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Gesellschaft
TAZ.AM WOCHENENDE  SONNABEND/SONNTAG, 18./19. OKTOBER 2014
Das fehlende Wort
Die gefundenen Worte
Berlin, Kottbusser Brücke,
Dienstagmorgen, halb neun. Ein kurzes
Lächeln im Berufsverkehr. Fast unbemerkt,
denn die Autofahrer drücken aufs Gas,
bevor die Ampel wieder auf Rot springt.
Ähmchen, das: Mensch, der sich ungefragt
immer wieder in ein Gespräch einmischt.
Du denkst, ich irre.
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VON PHILIPP MAUSSHARDT
RAINER SCHÄFER
Foto: Imre Balzer
Der Augenblick
Du irrst, denke ich.
Emel Zeynelabidin, aus „Komm!
Liebesbekenntnisse eines Spatzen“, 2014
ausgewählte
Dorfbewohner.
Kurz vor seinem Tod hatte mein
Großvater eine Namensliste erstellt von Personen, die zu seiner
Beerdigung eingeladen werden
sollten. Hinter einige Namen
hatte er ein Sternchen gemalt.
Die sollten den Hefezopf backen.
Eine ziemlich pfiffige Idee für einen 101-Jährigen, denn so kam es
bei seinem Leichenschmaus zu
einer Art Hefezopf-Wettbewerb
unter den Landfrauen mit ganz
hervorragenden Ergebnissen.
Heute ist der selbstgemachte
Hefezopf nahezu in Vergessenheit geraten, weil zunehmend
Cateringfirmen oder das dem
Friedhof am nächsten gelegene
Café oder Restaurant die Versorgung der Trauergäste übernehmen. Dann stehen Sahnetorten
oder Gulaschsuppen auf den Tischen und manchmal auch, noch
schlimmer, Spaghetti.
Vergessen ist nämlich auch
der Ursprung dieses Brauchs: In
manchen Gegenden legte man
den toten Männern die abgeschnittenen Haarzöpfe ihrer
Witwen mit ins Grab – daran sollten die Hefezöpfe erinnern. Wem
das zu makaber erschien, der
tröstete sich mit Bier, Wein und
Schnaps über den Tod hinweg.
Das ging nicht selten so weit,
dass am Ende einer solchen Feier
der Tote vermeintlich wieder
auferstand und die ganze Festgesellschaft auf seine Gesundheit
anstieß. Das war dann eine ganz
besonders „schöne Leich“.
Übrig bleiben Zöpfe
it Lob ist man in den
Dörfern rund um
Stuttgart eher geizig.
lle ziehen und zerren am
Doch wenn nach eiTrollinger, an ihm dürfen ner Beerdigung die HinterblieDAS VERGESSENE
alle ihr Mütchen kühlen. benen zu einem Leichen„Trollinger wird ständig madig schmaus einladen, um bei ButREZEPT
gemacht“, klagt der schwäbische terbrezeln, Trollinger und HefeWinzerJürgenZipf.Manversteht kranz den Toten nochmals aufseinen Kummer, wenn man erstehen zu lassen, dann war es
weiß, wie er sich seit 15 Jahren im Sprachgebrauch der Schwaum die schwäbischste aller Reb- ben „a scheene Leich“, also eine
sorten bemüht. Zipf zählt zu den gelungene Feier. Das Essen und
Winzern,diedemTrollingereine (in manchen Fällen noch mehr)
Qualitätskur verordnet haben, das Trinken haben dabei eine
er hegt ihn im nördlichen verbindende Wirkung. Freunde,
Württemberg in den Löwenstei- Verwandte, Nachbarn und Wegner Bergen in der Steillage auf gefährten treffen sich in dieser
beinahe 400 Meter Höhe.
Konstellation zum ersten und
Zipf hat den Ertrag drastisch zum letzten Mal, um dem Verreduziert – auf ein Drittel der storbenen die letzte Ehre zu erMenge, die sein Vater früher aus weisen.
den Weinbergen geholt hat. Den
In vielen Regionen ist der LeiMost lässt er auf der Maische ver- chenschmaus der wichtigste Teil
gären und baut ihn im großen einer Beerdigung. Der schwäbiHolzfass und im gebrauchten sche Koch Vincent Klink hat eine
Barrique aus. Für den enormen solche Zusammenkunft schon
Aufwand verlangt Zipf mal als „After-Work-Party“ begerade mal 6,50 Euro. zeichnet, bei der man sich, nachMehr zu fordern sei dem man den Verstorbenen unschwierig, wegen des ter die Erde gebracht hat, mit
lädierten Rufs, unter reichlich Essen und Trinken dardem der Trollinger über hinwegtröstet, dass zum
leidet. Noch immer ersten Mal über einen Menschen
gilt er als farbloser in der Vergangenheitsform geSchwächling
mit sprochen wird. Leichenschmaus
dem süßlichen Ge- sei „der ultimative Zeitpunkt
schmack von Erd- friedlicher Koexistenz“, weil er
beermarmelade. Es noch vor der Testamentseröffheißt, dass ein geüb- nung stattfinde.
ter Trinker an den
Schmaus klingt nach Opuwürttembergilenz, nach saftigem Braten oder ■ Die Essecke: Philipp Maußhardt
schen
Stammti- üppigem Buffet. Tatsächlich schreibt hier jeden Monat über verschen mühelos sechs wird in vielen Regionen eher ein gessene Rezepte. Sarah Wiener
Viertele der gehaltlosen Schwa- karges Mahl aufgetischt: in komponiert aus einer Zutat drei
benmilch wegschlotzen könne.
Norddeutschland Streuselku- Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit
Zipfs Trollinger dagegen ist chen, in Süddeutschland Hefe- Praktikern der Küche, und unsere
einer mit Anspruch. Er präsen- zopf oder Blechkuchen. Vor al- Korrespondenten berichten, was
tiert in der Nase Fruchtnoten lem in den pietistisch geprägten in ihren Ländern auf der Straße
von der Sauerkirsche, am Gau- Landesteilen meiner Heimat un- gegessen wird
men zeigt er beachtliche Struk- ternehmen die Weiterlebenden
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tur und Frische, es ist ein trocke- alles, um jeden Verdacht zu zerHefezopf mit Rosinen
ner und animierender Wein, mit streuen, sie seien womöglich .....................................................................
apartem Bittermandel-Finale. wohlhabend. Der obligatorische ■ Die Zutaten: 1 Kilogramm Mehl
Jürgen Zipf will festhalten an der Hefezopf wird deshalb auch (Type 550), 1 Würfel Hefe, einen
schwäbischen Ur-Rebe, das ist dann ohne Rosinen serviert, halben Liter lauwarme Milch, 100
für ihn eine Charakterfrage: In wenn der Tote mehrfacher Mil- Gramm Zucker, 150 Gramm weiche
keinem anderen Wein spiegele lionär gewesen ist. Beziehungs- Butter, 15 Gramm Salz, 2 Eier, eisich die schwäbische Befindlich- weise gerade dann.
nen Esslöffel Zitronensaft, etwas
keit so sehr wie in einem seriös
Beim Leichenschmaus mei- abgeriebene Zitronenschale, 100
erzeugten Trollinger.
nes Großvaters vor 27 Jahren wa- Gramm Rosinen, Hagelzucker und
ren sehr viele Rosinen im Teig. Mandelstifte zum Bestreuen
Das lag daran, dass ihn weder ein ■ Das Rezept: Für den Teig alle Zu■ Trollinger Steillage 2012, WeinBäcker noch die Nachfahren taten (bis auf die Rosinen, den Hagut Zipf, 6,50 Euro, Bezug über
selbst gebacken hatten, sondern gelzucker, die Mandelstifte und ein
www.zipf.com
Eigelb zum Bestreichen) in eine
große Schüssel geben, dazu die
Hefe zerbröckeln und die Butter
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kleinschneiden. Mit dem Handrührgerät oder von Hand sehr lange zu einem geschmeidigen Teig
verkneten (dauert von Hand etwa
zehn Minuten, mit dem Rührgerät
fünf). Am Ende die Rosinen, die
KO N F E R E N Z 2 0 1 4
man etwas eingeweicht hatte, dazugeben. Der Teig darf nicht mehr
klebrig sein. Abdecken und zwei
Stunden gehen lassen. Kurz durchkneten und in drei gleich große
Stücke teilen. Nochmals zudecken
und zehn Minuten ruhen lassen.
Den Teig zuerst zu Kugeln, dann zu
langen Strängen formen und zu einem Zopf flechten – von der Mitte
aus, dann kann man die Enden
schöner formen. Auf ein gefettetes
Blech legen und zudecken. Nochmals dreißig Minuten gehen lassen. In der Zwischenzeit Ofen auf
200 oC vorheizen. Zopf mit Eigelb
bestreichen. Hagelzucker und
Mandelstifte aufstreuen. In den
heißen Ofen stellen und die Temperatur auf 180 oC herunterdrehen. Den Zopf etwa dreißig MinuAuf dem Weg zum Leichenschmaus
ten backen.
RADIKALE WEINE
A
M
Zu einer
„schönen Leich“
gehört auch ein
Leichenschmaus.
Aber auf
chefkoch.de gibt
es keine Rezepte
dafür
Schwäbischer Hefezopf, ohne Rosinen Foto: Gaby Wojciech/Westend61
Foto: Will McBride/BPK