Dirk Holtbrügge Die russische Automobilindustrie – Struktur und Per

Transcription

Dirk Holtbrügge Die russische Automobilindustrie – Struktur und Per
OSTEUROPA-WIRTSCHAFT, 51. Jhg., 2/2006
Dirk Holtbrügge∗
Die russische Automobilindustrie – Struktur und Perspektiven für in- und ausländische Unternehmungen
Zusammenfassung
In diesem Beitrag werden die Rahmenbedingungen des russischen Automobilmarktes dargestellt und die Perspektiven für russische und ausländische Unternehmungen analysiert.
Es zeigt sich, dass die meisten russischen Automobilproduzenten ohne die Kooperation
mit ausländischen Partnern nicht mehr konkurrenzfähig sind. Bislang haben sich ausländische Unternehmen jedoch erst in einem geringen Maße in Russland engagiert. Verantwortlich dafür sind insbesondere die als unzureichend empfundenen rechtlichen Rahmenbedingungen sowie fehlende Investitionsanreize. Für die Zukunft ist jedoch mit einem starken Anstieg ausländischer Direktinvestitionen zu rechnen.
Abstract
In this paper, the structure of the Russian automobile market and the perspectives for Russian and foreign car makers are analyzed. The study shows that most Russian companies
need foreign partners in order to remain competitive. Up to now, however, few foreign
companies have made considerable investments in the country. The reasons for this are legal problems as well as the lack of incentives. For the future, however, foreign direct investment may be expected to increase considerably.
1. Problemstellung und Zielsetzung
Die Automobilindustrie ist gegenwärtig mit zahlreichen weit reichenden Herausforderungen konfrontiert. Vor allem die Globalisierung hat deren Rahmenbedingungen grundlegend verändert:1
• Die Sättigung der traditionellen Märkte zwingt Unternehmen zur Suche nach
neuen Absatzchancen;
• ein sich ständig verschärfender Kostenwettbewerb sowie erhebliche Überkapazitäten führen zu einer weltweiten Suche nach Kostensenkungspotenzialen;
• eine zunehmende Forschungs- und Entwicklungsintensität und die damit verbundenen Fixkosten zwingen Unternehmen dazu, ihre F&E-Anwendungen
auf möglichst viele Produktionseinheiten zu verteilen.
∗
Prof. Dr. Dirk HOLTBRÜGGE ist Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Management
an der Universität Erlangen-Nürnberg, Lange Gasse 20, 90403 Nürnberg, Email:
[email protected].
Der Verfasser dankt Vladimir KURBATOV und Julia BUZARONOVA für die Mithilfe bei
der Datenrecherche.
1
J. SPATZ/P. NUNNENKAMP: Globalisierung der Automobilindustrie: Wettbewerbsdruck,
Arbeitsmarkteffekte und Anpassungsreaktionen, Berlin et al. 2002, S. 5 f.
Die russische Automobilindustrie
141
Im Zuge dieser Herausforderungen rücken zunehmend neue Märkte in den
Blickpunkt der großen Automobilproduzenten. Neben China und Indien zählt dazu vor allem Russland, das sowohl ein großes Marktpotenzial als auch günstige
Kostenstrukturen bietet.2 Im Unterschied zu China haben sich ausländische Automobilproduzenten bislang in Russland jedoch erst in einem sehr geringen Maße
engagiert. Das Ziel dieses Beitrags ist es deshalb, einerseits die Gründe für diese
Zurückhaltung zu analysieren und andererseits die Perspektiven des russischen
Automobilmarktes zu untersuchen.
Im Folgenden werden zunächst die wichtigsten Charakteristika des russischen
Markt für Personenkraftwagen (Pkws). Dabei wird in die Nachfragebedingungen
sowie die Angebotsstruktur und die wichtigsten russischen Anbieter differenziert.
Anschließend werden die rechtlichen Rahmenbedingungen für ausländische Automobilproduzenten erläutert, bevor deren bereits bestehende und für die Zukunft
geplante Engagements skizziert werden. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick
auf zukünftig zu erwartende Entwicklungen.
2. Nachfragebedingungen
In der ehemaligen UdSSR wurde das Angebot an Automobilen nur in einem geringen Maße durch marktliche Faktoren beeinflusst. Anfang der siebziger Jahre
betrug der Bestand an Pkws nur 1,5 Mio. Fahrzeuge. Die Inbetriebnahme von AvtoVAZ (Lada) im Jahre 1970 mit einer geplanten Kapazität von 660.000 Pkws
pro Jahr (1975) änderte die Situation erheblich. Der Bestand wuchs um 700.000
bis 900.000 Pkws jährlich und umfasste Ende der achtziger Jahre über 15 Mio.
Fahrzeuge.3
Obwohl die heimische Automobilproduktion nach dem Zerfall der UdSSR
stark zurückging, wuchs der Bestand in den Jahren 1991-1994 um ca. 8-10% pro
Jahr. Dafür waren vor allem zwei Gründe maßgeblich. Zum einen sank der Export
von Pkws in andere frühere Sowjetrepubliken, der zuvor rund 50% der Produktion ausmachte, durch die entstehenden Zoll- und Währungsbarrieren erheblich.
Zum anderen nahm vor allem der private Import stark zu. Als Folge davon stieg
der Anteil von ausländischen Marken am Automobilbestand von 1991 bis 1995
von 1,9% auf 8,1% an.4
Ein zentrales Merkmal des Pkw-Bestandes ist der sehr große Anteil alter Autos. Mehr als die Hälfte aller Pkws sind älter als 10 Jahre, wobei eine Tendenz zu
einer weiteren Veralterung zu beobachten ist (vgl. Tabelle 1).
Anfang 2005 umfasste der Bestand 24,2 Mio. Pkws, wobei der Anteil ausländischer Marken ca. 4,7 Mio. Pkws bzw. 19,4% betrug. Den größten Anteil daran
hat Toyota mit 24,5%, gefolgt von VW (9,5%), Nissan (8,2%), Opel (7,1%), Audi
(6,9%), Ford (6,2%), Mercedes (5,6%), Mitsubishi (5%)und BMW (4,2%).5
2
J. AUTSCHBACH: Internationale Standortwahl: Direktinvestitionen der deutschen Automobilindustrie in Osteuropa, Wiesbaden 1997.
3
N. KRASNOV: Razvitie avtomobil’nogo parka, Tjumen 1999, S. 29 ff.
4
N. KRASNOV: Razvitie avtomobil’nogo parka, Tjumen 1999, S. 39 f.
5
S. CELIKOV: Avtomobil’nyj rynok Rossii 2005, Togliatti 2005, S. 105.
Dirk Holtbrügge
142
Tabelle 1: Altersstruktur des PKW-Bestands zwischen 1999 und 2004
Jahr
1999
2000
2001
2002
2003
2004
bis 5 Jahre alt
(in %)
20,0
20,6
21,4
19,5
19,5
20,8
5 bis 10 Jahre alt
(in %)
32,6
32,2
32,3
31,0
30,5
29,1
über 10 Jahre alt
(in %)
47,4
47,2
46,3
49,5
49,9
50,1
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an S. CELIKOV, Avtomobil’nyj rynok Rossii,
Togliatti 2005.
Bei einer Bevölkerung von 143,5 Mio. Menschen macht der Automobilisierungsgrad des Landes Anfang 2006 im Durchschnitt 177 Pkws pro 1.000 Einwohner aus. Selbst im Vergleich zu anderen mittel- und osteuropäischen Ländern
ist dieses Niveau sehr niedrig. So liegt diese Kennziffer in Polen bei 323, in
Tschechien bei 389 und in Deutschland bei 591 PKWs je 1.000 Einwohner.6
Die PKW-Dichte weist sehr große regionale Unterschiede auf. So variiert der
Automobilisierungsgrad von ca. 50 (im Autonombezirk Čuchotskij oder in der
Republik Dagestan) bis ca. 240 (im Gebiet Kamčatka, Moskau und Kaliningrad)
Pkws pro 1.000 Einwohner. Der Anteil von ausländischen Marken ist in den
Grenzgebieten am größten und umfasst hauptsächlich gebraucht importierte
Pkws. In Moskau liegt dieser bei 33,1%.7
Das Käuferverhalten unterscheidet sich erheblich von westlichen Ländern. In
den dortigen gesättigten Märkten ist eine zunehmende Individualisierung der
Kundenwünsche zu beobachten. Autos dienen dort nicht nur als Transportmittel,
sondern auch als Mittel zum Ausdruck des eigenen Lebensstils. Die Folgen davon
sind eine Fragmentierung (Verringerung des Marktanteils einer bestimmten Anzahl erfolgreicher Modelle) und eine Polarisierung (Ausdünnung der mittleren
Marktsegmente) der Märkte. Für den russischen Markt ist dagegen der Preis immer noch ausschlaggebend. Die Individualisierung ist nur gering ausgeprägt und
Ein-Modell-Produktionen vorherrschend. Auch die Ansprüche der Verbraucher
an Sicherheit, Ausstattung und vor allem Umweltverträglichkeit sind relativ gering.
Die Einstellung der Käufer gegenüber ausländischen und insbesondere deutschen Pkws ist positiv. Dagegen ist das Image heimischer Pkws traditionell negativ: „The Russians want Japanese products that are made in Japan“, so James Muir, Vizepräsident für Vertrieb von Mazda Motors Europe.8 Die Unterstützung der
russischen Automobilproduzenten wird jedoch vielfach als patriotische Pflicht
6
ERNST & YOUNG: The Russian Automotive Market. Industry Overview, Moskau 2006, S.
16.
7
S. CELIKOV: Avtomobil’nyj rynok Rossii 2005, Togliatti 2005, S. 142, 106, 138.
8
T. LEWIN: “Next Mazda 2 won’t be built in Europe”, in: Automotive News Europe,
10.1.2005, S. 3.
Die russische Automobilindustrie
143
angesehen, so dass bei einer entsprechenden Qualität und Positionierung auch
speziell für Russland adaptierte Pkws Absatzchancen auf dem russischen Markt
haben.
Ein wesentliches Merkmal der Nachfrage nach Pkws ist der geringe Anteil
kreditfinanzierter Käufe. Während deren Anteil in den USA rund 80% und in
Westeuropa etwa 60% beträgt, lag diese Kennzahl in Russland im Jahre 2004 nur
bei etwa 20-25%.9 Die Kreditfinanzierung von Autos ist erst seit 1997 möglich.
Zunächst war deren Bedeutung aufgrund gesetzlicher Restriktionen nur gering.
Sie nahm spürbar zu, nachdem im Jahre 2002 die Kreditvergabe deutlich erleichtert wurde. Im Vergleich zu Westeuropa sind die Zinssätze jedoch relativ hoch.
Derzeit betragen die Zinsen für Kredite in US-$ oder Euro 9-13% und 12-19% für
Kredite in Rubel. Günstiger sind Kredite von Autobanken. So bieten etwa Audi
und Ford ihren Kunden Zinssätze zwischen 4,9 und 5,9% an. Derzeit ist die Bedeutung von Autobanken jedoch noch sehr gering, für die nächsten Jahre kann allerdings mit einem starken Wachstum gerechnet werden.10
3. Absatzstruktur
Der Neuwagenmarkt hat sich während der letzten 10 Jahre stark gewandelt. Der
Marktanteil russischer Hersteller, der Mitte der neunziger Jahren noch über 95%
betrug, ist auf rund 50% geschrumpft (vgl. Abb. 1) Zwar blieb das absolute Absatzvolumen russischer Automobilproduzenten relativ konstant, das Marktvolumen nahm jedoch insgesamt zu. Zudem ist ein Preiseffekt zu beobachten, d.h. der
Durchschnittspreis importierter Pkws stieg an, während dieser bei russischen
Pkws gleich blieb.
Nachdem zu Beginn der neunziger Jahre die meisten ausländischen Pkws grau
und fast ohne Zollgebühren importiert wurden, hat sich die Situation in den letzten Jahren stark gewandelt. Zum einen wurden die Kontrollen durch den Zoll erheblich verschärft. Zum anderen können Importeure, die einen Vertrag mit einem
Automobilproduzenten haben, ein vereinfachtes Verfahren der Zollabwicklung in
Anspruch nehmen. Die Zollgebühren werden dabei nicht aufgrund der Einzelhandelspreise, sondern der von den Produzenten angegebenen Großhandelpreisen berechnet. Dafür verlangt das Zollamt, dass die Einfuhr der Fahrzeuge einer Marke
exklusiv von einem einzigen Importeur (nach Möglichkeit vom Produzenten
selbst) durchgeführt wird. Andere Händler dürfen die importierten Pkws von diesen General-Importeuren erst nach vollzogener Grenzenüberschreitung erwerben.
Dieses zentralisierte System schafft eine höhere Transparenz und Kontrollierbarkeit und dient dementsprechend nicht nur den Interessen des Zollamtes, sondern
auch denen der Automobilproduzenten. Gegenwärtig werden über 80 Prozent aller Neuwagen auf diesem Wege importiert.11
9
N. SIVOVOLOV: “Rol’ avtokreditovanija v razvitii avtomobil’nogo rynka v Rossii: problemy i perspektivy razvitija”, in: Sbornik dokladov po rezultatam konferenzii “Razvitie
avtomobil’nogo rynka v Rossii: sovremennost’ i perspektivy”, Moskau, 2005, S. 54.
10
B. LJAUV: “Audi doplatit za kredit”, in: Vedomosti, 25.4.2005.
11
A. MIRONOV: “Dilerskie seti avtoproizvoditelej v Rossii”, in: Sbornik dokladov po
rezultatam konferenzii „Razvitie avtomobil’nogo rynka v Rossii: sovremennost’ i perspektivy, Moskau, 2005, S. 27 f.
144
Dirk Holtbrügge
Abbildung 1: Struktur des russischen Automobilmarktes in 2005
importierte
Gebrauchtwagen:
16,6%
russische
Produzenten:
49,6%
importierte
Neuwagen:
25,3%
ausländische
Produzenten:
8,5%
Quelle: ERNST & YOUNG, The Russian Automotive Market. Industry Overview. Moskau
2006, S. 3.
Die geographische Verteilung des Händlernetzes ist sehr ungleichmäßig. Das gilt
vor allem für ausländische Marken, die auf mehr als der Hälfte des Territoriums
überhaupt nicht vertreten sind. Mehr als 18 Prozent aller Händler befindet sich in
Moskau oder im Moskauer Gebiet. Weitere 16 Prozent sind in den drei Städten
St. Petersburg, Togliatti und Ekaterinburg angesiedelt. Landesweit gibt es rund
1.500-1.800 Händlerzentren.12 In den letzten Jahren haben fast alle Händler ausländischer Marken ihre Netzwerke ausgebaut, währen russische Hersteller die
Anzahl von Händlerzentren verringert haben.
Im Gegensatz zum Absatz weist die Produktion von Pkws eine stagnierende
Tendenz auf. Während 2004 1,10 Mio. Pkws produziert wurden, betrug diese
Kennzahl 2005 1,07 Mio. Stück.13 Der überwiegende Teil davon entfällt auf russische Produzenten, deren Anteil im Vergleich zu ausländischen Produzenten jedoch sinkt (vgl. Tab. 3).
12
13
Ebenda, S. 29
ERNST & YOUNG: The Russian Automotive Market. Industry Overview. Moskau 2006, S.
4.
Die russische Automobilindustrie
145
Tabelle 3: Pkw-Produktion in Russland in den Jahren 2002-2005
Produzenten
(Marken)
Produktion
insgesamt
Russische
Produzenten
AvtovAZ
(Lada)
Ižavto
(Izh, Lada)
GAZ (GAZ)
UAZz (UAZ)
Zma + SeAZ
(Oka)
Andere
Ausländische
Produzenten
Montagewerke
Avtoto
(Kia, BMW,
Hummer, Chevrolet)
TagAZ
(Hyundai)
Produktion
Ford
GM-AvtovAZ
(Chevrolet)
Avtoframos
(Renault)
Standort
2002
2003
2004
2005
981.765
1.010.028
1.100.475
1.068.145
970.600
955.861
977.291
914.288
Togliatti
703.040
699.889
717.985
721.492
Iževsk
65.841
78.497
82.687
45.621
Nišnij
Novgorod
Uljanovsk
Naberešnij
Chelnij
65.648
56.783
65.686
51.696
33.646
58.135
32.748
40.016
31.136
41.207
29.141
30.280
44.290
11.195
47.928
57.150
38.590
127.263
36.058
153.857
Kaliningrad
8.202
5.712
14.311
8.415
41.893
14.525
58.754
16.303
Taganrog
2.490
5.896
30.000
42.451
Vsevolžsk
Togliatti
2.993
2.474
370
42.839
16.261
21.839
85.370
29.703
57.737
95.103
33.038
51.819
149
1.343
517
10.246
Moskau
Quellen: S. CELIKOV: Avtomobil’nyj rynok Rossii 2005, Togliati 2005; ERNST & YOUNG:
The Russian Automotive Market. Industry Overview. Moskau 2006, S. 4.
146
Dirk Holtbrügge
4. Russische Automobilhersteller
4.1. Allgemeine Merkmale
Abgeschottet nicht nur vom internationalen, sondern auch vom heimischen Wettbewerb, hat sich in Russland eine Automobilindustrie entwickelt, deren Produktqualität und Produktivität weit hinter westlichen Standards zurückgeblieben ist.
Das technische Niveau der produzierten Motoren hat sich seit den achtziger Jahren fast nicht geändert und automatische Schaltungen, ABS, Parkkontrollen, Klimaanlagen oder Navigationssysteme haben noch keinen Einzug in die Produktion
gefunden. Sicherheits- und Umweltaspekte werden nur in einem sehr geringem
Maße berücksichtigt und das Design ist wenig ansprechend. Kompensiert werden
diese Nachteile durch niedrige Preise, die jedoch im Verhältnis zu ausländischen
Gebrauchtwagen an Gewicht verlieren. Die russische Automobilindustrie wäre
deshalb noch weitaus weniger konkurrenzfähig, wenn sie nicht durch zwei Ereignisse in den letzten Jahren begünstigt worden wäre. 1998 haben sich die relativen
Preise aufgrund der Finanzkrise drastisch verringert und 2004 wurden die Zollgebühren auf Gebrauchtwagen erhöht. Trotz dieser Ereignisse ist mit dem Moskauer
Werk AZLK, dem Hersteller des Moskvič, ungeachtet von Interventionen der
Moskauer Stadtregierung bereits der erste russische Automobilproduzent insolvent gegangen. Andere haben erheblich Absatzprobleme und einen Anstieg ihrer
Schulden zu verzeichnen. Allmählich setzt sich deshalb die Erkenntnis durch,
dass eine weitgehende Restrukturierung der Branche unerlässlich ist.
Weitere Probleme russischer Automobilproduzenten sind Überkapazitäten und
Investitionszurückhaltungen. Die Überkapazitäten sind auf nicht nur auf veraltete
Produktionsmethoden, sondern auch auf das soziale Verantwortungsbewusstsein
zurückzuführen. Viele Automobilproduzenten stellen die größten Arbeitgeber in
ihrer Region dar, so dass Massenentlassungen erhebliche soziale Probleme verursachen würden.
Die Kapitalinvestitionen in die Automobilindustrie in Russland liegen auf einem sehr niedrigen Niveau. Während die Investitionen in Deutschland durchschnittlich bei 2.343, in Großbritannien 2.080, in Tschechien 1.922, in Polen
1.606, in Frankreich 1.380, in der Slowakei 1.190 Euro pro Fahrzeug liegen, beträgt diese Kennzahl in Russland nur 465 Euro.14 Dabei werden 83 bis 94 Prozent
der Kapitalinvestitionen aus eigenen Mitteln des jeweiligen Unternehmens finanziert.15
14
ROLAND BERGER/OST-AUSSCHUSS DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT: Developing a Competitive Russian Automotive Supplier Industry,
http://www.rolandberger.com/pdf/rb_press/public/RB_Developing_a_competitve_Russi
an_automotive_supplier_industry_20050501.pdf, S. 8.
15
D. ACHMEDOV: „Prognozy razvitija avtomobil’noj otrasli v Rossii“, in: N.N.: Sbornik
dokladov po rezultatam konferenzii „Razvitie avtomobil’nogo rynka v Rossii: sovremennost’ i perspektivy, Moskau 2005, S. 154.
Die russische Automobilindustrie
147
4.2. AvtoVAZ
AvtoVAZ ist der größte Automobilproduzent Osteuropas. Ihr Anteil am BIP
Russlands beträgt ca. 1 Prozent. Insgesamt sind in dem Unternehmen über
120.000 Mitarbeiter beschäftigt. Neben dem Hauptwerk in Togliatti hat AvtoVAZ
ca. 25 100%ige Tochtergesellschaften sowie Kapitalbeteiligungen an über 300
Unternehmen.
Die Gründung von AutoVAZ geht auf ein im Mai 1966 vom Minister der Automobilindustrie der UdSSR und vom Präsidenten der italienischen Fiat AG geschlossenes Abkommen über technische Kooperation zurück. Das Abkommen
sah eine gemeinsame Entwicklung eines Pkw-Modells, das auf der Konstruktion
des Fiat-124 basierte, sowie die Projektierung und Errichtung eines Automobilwerks für dessen Produktion vor. Schon im April 1970 wurden in Togliatti die
ersten Autos gefertigt.16
Als Folge der zunehmenden ausländischen Konkurrenz und der erheblichen
Marktanteilsverluste führt das Unternehmen gegenwärtig zahlreiche Maßnahmen
durch, um im verschärften Wettbewerb zu bestehen. Im Jahre 2004 wurden zwei
neue Modelle der B-Klasse auf den Markt gebracht, der Lada Kalina (Investitionen 640 Mio. US-$, geplante Kapazitäten 220.000 Autos pro Jahr) und der Lada
Priora (Investitionen 200 Mio. US-$). 2009 sollen zwei weitere Modelle im Bund C- Segment vom Band rollen.17 Finanziert werden diese Investitionen durch
die Aufnahme von Krediten bei russischen und ausländischen Banken sowie zwei
Anleihen (2004: 150 Mio. US-$, 2005: 250 Mio. US-$) in Form von Credit Link
Notes.
Von allen russischen Automobilproduzenten besitzt AutoVAZ das breiteste
Produktprogramm, wobei alle Modelle im unteren Preissegment liegen. Die Preise variieren von ca. 4.100 US-$ für einen Lada 2105 bis ca. 8.800 US-$ für den
Minivan Lada 2120. Der neue Lada Kalina kostet ca. 7.800 US-$.
Die Strategie von AutoVAZ kann als „revised Fordist model“ bezeichnet werden. „This appears to be possible under the following conditions: maximum level
of vertical integration, single product strategy, popular-car market position, total
reliability, simple technology, and minimum price”.18 Da das technische und organisatorische Niveau der ausländischen Konkurrenten kaum aufholbar und eine
Differenzierungsstrategie deshalb weniger Erfolg versprechend ist, wird durch eine Kostenführerschaftstrategie versucht, den Verlust von Marktanteilen zu bremsen. Zudem verfolgt AutovAZ eine regionale Nischenstrategie, indem verstärkt
auch in kleineren Städten Händlerzentren errichtet werden, in denen ausländische
Unternehmungen bislang noch nicht vertreten sind.19
Zusammen mit der Unternehmensberatung A. T. Kearney hat AutoVAZ im
Jahre 2005 ein umfangreiches Programm zur Kostenreduktion eingeleitet. Die
Kosten sollen in den nächsten drei Jahren um 10 Prozent (ca. 500 Mio. US-$) re16
AVTOVAZ: Avtovaz – korporativnaja istorija, http://history.vaz.ru/activity/activity.htm.
A. VINOGRADOV: Avtovaz opravdaet investizii, http://www.rbcdaily.ru/comments/ index.shtml?2005/ 02/16/37741.
18
J.-J. CHANARON: “Lada: Viability of Fordism?”, in: FREYSSENET M. et al. (Hrsg.): One
best way?, Oxford 2004, S. 440-451, hier S. 449.
19
G. STOLJAROV: “Avtovaz nacelilsja na provinciju”, in: Vedomosti, 10.06.2005.
17
148
Dirk Holtbrügge
duziert werden. Das Programm beinhaltet vor allem die Auslagerung der nicht
produktionsverbundenen Aktivitäten wie Sozialeinrichtungen. Außerdem sollen
die Verhandlungsmacht gegenüber Zulieferern gestärkt, Personal abgebaut und
ein Direktvertrieb eingeführt werden.20
4.3. Andere russische Produzenten
Die Gruppe Ruspromavto umfasst 15 Unternehmen, die Lkws, Pkws, Autobusse,
Motoren und Komponenten herstellen. Eines der größten davon ist die GAZ AG
in Nišnyj Novgorod, wo u.a. der Vol’ga produziert wird. Ein großer Teil der
Nachfrage von GAZ entfällt traditionell auf regionale Ämter und Behörden sowie
Taxiunternehmen.
GAZ ist schon seit Langem auf der Suche nach ausländischen Partnern. Mitte
der neunziger Jahre wurden zunächst Verhandlungen mit Fiat über die Montage
des Brava und Stilo geführt. Anschließend wurden Partnerschaften mit Nissan
und Toyota diskutiert. Zurzeit verhandelt das Unternehmen mit dem indischen
Produzenten Mahindra & Mahindra über die Produktion des Mahindra Scorpio
(Jeep-Segment). Eine Entscheidung soll nach den technischen Tests und der
Marktanalyse getroffen werden.21 Zudem hat GAZ im Frühjahr 2005 einen Vertrag mit Daimler-Chrysler über die Lieferung von 27.000 Motoren abgeschlossen.
Der Preis eines Vol’ga wird sich dadurch um ca. 500 US-$ auf rund 9.000 US-$
erhöhen.22
Zur SOK-Gruppe gehören die Pkw-Werke Roslada im Gebiet Samara (führt
die Montage des Lada im Auftrag von AvtoVAZ durch) und Ižavto in Iževsk,
Udmurtien. Sie ging 1994 aus einem Händler von AutoVAZ hervor und umfasst
derzeit mehr als 15 Unternehmen. Bis 2005 produzierte Ižavto Pkws der Marken
Iž und Lada, die beide zum Niedrigstpreissegment zählen. Aufgrund der technologischen Rückständigkeit und der schlechten Ertragslage wurde im August 2005
ein Lizenzabkommens mit Kia Motors zur Produktion des Spectra abgeschlossen.
Innerhalb von sechs Monaten wurde eine SKD-Montage aufgenommen. Später
sollen auch Schweiß- und Lackierungsarbeiten durchgeführt werden. In einer dritten Phase (in 1,5-2 Jahren) soll der Anteil der in Russland produzierten Teile
mindestens 60 Prozent betragen. Im Jahre 2006 sollen 25.000 und im Jahre 2007
40.000 Pkws gefertigt werden. Die Gesamtinvestitionen betragen ca. 100 Mio.
US-$. Das Modell Spectra gehört zur D-Klasse und wird in Abhängigkeit der
Ausstattung 11.500 bis 14.500 US-$ kosten. Im Erfolgsfall sollen für Kia weitere
Modelle produziert und die Produktion des Lada eingestellt werden.23
Die Severstal-Gruppe umfasst die Automobilwerke UAZ in Uljanovsk und
ZMA in Naberejnye Chelny, Tatarstan. Bis 2005 gehörte ZMA zu dem LkwHersteller KamAZ. UAZ ist ein Nischen-Produzent und konzentriert sich auf die
20
N.N.: Kontrol’ izderžek – neobchodimoe uslovie razvitija, http://www.autosphere.ru/
2005-10-14/4/.
21
A. VINOGRADOV: Gaz perekluchilsja na indiiskie avtomobili, http://www.rbcdaily.ru/
comments/index.shtml?2005/11/02/211185.
22
R. FILTSOV: “Vernut spros”, in: Vedomosti, 3.11.2005.
23
N.N.: V Rossii načalis prodat’ Kia Spectra, no Avtovazu poka ne strašna konkurenzija,
http://www. automen.ru/news/show.asp?topicid=1001&id=2851.
Die russische Automobilindustrie
149
Produktion von russischen Jeeps.24 Diese gelten als qualitativ relativ hochwertig
und sicher. Seit 2004 wurden die Produkte teilweise neu gestylt und die neuen
Modelle Hunter, Simbir und Patriot auf den Markt gebracht. Der durchschnittliche Preis eines UAZ beträgt ca. 7.000 US-$. Die Motoren werden vom Zavol΄skij
Motorenwerk (ZMZ) geliefert.
ZMA und das zur AutoVAZ-Gruppe gehörende Unternehmen SeAZ in Serpuchov, Moskauer Gebiet, sind zwei voneinander unabhängige Hersteller des Oka.
Der Oka gehört zur A-Klasse und zeichnet sich durch eine einfache Konstruktion
und einen sehr niedrigen Preis von ca. 3.000 US-$ aus. Die Motoren für beide
Werke werden bei AvtoVAZ produziert.
Ende 2004 hat Severstalauto mit SsangYong ein Lizenzabkommen über die
Produktion des Jeep Rexton abgeschlossen. Der Preis des Modells liegt mit ca.
30.000 US-$ deutlich über dem russischer Konkurrenten wie Niva, ChevroletNiva und VAZ. 25 Allmählich soll die Produktpalette um drei weitere Modelle
(D100, C100 und Rodius) erweitert werden. Für die Produktion werden die Anlagen des ZMA-Werks genutzt, wo die Fertigung des Oka innerhalb von 3 Jahren
eingestellt werden soll26. Severstalauto ist auch auf der Suche nach anderen ausländischen Partnern. Die Kapazität des ZMA-Werks beträgt 80.000 Pkws pro
Jahr, von denen gegenwärtig lediglich 40.000 für die Produktion von SsangYongModellen ausgeschöpft werden.
5. Rechtliche Rahmenbedingungen für ausländische Automobilproduzenten
Aufgrund der großen Rolle der Automobilindustrie für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hat die russische Regierung in den letzten Jahren zahlreiche
Konzepte, Gesetze und Verordnungen verabschiedet, die deren strategische Neuausrichtung vorsehen. Das grundlegende Dokument, dass die Prioritäten in der
Automobilindustrie reglementiert, ist das im Juli 2002 verabschiedete „Konzept
der Entwicklung der Automobilindustrie Russlands“. 27 Darin wird der Rückstand
der heimischen Automobilproduzenten bezüglich des technischen und technologischen Niveaus, der Sicherheit, Ökologie und des Komforts anerkannt und als Ziel
die Beseitigung dieser Mängel sowie die Integration in die Weltautomobilindustrie bis zum Jahr 2010 genannt. Dazu sollen insbesondere Investitionen ausländischer Unternehmen beitragen.
Ein Anreiz dafür bietet die Zollgesetzgebung. Die Höhe der Zollgebühren für
importierte Automobile wurde in den letzten Jahre mehrfach geändert. Im Januar
2004 wurden Schutzzölle für privat importierte Autos, die älter als 7 Jahre sind,
eingeführt. Für Autos mit einem Hubraum über 2.500 cm³ sind 3 Euro pro cm³
fällig, mit kleinerem Hubraum 2 Euro pro cm³. Für neue Pkws (nach der russischen Zollgesetzgebung gelten Autos unter drei Jahren unabhängig vom Kilome24
SEVERSTALAUTO: Istorija, http://www.severstalauto.ru/company.asp.
A. VINOGRADOV: UAZik stanet vostočnym Jipom, http://www.rbcdaily.ru/comments/index.shtml? 2004/12/06/32463.
26
Y. KARULINA: Oka popala pod koreiskii Jeep, http://www.autosphere.ru/2005-05-19/3/.
27
Rasporjaenie Pravitelstva RF ot 16.07.2002 N 978-p „O Koncepzii razvitija avtomobil’noj promyšlennosti Rossii“, in: Rossiiskaja gazeta, 24.7.2002, S. 10 ff.
25
150
Dirk Holtbrügge
terstand als neu) betragen die Zollgebühren mindestens 48 Prozent des Kaufpreises. Diese können je nach Hubraum noch weiter steigen. Für Pkws zwischen drei
und sieben Jahren sind die Tarife gestaffelt und betragen 0,85 Euro (Hubraum unter 1.000 cm³), 1 Euro (1.000 bis 1.500 cm³), 1,5 Euro (1.500 bis 1800 cm³), 1,75
Euro (1.800 bis 2.300 cm³), 2 Euro (2.300 bis 3.000 cm³) und 2,25 Euro (über
3.000 pro cm³).28 Die Einführung dieser Schutzzölle hat den privaten Import von
Kraftfahrzeugen deutlich gebremst. Die Importzölle für juristische Personen
betragen für Autos, die nicht älter als sieben Jahre sind, gegenwärtig 25 Prozent.
Die Zollgebühren für Autokomponenten stellten lange Zeit eines der größten
Hindernisse für ausländische Unternehmen dar, eine Montage von Pkws in Russland durchzuführen. Sie betrugen im Durchschnitt 12 Prozent (für Motorteile 5
Prozent, für fertige Motoren 10 Prozent sowie für Kabel 20 Prozent). Durch eine
Verordnung der Russischen Regierung vom März 2005 wurden diese Zölle auf
die meisten Autokomponenten, die mit dem Ziel der industriellen Montage importiert werden, aufgehoben. Um diese Zollreduzierung in Anspruch nehmen zu
können, müssen ausländische Automobilproduzenten mindestens 25.000 Einheiten jährlich in Russland herstellen und die folgenden Aktivitäten durchführen:29
Schweißen, Lackierung und Montage der Karosserie; Montage der Ausrüstung;
Montage des Motors und der Lenkung; Montage der elektrischen Ausrüstung;
Pflichtprüfung der fertigen Fahrzeuge.
Die Aufhebung der Zollgebühren wird von ausländischen Automobilproduzenten einhellig begrüßt, da viele hochtechnologische Komponenten in Russland
gar nicht oder nicht in der erforderlichen Qualität hergestellt werden. Sowohl russische Automobilproduzenten als auch die Hersteller von Automobilkomponenten
sehen in der Verordnung dagegen ein Gefahr für ihre Existenz. Zum einen wird
die schwache Positionen der rein russischen Komponentenproduzenten noch weiter verschlechtert. Zum anderen vermindert sich die Attraktivität des Kfz-TeileSegments für ausländischen Investoren, weil der Import von Teilen preiswerter
wird.30
Auch die Zollsätze auf den Import von Produktionsanlagen wurden in den
letzten Jahren reduziert. So wurden im April 2005 die Zölle für industrielle Roboter, Schweiß- und Lackierungsausrüstungen sowie eine Reihe von anderen Anlagen aufgehoben, da diese in Russland nicht hergestellt werden. Dies bietet ausländischen Produzenten einen Anreiz dazu, von der Montage zur Produktion überzugehen. Für inländische Unternehmen bietet sich dadurch die Möglichkeit,
veraltete Anlagen kostengünstig zu modernisieren. Die Aufhebung von Zöllen auf
28
Postanovlenie Pravitelstva RF ot 29.11.2003 N 718 „Ob utverždenii položenija o primenenii edinych stavok tamožennych pošlin, nalogov v otnoženii tovarov, peremežaemych
čerez tamožennuju granicu Rossiiskoi Federazii ficičeskimi lizami dlja ličnogo polzovanija“, in: Rossiiskaja gazeta, 2.12.2005, S. 13.
29
Prikaz Minèkonomrazvitija RF N 73, Minpromenergo RF N 81, Minfina RF N 58n ot
15.04.2005 „Ob utverždenii porjadka, opredeljajušego ponjatie „Promyšlennaja sborka“, in: Rossiiskaja gazeta, 4.5.2005, S. 10.
30
N.N.: Kompromiss vozmošen?, http://www.abiz.ru/?id=679&PHPSESSID=4625e7
c4059 ef262fde 9002992d9a608.
Die russische Automobilindustrie
151
den Import moderner Produktionsanlagen wird deshalb auch von russischen Produzenten (AvtoVAZ und KamAZ) begrüßt.31
6. Montagewerke ausländischer Unternehmen
6.1. Allgemeine Merkmale
Im Unterschied zur Auslandsproduktion werden bei der Auslandsmontage halbfertige oder sogar wieder zerlegte Fahrzeuge exportiert und zusammengesetzt.
Man unterscheidet zwei Arten der Kfz-Montage: SKD (semi-knocked-down) und
CKD (complete-knocked-down). Während die Teile im Falle der SKD-Montage
bereits lackiert sind und die Autos nur geringfügig zerlegt werden, ist die CKDMontage durch eine komplette Zerlegung und unlackierte Karosserieteile gekennzeichnet.
Ein wichtiges Motiv für die Pkw-Montage in Russland ist die Umgehung von
Zollschranken. Im Unterschied zum Export wird ein Teil der Wertschöpfung lokalisiert, so dass die vielfach bestehenden Local-Content-Anforderungen erfüllt
werden können. Ein weiterer Vorteil sind die niedrigeren Kapitalinvestitionen.
Die Montage basiert zumeist auf einem Lizenzvertrag, wodurch garantierte Einnahmen bei einem geringen Risiko erzielt werden können. Aufgrund der geringen
Fertigungstiefe ist auch das Risiko der Image-Beeinträchtigung akzeptabel.
Für russische Unternehmer liegen die Vorteile der Montage in der großen Flexibilität der Produktion. Die Produktionsanlagen sind universell einsetzbar und
nur in geringem Maße an bestimmte Marken oder Modelle gebunden, weshalb sie
in Folge konjunktureller Schwankungen oder eines Partnerausfalls schnell und
mit geringem Aufwand umgestellt werden können. Außerdem ist die Komplexität
des Produktionsprozesses gering.
6.2. TagAZ
Der Aufbau des TagAZ-Automobilwerks in Taganrog im Süden Russlands begann Anfang 1997 und wurde in weniger als 1,5 Jahren abgeschlossen. Die Gesamtinvestitionen der Doninvest-Finanzgruppe betrugen 320 Mio. US-$. Das
Werk wurde auf Lizenz von Daewoo errichtet und mit hochtechnologischen aus
den USA, Deutschland, Japan und Korea importierten Maschinen und Ausrüstungen ausgestattet. Zunächst war ein Produktionsvolumen von 180.000 Stück jährlich geplant. Unmittelbar nach der Inbetriebnahme wurde jedoch die Kooperation
mit Daewoo abgebrochen. Ursachen dafür waren sowohl interne Probleme des
südkoreanischen Partners als auch die Finanzkrise in Russland.
Nach einer mehrmonatigen Partnersuche und gescheiterten Gesprächen mit
Citroen wurde eine neue Kooperation mit Hyundai abgeschlossen. Im Sommer
2001 rollten die ersten auf Lizenz produzierten Accent vom Band. Nachdem zunächst mit einer SKD-Montage begonnen wurde, wurden vor kurzem auch
Schweiß- und Lackierungsabteilungen in Betrieb genommen. Gegenwärtig werden zwei Pkw-Modelle produziert, und zwar der Accent (Preis 11.000 bis 12.000
US-$) und der Sonata (17.000 bis 25.000 US-$). Zudem wird auch ein kleiner
31
O. PROSKURNINA: „Fradkov ugodil Avtopromu”, in: Vedomosti, 12.4.2005.
152
Dirk Holtbrügge
Lkw (Hyundai Porter) montiert. Die Produktion ist vollständig automatisiert. TagAZ beschäftigt insgesamt 2.600 Mitarbeiter. 32
Maßgeblich für den Erfolg von TagAZ ist vor allem die unmittelbare Nähe zu
wichtigen Wasserverkehrswegen, was eine kostengünstige Lieferung der Bausätze gewährleistet. Zudem ermöglich die Kooperation mit Hyundai ein attraktives
Preis/Qualitäts-Verhältnis. Hyundai besitzt außerdem eine vielfältige Modellreihe. Durch die Erweiterung des Programms auf den Sonata (D-Klasse) konnte das
Produktspektrum deshalb erweitert werden. Nicht zuletzt verzichtet TagAZ weitgehend auf die Möglichkeiten der Zollreduzierung durch Lokalisierung der Produktion. Die Autos werden vollständig aus importierten Bausätzen montiert. Dadurch steigen zwar die Beschaffungspreise, gleichzeitig werden jedoch die Logistikkosten gesenkt sowie die Stabilität der Produktion und Qualität gewährleistet.
Zudem ist das Image eines rein ausländischen Autos in den Augen russischer
Käufer höher.
6.3. Avtotor
Die Avtotor AG wurde im Jahre 1994 auf der Basis früherer Militärwerke im
Rahmen des Konversationsprogramms errichtet. Die gesamten Investitionen betrugen mehr als 250 Mio. US-$. Im Mai 1997 hat Avtotor ein Abkommen mit
Kia-Motors über die Produktion von vier verschiedenen Pkw-Modellen abgeschlossen. 1999 wurde die Montage des 5-er und 7-er (später des 3-er) BMW
aufgenommen. 2003 begann die Kooperation mit GM, in deren Rahmen die Montage des H2 stattfindet. Später wurde das Programm um den Tahoe und den Trail
Blazer erweitert. Gegenwärtig hat Avtotor zwei Montagelinien. Die Montage erfolgt zumeist im SKD-Format, 2002 wurde jedoch auch ein Werk für das
Schweißen und Lackieren von Karosserien eröffnet. 33 Bei der BMW-Montage
werden die schon fertigen und lackierten Karosserien sowie die Motoren aus
Deutschland angeliefert und manuell zusammengebaut. Roboter werden nicht
eingesetzt.34
Der Erfolg von Avtotor hängt insbesondere mit dessen Standort Kaliningrad
zusammen. Aufgrund seiner besonderen geographischen Lage hat das Kaliningrader Gebiet eine große strategische Bedeutung für die russische Regierung. Die
Isolation der Region macht diese als Produktionsstandort für ausländische Investoren jedoch wenig attraktiv. Im Jahre 1996 wurde deshalb das Gesetz „Über die
Sonderwirtschaftszone im Kaliningrader Gebiet“ verabschiedet, das die Einfuhr
von Waren von Zöllen und anderen Abgaben befreit. Gleiches gilt für die Ausfuhr, sofern die Ware in der Sonderwirtschaftszone hergestellt wurde. Diese Voraussetzung ist dann erfüllt, wenn die Höhe der dort erzielten Wertschöpfung nicht
weniger als 30% (für elektronische Teile nicht weniger als 15%) des gesamten
Warenwerts beträgt. Außerdem werden Investoren zahlreiche Steuervergünstigungen eingeräumt. Derzeit wird das Fortbestehen der Kaliningrader Wirtschafts-
32
TAGAZ: Istorija sozdanija zavoda Tagaz, http://www.accent-club.ru/tagaz_about.asp;
TAGAZ: O zavode, http://www.tagaz.ru/plant/.
33
AVTOTOR: O zavode, http://www.avtotor.ru/company/.
34
AVTOTOR: http://bmw.avtotor.ru/work/assembly/index.php?page=features.php.
Die russische Automobilindustrie
153
zone kritisch diskutiert, da diese Vergünstigungen häufig widerrechtlich in Anspruch genommen werden.35
6.4. Ford
Die heutige Tätigkeit der Ford Motor Company ist bereits der dritte Anlauf des
Unternehmens, in Russland Autos zu produzieren. Schon 1929 wurde mit der Regierung der UdSSR ein Abkommen über die Unterstützung bei der Organisation
und Inbetriebnahme des Gorkij-Automobilwerks (GAZ) abgeschlossen, das Ford
A-Pkws und Ford-AA Lkws produzieren sollte. Die Produktion begann 1932 und
erreichte eine maximale Kapazität von 80.000-90.000 Autos pro Jahr. Mit dem
Beginn der Perestrojka wurde ein Joint Venture gegründet, um die Produktion des
Ford Scorpio mit einer Kapazität von 150.000 Stück sowie von 100.000 Motoren
jährlich in der Nähe des GAZ-Werks durchzuführen. Aufgrund von Interventionen des Centres for Security Policy musste Ford jedoch von diesem Vorhaben abrücken.36
1999 hat Ford dann mit dem Russischen Wirtschaftsministerium ein Investitionsabkommen abgeschlossen und drei Jahre später die Produktion in der Stadt
Vsevolžsk im Leningrader Gebiet aufgenommen. Seit Mai 2005 werden dort verschiedene Varianten des Focus produziert, die zu einem lukrativen Preis von
11.200 US-$ eine hohe Nachfrage erzielen. Um diese decken zu können, hat Ford
im Jahre 2006 die Produktionskapazität von 32.000 auf 60.000 Pkws erweitert.
Von der russischen Regierung wurde Ford der zollfreie Import von Automobilkomponenten eingeräumt. Dafür muss Ford seine Produktion weitgehend lokalisieren. Pro Jahr muss der Anteil der lokalen Wertschöpfung um 10% steigen, so
dass 5 Jahre nach dem Produktionsstart (d.h. 2007) ein Niveau von 50% erreicht
wird. 37 Durch ein Abkommen mit der Regierung des Leningrader Gebiets im
Rahmen des „Gesetzes über die Investitionstätigkeit im Leningrader Gebiet“
wurde Ford zudem von der Vermögensteuer befreit und die Gewinnsteuer um vier
Prozentpunkte gesenkt. Diese Vergünstigungen gelten innerhalb der Kostendeckungsperiode sowie weitere zwei Jahre. Außerdem sind Subventionen aus dem
regionalen Budget möglich.
Die Lokalisierungsvoraussetzungen, die Ford in der Anfangsphase erhebliche
Wettbewerbsvorteile eröffnet haben, können sich langfristig als problematisch
erweisen. Während des ersten Jahres betrug der Anteil der lokalen Wertschöpfung
28% (im Vergleich zu den geforderten 10%), im zweiten Jahr 25% (statt 20%)
und in dritten Jahr 30,5% (statt 30%). Die Lokalisierung der Produktion geht damit von Jahr zu Jahr langsamer voran, so dass es fraglich ist, ob 2007 der vereinbarte lokale Wertschöpfungsanteil von 50% erreicht werden kann. Die Möglichkeiten zur Lokalisation wie die Nutzung inländischer Arbeitskräfte und Energie
35
D. HOLTBRÜGGE: „Neuer Anlauf zum freien Handel. Regierung plant die Schaffung
neuer Sonderwirtschaftszonen“, in: Ost-West-Contact, 50. Jg., 11, 2004, S. 42-44.
36
J.-J. CHANARON: Ford in the USSR and Russia. A third attempt for sustainable success
(1989-2003)?, http://beagle.u-bordeaux4.fr/ifrede/Ford/Pdf/Chanaron.pdf, S. 560 ff.
37
Postanovlenie Pravitelstva RF ot 23.04.1998 N 413 „O dopolnitelnych merah po privlečeniju investizij dlja razvitija otečestvennoj avtomobil’noj promyšlennosti“, in: Rossiiskaja gazeta, 5.5.1998, S. 12.
154
Dirk Holtbrügge
sowie Abschreibungen wurden bereits in den ersten Jahren weitgehend ausgeschöpft. Um das Ziel von 50% lokaler Wertschöpfung zu erreichen, muss deshalb
der Anteil von in Russland produzierten Komponenten stark zunehmen. Die Möglichkeiten dafür sind aber begrenzt. Zurzeit plant Ford Auspuffsysteme (bei Tenneco), Reifen (bei Michelin und Nokian Tyres) und gestanzte Karosserieteile (bei
Severstal) in Russland zu beschaffen. Während die Qualität dieser Zulieferer aufgrund der Beteiligung ausländischer Partner hoch ist, können potenzielle heimische Zulieferer die hohen Qualitätsanforderungen jedoch noch nicht erfüllen. Eine
Alternative ist deshalb die Motorenfertigung, die aufgrund des gegenwärtig noch
relativ geringen Produktionsvolumen jedoch nicht rentabel ist. 38 Trotz dieser
Probleme ist „Russia (...) ’an incredible success story’ for Ford“, so Earl Hesterberg, der ehemalige Vizepräsident für Marketing, Verkauf und Service von Ford
of Europe.39
6.5. Avtoframos
Avtoframos wurde im Juli 1998 als Joint Venture zwischen Renault und der
Moskauer Stadtregierung gegründet. Der Anteil der beiden Partner betrug zunächst 50%. Im Oktober 2004 hat Renault seinen Anteil auf 76% und im Oktober
2005 nochmals auf 93,41% erhöht. Die Investitionen in die Produktionsanlagen
betrugen 250 Mio. US-$. Die Kapazität beträgt 100.000 Autos pro Jahr und soll
2008 vollständig ausgelastet sein. Für 2006 ist die Produktion von 60.000 Pkws
geplant. Zurzeit werden 1.200 Mitarbeiter beschäftigt, wobei die Belegschaft zur
Erreichung der geplanten Produktionsvolumen bis 2008 auf 2.000 Mitarbeiter
wachsen soll. Mit dem Renault Logan, der stark dem in Rumänien gefertigten
Dacia ähnelt, umfasst die Produktionspalette derzeit nur ein Modell. Der Preis für
dieses Modell liegt bei 9.000 US-$. Bislang werden die Bausätze noch aus Rumänien importiert, in Zukunft ist jedoch eine Lokalisierung der Wertschöpfung
geplant.40
Eine wichtige Erfolgsvorrausetzung von Avtoframos ist die enge Zusammenarbeit mit der Moskauer Stadtregierung. Die Bedeutung Moskaus als Nachfragezentrums darf dagegen nicht überbewertet werden. Das geplante Produktionsvolumen kann aufgrund der Einfachheit des Modells kaum allein in der Hauptstadt
abgesetzt werden. Dementsprechend strebt Avtoframos eine starke Präsens in den
russischen Regionen an.
6.6. GM-AvtoVAZ
Das Joint Venture GM-AvtoVAZ wurde im Sommer 2001 gegründet. Die Anfangsinvestitionen betrugen 338,2 Mio. US-$, von denen 41,61% auf GM entfallen. Diese wurden in Form von Kapital und Produktionsanlagen eingebracht. AvtoVAZ besitzt einen gleich hohen Anteil, der insbesondere Patente, Handelsmarken und die Betriebsgebäude umfasst. Darüber hinaus ist die Europäische Bank
für Wiederaufbau und Entwicklung mit 16,78% beteiligt. Die gesamte Produkti38
A. TEMKIN: “Ford išet partnerov”, in: Vedomosti, 5.7.2005.
S. DE SAINT-SEINE: “Automakers, suppliers race into Russia”, in: Automotive news
Europe, 13.12.2004, S. 8.
40
RENAULT: O kompanii, http://www.renault.ru/ru/about/avtoframos/company/.
39
Die russische Automobilindustrie
155
onsfläche beträgt 142.000 qm. Ein Teil der Produktionsstufen, wie z.B. das
Schweißen der Karosserie, wird auf den Produktionsanlagen von AvtoVAZ
durchgeführt. Das Werk beschäftigt über 1.000 Mitarbeiter.41
Zunächst wurde mit der Produktion des Jeeps Chevrolet-Niva begonnen, der
zum großen Teil aus russischen Komponenten gefertigt wird. Er stellt eine modernisierte und redesignte Variante des Niva dar. Die Nachfrage nach diesem
günstigen Jeep mit annehmbarer Qualität und modernem Design war von Anfang
an sehr hoch. Zudem trägt das positive Image von Chevrolet zum Erfolg bei.
Ende 2004 wurde die Fertigung eines zweiten Modells, des Chevrolet Viva,
gestartet. Das Modell stellt eigentlich einen Opel Astra der vorletzten (19992004) Generation dar. Es wurde geplant, im Jahr 2005 7.500 Fahrzeuge zu produzieren. Innerhalb der ersten 10 Monate wurden jedoch weniger als 2.000 Autos
verkauft und die Planung deshalb auf 3.000 korrigiert. Ein Grund für den schleppenden Absatz ist der hohe Preis von über 13.000 US-$. Fahrzeuge mit Vollausstattung kosten sogar über 16.000 US-$ und sind damit angesichts der Veralterung des Modells kaum konkurrenzfähig. Gegenwärtig wird deshalb überlegt, die
Produktion des Viva einzustellen und durch ein anderes Modell zu ersetzen.42
Das Joint Venture mit AvtoVAZ ist nicht das erste Projekt von GM in Russland. Bereits 1995 wurde ein Joint Venture Korporation mit dem Automobilwerk
Elabuga gegründet und die Produktion des Chevrolet Blazer aufgenommen. Die
geplante Produktionshöhe betrug 50.000 Fahrzeuge pro Jahr. 1998 wurde die Produktion dieses Modells jedoch aufgrund der geringen Nachfrage eingestellt und
mit der Fertigung des Opel Vectra begonnen. Auch dieser Modellwechsel blieb
jedoch erfolglos, so dass das Joint Venture 2001 beendet wurde.43 Hauptgründe
des Misserfolges sind die niedrige Qualität des Modells sowie der hohe Preis von
20.000 bis 40.000 US-$. Da die Produktionstiefe minimal war (es wurden fast fertige Pkws aus Brasilien geliefert), konnten zudem die komparativen Kostenvorteile Russlands nicht genutzt werden.44
7. Pläne anderer ausländischer Automobilproduzenten
DaimlerChrysler äußert schon seit langem die Absicht, ein Montage-Werk in
Russland zu errichten. Als Standorte sind St. Petersburg und die Republik Tatarstan im Gespräch. Die Investitionshöhe soll 100 Mio. US-$ betragen. Im Mai
2005 hat Jürgen Schrempp während eines Treffens mit Vladimir Putin die Hoffnung geäußert, dass die ersten Mercedes schon im Herbst 2005 vom Fließband
rollen. Dazu erwartet DaimlerChrysler, dass keine Volumenmindestgröße festgelegt und der unbegrenzte zollfreie Import von Komponenten gewährleistet wird.45
Diese Forderung wird damit begründet, dass die Modells des Unternehmens zur
41
GM-AVTOVAZ: Istorija projekta, http://www.gm-avtovaz.ru/new_ru/index.php?page=
contents%2 Fcompany%2Fhistory&model=z.
42
G. STOLJAROV, N. VINOGRADOVA: “Počemu rynok ne prinjal Viva”, in: Vedomosti,
18.10.2005.
43
S. CELIKOV: Avtomobil’nyj rynok Rossii: včera, segodnja, zavtra, Togliatti 2003, S. 29.
44
A. VINOGRADOV: Hyundai možet propisatsja v Elabuge, http://www.rbcdaily.ru/ comments/index.shtml?2005/11/02/211222.
45
A. PETRACHKOVA: “Mercedes ždet privilegij”, in: Vedomosti, 5.10.2005.
156
Dirk Holtbrügge
Premium-Klasse gehören und die Nachfrage deshalb nur schwer planbar ist. Auch
die Beschaffung von Komponenten und Kfz-Teilen von entsprechender Qualität
kann nicht sehr schnell lokalisiert werden. Da „die Rahmenbedingungen nicht erfüllt werden“46, hat DaimlerChrylser im November 2005 die Verhandlungen zunächst abgebrochen.
Volkswagen hat im Mai 2006 einen Vertrag zur Errichtung eines Produktionswerks in Kaluga abgeschlossen. Von der zweiten Jahreshälfte 2007 an sollen
dort zunächst der Skoda Octavia und später weitere Modelle der Marken VW und
Skoda montiert werden. Dafür sind Investitionen in Höhe von 270 Mio. Euro vorgesehen. Parallel dazu wird eine Vollfertigung mit Karosseriebau, Lackiererei
und Montage aufgebaut, die ihren Betrieb in der ersten Jahreshälfte 2009 aufnehmen soll. Die Investitionen dafür sollen weitere 100 Mio. Euro betragen. Die Produktionskapazität des Werkes, in dem 3.500 Arbeitsplätze geschaffen werden, beträgt insgesamt 115.000 Pkws im Jahr.47 Der Bau des Werks in Kaluga ist bereits
der zweite Anlauf von VW, auf dem russischen Markt Fuß zu fassen, nachdem
ein zunächst geplantes Projekt in Stupino gescheitert war.48
Weiter fortgeschritten ist bereits das japanische Unternehmen Toyota. Im
Sommer 2005 wurde der Grundstein für ein Werk im Ort Šušary in der Nähe von
St. Petersburg gelegt. Die Produktion soll bereits im Jahre 2007 starten. Die gesamten Investitionen belaufen sich auf 150 Mio. US-$. Die Produktionskapazität
beträgt zunächst 20.000 und später 50.000 Pkws pro Jahr.49 Statt des zunächst geplanten Corollas (C-Klasse) wird der Camry (D-Klasse) produziert. Zurzeit kostet
ein Camry auf dem russischen Markt ca. 30.000 US-$. Begründet wird diese Modellwahl mit der zunehmenden Konkurrenz in unteren Preissegmenten und fehlender Konkurrenz bei teureren Pkws. Fraglich ist jedoch, ob dieses Marktsegment eine ausreichende Größe hat. Bemerkenswert ist das große Engagement der
Stadtregierung von St. Petersburg. Während die Stadt an dem Bau des Werks offiziell nicht beteiligt ist, wurden aus dem Stadtbudget ca. 6 Mio. US-$ für den
Aufbau der Infrastruktur in Šušary zu Lasten anderer Projekte bereitgestellt.50
Neben europäischen, amerikanischen und japanischen Automobilproduzenten
wird erwartet, dass in den nächsten Jahren auch mindestens drei chinesische Unternehmen Tochtergesellschaften bzw. Joint Ventures mit russischen Partnern
gründen werden. Im Sommer 2005 hat First Automotive Works (FAW), der Kooperationspartner von VW im chinesischen Chanchun 51 eine Montagefertigung
von zwei Varianten des Jeeps Tianye Admiral auf den Flächen einer Werkhalle
46
N.N.: „Mercedes bricht Verhandlungen in Russland ab“, in: Handelsblatt, 3.11.2005, S.
21.
47
„Volkswagen gründet Gesellschaft zur Produktion in Russland“, Investor Relations Mitteilung, 28.6.2006.
48
Y. FEDORINOVA, A. BOKOVA: “Stupino ne dojdetsja VW”, in: Vedomosti, 3.11.2005.
49
A. SERDECHNOV: Toyota priechala v Sankt Peterburg, http://www.rbcdaily.ru/news/
company/index. shtml?2005/04/27/201712.
50
M. PARFENENKOVA: Toyota ostavit Piter bez gaza, http://www.rbcdaily.ru/news/ market/index. shtml?2005/09/16/208458.
51
D. HOLTBRÜGGE, J. PUCK: Geschäftserfolg in China. Strategien für den größten Markt
der Welt, Berlin et al., 2005, S. 180.
Die russische Automobilindustrie
157
des Kesselwerks in Biisk begonnen. Das Projekt wird stark von der Regierung des
Altai Bezirks unterstützt. Für dieses Jahr ist die Produktion von 1.000 Pkws geplant. Der Preis beträgt 17.000 bis 19.000 US-$ (der Prototyp des vergleichbaren
Modells Toyota HiLux kostet über 35.000 US-$). Das chinesische Unternehmen
Chery führt in Nowosibirsk die Montage von Autos durch Transservis mit einer
Kapazität von bis zu 3.000 Pkws pro Jahr durch. Eine Entscheidung von Great
Wall wird ebenfalls für die nächsten Monate erwartet. 52 Die Strategie chinesischer Produzenten zielt auf die Kopie von populären Marken zu niedrigen Preisen
ab. Auch die Nähe zur russischen Grenze und die Möglichkeit, sich auf Regionen,
die von namhaften Automobilkonzernen noch nicht als perspektivisch betrachtet
werden, zu konzentrieren, sind von Vorteil. Nachteile sind deren geringer Bekanntheitsgrad und die niedrige Qualität. Die Zielgruppe der chinesischer Anbieter sind deshalb frühere Besitzer von russischen Pkws, die zu ausländischen Marken wechseln wollen und keine hohen Qualitätsanforderungen haben.
8. Zusammenfassung und Ausblick
In den letzten Jahren hat das Interesse ausländischer Automobilproduzenten an
einem Engagement in Russland deutlich zugenommen. Vielfach herrschen jedoch
noch „wait-and-see“-Strategien vor, die durch relativ risikolose Markteintrittsund Marktbearbeitungsformen sowie geringe Investitionsvolumina gekennzeichnet sind. Mehrere Gründe sprechen jedoch dafür, dass das Engagement ausländischer Automobilproduzenten in den nächsten Jahren zunehmen wird.
Ein wichtiger Anreiz dafür ist die in verschiedenen Studien prognostizierte
deutliche Zunahme des Marktvolumens. Nach einer Studie von Roland Berger
Strategy Consultants, dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und dem
Verband der Automobilindustrie wird die Zahl der in Russland verkauften Neuwagen bis 2004 um jährlich sechs Prozent zunehmen. 53 Das russische Ministerium für Industrie und Energiewirtschaft geht sogar von einem Marktvolumen von
2,7 Mio. Pkws im Jahre 2010 aus. Davon sollen 1,05 Mio. Pkws auf ausländische
Produzenten entfallen.54 Begünstigt werden ausländische Automobilunternehmen
durch die für die nächsten Jahre zu erwartenden Reallohnerhöhungen. Insbesondere in den Großstädten entsteht eine kaufkräftige Mittelschicht, die vermehrt teure und prestigeträchtige ausländische Fabrikate inländischen Marken vorzieht.
Angesichts der besonderen geografischen und klimatischen Bedingungen dürften
sich zudem vor allem für die Anbieter von Geländewagen und SUVs wachsende
Absatzpotenziale ergeben.
Darüber hinaus dürften sich die Bedingungen für ausländische Unternehmen
durch die Änderungen der Umweltgesetzgebung verbessern. Ende Oktober 2005
wurden die ökologischen Anforderungen an neu zugelassene Pkws erheblich ver52
N.N.: Kitaizy načinajut dempingovat na rossiiskom rynke, http://www.autonews.ru/ autobusiness/ news.shtml?/2005/07/19/1010996.
53
ROLAND BERGER/OST-AUSSCHUSS DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT: Developing a Competitive Russian Automotive Supplier Industry, a.a.O.
54
V. CHRISTENKO: O realizazii v srednesročnoj perspektive (2005-2008) prioritetnych
zadač, predusmotrennych konzepziej razvitija avtomobil’noj promyšlennosti Rossii,
http://www.mte.gov.ru/docs/1/2817. html, S. 2.
158
Dirk Holtbrügge
schärft. Ab April 2006 müssen alle produzierten und importierten Pkws die Euro2-Norm erfüllen, ab Januar 2008 die Euro-3-, ab Januar 2010 die Euro-4- und ab
Januar 2014 die Euro-5-Norm.55 Die ersten Opfer dieser neuen Reglementierung
sind die Oka-Modelle sowie ein älteres Modell von UAZ (3909), deren technische Umrüstung nicht möglich ist. Für einige andere Modelle wie GAZ wird die
Modernisierung zwischen 400 und 1.500 US-$ kosten und damit wahrscheinlich
zu teuer sein, um diese noch konkurrenzfähig anbieten zu können. Die Modelle
von AvtoVAZ erfüllen dagegen bereits fast alle die Euro-2-Norm. Ausnahmen
bilden lediglich einige Lada 2104 und 2107-Modelle, die noch mit Vergasermotoren ausgestatte sind.56 Die ökologischen Anforderungen können auch indirekt auf
die Attraktivität eines Pkws wirken, da die Transportsteuer von der ökologischen
Klasse abhängig gemacht werden soll. Dementsprechend wirken sich diese Änderungen für ausländischen Produzenten positiv aus, da deren Pkws bereits alle der
Euro-2-Norm entsprechen und eine Modernisierung der Produktion nicht notwendig ist. Viele russische Produzenten werden die vorgesehenen Fristen dagegen wahrscheinlich nicht realisieren können, so dass deren Wettbewerbsfähigkeit
weiter abnehmen dürfte.
Nicht zuletzt dürfte sich der geplante Beitritt Russlands zur WTO positiv auf
die Absatzchancen ausländischer Automobilproduzenten auswirken. Nach optimistischen Prognosen könnte die Aufnahme im Jahr 2007 erfolgen. Nach Schätzungen der Weltbank kann Russland von der WTO-Mitgliedschaft mittelfristig in
Höhe von 19 Mrd. US-$ und langfristig in Höhe von 64 Mrd. US-$ jährlich profitieren. Gründe dafür sind vor allem, dass der Zugang des Landes zum Weltmarkt
erleichtert und Antidumpingmaßnahmen gegen russische Produkte erschwert
werden. Die direkten jährlichen Verluste Russlands aufgrund der Diskriminierung
werden auf 2,5 Mrd US-$ beziffert.57 Zudem wird erwartet, dass die Wirtschaftsreformen beschleunigt und die Konkurrenzfähigkeit des Landes steigen werden,
sich die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen verbessern und europäischen Standards annähern werden sowie administrative Probleme, z.B. bei
Zollverfahren und der Zertifizierung, in größerem Masse beseitigt werden.58
Für ausländische Unternehmen haben diese Änderungen der Rahmenbedingungen unterschiedliche Auswirkungen. Einerseits verbessern sich deren Bedingungen aufgrund der allgemeinen Verbesserung des Investitionsklimas. Zudem
wird die Position russischer Produzenten stark geschwächt. Andererseits ist mit
einem erhöhten Kostendruck und vor allem mit einer Verteuerung der Energieträ-
55
Postanovlenie Pravitelstva RF ot 12.10.2005 N 609 „Ob utverždenii spezial’nogo
techničeskogo reglamenta „O trebovanijach k vybrosam avtomobil’noj techniki“, in:
Rossiiskaja gazeta, 21.10.2005, S. 10.
56
N.N.: Euro-2 vvedut v aprele, http://www.autosphere.ru/2005-10-07/6/.
57
A. CHIRKIN: “Predstojašžee vstuplenie Rossii v WTO i potencialnye ékonomičeskie riski”, in: Voprosy Ékonomiki, 5, 2005, S. 134
58
H. CLEMENT: „Wandel der Rahmenbedingungen für die Aktivitäten deutscher Unternehmen in Russland und der Ukraine im Zusammenhang mit dem WTO-Beitritt und der
EU-Osterweiterung“, Working Papers des Osteuropa-Instituts München, Nr. 243, 2002,
S.10.
Die russische Automobilindustrie
159
ger zu rechnen, was zu Preissteigerungen führen wird. Im Saldo ist jedoch mit einer deutlichen Zunahme ausländischer Direktinvestitionen zu rechnen.

Documents pareils