Knock-out nach Dienstschluss
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Knock-out nach Dienstschluss
KULTURREPORTAGE Rheinischer Merkur Nummer 38 · 2005 W 19 FURCHTLOS Nun prügeln auch Banker und Börsenbroker aufeinander ein. Denn Boxen ist schon lange kein Unterschichtensport mehr. Knock-out nach Dienstschluss Versicherungsmanager Lars hat Schlaghemmung. Erst als er gesteht, dass er sich von seinem Boss gedemütigt fühlt, geht er in den Nahkampf. weise in Bürosesseln verbringen, bearbeitet er Minuten später Sandsäcke, hämmert auf das Schlagpolster in der Wand ein und hofft nach einer Stunde, dass das Training bald ein Ende finden möge. Doch es ist noch nicht so weit. „Intervall!“, ruft Richi in die Runde. In Rückenlage muss Lenz nun die Bauchmuskeln so lange anspannen, bis sein ganzer Körper vibriert. „Jetzt ist es überstanden“, keucht er nach zwei Stunden. „Das kommt dem Profitraining schon ziemlich nahe“, meint Trainer Richi, wenn er über seine Schützlinge spricht. Der Name des Maske-Trainers Fritz Sdunek fällt. VERA RÜTTIMANN A ATHLETENSCHMIEDE: In der Kampfsport schule „Seishin“ in NeuIsenburg trainieren junge Talente und Hobbysportler. Kai Hoffmann, Boxtrainer Lenz Das Magazin für alle, die mitten im Leben stehen! Unser Vorteils-Angebot speziell für Sie: 4x Lenz plus tolles Dankeschön 90 für nur € 9. E 3 in 1: Schrittzähler + Kalorien-Verbrauchsmesser + Radio 3 in einem! Für zu Hause und unterwegs! Inklusive Batterie! ▲ Lenz hat die Themen, die Sie echt begeistern und Ihnen Ihr Leben erleichtern: 쮿 GESUND & FIT 쮿 REISEN & KULTUR 쮿 MITEINANDER 쮿 LEBEN & GENIESSEN Ihr zuverlässiger und unterhaltsamer Begleiter beim Wandern, Joggen, Langlauf, Nordic-Walking … • Mit Kopfhörer • Leicht zu bedienen • Aus schlagfestem Kunststoff • Gewicht nur ca. 49 g • Inklusive Batterie Maße ca. H3,2 x B5,8 x T5,5 cm Zusätzlich! Jeden Monat mit 24 Seiten Extra-Heft: 쮿 IHR GELD & IHR RECHT Zum Herausnehmen, Sammeln und Geld sparen! 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Auch Michael Lenz, Schriftsteller, steht pünktlich mit seiner Sportausrüstung vor Trainer Richi. Seit zwei Jahren kommt er dreimal in der Woche zum Training, vollzieht das ganze Programm: Aufwärmen, Konditions- und Krafttraining sowie Übungszweikämpfe, so genannte Sparrings. Unlängst schaute auch der Berliner Schauspieler Ben Becker im Boxtempel vorbei. Niemand nahm davon Notiz. Man kennt sich. Zur Vorbereitung seiner Rollen hat der Mime schon öfters hier trainiert. Auch für Becker ist Boxen mehr als nur ein Sport. In einem Interview mit der „Welt“ räsoniert er: „Boxen und Theater haben viel miteinander zu tun: In beiden Bereichen spielt das exakte Timing eine wichtige Rolle. Sobald der Bühnenvorhang hochgeht, gibt es kein Zurück mehr – auch das ist vergleichbar mit dem Gong im Ring.“ Nicht zuletzt: Malergenies wie Picasso verewigten den Faustkampf in unzähligen Bildern. Für die geistige Elite schließlich hat Berlin als Boxstadt eh Tradition. Bereits in den zwanziger Jahren ergaben sich Intellektuelle der Anziehungskraft des Faustkampfes. 1924 duellierten sich der Zeichner George Grosz und der Fotokünstler John Heartfield während eines Sparrings. Bertolt Brecht wollte, dass seine Schauspieler auch boxen, weil ihnen dadurch ein gutes Körpergefühl vermittelt wird. Im Prater-Garten, dem Ableger der Berliner Volksbühne im Prenzlauer Berg, fanden hochkarätige Gefechte statt. Trainer Richi will, dass sich seine Schützlinge bei seinem Training richtig verausgaben. Für zwei Stunden absolvieren sie ein mörderisch anmutendes Trainingsprogramm – freiwillig. Auch Michael Lenz steht wieder auf der blauen Matte. Zusammen mit Menschen, die ihren Alltag normaler- Sie sparen über 17%! Ihr Dankeschön! Von uns GRATIS für Sie! ▲ sagt Hoffmann. Am Stil eines Boxers könne er schnell sehen, wie einer innerlich ticke, sagt der Frankfurter. Schon oft hat er im Ring Fassaden von gestandenen Managern fallen sehen. Diese Momente gehen ihm jedes mal unter die Haut. „Es gab auch schon Tränen, denn beim Boxen steht man irgendwann ohne Maske da.“ Das Boxen benütze er als Vehikel, um das zu reaktivieren, „was den Menschen ausmache, nämlich seine Individualität und Authentizität“. Boxen helfe nicht nur, die Endorphine durchzuschütteln. Manager könnten vom sportlichen Kampf auch beruflich profitieren: „Im Konfliktverhalten des Boxkampfs lernt ein Manager sich kennen. Diese Erkenntnisse lassen sich auf seine Arbeit übertragen“, erläutert Hoffmann. Die Kämpfe können zur Überwindung von defensiven Haltungen verhelfen, zur Optimierung der Führungskraft sowie zur Behebung von Problemen bei der Mitarbeiterführung. Mehr noch: „Viele Manager leiden. Sie sind süchtig nach Anerkennung und halten ihre Aggressionen zurück. Im Boxring erleben sie das Außergewöhnliche.“ Lars fährt nach dem Training von Neu-Isenburg mit dem Roller hinein in die Frankfurter City, in der immer mehr Führungskräfte Boxen als Freizeitsport entdecken. Vorbei die Zeiten, in denen dieser Sport als primitiv galt. Wie viele, die in der Freizeit in dunklen Hallen boxen, hat auch Lars David Finchers Film „Fight Club“ vor Augen, in dem Brad Pitt alias Tyler Durden seine Novizen in die Regeln des Untergrundboxens einweiht. Im Film entwickelt sich aus dem blutigen Zeitvertreib frustrierter Angehöriger der amerikanischen Mittel- und Unterschicht eine antikapitalistische Terrorbewegung, die am Ende das Weltfinanzsystem ausradiert. Der echte „Fight Club“ aus England, wo der Trend mit boxenden Männern, die berufsbedingt weiße Krägen tragen, herstammt, hat damit nichts zu tun. In London suchen regelmäßig Anwälte und Börsianer den Kick in Box-Gyms. The Real Fight Club, die Vereinigung boxender Manager mit gut 1600 Mitgliedern, lässt mehrmals im Jahr Führungskräfte in Luxushotels vor Zuschauern in den Ring steigen. Geboxt wird meist für Je N tzt EU te ! ste n! Telefonnummer (für Rückfragen und besondere Angebote) Datum ✗Unterschrift 1000 3735 Vertragspartner: Bayard Media GmbH & Co. KG, Steinerne Furt 67, 86167 Augsburg, HRA 15029 Augsburg, Geschäftsführung: Maxime de Jenlis, Josef L. Stahl 19105 Viele Manager leiden. Sie sind süchtig nach Anerkennung, halten ihre Aggressionen zurück. Im Boxring erleben sie das Außergewöhnliche. einen guten Zweck. Die Idee zum Fight Club entstand 1989 in New York: der Startschuss zu einem Trend. Als Deutschland Mitte der 1990er-Jahre noch vom Henry-Maske-Fieber infiziert war, tauchten in Motivationsseminaren für Führungskräfte damals immer häufiger auch Boxlehrer auf. Doch nicht nur Manager fanden Gefallen am Boxen, der Trend machte auch vor Szene- und Kulturleuten in Städten nicht Halt. So auch in Berlin. Hier, im „Boxtempel“ in Weißensee befindet sich die erste Adresse für die Boxfreunde der Stadt. Seit genau zehn Jahren wird hier geboxt. Sportromantiker wären begeistert von diesem Ort. In einem Großraum prügeln Leute unter lautem Stöhnen auf Ledersäcke ein. Das Licht ist düster, gesprochen wird wenig. Im Raum hängt eine Geruchsmischung aus Schweiß, Vaseline und altem Leder. An den Wänden handsignierte Fotos von Boxgrößen wie Vitali Klitschko, Ralf Rocchigiani und Dariusz Michalczewski. Daneben Plakate, die von legendären Kämpfen zeugen: „Tiger vs. Rocky – Die Abrechnung“ oder „Henry Maske vs. Virgil Hill – Fight to the Champions“ steht da in gelben Lettern. www.dr-kai-hoffmann.de www.therealfightclub.co.uk ▲ Managern in renommierten Banken und Versicherungen, die zu seinen Boxseminaren kommen. „Beim Boxen ist man sehr authentisch und kann so schnell seine Ressourcen, sein Potenzial ausschöpfen, wie es in kaum einer anderen Sportart möglich ist“, @ Foto: Vera Rüttimann ▲ H offmann versucht ihm zu entlocken, woher die Schlaghemmung herrührt. Nach anfänglichem Zögern bricht es aus Lars heraus. Wütend spricht er über sein gestörtes Verhältnis zu seinem früheren Chef, dem er sich nicht zu widersetzen getraute. Jahrelang habe er unter dessen Machtspielen gelitten, alles in sich hineingefressen. Die Demütigungen schleppe er wie einen Ballast mit sich herum. „Ich bin dem Konflikt mit ihm stets aus dem Weg gegangen. Auch an der nächsten Arbeitsstelle bin ich Problemen eher ausgewichen“, bekennt er. Hoffman bittet erneut in den Ring. Diesmal getraut sich Lars in den Nahkampf, geht in den Gegner hinein, wühlt. Der Versicherungsmanager fängt sich eine harte Rechte ein, diesmal jedoch hält er dagegen. Er weiß nun besser, wann er angreifen und sich verteidigen muss. Weil er sich besser kennen gelernt hat. Weil er verborgene Kräfte in sich aufgespürt hat. Irgendwie befreit, schreit er seine Freude heraus. Kai Hoffmann kennt solche Szenen. Der studierte Philosoph, der selbst seit vielen Jahren boxt, nennt eine stattliche Zahl von D ie Hoffnung sei immer da, dass einer einmal herausrage, entdeckt werde. „Das sind halt so die Träume eines Trainers“, sagt Richi, während er in einer Pause draußen an der Theke an einer Cola nippt. Dann steigt er in den Ring, um nacheinander den DJ, den Architekten und den Mitarbeiter einer Telekommunikationsfirma im Ring zu bearbeiten. Derweil streben die anderen Freizeitboxer zum Ausgang. Noch nach Atem ringend, stehen sie unter der Dusche. Entkräftet, irgendwie auch wie erlöst. Boxen ist anstrengend, so anstrengend wie der Kampf um neue Kunden, eine bessere Position. Dass einige diese Kämpfe nun häufiger gewinnen, verdanken sie wohl auch dem Boxtraining und dem Selbstbewusstsein, das sie im Ring gewonnen haben. Michael Lenz räsoniert jedenfalls: „Boxen ist wie das Leben: Es ist ein Kampf, man geht zu Boden. Doch letztlich steht man immer wieder auf.“ R ✃ ls Anwalt hat Jens normalerweise eine klare Strategie. Nach dreißig Sekunden im Boxring ist von seiner Planung jedoch nicht mehr viel übrig. Gleich zu Beginn landet sein Kontrahent zwei Treffer auf seine Leber, eine krachende Rechte durchbricht die Deckung. Jetzt ist Jens auf der Flucht, auch vor seiner Furcht. „Keine Panik, weg von den Seilen“, ruft sein Trainer von der Ringseite. Dann rettet der Gong seinen Schützling. Tropfnass sitzt Jens auf seinem Hocker in der Kampfsportschule Seishin in Neu-Isenburg nahe Frankfurt am Main. Ein Cutman bearbeit Jens’ Augenpartie mit Vaselin, es kann weitergehen. Neugierig beobachtet Horst Gauss, einer der großen alten Männer des Frankfurter Boxsports, Jens’ Kampf. Dass nun auch Anwälte hier boxen, ist für Gauss neu. Jahrelang hat er hier selbst trainiert. Kränze, Pokale und vergilbte Zeitungsartikel zeugen vom Ruhm früherer Tage. Der 67-Jährige ist immer noch ganz dabei. Gauss deutet Kampfbewegungen an, weicht aus, tänzelt. „Bessere Beinarbeit, Jens!“, ruft nun auch der alte Faustkämpfer dem jungen Boxneuling zu. Nach dem Gefecht im Seilgeviert ist Boxen am Ledersack angesagt. Seit einem halben Jahr kommt er in dieses „Gym“, nach dem Duschen geht es meist flugs in das Büro einer Frankfurter Wirtschaftskanzlei. Seine Mitarbeiter können in seinem Gesicht kaum Schwellungen finden, beim Boxen wird die Schutzausrüstung getragen. Mit ausgeschlagenen Zähnen hätte die Hochfinanz Probleme. Etwas paradox ist es jedoch schon, dass der Frankfurter überhaupt hier ist. „Die meisten von uns sind in diesen Sport hineingerutscht“, schildert er, während ihm sein Trainer in der Umkleide die Fäuste abbandagiert. „Man fängt an, weil man abnehmen will, dann will man plötzlich kämpfen und findet Gefallen daran. Ich brauche einen solchen Sport, bei dem es richtig zur Sache geht.“ Der Jurist hat herausgefunden, dass Boxen nicht nur ein exzellenter Konditionssport ist, sondern auch eine Denkschule ersten Grades, die einen wie ihn für die Herausforderungen des Berufsalltags präpariert. „Beim Boxen kann man nicht lügen. Wettbewerbssituationen, die im Job eher verdeckt ablaufen, treten beim Zweikampf offen zutage“, sagt Jens. Auf der Bank liegen Salben, Binden und Trainingstagebücher. Die Utensilien verheißen Arbeit im Ring. Erneut steht ein „Workshop für Führungskräfte“ an. Kai Hoffmann bittet seine Klienten in das Seilgeviert. Wie antike Recken stehen sich die Kontrahenten gegenüber. Doch Hoffmann weiß, dass eine Trainerweisheit besagt: Hinter Bergen von Muskeln wohnen oft Mimosen. So geht es ihm, wenn er Jabs, Führungshand und Beinarbeit korrigiert, noch um ein anderes Anliegen. In seinem „psychoanalytisch orientierten Boxtraining“ will Hoffmann seine Kunden zur Persönlichkeitsarbeit verleiten. „Schlag zu“, fordert er Lars in der ersten Ringrunde auf. Doch der Versicherungsmanager bekundet Schlaghemmung. Er absolviert hier bereits sein zwölftes Boxtraining, doch diesmal scheint er nicht in der Lage, im Ring die Führungsarbeit zu übernehmen. In einem normalen Sportclub hätte der Trainer ihn wohl angeschrien, in ihm Aggressionen geschürt. Doch statt technischer Finessen gibt es ein Gespräch im Ring.