Lösung Fall 10_S 31 bis 34

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Lösung Fall 10_S 31 bis 34
AG-Skript zur Begleitung der Vorlesung zum Sachenrecht I,
Dr. Plate, Sommersemester 2009
Fall 10: Herzlichen Glückwunsch
I.
Übersichtsskizze
Viola (V)
1.) §§ 929 S.1, 930
Mutter A
2.) nimmt 2 Gemälde
aus dem Haus der A mit
3.) begehrt Herausgabe
der beiden Gemälde
II.
Galerist (G)
Ansprüche in der Übersicht
Keine, da die Frage allgemein nach der Eigentumslage gestellt ist.
III.
Voraussetzungen (zur Wiederholung)
§ 985
§ 985 BGB*
1.)
Anwendbarkeit (nach h.M. neben vertraglichen Ansprüchen)
2.)
Eigentum des Anspruchsstellers
3.)
Besitz des Anspruchsgegners (unmittelbarer oder mittelbarer)
4.)
Kein Recht zum Besitz (§ 986)
5.)ohne nähere
Einreden
(§§ 273,
1000 i.V.m
§§ 994ff.)
* §§
Angaben
sind solche
des BGB
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Dr. Plate, Sommersemester 2009
IV.
Lösung
Anspruch V gegen G gem. § 985
Viola (V) könnte gegen Galerist (G) einen Anspruch auf Herausgabe der Gemälde gem. § 985 haben.
Dann müsste V noch immer Eigentümerin der Gemälde sein.
I.
Anwendbarkeit des § 985
Vorliegend ist § 985 anwendbar
Anm.: Vgl. zur Anwendbarkeit den Fall zum Eigentum:„Das rosa Netbook“.
II.
Besitz des Anspruchsgegeners
Vorliegend ist G unmittelbarer Besitzer der Gemälde, § 854 I.
III.
Eigentum der V als Anspruchssteller
Weiterhin müsste V auch Eigentümerin der Gemälde sein.
1.)
Ursprüngliche Eigentumslage
Ursprünglich war die Mutter Anette (A) Eigentümerin der Gemälde.
2.)
Eigentumserwerb durch Übereignung gem. § 929 S. 1 (A an V )
Sie könnte ihr Eigentum allerdings durch Einigung und Übergabe gemäß § 929 S.1 an V verloren haben.
Übereignunstatbestand des § 929 S.1
a)
Einigung (dingl.), §§ 145, 147
b)
Übergabe
aa) vollständiger Besitzverlust auf Veräußererseite
bb) irgendein Besitzgewinn auf Erwerberseite
cc) auf Veranlassung
c)
Einigsein zum Zeitpunkt der Übergabe (vgl. § 929 S.1 „sind“)
d)
Berechtigung
a)
Einigung (dingl.), §§ 145, 147
Dann müssten sich V und A wirksam und unter Berücksichtigung der sachenrechtlichen Grundsätze
geeinigt haben, dass das Eigentum auf V übergehen soll §§ 145, 147.
aa)
Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes
Fraglich ist zunächst, ob der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt wurde. Vorliegend
wollte A die gesamten in ihrem Besitz befindlichen Einrichtungsgegenstände auf V übertragen. Wegen
des Spezialitätsgrundsatzes im Sachenrecht, kann grundsätzlich nicht über eine Gesamtheit von Gegenständen verfügt werden, sondern jede Sache ist Gegenstand einer gesonderten Verfügung. Mehrere
Verfügungen können allerdings gleichzeitig zusammenfallen. Im Zeitpunkt der Einigung zwischen A
und V müssen die Sachen daher so exakt bezeichnet sein, dass unschwer die übereigneten Sachen von
anderen unterschieden werden können. Da allerdings eine Sammelbezeichnung genügt, ist eine genaue
Bezeichnung der einzelnen Objekte nicht erforderlich. Vorliegend schrieb A in die Glückwunschkarte
„Einrichtungsgegenstände“. Daran wird deutlich, dass ausschließlich bewegliche Sachen gemeint gewesen sind, die nicht der persönlichen Lebensführung der A dienen. Der Bestimmtheitsgrundsatz ist
mit der Sammelbezeichnung der zu übereignenden Gegenstände gewahrt.
aa)
Einigung (§§ 145 , 147, 133, 157)
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Die Erklärung der A in der Glückwunschkarte der V „alle Einrichtungsgegenstände schenken zu wollen“ betrifft zunächst nicht die dingliche Ebene. Allerdings muss die Willenserklärung so ausgelegt
werden, dass eine „Schenkung“ zugleich auch als Übereignungsangebot aufgefasst verstanden werden
muss. Eine Willenserklärung seitens der A liegt daher vor. Dass V das Angebot auf Übertragung des
Eigentums angenommen hat, ist zu unterstellen. Eine Einigung zwischen A und V liegt daher vor.
Anm.: Gleiches kann auch bei Fällen auftreten, in denen die Parteien einen Eigentumsvorbehaltskauf
(§§ 433, 449) vereinbart haben. Ob die Parteien eine Eigentumsübertragung erst unter der Bedingung
vollständiger Kaufpreiszahlung vereinbart haben, ergibt sich durch Auslegung des Kaufvertrages.
Beim Eigentumsvorbehaltskauf (§§ 433, 449) „hilft“ § 449 I.
Beachte aber: Die Wirksamkeit des Eigentumsübergangs richtet sich allein nach der dinglichen Einigung(!) und nicht nach dem schuldrechtlichen Vertrag (Abstraktionsprinzip). Daher kann der Verkäufer die dingliche Einigung auf Eigentumsübertragung nachträglich einseitig abändern (bspw. durch
einen - wenn auch vertragswidrigen- nachträglichen Eigentumsvorbehalt).
b)
Übergabe
Weiterhin müsste eine Übergabe an V vorliegen. Eine Übergabe liegt vorliegend nicht vor.
c)
Übergabesurrogat, §§ 929 S.1, 930
Übereignunstatbestand des § 929 S.1, 930
a)
Einigung (dingl.), §§ 145, 147
b)
Übergabesurrogat: Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses
aa) Besitzmittlungsverhältnisses (BMV)
bb) Fremdbesitzerwille des unmittelbaren Besitzers
cc) Herausgabeanspruch
c)
Einigsein zum Zeitpunkt der Übergabe (vgl. § 929 S.1 „sind“)
d)
Berechtigung
In Betracht kommt allerdings das Übergabesurrogat des § 930.
aa)
Besitzmittlungsverhältnis (BMV)
Es müsste daher ein Besitzmittlungsverhältnis zwischen A und V vereinbart worden sein (§ 868).
Hier sollte A (großzügiger Weise) die Einrichtungsgegenstände bis zum Studienende der V unentgeltlich nutzen dürfen.
bb)
Fremdbesitzerwille des unmittelbaren Besitzers
Weiterhin muss A Fremdbesitzerwillen haben. Dies bedeutet, dass sie „für V“ besitzen muss und somit Oberbesitz ihrer Tochter anerkennt. Davon kann vorliegend ausgegangen werden.
cc)
Ein Herausgabeanspruch der V ergibt sich bei einem Leihvertrag aus § 604.
c)
Auch liegt ein Einigsein zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Besitzmittlungsverhältnisses liegt vor (Voraussetzung aus arg. § 929 S.1 „sind“).
d)
Berechtigung
Ferner war A als (Allein-)Eigentümerin der Einrichtungsgegenstände auch auch zur Übertragung des
Eigentums berechtigt.
V wurde daher Eigentümerin aller Einrichtungsgegenstände gem. §§ 929 S.1, 930
IV.
Recht zum Besitz
Ein Recht zum Besitz seitens des G besteht nicht, § 986. Er hat weder ein eigenes- noch ein abgeleitetes (derivatives) Recht zum Besitz.
V hat daher gegen G einen Anspruch gem. § 985 auf Herausgabe der beiden Gemälde.
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V.
Durchsetzbarkeit
Ferner ist der Anspruch aus § 985 auch durchsetzbar.
Anm.: Der Fall ist mit Blick auf das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§§ 989ff.) wichtig. Es geht darum den Grundgedanken der rechtsgeschäftlichen Übereignung zu verstehen. Daran anknüpfend stellen sich praxiswichtige Fragen, wie bspw. was passieren würde, wenn G die beiden Gemälde trotz
Herausgabeverlangen der V aus § 985 nicht herausgibt und nunmehr eines der beiden Gemälde durch
einen (von G nicht verschuldeten) Brand zerstört wird? Hier haftet er u.U. auf Schadensersatz
(§§ 989, 990). Oder auch G die Rahmen der Gemälde aufwendiger als notwendig restauriert hat
(bspw. teurer vergoldet). Hier kommen möglicherweise Verwendungsersatzansprüche des G gegen V,
in Betracht (§§ 994). Dazu aber mehr im Eigentümer-Besitzer Verhältnis (EBV).Eine höchste spannende Materie!
Fazit und wesentliche Probleme des Falles
Voraussetzungen, § 985 (Wiederholung)
Dingliche Einigung und Sachenrechtliche Prinzipien
Erwerbstatbestand § 929 S. 1, 930 (Wiederholung)
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