifestierte, analytische Weg impliziert darauf aufbauend die Verwendung von klassischen Methoden zur Technologiefrüherkennung wie Patentanalysen (vgl. Kapitel 2.5.1.2), Expertengespräche (vgl. Kapitel 2.5.1.1) oder die Analyse forschungsspezifischer Literatur. Auf diese Weise können die technologiespezifischen Signale durch die Sammlung „greifbarer“ Informationen über neue Technologien verdichtet 98 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung und einer Bewertung zugänglich gemacht werden. Um ferner auch eine gewisse Ordnung und Vergleichbarkeit zwischen den identifizierten Technologieoptionen herzustellen, das Technologieverständnis zu fördern und eine ausreichende Informationsgrundlage zu schaffen, ist abschließend eine umfassende Beschreibung der Technologien hinsichtlich Funktionsweise sowie inhaltlichen, qualitativen, zeitlichen, ökonomischen und personellen Merkmalen zu tätigen (vgl. Kapitel 2.1.2). Leitmotiv III – Multikriterielle Technologiebewertung Nach dem dritten Leitmotiv ist abschließend eine multikriterielle Bewertung durchzuführen, die eine kombinierte Potentialbestimmung für die im Suchfeld bestimmten Technologieoptionen hinsichtlich der Dimensionen Technologiepotential, Zukunftspotential und Unternehmenspotential erlaubt. Die Beurteilung des Technologiepotentials ermöglicht dabei eine Aussage, inwieweit die einzelnen Technologieoptionen die grundlegenden Anforderungen an das Suchfeld erfüllen können, die sich wiederum aus funktionalen Anforderungen des Produkts, kunden- sowie unternehmensspezifischen Anforderungen zusammensetzen. Demgegenüber beschreibt die Dimension des Unternehmenspotentials, inwieweit das Unternehmen über das Potential verfügt, die entsprechenden Technologieoptionen tatsächlich auch umsetzen zu können. Das Zukunftspotential wird letzten Endes an ausgewählten Zukunftskriterien sowie dem Erfüllungspotential hinsichtlich der erarbeiteten Szenarien gemessen. Die Bewertung der relevanten Technologieoptionen stützt sich methodisch auf den Kernaspekt einer multikriteriellen Bewertung, so dass entsprechend der Anforderungen an eine zeitgemäße Technologiebewertung mehrere Alternativen unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Kriterien möglichst objektiv beurteilt werden können (vgl. Kapitel 2.4.2). Dafür ist es wichtig, dass das Grundgerüst der produkt-, kundensowie unternehmensspezifischen Bewertungskriterien zur Bestimmung des Technologiepotentials in enger Absprache mit Interessensgruppen des Unternehmens (Entwicklung, Fertigung etc.) festgelegt wird. Die Kriterien zur Bestimmung von Unternehmens- und Zukunftspotential werden dagegen fest vorgegeben. Das Bewertungsmodell selbst besteht in der Folge aus Bewertungsmatrizen, in denen die jeweiligen Teilpotentiale der einzelnen Technologieoptionen hinsichtlich der gewichteten Bewertungskriterien bestimmt werden. Hierbei wird sich am Prinzip der NutzwertAnalyse orientiert, so dass sich Technologie-, Zukunfts- und Unternehmenspotential der jeweiligen Technologieoptionen letztendlich über eine Aggregation der entsprechenden Teilpotentiale ermitteln lassen (vgl. Kapitel 2.5.2.2). Die relative Gewichtung der Kriterien wird über einen paarweisen Vergleich ermittelt (vgl. Kapitel 2.4.2) und orientiert sich an den vermittelten Wertvorstellungen bzw. Präferenzen der Interessensgruppen. Anhand der aggregierten Potentiale lassen sich die einzelnen Techno- 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 99 logieoptionen zusammenfassend in einer modifizierten, dreidimensionalen PortfolioMatrix darstellen, um eine entsprechende Ableitung von konkreten Handlungsempfehlungen vornehmen und gezielt auf Technologieentscheidungen vorbereiten zu können. Vor dem Hintergrund, dass sich die wesentlichen Eckpfeiler der Bewertungsmethode auf Elemente der TRIZ-Methodik, Szenario-Analyse sowie multikriteriellen Bewertung stützen, wird die Methode als TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung betitelt. Deren prozessuales Ablaufschema, das die vorgestellten und methodisch ausgestalteten Leitmotive miteinander verknüpft, wird in Bild 4.1 veranschaulicht und umfasst vier Phasen mit spezifischen Ablaufschritten. Für eine praktikable und reproduzierbare Anwendung der Bewertungsmethode wird mit der Software Microsoft Office Excel außerdem ein strukturiertes und nachvollziehbares Tool erstellt, das den Anwender bei der Ausführung der Methode phasenspezifisch unterstützt. Vorbereitungsphase Untersuchungsrahmen Systemtechnische Strukturierung Systemische Exploration Gestaltung des Trendmodells Erstellung des Szenariofelds Einflussanalyse Erstellung von Zukunftsprojektionen Szenariobildung Bestimmung von Technologieoptionen Technologieidentifikation Beschreibung der Technologieoptionen Multikriterielle Technologiebewertung Aufbereitung der Bewertungskriterien Multikriterielle Bewertung Ableitung von Handlungsempfehlungen Bild 4.1: Prozessuales Ablaufschema der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung 100 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung Die erste Phase bildet die Vorbereitungsphase, in der zunächst der Untersuchungsrahmen festgelegt wird. Dabei wird die Problemstellung geklärt, die Zielsetzung abgeleitet sowie das zu untersuchende Produkt und Suchfeld festgelegt. Abschließend erfolgt die systemtechnische Strukturierung des Produkts für eine funktionale Einordnung des Suchfelds als Systemkomponente sowie zur Bestimmung der übrigen Systemkomponenten gestützt durch das klassische TESE-Gesetz zur Vollständigkeit der Systemkomponenten. Die zweite Phase umfasst die systemische Exploration. Aufbauend auf das Prinzip des System Operators erfolgt hier die Gestaltung eines Trendmodells über eine systematische, retrospektive Analyse der historischen Evolution der Systemkomponenten mit Schlussfolgerung auf signifikante Systemtrends. Begünstigt wird die Identifikation der Systemtrends durch eine produktspezifische Analyse bzw. Projektion der erweiterten TESE. Angelehnt an die Szenario-Analyse wird nachfolgend das Szenariofeld erstellt. Dafür werden die Systemtrends in produktspezifische Deskriptoren überführt und um externe Deskriptoren aus den Bereichen Markt, Politik, Gesellschaft sowie Umwelt mit potentiellem Einfluss auf die Weiterentwicklung des Produkts ergänzt. Es folgt eine Einflussanalyse zur Identifikation der markanten Schlüsseldeskriptoren, die Erstellung von Zukunftsprojektionen sowie deren Bündelung zu konsistenten, suchfeldspezifischen Szenarien. Die dritte Phase dient der Bestimmung der zu bewertenden Technologieoptionen im Suchfeld. Neben den bereits eingesetzten Technologieoptionen sind dabei gezielt auch neue technologische Lösungen zu identifizieren, die den technologiespezifischen Signalen aus der systemischen Exploration folgen. Methodisch zu unterstützen ist die Suche nach neuen Technologieoptionen durch kreative Anreize aus den erarbeiten Szenarien sowie durch klassische Recherche- bzw. Früherkennungsinstrumente wie Patentanalyse, Expertengespräche oder forschungsspezifische Literatur. Abschließend sind die für die weitere Untersuchung relevanten Technologieoptionen im Hinblick auf die nachfolgende Bewertung datentechnisch zu beschreiben. Die finale Phase bildet die multikriterielle Bewertung der identifizierten Technologieoptionen zur Bestimmung von Technologie-, Zukunfts- und Unternehmenspotential. Eine systematische Aufbereitung des Grundgerüsts an Bewertungskriterien zur vollständigen Festlegung sowie anschließenden Gewichtung erweist sich an dieser Stelle als unabdingbar. Schlussendlich runden die Durchführung der multikriteriellen Bewertung sowie die Ableitung der Handlungsempfehlungen auf Basis der gewonnenen Bewertungsergebnisse das methodische Konzept ab. 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 101 Um den Anwendungsbereich der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung klar abzustecken, ist die Methode abschließend in den Ablauf der strategischen Produktplanung einzuordnen (vgl. Kapitel 2.3.1). Wie in Bild 4.2 dargestellt, ist der Ausgangspunkt einer Anwendung in der Phase zur Aufstellung der Suchstrategien zu finden. Hier wird auf Basis einer umfassenden Analyse der aktuellen Situation auf dem Markt, im Unternehmensumfeld und im Unternehmen selbst ein konkreter Handlungsbedarf aufgedeckt, der auf eine frühzeitige, technologiebezogene Anpassung bzw. Weiterentwicklung eines bestehenden Produkts zur Eroberung zukünftiger Märkte abzielt. Die zukunftsorientierte Auslegung der Methode ermöglicht in der Folge neben der Analyse von technologischen Entwicklungen im Suchfeld auch die Berücksichtigung von potentiellen Entwicklungsrichtungen der übrigen Komponenten des Produkts. Zusätzlich zur Identifikation und Bewertung von bestehenden sowie neuen technologischen Lösungen innerhalb eines spezifischen Suchfelds kann durch die Erarbeitung der suchfeldspezifischen Szenarien unter dem Einfluss der wesentlichen Systemtrends im Produkt also auch zu völlig neuen Produktlösungen angeregt werden, die als wesentliche Grundlagen für mögliche Varianten- bzw. Änderungskonstruktionen oder gar Neukonstruktionen dienen. Die Anwendung der Methode kann demnach als paralleler bzw. stellvertretender Schritt zum Finden und Auswählen von Produktideen betrachtet werden. Markt, Umfeld, Unternehmen 1 – Analyse der Situation Output Situationsanalyse 2 – Aufstellen von Suchstrategien Suchfeldvorschlag Handlungsbedarf TRIZ-basierte Szenario-Bewertung Produktideen 4 – Auswahl von Produktideen Technologieentscheidung ausgewählte Produktideen 5 – Definieren von Produkten Input Produktplanung 3 – Finden von Produktideen Produktvorschläge 6 – Umsetzungsplanung Umsetzungsplan Entwicklungsauftrag 7 – Klären und Präzisieren der Aufgabe Anforderungsliste Entwickeln & Konstruieren Bild 4.2: Integration der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung in die strategische Produktplanung 102 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung Die der Methodenanwendung nachgelagerte Technologieentscheidung mündet somit direkt in die Phase zur Definition von Produkten, in der auf Basis der gewonnenen, technologischen Erkenntnisse modifizierte oder gar neue Produktvorschläge erarbeitet werden können. Spätestens hier sind verstärkt auch andere Unternehmensabteilungen wie die F&E, das Marketing, der Vertrieb und speziell die Konstruktion einzubinden, damit möglichst neutrale und auch realisierbare Produktvorschläge entstehen können (PAHL ET AL., 2007, S. 119). In der nachfolgenden Phase der Umsetzungsplanung muss letztendlich ein dynamischer Plan erstellt werden, in dem man kurz-, mittel- bis langfristige Entwicklungsziele und notwendige Maßnahmen für die Umsetzung der erfolgversprechenden Produktvorschläge festlegt (PAHL ET AL., 2007, S. 120). Hierbei ist insbesondere die Planung und Umsetzung eines erfolgreichen Technologietransfers zu nennen, der die Überführung der benötigten technologischen Lösungen aus externen oder internen Forschungseinrichtungen in die operativen Bereiche sicherstellt (ZAHN, 1995, S. 24). 4.2 Phasen der Bewertungsmethode „Das Erfassen und Sammeln von Daten bzw. Impulsen von außen, also aus dem Markt und dem sonstigen Umfeld, als auch aus dem Unternehmen selbst ist die wesentliche Voraussetzung für eine zielgerichtete Produktplanung“ und somit auch der Auslöser für eine zukunftsorientierte Produktentwicklung (PAHL ET AL., 2007, S. 105). Die Erfassung solcher Daten und Impulse im Rahmen einer umfassenden Situationsanalyse von Markt, Umfeld und Unternehmen zu Beginn der strategischen Produktplanung eröffnet dem Unternehmen strategische Lücken und Suchräume hinsichtlich neuer Märkte, Produktideen und vor allem dem Einsatz neuer Technologien in bestehenden Produkten (vgl. Bild 4.2). Ein wesentliches Ziel ist hier die Identifikation von Erfolgspotentialen der Zukunft sowie die Herleitung entsprechender Handlungsempfehlungen als Vorbereitung für Technologieentscheidungen (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 43). Dabei gilt es, „aus der Menge aller Technologien nach der Festlegung eines Suchraums die als möglicherweise relevant erkannten Technologien mit geeigneten Hilfsmitteln […] zu analysieren“ (PAHL ET AL., 2007, S. 112). Dies ist letztendlich der entscheidende Anstoßpunkt zur Anwendung der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung, die exakt dieses Ziel verfolgt und deren vier wesentliche Phasen hinsichtlich Aufbau, Inhalt und der konkreten Ablaufschritte nachfolgend im Detail vorgestellt werden. 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 103 4.2.1 Phase 1 – Vorbereitungsphase Zu Beginn der Methode steht die Vorbereitungsphase. Der konkrete Handlungsbedarf zur Identifikation und Bewertung von zukunftsweisenden Technologieoptionen innerhalb eines produktspezifischen Suchfelds ist als Output der Phase zum Aufstellen der Suchstrategien (vgl. Bild 4.2) zunächst in einen festen Untersuchungsrahmen zu fassen. Im Anschluss erfolgt die systemtechnische Strukturierung, bei der das betrachtete Produkt in seine wesentlichen Systemkomponenten zerlegt und das Suchfeld als solche eingeordnet wird. Hauptzweck der Vorbereitungsphase ist also die zweckmäßige Auffächerung eines Forschungsvorhabens als Vorbereitung für die nachfolgenden Untersuchungen. Wie bei klassischen Analysemethoden sind dabei insbesondere Themenbereich und Untersuchungsgegenstand festzulegen und entsprechend zu konkretisieren (KOSOW & GAßNER, 2008, S. 20). Untersuchungsrahmen Der Untersuchungsrahmen dient dazu, die konkrete Richtung für die weiteren Untersuchungen im Rahmen der vorgestellten Methode vorzugeben. Für dessen Festlegung sind vor diesem Hintergrund folgende Fragen zu klären: Wie lautet die genaue Problemstellung? Wie lautet das genaue Untersuchungsziel? Welches Produkt wird untersucht? Wie lautet das Suchfeld innerhalb des Produkts? Die exakte Vorgehensweise zur Festlegung des Untersuchungsrahmens, bei der die vorgestellten Fragen der Reihe nach geklärt werden, wird in Bild 4.3 veranschaulicht. Der aus der Situationsanalyse abgeleitete Handlungsbedarf beruht dabei auf einer konkreten Problemstellung, die die Anwendung der Methode in die Wege leitet. Diese Problemstellung ist in der Folge präzise zu beschreiben, da daraus bereits erste Erkenntnisse hinsichtlich wichtiger Kriterien für die abschließende Technologiebewertung gezogen werden können. Analog ist auch das konkrete Untersuchungsziel festzulegen. Da sich der Wirkungskreis der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung auf die frühzeitige, technologiebezogene Anpassung bzw. Weiterentwicklung eines bestehenden Produkts in einem spezifischen Suchfeld konzentriert, sind besagtes Produkt und Suchfeld explizit zu benennen (vgl. Kapitel 1.3). Unter Suchfeld wird hier ein vorab festgelegter Suchraum verstanden, der eine Komponente des betrachteten Produkts repräsentiert und für den im Rahmen der weiteren Untersuchung neben bestehenden auch neue technologische Lösungen identifiziert und bewertet werden sollen. Letztendlich dient der Untersuchungsrahmen also der Sammlung der konkreten Rahmendaten und fördert – gerade im Hinblick auf eine 104 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung rechnergestützte Anwendung – auch die Nachvollziehbarkeit bei möglichen Durchsichten bzw. Anpassungen durch Dritte. Handlungsbedarf Untersuchungsrahmen Beschreibung der Problemstellung Bestimmung des Untersuchungsziels Festlegung des Produkts Festlegung des Suchfelds Produkt, Suchfeld Bild 4.3: Vorgehensweise zur Festlegung des Untersuchungsrahmens Systemtechnische Strukturierung Die systemtechnische Strukturierung dient der funktionalen Aufschlüsselung des Produkts in seine wesentlichen Systemkomponenten sowie der Einordnung des festgelegten Suchfelds als solche. Der Hintergedanke dabei ist die Vermittlung einer systemischen Betrachtungsweise der zugrundeliegenden Problemstellung. Diese „bietet die Möglichkeit, Probleme im komplexen, interdisziplinären Umfeld zu systematisieren und so den Lösungsweg gravierend zu vereinfachen“ (GRAWATSCH, 2005, S. 65). Auch der Forderung nach einer produktspezifischen Auslegung der Methode für eine zielgerichtete Analyse und Bewertung von Technologien unter Berücksichtigung ihrer funktionalen Wechselwirkungen im betrachteten Produkt kann dadurch Rechnung getragen werden (vgl. Kapitel 3.3). Die TRIZ-Methodik nutzt bspw. eine systemische Betrachtungsweise zur Analyse komplexer Sachverhalte, die gezielt bei der Entwicklung technischer Systeme unterstützen soll (vgl. Kapitel 2.5.1.4). ALTSCHULLER hat diesen Systemgedanken gefestigt und nennt den Mensch als Ur-Beispiel für ein komplexes System, bestehend aus vielen einzelnen Zellen (ALTSCHULLER, 1996, S. 31). Ein technisches System beschreibt vor diesem Hintergrund also eine dynamische Einheit, die durch charakteristische Eigenschaften und ein bestimmtes Verhalten geprägt ist. Es setzt sich aus verschie- 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 105 denen, voneinander abhängigen Komponenten zusammen, deren Zusammenwirken das Systemverhalten bestimmt und einen speziellen Zweck verfolgt (GRAWATSCH, 2005, S. 66). Nach dem klassischen TRIZ-Verständnis wird dieser Zweck als Hauptfunktion eines technischen Systems betrachtet, die sich jeweils aus einem Prädikat (z.B. reinigt) sowie einer Zielkomponente (z.B. Geschirr) zusammensetzt. Die Hauptfunktion „ist nur dann gültig, wenn sie einen Parameter der Zielkomponente verändert oder aufrecht erhält“ (ADUNKA, 2014, S. 58). Für eine präzise Bestimmung der vollständigen Systemstruktur sind darüber hinaus auch die übrigen Systemkomponenten mit ihren jeweiligen Funktionen zu bestimmen, deren Interaktion die Dynamik des technischen Systems bestimmt (GRAWATSCH, 2005, S. 66). Solche Systemkomponenten sind dabei entweder relevante Komponenten aus dem Systeminneren (Subsystemebene), die den Aufbau des technischen Systems bestimmen, oder relevante Komponenten aus dem Systemumfeld (Supersystemebene), mit denen das technische System in Kontakt steht (z.B. die Zielkomponente). Wie Bild 4.4 zeigt, bezeichnet die TRIZ-Lehre die relevanten Komponenten aus dem Systeminneren als Komponenten des technischen Systems, die relevanten Komponenten aus dem Systemumfeld als Komponenten des Supersystems (ADUNKA, 2014, S. 65; ALTSCHULLER, 1996, S. 31–32). Komponenten des Supersystems (Supersystemebene) Bild 4.4: System Komponenten des technischen Systems (Subsystemebene) Systemkomponenten in Anlehnung an ADUNKA, 2014, S. 63; GRAWATSCH, 2005, S. 66 Die vorgestellte Sichtweise lässt sich letztendlich auch auf das untersuchte Produkt übertragen, das sich über verschiedene Systemkomponenten auf Sub- sowie Supersystemebene definiert, die wiederum maßgeblich das Verhalten (Ausführung der 106 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung Produktfunktion) sowie die künftige Weiterentwicklung des Produkts bestimmen. Die Funktionen dieser Komponenten werden als Teilfunktionen bezeichnet und dienen der Erfüllung der übergeordneten Hauptfunktion (Produktfunktion). In diesem Fall ist eine abstrakte Beschreibung einer Teilfunktion zur Bestimmung einer Systemkomponente wesentlich sinnvoller als komponentenorientierte Beschreibungen über Prädikat und Zielkomponente bzw. nützliche und schädliche Funktionen, wie sie bei der Funktions- bzw. Objektmodellierung im Rahmen der TRIZ-Methodik verwendet werden (GRAWATSCH, 2005, S. 67–68). Diese Ansätze sind weniger präzise und teilweise irreführend, „da verschiedenste Objekte gemischt werden und nicht zwischen den Systemebenen unterschieden wird“ (GRAWATSCH, 2005, S. 68). Mit einer abstrakten und losgelösten Formulierung einer Teilfunktion gemäß ihrer elementaren Aufgabe ohne Einbindung anderer Komponenten kann dagegen „das Blickfeld in Richtung alternativer Lösungen“ erweitert sowie eine gedanklich strukturierte Realisierung der Hauptfunktion gewährleistet werden (GRAWATSCH, 2005, S. 68). Damit bei der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung eine möglichst vollständige, aber auch im Aufwand beherrschbare Zusammenstellung der Systemkomponenten gewährleistet werden kann, muss dem Anwender eine entsprechende Abstraktionsmöglichkeit bzw. Orientierungshilfe für eine methodisch nachvollziehbare und reproduzierbare Bestimmung der Systemkomponenten vorgegeben werden. Hierfür eignet sich das klassische TESE-Gesetz zur Vollständigkeit der Systemkomponenten, das das funktionale Fundament zur Lebensfähigkeit eines technischen Systems auf vier Hauptteile zurückführt, die wiederum durch einzelne oder mehrere Komponenten auf Sub- oder Supersystemebene erfüllt werden müssen (ADUNKA, 2014, S. 318; GRAWATSCH, 2005, S. 68–69; KUCHARAVY, 2007, S. 35). Diese vier Hauptteile lauten dabei wie folgt (Innovation Tool Academy, 2011, S. 168): Ausführungsteil: Komponenten im System zur Ausführung der Hauptfunktion; Übertragungsteil: Komponenten im System oder Systemumfeld zur Übertragung der notwendigen Energie; Energiequelle: Komponenten im System oder Systemumfeld zur Bereitstellung der notwendigen Energie; Kontrollteil: Komponenten im System oder Systemumfeld zur Steuerung des Systemverhaltens. Differenziert man im Übertragungsteil ferner noch zwischen Energie-, Stoff- und Informationsfluss erhält man eine zusätzliche und weitaus präzisere Möglichkeit zur Bestimmung sowie funktionalen Klassifizierung von Systemkomponenten (GRAWATSCH, 2005, S. 69). Zur Verdeutlichung der Bestimmung bzw. Klassifizierung von 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 107 Systemkomponenten nach der vorgegebenen Orientierungshilfe lässt sich die Batterie einer Taschenlampe als Beispiel heranziehen. Diese kann als Systemkomponente auf der Subsystemebene des technischen Systems „Taschenlampe“ aufgefasst werden und erfüllt darin den Hauptteil der Energiequelle durch die Bereitstellung der benötigten, elektrischen Energie. Auf Basis des vorgestellten Systemverständnisses sowie der Abstraktionsmöglichkeit durch das verfeinerte TESE-Gesetz zur Vollständigkeit der Systemkomponenten hat der Anwender nun die Möglichkeit, die wesentlichen Systemkomponenten des betrachteten Produkts festzulegen. Wichtig ist jedoch, die Komponenten dabei auf einer möglichst einheitlichen sowie beherrschbaren hierarchischen Ebene zu bestimmen und in ihrer Anzahl zu begrenzen (z.B. durch die Zusammenfassung von ähnlichen und sehr spezifischen Komponenten wie einzelnen Schrauben oder Muttern zur übergeordneten Komponente der Verbindungselemente). So kann die Komplexität der Untersuchung in Grenzen gehalten werden (ADUNKA, 2014, S. 54; GRAWATSCH, 2005, S. 69). Produkt, Suchfeld Systemtechnische Strukurierung Festlegung des Suchfelds als Systemkomponente Bestimmung der übrigen Systemkomponenten Systemkomponenten Bild 4.5: Vorgehensweise zur Systemtechnischen Strukturierung Bild 4.5 zeigt abschließend die genaue Vorgehensweise der systemtechnischen Strukturierung mit ihren grundlegenden Schritten. Als Eingangsgrößen fungieren hier Produkt und Suchfeld, die im Untersuchungsrahmen bereits benannt wurden. Als Bestandteil des Produkts wird das Suchfeld automatisch als Komponente auf dessen Subsystemebene und somit als wesentliche Systemkomponente eingeordnet, die nur noch in ihrer Teilfunktion definiert werden muss. Die genaue Festlegung des Such- 108 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung felds als Systemkomponente lässt sich vor diesem Hintergrund wie folgt zusammenfassen: Suchfeldfunktion (Teilfunktion des Suchfelds): elementare Aufgabe + optionaler Zusatz (z.B. Speicherung von Energie); Funktionsbeschreibung: detaillierte Beschreibung der Suchfeldfunktion. Im Anschluss sind die übrigen Systemkomponenten zu ergänzen. Dafür ist es notwendig, dass zunächst das betrachtete Produkt als zentrales technisches System spezifiziert wird, um bereits erste Hinweise auf weitere Systemkomponenten zu erhalten: Produktbeschreibung: definitorische Beschreibung des Produkts für erste Erkenntnisse hinsichtlich weiterer Systemkomponenten; Produktfunktion (Hauptfunktion des technischen Systems): Prädikat + Zielkomponente + optionaler Zusatz (z.B. versorgt einen Motor mit Energie); Funktionsbeschreibung: detaillierte Beschreibung der Produktfunktion. Daraufhin ist sowohl im Produkt selbst als auch in dessen Umfeld nach weiteren Komponenten zu suchen, die das funktionale Fundament eines technischen Systems gemäß der vier Hauptteile komplettieren. Entsprechend des Gesetzes zur Vollständigkeit der Systemkomponenten muss dabei jeder der vier Hauptteile durch mindestens eine Komponente repräsentiert werden. Für eine endgültige Festlegung als Systemkomponente sind die identifizierten Komponenten nachfolgend noch hinsichtlich Teilfunktion und Systemebene zu präzisieren: Bezeichnung: allgemeine Bezeichnung der Komponente auf einheitlicher hierarchischer Ebene (z.B. Steuerelektronik); Teilfunktion: elementare Aufgabe + optionaler Zusatz (z.B. Übertragung von Daten); Systemebene: Einordnung auf Sub- oder Supersystemebene. Da die Zielkomponente aus der Formulierung der Produktfunktion in direktem Kontakt mit dem Produkt steht, ist sie als zusätzliche Systemkomponente auf Supersystemebene festzulegen und auf gleiche Weise in ihrer Teilfunktion zu determinieren. Für weitere optionale Komponenten, die für die nachfolgenden Untersuchungen als wichtig erachtet werden, ist in gleicher Weise zu verfahren. Auch hier ist jedoch darauf zu achten, die Anzahl der optionalen Komponenten aus Komplexitätsgründen begrenzt zu halten. Man hat nun sowohl Suchfeld als auch die weiteren, relevanten Systemkomponenten bestimmt und in ihrer Systemebene sowie Funktion festgelegt. 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 109 Die notwendigen Vorarbeiten für die weiteren Untersuchungen, insbesondere für die anschließende systemische Exploration, sind somit erfolgreich abgeschlossen. 4.2.2 Phase 2 – Systemische Exploration Die zweite Phase der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung nennt sich systemische Exploration. Wie der Name bereits andeutet, geht es dabei um die Erforschung der erarbeiteten Systemstruktur mit dem Ziel der Erstellung von suchfeldspezifischen Szenarien innerhalb des Produkts. Ähnlich der Directed Evolution™ (vgl. Kapitel 2.5.1.4) verknüpft die systemische Exploration dazu eine retro- sowie prospektive Sichtweise. Jedoch steht hier nicht die Umsetzung einer gerichteten Evolution entlang eines strategischen Entscheidungsprozesses im Vordergrund (ZLOTIN & ZUSMAN, 2001, S. 20). Die erarbeiteten Szenarien in der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung sollen dem Anwender lediglich einen möglichst nachvollziehbaren Zukunftsraum des Suchfelds sowie Hinweise über neue technologische Entwicklungen aufzeigen. Das Fundament der systemischen Exploration bildet ein produktspezifisches Trendmodell, das die Identifikation von Systemtrends auf Basis einer systematischen und retrospektiven Analyse der historischen Evolution der Systemkomponenten ermöglicht. In Anlehnung an das Grundprinzip der Szenario-Analyse (vgl. Kapitel 2.5.2.7) wird anschließend ein Szenariofeld erstellt, in dem die Systemtrends in allgemeine Deskriptoren überführt und durch externe Deskriptoren aus den Bereichen Markt, Politik, Gesellschaft sowie Umwelt mit potentiellem Einfluss auf die Weiterentwicklung des Produkts ergänzt werden. Die nachfolgende Einflussanalyse dient der Identifikation von relevanten Schlüsseldeskriptoren, die zu plausiblen Zukunftsprojektionen fortgeschrieben werden. Abschließend werden konsistente Zukunftsprojektionen zu drei suchfeldspezifischen Szenarien verknüpft. Gestaltung des Trendmodells Die Gestaltung des produktspezifischen Trendmodells steht stellvertretend für die vorbereitenden Schritte zu Beginn eines Szenario-Projektes, in denen das Gestaltungsfeld – in diesem Fall das betrachtete Produkt inklusive Suchfeld – zunächst in seinem gegenwärtig vorherrschenden Zustand charakterisiert und spezifiziert werden muss. Dabei sind Deskriptoren aus verschiedenen Einflussbereichen zu bestimmen, die die künftige Weiterentwicklung des Gestaltungsfeldes beeinflussen und maßgeblich zur Zielerreichung des Untersuchungsvorhabens beitragen (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Neben Einflussbereichen innerhalb des Untersuchungsgegenstands werden dabei auch „Einflussbereiche identifiziert, die den Untersuchungsgegenstand umgeben“ 110 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 86). Die Identifikation der Deskriptoren, die nach Definition bestimmte Ereignisse, Variablen, Parameter und insbesondere auch konkrete Trends in besagten Bereichen repräsentieren können, verläuft im Rahmen von Szenario-Projekten oftmals sehr unterschiedlich und ungeordnet. Mögliche Vorgehensweisen reichen von analytischen, empirisch-gestützten bis hin zu völlig intuitiven Konzepten. Sämtlichen Vorgehensweisen gemein ist jedoch die Voraussetzung, dass wesentliche Fakten über die Bedeutung sowie die systemischen Zusammenhänge der einzelnen Einflussbereiche herausgearbeitet werden müssen (KOSOW & GAßNER, 2008, S. 21). Vor diesem Hintergrund erweist sich das TRIZ-Werkzeug des System Operators (vgl. Kapitel 2.5.1.4) als hilfreiches Instrument für eine geordnete und systemische Aufbereitung von Einflussbereichen sowie die Identifikation von Deskriptoren. Der System Operator erlaubt es dem Anwender, den in seine wesentlichen Komponenten zerlegten Untersuchungsgegenstand aus unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Perspektiven zu analysieren (GRAWATSCH, 2005, S. 65). Diese mehrdimensionale Sichtweise ermöglicht einen „ganzheitlichen Überblick über das System und damit ein ganzheitliches Verständnis über die Funktionalität und die Entwicklung des Systems“ (KOLTZE & SOUCHKOV, 2011, S. 192). Begünstigt wird dies vor allem durch den klassischen Aufbau des System Operators, der eine matrixförmige Untergliederung des Untersuchungsgegenstands nach Systemebenen (System, Subsystem, Supersystem) und Zeitebenen (Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit) erlaubt (ADUNKA, 2014, S. 17). Die Verwendung dieses Aufbaus als Grundgerüst des produktspezifischen Trendmodells führt zu entscheidenden Vorteilen. Die in der Vorbereitungsphase identifizierten Systemkomponenten, die gemäß eines Szenario-Projekts allesamt wichtige Einflussbereiche für die Weiterentwicklung des betrachteten Produkts darstellen, können auf diese Weise spezifiziert und einer retrospektiven Analyse hinsichtlich ihrer historischen Evolution unterzogen werden. Ausgehend von den erarbeiteten Entwicklungsverläufen gilt es schließlich, den Blick in die Zukunft zu richten. Durch diesen Perspektivwechsel kann der Anwender auf mögliche Weiterentwicklungen in der Zukunft sowie signifikante Trends bei Komponentenmerkmalen schließen, die das Trendmodell letztendlich vollenden und als Rohfassung der Deskriptoren für die nachfolgende Erstellung der suchfeldspezifischen Szenarien dienen. Denn „Trends sind Ausdruck von Entwicklungen, die das Geschäft von morgen prägen“ (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 197). Zur vollständigen Ausnutzung der erwähnten Vorteile ist der klassische Aufbau des System Operators für eine Verwendung als Grundgerüst des Trendmodells entsprechend anzupassen. Für eine übersichtlichere Darstellung komplexer Systemstruktu- 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 111 ren sowie des zeitlichen Verlaufs werden die beiden Achsen der System- und Zeitebene zunächst vertauscht. Die Achsen werden außerdem gezielt erweitert, so dass in der Folge jeder Systemkomponente und Evolutionsstufe des Produkts eine separate Spalte bzw. Zeile zugeteilt werden kann. Bild 4.6 zeigt letztendlich den fertigen Aufbau des produktspezifischen Trendmodells mit dem modifizierten System Operator als Grundgerüst sowie seinen wesentlichen Inhalten. Mit diesem Aufbau lässt sich eine vollständige, detaillierte Analyse der einzelnen Systemkomponenten sicherstellen. Um gezielt auf künftige Weiterentwicklungen der technologischen Lösungen wie auch signifikante Trends bei Komponentenmerkmalen schließen zu können, muss in den einzelnen Feldern des Trendmodells eine entsprechende Wissensbasis vorliegen. Hierfür ist es wichtig, dass für die Zeitebene der Gegenwart zunächst folgende Informationen gesammelt und in die entsprechenden Felder eingetragen werden: Produkt: definitorische Beschreibung des Produkts (analog zur systemtechnischen Strukturierung); Systemkomponenten: Benennung der gegenwärtig eingesetzten technologischen Lösungen (z.B. Elektrolytkondensator für die Komponente „Kondensator“); definitorische Beschreibung der Systemkomponenten. Subsystem Komponente 1-m: Ausblick Trends Mögliche Weiterentwicklungen System Komponente 1-n: Produkt: mögliche Weiterentwicklungen Komponente 1-m: Gegenwart Technologische Lösungen Beschreibung Technologische Lösungen Fortschritt Trends Mögliche Weiterentwicklungen Komponente 1-n: Produkt: Technologische Lösungen Beschreibung Beschreibung Komponente 1-m: Supersystem Komponente 1-n: Produkt: Fortschritt Technologische Lösungen Fortschritt Historie … Bild 4.6: … Trendmodell auf Basis des modifizierten System Operators … 112 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung Im Anschluss sind charakteristische Evolutionsstufen in der Historie bzw. Technikgeschichte des Produkts zu ermitteln. Solch charakteristische Evolutionsstufen sind als zeitliche Abschnitte oder auch Meilensteine im vergangenen Entwicklungsverlauf zu verstehen und durch einschneidende bzw. grundlegende Veränderungen gekennzeichnet, die das technische System auf einen neuen Standard gehoben haben. Zur Präzisierung der identifizierten Evolutionsstufen in der Historie des Produkts sind wiederum spezifische Informationen zu sammeln und in die dafür vorgesehenen Felder des Trendmodells einzutragen: Produkt: Beschreibung des Produktfortschritts anhand charakteristischer Merkmale (z.B. Erschließung neuer Anwendungsgebiete durch kompaktere und leistungsstärkere Produkte); Systemkomponenten: Benennung der damalig verfügbaren technologischen Lösungen; Beschreibung des Komponentenfortschritts anhand charakteristischer Merkmale, die sich durch verbesserte bzw. neue technologische Lösungen weiterentwickelt haben (z.B. Reduktion von ohmschen Verlusten). Zur Sammlung historischer Informationen wird die Verwendung klassischer Recherchemöglichkeiten wie fachspezifische Literatur, das Internet, Museen, Ausstellungen oder die unternehmensinterne Untersuchung alter Produkte bzw. Exponate empfohlen. Es folgt schließlich der Ausblick in die Zukunft zur Vervollständigung des Trendmodells. Hier sind folgende Schlussfolgerungen zu ziehen und in den entsprechenden Feldern des Trendmodells zu vermerken: Produkt: Beschreibung möglicher künftiger Weiterentwicklungen des Produkts; Systemkomponenten: Beschreibung möglicher künftiger Weiterentwicklungen; Verdichtung der Fortschritte von Komponentenmerkmalen zu signifikanten Trends (Systemtrends). Bei der Verdichtung der Fortschritte von Komponentenmerkmalen zu den Systemtrends ist das Prinzip der Evidenz das entscheidende Kriterium. „Die Evidenz ist die Gewissheit für das Vorliegen einer strategisch relevanten Veränderung […]. Bestimmt wird die Evidenz durch die Klarheit und Schlüssigkeit der vorliegenden Informationen“ (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 199). Der Forderung nach Klarheit und Schlüssigkeit der Informationen wird mit der strukturierten und systematischen Vorgehensweise bei der Gestaltung des Trendmodells nachgekommen. Evidente bzw. signifikante Trends lassen sich dabei über mehrfach genannte Fortschritte bestimmter Komponentenmerkmale in unterschiedlichen Evolutionsstufen identifizieren. Nach dem Prinzip der Evidenz ist nämlich davon auszugehen, dass Veränderungen dieser 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 113 Merkmale auch zukünftig einen wesentlichen Einfluss auf die Weiterentwicklung des technischen Systems haben werden. Darüber hinaus liefert die TRIZ-Methodik mit der Sammlung der erweiterten TESE ein zusätzliches Hilfsmittel zur Erfassung von evidenten Trends innerhalb eines technischen Systems (vgl. Kapitel 2.5.1.4 & Anhang A). Die Sammlung der erweiterten TESE umfasst dabei allgemeine, empirisch erwiesene Entwicklungstrends, die sich auf sämtliche Arten von technischen Systemen projizieren lassen (ADUNKA, 2014, S. 317; Innovation Tool Academy, 2011, S. 153). Demnach erhält man im Rahmen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung durch eine entsprechende Projektion dieser Trends auf das betrachtete Produkt inkl. seiner wesentlichen Systemkomponenten die Möglichkeit, die bereits identifizierten Systemtrends um weitere evidente Trends zu ergänzen und die Folgerung auf zukünftige Weiterentwicklungen kreativ anzuregen. In der Summe stehen die Systemtrends letztendlich für Rohfassungen von Deskriptoren einer Szenario-Analyse und schaffen eine wichtige Datenbasis für die nachfolgende Erarbeitung der suchfeldspezifischen Szenarien. Systemkomponenten Gestaltung des Trendmodells Analyse der System-Gegenwart Retrospektive Analyse der System-Historie Folgerung auf signifikante Trends und potentielle Weiterentwicklungen Systemtrends Bild 4.7: Vorgehensweise zur Gestaltung des Trendmodells Bild 4.7 liefert einen abschließenden Überblick über die Vorgehensweise zur Gestaltung des Trendmodells. Die Ausgangsbasis bilden die identifizierten Systemkomponenten sowie das untersuchte Produkt. Diese wesentlichen Elemente spannen das Grundgerüst des Trendmodells auf. Im ersten Schritt ist die System-Gegenwart zu analysieren. Es folgt die retrospektive Analyse der System-Historie, um grundlegende Fortschritte hinsichtlich technologischer Lösungen sowie charakteristischer Kom- 114 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung ponentenmerkmale aufzudecken. Der Perspektivwechsel in die Zukunft führt letztendlich zur Herleitung der Systemtrends sowie potentiellen Weiterentwicklungen innerhalb der Systemkomponenten und wird unterstützt durch eine produktspezifische Analyse bzw. Projektion der erweiterten TESE. Die unmittelbaren Einflussbereiche auf die Weiterentwicklung des technischen Systems sind somit hinreichend untersucht und die notwendigen Vorarbeiten für die Erstellung des Szenariofelds erledigt. Die Systemtrends als Rohfassung von Deskriptoren bilden hier den zentralen Output des Trendmodells als Basis für die nachfolgende Erstellung des Szenariofelds. Gleichzeitig liefert der Ausblick auf mögliche Weiterentwicklungen der Systemkomponenten bereits kreative Anreize für die spätere Erstellung der Zukunftsprojektionen. Erstellung des Szenariofelds Die Summe aller Deskriptoren, unter deren potentiellem Einfluss der Zukunftsraum des Untersuchungsgegenstands beschrieben wird, nennt sich Szenariofeld. Neben Systemdeskriptoren, die sich direkt aus der Beschaffenheit des Untersuchungsgegenstands ableiten lassen, kann ein Szenariofeld auch externe Umfelddeskriptoren beinhalten, die mögliche Einflussgrößen aus nicht direkt beeinflussbaren Bereichen wie z.B. Markt, Politik, Gesellschaft oder Umwelt repräsentieren (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Dieser Pool an Deskriptoren muss in der Folge entsprechend festgelegt werden. Durch die Identifikation der Systemtrends im Trendmodell ist das Rohmaterial der Systemdeskriptoren bereits geschaffen. Für eine zweckmäßige Überführung zu echten Deskriptoren müssen sämtliche Systemtrends jedoch erst noch abstrahiert werden. Dies hat zum einen formale Gründe, da präzise und allgemein formulierte Deskriptoren die Nachvollziehbarkeit und Übersichtlichkeit während der weiteren Untersuchungen deutlich erleichtern (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 88). Der andere Grund für die Notwendigkeit einer Abstraktion liegt in der Natur der Trends begraben. Trends beschreiben immer eine speziell ausgeprägte Entwicklungsrichtung eines bestimmten Aspekts und sind durch Diskontinuitäten geprägt. Die historische Betrachtung eines Trends vom Ursprung bis in die Gegenwart – als wesentlicher Teil der Gestaltung des Trendmodells – ist durchaus wichtig, um bestimmte Regelmäßigkeiten bzw. Gesetzmäßigkeiten für die Zukunft abzuleiten. Jedoch dürfen unerwartete oder gegenläufige Entwicklungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 198-199). Im Rahmen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung muss ein Systemtrend daher auf seinen Kernaspekt reduziert bzw. abstrahiert werden, so dass 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 115 eine spätere Fortschreibung in die Zukunft so offen wie möglich gestaltet werden kann. Es folgt ein entsprechendes Beispiel für die Abstraktion eines Systemtrends: Systemtrend: Verbesserung der Rechenleistung von Prozessoren; Abstraktion des Deskriptors auf seinen Kernaspekt: Rechenleistung. Schließlich ist noch eine gezielte Berücksichtigung von Einflussgrößen aus nicht direkt steuerbaren Bereichen wie Markt, Politik, Gesellschaft oder Umwelt notwendig, die einen möglichen Einfluss auf die künftige Weiterentwicklung des Untersuchungsgegenstands nehmen. Diese Einflussgrößen sind aus einschlägiger Trendliteratur zu beziehen und ebenfalls in abstrahierter Form als Umfelddeskriptoren festzulegen. Beispiele für einschlägige Trendliteratur sind Publikationen des WOIS-Institut oder von ZINNER zum Thema „trenDNA“, die vor allem das Verständnis hinsichtlich der Gesellschaft sowie des Verhaltens von Markt und Kunden fördern (ADUNKA, 2012, S. 65–66; MANN & ZINNER, 2010, S. 2; PERSEKE, 1996, S. 332). Systemtrends Erstellung des Szenariofelds Abstraktion der Systemtrends zu Systemdeskriptoren Identifikation von Umfelddeskriptoren Deskriptoren Bild 4.8: Vorgehensweise zur Erstellung des Szenariofelds Das in Bild 4.8 abschließend dargestellte Vorgehen zur Erstellung des Szenariofelds findet seinen Ursprung also in den Systemtrends aus dem Trendmodell. Diese sind aus den eben erwähnten, formalen sowie inhaltlichen Gründen gemäß der aufgeführten Hinweise zu Systemdeskriptoren zu abstrahieren. Ferner sind untersuchungsrelevante externe Einflussgrößen aus einschlägiger Trendliteratur zu beziehen und als Umfelddeskriptoren festzulegen. Das Szenariofeld ist damit vollständig erstellt und kann einer Einflussanalyse unterzogen werden. 116 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung Einflussanalyse Die Einflussanalyse dient in der Folge dazu, die Bedeutung der einzelnen Deskriptoren für die Weiterentwicklung des Untersuchungsgegenstands zu bestimmen und dadurch ihre Eignung als Schlüsseldeskriptoren zu überprüfen. Nur die wichtigsten Deskriptoren werden bei der anschließenden Erstellung der Zukunftsprojektionen sowie suchfeldspezifischen Szenarien berücksichtigt. Gerade bei einer sehr großen Anzahl an Deskriptoren lassen sich Aufwand und Komplexität im Hinblick auf die nachfolgenden Untersuchungen anhand einer Einflussanalyse gezielt reduzieren (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Das Grundgerüst der Einflussanalyse bildet die Einflussmatrix, in der die einzelnen Umfelddeskriptor y Aktivsumme Wirkungssumme 2 0 1 21 3 1 0 1 3 16 8 1 2 31 8 1 3 24 6 0 26 4 14 2 … … … … … … … 3 ... … Q1 … Q2 … … … Systemdeskriptor x 3 2 Umfelddeskriptor 1 2 1 Umfelddeskriptor 2 2 2 1 0 3 Q3 … Umfelddeskriptor y Bild 4.9: 2 Umfelddeskriptor 2 Systemdeskriptor 2 1 Umfelddeskriptor 1 Systemdeskriptor 1 Systemdeskriptor x Komponente 1 (Suchfeld) Komponente n … Umfeld System Bewertungsmaßstab: 0: kein Einfluss 1: schwacher Einfluss 2: mittlerer Einfluss 3: starker Einfluss Systemdeskriptor 2 Systemdeskriptor 1 Deskriptoren in Zeilen und Spalten gegenübergestellt werden. Die zusätzliche Unterteilung zwischen System- und Umfelddeskriptoren führt darüber hinaus zu den klassischen vier Quadranten einer Einflussmatrix (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 88). Für eine zweckmäßige Einflussanalyse im Rahmen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung muss die Einflussmatrix zusätzlich auch eine Zuordnung der System- bzw. Umfelddeskriptoren zu den korrespondierenden Systemkomponenten bzw. Einflussbereichen erlauben und dementsprechend angepasst werden. Der Grundaufbau der modifizierten Einflussmatrix ist Bild 4.9 zu entnehmen. Q4 1 1 2 1 0 Passivsumme 15 16 21 24 19 Grundaufbau der modifizierten Einflussmatrix 15 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 117 Die eigentliche Einflussbewertung stützt sich in der Folge auf ein paarweises Bewertungsschema zur Ermittlung der direkten Beziehungen zwischen allen möglichen Deskriptoren-Paaren. Dabei ist anhand des in Bild 4.9 aufgezeigten Bewertungsmaßstabs abzuschätzen, wie stark sich eine Veränderung von Deskriptor A auf Deskriptor B auswirkt (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Eine solche Abschätzung mag sich für den Anwender gerade bei sehr spezifischen Untersuchungen durchaus als schwierig erweisen, weshalb im Zweifelsfall diverse Fachmeinungen heranzuziehen sind. Auf die Option einer indirekten Einflussanalyse zur Bestimmung von indirekten Beziehungen zwischen den Deskriptoren wird im Rahmen der vorgestellten Methode aus aufwandstechnischen Gründen verzichtet. Nach der fertigen Einflussbewertung lassen sich die charakteristischen Kennzahlen einer Einflussanalyse (Aktivsumme, Passivsumme, Wirkungssumme, Impuls-Index, Dynamik-Index) ermitteln, die eine Klassifizierung der Deskriptoren hinsichtlich ihrer Relevanz für die Untersuchung ermöglichen und ferner auch wichtige Hinweise für die nachfolgende Erstellung von Zukunftsprojektionen liefern (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Was die Kennzahlen im Einzelnen bedeuten und wie sie entsprechend zu berechnen sind, zeigt Tabelle 4.1 (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 90). Tabelle 4.1: Einflusskennzahlen in Anlehnung an GAUSEMEIER, EBBESMEYER & KALLMEYER, 2001, S. 90 Kennzahl Beschreibung Berechnung Aktivsumme Wirkung eines Deskriptors auf die übrigen Deskriptoren Zeilensumme der Beziehungswerte eines Deskriptors Passivsumme Beeinflussung eines Deskriptors durch die übrigen Deskriptoren Spaltensumme der Beziehungswerte eines Deskriptors Wirkungssumme Wirkung eines Deskriptors auf die Deskriptoren des Suchfelds Zeilensumme der Beziehungswerte eines Deskriptors bzgl. der Deskriptoren des Suchfelds Impuls-Index Maß für die Wirkung eines Deskriptors ohne selbst dadurch Veränderungen zu erfahren Division von Aktiv- und Passivsumme Dynamik-Index Maß für die Dynamik eines Deskriptors innerhalb des Szenariofelds Multiplikation von Aktiv- und Passivsumme Mit dem Ziel der Erstellung suchfeldspezifischer Szenarien zum Abschluss der systemischen Exploration wird die klassische Kennzahl der Wirkungssumme (Wirkung eines Deskriptors auf das Gestaltungsfeld bzw. in diesem Fall die Systemkomponenten) dabei entsprechend umfunktioniert. Nach dieser Anpassung steht die Wirkungssumme im Rahmen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung für den Einfluss eines Deskriptors auf diejenigen Deskriptoren, die das Suchfeld repräsentie- 118 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung ren, und bildet somit das grundlegende Kriterium für die Auswahl der Schlüsseldeskriptoren. Der Pool an Deskriptoren aus dem Szenariofeld lässt sich dadurch auf diejenigen Deskriptoren reduzieren, die durch den stärksten Einfluss auf die künftige Weiterentwicklung des Suchfelds gekennzeichnet sind. Sie bilden letztendlich die wesentlichen Stellhebel für die Erstellung der suchfeldspezifischen Szenarien. Um auch hier ein akzeptables Maß an Komplexität und Aufwand für die nachfolgenden Untersuchungen zu bewahren, ist die Anzahl der Schlüsseldeskriptoren auf insgesamt zehn zu beschränken. Deskriptoren Einflussanalyse Einflussbewertung in der Einflussmatrix Bestimmung der Einflusskennzahlen Auswahl der Schlüsseldeskriptoren Schlüsseldeskriptoren Bild 4.10: Vorgehensweise zur Einflussanalyse Zusammenfassend zeigt Bild 4.10 noch einmal den prinzipiellen Ablauf der Einflussanalyse. Die im Szenariofeld festgelegten Deskriptoren sind zunächst in die modifizierte Einflussmatrix zu überführen und anhand einer paarweisen Bewertung entsprechend des Bewertungsmaßstabs auf ihre direkten Beziehungen zu untersuchen. Anschließend sind die charakteristischen Einflusskennzahlen unter Berücksichtigung der umfunktionierten Wirkungssumme zu bestimmen. Diese dient letztendlich als Auswahlkriterium für die zehn Schlüsseldeskriptoren mit dem stärksten Einfluss auf die künftige Weiterentwicklung des Suchfelds, welche nachfolgend als wesentliche Stellhebel für die Bildung der suchfeldspezifischen Szenarien dienen. Erstellung von Zukunftsprojektionen Die Erstellung der Zukunftsprojektionen für die zehn Schlüsseldeskriptoren ist schließlich der entscheidende Schritt hin zum eigentlichen Ausblick in die Zukunft. 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 119 Qualität sowie Inhalt der Szenarien hängen entscheidend davon ab. Zukunftsprojektionen beschreiben der Definition nach mögliche Entwicklungsrichtungen der Schlüsseldeskriptoren in der Zukunft. Dabei ist es wichtig, dass nicht nur äußerst wahrscheinliche, sondern auch extreme, aber dennoch vorstellbare Entwicklungsmöglichkeiten berücksichtigt werden. So kann ein möglichst weit gefasster Zukunftsraum abgesteckt werden, der auch auf unerwartete Eventualitäten vorbereitet (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Hier sind neben analytischen Fähigkeiten vor allem auch intuitive und kreative Fähigkeiten gefragt, die die Vorstellungskraft über zukünftige Entwicklungen anregen (KOSOW & GAßNER, 2008, S. 21). Es ist zudem wichtig, dass ein grober Zeithorizont für die Zukunftsprojektionen festgelegt wird. Dieser erstreckt sich normalerweise über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren. Da die Erarbeitung der Szenarien im Rahmen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung jedoch in der strategischen Produktplanung angesiedelt und die Methode auf eine relativ zeitnahe Umsetzung von Technologien ausgerichtet ist, wird ein deutlich engerer Zeithorizont empfohlen. Die endgültige Festlegung des Zeithorizonts hängt dementsprechend auch von der Dynamik des Marktsegments ab, in dem der spezielle Anwendungsfall angesiedelt ist, und liegt schlussendlich im Ermessen des Unternehmens (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 91). Die Erarbeitung möglicher Projektionen für die identifizierten Schlüsseldeskriptoren verläuft in der Szenario-Analyse nach keinem fest vorgegebenen Schema. GAUSEMEIER ET AL. geben allerdings einige Hilfestellungen bzw. Hinweise für diesen Arbeitsschritt: Entwicklungen fortschreiben oder simulieren, Entwicklungen und ihre Merkmale überzeichnen, Entwicklungen bewusst beschleunigen, Entwicklungen aus dem Umfeld bewusst berücksichtigen, Zukunftsprojektionen aus Prozessen (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Für die Prognostik der Schlüsseldeskriptoren im Rahmen dieser Methode wird vor diesem Hintergrund eine leicht abgewandelte Sammlung dieser Hilfestellungen vorgestellt, die des Weiteren durch die im Trendmodell abgeleiteten, möglichen Weiterentwicklungen der Systemkomponenten sowie den Erkenntnissen der Einflussanalyse anzureichern sind: Fortschreibung der aktuellen Entwicklung: geradlinige Projektion der aktuellen Entwicklung (entspricht dem Schlüsseldeskriptor zugrundeliegenden Systemtrend) in die Zukunft (z.B. schrittweise Verbesserung der Rechenleistung von Prozessoren); Beschleunigung der aktuellen Entwicklung: beschleunigte Projektion der aktuellen Entwicklung in die Zukunft (z.B. Revolutionierung der Rechenleistung von Prozessoren); 120 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung Positive Überzeichnung der aktuellen Entwicklung: positiv überzeichnete Projektion der Entwicklung in die Zukunft anhand konkreter Aspekte (z.B. Revolutionierung der Rechenleistung von Prozessoren durch neuartigen Prozessoraufbau); Negative Überzeichnung der aktuellen Entwicklung: negativ überzeichnete Projektion der Entwicklung in die Zukunft anhand konkreter Aspekte (z.B. Stagnieren der Rechenleistung durch das Erreichen von physikalischen Grenzen); Gezielte Einbeziehung von Umgebungseinflüssen: Projektion der Entwicklung in die Zukunft anhand der gezielten Einbeziehung von Beeinflussungen durch andere Deskriptoren gemäß der Einflussanalyse (z.B. die Erreichung von Materialgrenzen beim Prozessorbau führt zu einer Stagnierung der Rechenleistung von Prozessoren). Anhand dieser Hilfestellungen lässt sich eine Reihe möglicher Projektionen für die einzelnen Schlüsseldeskriptoren erstellen. Viele der Projektionen eines Schlüsseldeskriptors ähneln sich jedoch oftmals und sind daher zu zwei bis drei geeigneten Zukunftsprojektionen zu bündeln, „mit denen die wirklich charakteristischen Entwicklungsmöglichkeiten beschrieben werden“ (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 93). Die in den jeweiligen Hilfestellungen aufgeführten Projektionsbeispiele sollen diesen Umstand verdeutlichen. Es wird deutlich, dass sich die ersten drei sowie die letzten beiden Projektionsbeispiele ähneln und durch zwei charakteristische Tendenzen gekennzeichnet sind: Anwachsen der Rechenleistung durch verbesserte bzw. revolutionäre technologische Lösungen; Stagnierung der Rechenleistung durch Erreichung physikalischer bzw. materialspezifischer Grenzen beim Prozessorbau. Die einzelnen Projektionen können demzufolge zu zwei konkreten Zukunftsprojektionen zusammengefasst werden, die die wesentlichen Entwicklungsmöglichkeiten des Schlüsseldeskriptors repräsentieren. Als zentrale Grundlage der zu erstellenden Szenarien sind die charakteristischen Zukunftsprojektionen eines Schlüsseldeskriptors anschließend noch so zu beschreiben, dass sie für Dritte einfach und schnell zu verstehen sind und als elementare Textbausteine für die Szenarien verwendet werden können. Den Zukunftsprojektionen sind dabei prägnante Kurzbezeichnungen zuzuweisen, die ein eindeutiges Verständnis gewährleisten. Obendrein bedarf es einer präzisen und ausführlichen Formulierung und Begründung der jeweiligen Zukunftsprojektionen (vgl. Kapitel 2.5.2.7). 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 121 Schlüsseldeskriptoren Erstellung von Zukunftsprojektionen Ermittlung potentieller Projektionen der Schlüsseldeskriptoren Bündelung ähnlicher Projektionen zu konkreten Zukunftsprojektionen Beschreibung der Zukunftsprojektionen Zukunftsprojektionen Bild 4.11: Vorgehensweise zur Erstellung von Zukunftsprojektionen Bild 4.11 zeigt die finale Übersicht der Vorgehensweise zur Erstellung von Zukunftsprojektionen. Für die einzelnen Schlüsseldeskriptoren sind gemäß der vorgestellten Hilfestellungen mögliche Projektionen in die Zukunft zu ermitteln. Ähnliche Projektionen sind anschließend zu je zwei konkreten Zukunftsprojektionen zu bündeln. Dadurch soll der Aufwand für die nachfolgende Szenariobildung entsprechend begrenzt werden. Die einzelnen Zukunftsprojektionen der Schlüsseldeskriptoren sind abschließend mit einer prägnanten Kurzbezeichnung zu versehen und klar, präzise sowie für Dritte nachvollziehbar zu beschreiben. Szenariobildung Die abschließende Aufgabe der systemischen Exploration ist die Bildung der suchfeldspezifischen Szenarien, die den Zukunftsraum des Suchfelds aufspannen. Ein Szenario beschreibt in seiner elementaren Form ein Bündel aus Zukunftsprojektionen, wobei darin pro Schlüsseldeskriptor allerdings nur genau eine Projektion vorkommt. Zu beachten ist, dass trotz einer Vielzahl von möglichen Projektionsbündeln nur begrenzt viele Szenarien ausgearbeitet werden, die klar voneinander unterschieden und interpretiert werden können (vgl. Kapitel 2.5.2.7). Vor diesem Hintergrund existiert folgende Faustregel: „So viele wie nötig, um ausreichend viele Perspektiven und mögliche Zukünfte abzudecken und so wenige wie möglich, um Ermüdung zu vermeiden und den Prozess handhabbar zu halten“ (KOSOW & GAßNER, 2008, S. 22). Das Hauptkriterium für die Glaubwürdigkeit der Szenarien ist die „Konsistenz, d.h. die Widerspruchsfreiheit der einzelnen Projektionen zueinander“ (GAUSEMEIER ET AL., 122 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 3 Projektion 4 4 5 Projektion 5 1 5 5 3 Projektion 6 2 4 4 3 Projektion 19 3 4 4 5 5 3 Projektion 20 3 2 4 4 4 3 Projektion 20 3 Projektion 19 Projektion 6 Projektion 3 … Projektion 5 Schlüsseldeskriptor 3 Projektion 4 Komponente Schlüsseldeskriptor 2 Projektion 3 Komponente Schlüsseldeskriptor 1 Projektion 2 Komponente Projektion 1 Bewertungsmaßstab: 1: absolut inkonsistent 2: teilweise inkonsistent 3: voneinander unabhängig 4: teilweise begünstigend 5: stark begünstigend … 2001, S. 96). Aus diesem Grund müssen die erstellten Zukunftsprojektionen zunächst einer Konsistenzanalyse in einer Konsistenzmatrix unterzogen werden, wie sie beispielhaft in Bild 4.12 zu sehen ist. Projektion 1 Projektion 2 … … … … Komponente Schlüsseldeskriptor 10 Bild 4.12: Aufbau der Konsistenzmatrix in Anlehnung an GAUSEMEIER, EBBESMEYER & KALLMEYER, 2001, S. 97 Darin werden die einzelnen Zukunftsprojektionen mit den dazugehörigen Schlüsseldeskriptoren sowie Systemkomponenten in Zeilen und Spalten gegenübergestellt. Wie bei der Einflussanalyse stützt man sich auch hier auf ein paarweises Bewertungsschema, bei dem in diesem Fall allerdings sämtliche Projektionspaare entsprechend des vorgegebenen Bewertungsmaßstabs auf ihre gegenseitige Verträglichkeit überprüft werden. Hier genügt eine einseitige Prüfung der Projektionspaare, da im Rahmen der Konsistenzanalyse keine gerichteten Beziehungen untersucht werden. Konsistente Projektionspaare sind in Bild 4.12 in grüner Farbe unterlegt, inkonsistente Bündel dagegen in roter Farbe. Ein Beispiel für ein konsistentes Projektionspaar ist das Anwachsen der Rechenleistung von Prozessoren bei gleichzeitiger Forderung der Gesellschaft nach zunehmendem Funktionsumfang von Computern. Dagegen wäre die Stagnierung der Rechenleistung von Prozessoren bei gleichzeitiger Forderung des Markts nach leistungsfähigeren Computern für neuartige Anwendungsfälle ein inkonsistentes Projektionspaar. 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 123 Im Rahmen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung sind durch den Anwender in der Folge drei Szenarien aus konsistenten Zukunftsprojektionen zu erstellen, die einen möglichst breiten Querschnitt im Zukunftsraum des Suchfelds aufspannen. Folgende Ausprägungsmöglichkeiten sind bei der Auswahl der Zukunftsprojektionen als Orientierungshilfe heranzuziehen: Nüchterne Ausprägung: gezielte Auswahl von Zukunftsprojektionen, die gemeinhin die gegenwärtige Entwicklung fortschreiben und somit ein sehr nüchternes Zukunftsbild liefern; Positive Ausprägung: gezielte Auswahl von Zukunftsprojektionen, die zu äußerst positiven Entwicklungen führen und dem Unternehmen neue Handlungsmöglichkeiten aufzeigen; Negative Ausprägung: gezielte Auswahl von Zukunftsprojektionen, die zu äußerst negativen Entwicklungen führen und dem Unternehmen mögliche Gefahren und Hinweise für Gegenmaßnahmen aufzeigen. Auf die in Kapitel 2.5.2.7 erwähnten Tools (rechnergestützte Auswertung der Konsistenzanalyse über kombinatorische Verfahren, Rohszenario-Bildung, ZukunftsraumMapping oder Ausprägungslisten) für die Auswahl von Zukunftsprojektionen wird in diesem Fall verzichtet. Dies liegt einerseits am überschaubaren Aufwand, der mit der Szenariobildung auf Basis von nur zehn Schlüsseldeskriptoren mit jeweils zwei Zukunftsprojektionen verbunden ist. Andererseits werden keine direkten, strategischen Entscheidungen entlang der Szenarien ausgerichtet. Sie dienen lediglich als Wegweiser für die Suche nach neuen technologischen Lösungen sowie als Teilkriterium für die abschließende Technologiebewertung. Die Auswahl konsistenter Projektionsbündel über eine simple Sichtprüfung der Konsistenzmatrix durch den Anwender erweist sich demnach als völlig ausreichend. Die suchfeldspezifischen Szenarien müssen abschließend noch einer gründlichen Aufbereitung unterzogen werden, um ihren Nutzen als Wegweiser zur Technologieidentifikation sowie als Teilkriterium zur Technologiebewertung vollständig abgreifen zu können. Dazu dient der in Bild 4.13 dargestellte Steckbrief, der sämtlichen Informationsgehalt eines Szenarios zusammenfasst und somit eine vollständige, übersichtliche und gleichzeitig auch kompakte Beschreibung der suchfeldspezifischen Szenarien gewährleistet. Die Szenarien sind darin zunächst präzise und leicht nachvollziehbar zu beschreiben. Die Textelemente der Zukunftsprojektionen dienen dabei als wichtige Bausteine (vgl. Kapitel 2.5.2.7). In Anlehnung an GAUSEMEIER ET AL. sind aus den suchfeldspezifischen Szenarien des Weiteren auch wesentliche Chancen und Risiken, die sich durch deren Eintreten für das Unternehmen ergeben würden, abzuleiten (GAUSEMEIER ET AL., 2001, S. 109) sowie konkrete Forderungen hinsicht- 124 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung lich der Entwicklung von technologischen Lösungen im Suchfeld herauszuarbeiten. Abschließend ist für jedes Szenario eine triviale Abschätzung deren prozentualer Eintrittswahrscheinlichkeiten durchzuführen, die eine spätere Gewichtung der Szenarien im Rahmen der Technologiebewertung erlaubt. Mustersteckbrief eines suchfeldspezifischen Szenarios Projektionsbündel: Forderung an das Suchfeld: [Komponente] [Schlüsseldeskriptor 1] [Projektion 1] … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … [Komponente] [Schlüsseldeskriptor 10] [Projektion 19] [Forderung hinsichtlich der Entwicklung von technologischen Lösungen im Suchfeld] Chancen: [Chancen für das Unternehmen] Risiken: [Risiken für das Unternehmen] Wahrscheinlichkeit: [in %] Beschreibung: [Beschreibung des suchfeldspezifischen Szenarios] Bild 4.13: Mustersteckbrief eines suchfeldspezifischen Szenarios Insgesamt ergibt sich am Ende der systemischen Exploration die in Bild 4.14 dargestellte Vorgehensweise zur Szenariobildung. Die erarbeiteten Zukunftsprojektionen sind zunächst in einer Konsistenzmatrix auf ihre gegenseitige Verträglichkeit zu prüfen. Im Anschluss sind durch Sichtprüfung der Konsistenzmatrix drei in sich konsistente, suchfeldspezifische Szenarien gemäß der aufgezeigten Orientierungshilfen zu erstellen. Die Szenarien sind daraufhin in den vorgestellten Steckbriefen präzise und verständlich zu beschreiben. Sie stecken letztendlich den Zukunftsraum ab, der einerseits Signale über signifikante Evolutionslinien bzw. technologische Trends im Suchfeld liefert und andererseits als Teilkriterium in den Bewertungsprozess einfließt. 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 125 Zukunftsprojektionen Szenariobildung Konsistenzanalyse in der Konsistenzmatrix Bildung konsistenter, suchfeldspezifischer Szenarien Beschreibung der suchfeldspezifischen Szenarien in Steckbriefen technologiespezifische Signale Bild 4.14: Vorgehensweise zur Szenariobildung 4.2.3 Phase 3 – Bestimmung von Technologieoptionen In der dritten Phase der TRIZ- und szenariobastierten Technologiebewertung werden die für die Bewertung relevanten Technologieoptionen im Suchfeld bestimmt. Die dafür notwendigen Vorbereitungen fallen bereits in die Phase der systemischen Exploration, in der die Technologieentwicklung im Suchfeld anhand der retrospektiven Systemanalyse im Trendmodell erfasst und über die erweiterten TESE sowie die Erstellung der suchfeldspezifischen Szenarien in die Zukunft fortgeschrieben wird. Letztendlich mündet dies in einen Zukunftsraum des Suchfelds mit konkreten Signalen über signifikante Evolutionslinien bzw. technologische Trends. Nach dem klassischen Verständnis einer Technologiefrüherkennung (vgl. Kapitel 2.2.2.1) sind diese technologiespezifischen Signale anhand geeigneter Maßnahmen systematisch zu verdichten, so dass zusätzlich zu den bereits eingesetzten Technologieoptionen gezielt auch auf neue Technologieoptionen geschlossen werden kann. Zur Vervollständigung dieser Phase müssen sämtliche Technologieoptionen noch hinsichtlich ihrer Funktionsweise sowie weiteren ausgewählten Merkmalen beschrieben werden. Dadurch wird das Technologieverständnis an sich gefördert, eine gewisse Ordnung und Vergleichbarkeit hergestellt sowie eine ausreichende Informationsgrundlage für die abschließende Technologiebewertung geschaffen. Ferner kann mit dieser Phase auch der in Kapitel 3.3 aufgestellten Forderung nach einer Integration von Elementen der Technologiefrüherkennung in das methodische Konzept Rechnung getragen werden. Diese Integration schafft die notwendige Grundlage für eine umfassende 126 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung Beschaffung und Verarbeitung von Informationen über zukunftsrelevante technologische Entwicklungen. Technologieidentifikation Ausgehend von den Erkenntnissen der systemischen Exploration sind im Ablaufschritt zur Technologieidentifikation neben den bereits genutzten Technologien im Suchfeld auch neue technologische Lösungen zu identifizieren. Dabei orientiert man sich am Grundprinzip der Technologiefrüherkennung (vgl. Kapitel 2.2.2.1), das sich neben einer systematischen Beschaffung auch mit einer systematischen Verdichtung „von Informationen über künftige Chancen und Risiken befasst, welche technologische oder technologierelevante Veränderungen […] mit sich bringen“ (SPECHT ET AL., 2009, S. 153). Entscheidend ist es dabei, Trends zu erkennen und gezielt auf die Auswahl der richtigen Technologien hinzuführen. Eine grundlegende Systematik hinter Informationsbeschaffung und -verdichtung dämmt dabei den Unsicherheitsgrad ein, der mit der prospektiven Sichtweise verbunden ist, und bildet somit einen wesentlichen Faktor für eine erfolgreiche Technologiefrüherkennung (SPECHT ET AL., 2009, S. 153–154). Diese führt letztendlich zu konkreten Erkenntnissen über neue technologische Potentiale, die es den Unternehmen auf vielfältige Weise ermöglichen, entscheidende Wettbewerbsvorteile zu erzielen (GRAWATSCH, 2005, S. 13; ZAHN & BRAUN, 1992, S. 5). Die systematische Erfassung von Signalen über technologische bzw. technologierelevante Veränderungen im Rahmen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung findet ihren Ursprung bereits in der Phase der systemischen Exploration. Besonders die Verknüpfung von TRIZ-Werkzeugen wie dem System Operator oder den erweiterten TESE mit einer klassischen Methode wie der Szenario-Analyse, die sowohl in der Technologiefrüherkennung als auch -bewertung zum Einsatz kommen kann, erweist sich hier als „sehr vielversprechend, da abgeschätzte Trendentwicklungen so mit konkreten Ideen für Technologieentwicklungen untermauert werden können“ (GRAWATSCH, 2005, S. 36). Dabei stützt sich die Erfassung von Signalen nicht nur auf rein analytische Elemente, sondern wird durch kreative Assoziationen zusätzlich angeregt. Insbesondere in den einzelnen Szenarien können neben eher allgemeinen technologiespezifischen Signalen auch konkretere Ansätze über neue technologische Lösungen ermittelt werden. Nichtsdestotrotz müssen diese Erkenntnisse gerade im Hinblick auf die abschließende Bewertung verdichtet werden. Denn was sich nicht in irgendeiner Form in verfügbaren Informationen niederschlägt, kann im Grunde auch nicht als Bewertungsobjekt einer zweckmäßigen Technologiebewertung herangezogen werden. Es ist daher notwendig, „sich im Sinne einer Kombinato- 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 127 rik-Aufgabe“ wesentliche Informationsbausteine über konkrete technologische Potentiale systematisch zu erschließen (SERVATIUS & PEIFFER, 1992, S. 78). Für den Fall der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung bedeutet dies, dass gestützt durch die jeweiligen Erkenntnisse aus der systemischen Exploration nach „greifbaren“ Informationen über vorstellbare, geplante oder bereits verfolgte technologische Ansätze gesucht werden muss, so dass diese dann letztendlich auch einer zweckmäßigen Bewertung unterzogen werden können. Bild 4.15 zeigt vor diesem Hintergrund das Grundprinzip der Technologieidentifikation im Rahmen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung. Zur Verdichtung der suchfeldspezifischen Signale sowie der damit verbundenen Suche nach neuen Technologieoptionen sind demnach klassische Instrumente einer Technologiefrüherkennung als Hilfsmittel heranzuziehen. Neben Patentanalysen und Expertengesprächen ist in diesem Zusammenhang vor allem auch die Analyse forschungsspezifischer Literatur in gedruckter Form oder im Internet zu nennen (GRAWATSCH, 2005, S. 80–81). Verdichtung der Signale Patente Experten Literatur Technologieidentifikation Zukunftsraum des Suchfelds mit Signalen über technologische Potentiale neue Technologieoptionen Bild 4.15: Verdichtung von Signalen über neue technologische Potentiale in der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung Letztere Optionen eignen sich eher für eine allgemeine Suche nach technologischen Erkenntnissen, wie sie bspw. in Fachbüchern, in Suchmaschinen oder in Produktbeschreibungen bzw. Werbekatalogen von wichtigen Konkurrenten zu finden sind. Dennoch kann dabei bereits eine grundlegende Weichenstellung für tiefergehende, detailliertere Recherchen geschaffen werden (GRAWATSCH, 2005, S. 81). An dieser Stelle liefern Expertenbefragungen (vgl. Kapitel 2.5.1.1) einen möglichen Anschluss- 128 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung punkt. Experten setzen sich aus fortschrittlich denkenden Kunden, Zulieferern sowie Fachpersonal aus wissenschaftlichen Institutionen wie auch dem eigenen Unternehmen zusammen und „verfügen über das am besten verarbeitete bzw. verknüpfte Wissen“ (GRAWATSCH, 2005, S. 81). Expertenbefragungen bieten somit eine effektive Möglichkeit, frühzeitig an konkrete Informationen über zukunftsrelevante technologische Lösungen zu gelangen. Selbigen Zweck erfüllen auch Patentanalysen (vgl. Kapitel 2.5.1.2). Patente stellen aufgrund ihrer Objektivität, leichten Zugänglichkeit sowie des implizierten technischen Wissens eine sehr mächtige Informationsquelle dar. Sie setzen automatisch die Entwicklung neuer technologischer Lösungen voraus. Die Analyse von Patentdaten führt somit automatisch zu stichhaltigen Erkenntnissen über neue Technologieoptionen. Abschließend muss jedoch erwähnt werden, dass die vorgestellten Hilfsmittel zur Technologieidentifikation nicht isoliert anzuwenden sind. Vielmehr wird eine kombinierte Anwendung der Instrumente empfohlen (GRAWATSCH, 2005, S. 80–81). Die anhand der aufgezeigten Hilfsmittel identifizierten Ansätze über technologische Lösungen sind in der Folge entsprechend zu benennen und als Technologieoption im Suchfeld festzulegen. Sie bilden den einen wesentlichen Teil der zu bewertenden Technologien. Den anderen Teil bilden die vom Unternehmen gegenwärtig eingesetzten Technologien im Suchfeld, die während der Gestaltung des Trendmodells bereits ermittelt wurden. Diese gleichzeitige Berücksichtigung von bewährten als auch neuen Technologieoptionen im Rahmen der multikriteriellen Bewertung erlaubt dem Unternehmen eine entsprechende Beurteilung, ob sich ein möglicherweise kosten- sowie ressourcenaufwändiger Wechsel von einer bewährten auf eine neue Technologie überhaupt als notwendig erweist. Bild 4.16 fasst zum Abschluss die Vorgehensweise zur Technologieidentifikation noch einmal zusammen. Die technologiespezifischen Signale aus der systemischen Exploration sind anhand der vorgestellten Hilfsmittel einer klassischen Technologiefrüherkennung so zu verdichten, dass neue technologische Lösungen im Suchfeld identifiziert werden können. Diese sind konkret zu benennen und um die gegenwärtig vom Unternehmen eingesetzten Technologien zu ergänzen. Der Pool an Technologieoptionen für die abschließende Technologiebewertung steht nun fest. Die einzelnen Technologieoptionen müssen nachfolgend jedoch noch einer umfassenden Beschreibung unterzogen werden. 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 129 technologiespezifische Signale Technologieidentifikation Suche nach neuen technologischen Lösungen Festlegung der zu bewertenden Technologieoptionen Technologieoptionen Bild 4.16: Vorgehensweise zur Technologieidentifikation Beschreibung der Technologieoptionen Die spezifische Beschreibung der einzelnen Technologieoptionen hinsichtlich charakteristischer Merkmale stellt eine notwendige Voraussetzung für eine aussagekräftige Technologiebewertung dar. So kann einerseits eine ausreichende Informationsbasis für die Bewertung geschaffen, andererseits aber auch das Technologieverständnis an sich sowie die Vergleichbarkeit bzw. Klassifizierbarkeit der einzelnen Technologieoptionen gefördert werden (vgl. Kapitel 2.1.2). Besonders vor dem Hintergrund der eingangs der Arbeit geschilderten Problematik bzgl. einer oftmals lückenhaften und unsicheren Informationslage, die sich aus der hohen Komplexität, Dynamik sowie Verflochtenheit von Technologieentstehung und -entwicklung ergibt (vgl. Kapitel 1.2), ist es äußerst wichtig, dass durch das gezielte Zusammenführen bzw. Verknüpfen von Bewertungsinformationen aus verschiedenen Informationsklassen dennoch eine möglichst vollständige und durchgängige Datenbasis geschaffen wird (SERVATIUS & PEIFFER, 1992, S. 79). KRÖLL liefert vor diesem Hintergrund eine Reihe von Informationsklassen, die eine Technologiebeschreibung aus allgemeingültigen Blickwinkeln ermöglicht (vgl. Kapitel 2.1.2). Aus den dadurch „verfügbaren Informationsbausteinen wird zum einen schrittweise eine genauere Beschreibung und Abgrenzung der betreffenden Technologie zusammengeführt. Zum anderen dienen die Informationsklassen der iterativen Vergrößerung und Verfeinerung des Bestandes an Bewertungsinformationen“ (SERVATIUS & PEIFFER, 1992, S. 80). Die von KRÖLL vorgeschlagenen Informationsklassen zur Beschreibung von 130 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung Technologien bilden somit den Rahmen der Merkmalsklassen zur Technologiebeschreibung im Rahmen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung und werden im Hinblick auf den nachfolgenden Bewertungsschritt entsprechend angepasst bzw. erweitert. Diese angepassten bzw. erweiterten Merkmalsklassen mit ihren wesentlichen Anhalts- bzw. Orientierungspunkten werden im Folgenden näher vorgestellt: Funktionale Merkmale: Funktionsprinzip, Anwendungshinweise; Inhaltliche Merkmale: Entwicklungsstand, Forschungsschwerpunkte, Anwendungsgebiete, Materialien, Bauformen; Qualitative Merkmale: Umsetzbarkeit, charakteristische Eigenschaften, Zu- verlässigkeit, Flexibilität, Automatisierbarkeit, Instandhaltbarkeit, Umweltbeeinflussung; Zeitliche Merkmale: Beschaffungsdauer, Entwicklungsdauer, Wettbewerbs- druck durch Konkurrenz; Wirtschaftliche Merkmale: rechtlicher Schutz, Investitionsbedarf, Entwicklungsaufwand, Energieverbrauch; Personelle Merkmale: Mitarbeiterqualifikation, Personalbedarf. Wie bei der Technologieidentifikation sind auch zur Technologiebeschreibung die klassischen Informationsquellen wie Patentanalysen, Expertengesprächen sowie die Analyse forschungsspezifischer Literatur in gedruckter Form oder im Internet zu verwenden (GRAWATSCH, 2005, S. 84). Speziell zur Einschätzung des Entwicklungsstands einer Technologie sowie der damit verbundenen Forschungsschwerpunkte hilft auch eine Orientierung an den in Kapitel 2.5.1.4 vorgestellten Indikatoren der gewöhnlichen S-Kurven-Analyse nach TRIZ. Zudem können auch gezielte Nachforschungen bzw. Recherchen im eigenen Unternehmen wichtige Informationen liefern, da fachspezifisches Wissen dort oftmals direkt zugänglich ist. Die mittels der aufgezeigten Recherchemethoden gesammelten Informationen zu den jeweiligen Merkmalsklassen sind abschließend zu einer durchgängigen und möglichst vollständigen Datenbasis zu verknüpfen. Bild 4.17 liefert nochmals eine Zusammenfassung der Vorgehensweise zur Beschreibung der zu bewertenden Technologieoptionen. Über die vorgestellten Informationsquellen sind dafür zunächst technologiespezifische Informationen gemäß der vorgegebenen Merkmalsklassen zu recherchieren. Im Anschluss sind die Technologieoptionen anhand der gesammelten Informationen datentechnisch zu beschreiben. Auf diese Weise lassen sich die einzelnen Technologieoptionen der nachfolgenden Bewertung zugänglich machen. 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 131 Technologieoptionen Beschreibung der Technologieoptionen Recherche technologiespezifischer Informationen Datentechnische Beschreibung der Technologieoptionen bewertbare Technologieoptionen Bild 4.17: Vorgehensweise zur Beschreibung der Technologieoptionen 4.2.4 Phase 4 – Multikriterielle Technologiebewertung Die finale Phase der vorgestellten Methode stützt sich auf den Kernaspekt einer multikriteriellen Technologiebewertung. Damit soll eine kombinierte Potentialbestimmung für die im Suchfeld bestimmten Technologieoptionen hinsichtlich der Dimensionen Technologiepotential, Zukunftspotential und Unternehmenspotential erreicht werden, die wiederum eine Auswahl von zukunftssicheren Technologieoptionen erlaubt. Die drei Bewertungsdimensionen sind nach unterschiedlich gewichteten Bewertungskriterien aufgeschlüsselt und gezielt so gewählt, dass neben differenzierten Aussagen über das Potential der einzelnen Technologieoptionen auch Aussagen über das grundsätzliche Potential des Unternehmens zur Technologieumsetzung getätigt werden können. Das Bewertungsschema orientiert sich dabei am Prinzip der MultiAttribut-Ansätze einer multikriteriellen Entscheidungsunterstützung, das sich auf die simultane Bewertung einer bereits bekannten Menge an Alternativen anhand mehrerer, unterschiedlich gewichteter Kriterien stützt (vgl. Kapitel 2.4.2). „Das Ziel […] besteht in der Regel darin, diejenigen Alternativen zu identifizieren, die den Präferenzen der (des) Entscheidungsträger(s) am besten gerecht werden“ (OBERSCHMIDT, 2010, S. 58). Dafür ist es wichtig, dass das Grundgerüst der Bewertungskriterien zunächst systematisch aufbereitet und in einen leicht nachvollziehbaren sowie widerspruchsfreien Bewertungsrahmen gefasst wird. Anschließend erfolgt die eigentliche Durchführung der multikriteriellen Bewertung, bei der die Teilpotentiale je Technologieoptionen bestimmt und zu den Gesamtpotentialen aggregiert werden. Auf Basis 132 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung der gewonnenen Bewertungsergebnisse lassen sich über ein Handlungsportfolio letztendlich konkrete Handlungsempfehlungen ableiten, die gezielt bei der Entscheidungsfindung unterstützen sollen. Mit der Konzipierung dieser Phase wird letztendlich auch sichergestellt, dass entsprechend der Anforderungen an eine zeitgemäße Technologiebewertung mehrere Technologieoptionen unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Kriterien systematisch und möglichst objektiv beurteilt werden können. Der aus dem aktuellen Forschungsstand abgeleiteten Forderung nach einem systematischen und multikriteriellen Bewertungsschema zur Sicherstellung aussagekräftiger Bewertungsergebnisse kann somit Folge geleistet werden (vgl. Kapitel 3.3). Aufbereitung der Bewertungskriterien Wie bereits eingangs der Arbeit geschildert, stehen Bewertungskriterien an sich zwar nicht für absolute sowie völlig objektive Größen, schaffen aber den wesentlichen Rahmen einer Bewertung und lenken deren Ergebnisse in Richtung der vorgegebenen Zielsetzung. Unternehmen müssen neben klassischen unternehmensinternen Kriterien, die vorrangig auf Funktionalität oder Wirtschaftlichkeit abzielen, heutzutage verstärkt auch unternehmensexterne Kriterien aus Bereichen wie Markt, Politik, Gesellschaft oder Umwelt berücksichtigen, was zu einem großen und teils insuffizienten Pool an möglichen Bewertungskriterien führt. Um trotz dieser Problematik vergleichbare und objektive Aussagen über die einzelnen Technologieoptionen tätigen sowie eine fundierte Entscheidung herbeiführen zu können, sind die für die Untersuchung relevanten Bewertungskriterien so festzulegen und zu gewichten, dass in der Folge eine widerspruchsfreie und nachvollziehbare Bewertung gewährleistet werden kann (vgl. Kapitel 1.2). Bei der Festlegung von Bewertungskriterien müssen demnach gewisse Grundregeln beachtet werden. BREIING & KNOSALA nennen vor diesem Hintergrund folgende Grundsätze, die verzerrten bzw. verfälschten Bewertungsergebnissen vorbeugen (BREIING & KNOSALA, 1997, S. 42–43): Vermeidung von sich inhaltlich überschneidenden Bewertungskriterien; Vermeidung von widersprüchlichen Bewertungskriterien; Vermeidung von gegenläufigen Bewertungskriterien. Im Rahmen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung ist diesen Grundsätzen durch eine eindeutige und gleichläufige Formulierung sowie präzise Beschreibung der gewünschten Kriterien entsprechend Folge zu leisten. So lässt sich ein widerspruchsfreies und nachvollziehbares Grundgerüst an Bewertungskriterien erarbeiten, das zur Bestimmung der einzelnen Potentialwerte herangezogen werden. Dieses Grundgerüst umfasst die drei übergeordneten Bewertungsdimensionen des Technologie-, Zukunfts- sowie Unternehmenspotentials, die wiederum durch 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 133 spezifische Bewertungskriterien untergliedert sind. Zur Verdeutlichung der Zusammensetzung bzw. hierarchischen Struktur der Kriterien zeigt Bild 4.18 das Grundgerüst in einer baumähnlichen Struktur (vgl. Kapitel 2.4.2). Technologiepotential Kriterien zur Bestimmung des Technologiepotentials sind vom Anwender in Absprache mit Interessensgruppen festzulegen und geben Auskunft über die Erfüllung von produkt-, unternehmens- und kundenspezifischen Anforderungen Zukunftspotential Erfüllungspotential hinsichtlich suchfeldspezifischem Szenario I suchfeldspezifischem Szenario II suchfeldspezifischem Szenario III Weiterentwicklungspotential Diversifikationspotential Reifegrad Multikriterielle Technologiebewertung Unternehmenspotential technologische Reife Ressourcenverfügbarkeit Reaktionsgeschwindigkeit rechtliche Lage Bild 4.18: Grundgerüst der Bewertungskriterien Die Bewertungsdimension des Technologiepotentials liefert Erkenntnisse, inwieweit die einzelnen Technologieoptionen die grundlegenden Anforderungen an das Suchfeld erfüllen, die sich im Einzelnen aus funktionalen Anforderungen des Produkts, kunden- sowie unternehmensspezifischen Anforderungen zusammensetzen. Unter funktionalen Anforderungen des Produkts werden in diesem Zusammenhang die notwendigen Kriterien verstanden, die das Suchfeld zu erfüllen hat, um die Funktionsfähigkeit des Produkts aufrecht zu erhalten (z.B. das Kriterium „elektrische Leitfähigkeit“ des Suchfelds „elektrischer Leiter“ als notwendige Voraussetzung für ein funktionierendes Produkt „Stromkabel“). Demgegenüber stehen unternehmens- und kundenspezifische Anforderungen für wesentliche Entscheidungskriterien seitens Interessensbereichen des Unternehmens sowie wichtiger Kunden (z.B. „Montagesi- 134 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung cherheit“ und „Instandhaltbarkeit“). Diese äquivalente Berücksichtigung von funktionalen, unternehmens- sowie kundenspezifischen Kriterien orientiert sich stark an der prinzipiellen Denkweise der „Main Parameters of Value Discovery“ im Rahmen der TRIZ-Methodik (vgl. Kapitel 2.5.1.4), die grundsätzlich zwischen strategischen und funktionalen Schlüsselattributen eines technischen Systems bzw. einer Komponente unterscheidet (Ikovenko, 2008, S. 9). Während strategische Attribute dabei eher allgemein formuliert sind und sich zumeist unmittelbar auf das Kaufverhalten der Kunden oder das Entscheidungsverhalten des Unternehmens auswirken, sind funktionale Parameter eher auf spezifische Merkmale wie z.B. die geometrischen, physikalischen, chemischen oder biologischen Eigenschaften ausgerichtet, die das charakteristische Verhalten des technischen Systems bzw. der Komponente bestimmen. Aufgrund dieser offenkundigen Abhängigkeit zwischen Schlüsselattributen und Betrachtungsobjekt muss der Anwender der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung die funktionalen, unternehmens- sowie kundenspezifischen Kriterien zur Bestimmung des Technologiepotentials in enger Absprache mit wichtigen Stakeholdern bzw. Interessensgruppen (z.B. wichtige Kunden, Einkaufsabteilungen, F&E, Fertigung und Montage, etc.) je nach Anwendungsfall festlegen (OBERSCHMIDT, 2010, S. 67). Die zweite Bewertungsdimension beurteilt das künftige Eignungspotential der einzelnen Technologieoptionen anhand ausgewählter Zukunftskriterien sowie deren Erfüllungspotential hinsichtlich des über die suchfeldspezifischen Szenarien aufgespannten Zukunftsraums. Im Gegensatz zu den Kriterien zur Bestimmung des Technologiepotentials werden die Zukunftskriterien für eine einheitliche Verwendbarkeit fest vorgegeben und dabei so ausgewählt, dass neben einer Beurteilung der gegenwärtigen Reife einer Technologieoption hinsichtlich eines serientauglichen Einsatzes in neuen Produktlösungen ferner auch abgeschätzt werden kann, inwieweit diese sich künftig noch verbessern lassen und Unternehmen dabei Möglichkeiten zur Diversifikation bieten. Im Detail setzen sich die einzelnen Kriterien wie folgt zusammen: Erfüllungspotential: Potential einer Technologieoption zur Erfüllung des Zukunftsraums, aufgespannt durch die suchfeldspezifischen Szenarien; Weiterentwicklungspotential: Potential einer Technologieoption zur künftigen Weiterentwicklung ihres Leistungsstands; Diversifikationspotential: Potential einer Technologieoption zur Ausweitung des Sortiments, z.B. zur Erweiterung des Produktsortiments, zur Erweiterung des Produktionsprogramms oder zur Erschließung neuer Märkte bzw. Anwendungsgebiete; 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 135 Reifegrad: Reife einer Technologieoption für einen serienfähigen Einsatz in künftigen Produktlösungen. Mit der Bewertungsdimension des Unternehmenspotentials wird abschließend beurteilt, inwieweit das Unternehmen überhaupt über das Potential verfügt, die einzelnen Technologieoptionen tatsächlich auch umsetzen zu können. Wie beim Zukunftspotential werden die Bewertungskriterien auch hier fest vorgegeben. Diese orientieren sich im Grunde an möglichen Kriterien zur Abschätzung der Ressourcenstärke in einem klassischen Technologie-Portfolio (vgl. Kapitel 2.5.2.4) und repräsentieren demzufolge unternehmensinterne Faktoren zur Beurteilung der technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Realisierbarkeit der Technologieoptionen durch das Unternehmen. Auch diese Kriterien werden nachfolgend im Einzelnen näher erläutert: Know-how: Verfügbarkeit des technologischen Know-hows im Unternehmen zur (Weiter-)Entwicklung bzw. Adaption einer Technologieoption; Ressourcenverfügbarkeit: Verfügbarkeit von finanziellen, sachlichen und personellen Ressourcen im Unternehmen zur (Weiter-)Entwicklung bzw. Adaption einer Technologieoption; Reaktionsgeschwindigkeit: Reaktionsgeschwindigkeit des Unternehmens zur (Weiter-)Entwicklung bzw. Adaption einer Technologieoption; rechtliche Lage: Möglichkeiten des Unternehmens, den Wettbewerbsvorsprung durch eine Technologieoption rechtlich zu schützen. Die Bewertungskriterien sind nun vollständig festgelegt. Im nächsten Schritt ist es notwendig, den Kriterien die vermittelten, subjektiven Wertvorstellungen bzw. Präferenzen der Interessensgruppen unter Berücksichtigung der wesentlichen Zielsetzung beizumessen. Diese Wertvorstellungen lassen sich in unterschiedlich gewichteten Bewertungskriterien ausdrücken. Als intuitive, leicht nachvollziehbare und dennoch systematische Möglichkeit zur Gewichtung der Bewertungskriterien bietet sich das Prinzip des paarweisen Vergleichs an (OBERSCHMIDT, 2010, S. 69–70). Dieses Prinzip sieht zunächst eine Gegenüberstellung aller Bewertungskriterien einer Bewertungsdimension in einer symmetrischen Matrix vor, wie sie beispielhaft in Bild 4.19 dargestellt ist. Es folgt ein paarweises Vergleichsschema, bei dem die Kriterien in den Zeilen der Reihe nach mit sämtlichen Kriterien in den Spalten anhand eines vorgegeben Maßstabs verglichen werden. Dieser Maßstab stützt sich auf eine intuitive Einschätzung, die dem Zeilenkriterium je nach Relevanz gegenüber dem Spaltenkriterium eine „1“, „0“ oder „-1“ zuweist. Wie Bild 4.19 zeigt, ist insgesamt nur eine Hälfte der Matrix zu befüllen. Die andere Hälfte lässt sich über eine Spiegelung der Zellenwerte an der Hauptdiagonalen ermitteln. Dabei muss folgende Bedingung erfüllt werden (EVERSHEIM, LIESTMANN & W INKELMANN, 2006, S. 438): 136 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 4.1 rij + rji = 0 r Relevanz (-1, 0, 1) i Zeilennummer (Kriterium) j Spaltennummer (Kriterium) Über eine Relativierung der Gewichtungssummen (Zeilensummen) lassen sich nun die relativen Gewichtungsfaktoren der einzelnen Bewertungskriterien ermitteln. Hierfür sind folgende Rechenschritte notwendig (EVERSHEIM ET AL., 2006, S. 438–439): n Z i rij 4.2 j 1 n zi rij n 4.3 j 1 gi zi 4.4 n z i 1 i r Relevanz (-1, 0, 1) i Zeilennummer (Kriterium) j Spaltennummer (Kriterium) n Anzahl der Kriterien (1, 2, …, N) Zi Gewichtungssumme bzw. Zeilensumme zi relative Gewichtungssumme gi relativer Gewichtungsfaktor Kriterium 3 Kriterium 4 Kriterium 5 Gewichtungssumme Relative Gewichtungssumme Relativer Gewichtungsfaktor Kriterium 1 Kriterium 2 Vergleichsmaßstab: 1: Zeilenkriterium wichtiger als Spaltenkriterium 0: Kriterien gleichbedeutend -1: Zeilenkriterium weniger wichtig als Spaltenkriterium Kriterium 1 Gewichtung der Bewertungskriterien über paarweisen Vergleich -1 0 -1 -1 -3 1 0,05 1 0 -1 1 5 0,25 1 0 0 4 0,20 1 1 5 0,25 1 5 0,25 Kriterium 2 1 Kriterium 3 0 -1 Kriterium 4 1 0 -1 Kriterium 5 1 1 0 -1 Bild 4.19: Beispiel einer paarweisen Vergleichsmatrix in Anlehnung an EVERSHEIM, LIESTMANN & W INKELMANN, 2006, S. 438 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 137 Die Vorgehensweise zur Aufbereitung der Bewertungskriterien wird in Bild 4.20 noch einmal abschließend zusammengefasst. Dabei ist es zunächst notwendig, dass produkt-, kunden- sowie unternehmensspezifische Bewertungskriterien zur Bestimmung des Technologiepotentials in enger Absprache mit Interessensgruppen des Unternehmens (Entwicklung, Fertigung, Einkauf etc.) festgelegt werden. Dabei ist besonders auf die erwähnten Grundregeln von BREIING & KNOSALA für eine wesensgerechte Festlegung der Bewertungskriterien zu achten. Die Kriterien zur Bestimmung von Unternehmens- und Zukunftspotential sind demgegenüber fest vorgegeben. Anschließend sind die Bewertungskriterien der drei Bewertungsdimensionen nach dem Schema des paarweisen Vergleichs zu gewichten, so dass der Bewertungsrahmen für die nachfolgende Bestimmung der Potentiale entsprechend vervollständigt werden kann. bewertbare Technologieoptionen Aufbereitung der Bewertungskriterien Festlegung der Bewertungskriterien zur Potentialbestimmung Gewichtung der Bewertungskriterien über paarweisen Vergleich Bewertungsrahmen Bild 4.20: Vorgehensweise zur Aufbereitung der Bewertungskriterien Multikriterielle Bewertung Auf Basis des vollständigen Bewertungsrahmens erfolgt nun die eigentliche multikriterielle Bewertung, bei der die Teilpotentiale je Technologieoption bestimmt und zu den drei Gesamtpotentialen aggregiert werden. Die Vorteile eines multikriteriellen Bewertungsmodells liegen in der parallelen Berücksichtigung und systematischen Verarbeitung von qualitativen sowie quantitativen Informationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Dadurch können deutlich aussagekräftigere Bewertungsergebnisse realisiert werden als bei klassischen Bewertungsmodellen, die sich oftmals auf eine reine Monetarisierung von Bewertungsgrößen stützen (OBERSCHMIDT, 2010, 138 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung S. 55–56) oder durch vereinfachte, unsystematische Bewertungsschritte gekennzeichnet sind (vgl. Kapitel 3.2). Im Rahmen der multikriteriellen Bewertung wird grundsätzlich zwischen der amerikanischen und der europäischen Schule unterschieden. Die amerikanische Schule stützt sich auf die Annahme, dass Entscheidungsträger sich ihrer Präferenzen bewusst sind, und verfolgt das Ziel, diese Präferenzvorstellungen „in transparenter Weise offenzulegen“ und über eine Nutzenfunktion zu einem Gesamtnutzen zu aggregieren (OBERSCHMIDT, 2010, S. 59). Die europäische Schule widerspricht dieser Sichtweise und will insbesondere die möglichen Konsequenzen von unklaren bzw. widersprüchlichen Präferenzvorstellungen aufzeigen (vgl. Kapitel 2.4.2). Die Methode zur TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung nutzt vor diesem Hintergrund den Ansatz der amerikanischen Schule, da auf diese Weise die Präferenzen der Interessensgruppen entsprechend ihrer konkreten Erwartungshaltungen bzw. Zielvorstellungen eindeutig zum Ausdruck gebracht und in der Bewertung berücksichtigt werden können. Demzufolge werden die Gesamtpotentiale der jeweiligen Technologieoptionen über eine Aggregation der Teilpotentiale hinsichtlich der unterschiedlich gewichteten Bewertungskriterien ermittelt (vgl. Kapitel 2.4.2). Das Konzept zur Zuweisung und Aggregation der besagten Teilpotentiale ist dabei an das klassische Schema einer Nutzwert-Analyse angelehnt (vgl. Kapitel 2.5.2.2). Die Gegenüberstellung der zu bewertenden Technologieoptionen mit den jeweiligen Bewertungskriterien der drei Bewertungsdimensionen zusammen mit deren Gewichtungsfaktoren erfolgt in drei einheitlich aufgebauten Bewertungsmatrizen, die in Bild 4.21 beispielhaft dargestellt sind. In diesen Matrizen muss schließlich für jede Technologieoption eine Potentialabschätzung hinsichtlich der aufgeführten Bewertungskriterien durchgeführt werden. Dafür trägt man in die vorgesehen Zellen einen entsprechenden Potentialwert anhand eines vorgegebenen Maßstabs ein. Im Wesentlichen stützt sich diese Potentialabschätzung auf die umfassenden Informationen, die im Rahmen der Beschreibung der Technologieoptionen gesammelt wurden. Über eine Multiplikation der kriterienspezifischen Gewichtungsfaktoren mit den kriterienspezifischen Potentialwerten lassen sich in der Folge die Teilpotentiale der Technologieoptionen ermitteln. Diese werden abschließend zu den Gesamtpotentialen aufsummiert, so dass ein Vergleich bzw. eine Priorisierung der einzelnen Technologieoptionen ermöglicht werden kann. Für eine korrekte Durchführung der multikriteriellen Bewertung sind jedoch noch letzte Details zu klären. Für die Skalierung des Bewertungsmaßstabs wird vor diesem Hintergrund die typische Aufschlüsselung von „0“ (nicht vorhanden) bis „10“ (sehr hoch) verwendet (EVERSHEIM ET AL., 2006, S. 437). Außer- 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 139 dem werden nachfolgend noch die notwendigen Berechnungsschritte zur Bestimmung von Teil- sowie Gesamtpotential aufgeführt: p ji g i * a ji 4.5 n Pj p ji 4.6 i 1 a Potentialabschätzung (0, 1, 2, …, 10) gi relativer Gewichtungsfaktor i Zeilennummer (Kriterium) j Spaltennummer (Technologieoption) n Anzahl der Kriterien pji Teilpotential einer Technologieoption je Kriterium Pj Gesamtpotential einer Technologieoption Bewertungsmatrix zur Bestimmung des Unternehmenspotentials Technologieoption 1 Technologieoption 1 Technologieoption 1 Technologieoption 2 Technologieoption 2 Technologieoption 2 Technologieoption 3 Technologieoption 3 Technologieoption 3 … … … … … … … … … … … … … … … … … … Technologieoption 10 Technologieoption 10 Technologieoption 10 Relative Gewichtung Relative Gewichtung Relative Gewichtung Bewertungsmatrix zur Bestimmung des Zukunftspotentials Bewertungsmaßstab: 0: nicht ausgeprägt Bewertungsmatrix zur Bestimmung des Technologiepotentials 1-3: schlecht ausgeprägt Bewertungsmaßstab: 4-6: moderat ausgeprägt 0: nicht ausgeprägt 7-9: gut ausgeprägt 1-3: schlecht ausgeprägt Bewertungsmaßstab: sehr gut ausgeprägt 4-6:10: moderat ausgeprägt 0: nicht vorhanden 7-9: gut ausgeprägt 1-3: gering 10: sehr gut ausgeprägt 4-6: moderat 7-9:Kriterium hoch 1 0,05 3 7 2 10: sehr hoch Kriterium 0,25 3 5 7 9 2 5 Kriterium 1 2 0,05 Kriterium Kriterium 2 3 Zuverlässigkeit … 3 Kriterium Montagefähigkeit Kriterium N … Umweltverträglichkeit 3 3 9 0,203 5 6 7 9 4 2 5 5 0,25 0,05 3 9 8 0,20 5 6 0,25 9 8 0,20 0,256 9 4 14 5 5 85 7 Technologiepotential Kriterium N 0,25 1 4,2 8 7,8 7 5,9 … Technologiepotential Flexibilität 0,25 1 4,2 8 7,8 7 5,9 Gesamtpotential 4,2 7,8 5,9 1 8 1 6,7 1 6,7 6,7 Bild 4.21: Beispielhafte Darstellung der Bewertungsmatrizen zur Bestimmung der Gesamtpotentiale Gesondert zu betrachten ist die Bestimmung des Zukunftspotentials. Dabei ist das Kriterium des Erfüllungspotentials zusätzlich in drei Subkriterien untergliedert, die durch die suchfeldspezifischen Szenarien repräsentiert werden. Diese Subkriterien werden über die abgeschätzten Eintrittswahrscheinlichkeiten der suchfeldspezifischen Szenarien gewichtet. Das Erfüllungspotential wird daher zunächst wie ein Ge- 140 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung samtpotential über Formel 4.6 berechnet. Im Anschluss fließt der berechnete Gesamtwert des Erfüllungspotentials dann gemäß seines kriterienspezifischen Gewichtungsfaktors als Teilpotential in die Berechnung des Zukunftspotentials ein. Insgesamt bietet die TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung also ein strukturiertes und systematisches Bewertungsmodell zur Bestimmung von Technologie-, Zukunfts- sowie Unternehmenspotential, das in der Folge eine Einordnung der Technologieoptionen in ein spezifisches Handlungsportfolio ermöglicht und maßgeblich bei der Entscheidungsfindung unterstützt. Bewertungsrahmen Multikriterielle Bewertung Bestimmung der Teilpotentiale je Technologieoption Aggregation der Teilpotentiale je Technologieoption zu Gesamtpotentialen Bewertungsergebnis Bild 4.22: Vorgehensweise zur multikriteriellen Bewertung der Technologieoptionen Eine abschließende Zusammenfassung der Vorgehensweise zur multikriteriellen Technologiebewertung im Rahmen der vorgestellten Methode liefert Bild 4.22. Im ersten Schritt werden dabei zunächst die entsprechenden Potentialabschätzungen je Technologieoption gemäß der im Bewertungsrahmen fest verankerten Bewertungskriterien getroffen. Über die vorgegebenen Bewertungsschritte werden daraus die jeweiligen Teilpotentiale ermittelt und zu den drei Gesamtwerten des Technologie-, Zukunfts- sowie Unternehmenspotentials aggregiert. Man erhält somit die finalen Bewertungsergebnisse für die einzelnen Technologieoptionen als Ausgangspunkt für die nachfolgende Ableitung von Handlungsempfehlungen. Ableitung von Handlungsempfehlungen Die Bewertungsergebnisse eignen sich aufgrund der Aufschlüsselung in drei Bewertungsdimensionen sehr gut für eine Überführung in ein Handlungsportfolio, das „zur 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 141 gedanklichen Strukturierung des Entscheidungsfeldes […] und damit zur Verbesserung der Handhabbarkeit der Probleme der strategischen Planung“ dient (PFEIFFER ET AL., 1989, S. 77). Speziell technologiebezogene Portfolio-Konzepte erlauben Unternehmen die Gegenüberstellung von technologiespezifischen Potentialen mit den spezifischen Unternehmenspotentialen zur Umsetzung der betrachteten Technologien, so dass im Anschluss Handlungsempfehlungen zur gezielten Unterstützung von Technologieentscheidungen abgeleitet werden können (WOLFRUM, 1991, S. 199). Das im Rahmen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung eingeführte Handlungsportfolio zur Visualisierung der Bewertungsergebnisse und simultanen Klassifizierung der einzelnen Technologieoptionen orientiert sich am Grundaufbau des Technologie-Portfolios nach PFEIFFER ET AL. (vgl. Kapitel 2.5.2.4), wird aber auf die spezifischen Rahmenbedingungen der vorgestellten Methode angepasst. Wie in Bild 4.23 zu sehen ist, umfasst das Portfolio neben der klassischen Darstellung der Dimensionen des Technologie- und Unternehmenspotentials in der Vertikalen bzw. Horizontalen demzufolge auch eine Visualisierung des Zukunftspotentials über die Größe des Kreisdurchmessers der korrespondierenden Technologieoptionen (großer Durchmesser = hohes Zukunftspotential). 10,0 J ? Kreisdurchmesser = Zukunftspotential Technologiepotential Technologieoption 1 Technologieoption 2 5,0 Technologieoption 3 0,0 L 0,0 ? 5,0 10,0 Unternehmenspotential Bild 4.23: Handlungsportfolio der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung 142 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung Des Weiteren ist das Portfolio in drei wesentliche Bereiche untergliedert, die eine Zuordnung der Technologieoptionen zu bestimmten Normstrategien ermöglichen. Diese sind an die klassischen Normstrategien zur Investition, Selektion und Desinvestition nach PFEIFFFER ET AL. angelehnt und gestalten sich im Einzelnen wie folgt (PFEIFFER ET AL., 1989, S. 99–102; W OLFRUM, 1991, S. 202): Abstoßen: Technologien in diesem Bereich erweisen sich für das Unternehmen als unattraktiv, da weder die Technologien das nötige Potential zur Erfüllung der produkt-, unternehmens- sowie kundenspezifischen Anforderungen im Suchfeld aufweisen, noch das Unternehmen so aufgestellt ist, dass die Technologien entsprechend umgesetzt werden können. Verfügen die Technologien in diesem Bereich nicht über ein bemerkenswertes Zukunftspotential, das bspw. eine querschnittliche Anwendung auch in anderen Einsatzbereichen ermöglicht, sind sie vom Unternehmen nicht weiter zu berücksichtigen. Ein solches Beispiel wäre Technologieoption 3 (vgl. Bild 4.23). Abwägen: Dieser Bereich unterscheidet grundsätzlich zwei Fälle. Im Fall eines geringen Technologie- sowie hohen Unternehmenspotentials ist abzuwägen, ob die Technologie aufgrund ihres Zukunftspotentials weiter berücksichtigt und gegebenenfalls durch gezielte F&E-Aktivitäten im Unternehmen zeitnah auf ein angemessenes Leistungsniveau gebracht werden kann. Im Fall eines hohen Technologie- sowie geringen Unternehmenspotentials ist dagegen abzuwägen, ob das Unternehmen dazu bereit ist, den technologischen Rückstand in absehbarer Zeit durch Zukauf oder eigene F&E-Aktivitäten aufzuholen. Bei dieser Abwägung spielt das Zukunftspotential eine wesentliche Rolle. Beispielsweise ist Technologieoption 1 durch ein so hohes Zukunftspotential gekennzeichnet, dass der notwendige Ressourcenaufwand zur Beschaffung oder Entwicklung der Technologieoption durchaus lohnenswert erscheint (vgl. Bild 4.23). Auswählen: Technologien in diesem Bereich erweisen sich aufgrund der hohen Technologieattraktivität sowie des hohen Unternehmenspotentials als besonders vielversprechende Option für die technologische Lösung im Suchfeld. Dennoch ist letztendlich das Zukunftspotential der Technologien als ausschlaggebendes Entscheidungskriterium hinsichtlich eines Einsatzes in künftigen Produktlösungen heranzuziehen. Technologieoption 2 wäre in diesem Fall nur vergleichsweise durchschnittlich ausgeprägt (vgl. Bild 4.23), weshalb sich die Frage stellt, ob nicht etwa Technologieoption 1 trotz des damit verbundenen Ressourcenaufwands die bessere Wahl wäre. 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 143 Die aufgezeigten Normstrategien sind jedoch keineswegs als feste Vorgaben zu verstehen. Sie sollen vielmehr richtungsweisend sein und müssen immer unter Berücksichtigung des konkreten Untersuchungsrahmens an die spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens angepasst sowie in konkrete Handlungsempfehlungen überführt werden. So kann sichergestellt werden, „ob es nicht zum Zwecke der Optimierung des Gesamtsystems, nötig wird, andere Systemteile uno actu mit zu verbessern“ (PFEIFFER ET AL., 1989, S. 102–103). Das vorgestellte Portfolio-Konzept liefert letztendlich also wichtige Wegweiser und technologiespezifische Erkenntnisse, die den Entscheidungsträgern aus dem Management bzw. den zuständigen Unternehmensbereichen als elementare Grundlage für deren endgültige Technologieentscheidung dienen (HAAG ET AL., 2011, S. 311). Auch für die der Methodenanwendung und anschließenden Technologieentscheidung nachgelagerten Phasen der strategischen Produktplanung (vgl. Kapitel 4.1), in denen die gewonnenen, technologischen Erkenntnisse dann zur Erarbeitung konkreter Produktvorschläge und Umsetzungspläne herangezogen werden, kann damit ein wesentlicher Beitrag geleistet (PAHL ET AL., 2007, S. 119–120). Bewertungsergebnis Ableitung von Handlungsempfehlungen Erstellung des Handlungsportfolios Handlungsempfehlungen Technologieentscheidung Bild 4.24: Vorgehensweise zur Ableitung von Handlungsempfehlungen Die Vorgehensweise zur Ableitung von Handlungsempfehlungen ist abschließend in Bild 4.24 dargestellt und wird nachfolgend noch einmal zusammengefasst. Die Bewertungsergebnisse der einzelnen Technologieoptionen werden dabei zunächst in das vorgestellte Handlungsportfolio überführt, das durch die drei Bewertungsdimensionen aufgespannt wird und eine Zuordnung der Technologieoptionen zu drei we- 144 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung sentlichen Normstrategien ermöglicht. Angeregt durch die Normstrategien sind schließlich Handlungsempfehlungen für die einzelnen Technologieoptionen abzuleiten, die als konkrete Wegweiser und wichtige Informationsgrundlage für die Entscheidungsträger aus dem Management bzw. den zuständigen Unternehmensbereichen dienen. Ferner kann auch ein entscheidender Input für die Phase zur Definition von Produkten geliefert werden, in der auf Basis der gewonnenen, technologischen Erkenntnisse letztendlich modifizierte oder gar neue Produktvorschläge erarbeitet werden können. 4.3 Excel-Tool für eine rechnergestützte Anwendung Unternehmen verfügen heute „über stark formalisierte und technisierte Entwicklungsprozesse bei immer kürzer werdenden Entwicklungszeiten, wodurch ein systematischer, durchgängiger Prozess benötigt wird, um Technologiealternativen abzubilden und anschließend zu bewerten“ (KRÖLL, 2007, S. 18). Neben der Erarbeitung eines schlüssigen methodischen Konzepts, das soeben ausführlich vorgestellt wurde, ist dafür auch der Entwurf eines Software-Tools für eine rechnergestützte Anwendung in der Praxis notwendig. Solche Tools lassen sich sehr leicht in die stark computergestützten Abläufe bzw. Prozesse eines Unternehmens integrieren und fördern somit eine praktikable, reproduzierbare sowie effiziente Handhabung der Bewertungsmethode (KRÖLL, 2007, S. 18; GLUCHOWSKI, GABRIEL & DITTMAR, 2008, S. 1). Diesen Umständen wird im Rahmen dieser Arbeit entsprechend Beachtung geschenkt und mit der Software Microsoft Office Excel ein strukturiertes sowie nachvollziehbares Tool entworfen, das den Anwender bei der Ausführung der Methode phasenspezifisch unterstützt. Microsoft Office Excel ist als Software allgemein bekannt und bietet umfassende Berechnungs- sowie Visualisierungsmöglichkeiten. Zudem kann der Funktionsumfang der Software über die Programmiersprache Visual Basic for Applications (VBA) entscheidend erweitert werden, was insgesamt zu einer deutlichen Verbesserung der anwenderseitigen Darstellung sowie Verknüpfung von Inhalten führt. Die Methode zur TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung dient der Unterstützung bzw. Vorbereitung von Technologieentscheidungen in der strategischen Produktplanung. Aus diesem Grund orientiert sich das Konzept des Excel-Tools am Grundgedanken eines klassischen Decision Support Systems (DSS), das Entscheidungsträger bzw. Interessensgruppen „mit Modellen, Methoden und problembezogenen Daten in ihrem Entscheidungsprozess“ assistiert (GLUCHOWSKI ET AL., 2008, S. 63). In Bild 4.25 sind zentrale Bestandteile abgebildet, die ein effektives DSS ent- 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 145 halten muss. Diese setzen sich aus Daten, Methoden, Modellen sowie einem Dialogsystem für die Kommunikation mit dem Anwender zusammen (GLUCHOWSKI ET AL., 2008, S. 66–67). GLUCHOWSKI ET AL. nennen zudem auch Berichte als wichtige Bestandteile eines DSS, jedoch sind diese „im Zeitalter des Desktop-Publishing kaum noch diskussionswürdig (GLUCHOWSKI ET AL., 2008, S. 71). Somit bestimmen lediglich die Bestandteile Daten, Methoden & Modelle sowie Dialoge den Grundaufbau des Excel-Tools zur TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung, welcher nachfolgend anhand der genannten Bestandteile entsprechend erläutert wird. Methoden Modelle Decision Support System Daten Dialoge Bild 4.25: Zentrale Aspekte eines Decision Support Systems in Anlehnung an GLUCHOWSKI, GABRIEL & DITTMAR, 2008, S. 67 Daten „Durch die Fokussierung auf abgegrenzte Entscheidungssituationen wird die volle Breite einer operativen Datenbasis“ im Rahmen dieses Excel-Tools nicht benötigt (GLUCHOWSKI ET AL., 2008, S. 70). Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass spezifische Daten und Informationen, die für die Untersuchung notwendig sind, mithilfe des Tools erfasst bzw. bereitgestellt und über einen durchgängigen Datenaustausch zwischen den einzelnen Ablaufschritten der Bewertungsmethode zielgerecht verarbeitet werden (GLUCHOWSKI ET AL., 2008, S. 70). Das Excel-Tool ist daher so aufgebaut, dass dem Anwender über Arbeitsanweisungen oder Hinweistabellen gezielt Anhalts- bzw. Orientierungspunkte zur Erfassung der notwendigen, untersuchungsspezifischen Daten und Informationen in den einzelnen Ablaufschritten der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung gege- 146 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung ben werden. Allgemein verwendbare Daten und Informationen wie z.B. die erweiterte Sammlung der TESE (vgl. Anhang A) oder die vorgegebenen Bewertungskriterien zur Bestimmung von Zukunfts- sowie Unternehmenspotential (vgl. Kapitel 4.2.4) werden dagegen über VBA-basierte Buttonfelder und Fenster bereitgestellt bzw. direkt in die dazugehörigen Ablaufschritte im Excel-Tool implementiert. Eine durchgängige Sammlung und Verarbeitung der untersuchungsrelevanten Daten und Informationen wird abschließend über vorgefertigte Tabellen, Matrizen und Steckbriefe sowie eine gezielte Verknüpfung zwischen den einzelnen Tabellenblättern des Excel-Tools sichergestellt. So kann ferner auch einem möglichen Daten- und Informationsverlust während der Anwendung vorgebeugt werden. Methoden und Modelle Eine weitere Voraussetzung für ein effektives Tool ist ein ausgeprägter Methodenund Modellcharakter, der sich aus einer logischen und funktional zusammenhängenden Struktur (Modellcharakter) sowie der entsprechenden Ausgestaltung durch spezifische Methoden- und Analyseelemente (Methodencharakter) ergibt (GLUCHOWSKI ET AL., 2008, S. 68–70). Dies erlaubt letztendlich „die Definition und Manipulation […] von Daten, Entscheidungsvariablen und deren funktionaler Zusammenhänge“ innerhalb eines durchgängigen, methodischen Konzepts zur gezielten Förderung der Herleitung von Handlungsempfehlungen (GLUCHOWSKI ET AL., 2008, S. 69). Vor diesem Hintergrund ergibt sich für jeden Ablaufschritt aus den vier Phasen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung (vgl. Kapitel 4.2.1 - 4.2.4) ein spezifisches Tabellenblatt, das die dazugehörigen Methoden- sowie Analyseelemente integriert (Trendmodell, Einflussanalyse, Konsistenzanalyse, paarweiser Vergleich, multikriterielle Bewertung, Handlungsportfolio etc.). Die einzelnen Tabellenblätter sind wiederum gemäß der charakteristischen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Ablaufschritten miteinander verknüpft und bilden schlussendlich das in Bild 4.26 dargestellte Modell des Excel-Tools. 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 147 Bild 4.26: Screenshot zum Ablaufmodell im Hauptmenü des Excel-Tools Dialogsystem Abschließend muss ein effektives Software-Tool noch mit einem durchdachten Dialogsystem ausgestattet sein, das dem Anwender neben wirksamen Steuerungsmöglichkeiten auch wichtige Hilfsfunktionen zur Verfügung stellt und eine einfache Interaktion ermöglicht. Gute Benutzeroberflächen bringen einerseits eine gewisse Systematik in die Arbeitsweise des Anwenders und verhindern somit den Rückfall in ein oftmals unstrukturiertes und sprunghaftes Problemlösungsverhalten. Andererseits wird auch die generelle Vertrautheit und Akzeptanz des Anwenders bzgl. des Software-Tools gefördert (GLUCHOWSKI ET AL., 2008, S. 68). Ein wesentlicher Teil des Dialogsystems im Excel-Tool zur TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung stützt sich daher auf eine durchgängige Steuerung über 148 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung eine standardisierte Navigationsleiste in sämtlichen Tabellenblättern. Diese ermöglicht das Vor- und Zurückspringen zwischen den jeweiligen Ablaufschritten und die dauerhafte Möglichkeit zum Rücksprung in das Hauptmenü mit den nötigen Basisinformationen sowie der Übersicht über das grundlegende Ablaufmodell. Darüber hinaus stellt die Navigationsleiste auch ein VBA-basiertes Buttonfeld zur Verfügung, mit dem der Anwender die entsprechenden Arbeitsanweisungen für die einzelnen Ablaufschritte in einem separaten Fenster öffnen und einsehen kann. Eine solche VBAbasierte Darstellung der Arbeitsanweisungen ist beispielhaft in Bild 4.27 abgebildet. Zur Verdeutlichung sind sowohl Buttonfeld als auch Fenster rot gekennzeichnet. Bild 4.27: Screenshot zur VBA-basierten Darstellung der Arbeitsanweisungen Neben dieser grundlegenden Hilfestellung zur Visualisierung der Arbeitsanweisungen sind in den einzelnen Tabellenblättern des Excel-Tools zudem noch erweiterte Hilfsfunktionen hinterlegt, die sich in Form von generellen Hinweisen zur Erleichterung der Anwendung, unterstützenden Kommentarfunktionen sowie einer entsprechenden Kennzeichnung der zu befüllenden Zellen niederschlagen. Einen Überblick über diese zusätzlichen Hilfsfunktionen (rote Kennzeichnung) liefert Bild 4.28. Im gesamten Excel-Tool wird zudem auch auf eine einheitliche und signalhafte Farbgebung geachtet, die die Orientierung des Anwenders zusätzlich erleichtert. Aus aufwandstechnischen Gründen wird allerdings empfohlen, die konkrete Befüllung des 4 TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung 149 Tools auf möglichst einen Hauptanwender zu beschränken und gemäß der spezifischen Hinweise in den einzelnen Ablaufschritten durch fachliche Meinungen von Interessensgruppen zu unterstützen. Durch die benutzerfreundliche Gestaltung des Tools wird jedoch sichergestellt, dass mögliche Anpassungen bzw. Durchsichten durch Dritte möglichst einfach und nachvollziehbar umgesetzt werden können. Einer interdisziplinären Anwendung der Bewertungsmethode im Rahmen von Projektgruppen steht daher nichts entgegen. Bild 4.28: Screenshot zu den erweiterten Hilfsfunktionen Abschließend kann gesagt werden, dass das vorgestellte Excel-Tool aufgrund der gezielten Berücksichtigung von zentralen Bestandteilen eines DSS nicht nur auf eine praktikable, reproduzierbare sowie effiziente Anwendung der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung in der Praxis abzielt, sondern vor allem auch auf eine zusätzliche Vereinfachung von Problemstrukturierung, Problemlösung und Entscheidungsprozess im Hinblick auf Technologieentscheidungen in der strategischen Produktplanung. 150 5 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG In diesem Kapitel wird die Methode zur TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung am Beispiel von Frequenzumrichtern der SIEMENS AG angewandt. Vor diesem Hintergrund muss zunächst der konkrete Untersuchungshintergrund geklärt werden. Für ein besseres Verständnis folgt weiterhin auch ein Überblick über den Aufbau und die prinzipielle Funktionsweise eines Frequenzumrichters. Im Anschluss werden mit dem erarbeiteten methodischen Konzept neben bewährten insbesondere neue, alternative Technologien zur elektrischen und mechanischen Anbindung von Leistungshalbleitern in Frequenzumrichtern identifiziert und bzgl. ihres künftigen Einsatzpotentials bewertet. 5.1 Der Frequenzumrichter als Praxisbeispiel 5.1.1 Aufbau und Funktionsweise Im Hinblick auf eine effektive und effiziente Nutzung von Maschinen setzt das industrielle Gewerbe schon seit etwa einem Jahrhundert auf Antriebslösungen mit variabler Drehzahl (ZVEI, 2013, S. 4). Genügte anfänglich noch eine triviale, grobe Stufenregelung der Drehzahl über einfache Getriebe, erfordern die zunehmende Automatisierung in sämtlichen Bereichen der Industrie sowie die steigenden Energiepreise mittlerweile jedoch deutlich leistungsfähigere und energie- bzw. kostensparendere Lösungen. Frequenzumrichter erfüllen diese Anforderungen, indem sie eine stufenlose Anpassung von Drehzahl sowie Drehmoment eines gekoppelten Elektromotors ermöglichen und damit die Antriebsdynamik deutlich erhöhen. Besonders geeignet für die Koppelung mit einem Frequenzumrichter sind Drehstrommotoren, bei denen die elektrische Energie direkt vom statischen Teil (Ständer) auf den rotierenden Teil (Läufer) übertragen werden kann. Im Gegensatz zu Gleichstrommotoren ist bei Drehstrommotoren kein Stromwenderapparat zur Leistungsübertragung notwendig, wodurch neben einem hohen Wirkungsgrad auch ein deutlich reduzierter Wartungsbzw. Serviceaufwand gewährleistet werden kann. Der Frequenzumrichter, der dem Motor als elektronisches Stellelement vorgeschaltet ist, dient dann letztendlich der 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 151 Speisung und verlustarmen Drehzahlregelung des Motors durch die Erzeugung eines frequenzvariablen Drehspannungsnetzes (BROSCH, 2008, S. 4–6). Die Kombination aus Frequenzumrichter und Drehstrommotor als vielversprechende Antriebslösung ist mittlerweile in die unterschiedlichsten Einsatzgebiete vorgedrungen (W EIDAUER, 2011, S. 109). Diese reichen von Anwendungen in Pumpen, Lüftern, Transportsystemen oder Bearbeitungsmaschinen bis hin zu Extrudern, Mischern, Kränen, Aufzügen oder Textilmaschinen. Für die genannten Einsatzgebiete deckt der Leistungsbereich von Frequenzumrichtern die Bandbreite zwischen einigen Hundert Watt bis über 600 Kilowatt nahezu vollständig ab. Frequenzumrichter sind durch die Einhaltung von Schutz-, Netz-, Bedien- und Service-Standards für einen weltweiten Einsatz ausgelegt und lassen sich sowohl am Wechsel- als auch Drehspannungssystem betreiben (BROSCH, 2008, S. 14–15). Ferner verfügen sie „über eine große Anzahl an optionalen Hardwareerweiterungen und Softwarefunktionen. Durch die anwendungsspezifische Kombination der verschiedenen Optionen lassen sich Frequenzumrichter an fast alle Anforderungen anpassen“ (W EIDAUER, 2011, S. 109). Den Frequenzumrichtern liegen grundsätzlich jedoch die gleiche Funktionsweise sowie der gleiche Aufbau zugrunde. Bild 5.1 veranschaulicht diesen Aufbau und zeigt, wie die einzelnen Komponenten eines Umrichter-Systems zusammenwirken. Die über den Netzanschluss bereitgestellte Dreh-/Wechselspannung wird dabei zunächst durch einen Gleichrichter in einen Gleichspannungszwischenkreis eingespeist, wo Kondensatoren die elektrische Energie zwischenspeichern. Leistungshalbleiter wandeln in ihrer Funktion als Wechselrichter die Gleichspannung aus dem Zwischenkreis abschließend in ein in Frequenz und Spannung variables Drehspannungssystem zur Speisung des Elektromotors. Steuerung und Regelung des FrequenzumrichterBetriebs sowie Systemüberwachung erfolgen über eine leistungsunabhängige Steuerelektronik, die sich aus digitalen Mikroprozessoren, Signalprozessoren und integrierten Schaltkreisen zusammensetzt und über softwaregestützte Steuereinheiten betreiben lässt. Je nach Leistungsbereich des Frequenzumrichters müssen die Leistungshalbleiter jedoch entsprechend ihrer charakteristischen Schalteigenschaften ausgewählt werden (BROSCH, 2008, S. 16–17). In heutigen Frequenzumrichtern kommen vor diesem Hintergrund neben einfachen Dioden auch wesentlich leistungsfähigere Leistungshalbleiter wie Thyristoren oder Leistungstransistoren zum Einsatz. Bei Leistungstransistoren unterscheidet man zusätzlich noch zwischen Bipolartransistoren (BTRs), Feldeffekttransistoren (FETs) und Insulated-Gate-Bipolartransistoren (IGBTs), wobei letztere in heutigen Frequenzumrichtern die gängigste Lösung darstellen (BROSCH, 2008, S. 18–21; HEUMANN, 1991, S. 17). 152 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Frequenzumrichter Kühlsystem Netz Gleichrichter Wechselrichter Zwischenkreis (Kondensatoren) (Leistungselektronik) Motor (Leistungselektronik) Steuerelektronik Steuereinheit Bild 5.1: Verbindungstechniken Standardaufbau eines Frequenzumrichters in Anlehnung an BROSCH, 2008, S. 16; DÜRRSCHMIDT, 2007, S. 16–17 Die Leistungshalbleiter werden dabei in Modulform verbaut und sind durch Last- und Steueranschlüsse mit der Außenwelt verbunden (BROSCH, 2008, S. 21). Zum besseren Verständnis zeigt Bild 5.2 den Aufbau eines solchen Moduls mit besagten Lastund Steueranschlüssen sowie den weiteren Bestandteilen im Querschnitt (MOGLESTUE, 2013, S. 77). Last- und Steueranschlüsse Gehäuse elektrische Ankontaktierung innerhalb des Moduls Halbleiter-Chips Halbleiter-Chips Keramik Bodenplatte Kühlkörper Bild 5.2: Querschnitt durch einen Leistungshalbleiter nach MOGLESTUE, 2013, S. 77 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 153 Die hohe Wärmeentwicklung führt jedoch dazu, dass Leistungshalbleiter entsprechend gekühlt werden müssen. Zu diesem Zwecke werden heutzutage hauptsächlich metallische Kühlkörper oder Lüfter verwendet (DÜRRSCHMIDT, 2007, S. 16, BROSIUS, DAHL, EGELKRAUT, GROß, MÄRZ, PFEFFER, REINHARDT, SCHMAUCH & ZEUß, 2009, S. 83– 84). Abschließend sind noch Verbindungstechniken als wesentliche Bestandteile eines Frequenzumrichters zu nennen. Sie dienen der durchgängigen, elektrischen wie auch mechanischen Anbindung der einzelnen, elektronischen Komponenten im Umrichter-System und sind wesentliche Voraussetzungen für eine hohe Lebensdauer und Zuverlässigkeit des Frequenzumrichters (BEYER, IANCU & MERKEL, 1992, S. 9). Um diese Zuverlässigkeit sicherzustellen, müssen Verbindungstechniken grundlegende, funktionale Anforderungen erfüllen (BEYER ET AL., 1992, S. 36): elektrische Kontaktgabe bei unterschiedlichen mechanischen und thermischen Belastungen; mechanische Eigenschaften für sichere Verbindungen; Robustheit bei unterschiedlichen Einsatzbedingungen. Im Frequenzumrichter sind typischerweise vier Stellen zu finden, an denen Verbindungstechniken zum Einsatz kommen: Motoranschluss, Netzanschluss, strukturgebende Verbindungstechniken im Bauteil (z.B. Leiterplatte) sowie die spezifische Anbindung der Leistungshalbleiter. Letztere nehmen in diesem Praxisbeispiel die zentrale Rolle ein. 5.1.2 Untersuchungshintergrund Die Umrichtertechnik wird heutzutage durch drei wesentliche Trends geprägt: Steigerung der Energieeffizienz, Leistungsdichte und Usability (KRÄUßLICH, 2011, S. 21). Die SIEMENS AG als einer der führenden Hersteller von Frequenzumrichtern bietet vor diesem Hintergrund mittlerweile komplette Antriebsfamilien wie bspw. die SINAMICS-Familie im Niederspannungs- sowie Mittelspannungsbereich, die ein breites Leistungsspektrum abdeckt und durch „ein Höchstmaß an Flexibilität, Funktionalität und Effizienz“ gekennzeichnet ist (SIEMENS AG, 2014, S. 4). Insbesondere die rasante Weiterentwicklung der Leistungselektronik schafft dabei die Basis für flexible und effiziente Antriebslösungen. Die immer leistungsfähigeren Leistungshalbleiter ermöglichen in Verbindung „mit der Verkleinerung der Komponenten und der Reduzierung der Verlustleistungen“ eine deutliche Erhöhung der Leistungsdichten, Wirkungsgrade und somit auch der Energieeffizienz von Frequenzumrichtern (BROSIUS ET AL., 2009, S. 138). 154 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Speziell die Verbindungstechniken zwischen den Lastanschlüssen der Leistungshalbleiter und strukturgebenden Verbindungstechniken wie z.B. der Leiterplatte müssen sich diesen neuen Rahmenbedingungen anpassen und in den vielfältigen Einsatzbereichen der Frequenzumrichter eine zuverlässige mechanische wie auch elektrische Verbindung an der Schnittstelle gewährleisten. Neben den hohen elektrischen und mechanischen Belastungen müssen Verbindungstechniken dabei auch den unterschiedlichen Umgebungsbedingungen (Schmutz, Wasser, etc.) sowie der thermischen Belastung standhalten können (HÖRTH & RUHNAU, 2014, S. 1; SCHRÖDER, 2006, S. 772). Gleichzeitig spielt auch das Montageverhalten der Verbindungstechniken eine wichtige Rolle, da es die notwendigen Arbeitsschritte zur Umsetzung einer zuverlässigen sowie langlebigen Verbindung vorgibt und maßgeblich den Kostenund Ressourcenaufwand des Unternehmens für die Produktherstellung bestimmt. Die klassischen technologischen Lösungen zur spezifischen Anbindung der Leistungshalbleiter wie Schrauben, Löten oder Federkontaktierung sehen sich also mit großen Herausforderungen konfrontiert und müssen entsprechend weiterentwickelt oder um neue Alternativen ergänzt werden (BEYER ET AL., 1992, S. 9; SCHRÖDER, 2006, S. 772). Diese Umstände veranlassen die SIEMENS AG dazu, neben klassischen vor allem nach neuen, alternativen Technologien zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern zu suchen und diese bzgl. ihres künftigen Einsatzpotentials zu bewerten. Damit soll auf Technologieentscheidungen hingeführt werden, die es dem Unternehmen bereits frühzeitig ermöglichen, künftige Umrichterlösungen zukunftssicher zu gestalten. 5.2 Anwendung der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung Vor dem geschilderten Untersuchungshintergrund erfolgt eine Anwendung der TRIZund szenariobasierten Technologiebewertung am Praxisbeispiel von Frequenzumrichtern der SIEMENS AG. Die hierfür verwendeten, produktspezifischen Informationen beziehen sich auf Frequenzumrichter aus dem Niederspannungsbereich sowie einem Leistungsbereich zwischen 250 W und 100 kW innerhalb der SINAMICSFamilie (SIEMENS AG, 2014, S. 4–5). Der Großteil der Informationen ist auf eine Eigenrecherche im Unternehmen zurückzuführen, bei der neben den aktuellen Produkten auch frühere Produktgenerationen inspiziert und zum Teil auch bildlich dokumentiert wurden. Um dabei jedoch den Aufwand der Untersuchung in Grenzen zu halten und gleichzeitig einen einheitlichen Vergleichsmaßstab für die Suche und Be- 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 155 wertung von Technologieoptionen innerhalb eines relativ breiten Leistungsbereichs sicherzustellen, müssen gewisse Verallgemeinerungen hinsichtlich der Betrachtungsweise von Technologien getätigt werden. So werden bspw. die je nach Leistungsklasse verschiedenen Schraubentypen zur übergeordneten Technologie „Schraubverbindung“ zusammengefasst. Die Anwendung der Methode wird ferner auch durch das in Kapitel 4.3 vorgestellte Excel-Tool unterstützt. Im Rahmen dieses Praxisbeispiels werden daher immer wieder Auszüge aus dem Excel-Tool präsentiert, damit der Untersuchungshergang leichter nachvollzogen werden kann. Um parallel eine Einsicht der vollständigen Ergebnisse zu erhalten, werden gezielte Verweise auf Anhang B dieser Arbeit gegeben, der als Orientierungshilfe innerhalb des beigefügten Excel-Tools dient. Neben spezifischen, technologischen Erkenntnissen im Hinblick auf eine zukunftssichere Gestaltung künftiger Produktlösungen für Frequenzumrichter der SIEMENS AG lassen sich somit auch erste Erkenntnisse über die Praxistauglichkeit der vorgestellten Methode erlangen. Darüber hinaus kann durch den konkreten Praxisbezug auch das Methodenverständnis an sich gefördert werden. Die einzelnen Phasen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung mit ihren jeweiligen Ablaufschritten werden nachfolgend für dieses Praxisbeispiel durchlaufen und anhand ihrer spezifischen Inhalte beschrieben. 5.2.1 Vorbereitungsphase In der Vorbereitungsphase zur Festlegung sowie Konkretisierung von Themenbereich und Untersuchungsgegenstand wird anfänglich der konkrete Rahmen für die nachfolgende Untersuchung festgelegt. Es folgt die systemtechnische Strukturierung zur Zerlegung des betrachteten Produkts in seine wesentlichen Systemkomponenten und der Einordnung des spezifischen Suchfelds als solche. Untersuchungsrahmen Bereits in Kapitel 5.1 wurde der Frequenzumrichter als Praxisbeispiel vorgestellt und für ein besseres Verständnis hinsichtlich Aufbau und prinzipieller Funktionsweise näher beschrieben. Auch der konkrete Anlass der SIEMENS AG zur Anwendung der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung fand in diesem Kapitel Erwähnung. Somit sind die notwendigen Hintergrundinformationen erfasst und der Untersuchungsrahmen kann wie folgt festgelegt werden: Problemstellung: Verbindungstechniken zur Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern müssen sich zukünftig den immer leistungsfähigeren Leistungshalbleitern anpassen und sind zudem ein wesentlicher Kosten- 156 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG faktor im Rahmen der industriellen Fertigung bzw. Montage von Frequenzumrichtern; Untersuchungsziel: Suche und Bewertung von alternativen Technologien zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern im Hinblick auf eine zukunftsorientierte Produktentwicklung. Produkt: Frequenzumrichter; Produktspezifisches Suchfeld: Verbindungstechniken zur spezifischen Anbindung der Leistungshalbleiter. Nachdem Problemstellung und Zielsetzung sowie Produkt und Suchfeld entsprechend festgelegt sind, kann mit der systemtechnischen Strukturierung fortgefahren werden. Systemtechnische Strukturierung Der Frequenzumrichter gilt aufgrund seines in Kapitel 5.1.1 geschilderten Aufbaus als sehr komplexes Produkt. Diesem Umstand kann mit der systemtechnischen Strukturierung Rechnung getragen werden, da sie den Untersuchungsgegenstand in seine wesentlichen Komponenten zerlegt und eine systemische Betrachtungsweise schafft. Diese ermöglicht es, Problemstellungen innerhalb eines komplexen Umfelds zu systematisieren und den Lösungsweg wesentlich zu erleichtern. Gleichzeitig können damit auch die funktionalen Zusammenhänge innerhalb des Frequenzumrichters verdeutlicht werden, die im Hinblick auf die nachfolgenden Untersuchungen nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Als produktspezifisches Suchfeld werden die Verbindungstechniken zur Anbindung der Leistungshalbleiter zu Beginn der systemtechnischen Strukturierung automatisch als Systemkomponente des Frequenzumrichters auf Subsystemebene eingeordnet und sind anschließend in ihrer Funktion zu definieren: Suchfeldfunktion: elektrische und mechanische Verbindung; Funktionsbeschreibung: elektrische und mechanische Anbindung der Leistungshalbleiter an die strukturgebenden Verbindungstechniken im Bauteil (z.B. Leiterplatte). Der Frequenzumrichter, der nach dem in Kapitel 4.2.1 vorgestellten Systemverständnis als das zentrale technische System zu betrachten ist, wird daraufhin beschrieben und ebenso hinsichtlich seiner Funktion spezifiziert: Produktbeschreibung: Frequenzumrichter sind elektronische Geräte ohne mechanisch bewegte Komponenten. Sie sind einem Elektromotor als elektronisches Stellelement vorgeschaltet und erzeugen ein frequenzvariables Dreh- 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 157 spannungsnetz zur stufenlosen und verlustarmen Drehzahlregelung des Motors. Damit tragen sie entscheidend zur Erhöhung der Antriebsdynamik bei. Die Kombination aus Frequenzumrichter und Elektromotor ist mittlerweile in vielen verschiedenen Anwendungsbereichen etabliert; Produktfunktion: versorgt einen Elektromotor mit variabler Drehspannung; Funktionsbeschreibung: Die über den Netzanschluss zugeführte Dreh- bzw. Wechselspannung wird zunächst durch einen Gleichrichter in einen Gleichspannungszwischenkreis eingespeist, wo Kondensatoren die elektrische Energie zwischenspeichern. Die Leistungshalbleiter wandeln in ihrer Funktion als Wechselrichter die Gleichspannung aus dem Zwischenkreis abschließend in ein in Frequenz und Spannung variables Drehspannungssystem zur Speisung des Elektromotors um. Die Steuerung und Regelung des Frequenzumrichter-Betriebs sowie die Systemüberwachung erfolgen über eine leistungsunabhängige Steuerelektronik, die sich aus digitalen Mikroprozessoren, Signalprozessoren wie auch integrierten Schaltkreisen zusammensetzt und über softwaregestützte Steuereinheiten betreiben lässt. Mit Hilfe des verfeinerten TESE-Gesetzes zur Vollständigkeit der Systemkomponenten (vgl. Kapitel 4.2.1) werden in der Folge sowohl im Frequenzumrichter selbst als auch in dessen Umfeld die wesentlichen Komponenten bestimmt, die das funktionale Fundament eines technischen Systems gemäß der vier Hauptteile (Ausführungsteil, Übertragungsteil, Energiequelle und Kontrollteil) erfüllen. Jeder dieser Hauptteile muss dabei durch mindestens eine Komponente repräsentiert werden. Dabei ist zu beachten, dass die Systemkomponenten auf einer möglichst einheitlichen hierarchischen Ebene bestimmt und somit in ihrer Anzahl entsprechend beherrschbar gehalten werden. Der in Kapitel 5.1.1 beschriebene, prinzipielle Aufbau eines Frequenzumrichters mit seinen wesentlichen Bestandteilen liefert hier bereits konkrete Anhaltspunkte zur Identifikation der Systemkomponenten. Diese sind lediglich noch hinsichtlich Bezeichnung, Teilfunktion und Systemebene zu präzisieren. Analog ist auch der Elektromotor als zusätzliche Systemkomponente auf Supersystemebene festzulegen, da dieser als Zielkomponente des Frequenzumrichters direkt aus der Formulierung der Produktfunktion hervorgeht. Der Vollständigkeit halber werden das festgelegte Suchfeld und die übrigen identifizierten Systemkomponenten inkl. Bezeichnung, Hauptteil, Teilfunktion und Systemebene in Tabelle 5.1 zusammengefasst. Der Frequenzumrichter ist somit in seine wesentlichen Systemkomponenten samt Funktionen auf den jeweiligen Systemebenen zerlegt, was Bild 5.3 entsprechend verdeutlicht. Darunter befindet sich auch das Suchfeld der Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter als zentrales Element der weiteren Untersuchungen. Die Vorbereitungsphase ist demnach abgeschlossen. 158 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Tabelle 5.1: Zusammenfassung der Systemkomponenten des Frequenzumrichters Bezeichnung Hauptteil Teilfunktion Systemebene Leistungshalbleiter Ausführungsteil Umformung elektrischer Energie Subsystem Kühlsystem Übertragungsteil Abfuhr von Wärme Subsystem Steuerelektronik Übertragungsteil Übertragung von Daten und Informationen Subsystem Motoranschluss Übertragungsteil elektrische und mechanische Verbindung Subsystem Netzanschluss Übertragungsteil elektrische und mechanische Verbindung Subsystem Verbindungstechniken Bauteil Übertragungsteil elektrische und mechanische Verbindung Subsystem Verbindungstechniken Leistungshalbleiter Übertragungsteil elektrische und mechanische Verbindung Subsystem Kondensator Übertragungsteil Speicherung elektrischer Energie Subsystem Stromnetz Energiequelle Bereitstellung elektrischer Energie Supersystem Steuereinheit Kontrollteil Steuerung und Regelung des Systemverhaltens Supersystem Elektromotor Zielkomponente Umwandlung elektrischer Energie Supersystem Stromnetz Steuereinheit Elektromotor Frequenzumrichter Verbindungstechniken Bauteil Netzanschluss Motoranschluss Leistungshalbleiter Kondensator Kühlsystem Verbindungstechniken Leistungshalbleiter Komponenten des Supersystems Bild 5.3: Frequenzumrichter Steuerelektronik Komponenten im Frequenzumrichter Suchfeld im Frequenzumrichter Systemtechnische Strukturierung des Frequenzumrichters im Praxisbeispiel 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 159 5.2.2 Systemische Exploration Aufbauend auf die erarbeitete Systemstruktur verbindet die Phase der systemischen Exploration retro- sowie prospektive Analyseelemente der TRIZ-Methodik und Szenario-Analyse mit dem übergeordneten Ziel, spezifische Entwicklungsszenarien für das Suchfeld der Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern unter dem Einfluss signifikanter Trends bei Systemkomponenten zu erarbeiten. Mit den Szenarien wird dabei einerseits ein möglichst breiter Zukunftsraum für die Weiterentwicklung des Suchfelds aufgezeigt, der konkrete Signale über signifikante Evolutionslinien bzw. Trends für Verbindungstechnologien zur Anbindung der Leistungshalbleiter liefert. Andererseits fließen die Szenarien, die über eine Abschätzung ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit entsprechend gewichtet werden, auch als Teilkriterien zur Bestimmung des Zukunftspotentials in den abschließenden Bewertungsprozess ein. Gestaltung des Trendmodells Bei der Gestaltung des Trendmodells werden Produkt, Suchfeld und die weiteren Systemkomponenten in der in Kapitel 4.2.2 modifizierten Matrix des System Operators aus unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Perspektiven (Untergliederung nach Systemebenen sowie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) analysiert und spezifiziert, so dass letztendlich ein ganzheitliches sowie zukunftsorientiertes Verständnis von Funktionalität und Entwicklung des Frequenzumrichters mit seinen wesentlichen Komponenten geschaffen werden kann. Über das Excel-Tool wird dem Anwender dabei die vorgefertigte Trendmodell-Matrix bereitgestellt, so dass dieser nur noch die entsprechenden Felder zu befüllen hat. Um die Trendmodell-Matrix gemäß der Vorgaben aus Kapitel 4.2.2 befüllen zu können, müssen charakteristische Informationen über die Gegenwart und Vergangenheit von Produkt, Suchfeld sowie den weiteren Systemkomponenten gesammelt werden. Der Fokus liegt hier vor allem auf Informationen über die historische Evolution der für die wesentlichen Komponenten des Frequenzumrichters eingesetzten technologischen Lösungen. Die Informationsbeschaffung stützt sich dabei hauptsächlich auf eine unternehmensinterne Erforschung der Produkthistorie (Analyse aktueller Frequenzumrichter der SINAMICS-Familie, Exponate, Produktdokumentationen etc.), die wiederum um eine gezielte Recherche in fachspezifischer Literatur oder dem Internet ergänzt wird. Gerade letztgenannte Quellen liefern über Fachbücher, Patente oder Produktwerbung von Wettbewerbern wichtige Informationen jenseits der eigenen Unternehmensgrenzen und ermöglichen dadurch einen Blick über den Tellerrand hinaus. 160 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Ist eine ausreichende Informationsgrundlage geschaffen, kann mit der Beschreibung von Produkt, Suchfeld und den übrigen Systemkomponenten in der Zeitebene der Gegenwart begonnen werden. Der Frequenzumrichter ist hier anfänglich einer definitorischen Beschreibung zu unterziehen, die im Grunde der Produktbeschreibung aus der systemtechnischen Strukturierung entspricht. Eine analoge Beschreibung ist in der Folge auch für das Suchfeld sowie die weiteren Systemkomponenten aus Tabelle 5.1 zu tätigen. Darüber hinaus sind die technologischen Lösungen zu benennen, die gegenwärtig für die einzelnen Systemkomponenten eingesetzt werden. Bild 5.4 zeigt dazu einen Screenshot aus dem Excel-Tool mit einem Ausschnitt der Ergebnisse für die Beschreibung der System-Gegenwart. Das Suchfeld wird dabei bspw. als die elektrische und mechanische Anbindung der Leistungshalbleiter an die strukturgebenden Verbindungstechniken im Bauteil definiert. In den untersuchten Produkten der SIEMENS AG wird dies aktuell mittels Schraubverbindung, Selektiv-Löten oder Federkontaktierung gelöst. Für eine Einsicht der weiteren Ergebnisse hat man sich an Anhang B.2.1 zu orientieren. Bild 5.4: Screenshot aus dem Excel-Tool zur Beschreibung der System-Gegenwart Nun folgt der Blick in die Vergangenheit, bei dem charakteristische Evolutionsstufen des Frequenzumrichters in dessen Historie zu ermitteln sind. Diese gelten als einschneidende, zeitliche Abschnitte bzw. Meilensteine im Entwicklungsverlauf des Produkts, die durch grundlegende Veränderungen bei den Systemkomponenten gekennzeichnet sind und das technische System letzten Endes auf einen neuen Standard gehoben haben. Für eine erleichterte Bestimmung der charakteristischen Evolutionsstufen und ein besseres Verständnis der weiteren Untersuchungen erweist sich nachfolgend eine kurze Abhandlung der Technikgeschichte des Frequenzumrichters als sinnvoll. 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 161 Schon in den Anfängen der kommerziellen Nutzung von Elektrizität suchte man nach Möglichkeiten, elektrischen Strom zu wandeln oder hinsichtlich Spannung und Frequenz zu variieren. Als Vorreiter der Stromrichtertechnik wurden zu diesem Zwecke zunächst rotierende, mechanische Umformer – bestehend aus einem Motor, einem Generator und einer Welle – eingesetzt, die aufgrund der hohen mechanischen Belastungen sowie des nicht unerheblichen Wartungsaufwands mit erheblichen Nachteilen behaftet waren (MOGLESTUE, 2013, S. 71). Bedingt durch den weltweiten Vormarsch von großflächigen Energieversorgungsnetzen und Elektromotoren in Gewerbe und Industrie führte der Weg zu Beginn des 20. Jahrhunderts schnell weg von mechanischen Antriebslösungen hin zu elektrischen Stellgeräten auf Basis von Quecksilberdampfröhren (W EIDAUER, 2011, S. 15). Mit diesen Dampfröhren konnten Gasentladungsventile realisiert werden, die periodisches Schalten über die elektrische Entladung eines Lichtbogens ermöglichten und insbesondere zur Umformung von Wechsel- bzw. Drehstrom in regelbaren Gleichstrom eingesetzt wurden. Dies war quasi die Geburtsstunde der Leistungselektronik (HEUMANN, 1991, S. 19–20). In der Folge wurden Quecksilberdampfventile noch bis Mitte der 1960er Jahre in Antriebslösungen verbaut, bis sie sich letztendlich dem Vormarsch der Leistungshalbleiter auf Basis von Silizium-Bauelementen geschlagen geben mussten. Letztere hatten sich innerhalb weniger Jahre als betriebssichere Lösungen in der elektrischen Antriebstechnik etabliert und bieten zahlreiche Vorteile. Als solche sind insbesondere der Verzicht auf giftiges Quecksilber, die höheren Leistungsdichten, die geringeren Verluste sowie die deutlich kleineren bzw. leichteren Bauformen zu nennen (JÄGER & STEIN, 2011, S. 13–14; MOGLESTUE, 2013, S. 74). Durch die 1968 von DANFOSS ersten in Serie gefertigten, leistungselektronischen Frequenzumrichter auf Basis solcher Leistungshalbleiter begann schließlich das Zeitalter der stufenlosen sowie verlustarmen Drehzahlregelung von Drehstrommotoren. Die ersten Frequenzumrichter nutzten Thyristoren als Leistungshalbleiter, waren äußerst sperrig und wurden in Ölbädern gekühlt. Die Steuerung erfolgte über Drahtbrücken (BROSCH, 2009, S. 209; DÜRRSCHMIDT, 2007, S. 16). Mit dem Verbau von FETs als Leistungshalbleiter mit verbesserten Eigenschaften, der Kühlung über Kühlkörper und Lüfter sowie dem Einsatz von speicherprogrammierbaren Steuerungen konnte Mitte der 1970er Jahre eine neue Generation von Frequenzumrichtern eingeleitet werden (HEUMANN, 1991, S. 18; DÜRRSCHMIDT, 2007, S. 16). 162 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Im Laufe der 1980er Jahre ging man vollends zur digitalen Steuerung über integrierte Schaltkreise, Mikroprozessoren und umfangreiche Software über. In Verbindung mit neu entwickelten und wesentlich leistungsfähigeren Leistungshalbleitern (GTOThyristoren, IGCTs, IGBTs) konnten außerdem die Bauformen der Frequenzumrichter weiter verkleinert und eine Vielzahl von neuen Anwendungsgebieten erschlossen werden (DÜRRSCHMIDT, 2007, S. 16–17; HEUMANN, 1991, S. 18–20; MOGLESTUE, 2013, S. 75–78). Die aktuelle Generation der Frequenzumrichter im 21. Jahrhundert ist vor allem durch kompakte und modulare Lösungen geprägt, die aufgrund der Fortschritte im Bereich der Mikroelektronik sowie Steuerungs- und Regelungstechnik immer intelligenter werden und sich auch dezentral steuern lassen. Darüber hinaus ist der Fortschritt im Bereich der Leistungshalbleiter durch die Schlagworte Leistungsdichte, System-Integration, Zuverlässigkeit und Energieeffizienz geprägt (DÜRRSCHMIDT, 2007, S. 17; MERTENS, 2006, S. 6–10). Lässt man die Vorstufen der leistungselektronischen Frequenzumrichter (rotierende Umformer, Quecksilberdampfventile) außer Acht, ergeben sich aus der Abhandlung der Technikgeschichte letztendlich vier charakteristische Evolutionsstufen zur Beschreibung der System-Historie in der Trendmodell-Matrix. Diese Evolutionsstufen müssen jedoch noch entsprechend spezifiziert werden. Angelehnt an die Technikgeschichte ist dabei der Produktfortschritt in den einzelnen Evolutionsstufen des Frequenzumrichters anhand charakteristischer Merkmale zu beschreiben. Anschließend werden für das Suchfeld der Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter sowie für die weiteren Systemkomponenten die konkreten technologischen Lösungen benannt, die in den einzelnen Evolutionsstufen eingesetzt wurden. Weiterhin ist der Komponentenfortschritt anhand charakteristischer Merkmale zu beschreiben, die sich durch verbesserte bzw. neue technologische Lösungen weiterentwickelt haben. Bild 5.5 liefert vor diesem Hintergrund einen Auszug der Ergebnisse zur Beschreibung der System-Historie im Rahmen dieses Praxisbeispiels. 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Bild 5.5: 163 Screenshot aus dem Excel-Tool zur Beschreibung der System-Historie Insgesamt wird deutlich, dass die Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter im Suchfeld mit dem stetigen Fortschritt im Bereich der Leistungselektronik Schritt halten und sich den veränderten Anforderungen entsprechend anpassen mussten. Genügten neben klassischen Schraub- anfänglich auch konventionelle Löt- oder Kabelverbindungen zur Anbindung der Thyristoren und FETs, mussten die technologischen Lösungen – bedingt durch die Einführung von immer leistungsfähigeren Leistungshalbleitern mit kompakteren Bauformen ab Mitte der 1980er Jahre – in der Folge gezielt weiterentwickelt und um neue Alternativen wie bspw. das Selektiv-Löten oder die Federkontaktierung ergänzt werden. Neben einer Erhöhung der Zuverlässigkeit und Lebensdauer der Verbindungen rückte dabei auch verstärkt die Reduktion von Montageaufwand, kosten und -zeit in den Vordergrund (BEYER ET AL., 1992, S. 9). Der beschriebene Fortschritt im Bereich der Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung von Leistungshalbleitern entlang der Historie der Frequenzumrichter wird anhand bildlich dokumentierter Beispiele aus der Eigenrecherche bei der SIEMENS AG in Bild 5.6 abschließend noch einmal verdeutlicht. Die vollständigen Ergebnisse zur Historie der übrigen Systemkomponenten sind wiederum dem beigefügten ExcelTool über eine entsprechende Orientierung an Anhang B.2.1 zu entnehmen. 164 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 1970er Jahre: Anbindung der Leistungshalbleiter über Kabel- sowie Schraubverbindungen und konventionelles Löten Heute: Anbindung der Leistungshalbleiter über Selektiv-Löten, Schraubverbindungen und Federkontaktierung (v. l. n. r.) Bild 5.6: Historische Entwicklung der Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung von Leistungshalbleitern in Frequenzumrichtern (Bildquellen: FLORIAN HEID) Nachdem nun Gegenwart und Historie des Frequenzumrichters nach dem implementierten Systemverständnis umfassend beschrieben sind, folgt der Ausblick in die Zukunft zur Vervollständigung der Trendmodell-Matrix. Gestützt durch erste Hinweise über künftige Entwicklungsrichtungen in der Umrichtertechnik, die sich in Kapitel 5.1.2 und im Rahmen der Informationsbeschaffung in diesem Kapitel bereits herauskristallisiert haben, sowie den erarbeiteten Entwicklungsverläufen von Produkt und Systemkomponenten ist zunächst auf mögliche Weiterentwicklungen der technologischen Lösungen in der Zukunft zu schließen. Nach dem Prinzip der Evidenz (vgl. Kapitel 4.2.2) werden die identifizierten Fortschritte von Komponentenmerkmalen aus den einzelnen Evolutionsstufen anschließend zu signifikanten Trends (Systemtrends) innerhalb der einzelnen Systemkomponenten verdichtet. In beiden Fällen unterstützt eine produktspezifische Analyse bzw. Projektion der erweiterten TESE (vgl. Anhang A). Gestützt auf den TESE-Trend „zunehmende Kontrollierbarkeit“ (verbesserte Steuerbarkeit der Systemkomponenten im Lauf der Zeit) kann für die Systemkompo- 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 165 nente der Leistungshalbleiter bspw. auf den Systemtrend „Verbesserung des Steuerungsverhaltens“ geschlossen werden. Analog hierzu lassen sich noch weitere evidente Trends im System aufdecken und zusätzliche Ideen für künftige Weiterentwicklungen ableiten. Schließlich ist in Bild 5.7 ein Ausschnitt der wesentlichen Erkenntnisse zum Ausblick in die Zukunft abgebildet. Die übrigen Erkenntnisse können über eine entsprechende Orientierung an Anhang B.2.1 im beigefügten Excel-Tool nachvollzogen werden. Bild 5.7: Screenshot aus dem Excel-Tool zum Ausblick in die Zukunft Aus dem nun vollständigen Trendmodell geht letzten Endes hervor, dass die Zukunft des Frequenzumrichters durch einschneidende Entwicklungen gekennzeichnet ist. Neben der fortwährenden Optimierung von Leistungsdichte und Energieeffizienz durch immer kompaktere, leistungsfähigere sowie verlustarme Leistungskomponenten sind hier insbesondere auch drastische Fortschritte im Bereich der SystemIntegration (verstärkte Integration der Systemkomponenten) zu erwarten, die hochintelligente, dezentrale Antriebslösungen ermöglicht und somit den Weg in attraktive, neue Anwendungsgebiete wie bspw. die Automobilindustrie oder die Energieversorgung durch erneuerbare Energien ebnet. Speziell für das Suchfeld der Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter als Dreh- und Angelpunkt dieses Praxisbeispiels lassen sich für die Zukunft folgende Schlüsse ziehen: Signifikante Trends: Verbesserung der elektrischen Verbindung, Verbesserung der mechanischen Verbindung, Verbesserung der thermischen Beständigkeit, Verbesserung der Stromfestigkeit, Optimierung der Materialien; Mögliche Weiterentwicklungen: Integration der Leistungshalbleiter in die Leiterplatte. 166 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Zusätzlich zu den fünf im Suchfeld identifizierten Trends zeichnen sich innerhalb der übrigen Systemkomponenten 52 weitere Systemtrends ab, die letztendlich die Rohfassungen der Systemdeskriptoren bei der anschließenden Erstellung des Szenariofelds bilden. Darüber hinaus liefern die gewonnenen Erkenntnisse über mögliche Weiterentwicklungen von Produkt und Systemkomponenten bereits potentielle Anregungen für die spätere Erstellung von Zukunftsprojektionen sowie erste Hinweise auf neue technologische Lösungen. Erstellung des Szenariofelds Mit den im Trendmodell identifizierten Systemtrends ist ein Großteil der möglichen Einflussgrößen im Szenariofeld bereits abgedeckt. Die Systemtrends liefern dabei Hinweise über sich verändernde Parameter im technischen System des Frequenzumrichters, die wesentlichen Einfluss auf dessen zukünftige Entwicklung nehmen. Sie werden daher zu Systemdeskriptoren abstrahiert. Zur Vervollständigung des Szenariofelds müssen jedoch auch potentielle Einflussgrößen aus nicht direkt beeinflussbaren Bereichen wie Markt, Politik, Gesellschaft oder Umwelt in die Untersuchung miteinbezogen werden. Diese Einflussgrößen werden nachfolgend als Umfelddeskriptoren festgelegt. Um der diskontinuierlichen Natur von Trends (vgl. Kapitel 4.2.2) nachzukommen und gleichzeitig auch die Nachvollziehbarkeit bzw. Übersichtlichkeit während der weiteren Untersuchungen zu wahren, werden die 57 identifizierten Systemtrends des Frequenzumrichters auf ihren Kernaspekt reduziert und zu präzisen, allgemein formulierten Systemdeskriptoren der einzelnen Systemkomponenten abstrahiert. Bild 5.8 zeigt vor diesem Hintergrund einen Auszug der abstrahierten Systemdeskriptoren aus dem Excel-Tool. Der Systemtrend „Verbesserung der elektrischen Verbindung“ wird hier z.B. zum allgemeinen Systemdeskriptor „elektrische Verbindung“. Als Orientierungshilfe für den Anwender bei den weiteren Untersuchungen werden jedem Systemdeskriptor ferner auch ein spezifisches Kürzel sowie die entsprechende Systemkomponente zugeordnet, der der Deskriptor entstammt. Schließlich sind noch Umfelddeskriptoren aus den Einflussbereichen Markt, Politik, Gesellschaft und Umwelt festzulegen, die durch einen potentiellen Einfluss auf die künftige Weiterentwicklung des Frequenzumrichters gekennzeichnet sind. Wie in Kapitel 4.2.2 bereits erwähnt, bietet sich insbesondere einschlägige Trendliteratur als fundierte Quelle zur Bestimmung solcher Umfelddeskriptoren an. Speziell für die Bereiche Gesellschaft & Umwelt liefert das WOIS-Institut wichtige Hinweise – insbesondere über Trends gesellschaftlicher Bedürfnisse, Werte und Ressourcen (ADUNKA, 2012, S. 65–66). Wesentliche Trends aus den Bereichen Markt & Politik konnten da- 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 167 gegen bereits bei der Schilderung des Untersuchungshintergrunds sowie der Technikgeschichte des Frequenzumrichters aufgedeckt werden (vgl. Kapitel 5.1.2 & 5.2.2). Diese spezifischen Trends sind wiederum den dazugehörigen Einflussbereichen zuzuordnen und in allgemeine Deskriptoren zu überführen, die Bild 5.9 zusammenfassend darstellt. Beispiele für relevante Deskriptoren aus den Bereichen Markt & Politik sind Energieeffizienz, Usability oder Modularität, während für die Bereiche Gesellschaft & Umwelt eher Aspekte wie Sicherheit, Komfort oder Umweltbewusstsein von Bedeutung sind. Bild 5.8: Screenshot aus dem Excel-Tool zur Bestimmung der Systemdeskriptoren Nachdem die System- und Umfelddeskriptoren entsprechend festgelegt sind, ist das Szenariofeld als Grundlage für die weiteren Analyseschritte in der Phase der systemischen Exploration fertiggestellt. Insgesamt fließen dabei 66 Deskriptoren in die nachfolgende Einflussanalyse ein. Die vollständige Auflistung aller Deskriptoren mit den jeweiligen Kürzeln und dazugehörigen Einflussbereichen bzw. Systemkomponenten ist über eine Orientierung an Anhang B.2.2 dem beigefügten Excel-Tool zu entnehmen. 168 Bild 5.9: 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Screenshot aus dem Excel-Tool zur Bestimmung der Umfelddeskriptoren Einflussanalyse Mit Hilfe der Einflussanalyse werden aus dem Pool an 66 Deskriptoren nun diejenigen Schlüsseldeskriptoren identifiziert, die sich am stärksten auf die künftige Weiterentwicklung der Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter auswirken. Diese Schlüsseldeskriptoren bilden die Basis für die anschließende Erstellung der Zukunftsprojektionen sowie die Bildung der suchfeldspezifischen Szenarien zum Abschluss der systemischen Exploration. In einer nach den Vorgaben aus Kapitel 4.2.2 aufgebauten Einflussmatrix, die das Excel-Tool zur Befüllung bereitstellt, werden die festgelegten System- und Umfelddeskriptoren zusammen mit den korrespondierenden Systemkomponenten bzw. Einflussbereichen gegenübergestellt und einer paarweisen Einflussbewertung unterzogen. Anhand eines vorgegeben Bewertungsmaßstabs (von „0“ für keinen Einfluss bis „3“ für starken Einfluss) erfolgt für jedes mögliche Deskriptoren-Paar eine Abschätzung, wie stark sich eine Veränderung des Deskriptors der Zeile auf den Deskriptor der Spalte auswirkt. Zur Verdeutlichung zeigt Bild 5.10 einen Teil der fertigen Einflussmatrix aus dem Excel-Tool. Darin wird z.B. der Einfluss des Steuerungsverhaltens eines Leistungshalbleiters auf das Material der Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter als nicht existent („0“) eingestuft, da die Steueranschlüsse eines Leistungshalbleiters separat und unabhängig zu dessen elektrischer sowie mechanischer Anbindung verlaufen. Aufgrund des begrenzten Zeitumfangs im Rahmen dieser Masterarbeit muss in dem vorgestell- 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 169 ten Praxisbeispiel jedoch auf diverse Fachmeinungen zur Unterstützung der Einflussbewertung verzichtet werden. Die entsprechenden Bewertungen basieren demzufolge auf den subjektiven Einschätzungen des Anwenders nach bestmöglichem Sachverstand. Bild 5.10: Screenshot aus dem Excel-Tool zur Einflussanalyse Nach vollständiger Befüllung der Einflussmatrix werden die in Kapitel 4.2.2 angepassten Kennzahlen einer Einflussanalyse (Aktivsumme, Passivsumme, Wirkungssumme, Impuls-Index, Dynamik-Index) automatisch durch das Excel-Tool berechnet. Die Kennzahlen ermöglichen nun eine Klassifizierung sämtlicher Deskriptoren hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Untersuchung und liefern zudem wichtige Hinweise für die anschließende Erstellung von Zukunftsprojektionen. Das relevante Kriterium für die Auswahl der Schlüsseldeskriptoren ist die Wirkungssumme, die das Einflussmaß eines Deskriptors auf die Weiterentwicklung des Suchfelds beschreibt. Auf Basis der Ergebnisse aus der Kennzahlenberechnung sind demzufolge die zehn Schlüsseldeskriptoren mit den höchsten Wirkungssummen auszuwählen. Diese werden für eine erleichterte Auswahl automatisch vom Excel-Tool farblich unterlegt. Bild 5.11 liefert hierzu einen Auszug der berechneten Kennzahlen für die Deskriptoren in diesem Praxisbeispiel. Die Schlüsseldeskriptoren sind dementsprechend farblich gekennzeichnet. 170 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Bild 5.11: Screenshot aus dem Excel-Tool zur Berechnung der charakteristischen Kennzahlen einer Einflussanalyse Die vollständige Einflussmatrix, die sich aufgrund der Vielzahl von berücksichtigten Deskriptoren als äußerst umfangreich erweist, kann zusammen mit den berechneten Kennzahlen gemäß Anhang B.2.3 im beigefügten Excel-Tool nachvollzogen werden. Die zehn finalen Schlüsseldeskriptoren mit dem größten Einfluss auf die Weiterentwicklung des Suchfelds werden jedoch abschließend in Tabelle 5.2 zusammengefasst und den entsprechenden Systemkomponenten bzw. Einflussbereichen zugeordnet. Tabelle 5.2: Rang Zusammenfassung der Schlüsseldeskriptoren mit dem größten Einfluss auf die Weiterentwicklung des Suchfelds Deskriptor Systemkomponente bzw. Einflussbereich 1 Zuverlässigkeit Markt & Politik 2 Material Verbindungstechniken Leistungshalbleiter 3 Stromfestigkeit Verbindungstechniken Leistungshalbleiter 4 mechanische Verbindung Verbindungstechniken Bauteil 5 Material Verbindungstechniken Bauteil 6 elektrische Verbindung Verbindungstechniken Leistungshalbleiter 7 elektrische Leitfähigkeit Leistungshalbleiter 8 thermische Leitfähigkeit Leistungshalbleiter 9 Wärmeleitfähigkeit Kühlsystem 10 elektrische Verbindung Verbindungstechniken Bauteil 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 171 Die Grundbausteine zur Erstellung der Zukunftsprojektionen und zur Bildung der suchfeldspezifischen Szenarien sind damit bestimmt. Hier wird deutlich, dass die künftige Weiterentwicklung der Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter hauptsächlich durch Systemdeskriptoren geprägt wird. Diese beziehen sich entweder auf den Fortschritt von suchfeldinternen Komponentenmerkmalen wie bspw. Stromfestigkeit, Materialien und die elektrische Verbindung oder auf Merkmale von Systemkomponenten, die mit den Verbindungstechniken in engem Kontakt stehen (Verbindungstechniken Bauteil, Leistungshalbleiter, Kühlsystem). Lediglich die Forderung nach Zuverlässigkeit seitens Markt & Politik ist durch einen noch stärkeren Einfluss auf das Suchfeld gekennzeichnet. Erstellung von Zukunftsprojektionen Der Blick richtet sich nun konkret in die Zukunft. Für die zehn Schlüsseldeskriptoren werden zunächst verschiedenartige Entwicklungsrichtungen erarbeitet und anschließend zu konkreten Zukunftsprojektionen gebündelt. Da mit den fertigen Szenarien ein möglichst weit gefasster Zukunftsraum abgesteckt werden soll, sind neben naheliegenden auch extremere Entwicklungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Auf kreativem Weg wird die Erarbeitung der Entwicklungsrichtungen dabei durch die möglichen Weiterentwicklungen der Systemkomponenten aus dem Trendmodell angeregt. Eine eher analytische Hilfe liefern dagegen die berechneten Kennzahlen aus der Einflussanalyse. Eine hohe Passivsumme bei einem Schlüsseldeskriptor signalisiert bspw. eine hohe Beeinflussung durch andere Deskriptoren, die dann gegebenenfalls gezielt als Umgebungseinflüsse in die Zukunftsprojektion einbezogen werden können. Ferner muss für die Erstellung von Zukunftsprojektionen auch ein einheitlicher und dem Untersuchungsrahmen entsprechender Zeithorizont festgelegt werden, auf den die potentiellen Entwicklungsmöglichkeiten ausgerichtet sind. Speziell für dieses Praxisbeispiel beschränkt sich dieser Zeithorizont grob auf die nächsten drei Jahre, damit einerseits der hohen Dynamik in der Umrichtertechnik (rascher Wandel durch wachsende globale Märkte, neue potentielle Anwendungsgebiete und veränderte Anforderungen) und andererseits auch einer möglichst zeitnahen Umsetzung zukunftssicherer Technologien in künftigen Produktlösungen Rechnung getragen werden kann (KRÄUßLICH, 2011, S. 21). Die Prognostik der zehn Schlüsseldeskriptoren in diesem Praxisbeispiel stützt sich in der Folge auf die in Kapitel 4.2.2 aufgezeigten Hilfestellungen bzw. Projektionshinweise. Es muss dabei jedoch nicht zwangsweise für jeden Projektionshinweis auch eine spezifische Projektion erarbeitet werden. Dennoch erhöhen viele verschiedene Projektionen pro Schlüsseldeskriptor die Chancen, einen möglichst universellen Zukunftsraum zu beschreiben. Bild 5.12 zeigt dazu einen Ausschnitt der erarbeiteten, 172 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG potentiellen Projektionen für die Schlüsseldeskriptoren aus dem Excel-Tool. Darin ist die Zukunft des Schlüsseldeskriptors „Zuverlässigkeit“ aus dem Einflussbereich „Markt & Politik“ bspw. durch drei potentielle Projektionen beschrieben: Fortschreibung der aktuellen Entwicklung: Der Markt fordert weiterhin immer zuverlässigere Frequenzumrichter mit höheren Lebensdauern. Beschleunigung der aktuellen Entwicklung: Die Forderung nach immer zuverlässigeren Frequenzumrichtern wird durch die Erschließung neuer Anwendungsgebiete bzw. Märkte forciert. Gezielte Einbeziehung von Umgebungseinflüssen: Das zunehmende Bedürfnis der Gesellschaft nach Sicherheit führt zu strengen, gesetzlichen Regularien für Zuverlässigkeitsgrößen in Frequenzumrichtern (gezielte Einbeziehung des Deskriptors „Sicherheit“ aus dem Bereich „Gesellschaft & Umwelt“, der ein hohes Einflussmaß auf den Schlüsseldeskriptor „Zuverlässigkeit“ hat). Bild 5.12: Screenshot aus dem Excel-Tool zur Erstellung potentieller Projektionen für die Schlüsseldeskriptoren Bei diesem Schritt entstehen häufig ähnliche Projektionen, die im Sinne einer stringenten und im Aufwand beherrschbaren Untersuchung zu je zwei charakteristischen Zukunftsprojektionen zu bündeln sind. Dieser Umstand lässt sich sehr gut an dem eben genannten Beispiel verdeutlichen. Dabei ähneln sich insbesondere die ersten beiden Projektionen, bei denen Zuverlässigkeit immer mehr zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor wird. Die letzte Projektion beschreibt dagegen eine völlig andere Entwicklungsrichtung. Somit können die potentiellen Projektionen letztendlich zu zwei konkreten Zukunftsprojektionen gebündelt werden, die aus Gründen der Nach- 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 173 vollziehbarkeit bzw. eines besseren Verständnisses schließlich mit einer prägnanten Kurzbezeichnung zu versehen und präzise sowie ausführlich zu beschreiben sind: Zuverlässigkeit als wesentlicher Wettbewerbsfaktor: Zuverlässigkeit, die sich bspw. über die Lebensdauer, Funktionserfüllung, Sicherheit, Instandhaltbarkeit eines technischen Systems definiert, wird ein immer wichtigerer Wettbewerbsfaktor auf den Märkten. Unternehmen sind demnach dazu angehalten, die Beschaffenheit der Produktkomponenten so zu verbessern, dass eine hohe Lebensdauer, zuverlässige Funktionserfüllung sowie sichere Anwendung bzw. Instandhaltung gewährleistet werden kann. Strenge, gesetzliche Regularien für Zuverlässigkeitsgrößen: Das Bedürfnis der Gesellschaft nach Sicherheit steigt stetig an und rückt auch rechtlich immer mehr in den Vordergrund. Staatliche Institutionen bestimmen daher strenge, rechtlich festgelegte Grenzwerte für Zuverlässigkeitsgrößen, die Unternehmen im Rahmen der Produktentwicklung strikt einhalten müssen. Dadurch verschärfen sich einerseits der Wettbewerb auf dem Markt und andererseits auch der Druck auf die Forschung und Entwicklung zur Findung neuer Lösungen. Für die übrigen Schlüsseldeskriptoren in diesem Praxisbeispiel ist analog zu verfahren. Als Orientierungshilfe weist das Excel-Tool auch hier den jeweiligen Zukunftsprojektionen ein spezifisches Kürzel und den entsprechenden Deskriptor sowie Systemkomponente bzw. Einflussbereich zu. Die ausführliche sowie vollständige Erstellung der insgesamt 20 charakteristischen Zukunftsprojektionen für die zehn Schlüsseldeskriptoren dieses Praxisbeispiels kann über Anhang B.2.4 im beigefügten Excel-Tool eingesehen und nachempfunden werden. Die erarbeiteten Zukunftsprojektionen bilden in der Folge die wesentlichen Eckpfeiler bei der Bildung der suchfeldspezifischen Szenarien. Szenariobildung Am Ende der systemischen Exploration steht die Bildung der drei suchfeldspezifischen Szenarien, die den Zukunftsraum der Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter aufspannen. Mittels einer Konsistenzanalyse werden dabei konsistente Bündel aus je einer Zukunftsprojektion pro Schlüsseldeskriptor gebildet und über eine steckbriefartige Beschreibung zu schlüssigen Szenarien ausgearbeitet. In einer über das Excel-Tool bereitgestellten Konsistenzmatrix, deren Aufbau der Schilderung aus Kapitel 4.2.2 entspricht, ist zunächst die Verträglichkeit der Zukunftsprojektionen untereinander zu analysieren. Dabei werden die Zukunftsprojekti- 174 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG onen der einzelnen Schlüsseldeskriptoren zusammen mit den dazugehörigen Systemkomponenten bzw. Einflussbereichen in den Zeilen und Spalten der Matrix gegenübergestellt. Es folgt eine paarweise Konsistenzbewertung sämtlicher Projektionspaare, die sich auf eine subjektive Abschätzung der gegenseitigen Verträglichkeit anhand eines vorgegebenen Maßstabs stützt (von „1“ für absolut inkonsistent bis „5“ für stark begünstigend). Das Excel-Tool ermöglicht hier eine automatische Kennzeichnung von konsistenten und inkonsistenten Projektionspaaren mit grüner bzw. roter Farbe, so dass dem Anwender die nachfolgende Sichtprüfung für die Auswahl konsistenter Projektionsbündel erleichtert wird. Zur Verdeutlichung zeigt Bild 5.13 einen Ausschnitt der fertig befüllten Konsistenzmatrix aus dem Excel-Tool, in der die Schlüsseldeskriptoren dieses Praxisbeispiels auf Konsistenz geprüft werden. Bild 5.13: Screenshot aus dem Excel-Tool zur Konsistenzanalyse Während sich darin z.B. die Zukunftsprojektionen „Fokus auf Materialforschung“ bei den Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter sowie „Fokus auf Materialforschung“ bei den strukturgebende Verbindungstechniken im Bauteil stark begünstigen, sind die Zukunftsprojektionen „Erreichung der Materialgrenzen“ bei den strukturgebenden Verbindungstechniken im Bauteil und „Fokus auf Materialforschung“ bei den Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter absolut inkonsistent. Dies liegt daran, dass sich Erkenntnisse bzw. Grenzen im Bereich der Materialforschung grundsätzlich auf beide Systemkomponenten zugleich auswirken. Die letzt- 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 175 genannten Zukunftsprojektionen dürfen demnach nicht zusammen in einem Projektionsbündel vorkommen. Über eine Sichtprüfung der Konsistenzmatrix und unterstützt durch die automatische Kennzeichnung von konsistenten Projektionspaaren müssen nun drei konsistente Projektionsbündel mit je einer Zukunftsprojektion pro Schlüsseldeskriptor als Rohfassungen der suchfeldspezifischen Szenarien gebildet werden. Damit dabei auch ein möglichst breiter Zukunftsraum für die Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter aufgespannt werden kann, wird sich an die in Kapitel 4.2.2 vorgestellten Ausprägungsmöglichkeiten bzw. Orientierungshilfen zur Szenariobildung gehalten, die die Ausarbeitung eines nüchternen, eines positiven sowie eines negativen Szenarios empfehlen. Gerade durch besonders positiv oder negativ ausgeprägte Szenarien kann auf Eventualitäten bzw. Begebenheiten aufmerksam gemacht werden, die Unternehmen im Tagesgeschäft normalerweise nicht auf dem Radar haben. Die in diesem Praxisbeispiel ausgewählten Projektionsbündel als Rohfassungen der suchfeldspezifischen Szenarien decken genau diese drei geschilderten Ausprägungsmöglichkeiten ab: Ausprägung von suchfeldspezifischem Szenario I: Das erste Projektionsbündel setzt sich verstärkt aus denjenigen Zukunftsprojektionen zusammen, die zu äußerst positiven Entwicklungen führen und der SIEMENS AG neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Hier steht vor allem die Entwicklung einer hybridartigen Leiterplatte im Vordergrund, die eine direkte Integration der Leistungshalbleiter im Rahmen der Leiterplattenherstellung ermöglicht. Ausprägung von suchfeldspezifischem Szenario II: Das zweite Projektionsbündel ist dagegen nüchtern ausgeprägt und hält sich gemeinhin an Zukunftsprojektionen, die die aktuelle Entwicklung der Schlüsseldeskriptoren fortschreiben. Der Fokus liegt hier weiterhin auf einer schrittweisen Optimierung der Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter durch neue bzw. verbesserte Materialien oder Wirkprinzipien. Ausprägung von suchfeldspezifischem Szenario III: Aus eher negativ ausgeprägten Zukunftsprojektionen setzt sich dagegen das letzte Projektionsbündel zusammen, das der SIEMENS AG mögliche Gefahren aufzeigen und zu entsprechenden Gegenmaßnahmen anregen soll. Darin werden die Leistungsgrenzen von Materialien in naher Zukunft weitestgehend ausgeschöpft sein, weshalb man sich bei der Optimierung der Verbindungstechniken verstärkt auf neue Wirkprinzipien konzentrieren muss, die gezielt auch aus auf- 176 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG strebenden oder auf den ersten Blick zweckfremden Wissenschaftsgebieten entstammen können. Zur Fertigstellung der suchfeldspezifischen Szenarien sind die vorgestellten Ausprägungen abschließend noch in den in Kapitel 4.2.2 vorgestellten Steckbriefen zu beschreiben. Diese werden dem Anwender automatisch über das Excel-Tool bereitgestellt und sind nur noch hinsichtlich der geforderten Informationsbausteine zu befüllen. Die Informationsbausteine setzen sich dabei aus einer präzisen, nachvollziehbaren Szenariobeschreibung auf Basis der Textbausteine aus den Zukunftsprojektionen, einer konkreten Forderung an die Technologieentwicklung im Suchfeld, einer Zusammenfassung von damit verbundenen Chancen und Risiken für die SIEMENS AG sowie einer subjektiven Einschätzung der prozentualen Eintrittswahrscheinlichkeit des Szenarios zusammen. Bild 5.14 zeigt vor diesem Hintergrund beispielhaft den fertigen Steckbrief zur Beschreibung von suchfeldspezifischem Szenario I aus dem Excel-Tool. 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 177 Bild 5.14: Screenshot aus dem Excel-Tool zur steckbriefartigen Beschreibung von suchfeldspezifischem Szenario I 178 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Die vollständigen Ergebnisse zur Konsistenzanalyse sowie zur Zusammensetzung und Beschreibung der übrigen suchfeldspezifischen Szenarien können über Anhang B.2.5 im beigefügten Excel-Tool nachvollzogen werden. Das vermittelte Systemverständnis sowie die erarbeiteten Entwicklungsszenarien für die Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter im Rahmen der systemischen Exploration liefern letztendlich wesentliche Erkenntnisse für die beiden letzten Phasen der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung. Neben dem Zukunftsraum, der sich aus den drei über die Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichteten Szenarien zusammensetzt und dessen Erfüllungsgrad als Teilkriterium für die Bestimmung des Zukunftspotentials in die abschließende Technologiebewertung einfließt, sind hier vor allem technologiespezifische Entwicklungsrichtungen zu nennen, die sich aus den szenariospezifischen Forderungen an die Technologieentwicklung im Suchfeld ergeben und wichtige Hinweise für die Identifikation von neuen technologischen Lösungen liefern. Diese Entwicklungsrichtungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Entwicklungsrichtungen aus suchfeldspezifischem Szenario I: Szenario I fordert Konzepte zur Entwicklung eines Systems zur Einbettung der Leistungshalbleiter in die Leiterplatte sowie zur Sicherstellung einer zuverlässigen und leistungsfähigen elektrischen Verbindung mit dem nötigen Wärmemanagement. Entwicklungsrichtungen aus suchfeldspezifischem Szenario II: Szenario II fordert Verbindungstechnologien auf Basis neuer bzw. verbesserter Materialien oder Wirkprinzipien zur Optimierung der elektrischen Verbindung, Stromfestigkeit und thermischen Beständigkeit. Entwicklungsrichtungen aus suchfeldspezifischem Szenario III: Szenario III fordert Verbindungstechnologien auf Basis neuer bzw. verbesserter Wirkprinzipien zur Optimierung der elektrischen Verbindung, Stromfestigkeit und thermischen Beständigkeit. Bei der Suche nach Lösungsmöglichkeiten sind dabei gezielt auch aufstrebende oder auf den ersten Blick zweckfremde Wissenschaftsgebiete zu berücksichtigen. 5.2.3 Bestimmung von Technologieoptionen Diese Phase dient dazu, die für die multikriterielle Bewertung relevanten Technologieoptionen zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern zu bestimmen. Gestützt durch die Erkenntnisse aus der systemischen Exploration werden dabei neue, alternative technologische Lösungen identifiziert, die im Hinblick auf eine aussagekräftige Technologiebewertung zusätzlich zu 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 179 den aktuell von der SIEMENS AG eingesetzten Technologien noch umfassend zu beschreiben sind. Technologieidentifikation Angelehnt an das Grundprinzip einer Technologiefrüherkennung sind die technologiespezifischen Signale aus der Phase der systemischen Exploration in diesem Schritt systematisch zu neuen technologischen Ansätzen für die elektrische und mechanische Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern zu verdichten. Anhand klassischer Methoden zur Technologiefrüherkennung werden dazu „greifbare“ Informationen über neue, alternative Technologieoptionen gesammelt, die dann letztendlich der finalen Bewertung zugänglich gemacht werden können. Die besagten technologiespezifischen Signale aus der systemischen Exploration umfassen dabei zum einen die im Trendmodell identifizierten Trends und potentiellen Weiterentwicklungen im Suchfeld und zum anderen die soeben aufgelisteten, deutlich konkreteren Entwicklungsrichtungen aus den suchfeldspezifischen Szenarien (vgl. Kapitel 5.2.2). Diese Signale werden im Excel-Tool automatisch in einer Tabelle zusammengefasst und bilden den wesentlichen Input für diesen Ablaufschritt. Diese Tabelle ist entsprechend in Bild 5.15 abgebildet. Bild 5.15: Screenshot aus dem Excel-Tool zu den technologiespezifischen Signalen Geleitet von diesen Signalen wird in der Folge über eine kombinierte Anwendung klassischer Recherche- bzw. Früherkennungsinstrumente nach neuen Technologieoptionen zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern gesucht. Aufgrund des nur begrenzten Zeitumfangs im Rahmen dieser Masterarbeit konzentriert sich die Suche im Praxisbeispiel ausschließlich auf 180 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG eine internetgestützte Technologierecherche in zukunftsorientierter, forschungsspezifischer Literatur wie Publikationen, Konferenzen, Produktbeschreibungen oder Werbekataloge, die aber dennoch brauchbare Quellen für grundlegende Informationen über neue technologische Entwicklungen darstellen (vgl. Kapitel 4.2.3). Nichtsdestotrotz ist der Einsatz von klassischen Patentanalysen (vgl. Kapitel 2.5.1.2) und Expertenbefragungen (vgl. Kapitel 2.5.1.1) für weitaus umfangreichere und detailliertere Recherchen in zukünftigen Anwendungsfällen der Bewertungsmethode sehr zu empfehlen. Die Ergebnisse der in diesem Praxisbeispiel durchgeführten Technologierecherche werden nachfolgend kurz vorgestellt. Hierbei wird deutlich, dass gerade die im suchfeldspezifischen Szenario I geforderte Einbettung der Leistungshalbleiter in die Leiterplatte auch in der Realität immer mehr in den Fokus von Forschungsabteilungen rückt. Das sog. Power Chip Embedding ermöglicht dabei die direkte Integration bzw. Kontaktierung von Halbleiter-Chips im Rahmen der typischen Leiterplattenherstellung und führt zu exzellenten elektrischen Eigenschaften sowie hoher Zuverlässigkeit. Hier entsteht also eine neue Technologieoption zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern mit hohem Optimierungspotential hinsichtlich elektrischer Eigenschaften, System-Integration und Montagekosten (BÖTTCHER, 2012, S. 1; LANG, 2012, S. 14–17; OSTMANN, 2013, S. 4; VOCKENBERGER, 2014, S. 5; W ILDE, 2014, S. 19–20). Aus der Recherche geht zudem noch eine weitere, nicht zu vernachlässigende Technologieoption – die Pressverbindung – hervor, die bei der SIEMENS AG bereits erprobt, jedoch noch nicht serienmäßig in den hier untersuchten Frequenzumrichtern der SINAMICS-Familie eingesetzt wird. Über eine Kaltverschweißung von stiftförmigen Lastanschlüssen der Leistungshalbleiter mit metallisierten Löchern in der Leiterplatte liefert eine Pressverbindung ein alternatives Wirkprinzip zur Optimierung der elektrischen Verbindung, Stromfestigkeit und thermischen Beständigkeit bei der Anbindung der Leistungshalbleiter und folgt damit den Signalen aus den suchfeldspezifischen Szenarien I und II (STOLZE, THOBEN, KOCH, SEVERIN & KUCERA, 2009, S. 1–2; TSCHAN, 2008, S. 1; VEIGEL, 2009, S. 1– 3). Neben den gegenwärtig eingesetzten technologischen Lösungen der Schraubverbindung, des Selektiv-Lötens und der Federkontaktierung bieten sich der SIEMENS AG letztendlich also zwei neue, alternative Technologieoptionen zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern, die allesamt im finalen Bewertungsprozess berücksichtigt werden. Mit dieser simultanen Bewertung von bewährten als auch neuen Technologieoptionen kann abschließend besser beurteilt werden, ob ein möglicherweise kosten- sowie ressourcenaufwändi- 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 181 ger Wechsel von einer bewährten auf eine neue Technologie überhaupt lohnenswert ist. Zur vollständigen Bestimmung sowie als notwendige Voraussetzung für eine aussagekräftige Technologiebewertung sind die fünf Technologieoptionen anschließend noch einer ausführlichen datentechnischen Beschreibung zu unterziehen. Beschreibung der Technologieoptionen Mit der datentechnischen Beschreibung der fünf Technologieoptionen nach den in Kapitel 4.2.3 vorgestellten funktionalen, inhaltlichen, qualitativen, zeitlichen, wirtschaftlichen sowie personellen Merkmalen wird einerseits eine angemessene Informations- sowie Vergleichsbasis für die nachfolgende Technologiebewertung geschaffen und andererseits auch das Technologieverständnis an sich gefördert. Das Excel-Tool bietet diesbezüglich eine vorgefertigte Matrix, in der die datentechnische Beschreibung der fünf Technologieoptionen aus diesem Praxisbeispiel nach den eben erwähnten Merkmalsklassen durchgeführt wird. Die Suche nach Informationen stützt sich hier ebenso auf eine internetgestützte Recherche in forschungsspezifischer Literatur. Unterstützt wird diese Informationsbeschaffung durch eine Orientierung an den in Kapitel 2.5.1.4 vorgestellten S-KurvenIndikatoren zur Einschätzung des Entwicklungsstands einer Technologie sowie durch eine gezielte Recherche innerhalb der SIEMENS AG, da dort insbesondere Informationen über die bereits eingesetzten Technologien direkt zugänglich sind. Wichtig ist, dass die erfassten Informationsbausteine auf einem vergleichbaren Detailgrad beruhen und letztendlich zu einer durchgängigen und möglichst vollständigen Datenbasis verknüpft werden. Aufgrund der eingangs von Kapitel 5.2 geschilderten Verallgemeinerung hinsichtlich der Betrachtungsweise von Technologien müssen in diesem Praxisbeispiel jedoch gewisse Abstriche hinsichtlich des Detailgrads gemacht werden. Speziell quantitative Daten zu geometrischen, physikalischen, chemischen, biologischen oder monetären Attributen der Technologieoptionen bleiben demnach größtenteils unberücksichtigt. Für künftige und wesentlich spezifischer ausgerichtete Anwendungsfälle der vorgestellten Bewertungsmethode ist eine Berücksichtigung solcher Größen im Rahmen der Technologiebeschreibung aber durchaus zu empfehlen, da insbesondere die Potentialabschätzung im Rahmen der Bewertung dadurch deutlich einfacher von der Hand geht. Bild 5.16 zeigt abschließend einen Auszug aus der datentechnischen Beschreibung der Technologieoptionen aus diesem Praxisbeispiel nach den vorgegeben Merkmalsklassen. Da sich die dafür bereitgestellte Matrix aus dem Excel-Tool als sehr umfangreich erweist, sind die vollständigen Ergebnisse zur datentechnischen Beschreibung der einzelnen Technologieoptionen über Anhang B.3.2 dem beigefügten Excel-Tool zu entnehmen. Für eine bessere Nachvoll- 182 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG ziehbarkeit der finalen Technologiebewertung erfolgt hier dennoch eine kompakte Beschreibung der einzelnen Technologieoptionen. Bild 5.16: Screenshot aus dem Excel-Tool zur datentechnischen Beschreibung der Technologieoptionen Die Schraubverbindung wird bei der SIEMENS AG schon seit langer Zeit für eine zuverlässige Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern – vor allem für die Übertragung hoher elektrischer Leistungen – eingesetzt (BEYER ET AL., 1992, S. 226). Sie ermöglicht eine form- und kraftschlüssige Verbindung zwischen den Lastanschlüssen der Leistungshalbleiter sowie den strukturgebenden Verbindungstechniken im Bauteil (RUSCHE, 2012, S. 20–23; SEMIKRON GmbH, 2010, S. 427– 428). Aufgrund der hohen, querschnittsunabhängigen Kontaktkraft und des Selbstlockerungs- sowie Korrosionsschutzes können durch gut ausgeführte Schraubverbindungen neben sehr guten mechanischen Eigenschaften auch gute thermische und elektrische Eigenschaften an der Verbindungsstelle realisiert werden (BEYER ET AL., 1992, S. 226; Deutsches Kupfer-Institut, 2000, S. 14). Auch das Selektiv-Löten ist bei der SIEMENS AG schon seit langer Zeit für die Anbindung der Leistungshalbleiter im Einsatz. In einem automatisierten Verfahren werden die Lastanschlüsse von Leistungshalbleitern in Form von einzelnen, selektiven Lötpins dabei mittels einer Miniatur-Welle über eine intermetallische Verbindung zwischen den Grundwerkstoffen und dem Lot an die Leiterplatte angebunden (VEIGEL, 2009, S. 3; W EGE & SCHIMANSKI, 2011, S. 6–7). Das Lot bildet dabei ein geschmolze- 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 183 nes Zusatzmetall, das die zu verbindenden Grundwerkstoffe nur benetzt und nicht aufschmilzt. Nach Abkühlung bzw. Erstarrung des Lots sind die Grundwerkstoffe schließlich stoffschlüssig miteinander verbunden (BEYER ET AL., 1992, S. 105; SCHEUERMANN, 2014, S. 133). Gerade im Rahmen einer automatisierten Bestückung von elektronischen Baugruppen bzw. Leiterplatten hat sich das Selektiv-Löten in der Industrie weit verbreitet, ist jedoch gewissen, verfahrenstechnischen Grenzen ausgesetzt. Speziell die rein stoffschlüssige Verbindung zwischen zwei spröden, intermetallischen Phasen schränkt die mechanischen Eigenschaften einer Lötverbindung deutlich ein. Ferner besteht die Gefahr von kalten bzw. porösen Lötstellen, die zum Versagen der Verbindung führen können. Lötverbindungen sind des Weiteren durch einen vergleichsweise geringen elektrischen Leitwert gekennzeichnet und nicht hochtemperaturfest (VEIGEL, 2009, S. 3; W EGE & SCHIMANSKI, 2011, S. 3). Seit Beginn der 1990er Jahre stellt die Federkontaktierung bei der SIEMENS AG eine alternative Lösung zur Anbindung von Leistungshalbleitern in Frequenzumrichtern dar. Die Lastanschlüsse der Leistungshalbleiter in Form von speziellen Federkontakten werden dabei auf vorgesehene Kontaktstellen der Leiterplatte gedrückt. Der nötige Kontaktdruck für eine zuverlässige, formschlüssige Verbindung entsteht hier automatisch bei der Montage bzw. Verschraubung der Leistungshalbleiter auf die Leiterplatte oder den Kühlkörper (KUCERA, 2006, S. 1–3; SCHEUERMANN, 2014, S. 182; SEMIKORN GmbH, 2010, S. 428). Der direkte, punktuelle Kontaktandruck eines Federkontakts sowie dessen Fähigkeit, sich relativ zum Kontaktpartner zu bewegen, ermöglichen eine stabile mechanische und temperaturfeste Verbindung (auch bei starken Vibrationen oder Erschütterungen), die ferner durch eine gute elektrische Leitfähigkeit gekennzeichnet ist. In ihrer Strombelastbarkeit sind die feinen Federkontakte jedoch begrenzt (KUCERA, 2006, S. 2–4; SCHEUERMANN, 2014, S. 183). Die Pressverbindung stellt eine aufstrebende Technologieoption zur elektrischen und mechanischen Anbindung von Leistungshalbleitern mit reichlich Entwicklungspotential dar. Hierbei werden die Lastanschlüsse der Leistungshalbleiter in Form von Einpressstiften (ohne thermische Einwirkung wie bspw. beim Selektiv-Löten) über eine Kaltverschweißung durch Druck, Reibung, Temperatur und Zeit mit vorgefertigten, metallisierten Löchern in der Leiterplatte verbunden. Der Einpressvorgang selbst erfolgt über separate Pressvorrichtungen oder eine Verschraubung der Leistungshalbleiter auf die Leiterplatte bzw. den Kühlkörper (SEVERIN, 2011, S. 4–7; STOLZE ET AL., 2009, S. 1–2; VEIGEL, 2009, S. 2–3). Dabei entsteht eine gasdichte, elastische Verbindung mit kleinem Übergangswiderstand, der wiederum eine hohe elektrische Leitfähigkeit und sichere Tragfähigkeit hoher Ströme gewährleistet. Des Weiteren erweist sich eine Pressverbindung als temperaturfest und mechanisch äußerst stabil 184 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG (STOLZE ET AL., 2009, S. 3–5; VEIGEL, 2009, S. 2–3). Bei starken Erschütterungen besteht dennoch die Gefahr, dass sich der Einpressstift relativ zur Metallhülse des Lochs bewegt und dabei die Kaltverschweißung versagt. Zudem muss das Layout der Leiterplatte speziell an die Einpressstifte der Leistungshalbleiter angepasst werden (TSCHAN, 2008, S. 1; VEIGEL, 2009, S. 9). Als neue, vielversprechende Technologieoption zur Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern ist letztendlich noch das Power Chip Embedding zu nennen. Die Technologie steht am Anfang ihrer Entwicklung und zielt auf die Einbettung von Leistungshalbleitern in die Leiterplatte ab. Diese System-Integration beruht, wie in Bild 5.17 zu sehen ist, auf der direkten, elektrisch leitenden Ankontaktierung der Halbleiter-Chips auf ein Kupfer-Substrat im Inneren der Leiterplatte und lässt sich demnach sehr gut in die klassische Leiterplattenherstellung integrieren (BÖTTCHER, 2012, S. 1; LANG, 2012, S. 14). Diese Einbettung schützt die Leistungshalbleiter vor Umwelteinflüssen und schafft eine wichtige Voraussetzung für eine zuverlässige sowie mechanisch stabile Verbindung. Gleichzeitig ermöglicht die großflächige, stoffschlüssige Verbindung zwischen Halbleiter-Chips und Kupfer-Substrat exzellente elektrische Eigenschaften mit niedrigen Induktivitäten und eine verbesserte Entwärmung. Letztere gelingt jedoch nur in Verbindung mit einem ausgeklügelten Wärmemanagement innerhalb der kompletten Leiterplatte bzw. beim Kühlkörper, was aktuell noch eine große Herausforderung auf dem Weg zur Serientauglichkeit darstellt (BÖTTCHER, 2012, S. 6–7; OSTMANN, 2013, S. 4; VOCKENBERGER, 2014, S. 5; WILDE, 2014, S. 20). Isoliertstoff elektrische Ankontaktierung der Halbleiter-Chips Halbleiter-Chips Halbleiter-Chips Kupfer-Substrat der Leiterplatte Bild 5.17: Power Chip Embedding in Anlehnung an OSTMANN, 2013, S. 14 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 185 Mit der spezifischen Technologiebeschreibung ist die Phase zur Bestimmung der Technologieoptionen erfolgreich abgeschlossen. Die vorgestellten Technologieoptionen zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern können somit der finalen, multikriteriellen Bewertung unterzogen werden. 5.2.4 Multikriterielle Technologiebewertung Im Rahmen der multikriteriellen Technologiebewertung erfolgt eine kombinierte Potentialbestimmung für die in Kapitel 5.2.3 identifizierten Technologieoptionen hinsichtlich der drei Bewertungsdimensionen des Technologiepotentials, Zukunftspotentials sowie Unternehmenspotentials. Dafür müssen zunächst noch die produkt-, kunden- sowie unternehmensspezifischen Bewertungskriterien zur Bestimmung des Technologiepotentials festgelegt und zusammen mit den bereits vorgegebenen Kriterien gewichtet werden. Im Anschluss folgt die eigentliche Bewertung, bei der die Teilpotentiale je Technologieoptionen bestimmt und zu den Gesamtpotentialen aggregiert werden. Auf Basis der gewonnenen Bewertungsergebnisse werden mit Hilfe eines Handlungsportfolios letztendlich konkrete Handlungsempfehlungen für die Technologieoptionen abgeleitet, die gezielt bei Technologieentscheidungen unterstützen. Aufbereitung der Bewertungskriterien Mit einer systematischen Aufbereitung der Bewertungskriterien im Rahmen der TRIZund szenariobasierten Technologiebewertung wird ein nachvollziehbarer sowie widerspruchsfreier Rahmen für die nachfolgende Bewertung geschaffen. Dafür ist zunächst eine eindeutige, widerspruchsfreie und gleichläufige Festlegung von produkt-, kunden- sowie unternehmensspezifischen Bewertungskriterien zur Bestimmung des Technologiepotentials nach den in Kapitel 4.2.4 vorgestellten Grundsätzen von BREIING & KNOSALA notwendig. Ferner müssen sämtliche Bewertungskriterien unter Berücksichtigung der vermittelten Wertvorstellungen bzw. Präferenzen von Interessensgruppen der SIEMENS AG abschließend noch gewichtet werden. Die Festlegung der produkt-, kunden- sowie unternehmensspezifischen Anforderungen an die Technologieoptionen zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter orientiert sich an der prinzipiellen Denkweise einer „Main Parameters of Value Discovery“ im Rahmen der TRIZ-Methodik (vgl. Kapitel 4.2.4). So können neben rein funktionalen auch strategisch relevante Aspekte für das Unternehmen bzw. die Kunden bei der Bewertung der Technologieoptionen berücksichtigt werden. Die Auswahl der spezifischen Kriterien für dieses Praxisbeispiel erfolgt zu- 186 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG dem in enger Absprache mit Fachpersonal der SIEMENS AG – vorrangig aus den Unternehmensbereichen der Fertigung und Entwicklung, die eng mit dieser Untersuchung in Verbindung stehen – und wird angeregt durch Hinweise über funktionale und montagespezifische Anforderungen an die Verbindungstechniken aus den beiden einführenden Kapiteln 5.1.1 & 5.1.2 sowie der konkreten Problemstellung. Eine Berücksichtigung von Kunden erweist sich in diesem Fall nicht als notwendig, da sich die verwendeten Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern nicht direkt auf deren Kaufverhalten auswirken. Die für dieses Praxisbeispiel ausgewählten Bewertungskriterien zur Bestimmung des Technologiepotentials setzen sich in der Summe schließlich wie folgt zusammen: Elektrische Verbindung: elektrische Leitfähigkeit der Verbindung; Mechanische Verbindung: mechanische Belastbarkeit der Verbindung; Thermische Beständigkeit: Beständigkeit der Verbindung gegenüber thermischer Beanspruchung; Stromfestigkeit: dauerhafte Strombelastbarkeit der Verbindung; Robustheit: Beständigkeit der Verbindung gegenüber Umgebungseinflüssen (Wasser, Schmutz etc.); Montagefähigkeit: Automatisierbarkeit der Montage; Montagesicherheit: Sicherheit der Montage; Montagegeschwindigkeit: Geschwindigkeit der Montage; Umweltverträglichkeit: Verträglichkeit gegenüber der Umwelt; Instandhaltbarkeit: Fähigkeit zur einfachen und sicheren Demontage, Reparatur bzw. Wartung. Alle Bewertungskriterien sind nun vollständig festgelegt und beschrieben. Über einen paarweisen Vergleich werden die Kriterien der einzelnen Bewertungsdimensionen nach den – allerdings nicht immer eindeutigen – Präferenzvorstellungen der Interessensgruppen, die sich in den Gesprächen mit dem Fachpersonal angedeutet haben, systematisch gewichtet. Dabei müssen sämtliche Kriterien einer Bewertungsdimension in separaten Vergleichsmatrizen, die das Excel-Tool bereitgestellt und gemäß der Vorlage aus Kapitel 4.2.4 aufgebaut sind, paarweise miteinander verglichen werden. Bei diesem Vergleich ist die Relevanz der Kriterien in den Zeilen gegenüber den Kriterien in den Spalten anhand eines vorgegeben Maßstabs (von „1“ für wichtiger über „0“ für gleichbedeutend bis „-1“ für weniger wichtig) in den entsprechenden Zellen der Matrizen einzustufen. Unter Berücksichtigung der Bedingung 4.1 für eine einseitige Befüllung der Matrizen berechnet das Excel-Tool in der Folge automatisch die relativen Gewichtungsfaktoren der Bewertungskriterien über die Formeln 4.2, 4.3 und 4.4 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 187 (vgl. Kapitel 4.2.4). Für ein besseres Verständnis ist in Bild 5.18 beispielhaft die fertige, paarweise Vergleichsmatrix zur Gewichtung der Bewertungskriterien des Technologiepotentials zu sehen. Die beiden weiteren Matrizen zur Gewichtung der übrigen Bewertungskriterien in diesem Praxisbeispiel gestalten sich analog und können über Anhang B.4.1 im beigefügten Excel-Tool eingesehen werden. Bild 5.18: Screenshot aus dem Excel-Tool zur Gewichtung der Bewertungskriterien des Technologiepotentials Mit der Berechnung der relativen Gewichtungsfaktoren für sämtliche Kriterien aus den Bewertungsdimensionen des Technologie-, Zukunfts-, sowie Unternehmenspotentials ist die Aufbereitung der Bewertungskriterien abgeschlossen und ein durchgängiger sowie widerspruchsfreier Rahmen für die nachfolgende Bewertung der Technologieoptionen geschaffen. Multikriterielle Bewertung Innerhalb dieses Bewertungsrahmens folgt schließlich der Schritt der eigentlichen Technologiebewertung, bei dem die Teilpotentiale zur Erfüllung der Kriterien für die einzelnen Technologieoptionen bestimmt und zu den jeweiligen Gesamtpotentialen 188 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG aggregiert werden. Die Zuweisung und Aggregation der Teilpotentiale orientiert sich hier am klassischen Schema der Nutzwert-Analyse und befolgt somit das Grundprinzip einer multikriteriellen Bewertung. So können die Präferenzen der Interessensgruppen entsprechend ihrer konkreten Erwartungshaltungen bzw. Zielvorstellungen letztendlich in der Bewertung berücksichtigt und die fünf identifizierten Technologieoptionen angesichts einer Vielzahl von Kriterien zweckmäßig beurteilt werden. Für die Bewertung stellt das Excel-Tool die in Kapitel 4.2.4 vorgestellten Bewertungsmatrizen zur Bestimmung von Technologie-, Zukunfts- und Unternehmenspotential automatisch zur Verfügung. Darin werden die zu bewertenden Technologieoptionen mit den jeweiligen Bewertungskriterien aus den drei Bewertungsdimensionen sowie deren relativen Gewichtungsfaktoren gegenübergestellt. Für die einzelnen Technologieoptionen folgt nun der Reihe nach eine subjektive Potentialabschätzung für die Erfüllung der aufgeführten Bewertungskriterien gemäß eines vorgegebenen Maßstabs (von „0“ für nicht vorhanden bis „10“ für sehr hoch). Die Abschätzung stützt sich auf die technologiespezifischen Informationen, die zur Beschreibung der Technologieoptionen gesammelt wurden. Aus dieser Beschreibung geht bspw. hervor, dass eine Schraubverbindung aufgrund der Kombination aus Form- und Kraftschluss sehr gute mechanische Eigenschaften ermöglicht, wogegen eine Lötverbindung aufgrund der rein stoffschlüssigen Verbindung zweier spröder, intermetallischer Phasen verhältnismäßig schwache mechanische Eigenschaften aufweist (vgl. Kapitel 5.2.3). Das Potential der Schraubverbindung zur mechanischen Verbindung wird daher entsprechend mit „10“ eingestuft, während für das Selektiv-Löten nur eine „2“ vergeben wird. Gesondert zu betrachten ist vor diesem Hintergrund die Abschätzung des Erfüllungspotentials als Teilkriterium des Zukunftspotentials. Das Erfüllungspotential ist in drei Subkriterien untergliedert, die wiederum durch die drei suchfeldspezifischen Szenarien repräsentiert und entsprechend derer Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichtet sind. Hier ist gezielt abzuschätzen, inwieweit die einzelnen Technologieoptionen über das Potential verfügen, den Zukunftsraum der jeweiligen Szenarien zu erfüllen. Bspw. wird das Potential des Power Chip Embedding zur Erfüllung von suchfeldspezifischem Szenario I mit „10“ eingestuft, da besagtes Szenario eben genau diese Einbettung der Leistungshalbleiter in die Leiterplatte fordert. Nach Vollendung der Potentialabschätzungen für die fünf Technologieoptionen berechnet das Excel-Tool automatisch die Teilpotentiale und aggregiert diese zu den jeweiligen Gesamtpotentialen über die Formeln 4.5 bzw. 4.6 (vgl. Kapitel 4.2.4). Die vollständigen Bewertungsmatrizen aus diesem Praxisbeispiel sind abschließend in Bild 5.19 dargestellt und können zudem über Anhang B.4.2 im beigefügten ExcelTool nachvollzogen werden. Die ermittelten Gesamtpotentiale für die drei Bewer- 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 189 tungsdimensionen ermöglichen nun eine Klassifizierung der fünf bewerteten Technologieoptionen in einem dreidimensionalen Handlungsportfolio zur gezielten Ableitung von Handlungsempfehlungen. Bild 5.19: Screenshot aus dem Excel-Tool mit den fertigen Bewertungsmatrizen zur Bestimmung der Gesamtpotentiale 190 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Ableitung von Handlungsempfehlungen Zentrales Element des finalen Ablaufschrittes der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung ist das in Kapitel 4.2.4 vorgestellte Handlungsportfolio zur gezielten Strukturierung des Entscheidungsfelds. Anhand dieses Portfolios werden Handlungsempfehlungen für die SIEMENS AG abgeleitet, die als richtungsweisende Grundlage für Technologieentscheidungen dienen und auf den Einsatz zukunftssicherer Technologien zur elektrischen sowie mechanischen Anbindung von Leistungshalbleitern in künftigen Frequenzumrichtern abzielen. Vor diesem Hintergrund ermöglicht das Handlungsportfolio neben der klassischen Gegenüberstellung von Technologie- und Unternehmenspotential auch eine Visualisierung des Zukunftspotentials. Die finalen Potentialwerte der einzelnen Technologieoptionen aus dem Schritt der multikriteriellen Bewertung bilden in der Folge die nötige Datengrundlage für die Erstellung des Portfolios und werden in Bild 5.20 noch einmal zusammengefasst. Bild 5.20: Screenshot aus dem Excel-Tool mit den finalen Bewertungsergebnissen Zur Visualisierung der Technologieoptionen als kreisförmige Objekte im Handlungsportfolio nutzt das Excel-Tool die entsprechenden Potentialwerte als Koordinaten. 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 191 Während Technologie- und Unternehmenspotential die Positionierung einer Technologieoption auf der Y- und X-Achse bestimmen, beschreibt die Größe des Kreisdurchmessers die Ausprägung des Zukunftspotentials. Bild 5.21 zeigt letztendlich das fertige Handlungsportfolio mit den fünf untersuchten Technologieoptionen aus diesem Praxisbeispiel (vgl. Anhang B.4.3). Darin ist zu erkennen, dass lediglich die Schraubverbindung dem Bereich der Normstrategie „Auswählen“ zugeordnet ist. Die übrigen Technologieoptionen fallen allesamt in den Bereich der Normstrategie „Abwägen“. Angeregt durch diese Zuordnung der Technologieoptionen zu den in Kapitel 4.2.4 beschriebenen Normstrategien werden die gewonnenen Erkenntnisse in konkrete Handlungsempfehlungen für die SIEMENS AG überführt, die nachfolgend vorgestellt werden. Bild 5.21: Screenshot aus dem Excel-Tool mit dem finalen Handlungsportfolio Schraubverbindungen sind aufgrund ihrer charakteristischen Eigenschaften bei der SIEMENS AG seit langer Zeit etabliert und bestechen demnach durch ein hohes Technologie- sowie Unternehmenspotential (vgl. Bild 5.21). Trotz der eher aufwändi- 192 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG gen Montage sowie der Tatsache, dass die Weiterentwicklungspotentiale der Technologie weitestgehend ausgeschöpft sind, erweisen sich Schraubverbindungen vor allem in Frequenzumrichtern höherer Leistungsklassen weiterhin als sichere und zuverlässige Alternative für die elektrische und mechanische Anbindung von Leistungshalbleitern (vgl. Kapitel 5.2.3 & Anhang B.3.2). Selektiv-Löten als weitere etablierte Verbindungstechnologie bei der SIEMENS AG ist hingegen durch ein unterdurchschnittliches Technologie- und kaum vorhandenes Zukunftspotential gekennzeichnet (vgl. Bild 5.21). Dies liegt insbesondere an den vergleichsweise schwachen elektrischen und mechanischen Eigenschaften, verfahrenstechnischen Restriktionen (Entstehung von Schadstoffen, Verbrauch von Lotmaterial bzw. Flussmittel, schwierige Demontage etc.) sowie dem ausgeschöpften Weiterentwicklungspotential (vgl. Kapitel 5.2.3 & Anhang B.3.2). Der Trend geht offenkundig weg vom Löten, weshalb hier verstärkt auf andere Technologieoptionen zur Anbindung von Leistungshalbleitern gesetzt werden sollte. Hier erweisen sich vor allem die Technologien der Federkontaktierung sowie der aufstrebenden Pressverbindung als gute Alternativen, die wie die Schraubverbindung durch wesentlich höhere Technologiepotentiale als das Selektiv-Löten gekennzeichnet sind (vgl. Bild 5.21). Dies liegt in den weitaus besseren elektrischen, mechanischen sowie verfahrenstechnischen Eigenschaften (einfachere Demontage, Umweltverträglichkeit etc.) der Technologien begründet. Während die Federkontaktierung bei der SIEMENS AG schon seit geraumer Zeit als Verbindungstechnologie in den hier berücksichtigten Frequenzumrichtern der SINAMICS-Familie eingesetzt wird, steckt die Pressverbindung dort erst noch in ihren Anfängen. Dieser Umstand macht sich letztendlich in dem verhältnismäßig geringen Unternehmenspotential bemerkbar. Als aufstrebende Technologie ist die Pressverbindung jedoch durch ein vergleichsweise hohes Zukunftspotential gekennzeichnet, was insbesondere auf das Weiterentwicklungspotential (Bauformen und Materialien der Pressstifte) der Technologie zurückzuführen ist, das dem Unternehmen künftig Möglichkeiten zur Optimierung der Anbindung der Leistungshalbleiter sowie zur Diversifikation bieten kann (vgl. Kapitel 5.2.3 & Anhang B.3.2). Durch das höchste Technologie- und Zukunftspotential aller Technologieoptionen ist schließlich das Power Chip Embedding gekennzeichnet (vgl. Bild 5.21). Die Technologie befindet sich am Anfang ihres Lebenszyklus und stellt für die SIEMENS AG eine völlig neue Alternative zur Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern dar. Im Vergleich zu den anderen Technologieoptionen ist das Unternehmenspotential daher noch relativ gering ausgeprägt. Die direkte Einbettung der HalbleiterChips in das Gesamtsystem der Leiterplatte birgt jedoch enormes Potential für eine 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG 193 zuverlässige Anbindung von Leistungshalbleitern mit hervorragenden elektrischen und mechanischen Eigenschaften. Aufgrund ihres hohen Erfüllungspotentials hinsichtlich des aufgespannten Zukunftsraums und des enormen Weiterentwicklungssowie Diversifikationspotentials (Erweiterung des Produktsortiments und der Fertigungstiefe, Möglichkeiten zur Erschließung neuer Märkte) kann die Technologie zudem als zukunftsweisend betrachtet werden. Eine Investition in die Entwicklung bzw. Adaption dieser Technologie erweist sich demzufolge also als äußerst attraktiv, gerade weil die Umsetzung der Technologie größtenteils auf bereits bekannten Fertigungsprozessen beruht und sich sehr gut in den klassischen Herstellungsprozess von Leiterplatten integrieren lässt. Dies bietet den Vorteil einer automatisierten Herstellung von eingebetteten Systemen für Frequenzumrichter verschiedener Leistungsklassen in ein und derselben Fertigungslinie (vgl. Kapitel 5.2.3 & Anhang B.3.2). Eine finale Entscheidung ist jedoch erst nach Klärung wichtiger verfahrenstechnischer Fragen (Wärmemanagement, Verfahren zur Ankontaktierung der Halbleiter-Chips, Halbleiter-Herstellung etc.) sowie strategischer Aspekte (technologisches Know-how, Personalbedarf, Ressourcenaufwand, Kosten, Umsetzungsdauer, rechtliche Lage etc.) durch Entscheidungsträger aus den zuständigen Abteilungen bzw. dem Management zu treffen und in einen konkreten Umsetzungsplan für die Zukunft zu überführen. 5.2.5 Fazit Für ein abschließendes Fazit werden die Ergebnisse des Praxisbeispiels noch einmal konkret zusammengefasst. Der Trend bei den Verbindungstechniken zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter in Frequenzumrichtern geht eindeutig weg von anfälligen Lötverbindungen. Neben den bei der SIEMENS AG bereits bewährten Technologien der Schraubverbindung sowie Federkontaktierung gewinnt vor diesem Hintergrund insbesondere die aufstrebende Technologie der Pressverbindung immer mehr an Bedeutung und sorgt „insbesondere in Anwendungen der rauen Industrieumgebung für eine höhere Zuverlässigkeit des Gesamtsystems“ (STOLZE ET AL., 2009, S. 1). Einen potentiellen Meilenstein in Richtung verstärkter System-Integration mit Blick auf die Optimierung von Energieeffizienz, Leistungsdichte und Usability (vgl. Kapitel 5.1.2) sowie zur weiteren Optimierung der Anbindung von Leistungshalbleitern in Frequenzumrichtern stellt dagegen das Power Chip Embedding dar. Für einen serientauglichen Einsatz der Technologie in Leistungsanwendungen bei Frequenzumrichtern sind allerdings noch letzte wichtige, verfahrenstechnische Fragen zu klären. Ein Aspekt ist dabei zunächst die Realisierung einer adäquaten „Wärmeableitung in 194 5 Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG Verbindung mit der notwendigen elektrischen Isolation der Leistungshalbleiter“ (BÖTTCHER, 2012, S. 6). Für eine qualitativ hochwertige Einbettung der Leistungshalbleiter sind ferner auch Modifikationen hinsichtlich der Materialien, Herstellungsprozesse und Geometrien von Halbleiter-Chips sowie Verfahren zu deren direkter Ankontaktierung notwendig. Vor diesem Hintergrund treten neben den konventionellen Verfahren des Lötens, Drahtbondens, Diffusionssinterns oder Leitklebens verstärkt auch neue Trends wie Ag-Sintern, Transient Liquid Phase Bonding oder eine elektrochemische Ankontaktierung in den Vordergrund. Welches Verfahren hier letztendlich die beste Alternative darstellt, entwickelt sich aktuell zu einer immer bedeutenderen Frage der Forschung im Bereich der Mikroelektronik bzw. Mikrosystemtechnik (POECH, 2009, S. 26; SCHEUERMANN, 2014, S. 132, S. 405–411; W ILDE, 2014, S. 31). 6 Diskussion der Ergebnisse 6 195 Diskussion der Ergebnisse Aufbauend auf die in Kapitel 5 gewonnenen Erkenntnisse liefert dieses Kapitel eine Diskussion der Praxistauglichkeit des methodischen Konzepts an sich sowie des unterstützenden Excel-Tools. Der erzielte Nutzen aus der Anwendung der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung wird dafür zunächst gewissen Problembereichen gegenübergestellt, die sich im Rahmen des Praxisbeispiels herauskristallisiert haben und Anlass zur Optimierung bieten. Zudem erfolgt ein Resümee über die praktische Eignung des Excel-Tools zur phasenspezifischen Unterstützung des Anwenders. Hier fließen auch die Ergebnisse einer kleinen Pilotstudie ein, bei der die Tauglichkeit des Tools durch die Anwendung und Erprobung anhand der Meinung, Wertung sowie des Geschmacks einer neutralen, jedoch fachlich geschulten Person evaluiert wurde. 6.1 Methodisches Konzept in der Praxis Durch die produktspezifische Auslegung der Methode, die sich größtenteils auf eine systemische Betrachtungsweise nach klassischer TRIZ-Denkweise stützt, konnte im vorgestellten Praxisbeispiel zunächst ein ganzheitliches sowie funktionales Systemverständnis des Frequenzumrichters mit dem spezifischen Suchfeld der Verbindungstechniken zur Anbindung der Leistungshalbleiter und seinen weiteren Systemkomponenten vermittelt werden (vgl. Kapitel 5.2.1). Dies hat die zielgerichtete Analyse und Bewertung von Technologien unter Berücksichtigung der funktionalen Zusammenhänge im Gesamtsystem des Frequenzumrichters im Laufe der weiteren Untersuchungen deutlich erleichtert. Ferner konnte damit auch der komplexe Untersuchungshintergrund aus der durch enormen Fortschritt geprägten Umrichtertechnik (vgl. Kapitel 5.1.2) systematisiert und der anschließende Lösungsprozess entscheidend vereinfacht werden. Mit dem angestrebten Perspektivwechsel von der Produkthistorie in die Zukunft, der auf die gezielte Synthese von System Operator und Szenario-Analyse in der Phase der systemischen Exploration aufbaut, wurden in der Folge wesentliche Trends bei den Systemkomponenten des Frequenzumrichters aufgedeckt und darauf aufbauend suchfeldspezifische Szenarien entwickelt. Damit konnte erfolgreich auf generelle 196 6 Diskussion der Ergebnisse Entwicklungsmöglichkeiten des Frequenzumrichters sowie signifikante, technologiespezifische Signale über die Weiterentwicklung der Verbindungstechniken zur Anbindung der Leistungselektronik hingewiesen werden (vgl. Kapitel 5.2.2). Die Integration klassischer Elemente einer Technologiefrüherkennung – in diesem Fall vorrangig die simple Analyse forschungsspezifischer Literatur – zur Verdichtung der technologiespezifischen Signale aus der systemischen Exploration ermöglichte schließlich eine umfassende Beschaffung und Verarbeitung von greifbaren Informationen über zukunftsrelevante, technologische Entwicklungen im Suchfeld. Unter dem Strich konnten dabei systematisch zwei neue bzw. alternative Technologieoptionen zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter für die untersuchten Frequenzumrichter (Pressverbindung, Power Chip Embedding) identifiziert und abschließend im Verbund mit den gegenwärtig eingesetzten Technologien (Schraubverbindung, Selektiv-Löten, Federkontaktierung) bewertet werden (vgl. Kapitel 5.2.3). Anhand der gezielten Ausrichtung der finalen Technologiebewertung am Kernaspekt einer multikriteriellen Bewertung konnte letzten Endes eine systematische und objektive Beurteilung der verschiedenen Technologieoptionen zur elektrischen und mechanischen Anbindung der Leistungshalbleiter unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Kriterien sichergestellt werden. Ein wesentliches Element war dabei die Überführung bzw. Visualisierung der Bewertungsergebnisse in ein spezifisches Handlungsportfolio, mit dem das Entscheidungsfeld für die SIEMENS AG strukturiert und konkrete Handlungsempfehlungen bzgl. der einzelnen Technologieoptionen abgeleitet werden konnten (vgl. Kapitel 5.2.4 & 5.2.5). Gestützt auf wesentliche Elemente der TRIZ-Methodik, Szenario-Analyse sowie Ansätzen zur multikriteriellen Bewertung, die in Verbindung mit eigenen Methodenbausteinen zu einem systematischen und durchgängigen methodischen Konzept verknüpft wurden, schafft die praktische Anwendung der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung insgesamt also eine fundierte Basis für Technologieentscheidungen im Rahmen der strategischen Produktplanung, die auf den Einsatz zukunftssicherer Technologien aus einem spezifischen Suchfeld in künftigen Produktlösungen abzielen. Nichtsdestotrotz muss in diesem Zusammenhang allerdings auch auf einzelne Problembereiche hingewiesen werden, die sich im Rahmen des Praxisbeispiels aufgetan haben und offenkundig Anlass zur Optimierung der Methode geben. Zum einen ist hier der Aufwand der Einflussanalyse in der Phase der systemischen Exploration (vgl. Kapitel 4.2.2 & 5.2.2) zu nennen, der sich sowohl aus fachlichen als auch zeitlichen Gründen als sehr hoch erweist. Die Einflussanalyse erfordert teils 6 Diskussion der Ergebnisse 197 sehr spezifisches Fachwissen vom Anwender, das jedoch nicht immer von Grund auf vorausgesetzt werden kann. Die gezielte Unterstützung durch fachliche Meinungen von Experten oder Interessensgruppen erscheint hier zwar sinnvoll, würde aber den ohnehin schon enormen Zeitaufwand für die Analyse der vielen Deskriptoren durch mögliche Diskussionen bzw. Meinungsverschiedenheiten noch zusätzlich erhöhen. Des Weiteren konnten trotz der eher subjektiv geführten Einflussanalyse im Rahmen des vorgestellten Praxisbeispiels dennoch brauchbare Ergebnisse für die charakteristischen Einflusskennzahlen erzielt werden, die wiederum wichtige Erkenntnisse für die Auswahl der Schlüsseldeskriptoren sowie die nachfolgende Erstellung der Zukunftsprojektionen und Szenarien lieferten. Letztendlich ist also gezielt abzuwägen, ob man den notwendigen Aufwand für die Einflussanalyse in Anbetracht des erreichbaren Nutzens gezielt in Kauf nehmen will oder nicht. Für letzteren Fall wäre die Entwicklung eines vereinfachten, aber dennoch zweckmäßigen Modells zur Auswahl der Schlüsseldeskriptoren ein möglicher Ansatzpunkt zur Optimierung der Methode. Als schwierig hat sich auch die Informationsbeschaffung zur Beschreibung der Technologieoptionen hinsichtlich der vorgegebenen Merkmalsklassen erwiesen (vgl. Kapitel 4.2.3 & 5.2.3). Dies ist vor allem auf die notwendigen Verallgemeinerungen hinsichtlich der Betrachtungsweise von Technologien innerhalb des vorgestellten Praxisbeispiels zurückzuführen, wodurch sich die Beschreibungen der Technologieoptionen auf eher allgemeine und unspezifische Informationen stützen. Für künftige, präziser ausgerichtete Anwendungsfälle der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung wird demnach ausdrücklich dazu geraten, auch wesentlich spezifischere Informationen wie z.B. quantitative Daten zu geometrischen, physikalischen, chemischen, biologischen oder monetären Attribute der Technologieoptionen zu berücksichtigen. Insbesondere die Potentialabschätzung im Rahmen der finalen Technologiebewertung kann durch eine Orientierung an konkreten Zahlenwerten nämlich deutlich erleichtert werden. Für eine insgesamt strukturiertere und geradlinigere Informationsbeschaffung wären ferner auch Untersuchungen ratsam, welche der genutzten Recherchemethoden für welche Merkmalsklassen am besten geeignet sind. Das Bewertungsmodell der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung stützt sich auf die amerikanische Schule der Multi-Attribut-Ansätze und setzt damit voraus, dass sich Entscheidungsträger bzw. Interessensgruppen ihrer Präferenzen bewusst sind und diese entsprechend transparent gemacht werden können (vgl. Kapitel 4.2.4 & 5.2.4). Nach der Erfahrung aus dem Praxisbeispiel ist jedoch speziell bei der Gewichtung der Bewertungskriterien eine klare Offenlegung der Präferenzen nicht immer möglich, was wiederum dazu führen kann, dass „sich gute und schlechte Kriterien vollständig gegeneinander kompensieren“ (OBERSCHMIDT, 2010, S. 59). Vor 198 6 Diskussion der Ergebnisse diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, sog. Outranking-Verfahren der europäischen Schule in das Bewertungsmodell zu integrieren, um auch widersprüchliche Informationen verarbeiten und die Folgen unterschiedlicher Kriterien-Gewichtungen aufzeigen zu können (vgl. Kapitel 2.4.2). Zudem lassen sich im Zuge einer spezifischeren und strukturierteren Informationsbeschaffung zur Beschreibung der Technologieoptionen möglicherweise auch die fest vorgegebenen Bewertungskriterien zur Bestimmung von Zukunfts- sowie Unternehmenspotential anpassen bzw. verfeinern, um noch aussagekräftigere Bewertungsergebnisse erzielen zu können. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die sehr triviale Abschätzung des Erfüllungspotentials der suchfeldspezifischen Szenarien auf Basis der gewichteten Eintrittswahrscheinlichkeit zu nennen, die durchaus Potential zur weiteren Verfeinerung bietet. 6.2 Excel-Tool Bei der phasenspezifischen Unterstützung der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung im Rahmen des vorgestellten Praxisbeispiels haben sich einige positive sowie negative Diskussionspunkte innerhalb des Excel-Tools herauskristallisiert. Als positiv ist hier zunächst die durchgängige Erfassung bzw. Bereitstellung, Verarbeitung und Sicherung der operativen, für die Untersuchung notwendigen Daten- und Informationsbasis während des kompletten Methodendurchlaufs zu erwähnen. Entscheidend sind dabei die gezielt über die Arbeitsanweisungen, Hinweise oder Hilfstabellen bereitgestellten Anhalts- bzw. Orientierungspunkte (z.B. Hinweise auf Recherchemethoden oder die automatische Bereitstellung der TESE, der Bewertungskriterien zur Bestimmung von Zukunfts- und Unternehmenspotential sowie der Normstrategien zur Analyse des Handlungsportfolios) zur Erfassung bzw. Bereitstellung von untersuchungsspezifischen Daten und Informationen in den einzelnen Ablaufschritten. Durch die Einbindung der charakteristischen Methoden- sowie Analyseelemente (Trendmodell, Einflussanalyse, Konsistenzanalyse, paarweiser Vergleich, multikriterielle Bewertung, Handlungsportfolio etc.) aus den einzelnen Ablaufschritten der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung in separate Tabellenblätter sowie deren logische Verknüpfung zu einem durchgängigen Ablaufmodell werden ferner auch die untersuchungsspezifischen Daten und Informationen zweckmäßig gesammelt und zu einem aussagekräftigen Endergebnis verarbeitet. Somit kann ein ausgeprägter Methoden- und Modellcharakter des Excel-Tools sichergestellt werden. Darüber hinaus sind auch die simple Navigation durch das Ablaufmodell über das Hauptmenü und die standardisierte Navigationsleiste sowie die zahlreichen Hilfsfunk- 6 Diskussion der Ergebnisse 199 tionen für eine korrekte Befüllung der Tabellenblätter (Hinweise, Kommentarfunktionen und die VBA-basierte Darstellung der Arbeitsanweisungen über separate Fenster) als positive Aspekte des Excel-Tools zu erwähnen. All dies ist auf ein durchdachtes Dialogsystem zurückzuführen, das eine übersichtliche Benutzeroberfläche schafft, eine einfache sowie strukturierte Interaktion bzw. Arbeitsweise des Anwenders ermöglicht und die Fehleranfälligkeit während des Methodendurchlaufs minimiert. Aus den geschilderten, positiven Erscheinungen geht letztendlich hervor, dass alle wesentlichen Bestandteile eines DSS (vgl. Kapitel 4.3) erfolgreich in das ExcelTool integriert werden konnten. Dennoch haben sich auch Schwachstellen im Excel-Tool gezeigt, die Anlass zur Verbesserung bieten. Die teils sehr umfangreichen Tabellen und Matrizen zu den einzelnen Methoden- bzw. Analyseelementen, die vorrangig in der Phase der systemischen Exploration (Trendmodell, Szenariofeld, Einflussanalyse etc.) zu finden sind, schränken die Übersichtlichkeit in den entsprechenden Tabellenblättern deutlich ein und können dazu führen, wichtige Details für die weiteren Untersuchungen bzw. zu befüllende Zellen zu übersehen. Bei der Gestaltung des Excel-Tools wurde daher der bestmögliche Kompromiss zwischen Übersichtlichkeit der Tabellen bzw. Matrizen und Leserlichkeit des Texts gewählt, was aber jedoch nicht immer zu zufriedenstellenden Ergebnissen führt. Bild 6.1 verdeutlicht diesen Umstand anhand einer Darstellung der Trendmodell-Matrix, bei der die Systemkomponenten auf Supersystemebene außerhalb des Sichtbereichs liegen und gezielt über einen Hinweis kenntlich gemacht werden müssen. Bild 6.1: Begrenzte Übersichtlichkeit im Excel-Tool am Beispiel der Trendmodell-Matrix Für eine verfeinerte und objektivere Beurteilung der Benutzerfreundlichkeit des Excel-Tools ist es zudem wichtig, dass auch Meinungen von neutralen bzw. nicht durch die Untersuchung beeinflussten Personen berücksichtigt werden, die jedoch 200 6 Diskussion der Ergebnisse die nötigen Fachkenntnisse sowie eine gewisse Grunderfahrung im Umgang mit Microsoft Office Excel mitbringen. Vor diesem Hintergrund wurde mit einem neutralen Anwender eine kleine Pilotstudie zum Test der Tauglichkeit des Excel-Tools durchgeführt. Der Testanwender ist Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik und verfügt über fundierte Excel-Kenntnisse, die aus einer jahrelangen Berufserfahrung in der Telekommunikationsbranche hervorgehen. Die Ergebnisse dieser Pilotstudie werden nachfolgend vorgestellt. Generell bestätigt der Testanwender nach einer musterhaften Befüllung die Eindrücke einer stringenten wie auch korrekten Erfassung bzw. Bereitstellung, Verarbeitung und Sicherung der operativen Daten- und Informationsbasis sowie eines logisch verknüpften Ablaufmodells. Hinsichtlich der Benutzerfreundlichkeit lobt der Testanwender insbesondre die einfache Steuerung bzw. Navigation innerhalb des Excel-Tools über die standardisierte Navigationsleiste sowie das Hauptmenü mit der Übersicht des generellen Ablaufmodells. Auch die einheitliche und durchgängige farbliche Gestaltung zusammenhängender Inhalte im gesamten Excel-Tool hilft enorm bei der Orientierung. Als besonders benutzerfreundlich erweisen sich laut Testanwender vor allem die implementierten Hilfsfunktionen über die generellen Hinweise, Kommentarfunktionen sowie VBA-basierten Arbeitsanweisungen in den einzelnen Tabellenblättern, die wenig Spielraum für anwenderseitige Fehler lassen und somit eine wichtige Voraussetzung für eine korrekte Befüllung des Excel-Tools schaffen. Jedoch wird deutlich darauf hingewiesen, dass die genaue Befolgung der spezifischen Hinweise in den Tabellenblättern essentiell ist. Nur so kann der Anwender im Sinne der Übersichtlichkeit gezielte Empfehlungen zur Ausblendung irrelevanter Spalten bzw. Zeilen sowie zur Navigation zu relevanten Inhalten außerhalb des Sichtbereichs berücksichtigen und eine vollständige sowie fehlerlose Befüllung des Tools sicherstellen. Als Fazit zur Tauglichkeit des Excel-Tools für eine phasenspezifische Unterstützung der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung werden sämtliche Diskussionspunkte dieses Kapitels abschließend noch einmal zusammengefasst und nach den wesentlichen positiven sowie negativen Aspekten aufgeschlüsselt: Positive Aspekte: durchgängige Erfassung bzw. Bereitstellung, Verarbeitung und Sicherung der operativen Daten- und Informationsbasis sowie ausgeprägter Methoden- und Modellcharakter als Grundlage für aussagekräftige Ergebnisse; durchdachtes Dialogsystem für eine übersichtliche Benutzeroberfläche, vereinfachte und strukturierte Interaktion bzw. Arbeitsweise sowie geringe Fehleranfälligkeit; Negative Aspekte: mangelnde Übersichtlichkeit in umfangreichen Tabellenblättern als potentielle Gefahrenquelle zur Vernachlässigung wichtiger Details. 6 Diskussion der Ergebnisse 201 Es wird deutlich, dass die positiven Aspekte klar überwiegen, weshalb das ExcelTool insgesamt eine effiziente und effektive Möglichkeit zur phasenspezifischen Unterstützung der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung bietet. Gerade in Verbindung mit den möglichen Optimierungen bzw. Verfeinerungen des methodischen Konzepts (vgl. Kapitel 6.1) ist der Entwurf eines Tools fern von der Software Microsoft Office Excel, welches insgesamt ein noch strukturierteres Interface zur Verfügung stellt und gleichzeitig auch komplexe Rechenschritte – z.B. im Hinblick auf mögliche Outranking-Verfahren im Rahmen der multikriteriellen Bewertung – bewerkstelligen kann, durchaus in Erwägung zu ziehen. 202 7 7 Zusammenfassung Zusammenfassung Angesichts des globalen Wettbewerbs, der immer kürzer werdenden Produktlebensund Innovationszyklen sowie der wachsenden Anforderungen der Kunden an Qualität, Kosten und Funktionalität, sind Unternehmen verstärkt auf zukunftsträchtige Produkte mit technologischem Vorsprung angewiesen. Eine gründliche Analyse des Technologiemarkts zur frühzeitigen Identifikation sowie Bewertung geeigneter Technologien als richtungsweisende Grundlage für Technologieentscheidungen in der strategischen Produktplanung und dem Ziel einer zukunftsorientierten Produktentwicklung gewinnt vor diesem Hintergrund immer mehr an Bedeutung (vgl. Kapitel 1.1). Zur Unterstützung solcher Technologieentscheidungen stehen den Unternehmen unterschiedliche Bewertungsmethoden zur Verfügung, die sich aktuell jedoch aufgrund veränderter Rahmenbedingungen im Bereich der Technologieentstehung sowie -entwicklung wesentlichen Problembereichen ausgesetzt sehen (vgl. Kapitel 1.2). Um der daraus resultierenden Forderung zur Erarbeitung einer zeitgemäßen Bewertungsmethode entsprechend nachzukommen, wurden in Kapitel 1.3 drei wesentliche Fragestellungen abgeleitet, die – wie Bild 7.1 zeigt – im Laufe dieser Arbeit schrittweise beantwortet wurden. ? ! Fragestellungen Beantwortung Was sind die Schwierigkeiten und Anforderungen einer methodisch gestützten Technologiebewertung für eine zukunftsorientierte Produktentwicklung? Kapitel 2 & 3 Mit welchen Mitteln und prozessualen Strukturen in Verbindung mit Analyseelementen bestehender Methoden zur Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung lässt sich ein systematisches und rechnergestütztes, methodisches Konzept entwickeln, das diesen Schwierigkeiten und Anforderungen gerecht werden kann? Kapitel 4 Erweist sich die erarbeitete Methode als tauglich für einen Einsatz in der unternehmerischen Praxis? Kapitel 5 & 6 Bild 7.1: Beantwortung der zentralen Fragestellungen im Rahmen der Masterarbeit 7 Zusammenfassung 203 Mit den Kapiteln 2 & 3 dieser Arbeit konnte zunächst ein theoretisches Fundament geschaffen werden, das einen Einblick in den aktuellen Stand der Forschung lieferte und im Anschluss die Herleitung von Schwierigkeiten bzw. Anforderungen einer methodisch gestützten Technologiebewertung im Hinblick auf eine zukunftsorientierte Produktentwicklung erlaubte. Dafür wurde vorab ein grundlegendes Verständnis zum Technologiebegriff an sich sowie zur Unternehmensaufgabe des Technologiemanagements mit Fokus auf die beiden Instrumente der Technologiefrüherkennung und -bewertung vermittelt. Durch die Einordnung der beiden Instrumente in die Phase der strategischen Produktplanung zur gezielten Unterstützung von Technologieentscheidungen konnte zudem der Wirkungskreis der geforderten Methode abgesteckt werden. Ein Einblick in die Thematik der multikriteriellen Bewertung sowie die Vorstellung von Methoden aus Literatur und Praxis, die im Rahmen der Technologiefrüherkennung und Technologiebewertung verbreitet zum Einsatz kommen, komplettierten schließlich den Stand der Forschung. Gemessen an den Anforderungen einer multikriteriellen Bewertung wie auch den in der Einleitung geschilderten Problembereichen einer Technologiebewertung konnten in der Folge gezielt Schwachstellen im gegenwärtigen Methoden-Portfolio aufgedeckt und in konkrete Anforderungen an die geforderte Bewertungsmethode überführt werden: Strukturiertes und tool- bzw. rechnergestütztes Vorgehensmodell; Integration von Elementen der Technologiefrüherkennung; Produktspezifische Auslegung; Systematisches und multikriterielles Bewertungsmodell. Die Frage, mit welchen Mitteln, prozessualen Strukturen und Analyseelementen sich die genannten Anforderungen in einem systematischen sowie rechnergestützten methodischen Konzept vereinen lassen, wurde in Kapitel 4 beantwortet. Auf Basis der Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln wurden dazu bewährte Ansätze der TRIZ-Methodik, der Szenario-Analyse sowie der multikriteriellen Bewertung mit eigens entwickelten Analyseelementen zu einem durchgängigen methodischen Konzept namens TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung verknüpft. Die Methode umfasst dabei vier grundlegende Phasen mit insgesamt 12 Ablaufschritten und orientiert sich an drei wesentlichen Leitmotiven: Systemische Exploration zur Erforschung der Produkthistorie als Ausgangspunkt für die Ableitung von Systemtrends sowie die darauf aufbauende Erstellung suchfeldspezifischer Szenarien zur Erfassung technologiespezifischer Signale; Bestimmung von potentiellen Technologieoptionen unter Berücksichtigung der technologiespezifischen Signale; 204 7 Zusammenfassung Multikriterielle Bewertung der Technologieoptionen hinsichtlich Technologiepotential, Zukunftspotential sowie deren Realisierbarkeit durch das Unternehmen. Mit dieser Ausrichtung wurde die TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung gezielt auf die systematische Unterstützung bei Technologieentscheidungen in der strategischen Produktplanung ausgelegt, die auf eine frühzeitige, technologiebezogene Anpassung bzw. Weiterentwicklung eines bestehenden Produkts im Hinblick auf eine zukunftsorientierte Produktentwicklung abzielen. Die gewonnenen, technologischen Erkenntnisse sollen Unternehmen in der Folge konkrete Anreize für mögliche Varianten- bzw. Änderungskonstruktionen oder sogar Neukonstruktionen liefern. Mit dem Ziel darüber hinaus auch eine praktikable und reproduzierbare Anwendung der Methode in der Praxis sicherzustellen, wurde mit der Software Microsoft Office Excel abschließend ein strukturiertes und nachvollziehbares Tool erstellt, das den Anwender bei der Ausführung der Methode phasenspezifisch unterstützt. Dieses Tool verbindet dabei gezielt die wesentlichen Bestandteile eines DSS (Daten, Methoden, Modelle und Dialogsystem) zu einem durchgängigen Ablaufmodell, das letztendlich den kompletten Prozess der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung abdeckt. Der geforderte Nachweis der Praxistauglichkeit der Methode in Verbindung mit dem entwickelten Excel-Tool erfolgte schließlich in den Kapiteln 5 & 6 anhand eines konkreten Praxisbeispiels bei der SIEMENS AG sowie einer abschließenden Diskussion der gewonnenen Erkenntnisse. Das Praxisbeispiel hatte zur Aufgabe, nach zukunftsweisenden Technologien zur elektrischen und mechanischen Anbindung von Leistungshalbleitern für Frequenzumrichter aus dem Niederspannungsbereich und einem Leistungsbereich von 250 W bis 100 kW innerhalb der SINAMICS-Familie zu suchen und diese abschließend hinsichtlich ihres Einsatzpotentials zu bewerten. Vor diesem Hintergrund konnten mit Hilfe der TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung neben den gegenwärtig eingesetzten Technologien (Schraubverbindung, Selektiv-Löten, Federkontaktierung) auch zwei neue, alternative Technologieoptionen (Pressverbindung, Power Chip Embedding) identifiziert und hinsichtlich Technologie-, Zukunfts- sowie Unternehmenspotential bewertet werden. Auf Basis der Bewertungsergebnisse wurden letztendlich Handlungsempfehlungen für die einzelnen Technologieoptionen abgeleitet, die der SIEMENS AG als richtungsweisende Grundlage für Entscheidungen über den Einsatz in künftigen Produktlösungen dienen. Als potentieller Meilenstein in Richtung verstärkter System-Integration, Optimierung von Energieeffizienz, Leistungsdichte und Usability sowie zur generellen Verbesserung der Verbindungstechniken ist hier insbesondere das Power Chip Embedding zu nen- 7 Zusammenfassung 205 nen, für das im Hinblick auf einen serientauglichen Einsatz in Leistungsanwendungen bei Frequenzumrichtern jedoch noch letzte verfahrenstechnische Fragen zu klären sind. Eine abschließende Diskussion der praktischen Eignung des methodischen Konzepts sowie des Excel-Tools (inkl. Pilotstudie) erfolgte schließlich in Kapitel 6, in dem gezielt auf positive und negative Erfahrungswerte sowie konkrete Verbesserungsvorschläge hingewiesen wurde. Mit der Erarbeitung des systematischen, methodischen Konzepts zur TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung unter Berücksichtigung der spezifischen Problembereiche bzw. Anforderungen im Rahmen einer zeitgemäßen Technologiebewertung sowie der erfolgreichen Anwendung der Methode an einem konkreten Praxisbeispiel aus der Industrie kann die übergeordnete Zielsetzung dieser Arbeit abschließend als erfüllt betrachtet werden. Die TRIZ- und szenariobasierte Technologiebewertung erweist sich dabei als nützliches Instrument zur Vorbereitung bzw. Unterstützung von Technologieentscheidungen in der strategischen Produktplanung mit dem Ziel einer frühzeitigen und zukunftsorientierten Anpassung bzw. Weiterentwicklung eines bestehenden Produkts. Durch das implizierte Systemverständnis bietet sie vor allem die Möglichkeit der gezielten Strukturierung bzw. Vereinfachung komplexer Problemstellungen. Die bewusste Verknüpfung einer retro- und prospektiven Systemanalyse liefert anschließend wichtige, technologiespezifische Signale innerhalb eines Suchfelds, die wiederum entscheidend zur Identifikation neuer Technologiealternativen anregen. Schließlich kann mit dem finalen, multikriteriellen Bewertungsmodell eine objektive Beurteilung der identifizierten Technologiealternativen aus unterschiedlichen Perspektiven (Bewertungsdimensionen) umgesetzt werden, das die gezielte Ableitung von Handlungsempfehlungen für Entscheidungsträger ermöglicht. Ferner gewährleistet das entworfene Excel-Tool eine effektive und effiziente, rechnergestützte Anwendung der Methode in der Unternehmenspraxis. 206 8 Ausblick 8 Ausblick Zum Abschluss dieser Arbeit wird noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die „ideale“ Methode zur Technologiebewertung nicht existiert. Es ist vielmehr notwendig, bestehende Methoden zur Technologiebewertung entsprechend ihrer charakteristischen Stärken, Schwächen und Einsatzbereiche zu optimieren und in ihrem Anwendungsaufwand beherrschbar zu gestalten (SCHNEIDER, 2002, S. 166). Dies gilt folglich auch für die im Rahmen dieser Arbeit entwickelte Methode zur TRIZund szenariobasierten Technologiebewertung. Die aus Kapitel 6 gewonnenen Erkenntnisse über diverse Problembereiche innerhalb des methodischen Konzepts sowie des Excel-Tools werden vor diesem Hintergrund noch einmal zusammengefasst und liefern in der Summe einen richtungsweisenden Ausblick auf künftigen Optimierungsbedarf: Entwicklung eines zweckmäßigen, aber im Aufwand minimierten Modells zur Auswahl der Schlüsseldeskriptoren im Rahmen der systemischen Exploration; Untersuchungen bzgl. der Eignung von Recherchemethoden für die einzelnen Merkmalsklassen mit dem Ziel einer insgesamt strukturierteren und geradlinigeren Informationsbeschaffung im Rahmen der Beschreibung von Technologieoptionen; Verstärkte Berücksichtigung von quantitativen Daten bei der Beschreibung von Technologieoptionen im Hinblick auf eine erleichterte Potentialabschätzung bei der multikriteriellen Bewertung; Verfeinerung des Bewertungsmodells durch Integration von OutrankingVerfahren sowie die Modifikation bzw. Erweiterung der vorgegebenen Bewertungskriterien; Entwurf eines rechnergestützten Tools auf neuer Software-Basis mit verbessertem Interface und den notwendigen softwaretechnischen Kapazitäten für mögliche Modifizierungen am methodischen Konzept. Die erwähnten Verbesserungsvorschläge zur TRIZ- und szenariobasierten Technologiebewertung stützen sich aktuell nur auf die Erkenntnisse aus einer einzelnen Anwendung der Methode am Praxisbeispiel der SIEMENS AG sowie einer simplen Pilotstudie durch nur einen Testanwender. Demzufolge sind weiterführende, quantitative sowie qualitative Untersuchungen (Pilotstudie in größerem Umfang, Anwendung 8 Ausblick 207 der Methode in weiteren Projekten) für die Absicherung bzw. Vertiefung der Erkenntnisse zur Praxistauglichkeit – vor allem hinsichtlich des Nutzen-Aufwand-Verhältnisses sowie weiterer Verbesserungsvorschläge – dringlich zu empfehlen. 208 9 9 Bibliografie Bibliografie VDI 2206: Entwicklungsmethodik für mechatronische Systeme. 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München-Wien: Carl Hanser Verlag, 2005, S. 169–193. 220 Anhang A Sammlung der erweiterten TESE Anhang A Sammlung der erweiterten TESE Tabelle A: Erweiterte TESE in Anlehnung an ADUNKA, 2014, S. 319; Innovation Tool Academy, 2011, S. 154–441 Trend Bedeutung Subtrends, Sub-Subtrends, Verläufe Einführung Übergang Wachstum Reife Degeneration Evolution entlang der S-Kurve alle technischen Systeme durchlaufen die Phasen Einführung, Übergang, Wachstum, Reife, Degeneration zunehmende Idealität technische Systeme entwickeln sich in Richtung zunehmender Idealität Verlauf der Idealität (Verhältnis zwischen Funktionalität und Kosten) entlang der SKurve technische Systeme gehen im Lauf der Zeit zum Supersystem über 1: zunehmende Parameterunterschiede homogene Parameter vereinzelte Unterschiede totale Verschiedenheit 2: zunehmende Funktionsunterschiede gleiche Hauptfunktionen verschiedene Hauptfunktionen gegensätzliche Hauptfunktionen 3: zunehmende Integrationstiefe unverbunden teils verbunden teils getrimmt vollständig getrimmt 4: zunehmende Integrationsanzahl Mono-System Bi-System Poly-System Übergang zum Supersystem Vollständigkeit der Systemkomponenten sukzessive Zusammenführung von Ausführungsteil, Übertragungsteil, Energiequelle und Kontrollteil zu einem vollständigen technischen System Integration von Ausführungsteil Integration von Übertragungsteil Integration von Energiequelle Integration von Kontrollteil abnehmende menschliche Interaktion technische Systeme entwickeln sich so, dass immer weniger menschliche Interaktionen notwendig sind Wegfall von übertragenden Tätigkeiten Wegfall von versorgenden Tätigkeiten Wegfall von kontrollierenden Tätigkeiten Wegfall von Entscheidungen Anhang A Sammlung der erweiterten TESE Trend zunehmende Koordination zunehmende Kontrollierbarkeit Bedeutung 221 Subtrends, Sub-Subtrends, Verläufe verbesserte Abstimmung zwischen den Systemkomponenten im Lauf der Zeit 1: Koordination der Form A: identische Formen B: selbst-kompatible Formen C: kompatible Formen D: spezifische Formen 2: Koordination der Rhythmik A: identische Rhythmen B: ergänzende Rhythmen C: spezifische Rhythmen 3: Koordination der Materialien A: identische Materialien B: ähnliche Materialien C: inerte bzw. neutrale Materialien D: Materialkombinationen E: gegenläufige Materialien 4: Koordination der Arbeitsschritte A: von 3D zu 0D B: von 0D zu 3D 5: Koordination der Parameter A: Parameterart AA: identische Parameter AB: verschiedene Parameter AC: interne Parameter AD: interne und externe Parameter B: Koordinationsart eingeschränkte Koordination vermittelte Koordination Selbst-Koordination verbesserte Steuerbarkeit der Systemkomponenten im Lauf der Zeit 1: zunehmender Kontrollgrad unkontrollierter Zustand starre Kontrolle Kontrolle mit Eingriffsmöglichkeit externe Systemkontrolle Selbst-Kontrolle 2: zunehmende Anzahl an Kontrollstufen einstufig mehrstufig dynamisch instabil 222 Anhang A Sammlung der erweiterten TESE Trend zunehmende Dynamisierung ungleichmäßige Entwicklung von Systemkomponenten zunehmender Trimm-Grad zunehmende Fluss-Optimierung Bedeutung verbesserte Dynamik der Systemkomponenten im Lauf der Zeit ungleichmäßige Weiterentwicklung der Systemkomponenten im Lauf der Zeit Subtrends, Sub-Subtrends, Verläufe 1: Dynamisierung des Designs A: Dynamisierung von Stoffen Monolith-System zusammengesetztes System eingelenkiges System mehrgelenkiges System elastisches System pulverförmiges System flüssiges System gasförmiges System feldförmiges System B: Dynamisierung von Feldern konstantes Feld Gradienten-Feld variables Feld pulsierendes Feld Resonanz-Feld Interferenz-Feld 2: Dynamisierung des Aufbaus Monolith-Aufbau Platten-Aufbau Borsten-Aufbau beweglicher Aufbau durchlässiger Aufbau 3: Dynamisierung der internen Struktur A: linear zu nicht-linear B: einschichtig zu vielschichtig 4: Dynamisierung der Funktionen Fokus auf ausführende Komponenten Fokus auf unterstützende Komponenten Fokus auf unwichtige Komponenten die Anzahl an Bestandteilen technischer Systeme nimmt bei gleichbleibender oder gar verbesserter Funktionalität im Lauf der Zeit ab 1: Eliminieren von Subsystemen aus Übertragungsteil aus Energiequelle aus Kontrollteil aus Ausführungsteil 2: Eliminieren von Arbeitsschritten korrigierende Arbeitsschritte unterstützende Arbeitsschritte ausführende Arbeitsschritte 3: Eliminieren von unwichtigen Teilen verbesserte Flussraten/-eigenschaften von Energie, Stoffen und Informationen 1: Verbesserung nützlicher Flüsse A: Erhöhung der Leitfähigkeit B: Verbesserung der Nutzung 2: Milderung negativer Flüsse A: Reduktion der Leitfähigkeit B: Reduktion der Wirkung Anhang B Verzeichnis Excel-Tool_Praxisbeispiel Anhang B Verzeichnis Excel-Tool_Praxisbeispiel B.1 Vorbereitungsphase B.1.1 Untersuchungsrahmen B.1.2 Systemtechnische Strukturierung B.2 Systemische Exploration B.2.1 Gestaltung des Trendmodells B.2.2 Erstellung des Szenariofelds B.2.3 Einflussanalyse B.2.4 Erstellung von Zukunftsprojektionen B.2.5 Szenariobildung B.3 Bestimmung von Technologieoptionen B.3.1 Technologieidentifikation B.3.2 Beschreibung der Technologieoptionen B.4 Multikriterielle Technologiebewertung B.4.1 Aufbereitung der Bewertungskriterien B.4.2 Multikriterielle Bewertung B.4.3 Ableitung von Handlungsempfehlungen 223 224 Anhang C Verzeichnis Datenträger Anhang C Verzeichnis Datenträger 01_Masterarbeit (Abgabeversionen) 02_Abbildungen_Masterarbeit 03_Literatur_Masterarbeit 01_Einführung 02_Stand_der_Forschung 03_Ableitung_Handlungsbedarf 04_Methodisches_Vorgehen 05_Praxisbeispiel 06_Diskussion 07_Zusammenfassung 08_Ausblick Hinweise 04_Excel-Tool 01_Arbeitsanweisungen Excel-Tool Excel-Tool_Praxisbeispiel Passwort_Excel-Tool 05_Recherche_Praxisbeispiel 01_Eigenrecherche 02_Literatur_Praxisbeispiel Anhang D Datenträger Anhang D Datenträger 225 226 Anhang E Lebenslauf Anhang E Lebenslauf Persönliches: Florian Heid geboren in Neustadt an der Aisch am 16.02.1989 ledig Berufserfahrung: 03/2009 – heute Werkstudent der Rudolf Wöhrl AG, Buying Support, Nürnberg 08/2014 – 01/2015 Masterand der Siemens AG, Drive Technologies, Erlangen 11/2011 – 11/2011 Praktikant der Bühler Motor GmbH, Metrology, Nürnberg 09/2008 – 09/2008 Praktikant der Jacob Composite GmbH, Forschung & Entwicklung, Wilhelmsdorf 07/2008 – 08/2008 Praktikant der Rudolf Wöhrl AG, Controlling, Nürnberg Studium: 10/2012 – heute Master-Studium im Fach Wirtschaftsingenieurwesen, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg 10/2008 – 10/2012 Bachelor-Studium im Fach Wirtschaftsingenieurwesen, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg Anhang E Lebenslauf Schulbildung: 227 09/1999 – 07/2008 Friedrich-Alexander-Gymnasium, Neustadt an der Aisch, Abschluss: Abitur 09/1995 – 07/1999 Grundschule, Emskirchen Kenntnisse: Sprachen Deutsch (Muttersprache) Englisch (fließend) EDV Java, HTML, XHTML, Eclipse, Pro/ENGINEER, Solid Edge, MS Office