1 Professor Dr. Johannes Kaspar Universität Augsburg WS 2012

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1 Professor Dr. Johannes Kaspar Universität Augsburg WS 2012
Professor Dr. Johannes Kaspar
Universität Augsburg
WS 2012/2013
Hausarbeit im Strafrecht für Anfänger
Sachverhalt
Paul (P) ist Whisky-Kenner, kann sich die teuren Tropfen aber nicht leisten. Daher plant er, in
den Feinschmeckerladen des A zu gehen und sich dort, ohne zu bezahlen, einen schottischen
Single Malt im Wert von 500 Euro zu besorgen. Einen entsprechenden Tipp hatte P von seinem
Freund Franz (F) bekommen. Zu diesem Zeitpunkt war P ohnehin schon zu genau diesem Vorgehen fest entschlossen gewesen. Er bekommt von F aber immerhin noch den zusätzlichen Hinweis, dass die Flaschen mit einem Sicherungschip versehen sind. Dieser Chip ist so konstruiert,
dass beim Verlassen des Supermarktes ein Alarm ausgelöst wird. Er rät daher dem P, ein Küchenmesser mitzunehmen, um den Chip von der Flasche abzutrennen und sich zur Not bei Entdeckung wehren zu können. Letzteres lehnt P empört ab; er würde nie ein Messer gegen einen
Menschen einsetzen, erklärt er dem F. Die Idee mit dem Sicherungschip überzeugt ihn aber.
Am nächsten Tag betritt P den Laden des A, trennt dort das Etikett mit dem Küchenmesser von
der Flasche ab, steckt Flasche und Messer anschließend in die Innentasche seines Mantels und
eilt in Richtung Ausgang. Hier beobachtet P, wie eine wertvolle Uhr, die ein anderer Kunde Stunden zuvor im Laden verloren hatte, als Fundsache bei dem von A angestellten Kassierer K abgegeben wird. P nutzt die Gunst der Stunde, tritt an K heran und behauptet, der Eigentümer der
Uhr zu sein. K glaubt ihm und gibt die Uhr an P heraus, der diese in seiner Hosentasche verstaut.
P war allerdings zuvor beim Einstecken der Whiskyflasche von dem bei A ebenfalls angestellten
Ladendetektiv L beobachtet worden. Dieser stellt sich daher kurz hinter dem Ausgang dem P in
den Weg und packt ihn mit einem groben und schmerzhaften Griff am Arm, um ihn am Weggehen zu hindern und seine Personalien festzustellen. P streckt den L daraufhin sofort mit einem
Kinnhaken nieder, um zu fliehen. Dabei geht es ihm allein darum, möglichst schnell davon zu
kommen, an die Flasche und die Uhr denkt er in diesem Moment überhaupt nicht. L nimmt die
Verfolgung auf, kann P aber nicht einholen. Nach einem Warnruf und einem Warnschuss mit
seiner Dienstwaffe, die P beide ignoriert, schießt L, der als geübter Schütze sicher davon ausgeht, dass er auch treffen wird, gezielt auf die Beine des P. Tatsächlich sinkt P mit einer Schusswunde am Unterschenkel zu Boden. L ist das insgeheim sehr recht, denn er hat kurz nach Beginn
der Verfolgung des P in diesem seinen früheren Mitschüler erkannt, der ihn auf dem Pausenhof
in der Grundschule immer geärgert hat. Dass er mit dem Schuss zugleich das Eigentum des A
verteidigt, ist ihm daher völlig egal, ihm geht es nur um Rache gegenüber dem P.
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Bearbeitervermerk:
Prüfen Sie in einem Gutachten, in dem auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen einzugehen ist, inwiefern sich P, F und L nach dem StGB strafbar gemacht haben.
Die Strafbarkeit nach §§ 267, 274 und 303 StGB ist nicht zu prüfen.
Eventuell erforderliche Strafanträge sind gestellt.
Der Umfang der Arbeit darf 50.000 Zeichen (mit Leerzeichen), ausschließlich Fußnoten, Gliederung und Literaturverzeichnis, nicht überschreiten. Nachweise in Fußnoten dienen allein als
Quellenbeleg und dürfen keine inhaltlichen Ausführungen beinhalten. Die das Zeichenlimit überschreitenden Darstellungen werden nicht gewertet. Folgende Formatierung ist einzuhalten:
Seitenrand links 1,5 cm, rechts 5,5 cm, oben und unten jeweils 1,5 cm, 1,5-zeilig, 12pt Schrift,
Times New Roman, normale Laufweite, Fußnotentext mindestens 10pt Schrift. Die Arbeit ist
einmal ausgedruckt und gebunden sowie zusätzlich als Word-Dokument auf einer CD gespeichert (und mit Tesa in die Arbeit geklebt) abzugeben. Bitte auf der Hausarbeit oben links Nachname, Vorname, Anschrift, E-Mail-Adresse und Matrikelnummer angeben.
Abgabe bis spätestens Donnerstag, 25.10.2012, 11.00 Uhr, in Zimmer 2034 oder durch rechtzeitigen Einwurf in den Hausbriefkasten des Prüfungsamtes. Mit der Post zugesandte Hausarbeiten müssen bis zum o.g. Datum am Lehrstuhl eingegangen sein. Als Bearbeitungszeit sollten vier
bis sechs Wochen ausreichen.
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Professor Dr. Johannes Kaspar
Universität Augsburg
WS 2012/2013
Grundkurs Strafrecht
Hausarbeit im Strafrecht für Anfänger
Lösungshinweise
Vorbemerkung für die KorrektorInnen: Die Hausarbeit weist für Anfänger einen relativ hohen
Schwierigkeitsgrad auf. Auch der Umfang ist mit einer Vielzahl von Problemen und mehreren Beteiligten recht groß. Das war bewusst gewählt, um die BearbeiterInnen zu einer konzentrierten und
problemorientierten Darstellung anzuhalten. Wird Unproblematisches nur knapp und im Urteilsstil
abgehandelt, ist das zulässig und sogar erwünscht. Dennoch ist es schwer, auch nur annähernd alle
Probleme des Falles zu sehen und im Rahmen der vorgegebenen Seitenzahl ausführlich zu erörtern.
Umso mehr bitte ich um eine wohlwollende Korrektur, bei der auf das Anfängerstadium der BearbeiterInnen Rücksicht genommen wird.
1. Tatkomplex: Abtrennen des Etiketts und Einstecken der Flasche
Strafbarkeit des P
I. Strafbarkeit gem. §§ 242, 243 I StGB
A könnte sich durch das Abtrennen des Flaschenetiketts und das anschließende Einstecken der
Flasche wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall gem. §§ 242 I, 243 I 2 Nr. 2 StGB
strafbar gemacht haben.
1. Tatbestand
a) Objektiver Tatbestand
aa) Fremde bewegliche Sache (+)
bb) Wegnahme = Bruch fremden und Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams
P: Fremder Gewahrsam
- Gewahrsam = tatsächliche Sachherrschaft getragen von einem natürlichen Herrschaftswillen
- Beurteilung der Gewahrsamsverhältnisse richtet sich grundsätzlich nach den Anschauungen
des täglichen Lebens unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung (sozial-normativer Gewahrsamsbegriff)
- Grundsätzlich schließt auch eine räumliche Distanz die Gewahrsamsinhaberschaft nicht aus, da
der Inhaber das Objekt nicht stets konkret erfasst haben muss
Hier: Der Laden des A stellt dessen Gewahrsamssphäre dar. Dieser ist als räumlicher Machtbereich dem A zugeordnet. Die darin befindlichen Gegenstände sind von seinem generellen Gewahrsamswillen erfasst
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 Fremder Gewahrsam (+)
P: Gewahrsamsbegründung / Vollendung
- Gewahrsamsbegründung grundsätzlich strittig

E.A. (Kontrektationstheorie): Gewahrsamsbegründung bereits mit dem Berühren der Sache

A.A. (Apprehensionstheorie): Mit Ergreifen der Sache

A.A. (Ablationstheorie): Mit dem Fortschaffen der Sache

A.A. (Illationstheorie): Mit dem Bergen der Sache

H.M.: Die Größe des Gegenstandes ist maßgeblich. Gerade bei etwas kleineren Gegenständen kann der neue Gewahrsam bereits bspw. mit dem Schließen der Hand oder
durch Verbringen in die körperliche Nahsphäre begründet werden.
Hier: A steckt die Flasche in die Innentasche seines Mantels und verbringt sie daher in seine körperliche Nahsphäre, die gegen Zugriffe Dritter über Art. 2 I, 1 I GG besonders geschützt ist. Ein
Eingreifen in diese ist sozial auffällig und bedarf besonderer Begründung. Daher ist es sachgerecht, den Gewahrsamswechsel und damit die Vollendung auf den Zeitpunkt des Einsteckens
vorzuverlagern, obwohl sich der Handelnde noch in der Gewahrsamssphäre des bisherigen Gewahrsamsinhabers befindet (Enklaventheorie).
 Neuer Gewahrsam grundsätzlich. (+)
Hinweis für die KorrektorInnen: Eine so ausführliche Diskussion der Gewahrsamsbegründung anhand der verschiedenen Theorien ist nicht zwingend erforderlich. Erwähnt werden sollte allerdings
die Gewahrsamsbegründung noch im Supermarkt aufgrund des Gedankens der Gewahrsamsenklave.
P: Hinderung der Gewahrsamsbegründung wegen Beobachtung durch den Ladendetektiv
- Hindert die Beobachtung der Wegnahme die Diebstahlsvollendung?

E.A. (+): Es liegt nur eine versuchte Wegnahme vor
Kritik: § 242 ist kein heimliches Delikt

H.M. (-): Die Beobachtung ist, insbesondere bei nicht zur Einverständniserteilung berechtigten Personen, irrelevant
 Beobachtung unschädlich, ändert nichts daran, dass Verkehrsanschauung den Gewahrsam demjenigen zuschreibt, der den Gegenstand in seine Tabusphäre verbracht hat.
Mit einem Teil der Literatur ist es auch vertretbar, vorliegend einen unbenannten besonders
schweren Fall i.S.v. § 243 I 1 StGB anzunehmen
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P: Tatbestandsausschließendes Einverständnis
- Erste Variante: Generelle Einverständniserteilung mit Gestattung des Zutritts zum Laden (-)
- Zweite Variante: Durch Beobachtung durch den Ladendetektiv (-) – Die bloße Beobachtung
oder das bloße Geschehenlassen durch Ladeninhaber oder Beauftragten beinhalten kein Einverständnis zur Wegnahme
 Gewahrsamsbruch (+)
 Objektiver Tatbestand (+)
b) Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz + Absicht rechtswidriger (Eigen-) Zueignung (+)
- Vorsatz bzgl. Rechtswidrigkeit (+)
Falsch ist es, von rechtswidriger Zueignungsabsicht zu sprechen.
2. Rechtswidrigkeit (+)
3. Schuld (+)
4. Strafzumessung - § 243 I 2 Nr. 2 StGB
P: Chip als besondere Schutzvorrichtung zur Sicherung gegen Wegnahme

E.A. (+): Er soll vor der Wegnahme abschrecken
Kritik: Das Sicherungsetikett bietet keinen Schutz vor Wegnahme, da der Alarm erst beim
Verlassen des Kaufhauses und damit regelmäßig nach der Wegnahme ausgelöst wird

H.M. (-): Bloße Erleichterung der Wiedererlangung, keine Verhinderung der Wegnahme.
Wortlaut kann wegen Art. 103 II GG nicht überschritten werden.
5. Ergebnis: § 242 I StGB (+)
II. §§ 242 I, 244 I Nr. 1 a Alt. 2 StGB bzgl. der Whiskey-Flasche
1. Tatbestand des Grunddelikts (+), vgl. oben
2. Tatbestand der Qualifikation, § 244 I Nr. 1 a Alt. 2 StGB
a) Objektiver Tatbestand
P: Küchenmesser als gefährliches Werkzeug?

E.A.: Es ist die Definition des § 224 I Nr. 2 StGB heranzuziehen. Ein gefährliches Werkzeug liegt demgemäß dann vor, wenn es sich um einen beweglichen Gegenstand handelt,
der in der konkreten Art der Verwendung geeignet ist, beim Opfer erhebliche Verletzungen hervorzurufen.
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Kritik: Auf die konkrete Art der Verwendung kommt es bei § 244 I Nr. 1 a Alt. 2 gerade nicht
an, da ein Beisichführen für die objektive Tatbestandserfüllung genügt. In diesem Moment
ist die konkrete Art der Verwendung nicht bekannt.

A.A.: Entscheidend ist die konkrete Verwendungsabsicht bzw. der Verwendungsvorbehalt (subjektiver Restriktionsansatz)
 tvA: In einer abgeschwächten Form ist danach zu fragen, ob der mitgeführte Gegenstand nach seiner objektiven Beschaffenheit zu einem gefährlichen Einsatz
geeignet und zu einem solchen durch den Täter, unabhängig von der konkret beabsichtigten Tat, generell gewidmet ist.
Kritik: Eine solche Auslegung widerspricht dem gesetzgeberischen Willen. Im Rahmen von §
244 I Nr. 1 b) wird explizit auf die Absicht der Verwendung abgestellt. Daher muss e contrario darauf geschlossen werden, dass die Absicht der Verwendung bei § 244 I Nr. 1 a Alt. 2
StGB nicht zu berücksichtigen ist.

Wohl h.M.: Maßgeblich sind objektive Abgrenzungskriterien.
 tvA: Es sind lediglich Gegenstände als gefährliche Werkzeuge einzustufen, deren
Verwendung gegen ein Verbot verstieße bzw. erlaubnispflichtig wäre.
Kritik: Keine hinreichende Abgrenzung zum Begriff der Waffe möglich. Keine Vereinbarkeit der Ansicht mit dem gesetzgeberischen Willen
 tvA.: Es ist darauf abzustellen, ob der bei sich geführte Gegenstand objektivabstraktes Verletzungspotential aufweist
Kritik: Uferlose Ausdehnung des Tatbestandes, keine vernünftige Abgrenzung möglich, Einzelfallkasuistik
 tvA.: Es ist eine generalisierend-abstrakt-objektive Betrachtungsweise vorzunehmen (Waffenäquivalenz, „waffenähnlicher Charakter“). Es ist danach zu
fragen, ob der Gegenstand typischerweise bzw. offenkundig geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen und dadurch zumindest annähernd die abstrakte Gefährlichkeit der Waffen erreicht

BGH: Für die derzeitige Fassung des § 244 I Nr. 1 a) lässt sich mit den herkömmlichen
Auslegungsmethoden eine allgemein gültige, für alle denkbaren Sachverhaltsvarianten
tragfähige Definition nicht aufstellen.
Subjektive Restriktionsansätze sind abzulehnen. Maßgeblich für das Gefährlichkeitsurteil sind allein objektive Kriterien. Der Gesetzgeber wollte die „abstrakt-objektive Gefährlichkeit“ erfassen, die sich bereits daraus ableiten lasse, dass der Täter ein gefährliches Werkzeug bei sich führe, da in diesen Fällen „die latente Gefahr des Einsatzes als
Nötigungsmittel besteht“.
Bei klappbarem Taschenmesser mit entsprechender Klingenlänge z.B. (+)
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
OLG Stuttgart: Bei harmlosen, jedenfalls gefahrneutralen Gegenständen ist eine Gefährlichkeit nur gegeben, wenn der Gebrauch des Werkzeugs droht, was nach den Tatumständen, der Art des Werkzeugs, des Beisichführens sowie der inneren Haltung des Täters zu beurteilen ist.
 Mit den subjektiven Restriktionsansätzen § 244 I Nr. 1 a Alt. 2 (-), da zwar eine Verwendung zur Entfernung des Etiketts beabsichtigt ist, jedoch keine Verwendung gegen Menschen konkret oder generell durch P.
 Mit den objektiven Restriktionsansätzen mit entsprechender Argumentation beides vertretbar
Für das Vorliegen einer Bande i.S.v. § 244 I Nr. 2 StGB (P: 2 Personen ausreichend) ergeben sich aus
dem Sachverhalt keine hinreichenden Anhaltspunkte. Ein Anprüfen erscheint vertretbar, eine weitergehende Prüfung hingegen nicht.
Falls das Vorliegen eines gefährlichen Werkzeugs bejaht wird:
b) Subjektiver Tatbestand
Vorsatz (+)
Weitere Voraussetzung ist, dass P das Messer bewusst gebrauchsbereit bei sich geführt hat (aktuelles Gefährlichkeitsbewusstsein). Es genügt das allgemeine, noch auf keinen bestimmten Zweck
gerichtete Bewusstsein, ein funktionsbereites Werkzeug zur Verfügung zu haben, das (generell)
geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen. Der Vorsatz muss nicht die konkrete Verwendung im Einzelfall umfassen, auch nicht im Sinne eines „Vorbehalts“.
Hier (+)
2. Rechtswidrigkeit (+)
3. Schuld (+)
4. Ergebnis: §§ 242 I, 244 I Nr. 1 a Alt. 2 (+/-)
III. Strafbarkeit gem. § 246 I StGB durch das Einstecken der Flasche
Die Unterschlagung tritt hinter den gleichzeitig verwirklichten Diebstahl aufgrund gesetzlich
angeordneter formeller Subsidiarität zurück.
2. Tatkomplex: Das Passieren der Kassenbereichs
Strafbarkeit des P
I. Strafbarkeit gem. § 263 I StGB bezüglich der Flasche
P könnte sich durch das Passieren der Kassenzone wegen Betrugs gem. § 263 I StGB gegenüber
der K zu Lasten des Ladeninhabers strafbar gemacht haben
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Falsch ist es, im Rahmen des Passierens der Kassenzone erneut auf die Abgrenzung Trickdiebstahl – Sachbetrug einzugehen, da der zuvor geprüfte Diebstahl an der Flasche durch die Enklave
vollendet ist.
1. Tatbestand
a) Objektiver Tatbestand
aa) Täuschung über Tatsachen
Vorliegend kommt zwar keine ausdrückliche Täuschung in Betracht, jedoch täuscht P den Kassierer konkludent über die Tatsache, dass er etwas zu bezahlen dabei habe. Nach der Verkehrsauffassung kommt einem Passieren der Kassenzone der Erklärungswert zu, dass man keine
Waren, die noch zu bezahlen sind, bei sich führt.
 Konkludente Täuschung über Tatsachen (+)
bb) Kausaler Irrtum
K müsste einem Irrtum, also einer Fehlvorstellung über Tatsachen, unterlegen sein. Selbst wenn
bei K aufgrund der Geschehnisse um die Uhr keine gedankliche Aktualisierung und Reflexion
über die Tatsache einstellt, ob P sonst noch etwas mit sich führt, so genügt im Rahmen eines
sachgedanklichen Mitbewusstseins, dass die K annimmt, alles gehe mit rechten Dingen zu.
 Kausaler Irrtum (+)
cc) Kausale Vermögensverfügung
In Betracht kommt vorliegend eine Vermögensverfügung durch Unterlassen in Bezug auf die
Nichtgeltendmachung etwaig bestehender Ansprüche wegen der Flasche. K unterlässt aufgrund
seines Irrtums die (stellvertretende) Geltendmachung von Herausgabeansprüchen des A aus §§
§§ 859 I, II, 860 BGB sowie ggf. § 812 I 1 Alt. 2 BGB. Ein Verfügungsbewusstsein ist beim Forderungsbetrug entbehrlich.
 Kausale Vermögensverfügung (+)
Eine Vermögensverfügung durch Unterlassen bedeutet keinen Betrug durch Unterlassen, da die
Täuschung hierbei durch aktives (konkludentes) Tun erfolgt. Die Heranziehung von § 13 StGB ist
falsch.
dd) Kausaler Vermögensschaden
Durch die Vermögensverfügung der K müsste dem Ladeninhaber A ein Vermögensschaden entstanden sein. Der Vermögensschaden ist aufgrund einer Saldierung der Vermögenslagen unmittelbar vor und nach der vermögensschädigenden Handlung auf objektiver Grundlage vorzunehmen (Prinzip der Gesamtsaldierung). Zu prüfen ist insbesondere, ob ein vermögensrechtliches
Äquivalent den Vermögensverlust auf Seiten des Geschädigten ausgleicht.
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P: Vermögensschaden beim sog. Sicherungsbetrug
Fraglich ist, ob beim Sicherungsbetrug ein selbstständiger Vermögensschaden eintritt, da hierbei
durch den vorherigen Diebstahl bereits eine Vermögensschädigung in Form des Besitzverlustes
auf Seiten des Ladeninhabers eingetreten ist.

E.A. (-): Kein selbstständiger Vermögensschaden. Der durch die Vollendung des Diebstahls eingetretene Schaden bleibt unverändert.

A.A. (-): Die Exklusivitätsthese von Diebstahl und Betrug steht entgegen. Bis zur Beendigung des Diebstahls ist auf das einheitliche, insgesamt als „Nehmakt“ zu qualifizierende
Geschehen abzustellen.
Kritik: Unter Umständen kann aber eine Schadensvertiefung in Betracht kommen; es erscheint auch vertretbar, eine relevante Zäsur zwischen der Vollendung des Diebstahls und
der erneuten Betrugsbegehung anzunehmen.

A.A. (+): Es liegt ein selbstständiger Betrug vor, der zu einem selbstständigen Vermögensnachteil führt. Das täuschungsbedingte Unterlassen der Geltendmachung bestehender Ansprüche wird nicht äquivalent ausgeglichen. Durch die Nichtgeltendmachung wird
für die Zukunft die prozessuale Durchsetzbarkeit der Ansprüche erschwert.
Der Betrug tritt allerdings als mitbestrafte Nachtat auf der Ebene der Konkurrenzen hinter den vollendeten Diebstahl zurück.
Wenn der dritten Ansicht gefolgt wird:
b) Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz (+)
- Absicht rechtswidriger und stoffgleicher (Eigen-) Bereicherung (+)
- Vorsatz bzgl. Rechtswidrigkeit (+)
2. Rechtswidrigkeit (+)
3. Schuld (+)
4. Ergebnis: § 263 I (+/-)
Hinweis für die KorrektorInnen: Aufgrund des unstreitigen Zurücktretens des (Sicherungs-)Betrugs
auf Konkurrenzebene ist eine so umfangreiche Prüfung des Tatbestandes nicht zwingend erforderlich
II. Strafbarkeit gem. § 246 I StGB
P könnte sich durch das Passieren der Kassenzone wegen Unterschlagung an der Whiskyflasche
gem. § 246 I StGB strafbar gemacht haben.
P: Erneute Unterschlagung nach Verschaffung der Sache in strafrechtlich relevanter Weise
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
E.A. (-) Nur die erstmalige Verschaffung erfüllt den Tatbestand; das was sich der Täter
bereits zugeeignet hat, kann nicht Gegenstand einer nochmaligen Zueignung sein (Tatbestandslösung)
Kritik: Keine teilnahmefähige Haupttat bzgl. der Zweitzueignung

A.A. (+): Die spätere erneute Zueignung ist begrifflich möglich, tritt hinter die frühere als
mitbestrafte Nachtat zurück (Konkurrenzlösung)
Ergebnis: § 246 I (+/-)
Hinweis an die KorrektorInnen: Auch hier wäre es vertretbar, die Frage nicht umfassend zu erörtern bzw. offen zu lassen und jedenfalls von Subsidiarität der Unterschlagung auszugehen.
III. Strafbarkeit gem. § 263 I StGB in Bezug auf die Uhr
P könnte sich durch die Erlangung der Uhr aufgrund des Vorspiegelns der Eigentümerstellung
gem. § 263 I StGB wegen Betrugs gegenüber der K zum Nachteil des Kunden (Dreiecksbetrug)
strafbar gemacht haben.
1. Tatbestand
a) Täuschung über Tatsachen
Vorliegend wirkt P durch aktives Tun (Sprechen) auf das Vorstellungsbild der Kassiererin ein,
um bei dieser eine entsprechende Fehlvorstellung über die Eigentumslage an der Uhr hervorzurufen.
b) Kausaler Irrtum
Kausal auf der Täuschung basierend unterliegt K der Fehlvorstellung, P sei Eigentümer der Uhr.
c) Kausale Vermögensverfügung
Der Dreiecksbetrug beinhaltet die Besonderheit, dass der Getäuschte und der Geschädigte nicht
personengleich sind. Getäuschter und Verfügender sind hingegen personenidentisch. Als Tun,
das sich unmittelbar vermögensmindernd bei dem Kunden auswirkt, kommt die Herausgabe der
Uhr an den P durch die Kassiererin in Betracht. Diese könnte sich jedoch auch als Wegnahme
durch K gegenüber dem Kunden darstellen, wenn P die K als vorsatzlos handelndes Werkzeug
im Sinne der §§ 242, 25 I Alt. 2 StGB zur Tatbegehung eingespannt hätte.
P: Schließen sich Diebstahl und Betrug überhaupt aus?

E.A. (-): Keine dementsprechende gesetzliche Regelung
Kritik: Bereits vom Wortlaut her stehen „Wegnahme“ und „Vermögensverfügung“ im einem
Gegensätzlichkeitsverhältnis

H.M. (+): Lehre vom Exklusivitätsdogma zwischen Fremd- und Selbstschädigungsdelikt
P: Abgrenzung Dreiecksbetrug – Diebstahl in mittelbarer Täterschaft
10

E.A. („faktische Nähetheorie“): Es genügt für den Dreiecksbetrug, dass der Verfügende/Getäuschte eine tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache hat
Kritik: Ermöglicht, wie man auch hier sieht, keine saubere Abgrenzung von Diebstahl und
Betrug; bloße faktische Zugriffsmöglichkeit kein Grund, die Schädigungshandlung des dem
Vermögensinhaber zuzurechnen.

A.A. („Befugnis- oder Ermächtigungstheorie“): Der verfügende Dritte (K) muss vom Geschädigten (Kunden) ermächtigt worden sein bzw. (wenigstens subjektiv) eine Verfügungsbefugnis besitzen
 Hier: Verfügung (-)

H.M. („Lagertheorie“): Es reicht, dass der Dritte im Lager des Geschädigten steht
 Hier: K dürfte als Kassierer gegenüber dem Kunden sowie gegenüber P, der ebenfalls als Kunde auftritt, eine neutrale Stellung einnehmen. Er ist Annahmestelle
bezüglich der verlorenen Sachen und hat lediglich Kenntnis davon, dass die Sache in fremdem Eigentum steht. Darüber hinausgehende Kenntnisse (Abgrenzung zu den Garderobierenfällen) liegen nicht vor, weshalb K auch nicht zum Lager des Kunden gerechnet werden kann.
 Verfügung (-), a. A. vertretbar
Bejaht man – vertretbar – die prinzipielle Möglichkeit einer Verfügung des K zu Lasten des Kunden, stellt sich die Frage, ob man mit der h.M. beim Sachbetrug ein Verfügungsbewusstsein verlangt. Sollte man dies bejahen, ist dessen Vorliegen im Hinblick auf die K wohl abzulehnen, da K
nicht davon ausgeht, eine vermögensmindernde Handlung vorzunehmen. Im Gegenteil geht er
davon aus, einen dem P abhanden gekommenen Vermögenswert diesem wieder zurückzugeben.
Wird dieses Problem gesehen und brauchbar erörtert, sollte dies als Bonus, ein Fehlen dagegen
nicht negativ bewertet werden.
2. Ergebnis: § 263 I StGB (-)
IV. Strafbarkeit gem. §§ 242, 25 I Alt. 2
P könnte sich durch die Erlangung der Uhr gem. §§ 242 I, 25 I Alt. 2 StGB wegen Diebstahls in
mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
Als unmittelbarer Täter eines etwaigen Diebstahls kommt K in Betracht. Die Tat könnte aufgrund überlegener Stellung des P diesem als Hintermann zuzurechnen sein, wenn die Voraussetzungen für eine Zurechnung gem. § 25 I Alt. 2 StGB vorliegen.
a) Objektiver Mindestbeitrag des Hintermannes (+): Das Vorspiegeln gegenüber K, Eigentümer
der Uhr zu sein, veranlasst diesen zur Herausgabe der Uhr.
b) Strafbarkeitsmangel als Defizit beim Tatmittler
Inzidentprüfung der Strafbarkeit der K nach § 242 I StGB:
aa) Objektiver Tatbestand
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(1) Fremde bewegliche Sache (+)
(2) Wegnahme
- Ursprünglich täterfremder Gewahrsam
P: Gewahrsam des Kunden trotz Verlusts der Uhr?
Der Gewahrsam endet, wenn die tatsächliche Sachherrschaft aufhört und/oder der Herrschaftswille aufgegeben wird. Dies ist eindeutig dann der Fall, wenn jemand außerhalb des eigenen
Herrschaftsbereichs eine Sache verliert und nicht nur vergisst (bei gleichzeitiger Kenntnis vom
Ort, wo sich die Sache befindet).
 Gewahrsam des Kunden (-)
P: Gewahrsam bei K oder beim Ladeninhaber?

BGH: Die Angestellten in einem Laden/Kaufhaus haben regelmäßig allenfalls untergeordneten Mitgewahrsam.
Allerdings kann speziell der Kassierer nach der Verkehrsauffassung an dem in seiner Kasse befindlichen Geld Alleingewahrsam haben.
Hier: K ist zwar als Kassierer angestellt, betreut daneben aber noch die Fundsachen. Diesbezüglich ist ein Alleingewahrsam nicht anzunehmen, vielmehr allenfalls ein untergeordneter Gewahrsam. Übergeordneten Gewahrsam hat vielmehr der Ladeninhaber.
Eine a. A. aufgrund kaum vertretbarer Annahme von übergeordnetem Gewahrsam der K würde
zu einer Prüfung von §§ 246 I, 25 I Alt. 2 StGB führen.
Die Annahme eines Alleingewahrsams durch den Ladeninhaber ist auch vertretbar.
Durch die Herausgabe der Uhr an den P hat K den übergeordneten Gewahrsam des A gebrochen
und neuen Gewahrsam bei P begründet.
 Objektiver Tatbestand durch K (+)
bb) Subjektiver Tatbestand mangels Vorsatzes bzgl. Wegnahme (-), daher vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum gem. § 16 I 1 StGB
 Strafbarkeitsmangel (+)
c) Überlegene Stellung des Hintermannes aufgrund überlegener Wissens-oder Willensherrschaft
Hier: Überlegenes Wissen des P, da er im Gegensatz zu K über die Eigentümerstellung Bescheid
weiß.
2. Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz bzgl. Erfüllung objektiver Tatbestandsmerkmale durch Tatmittler (+)
- Vorsatz bzgl. eigener Tatherrschaft und unterlegener Stellung des Tatmittlers (+)
- Absicht rechtswidriger (Eigen-) Zueignung (+)
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3. Rechtswidrigkeit (+)
4. Schuld (+)
5. Ergebnis: §§ 242 I, 25 I Alt. 2 StGB (+); § 246 tritt dahinter kraft gesetzlicher Subsidiarität zurück.
V. Strafbarkeit gem. § 123 I Alt. 1 StGB
P könnte sich durch das Betreten des Ladens des A gem. § 123 I Alt. 1 StGB wegen Hausfriedensbruchs strafbar gemacht haben.
P: Tatbestandsausschließendes Einverständnis durch generelle Zutrittserlaubnis für den
Kundenverkehr?
Dieses Einverständnis des A könnte hier aufgehoben sein wegen der kriminellen Absichten des P

H.M.: Ein beabsichtigter Missbrauch der generellen Zutrittserlaubnis ist kein Eindringen,
also kein Betreten gegen den Willen des Berechtigten.
Eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn nach dem äußeren Erscheinungsbild
(Maskierung) ein Verhalten vorliegt, dass offensichtlich zu dem zum Eintreten gewünschten Personenkreis nicht passt.
Hier: Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass sich P äußerlich neutral verhält und seine rechtsfeindliche Absicht nicht äußerlich erkennbar ist.

A.A.: Der Inhaber eines Ladens eröffnet den Zugang nur für Kunden und Schaulustige.
Die verkehrsfeindliche Absicht begründet eine Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruchs.
Kritik: Kein tauglicher Anknüpfungspunkt, da die Zutrittserlaubnis nicht nach der Absicht
jeder einzelnen Person modifiziert werden kann.
Beachte: Falsch ist es, dieses Problem unter einer etwaigen Prüfung eine Tatbestandsmerkmals
„Widerrechtlichkeit“ oder als Einwilligung auf der RF-Ebene vorzunehmen. Die Widerrechtlichkeit stellt lediglich einen deklaratorischen Verweis auf die allgemeine RF-Prüfung dar. Das „Eindringen“ setzt tatbestandlich ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten voraus, weshalb
eine Zustimmung tatbestandsausschließenden Charakter besitzt.
Ergebnis: § 123 I Alt. 1 StGB (+/-)
3. Tatkomplex: Die Auseinandersetzung zwischen P und L
Um eine umfangreiche Inzidentprüfung innerhalb der Rechtfertigungsgründe zu vermeiden,
wird hinsichtlich der Geschehnisse um die Auseinandersetzung zwischen P und L mit der Strafbarkeit des L begonnen. Logischerweise ist der Weg über eine vorherige Prüfung der Strafbarkeit des P ohne weiteres gangbar und korrekt.
A. Strafbarkeit des L
I. Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 22, 23 I, 12 I StGB zu Lasten des P (-), kein Vorsatz
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Ebenso ist vertretbar, das Anprüfen eines Tötungsdelikts wegen des offensichtlich fehlenden
Vorsatzes zu unterlassen.
II. Strafbarkeit gem. § 223 I StGB
L könnte sich durch das Festhalten des P gem. § 223 I StGB wegen Körperverletzung strafbar
gemacht haben.
1. Tatbestand
a) Objektiver Tatbestand
- Körperliche Misshandlung (+) – die Erheblichkeitsschwelle ist durch ein grobes und schmerzhaftes Zupacken überschritten
- Gesundheitsschädigung (-)
b) Subjektiver Tatbestand
- Mindestens dolus eventualis (+)
2. Rechtswidrigkeit
a) Nothilfe zu Gunsten des Ladeninhabers, § 32 StGB
aa) Nothilfelage
- Gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff auf ein nothilfefähiges Rechtsgut eines Dritten
Sollte man oben § 123 I Alt. 1 StGB bejaht haben, kann der damit verbundene Angriff auf das
Hausrecht des Berechtigten eine Nothilfe nicht begründen, da der Angriff mit Verlassen des Ladenbereichs beendet ist.
BGH: Bei Eigentumsdelikten liegt ein gegenwärtiger Angriff so lange vor, wie die begangene Tat
zwar vollendet, aber mangels Beutesicherung noch nicht beendet ist (+)
 Rechtswidrigkeit (+)
bb) Nothilfehandlung (+)
cc) Erforderlichkeit (+), da das Zupacken am Arm objektiv ex ante zur endgültigen Abwehr des
Angriffs grundsätzlich geeignet und gegenüber sonstigen u.U. zur Verfügung stehenden Mitteln
(Polizeigriff, Waffengewalt) eindeutig das mildeste Mittel ist.
dd) Gebotenheit (+)
Kein Ausschluss bzw. keine Einschränkung des Nothilferechts
ee) Subjektives Rechtfertigungselement
- Kenntnis der die Nothilfe begründenden Umstände (+)
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- Nothilfewille (+) – die Eigentumsverteidigung im Rahmen seiner ihm obliegenden Aufgabenerfüllung ist für L im Zeitpunkt des Zupackens noch maßgeblich.
 Nothilfe (+)
b) Jedermann-Festnahmerecht, § 127 I StPO
aa) Festnahmesituation des § 127 I 1 StPO
- Auf frischer Tat betroffen (+)
bb) Festnahmegrund
- Fluchtverdacht (+)
cc) Festnahmehandlung (+)
- Verhältnismäßige Handlung zur Ermöglichung der Strafverfolgung

BayObLG/OLG Stuttgart: Insbesondere das feste Zupacken, auch wenn es mit Schmerzen
verbunden ist, ist als körperliche Gewalt zur Festnahme zulässig
dd) Subjektives Rechtfertigungselement
- Kenntnis von den Umständen, die zur Festnahme berechtigen (+)
- Absicht der Zuführung zur Strafverfolgung (+)
 § 127 I 1 StPO (+)
Rechtswidrigkeit (-)
3. Ergebnis: § 223 I StGB (-)
Hinweis an die KorrektorInnen: Da eine gutachterliche Prüfung gefragt ist, kann von guten Bearbeitern erwartet werden, dass sie trotz Bejahung von § 32 noch zusätzlich auf § 127 I StPO eingehen.
III. Strafbarkeit gem. § 239 I Alt. 2 StGB
L könnte sich durch das Festhalten des P wegen Freiheitsberaubung nach § 239 I Alt. 2 StGB
strafbar gemacht haben.
P: Bestimmte Dauer der Freiheitsberaubung notwendig?

E.A.: Eine Bagatellgrenze ist nicht vorgesehen und zeitlich auch nicht bestimmbar

RG/hM: Die Freiheitsberaubung muss mindestens ein „Vaterunser“ lang sein.
15
 Streit kann offen bleiben, da jedenfalls eine Rechtswidrigkeit (auch der versuchten Freiheitsberaubung gem. §§ 239 I, II, 22, 23 I) wegen § 32 StGB und § 127 I 1 StPO ausscheidet.
IV. Strafbarkeit wegen Nötigung, § 240 StGB (-),
Auch hier liegt eine Rechtfertigung nach § 32 StGB, § 127 I 1 StPO vor.
V. Strafbarkeit gem. §§ 223, 224 I Nr. 2, Nr. 5 StGB
L könnte sich durch den Schuss und die dadurch hervorgerufene Wunde wegen gefährlicher
Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 Alt. 1, Nr. 5 StGB strafbar gemacht haben.
1. Tatbestand des Grunddelikts, § 223 (+)
2. Tatbestand der Qualifikation, § 224
a) § 224 I Nr. 2 Alt. 1 (+)
b) § 224 I Nr. 5
P: Abstrakte oder konkrete Lebensgefahr notwendig?

E.A.: Konkrete Gefahr notwendig, ansonsten Überdehnung des Anwendungsbereichs
Kritik: Auch andere Varianten des § 224 lassen abstrakte Gefahr genügen
 § 224 I Nr. 5 (-)

BGH: Die Körperverletzungshandlung muss nach den konkreten Umständen erfahrungsgemäß abstrakt geeignet sein, eine Lebensgefahr herbeizuführen.
 § 224 I Nr. 5 (-), da L ein geübter Schütze ist (konkreter Umstand), was selbst die
abstrakte Lebensgefährlichkeit in der konkreten Situation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließt (a. A. vertretbar).
c) Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz bzgl. § 224 I Nr. 2 (+)
3. Rechtswidrigkeit
a) Notwehr, § 32 StGB, wegen des Kinnhakens des P mangels Gegenwärtigkeit des Angriffs (-)
b) Nothilfe zu Gunsten des Ladeninhabers, § 32 StGB
aa) Nothilfelage
- Gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff auf ein nothilfefähiges Rechtsgut eines Dritten (+), s.o.
bb) Nothilfehandlung (+)
cc) Erforderlichkeit (+), da der Schuss aus der Waffe objektiv ex ante zur endgültigen Abwehr
des Angriffs grundsätzlich geeignet ist. Eine Güterabwägung findet nicht statt.
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
BGH: Beim Einsatz einer lebensgefährlichen Schusswaffe ist der Gebrauch, jedenfalls bei
einem unbewaffneten Angreifer, zunächst, wenn es ex ante bei Betrachtung der konkreten Kampflage zumutbar ist, anzudrohen.
Hier: L gibt für den P deutlich vernehmbar zunächst einen Warnruf und sodann einen
Warnschuss ab
dd) Gebotenheit
Die Gebotenheit der Verteidigungshandlung ist grundsätzlich dann zu verneinen, wenn von dem
Angegriffenen aus Rechtsgründen die Hinnahme der Rechtsgutsverletzung (Ausschluss des
Notwehr,- bzw. Nothilferechts) oder jedenfalls eine eingeschränkte und risikoärmere Verteidigung zu verlangen ist.
P: Krasses Missverhältnis bei Schusswaffeneinsatz gegen unbewaffneten Dieb?
(-) Es muss sich um evident bagatellhafte Angriffe handeln (Kirschbaumfall), so z.B. bei der Abwehr bloßen Unfugs. Grundsätzlich kann ein Ausschluss bei Notwehrmaßnahmen, die eine akute
Bedrohung von Leib und Leben darstellen, gegen einen mit geringer Beute fliehenden Dieb in
Betracht kommen. Hier flieht P jedoch mit einer Beute im Wert von € 500, weshalb eine absolute
Geringwertigkeit nicht vorliegt.
ee) Subjektives Rechtfertigungselement
- Kenntnis der die Nothilfe begründenden Umstände (+)
- Nothilfewille (-), da dem L im Zeitpunkt der Abgabe des Schusses die Eigentumssicherung zu
Gunsten des A völlig egal ist (nicht einmal gleichrangiges Nebenziel)
P: Verteidigungswille neben dem Kenntniselement überhaupt zu fordern?

E.A.: Entscheidend ist, ob der Täter in Kenntnis der Notwehrlage bzw. im Vertrauen auf
deren Vorliegen von dem ihm zustehenden Notwehrrecht in objektiv zulässiger Weise
Gebrauch macht. Der Nothelfer ist ohne Rücksicht auf seine Beweggründe gerechtfertigt,
da Motive allein niemals über die Frage der Rechtmäßigkeit entscheiden können, ihre
Berücksichtigung vielmehr die Grenze zur sittlichen Beurteilung überschreiten würde
 § 32 StGB (+)

BGH: Der Täter muss den Angriff und seine Rechtswidrigkeit erkennen und durch seine
Tat der Rechtsverletzung entgegentreten wollen.
Ob der Täter neben dem Zweck der Verteidigung noch andere Ziele verfolgt, ist ohne Bedeutung, wenn solche Motive das Element der Verteidigung nicht gänzlich in den Hintergrund drängen. Dies gilt auch dann, wenn neben der Abwehr auch Hass, Wut oder Streben nach Vergeltung eine Rolle spielen.
Kein Verteidigungswillen ist indes gegeben, wenn das Motiv des Abwehrens von Angriffen neben anderen Motiven (Rache) nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt
 Verteidigungswillen (-)
Wenn man dem BGH folgt:
17
P: Strafbarkeit des Nothelfers, dem der Verteidigungswille fehlt, wegen Versuchs oder Vollendung?

E.A.: Der „Verteidiger“ ist wegen vollendeter Tat zu bestrafen, da ein Teil des tatbestandsmäßigen Unrechts nicht ausreichend kompensiert wird.

A.A.: Es kommt nur eine Versuchsstrafbarkeit in Betracht. Mit dem Vorliegen der Rechtfertigungslage wird das vom Täter herbeigeführte Erfolgsunrecht in objektiver Hinsicht
kompensiert. Übrig bleibt das in seinem Vorsatz enthaltene Handlungsunrecht, das ohne
das Vorliegen des vollständigen subjektiven Rechtfertigungselements nicht ausgeglichen
werden kann. Die Konstellation entspricht daher derjenigen des Versuchs, weshalb die
Versuchsvorschriften in entsprechender Weise heranzuziehen sind.
 Strafbarkeit aus §§ 223 I, II, 224 I Nr. 2, 5, II i.V.m. 22, 23 I (entsprechend)
b) Jedermann-Festnahmerecht, § 127 I StPO

BGH: Das Drohen mit einer Schusswaffe bzw. die Abgabe von Warnschüssen können
über § 127 I 1 StPO gerechtfertigt sein, nicht jedoch das gezielte Schießen auf einen fliehenden Täter zum Zweck der Festnahme.
 § 127 I 1 StPO (-)
 Rechtswidrigkeit (+/-)
4. Schuld (+)
Ergebnis:
Var. 1: §§ 223, 224 I Nr. 2 Alt. 1, Nr. 5 StGB (-) wegen § 32 StGB
Var. 2: §§ 223, 224 I Nr. 2 Alt. 1, Nr. 5 StGB (+); Vollendungsstrafbarkeit bei fehlendem Verteidigungswillen
Var. 3: §§ 223 I, II, 224 I Nr. 2, 5, II i.V.m. 22, 23 I (entsprechend); Anwendung der Versuchsregelungen bei fehlenden Verteidigungswillen
VI. Strafbarkeit wegen Aussetzung, § 221 I Nr. 1 StGB (-)
Eine Strafbarkeit wegen Aussetzung, § 221 I Nr. 1 StGB wegen des Schusses auf P scheidet aus,
da nach hM und Rspr. die Hilflosigkeit der Lage das Fehlen rettungsgeeigneter sachlicher Faktoren oder grundsätzlich hilfsbereiter Personen voraussetzt. Davon kann bei einem Laden mit
Kundenverkehr ohne entsprechende Anhaltspunkte im Sachverhalt nicht ausgegangen werden.
Hinweis an die KorrektorInnen: § 221 muss nicht geprüft werden.
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B. Strafbarkeit des P
I. Strafbarkeit gem. §§ 252, 250 I Nr. 1 a Alt. 2 StGB
P könnte sich durch den Kinnhaken, die anschließende Flucht und das mitgeführte Küchenmesser gem. §§ 252, 250 I Nr. 1 a Alt. 2 StGB wegen schweren räuberischen Diebstahls strafbar gemacht haben.
1. Tatbestand des Grunddelikts, § 252
- Bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen (+) – Hier: Als taugliche Vortaten kommen sowohl § 242 (§ 244) bezüglich der Flasche ebenso wie §§ 242, 25 I Alt. 2 StGB an der Uhr in Betracht.
Wer bezüglich der Uhr einen Dreiecksbetrug angenommen hat, kann diesen nicht als Vortat i.S.v.
§ 252 heranziehen (Wortlautargument)!
- Gewalt gegen eine Person (+) – Kinnhaken
2. Tatbestand der Qualifikation, § 252 a.E. i.V.m. § 250 I Nr. 1 a Alt. 2
- Zum Streit um die Subsumtion des Küchenmessers unter den Begriff des gefährlichen Werkzeugs vgl. die Darstellung i.R.d. § 244 StGB.
§ 250 ist insofern inhaltlich mit § 244 deckungsgleich!
3. Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz (+)
- (Eigen-) Besitzerhaltungsabsicht (-) – P verpasst dem L den Kinnhaken nur, um möglichst
schnell entkommen zu können. Ihm kommt es überhaupt nicht, auch nicht in Form eines weiteren Motivs, im Zeitpunkt der Gewaltanwendung auf die Sicherung der Beute an.

Rspr.: Aus dem Umstand, dass der Täter die Beute nicht weggeworfen hat, kann nicht
ohne weiteres auf das Vorliegen einer Besitzerhaltungsabsicht geschlossen werden

BGH: Besitzerhaltungsabsicht (-), wenn der Täter lediglich die Feststellung seiner Person
verhindern will, um einen dadurch bedingten etwaigen späteren Verlust seiner Beute zu
vermeiden
 Subjektiver Tatbestand (-)
4. Ergebnis: §§ 252, 250 I Nr. 1 a Alt. 2 StGB (-)
II. Strafbarkeit gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 3 StGB
P könnte sich durch den Kinnhaken gegen L wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I,
224 I Nr. 2, 3 StGB strafbar gemacht haben.
1. Tatbestand
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a) Objektiver Tatbestand Grunddelikt, § 223 (+)
Jedenfalls eine körperliche Misshandlung ist zu bejahen. Bei der Frage des Eintritts einer Gesundheitsschädigung muss bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung davon ausgegangen werden,
dass bei einem „Niederstrecken“ durch den Schlag eine entsprechende Stauchung oder Prellung
des Kiefers o.ä. auftritt, weshalb das Hervorrufen eines pathologischen Zustands wohl zu bejahen ist (a.A. mit guter Begründung vertretbar)
b) Objektiver Tatbestand Qualifikation, § 224
aa) § 224 I Nr. 2 (+/-)
P: Faust als gefährliches Werkzeug?

E.A. (+): Keine Voraussetzung ist, dass es sich um eine körperfremde Sache handelt. Entscheidend ist der über § 223 hinausgehende Grad der Gefährlichkeit
Kritik: Der allgemeine Sprachgebrauch versteht unter einem Werkzeug einen körperfremden Gegenstand

H.M. (-): Wegen des Wortlauts nur körperfremde Gegenstände
bb) § 224 I Nr. 3 (-)

St. Rspr: Das bloße Ausnutzen des Überraschungsmoments genügt nicht für die Hinterlist, der ein planendes Element innewohnt
2. Rechtswidrigkeit
- Notwehr, § 32 StGB wegen des Zupackens durch L
(-), da der L beim Zupacken selbst durch die §§ 32 StGB, 127 I 1 StPO gerechtfertigt ist und daher
kein rechtswidriger Angriff vorliegt.
3. Schuld (+)
4. Ergebnis: § 223 I (+)
Ergebnis und Konkurrenzen 1. bis 3. Tatkomplex
1. Strafbarkeit des P
§ 244 (sofern bejaht) verdrängt aufgrund von Spezialität die §§ 242, 243 sowie aufgrund von
Subsidiarität § 246 (erste Zueignungshandlung). § 246 (wiederholte Zueignung), sofern man der
Konkurrenzlösung gefolgt ist, und § 263 (Forderungsbetrug) treten als mitbestrafte Nachtaten
zurück. Bezüglich § 244 und § 123 ist Tateinheit, § 52, anzunehmen.
Dazu kommen jeweils gem. § 53 in Tatmehrheit § 242, 25 I 2. Alt. und § 223.
2. Strafbarkeit des L
Strafbarkeit gem. §§ 223 I, II, 224 I Nr. 2, 5, II i.V.m. 22, 23 I
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4. Tatkomplex: Der Ratschlag des F
Strafbarkeit des F
I. Strafbarkeit gem. §§ 242 I, 26 StGB
Eine Strafbarkeit wegen Anstiftung zum Diebstahl gem. §§ 242 I, 26 StGB scheidet aus, da P zu
dieser Tat bereits entschlossen war (omnimodo facturus)
Die Prüfung des folgenden Problems der „Aufstiftung“ ergibt sich nur dann, wenn im Rahmen
des ersten Tatkomplexes § 244 bejaht wurde.
II. Strafbarkeit gem. §§ 242, 244 I Nr. 1 a Alt. 2, 26 StGB
F könnte sich durch den Hinweis an den P, ein Küchenmesser zum geplanten Diebstahl mitzunehmen, wegen Anstiftung zum schweren Diebstahl gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 1 a Alt. 2, 26 StGB
strafbar gemacht haben.
1. Tatbestand
a) Objektiver Tatbestand
aa) Vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat (+)
bb) Bestimmen = Hervorrufen des Tatentschlusses
P: Wie wirkt es sich aus, dass P zur Begehung des Grunddelikts bereits fest entschlossen
war?

H.M./BGH: Fälle der sog. „Aufstiftung“ sind Fälle der Anstiftung zur Gesamttatbegehung.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Qualifikation gegenüber dem Grunddelikt einen eigenständigen Unrechtsgehalt aufweist. Des Weiteren spricht die mangelnde Teilbarkeit
der nunmehr verwirklichten Tat für eine Einordnung unter § 26 StGB.
Arg.: Ansonsten könnte die Tatsache, dass der Anstifter zumindest einen wesentlichen
Teil des Unrechts hervorruft, nicht adäquat erfasst werden. Dass er nur einen Teil des
Unrechts hervorruft, kann dann innerhalb der Strafzumessung berücksichtigt werden.
Hier (+): Erst das Beisichführen des Messers verwirklicht den Qualifikationstatbestand des
§ 244, der – wie anhand des Strafrahmens ersichtlich ist – vom Gesetzgeber als wesentliche
Unrechtssteigerung aufgefasst wird

A.A.: Es können nur solche Fälle als „Aufstiftung“ eingestuft werden, bei denen die Tatsteigerungen einem selbstständigen Straftatbestand unterfallen (analytisches Trennungsprinzip).
Arg.: Andernfalls würde man den Anstifter in unbilliger Weise für das gesamte Unrecht
der Haupttat verantwortlich machen. Strafbarkeitslücken entstehen nicht, weil der An21
stifter des omnimodo facturus u. U. zumindest wegen psychischer Beihilfe bestraft werden kann.
Hier (-): Das bloße Beisichführen des Messers ist nicht eigenständig unter Strafe gestellt. Es
handelt sich insbesondere um keine Waffe, deren Besitz nicht erlaubt ist.
Fall hM/BGH gefolgt wird:
2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz bzgl. konkretisierter Haupttat (+)
b) Vorsatz bzgl. Anstiftungshandlung (+)
4. Rechtswidrigkeit (+)
5. Schuld (+)
6. Ergebnis: §§ 242 I, 244 I Nr. 1 a Alt. 2, 26 StGB (+/-)
II. Strafbarkeit gem. §§ 242, 244 I Nr. 1 a Alt. 2, 27 StGB
F könnte sich durch dieselbe Handlung wegen psychischer Beihilfe zum schweren Diebstahl
gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 1 a Alt. 2, 27 I StGB strafbar gemacht haben.
1. Tatbestand
a) Objektiver Tatbestand
aa) Vorsätzliche rechtswidrige Haupttat (+)
bb) Hilfeleisten = Fördern der Haupttat
Hier liegt nicht nur eine bloße Bestärkung des Tatentschlusses vor, die nach hM für eine psychische Beihilfe genügen würde, sondern eine Erweiterung des Tatentschlusses im Hinblick auf die
qualifizierte Begehung des Diebstahls. Darin ist eine Solidarisierung mit dem Haupttäter zu sehen. Das grundsätzlich umstrittene Erfordernis, ob der Gehilfenbeitrag kausal sein muss (e.A.)
oder ob ein bloßer Förderungszusammenhang in Form der nicht evidenten Ungeeignetheit
(Rspr.) genügt, kann vorliegend dahinstehen, da eine Kausalität gegeben ist.
 Hilfeleisten (+)
b) Subjektiver Tatbestand
aa) Vorsatz bzgl. Haupttat
Jedenfalls dolus eventualis hinsichtlich des wesentlichen Unrechtsgehaltes der Tat (+)
bb) Vorsatz bzgl. Gehilfenhandlung (+)
2. Rechtswidrigkeit (+)
3. Schuld (+)
4. Ergebnis: §§ 242 I, 244 I Nr. 1 a Alt. 2, 27 I StGB (+)
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Hinweis an die KorrektorInnen: wird oben die Anstiftung zu § 244 vertretbar bejaht, ist die Prüfung
der psychischen Beihilfe entbehrlich, da sie im Vergleich zur Anstiftung „Auffangcharakter“ hat und
daher jedenfalls auf Konkurrenzebene verdrängt würde.
Die Prüfung einer eventuellen Strafbarkeit des F gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 1 a Alt. 2, 30 I Alt. 1, 12 I
StGB wegen versuchter Anstiftung zum schweren Diebstahl käme zum einen dann in Betracht,
wenn man bereits im ersten Tatkomplex vertretbar § 244 abgelehnt oder wenn man mit der
Mindermeinung die Möglichkeit einer „Aufstiftung“ zur Qualifikation verneint hat. Sie scheitert
allerdings bereits daran, dass § 244 im Mindestmaß lediglich eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten
androht und daher einen Vergehenstatbestand i.S.v. § 12 II StGB darstellt, der von § 30 I Alt. 1
nicht erfasst wird.
IV. Strafbarkeit des F gem. §§ 212 I, 30 Alt. 1, 12 StGB (-)
Eine Strafbarkeit des F wegen versuchter Anstiftung zum Totschlag gem. §§ 212 I, 30 I Alt. 1, 12 I
StGB durch den Ratschlag, sich mit dem Messer bei Entdeckung zu wehren, scheidet mangels
hinreichend konkreten Vorsatzes des F im Hinblick auf eine Tötung durch P aus (hier kann ergänzend die Hemmschwellentheorie angeführt werden).
V. Strafbarkeit gem. §§ 252, 250 I Nr. 1a Alt. 2, 30 I Alt. 1, 12 I StGB
F könnte sich aber gem. §§ 252, 250 I Nr. 1 a Alt. 2, 30 I Alt. 1, 12 I StGB wegen versuchter Anstiftung zum schweren räuberischen Diebstahl strafbar gemacht haben.
1. Vorprüfung
a) Keine vollendete Anstiftung (+) – P will das Messer unter keinen Umständen gegen Personen
einsetzen und tut dies auch nicht (Fehlschlag)
b) Strafbarkeit der versuchten Anstiftung – schwerer räuberischer Diebstahl als Verbrechen
i.S.v. § 12 I StGB (+)
2. Tatbestand
a) Tatentschluss
- Vorsatz, beim Haupttäter den Entschluss zur Begehung eines schweren räuberischen Diebstahls hervorzurufen (+/-)
Hier dürfte wohl beides vertretbar sein.
Einerseits kann angeführt werden, dass der Ratschlag „sich zur Not bei Entdeckung wehren zu
können“, im Kontext steht mit der Beutesicherung. Zu diesem Zwecke soll ggf. das Messer (Gewaltanwendung) eingesetzt werden. Daher ist die Annahme mindestens bedingten Vorsatzes
bezüglich des Vorliegens einer Beutesicherungsabsicht bei P vertretbar.
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Andererseits kann auch darauf abgestellt werden, dass das Einsetzen des Messers aus Sicht des
F alleine der Ermöglichung der Flucht, dem Entzug vor dem Polizeizugriff und vor der Strafverfolgung dienen sollte. Die Sicherung der Beute könnte dem F daneben völlig egal gewesen sein.
 Tatentschluss (+/-)
Bei Bejahung des Tatentschlusses:
b) Anfang der Ausführung / unmittelbares Ansetzen zur Anstiftung (+)
3. Rechtswidrigkeit (+)
4. Schuld (+)
Ergebnis: §§ 252, 250 I Nr. 1 a Alt. 2, 30 I Alt. 1, 12 I StGB (+/-)
Ergebnis 4. Tatkomplex, Strafbarkeit des F:
§§ 242 I, 244 I Nr. 1 a Alt. 2, 26 I StGB (falls bejaht, ansonsten psychische Beihilfe), §§ 252, 250 I
Nr. 1 a Alt. 2, 30 I Alt. 1, 12 I StGB (falls bejaht), § 52 StGB.
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