25. Vorlesung Sommersemester

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25. Vorlesung Sommersemester
25. Vorlesung Sommersemester
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Die Euler-Winkel
Die Euler-Winkel geben die relative Orientierung zweier gegeneinander gedrehter Koordinatensysteme an, indem definiert wird, in welcher Reihenfolge welche Drehungen auszuführen
sind, um das eine Koordinatensystem in das andere zu drehen. Da Drehungen um verschiedene Achsen nicht vertauschbar sind, kommt es durchaus auf die Reihenfolge an.
Am besten versteht man die Eulerwinkel, wenn man ihre Definition in zwei Aufgaben
trennt. Wenn man zunächst nur an die anfängliche ẑ-Achse und die daraus zu erreichende zAchse denkt, so hat jede von beiden zugeordnet die entsprechende (x̂, ŷ)- bzw. (x, y)-Ebene.
Die Schnittlinie beider Ebenen ist die Knotenlinie. Wenn man die Knotenlinie als Drehachse
benutzt, um die (x̂, ŷ)-Ebene in die (x, y)-Ebene zu drehen, so wird auch wie gewünscht die
ẑ-Achse in die z-Achse gedreht. Der zugehörige Drehwinkel ist der zweite Euler-Winkel ϑ.
Damit sind nun zwar die beiden z-Achsen und die (x, y)-Ebenen in der korrekten Lage,
aber wir müssen noch innerhalb dieser Ebenen die beiden Achsen in die gewünschte Lage
positionieren: dazu dienen zwei zusätzliche Rotationen um je einen Euler-Winkel und um
jeweils die zugehörige z-Achse. Die Vorschrift ist also:
1. Man drehe um die ẑ-Achse mit einem Drehwinkel ϕ, und zwar so, dass die x̂-Achse in
die Knotenlinie gebracht wird.
2. Dann dreht man um den Winkel ϑ um die Knotenlinie, so dass die ẑ-Achse in die
Richtung der z-Achse kommt.
3. Schließlich dreht man noch um den Winkel ψ um die somit erreichte z-Achse, um die
Knotenlinie in die gewünschte Richtung der x-Achse zu bringen. Insgesamt ist damit
aus der x̂-Achse die x-Achse geworden.
Da die y-Achsen durch die x- und z-Achsen festgelegt sind, dreht sich dabei auch die ŷ-Achse
automatisch korrekt in die y-Richtung.
Nebenbemerkung: die Namen der Eulerwinkel sind nicht standardisiert. Sowohl die
Buchstaben variieren, so sind z. B. auch (α, β, γ) oder (ϑ1 , ϑ2 , ϑ3 ) gebräuchlich, wobei auch
selbst bei gleichen Namen die Reihenfolge der Drehungen verschieden sein kann.
2
Der symmetrische Kreisel
Der symmetrische Kreisel mit den Hautträgheitsmomenten
A = B 6= C
(1)
hat im Hauptachsensystem die Winkelgeschwindigkeitskomponenten
~ω = (p, q, r),
(2)
und wir hatten die Lösung der Bewegungsgleichungen in der Form
r(t) = r0 = konstant,
p(t) = α sin(Ωt + β),
1
q(t) = α cos(Ωt + β),
(3)
wobei
A−C
r0
(4)
A
war. Das ist zwar die vollständige Lösung, aber da sie im Hauptachsensystem definiert
ist, ist ihre Bedeutung schwer einzusehen. Deswegen verfolgen wir zunächst das Ziel, ω
~ in
Eulerwinkel bzw. deren Zeitableitungen umzurechnen, und anschließend dann die gesamte
Bewegung in den Eulerwinkeln darzustellen. Damit wird anschaulich erfassbar, wie sich der
Körper im Laborsystem dreht.
Die Winkelgeschwindigkeit in Eulerwinkel umzurechnen erscheint zunächst schwierig,
weil jeder dieser Winkel ja um eine andere Achse dreht, und zwar:
Ω=
• φ dreht um die ẑ-Achse, Einheitsvektor ~eẑ ,
• ϑ dreht um die Knotenlinie, Einheitsvektor ~eK , und
• ψ dreht um die z-Achse, Einheitsvektor ~ez
Es entspricht also etwa der Drehung mit ϑ ein Winkelgeschwindigkeitsvektor ~ωϑ = ϑ̇~eK . Wie
gleich gezeigt wird, darf man aber Winkelgeschwindigkeitsvektoren addieren, auch wenn sie
sich auf verschiedene Achsen beziehen, obwohl endliche Drehungen nicht vertauschen. Die
gesamte Winkelgeschwindigkeit bei einer zeitlichen Änderung aller Eulerwinkel ist also
ω
~ = ϕ̇~eẑ + ϑ̇~eK + ψ̇~ez .
3
(5)
Addition von Winkelgeschwindigkeiten
Dass man Winkelgeschwindigkeiten auch vektoriell aufaddieren kann, liegt daran, dass infinitesimale, aber nicht endliche, Drehungen vertauschen. Ein Winkelgeschwindigkeitsvektor
ω
~ 1 beschreibt ja die instantane Drehung von Vektoren, also ihre Änderung im Zeitintervall
dt, und zwar nach der Formel
~r ′ = ~r + ~ω1 × ~r dt.
(6)
Wenn man das mit einer zweiten Drehung mit ω
~ 2 dt kombiniert, wird daraus
~r ′′
=
~r ′ + ~
ω2 × ~r ′
= ~r + ~
ω1 × ~rdt + ~ω2 × ~rdt + ~ω2 × (~ω1 × ~r)dt2
→ ~r + (~
ω1 + ~ω2 ) × ~rdt.
(7)
Da man den Term zweiter Ordnung weglassen muss, ist also die gesamte Drehung durch die
Summe der Winkelgeschwindigkeitsvektoren gegeben, und wegen der Kommutativität der
Summe ist auch die Reihenfolge der Drehungen irrelevant. Übrigens sieht man auch sehr
schön, dass der Term in dt2 bei Vertauschung von ~ω1 und ~ω2 nicht unverändert bleibt.
4
Umrechnung auf Eulerwinkel
Wir dürfen also tatsächlich schreiben
ω
~ = ϕ̇~eẑ + ϑ̇~eK + ψ̇~ez ,
(8)
und die Aufgabe ist es jetzt, die Einheitsvektoren darin durch die Einheitsvektoren des
körperfesten Hauptachsensystems auszudrücken (wir brauchen immer noch die Vektoren
mit Bezug auf diese Richtungen, weil nur dann der Trägheitstensor konstant und einfach
diagonal ist).
2
Beginnen wir mit ~eK . Aus diesem Vektor entsteht ja der Vektor ~ex bei der letzten Eulerschen Drehung um den Winkel ψ in der (x, y)-Ebene, und wir müssen diese Drehung nur
rückgängig machen:
~eK = cos ψ~ex − sin ψ~ey .
(9)
Das war’s schon für ~eK .
Für ~eẑ muss man die zweite Eulersche Drehung um den Winkel ϑ rückgängig machen;
bei dieser wurde in der Ebene von z und dem unter ψ zurückgedrehten ~ey gedreht: also
bekommen wir folgende Kombination:
~eẑ = sin ϑ sin ψ~ex + sin ϑ cos ψ~ey + cos ϑ~ez
(10)
Damit ist die erste Aufgabe gelöst: wenn man in (27) diese Umrechnungen der Einheitsvektoren einsetzt, erhält man
=
=
ω
~
ϕ̇~eẑ + ϑ̇~eK + ψ̇~ez
ϕ̇ sin ϑ sin ψ~ex + ϕ̇ sin ϑ cos ψ~ey + ϕ̇ cos ϑ~ez
(11)
+ϑ̇ cos ψ~ex − ϑ̇ sin ψ~ey
+ψ̇~ez .
Die Koeffizienten bei den körperfesten Einheitsvektoren ergeben nun direkt die körperfesten
Komponenten von ~
ω:
p =
5
ωx = ϑ̇ cos ψ + φ̇ sin ϑ sin ψ
q
=
ωy = −ϑ̇ sin ψ + φ̇ sin ϑ cos ψ
r
=
ωz = ψ̇ + φ̇ cos ϑ.
(12)
Lösung für den symmetrischen Kreisel
Die so gewonnenen Komponenten können nun mit den Lösungen im Hauptachsensystem in
Bezug gesetzt werden:
p
q
= φ̇ sin ϑ sin ψ + ϑ̇ cos ψ = α sin(Ωt + β)
= φ̇ sin ϑ cos ψ − ϑ̇ sin ψ = α cos(Ωt + β)
r
= φ̇ cos ϑ + ψ̇ = r0
(13)
Daraus sollte die Zeitabhängigkeit der Eulerwinkel folgen. In dieser Form ist das Problem
aber viel zu kompliziert: es sind immer noch gekoppelte nichtlineare Differentialgleichungen.
Durch spezielle Wahl der raumfesten Koordinaten erreicht man aber eine wesentliche Vereinfachung: die raumfeste ẑ-Achse wird in Richtung des Drehimpulses gewählt. Das geht,
weil dieser im kräftefreien Fall konstant ist und im Laborsystem damit auch die einzige
Vorzugsrichtung definiert,
~ eẑ .
Lk~
(14)
Mit Hilfe der oben gewonnenen Umrechnungsformel für den Vektor ~eẑ lässt sich der Drehimpuls im Hauptachsensystem ausdrücken
~ = L~eẑ = L(sin ϑ sin ψ~ex + sin ϑ cos ψ~ey + cos ϑ~ez )
L
(15)
und die Komponenten im Hauptachsensystem hängen ja einfach über die Hauptträgheitsmomente
mit den Komponenten von ~
ω zusammen (B = A wird hier schon eingesetzt):
Lx
Ly
=
=
L sin ϑ sin ψ = Ap = Aφ̇ sin ϑ sin ψ + Aϑ̇ cos ψ = Aα sin(Ωt + β)
L sin ϑ cos ψ = Aq = Aφ̇ sin ϑ cos ψ − Aϑ̇ sin ψ = Aα cos(Ωt + β)
Lz
=
L cos ϑ = Cr = C φ̇ cos ϑ + C ψ̇ = Cr0 .
3
(16)
Diese Gleichungen enthalten von links nach rechts zusammenfassend folgende Beziehungen:
die Komponenten des Drehimpulses im körperfesten System gegeben durch die Eulerwinkel, der Zusammenhang zwischen den Drehimpulskomponenten im Hauptachsensystem mit
denen der Winkelgeschwindigkeit, die Ausdrücke für die Winkelgeschwindigkeit durch die
Ableitungen der Eulerwinkel, und schließlich die Lösung für den kräftefreien symmetrischen
Kreisel.
Die Lösung geht nun relativ einfach. Aus
L cos ϑ = Cr0
(17)
folgt
ϑ = ϑ0 = const.,
ϑ̇ = 0.
(18)
Aus den ersten beiden Gleichungen erhält man damit
L = Aφ̇
⇒ φ̇ = const.
(19)
Damit reduzieren sich die Gleichungen aber auf
α sin(Ωt + β)
α cos(Ωt + β)
= φ̇ sin ϑ0 sin ψ
= φ̇ sin ϑ0 cos ψ
r0
= φ̇ cos ϑ0 + ψ̇,
(20)
worin alles außer t und ψ konstant ist. Die ersten beiden können nur dann für beliebige t
erfüllt sein, wenn
A−C
r0 t + β
(21)
ψ = Ωt + β =
A
Außerdem müssen aber auch die Amplituden in (20) gleich sein:
α = φ̇ sin ϑ0 ⇒ φ̇ =
α
αt
⇒φ=
+ φ0 .
sin ϑ0
sin ϑ0
(22)
Schließlich kann man noch aus der dritten Gleichung von (20) den Winkel ϑ0 ausdrücken:
r0 = φ̇ cos ϑ0 + ψ̇ =
und
tan ϑ0 = −
α
+Ω
tan ϑ0
αA
α
α
αA
=−
= − A−C
=
Ω − r0
(A − C − A)r0
r0 C
A r0 − r0
Der durch
tan ϑ0 =
αA
r0 C
(23)
(24)
(25)
bestimmte Winkel gibt nun das erste Ergebnis: es ist der Winkel zwischen der raumfesten ẑAchse, die nach Annahme auch die Richtung des Drehimpulses angab, und der (körperfesten)
Symmetrieachse. Die Symmetrieachse steht unter einem festen Winkel zum zeitlich konstanten Drehimpuls: ihre Bewegung, die man Präzession (manchmal auch Nutation) nennt,
beschreibt also einen Kegel, den Präzessions- oder Nutationskegel. Ob die Bezeichnung Nutation (“Nickbewegung”) oder Präzession (“fortschreitende Bewegung”) richtig ist, ist umstritten. Beim schweren Kreisel beschreiben sie zwei verschiedene Bewegungen; hier erscheint
mir die Bezeichnung Präzession passender.
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6
Veranschaulichung der Bewegung beim kräftefreien
Kreisel
Die Eulerwinkel beschreiben also insgesamt folgende Bewegungegn:
1. Der Winkel θ gibt einfach die konstante Neigung der Symmetrieachse des Körpers zur
festen Drehimpulsachse an.
2. Der Winkel ψ beschreibt eine konstante innere Drehung des Körpers um seine Symmetrieachse.
3. Der Winkel φ schließlich beschreibt die Nutation oder Präzession der Symmetrieachse
um den raumfesten Drehimpuls: sie läuft mit konstanter Geschwindigkeit auf dem
Nutations- bzw. Präzessionskegel.
Es fehlt noch die Winkelgeschwindigkeit. In der Beziehung
ω
~ = ϕ̇~eẑ + ϑ̇~eK + ψ̇~ez
(26)
können wir jetzt ϑ̇ = 0 einsetzen und erhalten
ω
~ = ϕ̇~eẑ + ψ̇~ez .
(27)
D. h. aber die Richtung von ~
ω ist immer in einer Ebene mit der des Drehimpulses (ẑ)
und der Figurenache (z). Da letztere sich mit konstanter Winkelgeschwindigkeit um die
Drehimpulsachse dreht, tut auch ~
ω dasselbe.
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