THE HOLE

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THE HOLE
Lukas Foerster
THE HOLE (2009)
Von Lukas Foerster
usan (Teri Polo), eine alleinerziehende
Mutter, ist bei Filmbeginn mit ihren Söhnen Dane (Chris Massoglia) und Lucas (Nathan
Gamble) gerade von Brooklyn in eine jener
nordamerikanischen Kleinstädte gezogen,
die spätestens seit GREMLINS (1984) den zentralen Schauplatz des Dante-Kinos darstellen. Wie seine Vorgänger ist das verschlafene
Bensonville eine durchaus ausgestellt typische Kleinstadt, deren vermeintliche Mittelmäßigkeit als ideale Kontrastfolie für den
Überschlag ins Fantastische dient.
Anders als in Filmen wie GREMLINS, THE
’BURBS (Meine teuflischen Nachbarn; 1989)
oder MATINEE (1993) faltet Dante seinen Schauplatz diesmal nicht sozialpanoramatisch auf;
der auch insgesamt kleiner formatierte Film
beschränkt sich auf ein verhältnismäßig
überschaubares Schauspielerensemble. An
Bensonville interessiert vor allem den älteren Bruder Dane kaum mehr als Julie (Haley
Bennett), die blonde Nachbarstochter, die von
seinen nervösen Avancen zwar durchaus geschmeichelt zu sein scheint, aber vorerst lieber nur ein Kumpel der beiden Jungs werden
möchte. Gemeinsam erkunden die drei, das
könnte man natürlich leicht sexualmetaphorisch verstehen (was der Film insgesamt aber
nicht unbedingt nahelegt), ein Loch – über
das die Brüder im Keller des neuen Hauses
regelrecht gestolpert sind, das sich in eine
ungewisse, pechschwarze Tiefe öffnet und
keinen Grund zu besitzen scheint. Dafür befinden sich an der Unterseite der Planke, die
es bisher verschlossen hatte, Kratzspuren,
so als hätte jemand versucht, aus dem Loch
in die Welt hinein zu entkommen. Bald tau-
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chen in der Umgebung der drei Heranwachsenden Dinge und vor allem Menschen auf,
die außer ihnen niemand wahrnehmen zu
können scheint.
Zumindest bis zu seinem eindrücklichen
Finale macht THE HOLE einen eher zurückgenommenen Eindruck. Der über alle Stränge
schlagende prankster, der Dante in den meisten seiner vorhergehenden Filmen auch ist,
darf sich diesmal kaum austoben. Tatsächlich
ist THE HOLE der einzige Langfilm des Regisseurs, der komplett ohne eindeutig komödiantische Elemente auskommt. Passend für die
gedämpfte Atmosphäre ist der obligatorische
Kurzauftritt von good luck charme Dick Miller:
Er bringt den beiden Jungs und Julie Pizza an
die Tür (das ist so wenig narrativ integriert,
so eindeutig nur Vorwand für das Cameo, dass
man eigentlich sagen muss: Die Pizza bringt
Dick Miller an die Tür), spricht dabei kein
Wort, blickt Dane lediglich ein wenig schief,
fast sehnsuchtsvoll, an – und verschwindet
gleich wieder aus dem Film.
THE HOLE muss man dennoch nicht als
Enttäuschung, als Rückschritt innerhalb
des Werks abhaken; denn gerade in seinen
Reduktionen, in seiner relativen Nüchternheit gelingt es dem Film, ein anderes Element
des Gesamtwerks Dantes in besonders klarsichtiger Art und Weise zu präparieren: die
enge Verbindung zu den Erzähltraditionen
der Fantastik. Das beginnt schon bei dem
Modus der Intertextualität. Die popkulturellen Verweise, in die auch diese Kleinstadtjugend wieder eingebettet ist, verdichten sich
diesmal nicht – wie zum Beispiel im denkwürdigen Raumschifffinale von EXPLORERS
THE HOLE
(1985) – zu einer Movie Orgy, laufen eher als me park attraction R.L. STINE’S HAUNTED LIGHTleises Hintergrundrauschen mit dem Alltag HOUSE getestet), schien im Produktionsjahr
mit, verankern die Geschichte wie neben- 2009, angesichts des Welterfolgs von James
bei, auf subtilere Art in der Filmgeschich- Camerons AVATAR, wie der richtige Schritt
te. Die Wurzeln reichen dafür umso tiefer, zur richtigen Zeit: Das Publikum sehnte sich
von der SOUTH PARK-Gegenwart (eine Cart- nach stereoskopischem Nachschub, vor allem
man-Puppe lotet das Loch
erstmals per Taschenlampe aus) über den britischen
Monster-Trash GORGO (1961;
R: Eugène Lourié; im Fernsehen) bis in die Weimarer
Stummfilmfantastik: Gloves
by Orlac heißt eine Handschuhfabrik, die mit dem
Mysterium im Keller zu
tun hat. (An anderer Stelle bringt der Regisseur außerdem einen Verweis auf
seinen Namensvetter Dante Bildsprache des Expressionismus
Alighieri unter ...).
Der Verweis auf den Klassiker ORLACS HÄN- nach Filmen, die mit der neuen Technik auch
DE (1924) ist für THE HOLE besonders wichtig. produktiv arbeiten, bekam es zunächst doch
Wenn der Film sich am Ende, in seiner in- vor allem lieblos postkonvertierte Schnelltensivsten Szene, tatsächlich mit Haut und schüsse serviert. Leider hatten zu viele andeHaaren und gemeinsam mit seinen beiden re dieselbe Idee: Als der Film ein Jahr später
jugendlichen Protagonisten in das Loch hi- marktreif war, waren die 3-D-Slots der USneinwagt, folgt eine der stilistisch erstaun- Kinos hoffnungslos überlaufen; tatsächlich
lichsten Szenen in Dantes Werk: Durchaus startete THE HOLE in den USA erst im Jahr
aufwändig werden im psychokartografisch 2012 – als direct-to-DVD-release. Einige kleineausgestalteten Inneren des Loches die per- re, zum Teil nicht ganz erfolglose Kinostarts
spektivischen Verzerrungen und klaustro- in Europa und Asien konnten nicht darüber
phobischen Raumverformungen nachgestellt, hinwegtäuschen, dass ein weiterer Dantemit deren Hilfe der ORLAC-Regisseur Robert Film hinter den ökonomischen Erwartungen
Wiene vor allem in seinem bekanntesten Film zurückgeblieben war.
DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1920) die BildÜber weite Strecken des Films setzt Dansprache des Expressionismus ins Medium des te die 3-D-Technik durchaus konservativ
Films zu übersetzen versucht hatte.
ein – was nicht als Kritik gemeint ist: Es hat
Dantes Reappropriation dieses filmhisto- einen eigenen Reiz, wie da eine Kleinstadtrisch eher gescheiterten, zumindest kaum ir- welt sorgfältig modelliert wird, wie einzelgendwo in ähnlicher Radikalität fortgeführ- ne Objekte – zum Beispiel der Gartenzaun,
ten Experiments wird außerdem durch das der Dane zunächst noch von Julie trennt –
technische Gimmick des Films unterstützt: Die durch die Tiefenschichtung hervorgehoben
3-D-Technik. Dass Dante mit THE HOLE seinen werden. Wirklich zu sich selbst findet die steersten größeren Versuch in diese Richtung reoskope Technik allerdings tatsächlich nur
startete (2003 hatte er die Technik in der the- im Loch. Ganz buchstäblich im Loch: Gleich
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Lukas Foerster
mehrmals erweckt Dante den Eindruck, dass
die Kamera sich tatsächlich im Inneren des
stockfinsteren Abgrunds befinde; ihr Blick
richtet sich dann stets nach oben, in Richtung derjenigen, die neugierig-ängstlich in
die Untiefe blicken. Gerade im Verbund mit
dem 3-D ergibt sich eine verblüffende Umkehrung: Nicht etwa das Kellerloch selbst wird
stereoskopisch erkundet – das ist einfach
nur unterschiedslos schwarz, im filmischen
Bild ist es gerade nicht auslotbar, bleibt völlig flächig; ganz im Gegenteil wird von diesem Off des Bildes aus betrachtet die Realwelt zu einem Schlund, der sich in die Tiefe
der Leinwand hinein öffnet – zu einem Loch
anderer Art, das aus dem blinden Schwarz
des primären Loches wie ausgestanzt wirkt.
Was auch heißt: 3-D ist in THE HOLE, zumindest in den ambitioniertesten Momenten
des Films, nicht Teil eines Realitätseffekts,
sondern ein Mittel zur expressionistischen
Überformung von Welt.
Vielleicht kann man diese Invertierung
als generelles Bild für die Konzeption des
Fantastischen bei Dante nehmen: Das tritt
in seinem Kino nicht, wie etwa bei Spielberg,
von außen an die physische Realität heran,
wird nie zum Objekt des im Staunen stillgestellten Blicks, taugt erst recht nicht zur
Erfahrung eines Religiös-Erhabenen. Stattdessen bietet die Fantastik in Dantes Filmen
eine Perspektive an, die es ermöglicht, auch
Verdrängte Traumata
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den Alltag nichtalltäglich, grotesk, monströs
erscheinen zu lassen. Schon die Gremlins,
Dantes bekannteste Fantasieschöpfungen,
ziehen in ihren Exzessen nur die Konsequenz
aus dem, was in der Alltagskultur der 1980er
ohnehin angelegt ist.
Interessanterweise entfaltet sich diese
subversive Re-Lektüre der Fantastik am eindrücklichsten in einem Film, der gemeinhin
eher als Nebenwerk Dantes gilt. In EXPLORERS
ist es vor allem die bereits erwähnte Moviebzw. Television Orgy des Finales, die die Perspektivumkehr regelrecht zelebriert: Die Aliens, deren kodierten Spuren drei Jungs den
vorherigen Film über gefolgt sind, entpuppen
sich als TV-Junkies, die sich von ihrem Raumschiff aus die Welt der Menschen über deren
Fernsehprogramm erschließen. Fast wie in
einer Multimediainstallation performieren
die Außerirdischen minutenlang vor den
Fernsehschirmen ihre eigene Angleichung
an die medialen Weltbilder.
In THE HOLE hat die Fantastik vorderhand
einen engeren Bewegungsspielraum, weil
sie weitgehend psychologisch gebunden ist:
Das Loch des Titels öffnet sich, auf erzählerischer Ebene, in die Biografien der Figuren
hinein, spült alte Traumata nach oben, die
bearbeitet werden wollen. Das Loch ist eben
gerade nicht, wie Julie zunächst mutmaßt,
ein »gateway to hell«, auch nicht, wie Lucas
vermutet, ein »wormhole, a doorway between different universes«.
Man stößt in ihm weder auf
außerweltliche Schrecknisse noch auf jenseitig Wunderbares. Ganz im Gegenteil
ist es das Loch, das einen
anblickt, und erst in diesem
Blick kann man sich dann
wieder selbst erkennen;
allerdings sieht man da,
durchaus ein wenig wie in
den Bildwelten des Expressionismus: sich selbst als
einen Anderen.

Leseprobe aus:
Michael Flintrop / Stefan Jung / Heiko Nemitz (Hg.)
Joe Dante: Spielplatz der Anarchie
© 2014 Bertz + Fischer Verlag / www.bertz-fischer.de