Paulas neue Klasse

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Paulas neue Klasse
Paulas neue Klasse
Paula saß in der letzten Reihe der 3C, weil sie mit ihren 13
Jahren ihre Mitschülerinnen um beinahe zwei Köpfe überragte.
Das Mädchen litt an einer Wachstumsstörung, die es manchmal
ungelenk und unbeholfen wirken ließ.
„Paula ist ´ne Kuh!“, tönte es bisweilen aus verschiedenen
Ecken des Schulhofes oder wurde im Vorübergehen unter
Gelächter getuschelt. Paula lachte nicht mit. Seit Mama
gestorben war, ging alles den Bach runter: Ortswechsel,
Wohnungswechsel, Schulwechsel. Davon wussten ihre
Klassenkameradinnen nur wenig. Davon, dass sie ihre
Mitschülerin mobbten, wollten sie nichts wissen. Nachdem die
Klassenlehrerin das Thema einmal vorsichtig zur Sprache
gebracht hatte, war sie erst recht als Außenseiterin abgestempelt.
„Die ist ja selbst schuld!“ und „Warum ist sie auch so
komisch?“, musste sie mit anhören. Der Vater zeigte ja
Verständnis für ihre Lage, aber helfen konnte er auch nicht
wirklich.
In ihrer Not redete sie mit einem anderen Vater: mit jenem
nämlich, mit dem zu reden ihr ihre Mama, als Paula noch klein
war, vor dem Schlafengehen beigebracht hatte: „Lieber Gott“,
betete sie, „schenk mir eine neue Klasse und pass gut auf Mami
auf. Amen.“ Insgeheim wünschte sie, Papa würde sie in eine
andere Schule geben; am besten wieder in ihre alte, dort hatte sie
wenigstens eine Freundin gehabt. Auch ein Klassenwechsel wäre
für sie okay gewesen, doch da hatte die Direktorin schon
abgewunken.
Paula betete und betete und Woche um Woche verstrich. Gott
tat nichts. In ihrer Klasse blieb alles beim alten und in ihrem
Leben auch.
An einem sommerlich warmen Vormittag im Juni verkündete
die Sportlehrerin: „So Mädels, wir sind heute auf dem
Basketballplatz draußen! Zieht euch rasch um, dann erkläre ich
euch gleich die Regeln!“ „Basketball? Das bedeutet nichts
Gutes“, entschied Paula für sich.
Als die Mannschaften gewählt wurden, kamen die guten
Sportlerinnen der Klasse natürlich zuerst zum Zug, dann folgten
die mittelmäßigen. Paula wurde gar nicht gewählt. Sie blieb
einfach übrig und wurde nachträglich einer Mannschaft zugeteilt.
Es dauerte endlos lange, bis ihr der Ball zugespielt wurde.
Eigentlich war er gar nicht ihr zugespielt worden, aber Paula fing
ihn einfach auf. Dann passierte etwas Überraschendes: Das
ungelenke Mädchen brachte den Ball wild fuchtelnd irgendwie in
die Nähe des gegnerischen Korbes. Sogleich wurde sie von den
Spielerinnen der Gegenmannschaft belagert. Doch was nützte es
ihnen? Paulas Größe kam jetzt so richtig zum Vorschein.
Mit einem Schubs war es ihr gelungen, den Ball durch den
Korb zu befördern, mochten die Gegnerinnen noch so wild die
Hände in die Höhe strecken! „Das ist unfair!“, brüllten diese
auch sogleich, doch in ihrem eigenen Team wurde Paula
stürmisch bejubelt.
Als das nächste Mal Basketball gespielt werden sollte, wurde
sie als erste gewählt, trug ihr Engagement doch wesentlich zum
Sieg bei.
Paula war in einer neuen Klasse angekommen.
Kurt Neumeyr
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