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Zeitpunkt
Samstag
17. Januar 2015
Aufstieg, Fall und kleine Auferstehung des Johan V.
Greater Berne
FUSSBALL Mit 16 galt Johan
Vonlanthen (28) als Jahrhunderttalent. Heute spielt er
nach einer Karriere auf der
Achterbahn bloss bei Servette
in der Challenge League. Er
ist im Fussballgeschäft auf
hohem Niveau gescheitert,
wurde gläubig – und glaubt
doch nicht an ein Leben
ausserhalb des Fussballs.
Diese Geschichte hat ein Happy
End. Vielleicht.
Treffpunkt ist Ende Dezember
in Bern, und Johan Vonlanthen
sagt: «Ich bin heute ein besserer
Mensch.» Vonlanthen sitzt in einem Café nahe dem Zytglogge, er
wirkt gelöst, lacht oft, unter seinem Pullover spannen sich die
Muskeln, er sieht aus wie ein
Kraftsportler. Aber Johan Vonlanthen ist Fussballer, immer
noch, viele haben das wohl vergessen, und er ist hier in Bern, um
über seine Karriere zu sprechen.
Neben ihm sitzt Esteban. Der
vierjährige Sohn hat sich das
iPhone des Vaters geschnappt, er
ist während des fussballspiellangen Gesprächs beschäftigt. Johan
Vonlanthen, bald 29 Jahre alt, redet offen, ausführlich, manchmal
überlegt er lange, manchmal antwortet er spontan.
Vonlanthen macht nicht den
Eindruck, als falle es ihm schwer,
darüber zu reden, dass er als Fussballer auf hohem Niveau gescheitert ist. Vielleicht vor allem an den
Erwartungen. Er spielt heute bei
Servette Genf und nicht bei Real
Madrid. In der zweitklassigen
Challenge League, nicht in der
Champions League. Er blickt zurück auf über ein Jahrzehnt voller
Missverständnisse. Auf einen
steilen Aufstieg. Den tiefen Fall.
Und auf die überraschende, kleine Auferstehung. Er sagt: «Ich
hatte mir das anders vorgestellt.»
Der Transfer zu Eindhoven
Ende Januar 2002: Johan Vonlanthen, noch nicht mal 16, sitzt
in seinem Kinderzimmer im
zweiten Stock an der Burgunderstrasse 134 in Berns Westen und
sagt: «Mein Traum ist es, einmal
mit Ronaldo bei Inter Mailand zu
spielen.» Das wollen zu diesem
Zeitpunkt viele 15-Jährige weltweit. Doch Vonlanthen ist kein
gewöhnlicher Junge, selbst wenn
an der Wand hinter dem Bett wie
in vielen Bubenzimmern ein Brasilien-Trikot Ronaldos hängt und
ein Poster von Carlos Valderrama, dem legendären, wuschelköpfigen Regisseur aus Vonlanthens
Heimatland Kolumbien.
Johan Vonlanthen ist fussballerisch aussergewöhnlich begabt.
Er ist schnell auf den Beinen,
kann explosiv beschleunigen, in
höchstem Tempo Haken schlagen – und der Ball klebt ihm doch
am Fuss. Die besten Klubs stürzen sich auf den blutjungen Vonlanthen: Inter Mailand, Real
Madrid, Barcelona, Manchester
United, Bayern München, Arsenal. Berater Angelo Semeraro
meint Anfang 2002, sein Klient
besitze das Potenzial für eine
Weltkarriere. Und er verspricht:
«Die Laufbahn von Vonlanthen
wird behutsam vorangetrieben.»
Im Februar 2002 erzielt Johan
Vonlanthen mit 16 Jahren und 23
Tagen sein erstes Tor für YB. Jünger war vor ihm keiner in der
obersten Schweizer Spielklasse.
Von Behutsamkeit bezüglich Karriereplanung allerdings ist schnell
nicht mehr die Rede. Vonlanthen
reist für ein zehntägiges Probetraining zu Real Madrid, wechselt
dann aber mit 17 Jahren zum PSV
Eindhoven nach Holland. Dorthin, wo Jahre vorher auch die
brasilianischen Weltklassestürmer Romario und Ronaldo ihre
glanzvolle Laufbahn lancierten.
25
Schlank
dank
Dart
M
Strahlende Zuversicht, selbstkritische
Einkehr: Die verschiedenen Gesichter
von Johan Vonlanthen bei seinem
Besuch in Bern. Bilder Walter Pfäffli
«Ich glaubte, es geschafft zu
haben», sagt Vonlanthen heute.
«Ich war so glücklich.»
Auf dem Weg zum Schnösel
Fredy Bickel kennt Johan Vonlanthen schon lange. Er war – wie
heute – YB-Sportchef, als Vonlanthen bei den Young Boys vom
verspielten Buben raketenartig
zum Wunderknaben aufstieg.
«Ich habe selten einen talentierteren Fussballer gesehen», sagt
«Ich habe selten
einen talentierteren
Fussballer gesehen.
Sein Wille war
bemerkenswert.»
YB-Sportchef Fredy Bickel
Bickel. «Aber Vonlanthen hat
Pech gehabt. Der Transfer zu
Eindhoven kam zu früh. Das passiert leider vielen Talenten.»
Vielleicht sei YB damals auch
nicht der richtige Klub für Vonlanthen gewesen, räumt Bickel
ein. «Alle Parteien wollten diesen
Wechsel», sagt er, «selbst wenn
die Interessen von Käufer und
Verkäufer an diesem Deal komplett verschieden waren.»
Der PSV Eindhoven sieht in
Vonlanthen ein Investment und
denkt bereits bei der Verpflichtung daran, wie teuer er das
Juwel später weiterverkaufen
könnte. Für das finanziell stark
angeschlagene YB ist der Vonlanthen-Verkauf eine Notwendigkeit: YB ist auf das Geld angewiesen, denn die Investoren wollen,
dass der Verein ihnen eine Million Franken zurückzahlt. Deshalb
geht der 17-Jährige 2003 für eine
Ablösesumme von 1,3 Millionen
Franken zu Eindhoven. Die Young
Boys sind gerettet, und Vonlanthen, in der Spätpubertät, macht
einen weiteren Schritt auf dem
Weg vom strahlenden Sonnyboy
zum selbstgefälligen Schnösel.
Talent, Ehrgeiz, Fleiss
Fredy Bickel findet, es wäre besser für die Entwicklung Vonlanthens gewesen, wenn dieser noch
zwei Jahre bei YB geblieben wä-
re. Das denkt heute auch Vonlanthen. «Aber das Fussballgeschäft
läuft anders», sagt er. Dass er damals überzeugt war, bereit zu
sein für die ganz grosse Bühne,
«legte man mir als Arroganz aus.
Aber ich war einfach so. Ich kannte keine Zweifel.»
Und der junge Vonlanthen ist
bereit zu investieren. «Sein Wille
war bemerkenswert», sagt Bickel.
«Er besass alles: Talent, Ehrgeiz,
Fleiss.» Und Marco Schällibaum,
damals sein Trainer in Bern, sagt
einmal: «Einen Stürmer mit solchen Möglichkeiten gibt es in der
Schweiz wohl nur alle hundert
Jahre.» Dieses Zitat will Schällibaum aber nicht in der Zeitung
sehen, um den Fussballer vor zu
hohen Erwartungen und Selbstüberschätzung zu schützen.
Doch die Realität entwickelt
einen eigenen Drive. Vonlanthen
zieht direkt aus dem Bümplizer
Kinderzimmer allein in eine wunderschöne Wohnung in Eindhoven. Er hat Geld, er fährt, sobald
er den Führerausweis hat, ein
teures Auto. Von den Fans wird er
verehrt, von den Frauen begehrt.
Die zwei grössten Eskapaden
Erst mit 12 Jahren kommt Vonlanthen 1998 in die Schweiz, zusammen mit der kolumbianischen Mutter, drei Geschwistern
und dem Stiefvater, einem Freiburger. Das Leben, zuerst in Flamatt, später in Thörishaus und in
Bern, fühlt sich ganz anders an
als in Kolumbien. Ein Paradies,
weil alles im Überfluss vorhanden
ist. Aber für einen Jungen, der
vorher unbeschwert in den verstaubten Gassen Santa Martas an
der Karibikküste Kolumbiens gekickt hat, auch die Hölle. Diese Regeln! Diese Disziplin! Diese Kälte!
Im Fussball kann sich Johan
Vonlanthen in der fremden Welt
bald profilieren, und der Wechsel
nach Holland bedeutet für ihn
auch, die Enge seiner Berner Jugendjahre hinter sich zu lassen.
Doch plötzlich lässt er sich nicht
mehr viel sagen, er lehnt sich auf,
führt sich patzig auf mit Journalisten, ist überheblich zu den Mitspielern, ungehorsam gegenüber
den Trainern. «Ich habe Fehler
gemacht und würde mit dem
heutigen Wissen vieles anders
angehen», sagt er jetzt. «Aber ich
kann nicht rückgängig machen,
was damals geschah. Und ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich
mich noch für die Dinge entschuldigen muss, die früher passiert sind. Ich habe mich für einige
Sachen genug lange geschämt.»
Es gibt zahlreiche Vorfälle aus
jenen Jahren, bei denen Vonlanthen den Verdacht nährt, Regeln
seien da, um von ihm gebrochen
zu werden. Etwa, als er sich mit 17
Jahren weigert, in der Schweizer
U-21-Auswahl auf der Ersatzbank Platz zu nehmen. Und vor
der WM 2006 will der Angreifer
seinen Platz im Schweizer Team
trotz einer Oberschenkelverletzung nicht für den nachnominierten Hakan Yakin räumen. Er
reicht ärztliche Atteste ein, will
die WM-Teilnahme erzwingen,
sorgt für Unruhe und fällt in Ungnade. «Ich war verzweifelt und
wollte die WM unter keinen Umständen verpassen. Es war immer
mein Ziel, einmal an einer Weltmeisterschaft zu spielen», sagt er.
Jüngster Torschütze an einer Euro: Johan Vonlanthen trifft an der EM 2004
mit 18 Jahren gegen das grosse Frankreich.
Keystone
Das Tor an der Euro 2004
20 Jahre ist Johan Vonlanthen
erst, als er mit dieser Trotzaktion
den Anfang vom Ende seines Aufstiegs einläutet. Zwei Jahre vorher schoss er an der Euro 2004 in
Portugal das einzige Tor der
Schweizer – bei der 1:3-Niederlage gegen das grosse Frankreich
und Weltmeistertorhüter Fabien
Barthez. Er ist immer noch der
jüngste Torschütze an einer EMEndrunde, wenige Tage vor dem
Engländer Wayne Rooney, dessen Stern an der gleichen Euro
aufgeht. Rooney ist heute bei
Manchester United ein Superstar, das Engagement Vonlanthens bei Eindhoven endet 2006
ohne Erfolg – nach glücklosen
Leihtransfers zu Brescia in die
italienische und Breda in die holländische Fussballprovinz.
Samstag Ruhetag
Trotzdem gibt es 2006 noch viele
Leute, die an Vonlanthens Begabung glauben. Er wechselt zu Red
Bull Salzburg nach Österreich,
wo Lothar Matthäus, der frühere
Weltmeister und Weltfussballer,
als Assistenztrainer arbeitet.
Matthäus sagt, er habe in all sei-
Das Jahrhunderttalent: Johan Vonlanthen schoss sein erstes Tor für YB
mit 16 Jahren und 23 Tagen.
Keystone
nen Jahren bei Bayern München
nie einen Fussballer mit den
Möglichkeiten Vonlanthens gesehen – was dessen Überheblichkeit befeuert. Sportlich läuft es
bei Salzburg nach überragendem
Beginn auch wegen Verletzungen
immer harziger. «Es war eine
schwierige Phase», sagt er, «und
es war nicht einfach, zu verarbeiten, dass ich es in Eindhoven
nicht geschafft hatte.»
Vonlanthen macht als Leihspieler beim FC Zürich Station,
wo er seine Klasse in der Saison
2009/2010 zeigen kann. Er
schiesst zehn Tore, wird von Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld
aber nicht für die WM 2010 aufgeboten. Vonlanthen fällt in dieser Zeit in eine Identitätskrise, er
reist jetzt oft nach Kolumbien,
wo er eine Frau kennen lernt, die
sein Leben komplett verändert.
Es ist eine Priesterin der Siebenten-Tags-Adventisten, einer
protestantischen Freikirche, für
die der Samstag ein Ruhetag ist,
an dem nicht gearbeitet wird. In
Salzburg und beim FCZ stösst
Vonlanthens Anliegen, am Sabbat nicht spielen zu wollen, auf
wenig Verständnis. Und so erstaunt es nicht, wechselt Vonlanthen im Sommer 2011 nach
Kolumbien zu Itagüí Ditaires.
Dieser Schritt sieht wie ein
Rückzug aus, und als es zwölf Monate später heisst, Vonlanthen
trete mit 26 Jahren zurück vom
Profifussball, ist diese Nachricht
für viele bloss noch der letzte Beweis, dass dieser begnadete Fussballer sein Talent verschleudert
hat. «Es ist so viel Unsinn über
mich geschrieben worden», sagt
Vonlanthen. «Das hat wehgetan.
Aber heute stört mich das nicht
mehr. Ich kenne die Wahrheit.»
Es ist seine Wahrheit.
Captain Jesus
Johan Vonlanthen gibt während
des Gesprächs zu verstehen, dass
er keine Probleme mit heiklen
Fragen habe. Er ist höflich, weicht
dem Blick nie aus, antwortet
freundlich, aber mitunter auch
sehr bestimmt. «Mein Glaube ist
heute Privatsache», sagt er. «Aber
er hilft mir, Halt zu finden. Ich
habe meinen Frieden gefunden
und tue das, was ich für richtig
halte.» Vieles sei falsch interpretiert worden, er sei nie aktiv bei
den Adventisten gewesen, aber
grundsätzlich sei seine Begeisterung für die Kirche dem Fussball
sicher im Weg gestanden. «Jesus
ist jetzt mein Captain», lässt sich
Vonlanthen 2011 zitieren. Oder:
«Jesus hat die totale Kontrolle
über mich.» Und: «Gott kann
man nicht ausdribbeln.»
Flotte Schlagzeilen, gewiss,
aber auch Sätze, die unbedarft
klingen. Fredy Bickel, auch beim
FCZ Vonlanthens Sportchef,
sagt, der Spieler habe sich in jener Zeit verändert. «Er war immer noch ein todlieber Kerl. Aber
es war schwieriger, an ihn heranzukommen.» Vonlanthen selber
meint, es sei für seine Karriere
natürlich nicht gut gewesen, in
die Heimat zurückzukehren.
«Aber ich wollte das so. Es war für
mich als Mensch wichtig. Und
deshalb halte ich diese Entscheidung nach wie vor für richtig.»
Ein Jahr Fussballpause
Einst beherrschte Gucci die Welt
Johan Vonlanthens, seit einigen
Jahren ist es Gott. «Ich habe immer gebetet», sagt er, «und mein
Leben ist heute besser als früher.
Ich habe zu mir gefunden.» Das
fussballerische Ende bei Itagüí
Ditaires verläuft unspektakulär,
Vonlanthen bestreitet bloss eine
Handvoll Spiele für den Klub. Der
Abstecher in die Heimat bringt
ihm vor allem seelischen Gewinn.
«Ich wollte in Kolumbien einige
Dinge klarstellen», sagt er. «Es tat
gut, hatte ich Zeit, Leute zu treffen, die ich lange nicht gesehen
hatte.» Vonlanthen kann endlich
ein gutes Verhältnis zu seinem
leiblichen Vater, den er erst mit
17 Jahren kennen lernte, aufbauen, er kickt mit alten Freunden
zum Spass auf der Strasse, treibt
aber kaum ernsthaft Sport. «Mir
hat es immer sehr gefallen als
«Ich habe immer
gebetet. Und mein
Leben ist heute besser als früher. Ich habe zu mir gefunden.»
Johan Vonlanthen
Fussballer», sagt er, «aber ich genoss es, einmal überhaupt keinen
Druck zu spüren.» Zurückgetreten aber sei er offiziell nie. «Die
Zeitungen wollten das halt so
schreiben.»
Vonlanthen verbringt in Kolumbien viel Zeit mit der Familie,
von der niemand mehr in der
Freikirche tätig sei, wie er sagt.
Die Ehefrau, Tochter der ehemaligen Priesterin, hat nichts dagegen, dass sein Verlangen nach
Fussball im Frühling 2013 stärker
wird. «Ich wollte es noch einmal
wissen», sagt Vonlanthen, «auch
wenn mir klar war, wie sehr ich
nach einem Jahr Pause bezüglich
Wettkampfrhythmus in Rückstand geraten war.»
Das Lob des Trainers
Im April 2013 kehrt Vonlanthen
in die Schweiz zurück, er trainiert
zunächst beim FC Wohlen, geht
dann im Sommer zu GC, wo er
sich bis zur Winterpause aber
nicht gegen die starke Konkurrenz durchsetzen kann. «Doch
ich realisierte im Training, dass
ich mithalten kann», sagt er.
Und auf seinem beschwerlichen Weg zurück nach oben blickt
er auf ein ordentliches Jahr 2014
zurück. Im ersten Halbjahr gehörte er beim FC Schaffhausen in der
Challenge League zu den Leistungsträgern, auch bei Servette
sind seine Darbietungen seit letztem Sommer gut. «Ich fühle mich
wohl und kann hier den jungen
Spielern helfen», sagt er.
Ein Augenschein Mitte Dezember in Genf beim letzten Vorrundenspiel gegen Chiasso (3:1)
verläuft unbefriedigend, weil
Vonlanthen noch vor der Pause
mit Muskelbeschwerden ausgewechselt werden muss. «Es war
ein strenges Jahr», sagt er. «Aber
2015 greife ich wieder an.» Sein
Trainer, der Engländer Kevin
Cooper, lobt ihn: «Er arbeitet hart
und ist ein Gewinn für das Team.»
40 Länderspiele mit 23 Jahren
Johan Vonlanthen hat in seiner
Karriere nicht viele Titel gewonnen, zweimal wurde er mit Salzburg österreichischer Meister,
wobei er in der ersten Saison zum
besten Mittelfeldspieler der Liga
gewählt wurde. Und Vonlanthens
fulminant gestartete Länderspielkarriere endete im Herbst
2009. Er hatte mit 23 Jahren bereits 40 Länderspiele bestritten,
mehr als Rekordnationalspieler
Heinz Hermann (118 Länderspiele) zu diesem Zeitpunkt.
Heute träumt Vonlanthen
nicht mehr von Real Madrid, sondern davon, noch einmal in der
Super League antreten zu können. «Und ich habe trotz allem eine gute Karriere gehabt», sagt er,
«ich durfte viele schöne Dinge erleben.» Sein bestes Spiel sei für
«Das Schwierigste
für einen jungen
Fussballer im
Ausland ist die
Einsamkeit.»
Johan Vonlanthen
den FCZ gewesen, als er bei einem 1:1 in Basel gegen den FCB
ein herrliches Tor schoss. «Und
den Treffer an der Euro 2004 gegen Frankreich kann mir sowieso
niemand mehr nehmen.»
Das Beispiel Embolo
Die Unterhaltung mit Johan
Vonlanthen neigt sich dem Ende
entgegen, sein Sohn Esteban wird
unruhig, der Akku des iPhone hat
den Geist aufgegeben. Es geht im
Gespräch jetzt um junge Schweizer Stürmer, Michael Frey etwa,
der im August von YB zu Lille
wechselte. «Das Schwierigste für
einen jungen Fussballer im Ausland ist die Einsamkeit», sagt
Vonlanthen. Man denkt sofort an
den 17-jährigen Basler Breel Embolo, von dem es heute heisst, er
sei ein Jahrhundertstürmer – wie
2002 der junge Vonlanthen.
Embolo wird derzeit von allen
globalen Topklubs gecastet, er ist
ein Bluechip an der Transferbörse. Und in zwölf Jahren spielt er
vielleicht beim nächsten FCB: bei
Barcelona im Weltfussball oder
bei Baden in der Fussballprovinz.
Jeder Transfer ist auch eine
ökonomische Wette auf die Entwicklung des Spielers. «Ich hoffe,
Embolo, seine Familie und die
Berater entscheiden sich rich-
tig», sagt Vonlanthen. Es habe
leider so viele Leute in diesem
Geschäft, die nur ihren Profit im
Auge hätten. «Ich habe erst viel
zu spät gemerkt, wer an mich
denkt und nicht nur an sich.»
Zukunft in Bern
Vonlanthen ist heute ein Ex-Star,
aber Sorgen muss man sich um
ihn nicht machen. «Ich bin mit
mir im Reinen», sagt er. Auf die
Frage, ob genug Geld aus den
Millionenverträgen im Ausland
übrig sei, antwortet er, das sei
Privatsache. Ohne Umschweife
nimmt Vonlanthen Stellung zu
seiner Zukunft nach der Fussballkarriere, die er privat in Bern
sieht, weil seine Mutter in Oberwangen wohnt und er später wieder näher bei ihr leben möchte.
«Und ich will im Geschäft bleiben», sagt er. «Denn ich glaube,
ich kann den jungen Spielern mit
meiner Erfahrung wertvolle Ratschläge geben.» Vonlanthen, der
acht Sprachen fliessend beherrscht, beginnt 2015 seine Trainerausbildung. «Man weiss ja nie,
wann die Laufbahn zu Ende ist.»
Befreit vom Karrierezwang
Johan Vonlanthen verabschiedet
sich und geht mit seinem Sohn
Richtung Bärengraben. Er ist gestürzt im gnadenlosen Fussballbusiness, aber man wird den Eindruck nicht los, als sei er befreit –
vielleicht nicht unbedingt wegen
seiner Religiosität, sondern weil
er nicht mehr einer Weltkarriere
nachrennen muss, die ihm andere stets prophezeit haben.
Und man muss an den Besuch
in Genf zurückdenken, vor ein
paar Wochen, als der Schweizer
U-19-Nationalspieler Maxime
Dominguez bei Vonlanthens
Team Servette eingewechselt
wurde. Dominguez ist auf den
Tag zehn Jahre jünger als Vonlanthen, der in diesem Alter deutlich weiter war. Das muss kein
Nachteil für Dominguez sein, den
man als neuen Hakan Yakin
preist, obschon er als fragil gilt.
«Dominguez kann es schaffen»,
sagte Vonlanthen im Café. «Aber
es kann noch so viel passieren.»
Fabian Ruch
[email protected]
uss ich jetzt auch Diät
machen? Fräulein P.
starrt bekümmert auf
ihr Pint. Wir sitzen im Piwi, auf
den Stoffbänken, dort, wo es
aussieht wie in einem kuschelig
geratenen amerikanischen Diner. Wir wollen viel Bier trinken,
weil Frau C. und ich nachher alkoholfrei durchs Leben turnen:
Wir machen Bootcamp, Sport
jeden sehr frühen Morgen.
Die TV-Werbung suggeriere
drum so was in der Richtung,
sagt Fräulein P. Und zwar nachdem wir uns dank der Werbung
mit Lindor-Kugeln und Femina-Pralinés vollgestopft haben.
Femina, was für ein bescheuerter
Name! So doof wie die Frau,
deren Bauch in der Activia-Werbung lacht.
Ja, sagt Frau C., die Frau ist gar
nicht dick. Warum will sie abnehmen?
Apropos doof, sage ich, einfach, dass ich auch was sage,
kennt ihr die bescheurtste Songzeile überhaupt? Helene Fischer,
«grosses Kino für uns zwei». Die
Damen stöhnen.
Die Herren schauen Wiederholungen der Dart-WM. Wir sind
früher ja oft hierhergekommen,
zum Männer-, nicht zum Dartschauen. Denn damals tranken
hier noch die richtigen Iren
und Engländer, mit ihren vollen
Bärten, als das noch kein Zeichen
von Hipness war.
Ich will ja abnehmen, jammert
Fräulein P., aber Sport treiben?
Sie schaudert.
Mach doch Dart, sage ich.
Nina Kobelt (nina.kobelt@
bernerzeitung.ch) schreibt die
Kolumne «Greater Berne» abwechselnd mit Maria Künzli,
Fabian Sommer und Peter Meier.
greaterberne.bernerzeitung.ch
SCHACH
Problem Nr. 803
Th. Siers (1930)
8
7
6
5
4
3
2
1
a b c d e f g h
Weiss zieht und setzt in
2 Zügen matt
Fragen an: Thomas Wälti,
Berner Zeitung BZ, Schach,
Postfach 5434, 3001 Bern;
E-Mail: thomas.waelti@
bernerzeitung.ch
Die Lösung des Problems
erscheint in der nächsten oder
übernächsten Samstagsausgabe.
Lösung Problem Nr. 802
8
7
6
5
4
3
2
1
a b c d e f g h
1. Tc5! (droht 2. Dé3/Dé5 matt)
und Schwarz kann das Matt nicht
verhindern. Z.B.: 1. ... Sd5 2. Tc4
matt; 1. ... Sf5 2. Dg4 matt.