PDF-Download - Soirée Classique

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Von der Barockspezialistin zur «Mélisande mit Joghurt»
Die Sängerin Sandrine Piau
hat eine helle Stimme –
und ein Flair fürs Dunkle.
Am Montag tritt sie in
der «Soirée classique» auf.
Von Susanne Kübler
Die CD ist rosa, ihr Titel lautet «Après un
rêve» – aber wer deswegen nun Kitsch
erwartet, wird enttäuscht. Kitsch ist
nichts für die französische Sopranistin
Sandrine Piau, die auch in den duftigsten Passagen dieses Liederprogramms
immer ihren klaren Ton behält, die Prägnanz der Sprache, den Sinn für herbe
Schattierungen. Und ihr Flair für Stilbrüche: Ganz selbstverständlich wechselt
sie von Gabriel Faurés träumerischen
Melodien zu den Galgenliedern des 1966
geborenen Vincent Bouchot, vom gespenstischen Elfenritt in Felix Mendelssohns «Neuer Liebe» zu den «Salley Gardens» in der bittersüssen Version von
Benjamin Britten.
Sandrine Piau war früher Harfenistin
und hielt Sänger für verrückt. Foto: PD
Diese Selbstverständlichkeit erstaunt
umso mehr, als Sandrine Piau eigentlich
in einer ganz anderen Ecke des Repertoires zu Hause ist. Seit William Christie
am Pariser Conservatoire ihre Stimme
entdeckt und sie von ihrem ursprünglichen Instrument, der Harfe, weggeholt
hat, gilt sie als Barocksängerin. Und sie
ist eine phänomenale Barocksängerin:
ungemein leicht und lebendig in den Koloraturen, zutiefst anrührend in den melancholischen Momenten, technisch raf-
finiert im vibratofreien Sehnen wie in
der vibrierenden Attacke. Sie hat Champagner in der Stimme, wenn es angebracht ist, und gibt auch gerne mal die
Vokal-Akrobatin; aber mehr als die Zirkusnummer interessiert sie das Schräge,
Tiefe, Hochemotionale dieser Musik.
Dabei war der Barock ursprünglich
gar nicht ihre Welt. Als Harfenistin hat
die inzwischen 46-jährige Piau viel Zeitgenössisches gespielt (und die Sänger
für etwas verrückt gehalten); ihre Lieblingskomponisten hiessen Britten, Bartók, Schönberg. Händel? Den fand sie
furchtbar, bis sie mit Christie erlebte,
was alles in seiner Musik steckt.
Christie war zweifellos eine prägende
Figur für Sandrine Piau, aber nicht die
einzige. Barockspezialisten von Christophe Rousset über René Jacobs bis zu
Ottavio Dantone gehören zu ihren Weggefährten. Oder auch der abenteuerlustige Jos van Immerseel, der sie bei einem
preisgekrönten Debussy-Rezital am Klavier begleitet hat. Und dann ist da der
Regisseur Pierre Audi, dessen meist
ziemlich schwarze Sicht der Dinge ihr
entspricht. So sehr, dass sie sich von ihm
sogar überreden liess, 2008 die Titelpartie in Debussys «Pelléas et Mélisande» zu
singen.
Die Kinder mochten sie blond
Sie habe gleich darauf hingewiesen, dass
es eine «Mélisande mit Joghurt» geben
werde, hat Piau damals gesagt – eine
schwere, laute Stimme hat sie nun einmal nicht, und in einem grösseren Haus
als der Brüsseler Opéra de la Monnaie
hätte sie das Experiment nicht gewagt.
In den Kritiken war dann allerdings
nicht von Joghurt die Rede, sondern von
jener beeindruckend luziden Darstellung, jener Mischung aus perfekter
Stimmkontrolle und vokaler Wärme, mit
der Piau immer wieder auffällt. (Ihren
Kindern dagegen hat sie in Prokofjews
«Liebe zu den drei Orangen» besser gefallen: «Da war ich blond und ein bisschen violett und ziemlich überdreht.»)
Barocksängerin ist Piau natürlich immer noch. Aber mittlerweile ist sie für
anderes so bekannt und anerkannt, dass
ihr die Plattenfirma sogar eine Berg-Webern-Schönberg-CD zugestanden hat,
mit Werken für Streichquartett mit gelegentlicher Stimmbeigabe. Das Quatuor
Diotima spielt ebenso virtuos wie expressiv, Piau brilliert in der Kunst der
entrückten Präsenz, der dunkle Alt von
Marie-Nicole Lemieux liefert einen attraktiven Kontrast dazu. Und die Patisserie auf dem Cover ist zweifellos aus Zartbitterschokolade gefertigt.
Gesprächskonzert mit Sandrine Piau
und der Pianistin Susan Manoff
am Montag, 19. September, 20 Uhr,
im Zürcher Kaufleuten. Programm aus
der CD «Après un rêve».
CDs bei Naïve:
Après un rêve
(Lieder von Strauss, Fauré, Mendelssohn,
Chausson, Bouchot, Poulenc, Britten).
Berg – Webern – Schönberg
(mit dem Quatuor Diotima und der
Altistin Marie-Nicole Lemieux).