Predigt über Johannes 12,12-19 - Palmsonntag

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Predigt über Johannes 12,12-19 - Palmsonntag
Predigt über Johannes 12,12-19
Als Bibelabschnitt für die Predigt am heutigen Palmsonntag hören wir den Bericht von Jesu Einzug
in Jerusalem aus dem Johannesevangelium, Kapitel 12, die Verse 12-19:
12 Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach
Jerusalem käme,
13 nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der
da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!
14 Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9):
15 »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem
Eselsfüllen.«
16 Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran,
dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.
17 Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten
auferweckte, rühmte die Tat.
18 Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.
19 Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt
läuft ihm nach.
Liebe Gemeinde,
Belfast 1969: Britische Soldaten greifen in den Bürgerkrieg in Nordirland ein. Ihnen kommen
Katholiken mit Tee und Kuchen entgegen. Aber bald werden die Besatzer mit Terror bekämpft, der
nach dem Karfreitagsabkommen von Belfast erst jüngst wieder aufgeflammt ist.
Bagdad 2003: Amerikanische Soldaten stürzen unter dem Jubel der Bevölkerung die Statue des
Diktators. Doch schon bald werden die Amerikaner als Besatzer blutig bekämpft.
Baden-Baden und Straßburg 2009: Bei den Obama-Festspielen jubeln Deutsche und Franzosen dem
neuen amerikanischen Präsidenten begeistert zu und feiern ihn wie einen Messias. Doch wie lange
wird hier der Jubel anhalten?
Jerusalem im Jahr 30 nach Christus: Eine begeisterte Volksmenge jubelt einem charismatischen
Wundertäter zu und heißt ihn mit Hosianna-Rufen als König in der Hauptstadt Israels willkommen.
Und wenige Tage später schreit die gleiche Volksmenge „Kreuzige ihn!“
Begeisterter Jubel schlägt schnell in Enttäuschung, Hass und Gewalt um, wenn der gefeierte
Befreier die Erwartungen der Menschen nicht erfüllt – das haben alle aufgezählten Ereignisse
gemeinsam. Und trotzdem sind beim Einzug Jesu in Jerusalem einige wesentliche Dinge anders.
Vor allem sind es drei umwälzende Veränderungen, die hier stattfinden, drei Verwandlungen, bei
denen sich die Dinge in ihr Gegenteil verkehren.
I
Die erste Verwandlung findet an Jesus selbst statt, nämlich die vom König zum Diener.
Jesus kommt nicht auf einem Schlachtross und mit einer gewaltigen Armee, um eine neue Ordnung
des Friedens und der Freiheit durchzusetzen. Er kommt „auf einem Eselsfüllen“ – eine bewusste
Zeichenhandlung, mit der Jesus für jedermann sichtbar unterstreicht, wie er seinen Auftrag versteht.
Er will nicht die römischen Besatzer mit Gewalt aus dem Land werfen, um anschließend in Israel
ein messianisches Königreich aufzurichten. Er kommt als Friedenskönig, und die Zeichen seiner
Königswürde sind nicht Schwert und Zepter, sondern Liebe und dienende Hingabe. Die Menschen
begrüßen ihn als König Israels, aber Jesus macht sich zum Diener, von dem im nächsten Kapitel
berichtet wird, wie er seinen Jüngern die Füße wäscht. Jesus wird vom König zum Diener. Sein
Weg führt nicht auf den Thron, sondern ans Kreuz.
Diesen Weg geht Jesus deshalb, weil er den Unfrieden in der Welt und den Unfrieden in den
Menschenherzen an seiner Wurzel bekämpfen will. Und das geht nicht mit militärischen Mitteln.
Ein Krieg verändert Menschenherzen nicht, er sät höchstens neuen Hass und neue Gewalt. Der
wahre Ursprung aller Friedlosigkeit liegt darin, dass Menschen sich von Gott abwenden. Und wo
Menschen sich nicht mehr von der Liebe zu Gott und zum Nächsten leiten lassen, wie Jesus sie
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verkündigt und vorgelebt hat, da regieren bald Egoismus, Hass und Gewalt. All diese Schuld, die
Menschen dabei auf sich laden, nimmt Jesus am Kreuz auf sich. So räumt er den Schuttberg der
Sünde beiseite, der sich zwischen uns Menschen und Gott aufgetürmt hat.
Und weil Jesus das getan hat, schenkt Gott jedem Menschen, der ihn darum bittet, die Vergebung
seiner Schuld. So hat Jesus für uns Menschen den Weg zu Gott wieder frei gemacht, als er sich am
Kreuz selbst für uns hingegeben hat. So groß ist seine dienende Liebe zu uns Menschen. Der König
wird zum Diener. Das ist die erste Verwandlung: Vom König zum Diener.
II
Die zweite Verwandlung führt – vom Tod zum Leben. Das ist die besondere Note im Bericht von
Jesu Einzug in Jerusalem, wie ihn der Evangelist Johannes darbietet: Als einziger von den vier
Evangelisten spricht er schon an dieser Stelle von der Auferstehung der Toten. Dabei bezieht er sich
zurück auf die Auferweckung des Lazarus, von der im vorangehenden Kapitel ausführlich erzählt
wurde. Obwohl sein verstorbener Freund Lazarus schon vier Tage im Grab gelegen hat, lässt Jesus
den Stein vom Grab rollen und ruft: „Lazarus, komm heraus!“ Und tatsächlich tritt der Verstorbene
lebendig vor die staunende Menge.
Und alle, die kurz zuvor die Auferweckung des Lazarus miterlebt hatten, erzählen den Festpilgern
in Jerusalem davon. Dies ist ein weiterer Grund, warum Jesus einen solchen Menschenauflauf
verursacht, vielleicht sogar der wesentliche: Alle wollen diesen Wundertäter sehen. Sicher ist da
auch eine gehörige Portion Sensationslust dabei. Aber der Evangelist Johannes will seinen Lesern,
also auch uns, sicher noch etwas anderes deutlich machen: Jesus wird hier begrüßt und bejubelt als
der Sieger über den Tod. Der Jubel bei seinem Einzug in Jerusalem ist auch ein vorgezogener
Osterjubel. Dass hier der Sieger über den Tod begrüßt wird, das weist voraus auf Jesu endgültigen
Sieg über den Tod durch seine Erhöhung am Kreuz und durch seine Auferstehung. Jesus zieht in
Jerusalem ein als der Bote eines neuen Zeitalters: eines Zeitalters, in dem nicht mehr der Tod das
letzte Wort hat, sondern das Leben.
Jesus bringt nicht nur die Auferstehung und das Leben. Zu Martha, der Schwester des Lazarus, sagt
er diese Worte: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch
wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“ Das ist für mich
der wichtigste Augenblick bei jeder Beerdigung, wenn ich dieses Wort ausrufen darf. Weil Jesus
selbst durch den Tod hindurchgegangen ist, steht der Weg zum Leben jedem offen, der an ihn
glaubt. Wer sein Leben vertrauensvoll in Jesu Hände legt, der hat nicht nur die Gewissheit, dass
Jesus in jeder Sekunde seines Lebens bei ihm ist. Er darf auch wissen, dass sein Leben mit dem Tod
nicht zu Ende ist, sondern dass ihm eine wunderbare Zukunft in Gottes Herrlichkeit bevorsteht.
Jesus fragte Martha ganz direkt: „Glaubst du das?“ Und ich gebe die Frage weiter: „Glaubst du
das?“ Wenn ja, dann geschieht auch bei dir diese Verwandlung vom Tod zum Leben. Und wenn dir
der Glaube an Jesu Sieg über den Tod noch schwer fällt, dann bitte Gott darum, dass er dir diesen
Glauben schenkt.
III
Und noch eine dritte Verwandlung wird in dieser kurzen Geschichte angesprochen: Vom
Nachlaufen zur Nachfolge. Nicht alle Beteiligten machen diese Verwandlung mit. Jesu Gegner
stellen am Ende resigniert fest: „Alle Welt läuft ihm nach.“ Und zu einem gewissen Teil haben sie
sicher auch recht mit ihrer Kritik: Viele, die Jesus hier nachlaufen, sind wohl nur von einer
oberflächlichen Begeisterung ergriffen, wollen nur den sensationellen Wundermann sehen. Und
viele von ihnen schreien dann bald nicht mehr „Hosianna“, sondern „Kreuzige ihn!“. Dass der
Todesüberwinder in seinen eigenen Tod reitet, um damit den Tod endgültig und ein für allemal für
alle zu überwinden, das leuchtet nicht sofort ein. Das wird erst verstanden, wenn aus dem bloßen
Nachlaufen die Nachfolge des Gekreuzigten wird.
Diese Verwandlung vom Nachlaufen zur Nachfolge haben offenbar auch Jesu Jünger noch vor sich.
„Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran,
dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.“ Erst an Ostern fällt es den
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Jüngern endgültig wie Schuppen von den Augen, dass sich in Jesu Leben, Sterben und Auferstehen
Gottes Plan erfüllt hat, wie er in der heiligen Schrift schon vorgezeichnet war. Lange Zeit waren die
Jünger mit Jesus mitgelaufen. Irgendetwas hatte sie an ihm angezogen, sie konnten seinem Ruf
nicht widerstehen. Aber es hat eine ganze Zeit des Nachlaufens gebraucht, bis sie zur ganzen
Erkenntnis des Glaubens durchdrangen, bis die Verwandlung vom Nachlaufen zur Nachfolge
wirklich stattfand.
Und das ist vielleicht gar kein so schlechtes Modell. Wenn ein Kind durch die Taufe in die
Gemeinde aufgenommen wird, bekommt es dadurch auch Gelegenheit, erst einmal in der Gemeinde
mitzulaufen, von Jesus zu hören, an anderen Menschen zu sehen, wie man als Christ leben kann.
Und dann kann es Gott auch schenken, dass dieses Kind schließlich eigene Schritte des Glaubens
und der Nachfolge zu gehen beginnt. Und das kann auch noch bei jedem Erwachsenen geschehen.
Deshalb feiern wir Gottesdienst mit Großen und Kleinen. Lassen wir uns doch im Glauben darauf
ein, damit auch bei uns die Verwandlung vom Nachlaufen zur Nachfolge stattfindet!
Amen.
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