zweiten punischen krieg
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zweiten punischen krieg
Tim Heinkelmann-Wild War die Iberien-Expansion der Barkiden bereits der erste Schritt des Zweiten Punischen Krieges? Hausarbeit Geschichte Inhalt 1! Einleitung!! ! ! ! ! ! ! ! ! ! 1 2! Hauptteil! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! 3 2.1 Die „Historien“ des Polybios 3 2.2 Kritische Betrachtung der in Polybios‘ „Historien“ tradierten Ursachen des Zweiten Punischen Krieges 5 2.2.1 Die Ursachen des Zweiten Punischen Krieges laut Fabius Pictor 5 2.2.1.1 „Der Ehrgeiz und die Herrschsucht des Hasdrubal“: Umsturzversuch und Errichtung eines „Barkidenreichs“ 5 2.2.1.2 Hannibals eigenmächtiges Handeln und die oppositionelle Haltung Karthagos zum Hannibalischen Krieg 7 2.2.2 Die Ursachen des Zweiten Punischen Krieges laut Polybios 9 2.3.2.1 Der „Groll des Hamilkar“: Römerhass und Revanchestreben 9 2.3.2.2 Die widerrechtliche Annexion Sardiniens als gerechter und wahrer Kriegsgrund 11 2.3.2.3 Zuversicht aufgrund der Erfolge in Iberien 12 2.3 Historischer Kontext der Iberien-Expansion – die Situation Karthagos nach dem Ersten Punischen Krieg und dem Söldnerkrieg 14 2.4 Die Iberien-Expansion der Barkiden als Vorraussetzung, nicht aber als Ursache des Zweiten Punischen Krieges 16 3! Schluss! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! 18 4! Anlagen! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! 19 5! Literaturverzeichnis! 21 1 Einleitung In der wissenschaftlichen Diskussion um den Zweiten Punischen Krieg, der von 218 bis 2011 zwischen Rom und Karthago unter der Heeresleitung des berühmten Hannibal Barkas stattfand, ist die Frage der Kriegsschuld ein zentrales und gleichsam umstrittenes Thema. Der Auslöser des Krieges war die Belagerung Sagunts durch Hannibal (219), welche in einer freundschaftlichen Beziehung zu Rom stand. Die Stadt hatte zuvor Verbündete Karthagos in Iberien überfallen. Die Rechtmäßigkeit des Vergeltungsangriffs des Karthagers ist stark umstritten, da sie auch die Kriegsschuldfrage miteinschließt.2 Eine umfassende Erläuterung des Streitthemas würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.3 Deshalb wird sich auf folgenden Aspekt der antiken Tradition beschränkt: in der antiken Geschichtsschreibung werden die Ursachen des Konflikts bemerkenswerter Weise ausschließlich auf karthagischer Seite gesehen. Vor allem die Barkiden4, Hamilkar Barkas, dessen Schwiegersohn Hasdrubal sowie sein Sohn Hannibal, werden als primär kriegstreibend bezeichnet und ihr Engagement in Iberien sogar als bloßer Auftakt eines erneuten Konflikts mit Rom interpretiert.5 In Anbetracht der tradierten einseitigen Perspektive stellt sich diese Arbeit die Frage, ob die Iberien-Expansion unter den Barkiden als erster Schritt des Zweiten Punischen Krieges verstanden werden kann. Im Folgenden wird sich vornehmlich auf die „Historien“ des griechischen Geschichtsschreibers Polybios gestützt, da er als verlässliche Sekundärquelle gehandelt wird. Darüber hinaus bietet er sich aufgrund seines differenzierten Verständnisses von „Beginn, Anlässen und tieferen Ursachen“ 6 von geschichtlichen Ereignissen an; letztere spielen für ihn die zentrale Rolle in der Geschichtsschreibung, was seine „Historien“ für die folgende Untersuchung besonders geeignet macht. 1 Alle 2 Daten im Text v. Chr. Christ, Karl, Hannibal, Darmstadt 2003, 51-53. 3 Hierbei sei auf die Fachdiskussion u.a. um die genauen Bestimmungen des Ebro-Vertrags, die Lage des Ebro zu Sagunt, die Existenz einer Sagunt-Klausel sowie die genauere Beschaffenheit und Zeitpunkt der Freundschaft zwischen Rom und Sagunt hingewiesen; vgl. Huß, Werner, Geschichte der Karthager, in: Handbuch der Altertumswissenschaft, III, 8, München 1985, 285-293; Schwarte, Karl-Heinz, Der Ausbruch des Zweiten Punischen Krieges, Rechtsfrage und Überlieferung, in: Historia 43, Wiesbaden 1983; Seibert, Jakob, Hannibal, Darmstadt 1993, 84-88; Zimmermann, Klaus, Rom und Karthago, Darmstadt 20092, 45-68. 4 Die Barkiden, Angehörige des Hamilkar Barkas („Blitz“), sind eine prominente karthagische Familie, die viele Strategen stellte; Günther, Linda-Marie, s.v. Barkiden, DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/ subscriber/entry?entry=dnp_e212800; vgl. Anhang 4.1. 5 6 Huß, Geschichte der Karthager, 286f.; Zimmermann, Rom und Karthago, 62. Dreyer, Boris, s.v. Polybios (2), DNP, Online unter http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dop_e1 000940; siehe auch 2.1. 1 Um zu beantworten, ob das Engagement der Barkiden in Iberien als erster Schritt einer erneuten militärischen Auseinandersetzung mit Rom gelten kann, sollen, nach einer kurzen Quellenkritik, die bei Polybios tradierten Ursachen des Hannibalischen Krieges herausgearbeitet, einer kritischen Hinterfragung unterzogen, mit überlieferten historischen Fakten konfrontiert und auf ihre Logik hin überprüft werden. Auch soll ein Überblick über den geschichtlichen Kontext der Iberien-Expansion gegeben werden. Auf dieser Grundlage erfolgt abschließend die Beantwortung der zentralen Frage. 2 2 Hauptteil 2.1 Die „Historien“ des Polybios Bevor aber der Inhalt der „Historien“ des Polybios untersucht wird, soll auf den Autoren und sein Werk genauer eingegangen werden. Polybios, der ungefähr von 199 bis 120 lebte, stammt aus Megale Polis und war im Achaiischen Bund politisch tätig. Im Dritten Makedonischen Krieg (171-168) wurde er nach Italien deportiert. Nach seiner Freilassung im Jahre 150 wurde er Mentor und Freund des P. Cornelius Scipio Aemilianus, Adoptivsohn des Scipio Africanus, welcher neben anderen Scipionen eine herausragende Rolle im Zweiten Punischen Krieg, spielte. 7 Polybios begleitete Scipio Aemilianus beim Dritten Punischen Krieg, bei dem Karthago 146 zerstört wurde. Bei den „Historien“, seinem Hauptwerk, handelt sich um eine Universalgeschichte, die die Zeit von 220 bis 144 umfasst. Der Text ist auf griechisch verfasst und zählt 40 Bücher. Polybios‘ Ziel ist es, den Griechen den Aufstieg Roms zur Weltmacht zu erklären. Zu Beachten ist, dass die „Historien“ nicht in einem Zuge abgefasst worden sind. Noch etwa ein Drittel ist, meist fragmentarisch, erhalten; vollständig sind nur die ersten fünf Bücher. Hervorgehoben sind seine methodischen Grundsätze zu betrachten. So verpflichtet Polybios sich im Grundsatz der Wahrheit, bemüht sich stets um Objektivität und unternimmt sogar selbst Forschungsreisen. Wie bereits angesprochen ist für ihn die Ursachenanalyse zentral, hierbei sieht er herausragend den „Willen des Individuums als zentralen Verursacher“ 8. So versteht er beispielsweise die Eroberung Sagunts und die anschließende Überschreitung der durch den Fluss Ebro festgelegten Grenze der karthagischen Interessensphäre in Iberien durch Hannibal zwar als Anfänge, keineswegs aber Ursachen des Krieges, wie dies andere, römische Autoren tun.9 Er verfolgt eine pragmatische Geschichtsschreibung, die kausale Zusammenhänge darlegen und Maßstäbe für das politische Handeln vermitteln will; Vorrang vor der Unterhaltung hat immer die Lehre für die Praxis. Die Form der Universalgeschichte wählt er, da sie seiner Meinung nach geeigneter als Spezialgeschichten ist, die immer mehr verflochtenen Ereignisse der damals bekannten Welt darzustellen. 7 Elvers, Karl-Ludwig, s.v. Cornelius (I 70), DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/subscriber/entry? entry=dnp_e305350. 8 Dreyer, Polybios. 9 Pol. III 6,1-3. 3 „Die Zuverlässigkeit des (Polybios) ist hoch anzusetzen. Vorsätzliche Verfälschung wird ihm kaum vorgeworfen.“ 10 Aufgrund seines hohen Anspruchs auf Wahrheit und Glaubwürdigkeit leistet er scharfe Kritik an anderen Geschichtsschreibern.11 Gewisse Einschränkungen sind jedoch zu treffen, so berichtet Polybios beispielsweise als einziger von einer römischen Gesandtschaft an Hannibal vor dessen Belagerung Sagunts. 12 Die Ursachen des Zweiten Punischen Krieges, die Polybios in seinen „Historien“ wiedergibt und selbst nach seinen methodischen Grundsätzen entwickelt, werden im Weiteren die Grundlage dieser Arbeit bilden. 10 Dreyer, Polybios. 11 Eine Untersuchung hierzu findet sich bei Meister, Klaus, Historische Kritik bei Polybios, Wiesbaden 1975; siehe auch 2.2.1.2 für Polybios‘ Kritik an Fabius Pictor. 12 Schwarte, Der Ausbruch des Zweiten Punischen Krieges, 79-89. 4 2.2 Kritische Betrachtung der in Polybios‘ „Historien“ tradierten Ursachen des Zweiten Punischen Krieges Im Folgenden sollen nun anhand der soeben besprochenen „Historien“ des Polybios Ursachen des Zweiten Punischen Krieges herausgearbeitet und unter Heranziehung überlieferter historischer Tatsachen kritisch auf ihre Logik und Begründbarkeit hin überprüft werden. 2.2.1 Die Ursachen des Zweiten Punischen Krieges laut Fabius Pictor Bevor Polybios selbst Ursachen für den Hannibalischen Krieg nennt, gibt er die Meinung eines Zeitgenossen des Hannibalischen Krieges, dem römischen Politiker und Annalisten Quintus Fabius Pictor (ca. 270 -216)13, wieder. 2.2.1.1 „Der Ehrgeiz und die Herrschsucht des Hasdrubal“: Umsturzversuch und Errichtung eines „Barkidenreichs“ Pictor sieht zwei Ursachen des Hannibalischen Krieges: Die erste sei „der Ehrgeiz und die Herrschsucht des Hasdrubal“14, welcher sogar, „nachdem er in Iberien eine große Macht erlangt hatte, (…) den Anschlag gemacht (habe), die Verfassung umzustoßen und den Staat der Karthager in eine Alleinherrschaft zu verwandeln“15. Nach dem Scheitern seines Umsturzversuches habe er „Iberien nach seiner Willkür regiert, ohne um den Senat der Karthager sich zu kümmern“16. Hier findet sich der häufige antike Vorwurf von monarchischen Bestrebungen seitens der Barkiden, die in der Errichtung eines autonomen „Barkidenreichs“ gemündet haben sollen, wieder. 17 13 Alonso-Núñez/José Miguel, s.v. Geschichtsmodelle (RWG), DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/ subscriber/entry?entry=dnp_e1401730. 14 Pol. III 8,1. 15 Pol. III 8,2. 16 Pol. III 8,4. 17 Vgl. Heftner, Herbert, Der Aufstieg Roms, Regensburg 1997, 196; Seibert, Hannibal, 41f., ebd. Anm. 1222; Wollner, Bernd, Die Kompetenz der karthagischen Feldherren, Frankfurt a. M. 1987, 106ff. Barceló, Pedro, Beobachtungen zur Entstehung der barkidischen Herrschaft in Hispanien, in: Studia Phoenicia X. Punic Wars, Leuven 1989, 183. 5 Unter Hasdrubal sind jedoch keine Anzeichen für eine Entfremdung mit Karthago aus egozentrischer Machtbesessenheit heraus festzustellen. Nach dem Schlachttod des Hamilkar18 „übergaben die Karthager sofort Hasdrubal, seinem Schwiegersohn und Kapitän, (den Oberbefehl)“19. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger gewann dieser die meisten Stämme auf diplomatischem und nicht auf militärischem Weg20 , wenn man vom Rachefeldzug für den getöteten Schwiegervater absieht. Polybios bemerkt sogar lobend: „Hasdrubal (verwaltete) sein Amt mit viel Einsicht und Klugheit und machte in jeder Hinsicht bedeutende Fortschritte“21. Aufgrund seines Verhaltens sollen die Iberer ihn sogar zu ihrem obersten militärischen Anführer ernannt haben.22 Auch soll er eine Tochter des „Fürsten der Iberer“23 geheiratet haben. Mit der Gründung von Neu-Karthago schuf Hasdrubal zudem ein neues wirtschaftliches, politisches und militärisches Machtzentrum der karthagischen Herrschaft in Iberien24, deren Einflussbereich sich 221 über die Hälfte Iberiens 25 erstreckte. 26 In diesem Kontext sei auch angemerkt, dass Hasdrubals Verhalten gegenüber Rom keineswegs Hass geladen und aggressiv war, wie es Pictors Beschreibung vermuten ließe: „Als die Römer sahen, welche große und furchtbare Herrschaft er bereits gegründet habe, dachten sie daran, sich ernstlich in die iberischen Verhältnisse zu mischen.“ 27 Hasdrubal kam den Römern, die vom karthagischen Engagement in Iberien verunsichert waren, mit dem Schluss des „Ebro-Vertrags“ beschwichtigend entgegen. Die Vereinbarung sah die Trennung der Einflussbereiche der beiden Mächte durch eine natürliche Grenze, nämlich dem Fluss Ebro, vor, welcher nicht in kriegerischer Absicht überschritten werden sollte.28 18 Pol. II 1,7-8; andere antike Autoren nennen tlw. abweichende Umstände seines Todes; vgl. App. Iber. 5,19; Diod. XXV 10,3. 19 Pol. II 1,9. 20 Vgl. App. Iber. 6,23; Liv. XXI 2,5; Huß, Geschichte der Karthager, 275; Seibert, Hannibal, 41. 21 Pol. II 13,1. 22 Diodorus Siculus berichtet auch von der Heirat einer iberischen Fürstentochter, Diod. XXV 12,4; vgl. Lancel, Serge, Hannibal. Eine Biographie, Düsseldorf 1998, 71. 23 Diod. XXV 12; es handelte sich wohl um den angesehensten der iberischen Fürsten, die kein einheitliches Volk waren; die Hochzeit fand wohl neben der Verbindung zu Hamilkars‘ Tochter statt, App. Iber. 6,23. 24 Christ, Hannibal, 48; Barceló, Pedro, s.v. Carthago Nova, DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/ subscriber/entry?entry=dnp_e227620; siehe Pol. II 13,1-2 u.10,10. 25 Zur Ausdehnung des barkidischen Einflussbereichs vgl. Anhang 4.2-4. 26 Vgl. Christ, Hannibal, 47ff.; Huß, Geschichte der Karthager, 249-268; Zimmermann, Rom und Karthago, 33-41. 27 28 Pol. II 13,3. Pol. II 13,7; ob es sich beim „Iberos“ um den heutigen Ebro handelt, ist unter Historikern umstritten, vgl. Christ, Hannibal, 48f., 51. 6 All das zeichnet den Hasdrubal mehr als diplomatischen Realpolitiker denn als Kriegstreiber aus. Karthago profitierte wirtschaftlich und machtpolitisch von der Iberien-Expansion der Barkiden. Allgemein ist mit Hasdrubals Herrschaft in Iberien eine Phase der Ruhe und Konsolidierung verbunden.29 Nichts deutet auf separatistische oder monarchistische Bestrebungen seinerseits, ganz zu schweigen von einen Umsturzversuch, hin. Der Vorwurf antiker Autoren, die Barkiden hätten ihre Kompetenzen als Strategen überschritten und durch monarchistische Bestrebungen ein „Barkidenreich“ in Iberien errichtet, ist folglich, auch laut der modernen Forschungsauffassung, unzutreffend; trotz der umfangreichen Macht der Barkidendynastie bestand weiterhin eine enge politische und wirtschaftliche Beziehung zu Karthago.30 2.2.1.2 Hannibals eigenmächtiges Handeln und die oppositionelle Haltung Karthagos zum Hannibalischen Krieg Pictor gibt noch eine zweite Ursache an. Hasdrubals oben genannten charakterlichen Verfehlungen hätten sich nämlich auf seinen Kommandanten und späteren Nachfolger Hannibal übertragen. Dieser habe dann „Krieg mit den Römern nach seinem Gutdünken angefangen, gegen den Willen der Karthager. Denn keiner der angesehenen Männer in Karthago habe dasjenige gebilligt, was Hannibal der Stadt der Saguntiner gegenüber getan habe.“31 Durch seinen eigenmächtigen Angriff auf Sagunt habe Hannibal also den Zweiten Punischen Krieg absichtlich und gegen den Willen Karthagos provoziert.32 Hannibal, ist, wie auch Hasdrubal zuvor, ebenfalls kein eigenmächtiges Handeln nachzuweisen. So schickte er während der „Sagunt-Krise“ „Boten (nach Karthago, Anm. d. Verf.), um zu fragen, was zu tun sei“ 33. In diesem Zusammenhang weist Polybios zu Recht daraufhin, dass, nachdem eine römische Gesandtschaft im Jahre 218, nach dem Fall Sagunts, die Auslieferung Hannibals vom karthagischen Rat gefordert hatte, dieser, wenn Hannibal eigenwillig und gegen den Willen Karthagos gehandelt hätte, ihr gerne entgegengekommen wäre und den 29 Vgl. Huß, Geschichte der Karthager, 274-279; Zimmermann, Rom und Karthago, 42-45 u. 62-67. 30 Christ, Hannibal, 45; Wollner, Die Kompetenz der karthagischen Feldherren, 95-100. 31 Pol. III 8,6-7. 32 Pol. III 8,1-7; vgl. Huß, Geschichte der Karthager, 286; Zimmermann, Rom und Karthago, 62f. 33 Pol. III 15,8. 7 „Urheber des Unrechts (ausgeliefert) und (…) durch die Hand von anderen den gemeinsamen Feind der Stadt aus dem Weg (geschafft) und dem Land den Frieden und die Ruhe (gesichert), indem (er) den drohenden Krieg von sich abgewandt und nur durch einen Beschluss die Bestrafung vollzogen (hätte).“34 Das Gegenteil war jedoch der Fall, denn der Rat stellte sich gegenüber den römischen Gesandten hinter seinen Feldherren: „Denn von dem Angedeuteten etwas zu tun, waren jene so weit entfernt, dass sie 17 Jahre ununterbrochen nach dem Sinn des Hannibal Krieg führten und erst dann davon abließen, als sie jegliches Mittel erschöpft und zuletzt für ihre Vaterstadt und die Freiheit der Bewohner zu fürchten hatten.“35 Wie schon Polybios richtig erkannt und kritisiert hat, sagt die zeitliche Nähe und auch der gesellschaftliche Stand und das Ansehen eines Autors noch nicht viel über den Wahrheitsgehalt seiner Schriften aus.36 Allgemein sollte die annalistische Geschichtsschreibung unter Vorbehalt betrachtet werden, da sie meist das Ziel verfolgte, Rom im besten Lichte darzustellen und „seit dem Hannibalischen Krieg auch vor gröbsten Deformationen auf Kosten des überwundenen Gegners nicht zurückschreckte.“ 37 Die Darstellung der abtrünnigen Barkiden und der oppositionellen Haltung Karthagos zum Hannibalischen Krieg haben wahrscheinlich ihren Ursprung im Karthago der Nachkriegszeit, wo opportunistisch versucht wurde, die Barkiden als Sündenböcke für den Krieg zu benutzen38, und sind nicht haltbar. 34 Pol. III 8,10. 35 Pol. III 8,11. 36 Pol. III 9,1-5; vgl. Meister, Historische Kritik bei Polybios, 142-147. 37 Zimmermann, Rom und Karthago, 57; vgl. Huß, Geschichte der Karthager, 293. 38 Zimmermann, Rom und Karthago, 63. 8 2.2.2 Die Ursachen des Zweiten Punischen Krieges laut Polybios Nach seiner Kritik an Pictor schließt Polybios seine eigene Erklärung für die Entstehung des Zweiten Punischen Krieges an; er sieht seinerseits drei Ursachen für den Kriegsausbruch. 2.3.2.1 Der „Groll des Hamilkar“: Römerhass und Revanchestreben Die erste, grundlegende Ursache ist bei Polybios ebenfalls an eine Person gebunden: bei ihm ist der „Groll des Hamilkar“ 39 für den erneuten Krieg mit Rom verantwortlich. „Denn jener, im Geist nicht gebeugt durch den Krieg in Sizilien, in welchem er ja seinerseits die Truppen am Eryx für die Pläne, die er selbst verfolgte, unversehrt erhalten hatte und nur wegen der Niederlage der Karthager in der Seeschlacht der Lage des Augenblicks nachgab und den Friedensvertrag abschloss, bewahrte seinen Groll, indem er stetes auf Gelegenheit zum Angriff wartete. Wenn also die Empörung der Söldnertruppen gegen die Karthager nicht dazwischen getreten wäre, hätte er sogleich, soviel an ihm lag, einen neuen Anfang durch Zurüstung zum Krieg gemacht.“40 Die erste Ursache des Hannibalischen Krieges sei also biographischer Natur: Hamilkar, „der im Felde nicht besiegt worden war“ 41, wolle nach der Niederlage im Ersten Punischen Krieg unbedingt Rache an den Römern nehmen; nur der zeitgleich ausbrechende Söldneraufstand habe ihn von sofortigen Taten abgehalten. Die anschließende Iberien-Expansion lässt sich laut Polybios direkt auf Hamilkars Römerhass und sein Revanchestreben zurückführen.42 Es mag erstaunen, „dass (…) Hamilkar das meiste zum Entstehen des zweiten Krieges beitrug, obgleich er zehn Jahre vor dem Anfang desselben starb, dafür könnte einer mancherlei Beweggründe finden“43. Als einzigen Beleg für den weitreichenden Einflusses Hamilkars‘ Römerhasses führt der Geschichtsschreiber an, dass dieser vor der Fahrt nach Iberien seinen Sohn Hannibal „den Schwur (hat) tun heißen, dass er niemals ein Freund der Römer werden wolle“ 44. 39 Pol. III 9,6. 40 Pol. III 9,6-8. 41 Huß, Geschichte der Karthager, 249. 42 Vgl. Zimmermann, Rom und Karthago, 63. 43 Pol. III 10,7. 44 Pol. III 11,7. 9 Die Historizität des hannibalischen Eids wird in Fachkreisen heftig diskutiert 45. In Polybios‘ „Historien“ berichtet Hannibal selbst von dem Schwur aus Kindertagen, um König Antiochos, der an seiner Integrität zweifelt, von seinem Römerhass zu überzeugen.46 Ebenso wie ihm selbst in dieser Situation, war wohl auch romfreundlichen Autoren, auf die sich Polybios eventuell stützte, daran gelegen, Hannibals Römerhass möglichst stark zu betonen. Es finden sich also ausreichend Motive für eine fiktive Darstellung.47 Ob seiner Kriegserfahrungen mit Rom klingt es zwar plausibel, dass Hamilkar seinem Sohn einen solchen Eid hat leisten lassen, es verwundert jedoch, weshalb er den jungen Hannibal auf eine künftige kriegerische Auseinandersetzung mit Rom vereiden hätte sollen, wenn er doch selbst plante, einen Revanchekrieg mit diesen anzufangen. Dies ergäbe nur Sinn, wenn er bereits gewusst hätte, dass er nicht mehr dazukommen sollte, selbst den Kampf zu führen. Auch ist die Überzeugungskraft eines Schwurs aus Kindertagen48 in Anbetracht des ganzen Zweiten Punischen Krieges gegenüber Antiochos fraglich.49 Dem Bild eines von Hass auf die Römer getriebenen Hannibal widerspricht dessen Vorbereitung auf den Italienfeldzug. Die völlige Neuorganisation des Heeres und „die weitgesteckte Einleitung (seiner) Aufklärung50 belegt, dass Hannibal damals nicht emotional handelte“51. Auch Hamilkars Vorgehen in Iberien sprach wohl nicht die Sprache großen Hasses: so hatte die römische Gesandtschaft von 231/230 nichts an Hamilkars Handeln in Iberien offenbar nichts auszusetzen.52 Der Barkide war sicherlich kein Freund Roms, wird aber an anderer Stelle von Polybios, nämlich beim Schluss des Friedensvertrags mit Lutatius, als Realpolitiker gelobt.53 Auch wenn die Historizität von Hannibals Eid heute weder zu beweisen, noch zu widerlegen ist, so ist er, wenn er historisch stattfand, kein „unverwerfliches Zeugnis“ 54 des kriegstreibenden Hasses Hamilkars; insgesamt lässt sich kaum ein Generationen prägender Römerhass und Kriegswille bei ihm diagnostizieren.55 45 Heftner, Der Aufstieg Roms, 194; Christ, Hannibal, 46; Lancel, Serge, Carthage. A history, Oxford 1995, 378f. 46 Pol. III 11; vgl. Lancel, Carthage, 378f. 47 Vgl. Christ, Hannibal, 46; Zimmermann, Rom und Karthago, 63f. 48 Pol. III 12,1. 49 Seibert, Hannibal, 27f. 50 Pol. III 34. 51 Christ, Hannibal, 53. 52 Dio. fr. 48. 53 Pol. I 62,3-6. 54 Pol. III 12,2. 55 Vgl. Zimmermann, Rom und Karthago, 63f. 10 2.3.2.2 Die widerrechtliche Annexion Sardiniens als gerechter und wahrer Kriegsgrund Neben den Rachegelüsten und dem Römerhass des Hamilkar Barkas sieht Polybios „die zweite, und zwar wichtigste Ursache des später entstandenen Krieges“56 in der widerrecht- lichen57 römischen Annexion Sardiniens. Die Römer ergriffen nämlich ihre Chance, als das schon durch den Ersten Punischen Krieg und Reparationen geschwächte Karthago durch den Aufstand der Söldner und Libyer an seine Grenzen gebracht wurde und besetzten, gegen die im „Lutatius-Vertrag“ 58 getroffene Vereinbarung, dass sich „kein Teil (…) im Gebiet des anderen“ 59 einmischen sollte, Sardinien. Karthago blieb nach vergeblichen Verweisen auf die Illegitimität dieses Handelns und einer römischen Kriegserklärung ob der fehlenden materiellen und personellen Ressourcen nichts anderes übrig, als den Verlust einer zweiten wichtigen Kolonie nach Sizilien im Ersten Punischen Krieg sowie weiteren Reparationszahlungen an Rom hinzunehmen. 60 So sei zum Hass des Hamilkar „nun die hierdurch entstandene Erbitterung seiner Mitbürger“ 61 getreten, wodurch seinem Groll ein Nährboden bereitet und breite Unterstützung für seine Revanchepläne (und den späteren Krieg des Hannibal) mobilisiert worden sei: „Die Karthager nämlich trugen schon den Verlust von Sizilien schwer, aber gesteigert wurde ihr Groll (…) durch das, was sich mit Sardinien zutrug, sowie durch die Mengen des zuletzt ihnen auferlegten Geldes. Sobald sie daher den größten Teil von Iberien unter sich gebracht hatten, zeigten sie sich zur Benutzung jeder gegen die Römer sich ergebenen Gelegenheit bereit.“62 56 Pol. III 10,4. 57 Pol. III 28,1-2; römische Historiker widersprechen seiner Auffassung. 58 Pol. II 63,1-3; III 27,1-6; vgl. Bringmann, Klaus, s.v. Punische Kriege, DNP, Online unter: http://www. brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dnp_e1014630.; Huß, Geschichte der Karthager, 249-251. 59 Pol. III 27,4. 60 Pol. III 10,1-3; vgl. Huß, Geschichte der Karthager, 249-268; Zimmermann, Rom und Karthago, 38-41. 61 Pol. III 10,5. 62 Pol. III 13,1-2. 11 Auch merkt Polybios an, dass man ausgehend von der erzwungenen Abgabe Sardiniens an Rom einräumen müsse, „dass ein guter Grund zu der Führung des Hannibalischen Krieges für die Karthager vorhanden war, denn wie sie zur Zeit sich gefügt haben, so benutzen sie die Zeit, um sich an ihren Beleidigern zu rächen.“ 63 Laut Polybios wäre Karthago bei der Führung des Hannibalischen Krieges moralisch im Recht gewesen, wenn sie ihn mit der Annexion Sardiniens gerechtfertigt hätten. Zwar legt er die Kriegsschuld einseitig fest, räumt den Karthagern aber auch eine „ethische Berechtigung“ 64 ein. Natürlich ist anzunehmen, dass Karthago nach dem Rechtsbruch der Römer, diesen nicht freundlich gesinnt waren. Jedoch wäre es ein Fehlschluss anzunehmen, dass, nur weil man im Recht war, dies der (einzige) Kriegsgrund gewesen sein muss. Die Annahme, Hannibal habe die „Sagunt-Krise“ als Kriegsursache nur vorgeschoben und in Wahrheit aus Rache für die Ereignisse von 237 gehandelt 65, klingt weit hergeholt. Die Belagerung Sagunts war wohl der Auslöser des Konflikts, während die Erinnerung an den von Rom begannen Rechtsbruch auf karthagischer Seite katalysierend für eine gewaltsame Eskalation der Auseinandersetzung wirkte, jedoch nicht als wahre und geheim gehaltene Ursache gelten kann.66 2.3.2.3 Zuversicht aufgrund der Erfolge in Iberien Die dritte Ursache des Zweiten Punischen Krieges sieht Polybios in der hohen Zuversicht der Karthager für einen erneuten Krieg mit Rom aufgrund der Erfahrung der Erfolge, die die Barkiden in Iberien erzielen konnten, an. Hamilkar sei nämlich, durch seinen Römerhass und sein Revanchestreben getriebenen und nach der Annexion Sardiniens mit dem Volk von Karthago im Rücken, mit einem Expeditionsheer nach Iberien übergesetzt, um „dort zu dem Krieg gegen die Römer die Mittel zu schaffen“67. Und ob dem „glücklichen Fortgang der karthagischen Angelegenheiten in Iberien“68 unter ihm und seinen Nachfolgern wäre es schließlich zur ersehnten Revanche gekommen, „denn auf die dort errungene 63 Pol. III 30,4. 64 Huß, Geschichte der Karthager, 287. 65 Pol. III 15,9-11. 66 Vgl. Zimmermann, Rom und Karthago, 64f. 67 Pol. III 10,5. 68 Pol. III 10,6. 12 Macht vertrauend, begannen sie (die Karthager, Anm. d. Verf.) mutig den eben erwähnten Krieg“69. Zutreffend ist gewiss, dass die personelle und materielle Grundlage, die in Iberien durch die Barkiden erschlossen worden war, den Hannibalischen Krieg erst möglich machte. Schon Hamilkar brachte schnell „viele iberische Völkerschaften teils durch Krieg, teils durch Überredung unter die Botmäßigkeit Karthagos“ 70, gewann so die Kontrolle über wichtige Gold- und Silbervorkommen71 und konnte „ganz Afrika (gemeint ist Karthago, Anm. d. Verf.) mit Pferden, Waffen, Gefangenen und Geld (ausstatten)“72. Der territoriale, personelle73 sowie materielle Gewinn ob der barkidischen Errungenschaften in Iberien gewährte die Versorgung und den Wohlstand Karthagos und schuf darüber hinaus eine neue Machtbasis.74 Ohne diesen Rückgewinn an Stärke hätte Hannibal wohl nie eine solch selbstbewusste und provokante Haltung während der „Sagunt-Krise“ gegenüber Rom einnehmen können und gewiss keinen Krieg mit den Römern riskiert.75 Die positiven Entwicklungen in Iberien trugen sicherlich zur Zuversicht für einen Krieg mit Rom bei. Fraglich ist jedoch, ob die Iberien-Expansion von Anfang von Hamilkar Barkas und seinen Nachfolgern mit dem Ziel erfolgte, eine Machtbasis für einen Revanchekrieg gegen Rom zu schaffen. Dies soll im Weiteren unter Berücksichtigung der erarbeiteten Ergebnisse sowie unter Betrachtung des historischen Kontexts beantwortet werden. 69 Ebd. 70 Pol. II 1,7; vgl. Barceló, Beobachtungen zur Entstehung der barkidischen Herrschaft in Hispanien, S.168; Christ, Hannibal, 46f; Heftner, Der Aufstieg Roms, 195; Huß, Geschichte der Karthager, 271-273. 71 Ein Beleg seines Erfolges ist die Aufnahme und steigende Qualität der Münzprägungen durch Hamikar; vgl. Christ, Hannibal, 47; Lancel, Hannibal, 67; Huß, Geschichte der Karthager, 274. 72 Nep. Ham. 4,1. 73 Schon Hamilkar heuerte iberische Söldner an, Diod. XXV 10,3. 74 Pol. III 10,5-6; siehe auch 2.3. 75 Vgl. Zimmermann, Rom und Karthago, 65. 13 2.3 Historischer Kontext der Iberien-Expansion – die Situation Karthagos nach dem Ersten Punischen Krieg und dem Söldnerkrieg Zur Beantwortung der Frage, ob die Iberien-Expansion von Anfang mit dem Ziel erfolgte, eine Machtbasis für einen Revanchekrieg gegen Rom zu schaffen, wie es Polybios annimmt, ist ein Blick auf den historischen Kontext des Vorhabens, nämlich die Situation Karthagos in der Nachkriegszeit des Ersten Punischen Krieges (264-241), aufschlussreich. Nach der karthagischen Niederlage auf See wurde ein Friedensvertrag mit dem siegreichen Lutatius geschlossen. Unter anderem enthielt er folgende Bestimmungen: „Die Karthager räumen ganz Sizilien und (…) zahlen den Römern am Silber in zwanzig Jahren 2200 euboiische Talente“ 76. Im Anschluss wurde die Vereinbarung von Rom weiter verschärf: „Die Zeit für Zahnlungen verkürzten sie um die Hälfte, fügten noch 1000 Talente hinzu und geboten außerdem die Räumung aller Inseln, welche zwischen Italien und Sizilien liegen.“77 Gleich im Anschluss an den Ersten Punischen Krieg erhoben sich zudem die karthagischen Söldner und die libysche Bevölkerung schloss sich ihrem Aufstand an. Der Söldnerkrieg (241-238) schwächte Karthago noch weiter und zerstörte auch Infrastruktur in Afrika.78 Die Römer ergriffen ihre Chance um „unter fadenscheinigen Vorwänden auch die Räumung Sardiniens und die zusätzliche Zahlung von 1200 Talenten zu erpressen“ 79. Karthago hatte nach diesen einschneidenden Ereignissen die wichtigen Kolonien Siziliens und Sardiniens verloren, die elementare Bestandteile des karthagischen Handelssytems darstellten.80 Zudem waren ihr hohe finanzielle Belastungen aufgrund der Reparationszahlungen an die Römer sowie ob der eigenen Kriegskosten entstanden. Besonders schwerwiegend war wohl der Prestige-Verlust der Großmacht, den sie durch die Niederlage und den Verlust der Vormachtstellung im westlichen Mittelmeer, besonders aber durch den Verlust der Flotte als See- und Handelsmacht 81, erfahren hatte.82 76 Pol. I 62,8-9. 77 Pol. I 63,3. 78 Christ, Hannibal, 40f.; Günther, Linda-Marie, s.v. Söldnerkrieg, DNP, Online unter: http://www.brillonline. nl/subscriber/entry?entry=dnp_e1116030. 79 Bringmann, Punische Kriege; vgl. Christ, Hannibal, 39f. 80 Christ, Hannibal, 42. 81 Christ, Hannibal, 38f. 82 Vgl. Huß, Geschichte der Karthager, 249-268; Zimmermann, Rom und Karthago, 37. 14 Dies alles musste durch eine neue Machtbasis ausgeglichen werden, wenn Karthago nicht den vollkommenen Verlust von Macht und Eigenständigkeit, vor allem gegenüber der aufstrebenden Großmacht Rom, riskieren wollte.83 Iberien war hierfür ein höchst geeigneter Ort, da die Karthager bereits früher mit den Iberern Handelsbeziehungen unterhalten hatten und dort wohl auch schon einige Kolonien gegründet worden waren.84 Auch der Reichtum an Rohstoffen, vor allem das hohe Silberaufkommen, prädestinierte es gegenüber dem im Söldnerkrieg teilweise verwüsteten Libyen. Iberien stellte folglich den besten Weg zur Wiederherstellung der Macht und Versorgung Karthagos dar.85 83 Vgl. Seibert, Hannibal, 25; Christ, Hannibal, 45; Huß, Geschichte der Karthager, 270; Zimmermann, Rom und Karthago, 42. 84 Vgl. Barceló, Pedro, Karthago und die Iberische Halbinsel vor den Barkiden, Bonn 1988, 72ff.; Huß, Geschichte der Karthager, 271. 85 Vgl. Barceló, Karthago und die Iberische Halbinsel vor den Barkiden, 87ff.; Christ, Hannibal, 45: Lancel, Hannibal, 66; Richardson, John, Hispaniae. Spain and the Development of Roman Imperialism, 218-82 B.C., London 1986, 11-18; Seibert, Hannibal, 29f. 15 2.4 Die Iberien-Expansion der Barkiden als Vorraussetzung, nicht aber als Ursache des Zweiten Punischen Krieges Nachdem nun die Ursachen des Zweiten Punischen Krieges aus der Sicht des römischen Annalisten Fabius Pictor und des griechischen Geschichtsschreibers Polybios herausgearbeitet, kritisch hinterfragt und diskutiert sowie die historischen Umstände der Iberien-Expansion beleuchtet worden sind, soll nun die Beantwortung der zentralen Fragestellung, ob das barkidische Engagement in Iberien als ein, primär aus Revanchegründen geführter, erster Schritt in den Zweiten Punischen Krieg gelten kann, erfolgen. Wie gezeigt wurde, sind die personalisierten Erklärungsversuche der beiden Autoren, also die von Pictor diagnostizierte „Herrschsucht des Hasdrubal“ 86 und Eigenmächtigkeit Hannibals sowie der alles dominierende und auf seine Nachfolger übertragene „Groll des Hamilkar“87 bei Polybios als unzureichend zu bewerten. Auch dessen Auffassung der römischen Annexion Sardiniens eigentlicher und „guter Grund“88 scheint äußerst dürftig, vor allem unter der Annahme, das er geheim gehalten und Sagunt als Scheingrund vorgeschoben worden sein sollte. Die Barkiden handelten in Iberien und während des Zweiten Punischen Krieges auch nicht „gegen den Willen der Karthager“ 89, ganz zu Schweigen von angeblichen Umsturzversuchen oder der Errichtung eines autonomen „Barkidenreichs“ „nach seiner Willkür“90, wie es uns von Pictor überliefert wird. Zutreffend ist, dass nach dem verloren gegangenen Ersten Punischen Krieg und besonders nach der illegitimen Annexion Sardiniens Karthago und ihr Stratege Hamilkar Rom gegenüber nicht freundlich gesinnt waren.91 Auch trifft es zu, dass Karthago ohne die Erfolge der Barkiden in Iberien kaum in der Lage gewesen sein dürfte, einen zweiten Krieg gegen Rom zu führen.92 86 Pol. III 8,1. 87 Pol. III 9,6. 88 Pol. III 30,4. 89 Pol. III 8,6. 90 Pol. III 8,4. 91 Vgl. Seibert, Hannibal, 34. 92 Vgl. Zimmermann, Rom und Karthago, 64f. 16 Wie ist nun also die Iberien-Expansion Hamilkars und seiner Nachfolger zu bewerten? Durch materiellen und personellen Ressourcen, die durch die Barkiden in Iberien erschlossen worden waren, erlangte Karthago eine neue Machtgrundlage im Mittelmeerraum und erlangte wieder höhere politische Handlungsfreiheit.93 Ohne diese Grundlagen wäre auch die selbstbewusste „Provokation“ seitens Hannibals im „Sargnut-Konflikt“ nicht möglich gewesen, ganz zu schweigen von einem erneuten Krieg gegen Rom. Dagegen mutet Polybios‘ Auffassung, Hamilkar habe sein Expeditionskorps mit dem Ziel nach Iberien geführt, eine Basis für den Revanchekrieg gegen Rom zu schaffen94 , eher aus der Luft gegriffen an. Die Annahme, dass das gesamte barkidische Handeln in Iberien unter dem Zeichen von Hamilkars Römerhass und seinem Streben nach Rache stünde, wurde bereits widerlegt. Dass Hamilkars Revanchekrieg erst von seinem Sohn 19 Jahre nach seinem Übergang nach Iberien stattfand und in der Zwischenzeit durch ihn und seine Nachfolger eine diplomatische Haltung zu Rom angenommen wurde, verwundert. Weitaus logischer lässt sich das Engagement der Barkiden in Iberien als Reaktion auf die geschwächte Situation Karthagos nach dem Ersten Punischen Krieg und dem Söldnerkrieg zurückführen und erklären. 95 Abschließend kann also festgestellt werden, dass die Iberien-Expansion der Barkiden zwar erst die Vorraussetzungen für den Zweiten Punischen Krieg schuf, ihn jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht als primäres Ziel hatte. 93 Vgl. Christ, Hannibal, 45; Huß, Geschichte der Karthager, 270; Seibert, Hannibal, 25; Zimmermann, Rom und Karthago, 42. 94 95 Pol. III 9,6-9. Dieser antiken Unterstellung widerspricht auch die moderne Forschung: vgl. Christ, Hannibal, 45; Huß, Geschichte der Karthager, 271 u. Anm. 12-15; Zimmermann, Rom und Karthago, 62-67. 17 3 Schluss Das interessante Phänomen, dass die antike Geschichtsschreibung einig nur nach Kriegsursachen auf Seiten Karthagos sucht, ist bemerkenswert. Die in den „Historien“ des Polybios tradierten Gründe für den Zweiten Punischen Krieges folgen diesem Muster und versuchen, vor allem auf personaler Ebene die Wurzeln des Konflikts zu erklären. Nach einer kritischen Betrachtung erwiesen sie sich jedoch alle als unzureichend. Was die IberienExpansion der Barkiden angeht, so ist sie logisch aus ihrer Zeit heraus zu erklären, nämlich als Reaktion auf die geschwächte Position Karthagos nach dem Ersten Punischen Krieg sowie dem Söldneraufstand und der römischen Annexion Sardiniens. Wie dargelegt wurde, sind alle Versuche, sie primär als Vorbereitung eines Revanchekrieges gegen Rom zu deuten, äußerst dürftig. Man kann also mit großer Sicherheit den Schluss ziehen, dass das barkidische Engagement in Iberien zwar Vorraussetzung, jedoch nicht Ursache des Hannibalischen Krieges war. Das Thema dieser Arbeit stellt nur eine Facette der in Fachkreisen breit diskutierten Kriegsschuldfrage dar. Mit Gewissheit lässt sich die Verantwortung wohl nicht eindeutig bei Karthago oder Rom festmachen. Einseitige Lösungsansätze waren und sind, wie auch in dieser Arbeit gezeigt worden ist, wenig zielführend. Vielmehr ist es notwendig, auf Grundlage kritischen Herangehens ein differenziertes Verständnis für Einstellungen, Beweggründe und Ziele beider Seiten zu entwickeln und, auf diese gestützt, umfassende Erklärungsansätze für die Ereignisse zu erarbeiten. Zu beachten ist auch, dass die Geschichte meist die Geschichte der Sieger ist. So müssen wir uns beim Zweiten Punischen Krieg und seinen Umständen auf fast ausschließlich romnahe Quellen stützen. 96 Im zweiten Krieg zwischen Rom und Karthago wird sich Hannibal Barkas durch überraschende Manöver wie der spektakulären Alpenüberquerung und mittels überlegenen taktischen Geschicks gegen zahlenmäßig überlegene Gegner wie bei der Schlacht bei Cannae einen Namen machen. Und doch endet der Hannibalische Krieg mit einer Niederlage des karthagischen Strategens. In der dritten kriegerischen Auseinandersetzung wird Karthago schließlich dem Erdoden gleich gemacht werden und Rom als dominierende Großmacht mit Provinzen im gesamten Mittelmeerraum einem weiteren Ausbau seiner Herrschaft entgegen streben. 96 Vgl. Huß, Geschichte der Karthager, 293; Zimmermann, Rom und Karthago, 57. 18 4 Anlagen 4.1 Die Dynastie der Barkiden Günther, Linda-Marie, Barkiden, DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dnp_e212800 4.2 Die provinzielle Entwicklung Hispanias vom 2. Jh.v.Chr. bis 5. Jh.n.Chr. Barceló, Pedro/Toral-Niehoff, Isabel/Untermann, Jürgen/Graf, Fritz: Hispania, Iberia, DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dnp_e515490. 19 4.3 Karthagische Eroberungen in Iberien Bringmann, Klaus, Punische Kriege, DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dnp_e1014630. 4.4 Rom und Karthago zur Zeit der Punischen Kriege von 264 bis 201 v. Chr. Wenschow/Cornelsen, Online unter: http://www.geosmile.de/index.asp?affid=0&rid=61&pid=100348126 20 5 Literaturverzeichnis 5.1 Antike Quellen App. Iber. 5,19. 6,23. Dio. fr. 48. Diod. XXV 10,3; 12. Liv. XXI 2,3; 3,4. Nep. Ham. 1,4; 3,1; 4,1. Pol. I 62,3-6; II 1,5-9; 10,10; 13; 62-63,3; III 6,1-3; 8-13.2; 15,8-11; 28,1-2; 27,1-6; 30,4. 5.2 Moderne Forschungsliteratur Alonso-Núñez/José Miguel, s.v. Geschichtsmodelle (RWG), DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dnp_e1401730. Bagnall, Nigel, Rom und Karthago. Der Kampf ums Mittelmeer, Berlin 1995. Barceló, Pedro, Karthago und die Iberische Halbinsel vor den Barkiden, Bonn 1988. Barceló, Pedro, Beobachtungen zur Entstehung der barkidischen Herrschaft in Hispanien, in: Studia Phoenicia X. Punic Wars, Leuven 1989, S, 167-184. Barceló, Pedro, s.v. Carthago Nova, DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dnp_e227620. Bringmann, Klaus, s.v. Punische Kriege, DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dnp_e1014630. Christ, Karl, Hannibal, Darmstadt 2003. Dreyer, Boris, s.v. Polybios (2), DNP, Online unter http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dnp_e1000940. Elvers, Karl-Ludwig, s.v. Cornelius (I 70), DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dnp_e305350. 21 Günther, Linda-Marie, s.v. Barkiden, DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dnp_e212800. Günther, Linda-Marie, s.v. Söldnerkrieg, DNP, Online unter: http://www.brillonline.nl/subscriber/entry?entry=dnp_e1116030. Heftner, Herbert, Der Aufstieg Roms. Vom Pyrrhoskrieg bis zum Fall von Karthago, Regensburg 1997. Huß, Werner, Geschichte der Karthager, in: Handbuch der Altertumswissenschaft, III, 8, München 1985. Lancel, Serge, Carthage. A history, Oxford 1995. Lancel, Serge, Hannibal. Eine Biographie, Düsseldorf 1998. Meister, Klaus, Historische Kritik bei Polybios, Wiesbaden 1975. Richardson, John, Hispaniae. Spain and the Development of Roman Imperialism, 218-82 B.C., London 1986. Schwarte, Karl-Heinz, Der Ausbruch des Zweiten Punischen Krieges, Rechtsfrage und Überlieferung, in: Historia 43, Wiesbaden 1983. Seibert, Jakob, Forschungen zu Hannibal, Darmstadt 1993. Seibert, Jakob, Hannibal, Darmstadt 1993. Tränkle, Hermann, Livius und Polybios, Basel 1977. Wollner, Bernd, Die Kompetenz der karthagischen Feldherren, Frankfurt a. M. 1987. Zimmermann, Klaus, Rom und Karthago, Darmstadt 20092. Zimmermann, Klaus, Karthago, Darmstadt 2010. 22