Der Hunger im Sahel, die fast alltägliche Wirklichkeit

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Der Hunger im Sahel, die fast alltägliche Wirklichkeit
August
2 0 01
N r. 16 0
Hilfswerk für die Sahelzone
Der Hunger
im Sahel,
die fast alltägliche
Wirklichkeit
In dieser Ausgabe
✦ Periode zwischen den
Ernten, ein hohler Bauch
✦ Die Kinder, Opfer des
Hungers
✦ Die Ernährungszentren,
eine Antwort auf die
Unterernährung
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Inhalt
Editorial:
Der Wohlgeruch der Ferien
Die Zeit bis zur nächsten Ernte, eine
sehr harte Jahreszeit (Seite 3)
D
ie Sonne ist zurückgekehrt. Auf den
Balkonen und Terrassen
erscheinen wieder Sonnenschirme und Badeanzüge; die
Sonnenschutzcrème und die
blühenden Bäume duften gut.
Am Abend kitzeln die Räuchlein
der Grilladen unsere Nasen und
Gaumen. Es riecht wirklich
nach «Ferien». Plötzlich bereitet
man sich schon weit im Voraus
vor: man durchstöbert die
Angebote der Reisebüros und
träumt von den einen oder
anderen exotischen Reisezielen.
Weit weg fahren, sicher, aber
einige Kriterien müssen zu
einem vernünftigen Preis erfüllt
sein: das Hotel muss komfortabel sein, das Essen angenehm,
denn man ist ja nicht von so
weit hergereist, um krank zu
werden! Trotzdem ist auf der
Kehrseite des Traumes die
Wirklichkeit oft ganz anders, sei
es auf den Karibischen Inseln, in
Afrika oder Asien. Die Besuchten
haben oft keine Möglichkeit zu
einem Tapetenwechsel. Einige
leben irgendwie, versuchen so
gut es geht zurecht zu kommen
um ihre Familie zu ernähren,
weil ihre Arbeit oft schlecht
Die Unterernährung bekämpfen,
eine dauernde Herausforderung
(Seite 5)
entlohnt und mühsam ist. Zu
den prekären Lebensbedingungen hinzu kommt noch das
Riesenproblem der Unterernährung hinzu, speziell aktuell in
einigen afrikanischen Ländern.
Denn parallel zu den herrlichen
Safaris in Kenya, zum Tauchen
auf Sansibar und zu den Trecks
mit einem 4x 4 durch die Dünen
der Sahara sind im Tschad ein
Viertel der Bevölkerung und in
Burkina Faso ein Zehntel von
einer Hungersnot bedroht.
Niemand hat gern, sich vom
Leiden der anderen erschüttern
zu lassen, vor allem nicht in den
Ferien, diesem so sehr erwarteten Moment zum Abschalten der Alltagssorgen. Im Blick
auf das türkisblaue Wasser, auf
ein üppiges Buffet sind die
Touristen gekommen, um von
ihrem Traum zu profitieren und
HILFSWERK FÜR DIE SAHELZONE
En Reutet 1868 Collombey-le-Grand
Tel. 024 / 472.80.70 Fax 024 / 472.80.93
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nicht, um sich traurig stimmen
zu lassen von den Nöten in
einem Land, in welchem sie sich
nur vorübergehend aufhalten.
Einige haben ein gutes Gewissen, denn sie sagen sich, sie
unterstützen die Wirtschaft des
Landes, bevor sie sich erneut in
einen Sommerroman vertiefen.
Andere unternehmen einen
Ausflug, riskieren, sich für das
andere Gesicht ihres Ferienortes
zu interessieren. Nicht notwendigerweise mit dem Gedanken
Wohltäter zu spielen, sondern
einfach um sich zu informieren
und eine Geste der Solidarität
zu machen: in Burkina Faso
reichen CHF 30.– monatlich
während eines Jahres aus, um
ein unterernährtes Kind zu
retten.
Das Morija-Team
Ziel : Ziel ist die Hilfeleistung an die am
stärksten Benachteiligten in Afrika,
besonders in der Sahelzone. Die Hilfe
wird unabhängig von Rasse oder
Religion geleistet.
Sitz : Collombey-le-Grand (VS)
Revisoren : Treuhandbüro
R. Künzlé SA – Monthey
Redaktion : L’Avènement
Romanel-sur-Lausanne
Graphik : Zion Design
Druck : Jordi AG
Papier : chlorfrei und umweltfreundlich
Das Hilfswerk Morija
wurde 1979 gegründet
und ist ein Verein ohne
Gewinnabsichten gemäss
§ 60 ff. des ZGB
Damit sie leben –
Monatliche Zeitschrift
des Hilfswerkes Morija
Abonnement: CHF 25.–.
Alassane’s Geschichte (Seite 7)
Wenn Sie mehr über Morija,
seine Projekte und die
Aktualitäten des Vereins
wissen möchten, dann
können Sie unsere neue
Homepage besuchen:
www.morija.org
Der Preis des Jahresabonnements (25 CHF)
stellt ein Minimum dar.
Es versteht sich von
selbst, dass jede zusätzliche Spende willkommen
ist. Der Entscheid liegt
bei Ihnen! Zum Voraus
besten Dank für Ihre
Grosszügigkeit.
Die Zeit bis zur nächsten Ernte,
eine sehr harte Jahreszeit
In der Region Kaya mit dem
Übernamen «Türe des Sahels»
beginnt die Regenzeit im Allgemeinen im Juni und endet
im September. Damit ist der
Monat Oktober der Erntemonat, wenn Frau Natur ihr
Spiel richtig spielt.
Im Juni säen die Landwirte und
entfernen das Unkraut bis im
August, der der regenreichste
Monat ist. Die Zeit bis zur
nächsten Ernte dauert also von
der Aussaat bis zu den ersten
Erntemöglichkeiten. Sehr oft
haben die Landwirte nicht
genug Getreide um sich zu
versorgen und die Felder zu
bestellen. Und sobald die ersten
Pflanzen sprossen, ernähren sie
sich davon. Gerade während
der Zeit bis zur nächsten Ernte
ist die grösste Anstrengung
nötig um die Felder
umzugraben und gerade
während dieser Zeit herrscht
der dramatischste Nahrungsmangel. Oft verzögert sich der
Regen oder er stellt sich gar
nicht ein, was die Bauern dazu
zwingt geduldig zu säen und
erneut zu säen.
Dieses Jahr begann die Zeit bis
zur nächsten Ernte bereits im
April, weil die Ernten im
letzten Jahr so schlecht waren.
Die Verhältnisse sind in diesem
Jahr 2001 entscheidend, weil
die Ernte 2000 in Burkina Faso
so katastrophal war, dass
landesweit 442 000 Tonnen
Getreide fehlen. Auf einigen
Feldern konnte man nicht
einmal eine einzige Ähre Hirse
ernten. Der Staat, die NGO’s,
Privatpersonen, alle lassen ein
SOS für die am meisten
betroffenen Völker, zu denen
auch Kaya gehört, ertönen.
Dank Ihrer Hilfe kann das HZW
Morija während dieser Zeit bis
zur nächsten Ernte 9 Tonnen
Hirse, das sind 16 200
Personenportionen, an die
Bedürftigsten verteilen. Das
mag gering erscheinen, aber
dies rettet Leben: während
dieser Zeit begnügt sich die
Mehrheit der Bevölkerung mit
einer Mahlzeit pro Tag.
Auf einigen Feldern
konnte man nicht
einmal eine einzige
Ähre Hirse ernten.
Ein ungewöhnlicher Tag im HZW von Kaya
Vor dem HZW hat es viele Menschen
Der April, der Monat der
grossen Hitze, hat sich angekündigt. Nach einer solchen
warmen Nacht wird das HZW
frühmorgens von einer
Menschenflut überschwemmt,
wobei Frauen und Kinder
zahlreicher als Männer sind.
Es ist kein Tag der Verteilung,
aber der Hunger quält sie.
Einige Frauen nützen noch
das Licht des Sonnenaufgan-
ges aus, um in die Stadt zu
gehen mit einem Bündel Holz
oder einem Heuballen, die sie
zu verkaufen versuchen.
Einige ziehen umher, um ihre
Dienste als Haushalthilfen
anzubieten. Es ist 9 Uhr.
Während ich diese Zeilen
schreibe, höre ich die gleiche
Litanei: «ray-raado» (Kauft
Holz); «Ray-yamdo» (Kauft
Heu): und dies bis ein
Abnehmer gefunden ist. Jeden
Tag wiederholt sich dieselbe
Geschichte. Erschüttert durch
diese dramatische Situation
haben wir fast eine Tonne
Hirse hervorgeholt, um sie an
die 124 anwesenden Personen
zu verteilen. Alle erwiderten:
«wênna yao» (Vergelt’s Gott).
Guétaouendé Sawadogo,
Burkina Faso
Der Nahrungsmangel während der Zeit bis zur nächsten Ernte am AEZ von Nobéré (Burkina Faso)
Die Landwirte verbrauchen
während dieser Zeit viel Energie und arbeiten oft 10 bis 12
Stunden täglich auf den
Feldern. Aber sie haben für
die Erneuerung ihrer Kräfte
keine genügende Nahrungsaufnahme. Die für die Gesundheit schädlichen Folgen
machen sich speziell bei den
Frauen und Kindern stark
bemerkbar. Der Nahrungsmangel bewirkt bei einigen
Frauen Hypogalaxien (Milchmangel), die bei den Säuglingen schreckliches Leiden verursachen. Der gleiche Mangel
verursacht wegen des Eiweissund Kalorienmangels beim
Kind pathologische Erscheinungen: es ist die EiweissKalorien-Unterernährung.
Zwei Situationen können sich
zeigen: wenn die Ernährung
generell kalorienarm ist, führt
sie zum Marasmus, der durch
ein geringes Wachstum, den
Verlust des Fettgewebes, von
einer extremen Abmagerung
gekennzeichnet ist; wenn die
Tagesportion ausreichende
Kalorien zuführt, aber
eiweissarm ist, führt dies zum
Kwashiorkor, eine Erkrankung, die durch Wachstumsrückstand und Ödeme gekennzeichnet ist. Wir treffen
in unserem Zentrum beide an,
wobei die erste häufiger
auftritt.
Die akutesten Fälle dieser
Formen von Unterernährung
zeigen sich während der Zeit
3
bis zur nächsten Ernte,
Die akutesten Fälle
dieser Formen von
Unterernährung zeigen
sich während der Zeit
bis zur nächsten Ernte,
weil zum
Nahrungsmangel noch
der Zeitmangel der
Eltern hinzukommt.
weil zum Nahrungsmangel
noch der Zeitmangel der Eltern hinzukommt; viele von
ihnen bevorzugen nämlich,
die landwirtschaftlichen Arbeiten zu erledigen als sich
um die Ernährung und Gesundheit ihrer Nachkommen
zu kümmern. Wir nehmen
also schon schwer betroffene
Kinder auf. Die meisten leiden
an Anämie, ein sehr kritischer
Zustand für ganz junge
Kinder. Die Folge davon ist,
dass die Sterberate während
dieser Zeit eine der höchsten
des Jahres ist.
Unser Aufnahme- und Ernährungszentrum (AEZ) nimmt
im besten Falle unterernährte
Kinder im Alter von 4 Mona-
ten bis 5 Jahren für 2 bis
3 Wochen auf, sowie Waisenkinder und Säuglinge, deren
Mütter keine Milch mehr
haben. Der Aufenthalt kann
bis zu 2 Monate dauern.
Unsere Unterstützung im AEZ
besteht aus folgenden Tätigkeiten: Pflege (Medikamente
gratis); Organisation der Nahrungsaufnahme mit einer angepassten Nahrung; Erziehung der Mutter oder Amme
auf verschiedenen Gebieten
wie ausgewogene Ernährung
der stillenden oder schwangeren Frau, das Abstillen des
Kindes, die Impfung, die Körperhygiene usw.; Abgabe von
Lebensmitteln an Kinder, die
für die monatliche Kontrolle
Bilgo, fünf Jahre alt: er starb fünf Stunden nach
seiner Ankunft im AEZ von Nobéré
ins Zentrum kommen sowie
an die Bedürftigsten (Waisen,
Behinderte).
Bei den Kindern des Mutter/
Kind-Schutz-Zentrums (MKS)
ist das Problem Mangel an
Muttermilch (Zwillinge,
Drillinge, Waisenkinder). Die
Milch für Säuglinge ist für die
Mehrheit der Familien unerschwinglich, wir geben sie gegen eine bescheidene Kostenbeteiligung ab. Die Ergänzung
ihrer Nahrung liefert die Pulvermilch, die von der schweizerischen Eidgenossenschaft
geschenkt wurde und gratis
an die Mütter abgegeben wird.
Gédéon Kaboré
AEZ von Nobéré
Ein Waisenmädchen ist zufrieden mit einem Teller
Mais
Warum hatte das Kind einen so grossen Bauch?
4
Aufgrund der Veröffentlichung
eines Fotos auf der Seite 11 in
unserer Zeitung 158 wurde uns
folgende Frage gestellt:
«Warum haben die Kinder so
grosse Bäuche?» Diese Erscheinung hat verschiedene Ursachen: erstens haben die Kinder
oft Parasiten und Würmer und
zweitens verdauen unterernährte Kinder schlecht. In
den Zentren von Morija werden
sie gegen Parasiten und
Würmer behandelt. Ausserdem
ist, damit alles wieder gut
funktioniert, zur Genesung
und Wiederanpassung an die
Nahrung auch eine Weiterbehandlung erforderlich. Aber
trotz allem behalten sie einen
etwas grösseren Bauch als die
Kleinkinder bei uns.
Die Unterernährung bekämpfen,
eine dauernde Herausforderung
Die ErnährungsZentren von Morija:
AEZ; MKS oder MKG
In den sechziger bis achziger
Jahren gab es in der Sahara
aufeinander folgende Dürren.
Die Ernten waren sehr schlecht
und ein grosser Teil des Viehs
wurde dezimiert. Innerhalb von
zwanzig Jahren vergrösserte
sich die Sahara um 600 000 km2.
In den neunziger Jahren fiel
der Regen reichlicher und man
dachte, dass sich die Bedingungen verbessern würden.
Aber im Jahre 2000 wurden alle
Hoffnungen zerstört. Im Tschad
ist nahezu ein Viertel der Bevölkerung von einer Hungersnot bedroht, in Burkina Faso
ein Zehntel. Der Kampf gegen
die Unterernährung im Sahel
ist also dringender denn je.
Die Unterernährung beeinträchtigt die physische und
geistige Entwicklung; sie vermindert die Resistenz gegen
Krankheiten, tötet, verstümmelt und behindert. Mehr als
ein Medikament bleibt eine
gesunde und regelmässige
Nahrung das Pfand für eine
gute Gesundheit.
Man schätzt die Zahl der unterernährten Kinder unter 5 Jahren weltweit auf 174 Millionen
und auf 230 Millionen diejenigen mit einem Wachstumsrückstand. 54% der Kindersterblichkeit in den Entwicklungsländern stehen in einem
Zusammenhang mit der Unterernährung. Denn ein unterernährtes Kind besitzt eine
reduzierte Widerstandskraft
gegen Krankheiten (Durchfall,
Masern, Starrkrampf, Keuchhusten, Infektionen der Atemwege); es isst weniger und
Ein Kind des AEZ von Ouagadougou
verbraucht einen guten Teil
seiner Reserven. Wenn nicht
energisch eingegriffen wird,
entwickelt sich aus Unterernährung und Infektion eine
Spirale, die sehr schnell zum
Tod führen kann.
Jede Region oder jedes Land
besitzt für eine ähnliche Arbeit
sein Ernährungszentrum: AEZ
(Aufnahme- und ErnährungsZentrum); MKS (Mutter/KindSchutz-Zentrum; MKG (Mutter/Kind-Gesundheits-Zentrum).
Wen nehmen wir auf?
Unterernährte Kinder von unter 6 Monaten bis zu 4 Jahren.
Die meisten leiden an Marasmus, Kwashiorkor oder sind
von Krankheiten wie Parasitosen, Lungenerkrankungen,
akuten Durchfällen oder Malaria geschwächt. Wir nehmen
auch Neugeborene und Säuglinge, denen Muttermilch fehlt,
und sehr kleine Säuglinge
(unter 1,5 kg), die zu früh geboren wurden oder häufiger als
Folge von Wachstumsrückständen im Mutterleib.
Eine Mutter mit ihrem Kind im MKS von Koumra
Wie helfen wir ihnen? Indem
wir die Kinder entsprechend
behandeln, aber auch indem
wir die Begleitperson (Mutter
oder andere Frau) instruieren.
Der Unterricht besteht aus
Fragen und Antworten, damit
die Frauen, die meistens Analphabeten sind, den Unterricht
besser behalten. Das Kind verlässt das Zentrum nicht, bevor
es in bester Form ist und seine
Begleiterin genügend befähigt
ist, sich seiner anzunehmen.
Eine Kontrolluntersuchung,
genannt «die grosse Wägung»
wird jeden Monat organisiert.
Bei dieser Gelegenheit kommen die Kinder ins Zentrum
zurück, um gewogen, gemessen, untersucht und wenn
nötig, geimpft zu werden. Die
Ergebnisse werden in ihrem
Gesundheitsheft aufgeschrieben. Dies ermöglicht es, jedes
Kind regelmässig zu begleiten.
Diejenigen, die es nötig haben,
erhalten ebenfalls einen weiteren Milchvorrat oder Medikamente.
Mehr als ein Medikament bleibt eine gesunde und regelmässige
Nahrung das Pfand für
eine gute Gesundheit.
5
Im Tschad machen sich die Auswirkungen der Hungersnot seit
Januar bemerkbar
Die Tschader gehen
sogar so weit, Termitenbauten auszugraben,
um sich ein bisschen
Nahrung zu beschaffen.
In Abéché beginnt die neue
Ernte im Laufe des Monats
Oktober. Je nach der Regenmenge reichen die Vorräte bis
Ende Juni, anfangs Juli. Die
Folgen für die Bevölkerung
sind klar: im besten Fall sind
drei Sommer-Monate zu überbrücken, im schlimmsten Falle
sind es sechs Monate oder
mehr. Während dieser Zeit
erhalten wir mehr und mehr
Unterernährte. Wir begegnen
ebenfalls viel mehr Frauen mit
Stillproblemen.
Dieses Jahr haben wir wegen
der schlimmen Regenzeit 2000
die Auswirkungen der Hungersnot seit Januar gespürt.
Die seltenen Pflanzer, die eine
Eine alte Frau, die im MKG von Abéché ein Kleinkind pflegt
nicht allzu katastrophale Ernte
einbringen konnten, sahen
ihre Arbeit durch Heuschrecken, Termiten und Vögel zunichte gemacht.
Der Preis der Hirse verfünffachte sich. Wir hofften, dass
die Verteilung von Sorgho und
Hirse durch verschiedene
NGO’s zu einer Preissenkung
führen würde, aber dies war
nicht der Fall. Ausserdem
findet man kaum mehr Hirse
zu kaufen. Die gesamte Bevölkerung ist von der Hungersnot
betroffen und die Leute begreifen nicht, dass nur einige (die
Ärmsten, die Unterernährten,
die Kranken) Hilfe erhalten.
Leider hat es nicht genügend
Hirse, um alle Bedürfnisse zu
stillen und man muss eine
sehr frustrierende Auswahl
vornehmen. Die Anwesenheit
der Hungersnot ist wirklich
Realität. Die Tschader gehen
sogar so weit, Termitenbauten
auszugraben, um sich ein
bisschen Nahrung zu beschaffen. Die Stadt Abéché
kam nur sehr wenig in den
Genuss der Hilfe der Präfektur,
weil die Hilfe in erster Linie
auf dem Land erbracht wurde,
wo zudem einzelne Dörfer
gegenüber anderen benachteiligt wurden.
Agathe Burrus und Doris Lotz
MKG von Abéché.
Grosse Hirseverteilung im MKG von Abéché
Die 4 Ernährungs-Zentren, die von Morija finanziert werden
6
AEZ und MKS von Nobéré
in Burkina Faso, in einem
Dorf 100 km von der Hauptstadt Ouagadougou entfernt.
AEZ von Ouagadougou.
Nur Unterernährte werden
aufgenommen. Ein benachbartes Waisenhaus hilft
mutterlosen Neugeborenen.
MKS von Koumra, im Süden von Tschad. Die Traditionen sind noch stark, und
wenige junge Frauen sind
einverstanden, sich eines
Waisenkindes anzunehmen
aus Angst, steril zu werden.
Deshalb kümmern sich alte
Frauen um die Säuglinge.
Bevor sie mit dem Kind in
ihre Dörfer abreisen, bleiben
sie in der Regel ein Jahr im
Zentrum, bis das Kind die
Nahrung der Erwachsenen
essen kann.
MKG von Abéché, im östlichzentralen Teil des Tschad.
Es liegt in einer HalbwüstenGegend und deckt einen
Aktionsradius von 150 km ab.
Die weit entfernten Familien
können oft das Kind nicht
jeden Monat in die Stadt
bringen. Deshalb besuchen
die Krankenschwestern die
Waisen zwei bis drei Mal im
Jahr, um sie zu kontrollieren
und sie erneut mit Milch zu
versorgen. Zudem wird für
die Geburtshelferinnen
Ausbildung organisiert, die
erlaubt, die Mortalitätsrate
der Wöchnerinnen zu senken.
Alassane’s Geschichte
Alassane zwei Wochen nach seiner Ankunft im AEZ
Fast zweijährig, sechs Kilogramm, brandmager, Mund und
Lippen blutig, Gesicht ausgemergelt und eckig, zwei Augen
für das Leben in einem vom Tod
gezeichneten Körper, so begegnen wir Alassane an einem glühendheissen Tag in Juni 2000.
Obwohl wir an diesen Anblick
von zum Skelett abgemagerten
Kindern gewohnt sind, zwang
uns Alassane’s Zustand ein
schweres Schweigen auf. Wir
lassen den Eltern nur geringe
Hoffnung mit einem lapidaren:
«Wir werden versuchen.» Das
Escheinungsbild von Aids im
Endstadium lässt uns keine
Illusion und entmutigt uns zum
vornherein.
Nach einer Woche stärkstem
Einsatz von Antibiotika, einer
progressiven, dann intensiven
Wiederernährung nimmt
Alassane kein einziges Gramm
zu. Gar nicht so erstaunlich, in
Anbetracht dessen, was wir befürchten. Noch viel überraschender aber war, dass nach einer
Woche Alassane immer noch
lebte!
Nach zwei Wochen im AEZ zeigt
die Waage immer noch dasselbe
Gewicht. Aber dieses Mal macht
die Skepsis einer winzigen
Hoffnung Platz, denn Alassane
hatte keine dieser Durchfälle, die
für HIV im Endstadium typisch
sind. Dieser rettende Auslöser
setzt eine verrückte Hoffnung
frei: wenn es nicht Aids ist,
sondern eine Tuberkulose? Die
Hoffnung gibt die nötige Energie, um der Mutter einen Erkennungstest vorzuschlagen. Der
Test ist negativ. Die Aufregung
erreicht ihren Höhepunkt, weil
wir wissen, dass es jetzt mindestens eine Chance gibt, Alassane zu retten. Schnell eine
Röntgenaufnahme, die wenig
bringt; schnell eine Konsultation
im Nationalen Zentrum gegen
die Tuberkulose. Eher aus der
Verzweiflung heraus als wegen
klaren klinischen Tatsachen
beginnt der Arzt eine Behandlung gegen die Tuberkulose.
So sind wir nun 2 Wochen nach
seinem verzweifelten und entmutigenden Eintritt ins AEZ alle
angsterfüllt, kleben an der Waage
und am Temperaturblatt, die
beide allein die Richtigkeit
unserer Diagnose anzeigen
werden. Die Antwort brauchte
etwa zehn Tage, aber ab dann
beginnt die wunderbare
Metamorphose von Alassane: die
Waage zeigt nun auf die gute
Alassane acht Monate später
Seite, die Ecken runden sich, die
Nachmittagsfieber verschwinden
und Alassane will sitzen, essen,
vor allem Joghurt, hat Zornesausbrüche, die ziemlich charakteristisch für Kinder sind, die von
sehr weit herkommen. Er lebt,
man sieht es, und man hört es.
Acht Monate nach seiner Entlassung aus dem AEZ ist Alassane
ein kleiner, vollständig normaler
Knabe von 13 kg geworden, der
von seiner Krankheit ein
unstillbares Verlangen nach den
Milchprodukten von Morija hat,
von welchen er jeden Monat
erhält.
Fast zweijährig,
sechs Kilogramm,
brandmager, Mund
und Lippen blutig,
so begegnen wir
Alassane an einem
glühendheissen Tag
in Juni 2000.
Gisèle Bellamy, AEZ von
Ouagadougou (Burkina Faso).
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Ein Abend
im MKS
von Koumra
Eine von den beiden hält ein
kleines Häufchen mit einem
Lendenschurz in den Armen . . .
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ch habe Abenddienst. Wie
bei jedem Besuch schaue
ich die hospitalisierten
Kinder an, um zu wissen, wer
eine Rehydratation, wer eine
Überwachung der Temperatur
oder wer für die Nacht eine
andere Pflege braucht. Diesen
Abend fühle ich mich müde. Am
wöchentlichen Tag der «Vorsorgeuntersuchung der Kinder»
hatten wir 70 Kinder zu wägen,
zu impfen, zu beraten. Es ist
heiss, die Gewitter umkreisen
Koumra, ohne dass ein Tropfen
Regen fällt. Ich sehne mich an
diesem Abend nach einem Feldbett unter einem Ventilator unter freiem Himmel. Da kommen
zwei Frauen an. Besuchen sie
wohl ein hospitalisiertes Kind
oder ist es... ein «Fall»? Die
eine hält eine kleines Häufchen
mit einem Lendenschurz in den
Armen. Frühgeburt? neugeburtlicher Tetanus? Waisenkind? Ein
Stück Fuss schaut hervor. Ich
schiebe meine Müdigkeit
beiseite. Hier kommt eine
Mutter in Not. Hier kommt ein
Kind, dem geholfen werden
kann. Es ist ein neugeburtlicher
Tetanus aus dem Dorf. Gestern
war es ein Waisenkind, dessen
Mutter nach der Geburt in ein
hepatisches Koma fiel. Sie war
soeben gestorben. Wer wird sich
um das Kind kümmern? Dieses
Mal, das ist selten, ist es eine
junge Tante, die bereits sieben
Kinder hat. Sie kann natürlich
nicht im Zentrum bleiben, denn
die Familienpflichten ruhen auf
ihrer Schulter. Ihr Mann
braucht sie. Ich bin beunruhigt.
Das Kind wiegt nicht viel. Es
hat Fieber. Glücklicherweise
wird es gewiss eine «Alte», ein
Ausdruck, der hier nicht als abschätzig gilt, in Obhut nehmen.
Sie wird gewiss nicht immer
sehr schnell unsere Techniken
und Ratschläge verstehen, aber
sie hat Zeit und Liebe zu geben.
Lydie Legrand.
Ich schiebe meine
Müdigkeit beiseite.