Land Grabbing in Kenia
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Land Grabbing in Kenia
FIAN Fact Sheet 2010/4 Land Grabbing in Kenia Ausverkauf von Land auf Kosten der Ernährungssicherheit Angetrieben durch Preisanstiege bei Grundnahrungsmitteln, Ernteeinbrüche infolge des Klimawandels, den Boom der Agrarkraftstoffe und die durch die Finanzkrise gestiegene Nachfrage nach Investitionen in „reale Werte“ versuchen Investoren, sich riesige Agrarflächen zu sichern. Neben Agrar- und Nahrungsmittelkonzernen beteiligen sich Nationalstaaten und Investmentfonds am so genannten Land Grabbing. In den meisten Fällen sollen Nahrungsmittel und Pflanzen für die Agrarkraftstoffproduktion angebaut werden. Obwohl die Bevölkerung vor Ort hungert, wird fast ausschließlich für den Export produziert. Auch Kenia bleibt von diesem Trend nicht verschont. Ausländische Unternehmen oder Staaten wie Katar erwerben Land zum Anbau von Nahrungsmitteln oder Energiepflanzen. KleinbäuerInnen, Nomaden und Fischer verlieren den Zugang zu traditionell genutztem Land und Wasser und so ihre Existenzgrundlage, wie etwa im fruchtbaren Tana-Delta. So verletzt Kenia seine Pflicht, das Menschenrecht auf Nahrung dieser Gruppen zu schützen und zerstört die lokale Nahrungsmittelproduktion, was die ohnehin kritische Hungersituation weiter verschärft. „Nie wieder Kolonialismus“ Die so genannte erste Welt hat sich seit der Kolonialzeit Land in Afrika angeeignet – mit bis heute verheerenden Folgen. Mit dem Argument der wirtschaftlichen Entwicklung scheint diese Art der Kolonialisierung eine traurige Renaissance zu erleben, auch wenn Akteure und Mechanismen heute vielfältiger und diffuser sind. Tatsächlich steigt die Fläche des verhandelten, verpachteten oder verkauften Ackerlands weltweit stark an. Betrug diese vor 2008 noch rund 4 Mio. Hektar jährlich, explodierte sie 2009 auf über 45 Mio. Hektar, 32 Mio. davon im subsaharischen Afrika. Der Sudan, Äthiopien und Mosambik stehen besonders hoch im Kurs1. Auch Kenias Ackerland ist heiß begehrt. Sowohl zum Anbau von Nahrungsmitteln als auch für Jatropha und Zuckerrohr zur Agrarspritproduktion wird aktuell über knapp eine Million Hektar Land verhandelt, die neuen Investoren übertragen werden sollen. Durch die Vergabe dieser riesigen Flächen wird der Bevölkerung vor Ort der Zugang zu Land und Wasser genommen und die Ernährungssicherheit des ganzen Landes aufs Spiel gesetzt. kurzfristig beruhigt, aber bis heute sind 1,6 Mio. KenianerInnen auf Hilfslieferungen angewiesen und auch die Preise für Weizen und Mais steigen aktuell wieder stark an5. Hunger in Kenia In Kenia leben 56 Prozent der 36 Mio. Einwohner in extremer Armut2. 2009 erlitt das Land eine schwere Hungerkrise. Nachdem Regenfälle mehrfach ausblieben, führten Dürren zu starken Ernteausfällen. Vieh verendete massenhaft und Lebensmittelpreise schossen in die Höhe. Verschärft wurde diese Situation durch die Unruhen nach den nationalen Wahlen 2008, die abertausende Bauern zwangen, aus der Provinz Rift Valley, der Kornkammer Kenias, zu flüchten3. Präsident Kibaki rief Anfang 2009 den nationalen Notstand aus, da 10 Mio. Menschen von Hunger betroffen waren. Rund 3,8 Mio. KenianerInnen erhielten in der Folge Nahrungsmittelhilfen aus dem Ausland4. Das Einsetzen des Regens und sinkende Maispreise haben die Lage Dies ist besonders problematisch, da Kenia ohnehin auf umfangreiche Nahrungsmittelimporte angewiesen ist und die eigene Produktion die Nachfrage bei weitem nicht deckt. Während Kenia Mais (zusammen mit Weizen, Reis und Bohnen Grundnahrungsmittel Kenias) annähernd bedarfsdeckend produziert und nur in den Krisenjahren 2007-2009 importieren musste, mussten allein im Geschäftsjahr 2008/09 ca. 844.000 Tonnen Weizen und 300.000 Tonnen Reis, rund 80 Prozent des Bedarfs, teuer importiert werden (vgl. Abb. 1)7. In Nairobi stieg der Einkaufspreis von Mais von US$ 223 je Tonne im Januar 2008 auf US$ 408 im Januar 20108. Die fatalen Auswirkungen der Abhängigkeit vom Weltmarkt zeigen sich insbesondere darin, 1 World Bank (2010). Rising Global Interest in Farmland: Can it yield sustainable and equitable benefits? S. 7, 35. 2 FIAN (2010). Kenya’s hunger crisis. S. 7. 3 Akolo, Judith (2009). Kibaki declares famine National Disaster. In: Kenya Broadcasting Corporation, 16.1.2009. 4 http://www.wfp.org/news/news-release/wfp-seeks-urgent-assistance-kenya-sinks deeper -crisis 1000000 Weizen in Tonnen 800000 600000 400000 200000 0 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Jahr Weizenkonsum Weizenproduktion Abb. 1: Differenz zwischen Kenias Weizenproduktion und -konsum6 5 http://www.fao.org/giews/countrybrief/country.jsp?code=KEN 6 Zusammenstellung aus Daten von CountrySTAT; Ministry of Agriculture (2009). Food Security in Kenia, S.8; Ministry of Agriculture (2009). Economic Review of Agriculture 2009, S. 26. 7 FIAN (2010). Kenya’s hunger crisis, S. 7 und http://www.fao.org/giews/english/ewi/ cerealbs/3.htm#223 8 http://allafrica.com/stories/201002021118.html; http://www.fao.org/giews/country brief/country.jsp?code=KEN FIAN Fact Sheet 2010/4 - Land Grabbing in Kenia 2 dass in Kenia die Verbraucherpreise für Mais (+ 24 Prozent) und Bohnen (+ 80 Prozent) zwischen Januar 2007 und März 2008 viel moderater angestiegen sind, als jene für Reis (+ 214 Prozent) und Weizen (+ 107 Prozent), also die Nahrungsmittel, bei denen eine massive Importabhängigkeit besteht9. Angesichts der wieder steil steigenden Preise auf den Weltagrarmärkten sind Zugang zu Land und der lokale Nahrungsmittelanbau wichtiger denn je. Land und Landwirtschaft in Kenia In Kenia leben 79 Prozent der Menschen in ländlichen Gebieten. Die Landwirtschaft machte 2008 gut 27 Prozent des BIP aus10. Für 80 Prozent der Bevölkerung bilden Land und natürliche Ressourcen die Lebensgrundlage. Etwa 9,2 Prozent der Landesfläche ist land wirtschaftlich nutzbar. Die KleinbäuerInnen Kenias, die jeweils um die 2 Hektar Land bewirtschaften, stemmen 70 Prozent der nationalen Nahrungsmittelproduktion. Auch für die 7 Mio. Nomaden Kenias ist der Zugang zu Weidegründen und Wasser überlebenswichtig. Zugang zu Land und Wasser ist daher nicht nur für die KleinbäuerInnen selbst, sondern auch für die gesamte Bevölkerung die zentrale Säule der Ernährungssicherung und Grundlage zur Durchsetzung des Rechts auf Nahrung. Vor diesem Hintergrund ist die steigende Zahl landloser BäuerInnen alarmierend. Landkonflikte sind ein wachsendes gesellschaftliches Problem in Kenia11. Auf der einen Seite werden Landnutzungs- und LandbesitzFragen dominiert durch nationale Eliten und Korruption. Auf der anderen Seite steigt die Nachfrage nach gutem Ackerland durch ausländische und nationale Investoren massiv an. Bis vor kurzem wurde Land in Kenia in drei Kategorien unterteilt: Staatsland, privates Land und trust land, welches von den lokalen Behörden, den county councils, „treuhänderisch“ verwaltete wurde. Die county councils interpretierten ihre Verwaltungstätigkeit jedoch gerne als Besitz und ignorierten systematisch, dass trust land nur mit Zustimmung der Gemeinde verpachtet werden durfte. Auch der Präsident sah sich eher als Eigentümer denn als Verwalter. Er vergab Land an politische Unterstützer und ihm nahe stehende ethnische Bevölkerungsgruppen. Ende 2009 wurde die New Land Policy (NLP) formuliert, die einen neuen rechtlichen Rahmen schaffen und die akuten Probleme der Landverteilung reduzieren soll. Im August 2010 stimmte Kenia mit einem Referendum einer neuen Verfassung zu, welche die NLP beinhaltet. Statt Staatsland gibt es nun public land, das von der National Land Commission (NLC) verwaltet wird. Dadurch werden Landvergaben nicht mehr direkt durch die Regierung bzw. den Präsidenten vorgenommen, sondern durch eine unabhängige(re) Kommission. Trust land ist nun community land und wird von den Gemeinden selbst verwaltet. Personen ohne kenianische Staatsbürgerschaft können Land „nur“ noch für 99 Jahre pachten statt ehemals 999 Jahre. Viele KenianerInnen sehen die NLP als große Chance für Wandel und mehr Gerechtigkeit. Ob die neue Verfassung tatsächlich mehr Verteilungsgerechtigkeit bringt und die Unsicherheit von Landnutzung für die aktuellen Nutzer, insbesondere die Frauen, senkt, bleibt abzuwarten. Auf nationaler Ebene wird viel von der personellen Besetzung der NLC abhängen12. 9 10 11 12 Eigene Berechung aus: Heinrich Böll Foundation (2009). High Commodity Prices – Who gets the Money? S. 12. http://devdata.worldbank.org/AAG/ken_aag.pdf Der Beitrag der informellen landwirtschaftlichen Tätigkeiten ist in den meisten afrikanischen Ländern erheblich, höchst relevant für die lokale Ernährungssicherung und wird nicht mit dem BIP wiedergegeben. International Commission of Jurists Kenya et al. (2008) The lie of Land, S. 8. http://www.mzalendo.com/2010/08/02/land/; Odhiambo, Franco (2010). The new Constitution and land legislation. In: The Standard, 1.9.2010. Magnet Tana River: Zugang zu Wasser ist zentrales Kriterium der Investoren In Afrika werben unterschiedliche Akteure um kostbares Ackerland. Im Dezember 2008 wurde durch Zufall ein Land-Deal öffentlich, den Präsident Kibaki von einer Reise ins Emirat Katar im Gepäck hatte. Katar wurden darin 40.000 Hektar Land zum Anbau und Export von Gemüse und Obst versprochen, 16.200 davon im fruchtbaren Tana-Delta13. Im Gegenzug sollte Kenia mit US$2,5 Mrd. beim Ausbau des Hafens Lamu am Rande des Tana-Deltas zu einem Tiefwasserhafen unterstützt werden. Als der Deal an die Öffentlichkeit kam, erntete er breiten Protest: Auf dem Höhepunkt der nationalen Hungerkrise sollte Land zur Ernährungssicherung anderer Staaten verschleudert werden14. Zudem sollen alleine durch den geplanten Hafenausbau 6.000 Familien von Vertreibung bedroht sein15. Informationen über den Inhalt des Vertrags sowie den aktuellen Status des Deals drangen bis heute kaum an die Öffentlichkeit. Zwar sollen die konkreten Flächen längst identifiziert sein16, der verantwortliche Minister erklärt jedoch, dass die Vertragsdetails nicht für die Öffentlichkeit und damit auch nicht für die direkt betroffene lokale Bevölkerung bestimmt seien. Aber nicht nur Katar will am Tana River investieren. Die Liste der Investoren in der fruchtbaren Region ist lang und der Fluss Tana stellt die Wasserversorgung der Agrarprojekte sicher. Der britische Konzern G4 Industries beispielsweise hat für 28.911 Hektar zum Anbau von Rizinus, Sonnenblumen und Kohl eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen lassen.17 Insgesamt will er 50.000 Hektar erwerben. Mumias Sugar Company plant in einem Joint Venture mit der staatlichen Tana Athi River Development Authority (TARDA) eine 20.000 Hektar große Zuckerrohrplantage. Auch die Zuckerfirma Mat International plant, 30.000 Hektar im Delta und 90.000 Hektar in angrenzenden Gebieten mit Zuckerrohr zu bebauen18. Dazu will die kanadische Firma Bedford Biofuels auf 90.000 Hektar Jatropha pflanzen und Tiomin Kenya Ltd. in den Sanddünen Titan abbauen19. Die von den Investoren anvisierte Region ist nicht unbewohnt. Im Gegenteil, auf und von dem trust land leben aktuell rund 200.000 Menschen unterschiedlicher ethnischer Gruppen. Sie bauen Gemüse, Mango, Mais und Bohnen an und betreiben Fischfang. Nomadische Hirten aus dem Hinterland nutzen in der Trockenzeit das Delta, um ihr Vieh zu weiden und zu tränken. Sollte das Delta den aktuellen Plänen zufolge abgezäunt wer13 14 15 16 17 18 19 Details zum Fall in FIAN (2010). Land Grabbing in Kenya and Mozambique. http://ipsnews.net/africa/nota.asp?idnews=47526 Katar hält sich weiter bedeckt, mittlerweile scheint China als Investor für den Hafen eingesprungen zu sein. Vgl.: http://www.africanconservation.org/201004061789/ network/kenyas-second-port-spells-double-devastation.html Persönliches Gespräch mit einem kenianischen Bauernvertreter, Maputo 2009. http://www.g4-group.com/files/Wachu Ranch Environmental and Social Impact Assessment Report - Issue 2.pdf Wadhams, Nick (2007). Kenya plans for huge sugar factory spark bitter dispute. In: National Geographic News, 24.9.2007. http://news.nationalgeographic.com/ news/2007/09/070924-kenya-sugar_2.html http://www.tanariverdelta.org/tana/g1/projects.html 3 FIAN Fact Sheet 2010/4 - Land Grabbing in Kenia den, sind rund 350.000 Stück Vieh von 2.000 Nomadenfamilien bedroht. Aktuell versuchen lokale Gemeinden, die Projekte per Gerichtsbeschluss zu stoppen. Auch in Kenia: Viel Land für Sprit statt für Nahrung In Kenia sind zunehmend Biospritfirmen in großflächige Landnahmen verwickelt. Neben dem obigen Beispiel zu Zuckerrohr wird auch die ‚Wunderpflanze’ Jatropha, aus deren ölhaltigen Nüssen Agrardiesel hergestellt werden kann, in Kenia angebaut20. 2008 kündigte Kenias Regierung an, über 202.000 Hektar Land für Jatropha zur Verfügung zu stellen. Woher sie das Land nehmen will, gab sie nicht an21. Brasiliens Präsident Lula da Silva hat bei seinem Keniabesuch 2010 dem Land Hilfe bei der Entwicklung des Biodiesel-Sektors zugesagt und mitgeteilt, dass Bauern in Kenia verstärkt ihr Land für die Agrartreibstoffproduktion vorbereiteten. Fünf Abkommen wurden unterzeichnet und bilden den Rahmen für die Investitionen22. HG Consulting, eine Gruppe internationaler Investoren mit Sitz in Belgien, plant Investitionen von 330 Mio. Euro zum Bau einer Ethanolanlage in der Nähe von Homa Bay. Bei voller Auslastung soll sie 259 Mio. Liter Ethanol für den Export erzeugen. Das Ngima Project selbst soll nur 1000 Hektar besitzen, aber Bauern sollen über Vertragslandwirtschaft zum Zuckerrohranbau verpflichtet werden, so dass HG Consulting de facto 43.000 Hektar Land kontrollieren würde. Zahlreiche weitere Agrartreibstoffunternehmen sichern sich Land in Kenia oder bebauen es bereits aktiv. Die kanadische Firma Bedford Biofuels verfügt über 160.000 Hektar im östlichen Küstengebiet des Landes für den Jatropha-Anbau und will weitere 200.000 Hektar sichern23. 90.000 Hektar im Tana River Distrikt sollen in Agrartreibstoff-Farmen umgewandelt werden24. Auch Bioenergy International aus der Schweiz plant eine 93.000 Hektar große Jatropha-Plantage. Die US-Firma Xenerga und ihr deutscher Partner EuroFuelTech sollen bereits Jatropha anbauen, nach eigeFirma Fläche/ha Dominion Farms Ltd. (USA) 17.500 Bedford Biofuels (Kanada) Produkt Reis, Fisch 360.000 Jatropha Emirat Katar 40.000 Obst, Gemüse Kenya Jatropha Energy (Italien) 50.000 Jatropha Bioenergy International (Schweiz) 93.000 Jatropha ? Jatropha Xenerga (USA)/ EuroFuelTech (Deutschland) Mumias Sugar Company Ltd (Kenia) 20.000 Zuckerrohr 120.000 Zuckerrohr G4 Industries (UK) 50.000 Rizinus, Kohl, Sonnenblume HG Consulting (Belgien) 42.000 Zuckerrohr Biwako (Japan) 100.000 Jatropha Gepachtete oder verhandelte Fläche gesamt 892.500 Mat International (Kenia) Abb. 2: Gepachtete oder verhandelte Flächen in Kenia nach Firmen und Produkt 20 21 22 23 24 Zum Mythos Jatropha siehe bspw. FIAN (2010). Landraub in Ghana. Der Agrartreibstoffboom schmiert das Geschäft. http://www.regenwald.org/international/englisch/news.php?id=1111 http://latina-press.com/news/32456-brasilien-unterstuetzt-kenia-bei-produktionvon-biodiesel/ http://www.bedfordbiofuels.com/company/plantations/ http://www.tanariverdelta.org/tana/g1/projects.html nen Angaben stehen dafür mehrere hunderttausend Hektar Fläche zur Verfügung25. Der japanische Agrartreibstoff-Konzern Biwako kündigte 2007 an, Jatropha auf 100.000 Hektar anzubauen, was von der kenianischen Regierung bereits genehmigt wurde26. Kenya Jatropha Energy Kenya Jatropha Energy hat sich mit Einverständnis des Malindi County Councils 50.000 Hektar Wald- und Buschland nahe Dakatcha für den Jatropha-Anbau gesichert. Hinter der Firma steht der italienische Konzern NiiSRL (Nuove Iniziative Industriali SRL), der laut eigenen Angaben knapp 840.000 Hektar Land in vier afrikanischen Ländern gepachtet hat und in Kenia aus der Jatropha-Nuss Agrartreibstoffe für Europa herstellen will. Der Konzern pachtete die 50.000 Hektar Gemeindeland über 33 Jahre für ganze 2 Euro je Hektar. Das Projekt bedroht nicht nur das Ökosystem, sondern auch Tausende Menschen, v.a. der indigenen Gemeinschaft der Watha, denen die Vertreibung von ihrem angestammten Land droht27. Über 20.000 Menschen sollen betroffen sein. Die Bewohner erfuhren von der Landnahme erst, als Bulldozer im Januar 2010 begannen, Teil des DakatchaWalds abzuholzen. Auf einer öffentlichen Anhörung im Mai 2010 begrüßten einige Betroffene das Projekt zunächst. NiiKonzernchef Orlandi verkündete auch, dass sich die Bevölkerung bald über 8.000 Jobs freuen könne. Dort meldeten sich aber auch Bauern zu Wort, die von den Projektplanern belogen worden waren. Diese hatten beschwichtigt, dass Jatropha nur auf ungenutzem Land angebaut würde. Kurz darauf wurden jedoch Grenzzäune mitten durch die Farmen der Bauern gezogen28. Nahrungsmittel – aber für wen? Neben Agrartreibstoffen sollen in einigen der Megaprojekte auch Nahrungsmittel angebaut werden (vgl. Abb. 2). Wie aber das Beispiel des Katar-Deals zeigt, ist das Interesse der Investoren die Ernährungssicherung wohlhabender Länder. Stehen rein kommerzielle Interessen im Vordergrund, wird nach den finanzstärksten Konsumenten gesucht. Auch hier kommt die lokale Bevölkerung kaum als „Absatzmarkt“ gegenüber kaufkräftigen Konsumenten in den Städten oder den Industrie- und Schwellenländern in Frage. Die US$ 8,3 Mrd. schwere ägyptische Private-Equity Firma Citadel Capital, die im Sudan rund 107.000 Hektar Land zum Anbau von Zuckerrohr und Feldfrüchten über 99 Jahre gepachtet hat, richtet das Augenmerk auf Kenia. 2009 hatte sie Investitionen über US$ 200 bis 400 Mio. in Kenia und Uganda angekündigt29. In Kenia ist die Firma besonders am Erwerb von Agrarfirmen und der langfristigen Pacht von Land interessiert. Gozour, die Agrar- und Lebensmittelsparte von Citadel, will die Nahrungsmittel nach Ägypten exportieren und zielt darauf ab, die gesamte Wertschöpfungskette „vom Bauern bis zum Ladenregal“ zu kontrollieren. So will der Konzern die Schwankungen der Weltmarktpreise umgehen. Im Frühjahr 2010 erwarb Citadel 51 Prozent der Anteile an Rift Valley Railways, um die Kontrolle über die Nahrungsmittelexporte nach Ägypten zu haben30. 25 26 27 28 29 30 Brot im Tank (2010). Afrika: Mittlerer Osten für Agrotreibstoffe. http://www.greenafricafoundation.org/news.asp?ID=16 Börnecke, Stephan (2010). Das Ende der Wunderpflanze Jatropha. In: Frankfurter Rundschau, 9.7.2010. http://arochakenya.wildlifedirect.org/2010/05/28/public-hearing-for-jatropha-projectin-dakatcha-woodlands/ Dzia dosz, Alexander (2009). Egypt‘s Citadel eyes investment in Kenya, Uganda. Reuters, 25.10.2009. Irungu, Geoffrey (2010). Citadel turns to agriculture in search of investment. In: Business Daily, 12.4.2010. FIAN Fact Sheet 2010/4 - Land Grabbing in Kenia Wie Reisanbau Hunger schafft Ein Fall von Land Grabbing ereignete sich in den Yala-Sümpfen am nordöstlichen Ufer des Victoriasees. Die Region um die Sümpfe (Bezirke Siaya und Bondo) ist mit einer halben Million Menschen dicht besiedelt und die Sümpfe selbst stellen für die Bevölkerung eine wichtige Einkommens- und Nahrungsquelle dar. Die meisten von diesem Land lebenden Menschen haben keine schriftlich festgehaltenen Nutzungsrechte, leben aber seit Generationen dort. 2003 betrat die Firma Dominion Farms Ltd., eine Tochter des US-Konzerns Dominion Group of Companies, im wahrsten Sinne des Wortes das Terrain. Ihr wurden anfänglich von den Bezirksverwaltungen 2.300 Hektar Land zum Reisanbau in Aussicht gestellt. Für diese Fläche wurde auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung erstellt, jedoch pachtete Dominion dann 6.900 Hektar für 25 Jahre mit Option auf Verlängerung. Auf der zusätzlichen Fläche lagen ganze Dörfer. Nur die wenigen Familien, die einen Landtitel besaßen, erhielten Kaufangebote. Die meisten lehnten aber den Verkauf ihres fruchtbaren Landes ab. Kurz darauf stand ihr Land unter Wasser, die Ernte wurde zerstört und Tiere kamen um. Die Familien beschuldigen Dominion, durch das Öffnen der Dämme die Überflutung bewusst ausgelöst zu haben31. Auch die 3 Hektar Land des Kleinbauern Erastas Odindo waren überflutet. Er war ein wohlhabender Bauer und wollte das fruchtbare Land nicht verkaufen, schon gar nicht für die angebotenen 10 Cent pro Quadratmeter. Laut Erastas sandte Dominion sogar Bulldozer, Schlägertruppen und die Polizei zur Einschüchterung. Rund 400 Familien wurden laut Friends of the Yala Swamp vertrieben32. Aktuell versucht die Firma, die restliche Fläche der Yala-Sümpfe zu pachten und ihr Areal auf 17.500 Hektar auszudehnen. 4 Für viele Entwicklungsexperten ist der sicherste Schutz gegen Landverlust der private Landtitel. Damit hat man – so die Idee – einen starken rechtlichen Schutz. Wie das Beispiel Yala-Sümpfe zeigt, stellen aber auch Landtitel keinen umfassenden Schutz gegen Landraub dar. Grundsätzlich problematisch ist, dass Besitzsicherheit einzig gekoppelt wird an wirtschaftlichen Erfolg. Eine schlechte Ernte oder ein Krankheitsfall in der Familie führen schnell zum Verlust des Landes. Diese Problematik hebt auch die Europäische Union in ihren Leitlinien zur Landpolitik hervor: „In einem makroökonomischen Kontext, der die Wirtschaftlichkeit von Kleinbauern untergräbt, kann die Vergabe von Landtiteln zu Notverkäufen führen und damit zur Landlosigkeit vieler und Landkonzentration und Akkumulation durch wenige, was wiederum zu erhöhter Armut […] führt.“33 Zudem wird der Prozess der Titelvergabe oft dominiert von lokalen oder nationalen Eliten, wodurch gerade die ärmsten Gruppen bei der Titelvergabe ausgeschlossen werden. Das Bild im Tana-Delta ist daher differenziert. Einige der ansässigen Bauer sehen private Titel nun als erstrebenswert an. Die Nomaden hingegen sehen ihre Nutzungsrechte eher unter einem gemeinschaftlich organisierten Zugangsrecht garantiert. Schutzmechanismen gegen Land Grabbing sollten weniger auf die Kommerzialisierung von Land als vielmehr auf eine Stärkung der schwach verankerten Nutzungsrechte im formalen Gesetz abzielen. Trügerischer Schutz durch private Landtitel Wie in vielen anderen afrikanischen Ländern ist auch in Kenia nur ein kleiner Teil des Landes Privatland. Etwa sechs Prozent der Landesfläche sind hier durch individuelle Landtitel registriert. So werden bis heute Landnutzung und Nutzungsrechte der unterschiedlichen Gruppen in einem steten Aushandlungsprozess festgelegt. Zwar waren auch in der Vergangenheit Nutzungskonflikte zwischen Nomaden und ansässigen BäuerInnen gerade in der Trockenzeit keine Seltenheit. Doch erst durch die Ankunft von Investoren werden diese Nutzungsregime umfassend in Frage gestellt oder schlicht ignoriert. Durchsetzung des Rechts auf Nahrung für künftige Generationen verbaut Wie 160 weitere Staaten hat Kenia den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte ratifiziert und sich damit verpflichtet, das Menschenrecht auf Nahrung national durchzusetzen. Allerdings wurden bisher keine legislativen Schritte unternommen, um das Recht auf Nahrung in der nationalen Gesetzgebung zu verankern. Im Gegenteil stellt die geplante und teilweise schon umgesetzte Vergabe von knapp einer Millionen Hektar Land eine echte Bedrohung für die nationale Ernährungssicherung und das Recht auf Nahrung heutiger und künftiger Generationen dar. Diese Entwicklung ist besonders problematisch, da der Fokus der Investoren auf den fruchtbaren Gebieten mit ausreichend Zugang zu Wasser liegt. Solche Land-Deals verbauen somit nicht nur in Kenia eine am Recht auf Nahrung ausgerichtete ländliche Entwicklung und verhindern langfristig die nationale Ernährungssicherung. 31 FIAN (2010). Land Grabbing in Kenya and Mozambique, S. 21-26. 32 Knaup, H. und J. v. Mittelstaedt (2009). Die große Jagd nach Land. In: Der Spiegel, 31/2009. 33 European Union (2004). EU Land Policy Guidelines. 5.3.1. FIAN Deutschland e.V. Briedeler Strasse 13 50969 Köln www.fian.de [email protected] Tel.: 0221-7020072 Mit freundlicher Unterstützung durch die Köln, Dezember 2010 Redaktion: Angelika Beck, Roman Herre Gestaltung: Uschi Strauß FIAN, das FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk, ist die internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung: • • • Wir unterstützen Menschen, deren Recht auf Nahrung verletzt wird. Wir setzen uns bei Regierungen und den Vereinten Nationen für die Anerkennung des Rechts auf Nahrung und eine Stärkung des Menschenrechtssystems ein. Wir informieren und leisten Bildungsarbeit.