Knock-out nach Dienstschluss

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Knock-out nach Dienstschluss
KULTURREPORTAGE
Rheinischer Merkur
Nummer 38 · 2005
W
19
FURCHTLOS Nun prügeln auch Banker und Börsenbroker aufeinander ein. Denn Boxen ist schon lange kein Unterschichtensport mehr.
Knock-out nach Dienstschluss
Versicherungsmanager
Lars hat Schlaghemmung.
Erst als er gesteht, dass er
sich von seinem Boss
gedemütigt fühlt, geht er
in den Nahkampf.
weise in Bürosesseln verbringen, bearbeitet
er Minuten später Sandsäcke, hämmert auf
das Schlagpolster in der Wand ein und hofft
nach einer Stunde, dass das Training bald
ein Ende finden möge. Doch es ist noch
nicht so weit. „Intervall!“, ruft Richi in die
Runde. In Rückenlage muss Lenz nun die
Bauchmuskeln so lange anspannen, bis
sein ganzer Körper vibriert. „Jetzt ist es überstanden“, keucht er nach zwei Stunden.
„Das kommt dem Profitraining schon ziemlich nahe“, meint Trainer Richi, wenn er
über seine Schützlinge spricht. Der Name
des Maske-Trainers Fritz Sdunek fällt.
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s ist Freitag 18 Uhr, ein offenes
Boxtraining steht an. Nach
und nach schlendern die Teilnehmer hinein. Darunter sind
Musiker, Szenekellner und Rechtsanwälte.
Vor dem Backsteingebäude parkt ein silberner Porsche Cayenne. Auch Michael Lenz,
Schriftsteller, steht pünktlich mit seiner
Sportausrüstung vor Trainer Richi. Seit zwei
Jahren kommt er dreimal in der Woche zum
Training, vollzieht das ganze Programm:
Aufwärmen, Konditions- und Krafttraining
sowie Übungszweikämpfe, so genannte
Sparrings.
Unlängst schaute auch der Berliner
Schauspieler Ben Becker im Boxtempel vorbei. Niemand nahm davon Notiz. Man kennt
sich. Zur Vorbereitung seiner Rollen hat der
Mime schon öfters hier trainiert. Auch für
Becker ist Boxen mehr als nur ein Sport. In
einem Interview mit der „Welt“ räsoniert er:
„Boxen und Theater haben viel miteinander
zu tun: In beiden Bereichen spielt das exakte Timing eine wichtige Rolle. Sobald der
Bühnenvorhang hochgeht, gibt es kein Zurück mehr – auch das ist vergleichbar mit
dem Gong im Ring.“ Nicht zuletzt: Malergenies wie Picasso verewigten den Faustkampf in unzähligen Bildern. Für die geistige Elite schließlich hat Berlin als Boxstadt
eh Tradition. Bereits in den zwanziger Jahren ergaben sich Intellektuelle der Anziehungskraft des Faustkampfes. 1924 duellierten sich der Zeichner George Grosz und
der Fotokünstler John Heartfield während
eines Sparrings. Bertolt Brecht wollte, dass
seine Schauspieler auch boxen, weil ihnen
dadurch ein gutes Körpergefühl vermittelt
wird. Im Prater-Garten, dem Ableger der
Berliner Volksbühne im Prenzlauer Berg,
fanden hochkarätige Gefechte statt.
Trainer Richi will, dass sich seine
Schützlinge bei seinem Training richtig verausgaben. Für zwei Stunden absolvieren sie
ein mörderisch anmutendes Trainingsprogramm – freiwillig. Auch Michael Lenz steht
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sagt Hoffmann. Am Stil eines Boxers könne
er schnell sehen, wie einer innerlich ticke,
sagt der Frankfurter. Schon oft hat er im
Ring Fassaden von gestandenen Managern
fallen sehen. Diese Momente gehen ihm jedes mal unter die Haut. „Es gab auch schon
Tränen, denn beim Boxen steht man irgendwann ohne Maske da.“ Das Boxen benütze
er als Vehikel, um das zu reaktivieren, „was
den Menschen ausmache, nämlich seine Individualität und Authentizität“. Boxen helfe
nicht nur, die Endorphine durchzuschütteln. Manager könnten vom sportlichen
Kampf auch beruflich profitieren: „Im Konfliktverhalten des Boxkampfs lernt ein Manager sich kennen. Diese Erkenntnisse lassen sich auf seine Arbeit übertragen“, erläutert Hoffmann.
Die Kämpfe können zur Überwindung
von defensiven Haltungen verhelfen, zur
Optimierung der Führungskraft sowie zur
Behebung von Problemen bei der Mitarbeiterführung. Mehr noch: „Viele Manager leiden. Sie sind süchtig nach Anerkennung
und halten ihre Aggressionen zurück. Im
Boxring erleben sie das Außergewöhnliche.“ Lars fährt nach dem Training von
Neu-Isenburg mit dem Roller hinein in die
Frankfurter City, in der immer mehr Führungskräfte Boxen als Freizeitsport entdecken. Vorbei die Zeiten, in denen dieser
Sport als primitiv galt.
Wie viele, die in der Freizeit in dunklen
Hallen boxen, hat auch Lars David Finchers
Film „Fight Club“ vor Augen, in dem Brad
Pitt alias Tyler Durden seine Novizen in die
Regeln des Untergrundboxens einweiht. Im
Film entwickelt sich aus dem blutigen Zeitvertreib frustrierter Angehöriger der amerikanischen Mittel- und Unterschicht eine
antikapitalistische Terrorbewegung, die am
Ende das Weltfinanzsystem ausradiert. Der
echte „Fight Club“ aus England, wo der
Trend mit boxenden Männern, die berufsbedingt weiße Krägen tragen, herstammt, hat
damit nichts zu tun. In London suchen regelmäßig Anwälte und Börsianer den Kick
in Box-Gyms. The Real Fight Club, die Vereinigung boxender Manager mit gut 1600
Mitgliedern, lässt mehrmals im Jahr Führungskräfte in Luxushotels vor Zuschauern
in den Ring steigen. Geboxt wird meist für
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Telefonnummer (für Rückfragen und besondere Angebote)
Datum
✗Unterschrift
1000 3735
Vertragspartner: Bayard Media GmbH & Co. KG, Steinerne Furt 67,
86167 Augsburg, HRA 15029 Augsburg, Geschäftsführung: Maxime de Jenlis, Josef L. Stahl
19105
Viele Manager
leiden. Sie sind
süchtig nach
Anerkennung, halten
ihre Aggressionen
zurück. Im Boxring
erleben sie das
Außergewöhnliche.
einen guten Zweck. Die Idee zum Fight Club
entstand 1989 in New York: der Startschuss
zu einem Trend.
Als Deutschland Mitte der 1990er-Jahre
noch vom Henry-Maske-Fieber infiziert
war, tauchten in Motivationsseminaren für
Führungskräfte damals immer häufiger
auch Boxlehrer auf. Doch nicht nur Manager fanden Gefallen am Boxen, der Trend
machte auch vor Szene- und Kulturleuten
in Städten nicht Halt. So auch in Berlin. Hier,
im „Boxtempel“ in Weißensee befindet sich
die erste Adresse für die Boxfreunde der
Stadt. Seit genau zehn Jahren wird hier geboxt. Sportromantiker wären begeistert von
diesem Ort. In einem Großraum prügeln
Leute unter lautem Stöhnen auf Ledersäcke
ein. Das Licht ist düster, gesprochen wird
wenig. Im Raum hängt eine Geruchsmischung aus Schweiß, Vaseline und altem
Leder. An den Wänden handsignierte Fotos
von Boxgrößen wie Vitali Klitschko, Ralf
Rocchigiani und Dariusz Michalczewski.
Daneben Plakate, die von legendären
Kämpfen zeugen: „Tiger vs. Rocky – Die Abrechnung“ oder „Henry Maske vs. Virgil Hill
– Fight to the Champions“ steht da in gelben
Lettern.
www.dr-kai-hoffmann.de
www.therealfightclub.co.uk
▲
Managern in renommierten Banken und
Versicherungen, die zu seinen Boxseminaren kommen. „Beim Boxen ist man sehr authentisch und kann so schnell seine Ressourcen, sein Potenzial ausschöpfen, wie es
in kaum einer anderen Sportart möglich ist“,
@
Foto: Vera Rüttimann
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H
offmann versucht ihm zu
entlocken, woher die Schlaghemmung herrührt. Nach
anfänglichem Zögern bricht
es aus Lars heraus. Wütend spricht er über
sein gestörtes Verhältnis zu seinem früheren Chef, dem er sich nicht zu widersetzen
getraute. Jahrelang habe er unter dessen
Machtspielen gelitten, alles in sich hineingefressen. Die Demütigungen schleppe er
wie einen Ballast mit sich herum. „Ich bin
dem Konflikt mit ihm stets aus dem Weg gegangen. Auch an der nächsten Arbeitsstelle
bin ich Problemen eher ausgewichen“, bekennt er. Hoffman bittet erneut in den Ring.
Diesmal getraut sich Lars in den Nahkampf,
geht in den Gegner hinein, wühlt. Der Versicherungsmanager fängt sich eine harte
Rechte ein, diesmal jedoch hält er dagegen.
Er weiß nun besser, wann er angreifen und
sich verteidigen muss. Weil er sich besser
kennen gelernt hat. Weil er verborgene Kräfte in sich aufgespürt hat. Irgendwie befreit,
schreit er seine Freude heraus.
Kai Hoffmann kennt solche Szenen. Der
studierte Philosoph, der selbst seit vielen
Jahren boxt, nennt eine stattliche Zahl von
D
ie Hoffnung sei immer da,
dass einer einmal herausrage, entdeckt werde. „Das
sind halt so die Träume eines
Trainers“, sagt Richi, während er in einer
Pause draußen an der Theke an einer Cola
nippt. Dann steigt er in den Ring, um nacheinander den DJ, den Architekten und den
Mitarbeiter einer Telekommunikationsfirma im Ring zu bearbeiten. Derweil streben
die anderen Freizeitboxer zum Ausgang.
Noch nach Atem ringend, stehen sie unter
der Dusche. Entkräftet, irgendwie auch wie
erlöst. Boxen ist anstrengend, so anstrengend wie der Kampf um neue Kunden, eine
bessere Position.
Dass einige diese Kämpfe nun häufiger
gewinnen, verdanken sie wohl auch dem
Boxtraining und dem Selbstbewusstsein,
das sie im Ring gewonnen haben. Michael
Lenz räsoniert jedenfalls: „Boxen ist wie das
Leben: Es ist ein Kampf, man geht zu Boden.
Doch letztlich steht man immer wieder
auf.“
R
✃
ls Anwalt hat Jens normalerweise eine klare Strategie. Nach
dreißig Sekunden im Boxring
ist von seiner Planung jedoch
nicht mehr viel übrig. Gleich zu Beginn landet sein Kontrahent zwei Treffer auf seine
Leber, eine krachende Rechte durchbricht
die Deckung. Jetzt ist Jens auf der Flucht,
auch vor seiner Furcht. „Keine Panik, weg
von den Seilen“, ruft sein Trainer von der
Ringseite. Dann rettet der Gong seinen
Schützling. Tropfnass sitzt Jens auf seinem
Hocker in der Kampfsportschule Seishin in
Neu-Isenburg nahe Frankfurt am Main. Ein
Cutman bearbeit Jens’ Augenpartie mit Vaselin, es kann weitergehen. Neugierig beobachtet Horst Gauss, einer der großen alten
Männer des Frankfurter Boxsports, Jens’
Kampf. Dass nun auch Anwälte hier boxen,
ist für Gauss neu. Jahrelang hat er hier
selbst trainiert. Kränze, Pokale und vergilbte Zeitungsartikel zeugen vom Ruhm früherer Tage. Der 67-Jährige ist immer noch ganz
dabei. Gauss deutet Kampfbewegungen an,
weicht aus, tänzelt. „Bessere Beinarbeit,
Jens!“, ruft nun auch der alte Faustkämpfer
dem jungen Boxneuling zu.
Nach dem Gefecht im Seilgeviert ist Boxen am Ledersack angesagt. Seit einem halben Jahr kommt er in dieses „Gym“, nach
dem Duschen geht es meist flugs in das Büro einer Frankfurter Wirtschaftskanzlei.
Seine Mitarbeiter können in seinem Gesicht
kaum Schwellungen finden, beim Boxen
wird die Schutzausrüstung getragen. Mit
ausgeschlagenen Zähnen hätte die Hochfinanz Probleme. Etwas paradox ist es jedoch schon, dass der Frankfurter überhaupt
hier ist. „Die meisten von uns sind in diesen
Sport hineingerutscht“, schildert er, während ihm sein Trainer in der Umkleide die
Fäuste abbandagiert. „Man fängt an, weil
man abnehmen will, dann will man plötzlich kämpfen und findet Gefallen daran. Ich
brauche einen solchen Sport, bei dem es
richtig zur Sache geht.“ Der Jurist hat herausgefunden, dass Boxen nicht nur ein exzellenter Konditionssport ist, sondern auch
eine Denkschule ersten Grades, die einen
wie ihn für die Herausforderungen des Berufsalltags präpariert. „Beim Boxen kann
man nicht lügen. Wettbewerbssituationen,
die im Job eher verdeckt ablaufen, treten
beim Zweikampf offen zutage“, sagt Jens.
Auf der Bank liegen Salben, Binden und
Trainingstagebücher. Die Utensilien verheißen Arbeit im Ring. Erneut steht ein „Workshop für Führungskräfte“ an. Kai Hoffmann bittet seine Klienten in das Seilgeviert. Wie antike Recken stehen sich die
Kontrahenten gegenüber. Doch Hoffmann
weiß, dass eine Trainerweisheit besagt:
Hinter Bergen von Muskeln wohnen oft Mimosen. So geht es ihm, wenn er Jabs, Führungshand und Beinarbeit korrigiert, noch
um ein anderes Anliegen. In seinem „psychoanalytisch orientierten Boxtraining“
will Hoffmann seine Kunden zur Persönlichkeitsarbeit verleiten. „Schlag zu“, fordert
er Lars in der ersten Ringrunde auf. Doch
der Versicherungsmanager bekundet
Schlaghemmung. Er absolviert hier bereits
sein zwölftes Boxtraining, doch diesmal
scheint er nicht in der Lage, im Ring die
Führungsarbeit zu übernehmen. In einem
normalen Sportclub hätte der Trainer ihn
wohl angeschrien, in ihm Aggressionen geschürt. Doch statt technischer Finessen gibt
es ein Gespräch im Ring.

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