Indonesien befürchtet weitere IS

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Indonesien befürchtet weitere IS
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INDONESIEN
Indonesien befürchtet weitere IS-Anschläge
Vor einem Monat erschütterte ein islamistischer Terroranschlag Indonesiens Hauptstadt Jakarta. Zu dem Anschlag
bekannte sich der IS, der dort mehr und mehr Zulauf hat. Wie sehr untergräbt dies die indonesische Regierung?
In der vergangenen Woche hat ein Gericht in Indonesien sieben Unterstützer der Terrormiliz Islamischer Staat zu mehrjährigen
Haftstrafen verurteilt. Sie hatten IS-Propaganda verteilt und dabei geholfen, IS-Kämpfer für den Krieg im Nahen Osten zu rekrutieren.
Damit hat Indonesiens Justiz zum ersten Mal überhaupt Unterstützer des IS rechtskräftig verurteilt – fast genau einen Monat nach dem
Anschlag auf ein Einkaufszentrum in Jakarta, zu dem sich ebenfalls die Terrormiliz bekannt hatte.
Indonesiens Behörden sind erst relativ spät dazu übergegangen, konsequent gegen die Unterstützer des IS im eigenen Land vorzugehen,
bemängelt Susanne Schröter, Indonesien-Expertin an der Goethe-Universität Frankfurt. Denn schon Monate vor dem Anschlag kursierten
islamistische Propagandavideos im Internet, die dazu aufriefen, sich am IS-Kampf in Indonesien zu beteiligen, bevor sich Jakarta dazu
durchrang, entsprechende Seiten zu sperren. Radikale Imame, die sich in den Moscheen des Landes offen zum IS bekannten, wurden
bislang nur halbherzig verfolgt. "Die Situation ist durchaus dramatisch, weil es eine relativ große Begeisterung unter den ohnehin schon
konservativ gesonnenen Jugendlichen im Land für den dschihadistischen Kampf im Nahen Osten gibt", so Schröter. Dabei war das
aggressive Werben des IS um Unterstützer auch in Indonesien schon länger bekannt.
Bereits im September 2014 hatte das renommierte "Institute for Policy Analysis of
Conflict" (IPAC) in Jakarta eine Studie zum Thema vorgestellt. Bis heute, so
schätzen Indonesiens Behörden, haben sich rund 500 Indonesier der Terrormiliz IS
im Nahen Osten angeschlossen.
Jakarta in höchster Alarmbereitschaft
Gemessen an den insgesamt rund 250 Millionen Einwohnern ist das nicht viel.
Dennoch scheint die Gefahr weiterer Anschläge im Land hoch zu sein. Als Grund
Der indonesische Präsident Joko Widodo am Tatort des
dafür hat das IPAC nun eine Art Konkurrenzkampf verschiedener lokaler
Anschlags vom 14. Januar
Islamistenführer ausgemacht. Diese wetteifern mit ihren Splittergruppen um
Anerkennung durch die IS-Führung im Nahen Osten und könnten nun versucht
sein, sich mit weiteren Anschlägen gegenseitig zu übertrumpfen.
Dabei scheint nach jetzigem Ermittlungsstand das Attentat in Jakarta im Januar 2016 auf das Konto einer Gruppe namens "Partisanen des
Kalifats" zu gehen, die von dem im Nahen Osten kämpfenden Indonesier Abu Jandal angeführt wird. Abu Jandal hat sich jedoch mit
seinem Landsmann Bahrumsyah überworfen, dem Anführer der größten indonesisch-malaysischen IS-Kampftruppe in Syrien und dem
Irak.
Ein dritter Terroristenführer - Bahrun Naim - versuchte schon 2015 auf eigene Faust,
verschiedene Anschläge auf Java durchzuführen, die jedoch vereitelt werden konnten.
Zunächst stand er auch im Verdacht, hinter dem Anschlag vom 14. Januar zu stecken.
Und auf der Insel Sulawesi sammeln sich vor allem aus China geflohene Uiguren um
einen Fundamentalisten namens Santoso, der zu den meistgesuchten Extremisten
Indonesiens zählt.
Gefängnisse als Orte der Radikalisierung
In den vergangenen Jahren hat sich die terroristische Szene im Land stark gewandelt.
Zunächst galt Muhammad Bahrun Naim als Drahtzieher
Nach den verheerenden Anschlägen 2002 auf Bali mit über 200 Toten und 2009 auf
des Anschlags vom 14. Januar - mittlerweile gehen die
zwei Luxushotels in Jakarta waren die indonesischen Sicherheitsbehörden konsequent
Ermittler davon aus, dass die "Partisanen des Kalifats"
vor allem gegen "Jemaah Islamiyah", die weitaus größte Terrororganisation im Land,
dahinter stecken
vorgegangen. Hunderte Extremisten wurden verhaftet, die Gruppe gilt seit 2010 als
zerschlagen. "Damals hat die indonesische Regierung ein umfassendes Antiterrorkonzept entwickelt, das einerseits auf massiver staatlicher
Repression basierte, andererseits aber auch auf einer theologischen Gegennarrative", erklärt Susanne Schröter. "Man hat versucht,
Islamisten aus der "Jemaah Islamiyah" herauszulösen und ihnen zu erklären, dass sie auf dem Holzweg sind. Und diese
Deradikalisierungskampagne hat eine Zeitlang auch gut funktioniert." Heute jedoch ist die terroristische Szene in Indonesien weit
unübersichtlicher. "Da gibt es sehr viele unterschiedliche kleinere Gruppierungen, von denen nur einige Verbindungen zu den
indonesischen und malaysischen IS-Kämpfern in Syrien besitzen", sagt Indonesien-Experte Andreas Ufen vom Hamburger GIGA-Institut.
Zwei ihrer größten ideologischen Anführer, die radikalen Geistlichen Aman
Abdurrahman und Abu Bakar Bashir, sitzen bereits seit Jahren im Gefängnis. Auch
sie haben sich wiederholt öffentlich zum IS bekannt. Den indonesischen Behörden
ist es bislang jedoch nicht gelungen, ihre Verbindungen zur islamistischen Szene
außerhalb der Gefängnismauern zu kappen. Insbesondere Indonesiens Gefängnisse
seien sehr schlecht verwaltet, erklärt Ufen: "Viele Islamisten werden dort zusammen
eingesperrt. Andere radikalisieren sich erst während ihrer Haftzeit. So scheinen sich
gerade dort wichtige Rekrutierungsbasen für den IS formiert zu haben." Auch einige
Der radikale Geistliche Abu Bakar Bashir soll unter
anderem an der Planung der Anschläge auf Bali im Jahr
2002 beteiligt gewesen sein
der Attentäter vom Januar 2016 waren ehemalige Gefängnisinsassen.
Gesellschaft wird konservativer
Experten beobachten zudem schon seit Jahrzehnten eine schleichende
Islamisierung des Landes. "Diese hat sich nach der Demokratisierung noch beschleunigt," erklärt Susanne Schröter. "Noch vor zwanzig
Jahren trug kaum eine Indonesierin Kopftuch. Heute gibt es immer mehr religiöse Filme, Bücher, Musikgruppen. Und es gibt massive
Veränderungen im Rechtssystem." So wurde in der Provinz Aceh das gesamte Rechtssystem islamisiert, in anderen Landesteilen gibt es
mittlerweile so genannte "By-Laws", islamische Verordnungen, die zusätzlich zum staatlichen Recht einzuhalten sind.
"Dies trägt dazu bei, dass vor allem die Rechte von Minderheiten bedroht sind. Und weil es dafür eine öffentliche Akzeptanz gibt, werden
diese Minderheiten auch Opfer von Übergriffen gewalttätiger islamistischer Gruppen." Viele Indonesier befürworteten, dass Muslime
mehr Rechte besitzen sollten als Nichtmuslime, "und vor diesem Hintergrund muss man verstehen, warum jetzt auch in Teilen der
Gesellschaft die Akzeptanz für Dschihadisten steigt", so Schröter. Insbesondere Jugendliche würden vor diesem Hintergrund stark von der
IS-Propaganda angezogen: "Da gibt es Filmchen, T-Shirts, Symbole und Logos, da werden quasi Fanartikel vertrieben. Und das ist äußerst
populär."
Starke Militärpräsenz in Jakarta nach dem jüngsten Anschlag vom Januar, bei dem zwei Zivilisten getötet wurden
"Keine unmittelbare Gefahr für die Demokratie"
Trotz dieser Entwicklungen bleibt die islamistische Szene in Indonesien vergleichsweise klein. Die überwältigende Mehrheit der
Indonesier lehne auch weiterhin fundamentalistische Ideologien oder gar terroristische Akte rigoros ab, betont Andreas Ufen vom
Hamburger GIGA-Institut. Er glaubt nicht, "dass durch den islamistischen Terrorismus der relativ offene indonesische Islam unmittelbar
gefährdet ist." Susanne Schröter rechnet aber damit, dass die Regierung unter Präsident Jokowi ihren Anti-Terror-Kampf in Zukunft
deutlich verschärfen wird. "Der Staat muss seine Mischung aus Sicherheitsmaßnahmen und ideologischem Gegenangebot
wiederaufnehmen und schauen, dass man jetzt zumindest die radikalen Moscheen schließt, in denen nach wie vor offen zum Dschihad
aufgerufen wird."
D I E R E D A K T I O N E M P F I E H LT
Südostasien im Kampf gegen Terror
Seit dem Anschlag von Jakarta überprüfen die Staaten in Südostasien ihre Strategien gegen den Terror. Sie setzen auf Polizei und Gesetze. Experten
fordern aber vor allem eine klare Haltung. (26.01.2016)
Weitere Festnahmen nach Anschlag in Indonesien
Die indonesische Polizei nimmt nach dem Terroranschlag mehrere mutmaßliche Extremisten fest - darunter auch den vom IS finanzierten Drahtzieher.
Derweil wurden Webseiten und Blogs mit radikalen Inhalten gesperrt. (16.01.2016)
Sicherheitskräfte verhindern Blutbad in Jakarta
Es sollte ein Massaker nach dem Vorbild der Pariser Anschläge werden: Sieben Menschen wurden in Jakarta getötet. Doch offenbar gelang es der
Polizei, Schlimmeres zu verhindern. Inzwischen gab es erste Festnahmen. (14.01.2016)
Kommentar: Indonesien im Fadenkreuz des Terrors
Islamistischer Terror trifft mitnichten nur die Metropolen des Westens. In islamischen Ländern sind die weitaus meisten Opfer zu beklagen. Doch
Indonesien wehrt sich, meint Hendra Pasuhuk. (14.01.2016)
"Ein 'weiches Ziel' war befürchtet worden"
Bereits vor dem Anschlag in Jakarta gab es Hinweise auf die gestiegene Bedrohung durch den IS oder seine Anhänger in dem südostasiatischen Land.
Der Indonesienexperte Felix Heiduk erklärt mögliche Hintergründe. (14.01.2016)
AUD IO UN D V I DE O Z UM T HE MA
Terror erschüttert Indonesien (DW-TV-TV vom 14.01.2016)