Mama ist ein Schleckmaul, und Papa kocht Schinkenbananen
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Mama ist ein Schleckmaul, und Papa kocht Schinkenbananen
34 Tages-Anzeiger – Samstag, 19. Januar 2013 Kultur & Gesellschaft Leser fragen Eine angefangene Weinflasche mit nach Hause nehmen? Am letzten Familienfest diskutierte ich mit meiner Schwägerin, ob es sich mit Stil vereinbaren lässt, sich im Restaurant die angefangene Flasche Wein mitgeben zu lassen. Sie argumentierte, es handle sich um guten, teuren Wein. F. K. Buchautorin Nadja Zimmermann beim familiären Verzehr von Flammkuchen. Familie Frieden Wirth lässt sich den Fisch schmecken. Fotos: Aus dem besprochenen Buch Mama ist ein Schleckmaul, und Papa kocht Schinkenbananen Nicht die Rezepte machen dieses Kochbuch zur spannenden Lektüre. In «Unser Menü eins» lässt sich der Küchenalltag von jungen Schweizer Familien studieren. Von Mirjam Fuchs Kind oder Karriere? Nadja Zimmermann bringt beides unter einen Hut. Die 36-Jährige hat zwei kleine Töchter und sagt: «Meine Karriere kam eigentlich erst als Mutter richtig ins Rollen.» Möglich war das, weil sie als Moderatorin und TV-Produzentin auch Teilzeit arbeiten konnte. Auf dem Spielplatz kam sie auf die Idee für ihr Kochbuch «Unser Menü eins». Um ihr Repertoire zu erweitern, fragte sie befreundete Familien nach ihren Alltagsrezepten. Für die 50 Porträts war Zimmermann als «Embedded Journalist» unterwegs und dokumentierte den Küchenalltag. «Macht einfach», bat sie die Porträtierten. Auf Fotos in Schnappschussqualität sehen wir Familien im lockeren Outfit die Kochlöffel schwingen. Zahlreiche Rubriken ergänzen die Rezepte. Die Familien plaudern in aller Offenheit über Essgewohnheiten («Mama ist ein Schleckmaul»), Küchentricks («Weinreste im Eiswürfelbehälter einfrieren») und Tiefkühlervorräte («Abgepumpte Mutter- milch»). Dieses Küchengeflüster ist interessant, denn in Zimmermanns Bekanntenkreis befinden sich viele Medienschaffende und auch einige prominente Gesichter. Wer aber denkt, dass es bei Mona Vetsch zu Hause glamouröser zuund hergeht als anderswo, täuscht sich. Die Homestorys zeigen die unbeschönigte Küchenrealität. «Unser Menü eins» ist nichts für Fans von Hochglanzproduktionen oder ambitionierte Hobbyköche. Die vorgestellten Gerichte bewegen sich auf TiptopfNiveau: Lachsnüdeli, Kartoffelstock mit Pilzrahmsauce, Birchermüesli. Die porträtierten PR-Frauen und Werbefilmer leben ihre Kreativität offenbar vor allem beruflich aus. Wenn es schnell gehen muss, greifen sie zu bewährten Rezepten. Das innovativste Rezept liefert der Hausmann Bänz Friedli. Mit seinen Schinkenbananen hat er es auf das Titelbild von «Unser Menü eins» geschafft. Verfeinert mit ein bisschen Bratbutter, steht sein Schnellrezept in viereinhalb Minuten auf dem Tisch. Der eigentlich Clou des Buches ist die Möglichkeit, die 50 Familien und ihren Küchenalltag zu vergleichen. So lässt sich zum Beispiel feststellen, dass die jungen Familien zwar bieder, aber sehr gesund kochen. Ernährungsberaterinnen hätten ihre Freude an den vielen vegetarischen Gerichten, dem vorgerüsteten Gemüse im Tiefkühler und den Apfelschnitzen zum Zvieri. Beliebte Kindergerichte wie Fischstäbchen oder Pommes frites finden sich nur in wenigen Vorratskammern, Süssgetränke fehlen ganz. Ob hier alle ganz ehrlich waren? Zu den Tischregeln haben fast alle Familien etwas zu sagen. Zum Beispiel: «Nicht aufstehen! Anständig und gerade sitzen! Nicht streiten! ‹Bitte› sagen! Den Teller abräumen!» Antiautoritär war gestern. Eine der wenigen Ausnahmen: die Sängerin Emel (36). Ihr Mann, der Werber Frank Bodin (48), findet, dass Tochter Ayleen (1) beim Essen am Tisch sitzen soll. Emel sieht das weniger eng, da sie das auch nie musste und sich die guten Manieren später angeeignet hat. Apfel-Speck-Flammkuchen Familie Zimmermann Germann Frischer Fisch auf Gemüse Familie Frieden Wirth Flammkuchenteig Sauerrahm 1 Apfel Speckwürfel Frischer Fisch (je nach Angebot, 150 bis 200 g pro Person) Saisongemüse Sauerrahm Kräuter Ofen auf 200 Grad vorheizen. Sauerrahm auf Teig verteilen. Apfel und Speckwürfel drüberstreuen. 12 Minuten in den Ofen. Vollzeithausfrauen finden sich unter den 50 Porträtierten fast keine. Wie Zimmermann haben sich die meisten Mütter für Kind und Karriere entschieden. Und werden dabei von den Vätern unterstützt. Viele Fotos im Kochbuch zeigen Papis in Action: am Herd, beim Abwaschen, beim Spielen mit den Kindern. Die Eltern kümmern sich gemeinsam um Kochen, Haushalt und Erziehung. Auch bei Familie Zimmermann: «Mein Mann und ich teilen die Arbeiten so gut es geht unter uns auf. Was ich Hausfrau bin, ist er auch Hausmann.» Wer wie viel übernimmt, ist in den meisten Familien Verhandlungssache – bei der sich die Partner auf Augenhöhe begegnen. Ganz nebenbei bieten die 50 Porträts der intakten Familien (nur zwei Mütter sind alleinerziehend) so auch noch ein paar Beziehungstipps. Nadja Zimmermann: Unser Menü eins. 50 junge Familien und was sie kochen, wenn es schnell gehen muss. Salis-Verlag, Zürich 2012, 327 S., ca. 37 Fr. Gemüse schälen und im Körbchen dämpfen (1 cm Wasser auf dem Pfannenboden). 3 Minuten vor Ende Fisch aufs Gemüse legen und mitdämpfen. Sauerrahmsauce mit Salz, Pfeffer und frischen Kräutern anrühren. Nadja Zimmermann (36), freischaffende TV-Produzentin, Moderatorin, Autorin. Christoph Germann (35), Head of Digital bei Universal Music. Mara (5), Kindergärtlerin. Möchte Kinderbuch-Autorin, Architektin oder Kindergartenchefin werden. Oder einfach nur Chefin. Ella (6 Monate) strahlt alle an. Karoline Wirth Frieden (41), Journalistin beim Schweizer Fernsehen. Matthias Frieden (41), Ökonom. Sohn Emil (6) geht in den 2. Kindergarten. Hündeler überschätzen sich «Tolerant und sauber» Wie kommt es zu einer solchen Fehleinschätzung? Macht der Hund aus uns einen Clown? Hat er so viel emotionale Macht über uns, dass wir die Tatsachen zu seinen Gunsten verdrehen? Macht Liebe (zum Hund) blind? Offenbar. Denn Personen, die einen Hund haben, halten sich für die besseren Menschen. Dies hat Reinhold Bergler, Psychologieprofessor an der Uni Bonn, in einer sehr grossen Stichprobenuntersuchung festgestellt. Für die Untersuchung mussten sich Hundehalter und Nicht-Hundehalter zunächst selber einschätzen und anhand eines Charakterkatalogs beschreiben. Dann befragte Bergler sie über ihre Meinung zu der jeweils anderen Gruppe und dazu, wie die andere Gruppe sie wohl selber einschätzen würde – also zum vermuteten Aussenbild. Das Ergebnis: Die Hundebesitzer haben ein äusserst positives Bild von sich, um nicht zu sagen, sie überschätzen sich. Sie halten sich für gelassen, tolerant, sympathisch, sozial, rechtschaffen, weltoffen, lebensfroh, sauber, angenehm, grosszügig und verantwortungsbewusst – sprich: Sie halten sich für bessere Menschen als Nicht-Hundehalter. Glauben aber überraschenderweise, dass Nicht-Hundehalter eine schlechte Meinung von ihnen haben, sie für weniger tolerant und sympathisch halten. Wie das?, fragt man sich. Wer geht auf wen zu? Könnte es sein, dass sich Hundebesitzer doch weniger gut benehmen, als sie selber glauben? In Wirklichkeit ist die Meinung der Nicht-Hundehalter über sie gar nicht so schlecht, sie ist zumindest besser, als sie glauben. Die Krux an dieser psychologisch komplexen, beziehungstechnisch Paul Imhof Der TA-Experte beantwortet Fragen zum leiblichen Wohl, zu Völlerei und Fasterei, zu festlichen und alltäglichen Tafeln, Küchen und Kellern. Senden Sie uns Ihre Fragen an [email protected] Manche bieten drei bis fünf Flaschenweine an, andere erweitern das Spektrum der Sorten auf zehn und mehr Provenienzen. Dann gibt es das Modell mit dem Minimalkonsum: Der Gast darf aus dem ganzen Angebot auswählen, sofern er mindestens drei Dezi bestellt. Mit dieser Menge hat der Wirt je nach Einkaufsbedingungen schon einmal die Flasche bezahlt. Sie brauchen also keine Hemmungen zu haben, die angebrochene Flasche nach Hause zu nehmen. Das ist heute Usus. Sie können freilich nicht für den Wein, der noch in der Flasche ist, den Preis «über die Gasse» verlangen. Dafür erhalten sie die Flasche schön verpackt in einer Papiertüte: Aufmerksame Wirte haben längst begriffen, dass es sich lohnt, ihre Gäste mit Stil zu behandeln. Rosinenpicker Selbstbild Eine Studie besagt, dass sich Hundehalter für die besseren Menschen halten. Von Ulrike Hark Er habe seinen besten Freund nicht wiedererkannt, sagte der Schriftsteller und Dramaturg Lukas Bärfuss kürzlich an einem Vortrag über das Verhältnis von Mensch und Hund, den er zu moderieren hatte. Der Freund, gebildet und sonst durchaus selbstreflexiv, habe seinen Hund bei einem gemeinsamen Spaziergang nicht an der Leine geführt und es sogar zugelassen, dass dieser ein Kind angriff. Doch damit nicht genug: «Er fand doch tatsächlich, das Kind sei schuld, es hätte sich dem Hund ja nicht nähern müssen!», entrüstete sich Bärfuss. Liebe Frau K., Sie dürfen. Schliesslich möchte der Wirt ab und zu ein paar Flaschen verkaufen – auch wenn zu befürchten ist, dass die Gäste den Wein nicht vollständig trinken. Die erlaubte Menge von «Alkohol am Steuer» steht seit dem 1. Januar 2005 auf 0,5 Promille. Die damalige Senkung von 0,8 auf 0,5 Promille bedeutete einen herben Einschnitt – die Kampagne «0,5 Promille = max. 1 Glas» bleibt in Erinnerung. Die neue Höchstmarke bewog manchen Gast, das geringe Mass, das er trinken durfte, bevor er sich ans Steuer setzte, nicht für Billigwein zu vergeuden. Also suchte man nach Möglichkeiten, edlere Gewächse zu konsumieren. Viele Wirte reagierten auf dieses Bedürfnis und bieten seither mehr Schöppli an, Fläschchen mit 3,75 Deziliter Inhalt, oder Flaschenweine im Offenausschank. Der Begriff «Flaschenwein» ist im Übrigen ein Relikt aus den Zeiten, als Offenwein aus dem Fass oder einem Bidon abgezogen wurde. Als «Flasche» verstand man früher in erster Linie die 7,5-dl-Flasche. Am besten wäre es natürlich, wenn man den besseren Wein aus einer Magnum (1,5 l) oder einer noch grösseren Flasche erhalten würde, denn die Weine reifen in voluminöseren Gebinden subtiler (aber auch langsamer) als in kleinen. Doch man kann wohl kaum verlangen, dass die Wirte Methusalemflaschen öffnen (sie enthalten 6 Liter oder 8 normale Flaschen). vertrackten und deshalb oft mit Knurren und Beissen endenden Hundegeschichte ist: Wenn der Hundehalter den Nicht-Hundehalter unsympathisch findet und er meint, dieser wiederum finde ihn unsympathisch, wobei der Nicht-Hundehalter meint, dass der Hundehalter sich negative Vorstellungen über ihn macht, haben sie tatsächlich keinen einsichtigen Grund, sich menschlich auch nur ein bisschen näherzukommen. Die Lösung? Wenn sich Hundebesitzer schon für die besseren Menschen halten, sollten sie doch ganz einfach auch mal die Initiative ergreifen. Hund anleinen, stehen bleiben, in die Sonne blinzeln und ein freundliches Wort an die Menschen ohne Hund richten: «Schönes Wetter heute – und so nette Leute!» Ode an die Biene Der Lyriker und Essayist Ralph Dutli ist zufällig mit einem Bienenzüchter ins Gespräch gekommen. «Ich war neugierig, er war freundlich» – so ist Dutli der Faszinationen dieses Insekts erlegen. Er begann Informationen über die Bienen zu sammeln, Mythen und Geschichten. «Es sollte eine kleine Umschau in der Bienenwelt werden, eine zarte Hommage an die Honigbiene in der Zeit ihrer höchsten Gefährdung, eine schlichte Wabe aus kulturellen Zellen.» Dutli wirft einen Blick auf das Leben im Innern des Stocks, auf die Bedeutung der Bienenvölker für die Biodiversität, auf das «beinahe intime Verhältnis» der Dichter zur Honigbiene – bis hin zu den Zeichnern der Biene Maja. Die Symbolkraft der Honigbiene sei eine Menschheitskonstante, heisst es. Das kleinste (sichtbare) Nutztier gab Anlass zu religiösen Riten, Aberglauben und Wundergeschichten, die Biene steht für Fleiss, Reinlichkeit, Gemeinschaftssinn und Selbstaufopferung. (imh) Ralph Dutli: Das Lied vom Honig – Eine Kulturgeschichte der Biene. WallsteinVerlag, Göttingen 2012. 208 S., ca. 21 Fr.