4. Der Beginn meines Lebens als Uschi

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4. Der Beginn meines Lebens als Uschi
4. Der Beginn meines Lebens als Uschi
Mein erstes Uschi-T-Shirt
„Was für eine Uschi!“, stöhnte ich arrogant. Meine Lieblingsfreundin blickte
mich erstaunt an. Sie hatte mir gerade von ihren Problemen im Job erzählt
und war irritiert, dass ich nicht konzentriert genug zuhörte. Statt dessen
starrte ich fasziniert auf den Eingang des Cafés, in dem wir saßen. Dort
hatte soeben eine Frau den Raum geentert, die ich wirklich schrecklich fand:
Sie hatte lange Locken mit so vielen Strähnchen drin, dass man ihre
Haarfarbe nicht mehr identifizieren konnte. Diese warf sie theatralisch nach
hinten und stolzierte auf dicken Plateausohlen durch die Gegend. Nicht nur
ihr Parfum verriet, zumindest was meine Vorlieben betrifft, eine immense
Geschmacksverirrung. Meine Freundin drehte sich um, um zu sehen, was
mich so faszinierte. „Ach das ist eine Uschi!“, sagte sie und fing an zu
kichern. „Ich fragte mich in letzter Zeit öfter, was du mit ‚diesen Uschis‘
meinst – aber jetzt ist mir alles klar.“ Inzwischen stand „diese Uschi“ in der
Mitte des Raumes, rollte mit den Augen und wartete ungeduldig auf den
Mann, der hinter ihr das Café betrat. Er war mit ungefähr hunderttausend
Einkaufstaschen beladen, stellte diese eilfertig ab, hechtete zu seiner
Freundin, um ihr das Kaninchenfelljäckchen abzunehmen und ihr den Stuhl
zurechtzurücken. Der Kerl war sichtlich im Stress.
Wir versuchten unser Gespräch wieder aufzunehmen, aber die Uschi
hinter uns beherrschte den Raum. Mit lauter Stimme säuselte sie am
Nebentisch ihrem Begleiter zu, wie toll sie ihn finden würde. Im gleichen
Atemzug verkündete sie, dass sie es sich anders überlegt und anstelle eines
Kaffees doch lieber die Speisekarte hätte. Ihr Begleiter sprang kreuz und
quer durch den Raum, um ihr die gewünschte Karte sofort zu bringen. Wir
konnten gar nicht mehr anders als zuzuhören. Erstens hatte diese Frau eine
extrem durchdringende Stimme, und zweitens war das, was sie so von sich
gab, einfach zu komisch: Wie sie Kurtaxe im Urlaub für ein Taxi gehalten
hatte und nun plante, ihren Freunden zur Hochzeit ein Fleischerbeil zu
schenken.
Wir
amüsierten
uns
prächtig
und
schwankten
zwischen
arroganter Abneigung und Fazination.
Zu dieser Zeit war es gerade ziemlich angesagt, merkwürdige
Schriftzüge wie „Zicke“ auf einem T-Shirt zu tragen. Meine Freundin und ich
fanden solche Zicken-T-Shirts eigentlich total blöd. Das Problem mit
derartigen Modeerscheinungen ist, dass nur die allerersten, die diesen Trend
ins Leben rufen, wirklich cool sind. Tragen es auf einmal alle, oder noch
schlimmer,
gibt
es
derartige
Kleidungsstücke
auf
Volksvergnügen-
Kaufständen zu erwerben, dann ist es definitiv ausgeschlossen, mit einem
Zicken-Shirt herumzulaufen. Aber die Mode begann gerade erst und wir
hatten eine Idee: Wir verließen schleunigst das Café, eilten zum nächsten
Copyshop uns ließen uns T-Shirts mit dem Schriftzug „Uschi“ auf unserem
Busen machen. Es sah fantastisch aus. Wir wählten ein knapperes Modell
als sonst, dass uns gekonnt tussihaft aussehen liess und den glitzernden
Schriftzug auf unserm Busen ordentlich zur Geltung brachte.
Mit diesen T-Shirts stürzten wir uns noch am gleichen Abend ins
Nachtleben und machten eine verblüffende Entdeckung: Die Männer
reagierten auf unser Outfit wie der Pawlowsche Hund auf die Klingel. Sie
fingen regelrecht an zu sabbern. Sage und schreibe neunzig Prozent der
Männer liefen die Augen über und sie grunzten uns ein „Uschi“ entgegen,
das ungefähr in dem Tonlaut rüberkam wie „Geil, fick mich“. Die restlichen
zehn Prozent versuchten, witzig zu sein, indem sie uns darauf hinwiesen,
dass angeblich ein Buchstabe am Anfang fehlte. Ungelogen, das war
tatsächlich die Reaktion von hundert Prozent der Männer. Es gab keinen,
der aufgrund seines Alters, seines Konto- oder Bildungsstandes bzw.
sonstiger
Qualitäten
auf
einen
derartigen
Kommentar
zu
unserem
geschmückten Busen verzichtete. Man muss vielleicht dazu sagen, dass
meine Freundin und ich nicht eben wenig Busen haben und mit einer
stattlichen Körpergröße und einer ausgeprägten Vorliebe zu hohen Absätzen
natürlich leicht zu sehen sind.