Tinte unter der Haut

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Tinte unter der Haut
Tinte unter der Haut
Montag, den 28. Februar 2011 um 21:08 Uhr - Aktualisiert Dienstag, den 01. März 2011 um 12:36 Uhr
Eberswalde (moz) Erst kommt das Gekritzel auf der Haut, dann der
Schmerz. Nach den ersten Schmetterlingen (Sternen, Worten – oder
anderen, meist kleineren Motiven für den Anfang) folgt für viele Tätowierte
trotzdem nicht die Ernüchterung. Häufig werden sie zu
Wiederholungstätern – wie Therese und Michael. Ein Ausflug zu Tätowierer
Jörni nach Berlin.
Als ich das erste Mal tätowiert wurde, war ich schrecklich aufgeregt. Ich hatte Angst vor den
Schmerzen und Angst davor, dass mir das Ergebnis nicht gefällt, Angst vor der Nadel und
sowieso Angst vor allem. Als die Nadel ansetzte, legte sie sich und der Schmerz kam. Doch
der Plan stand schon damals: Das mache ich nochmal. Und so sitze ich an einem Dienstag mit
meinem Freund Michael F. im Auto auf dem Weg nach Berlin ins „Ich und meine
Katze“
, um mir
erneut Tinte unter die Haut jagen zu lassen.
Diesmal soll es nur ein kleines „M“ hinter dem Ohr sein, für meine Schwester Maja. Michael
seinerseits will sich einen Spruch auf der Hüfte verewigen lassen (da dieser persönlich ist, wird
er hier unübersetzt bleiben, genau wie auch mein erstes Tattoo ein Geheimnis bleiben wird).
(„M“ wie Maja: Die Form des Tattoos hinter dem Ohr erinnert mehr an eine Schnecke mit zwei
Fühlern als an den Buchstaben – und an ihre Schwester, wie Therese verrät. Der Spruchauf
der Hüfte ihres Freundes lässt sich von Latein-Kennern erahnen.)
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Montag, den 28. Februar 2011 um 21:08 Uhr - Aktualisiert Dienstag, den 01. März 2011 um 12:36 Uhr
Unser Tätowierer heißt Jörni und hält nicht viel von den Schriftarten, die wir uns
ausgesucht haben. Deshalb ändert er sie kurzerhand um. Mein „M“ bekommt eine Form, die
mehr an eine Schnecke mit zwei Fühlern als an den Buchstaben erinnert. Doch ich bin sofort
begeistert.
Nachdem das Motiv endgültig feststeht, geht es los. Mein Freund lässt mir (natürlich nur aus
Höflichkeit) den Vortritt. Der Schmerz ist sehr unterschiedlich, teilweise spüre ich gar nichts,
beim Ausmalen der dickeren Striche jedoch fühlt es sich an, als würde ich skalpiert. Nach einer
halben Stunde darf ich mein Schmuckwerk bewundern und Michael ist an der Reihe.
Nach ewigem Gekritzel mit dem Kugelschreiber auf seiner Hüfte steht die Schrift, Größe und
Stelle des Tattoos fest. Jörni setzt die Nadel an und sticht zum ersten Mal in seinen Körper.
Das erste Tattoo ist bei den meisten ein kleineres Motiv, wie etwa ein Schmetterling, ein Wort
oder Sterne. Doch kommen viele derjenigen, die ihr erstes Tattoo haben machen lassen,
irgendwann wieder und lassen sich ihr altes Tattoo erweitern oder ein gänzlich neues stechen.
Viele Tätowierte bestätigen, dass es wie eine Sucht ist: Man kann nicht mehr aufhören und will
immer mehr.
Beliebte Motive sind Schriftzüge, sogenannte „Old-School“-Tattoos (Anker, Pin-Up-Mädchen,
Schwalben, Totenköpfe, Sterne, Würfel, Spielkarten etc.), und – leider – die Namen der
Partner. Und genau die sind es, die dann mühevoll mit einem „Cover up“ überdeckt werden
müssen – also mit einem größeren Motiv übertätowiert werden.
Jörni sagt, er selbst habe auch schon einigen Kunden ins Gewissen reden müssen. „Ich habe
sie dann zum Glück doch noch zu etwas anderem überreden können.“
Manche Ideen sind aber auch ohne Namen fragwürdig. Ob tätowierte Strings, Schnitzel,
Malen-nach-Zahlen-Tiere, Mario-Kart-Figuren – die Geschmäcker sind bekanntlich
verschieden. Genauso die Gründe für ein Tattoo. Für viele ist es einfach nur Schmuck, wie
Sternchen, Herzen, Blumen und so weiter. Andere wiederum lassen sich „inken“ („ink“, engl.
Tinte), um an verstorbene Personen oder an eine bestimmte Situation zu erinnern.
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Schon seit vielen Jahrtausenden sind Menschen überall auf der Welt von dieser Art des
Körperschmucks fasziniert. Selbst Ötzi, die Mumie aus dem Eis, weist über 50 verschiedene
Tätowierungen auf. Der Ursprung der Tätowierung ist nicht klar, aber nach und nach hat sich
das Tätowieren ausgebreitet. Die Beweggründe früher waren meistens der Glaube und die
Zugehörigkeit zu gewissen Gruppen, wie es in manchen Naturvölkern heute noch Brauch ist.
Später wurde das Tattoo zum Symbol der Gefängnisinsassen, erst mit der Zeit wurde das
Tattoo gesellschaftstauglich. Heutzutage ist es normal, tätowiert zu sein.
Die Tätowierszene veranstaltet regelmäßig Tattoconventions, es gibt unzählige Zeitschriften,
allein in Berlin befinden sich laut Jörni rund 300 Tattoostudios . Probleme können in
bestimmten Jobs aber natürlich immer noch auftreten, deshalb ist die Motivwahl und Stelle
unbedingt zu überdenken. In Deutschland sind Tattoos deshalb ab 18 Jahren erlaubt, mit
Einwilligung der Eltern sogar fragwürdigerweise ab 16.
Das Tattoo von Michael ist fertig. Er ist zufrieden, genau wie ich. „Tat aber dann doch ziemlich
weh. Es bleiben eben Nadeln, die in einen reinpieksen.“ Und das etwa 800 bis 7500 Mal pro
Minute.
Gerade am Bauch, sagt Jörni, befänden sich verschiedenste Hautschichten. Der Schmerz
hänge von eben diesen Schichten ab und davon, wie nah die Stelle sich am Knochen befindet.
Das subjektive Schmerzempfinden sei sowieso bei jedem unterschiedlich.
Auch nach dem Stechen tut das Tattoo ein wenig weh. Die Wunde muss dünn mit Vaseline
betupft werden, der entstehende Schorf von alleine abfallen. Nach etwa eineinhalb bis zwei
Wochen ist das Tattoo „fertig“. Um zu kontrollieren, ob alle Farbpigmente noch da sind, wird
nach dieser Zeit ein Kontrolltermin inklusive Nachstechen vereinbart. Dort werden eventuelle
Unregelmäßigkeiten geebnet und verlorengegangene Farbe wieder neu gestochen.
Vier Stunden später fuhren wir hungrig, müde aber glücklich nach Hause. Für mich ist die
Frage nach dem Nochmal kein Thema, einige Ideen wurden nur noch nicht verwirklicht, weil
mir das Geld fehlt. Tätowieren ist eben kein ganz so billiges Hobby. Und auch Michael hat vor,
zum Wiederholungstäter zu werden. Eben typisch Tätowierter.
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Quelle: moz.de
"Pugna pro pugnandis rebus"
=
" Kämpfe um deine Dinge"
(Ich hoffe ich hab's richtig übersetzt.. ähäm)
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