Krankheit kann Kündigungsfrist verlängern

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Krankheit kann Kündigungsfrist verlängern
58 Recht
Sperrfristenschutz
Krankheit kann Kündigungsfrist
verlängern
Wird dem Arbeitnehmer gekündigt, so schützt ihn das Gesetz während der verbleibenden Kündigungsfrist besonders. Erkrankt der Arbeitnehmer nämlich in der Kündigungsfrist, so ruht diese während der Krankheit und
faktisch verlängert sich die Kündigungsfrist. So kann es vorkommen, dass ein Tag Krankheit reicht, um einen
weiteren Monat Lohnzahlung zu erwirken.
Brigitte Kraus
Kündigt der Arbeitgeber einem Mitarbeiter
oder einer Mitarbeiterin ganz normal, das
heisst unter Einhaltung der Kündigungsfrist
und des Kündigungstermins, so steht der Endtermin des Arbeitsverhältnisses erst provisorisch fest. Wird nämlich die gekündigte Person
krank oder erleidet sie beispielsweise innerhalb der Kündigungsfrist einen Unfall, so erstreckt sich das Arbeitsverhältnis faktisch um
einen oder mehrere Monate. Die entsprechende Gesetzesbestimmung findet sich knapp ge-
regelt in Art. 336c II, III OR. Die konkreten Beispiele und Fragen des Alltags rund um die
Sperrfristensachverhalte aber können ganze
Bücher füllen. Dieser Aufsatz soll über die
wichtigsten Grundsätze Klarheit verschaffen.
Effektive Kündigungsfrist
Unerheblich, um welchen Sperrfristensachverhalt es sich handelt, er ist nur dann relevant,
wenn er sich innerhalb der effektiven Kündigungsfrist ereignet. Dieser Grundsatz ist wich-
tig zu kennen, denn oft wird die Kündigung
nicht erst am letzten Tag eines Monats ausgesprochen, sondern schon einige Tage oder
allenfalls sogar einige Wochen vorher. Die
Kündigungsfrist beginnt aber nicht etwa mit
dem Aussprechen der Kündigung zu laufen.
Selbst wenn die Kündigung viel früher ausgesprochen wurde als nötig, so beginnt die Kündigungsfrist immer erst rückwirkend ab dem
Endtermin gerechnet an zu laufen.
Wurde nun also beispielsweise bei einer vertraglichen Kündigungsfrist von einem Monat
am 11. Mai auf Ende Juni eine Kündigung ausgesprochen, so beginnt die Kündigungsfrist
tatsächlich erst am 1. Juni zu laufen und nicht
etwa schon am 11. Mai. Ist nun also die gekündigte Mitarbeiterin oder der gekündigte
Mitarbeiter beispielsweise ab dem 16. Mai für
zehn Tage krankgeschrieben und kommt der
Mitarbeitende danach wieder zur Arbeit, so
hat in diesem Beispiel die Arbeitsverhinderung
keine Erstreckung des Arbeitsverhältnisses zur
Folge.
Erleidet eine gekündigte Person während der
Kündigungsfrist einen Unfall oder eine Krankheit,
so kann sich das Arbeitsverhältnis faktisch um
einen oder mehrere Monate verlängern.
KMU-Magazin Nr. 6, Juli/August 2011
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Tritt nun aber die Erkrankung am 16. Juni ein
und dauert diese zehn Tage, so liegt ein relevanter Sperrfristensachverhalt vor, da diese
Absenz innerhalb der tatsächlichen Kündigungsfrist eingetreten ist. Das wiederum bedeutet, dass während der Krankheitstage die
Kündigungsfrist ruht, und diese erst mit Arbeitswiederaufnahmen weiterläuft.
Zeitlich begrenzt
Sperrfristensachverhalte gibt es verschiedene.
Zur einen Gruppe (Art. 336c I lit.a OR) gehören die Diensterbringungen für das Militär,
den Zivilschutz oder den Zivildienst, sofern die
Dienstleistung mehr als elf Tage dauert. In solchen Fällen gilt die gesetzliche Sperrfrist vier
Wochen vor dem Einsatz und vier Wochen
nach dem Einsatz.
Bei der zweiten Gruppe, der unverschuldeten
Arbeitsverhinderung infolge Krankheit und
Unfall, gilt die Sperrfrist je nach Dienstjahr –
nämlich 30 Tage im ersten Dienstjahr, 90 Tage
ab dem zweiten bis und mit fünftem Dienstjahr und 180 Tage Sperrfrist ab dem sechsten
Dienstjahr. Bei solchen Sachverhalten wird die
Kündigung während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit unterbrochen, dauert diese aber sehr
lange, so setzt die vorerwähnte gesetzliche
Sperrfrist die maximale Dauer. Ist nun also ein
Mitarbeitender im ersten Dienstjahr in der effektiven Kündigungsfrist während zwei Monaten voll arbeitsunfähig, so wird in diesem
Fall die Kündigungsfrist dennoch nur um die
maximale Sperrfrist von 30 Tagen erstreckt.
Diese zweite Gruppe kommt in der Praxis am
häufigsten vor und stellt dem Arbeitgeber die
kniffligsten Sperrfristen-Fragestellungen.
Die dritte Gruppe von Sperrfristsachverhalten
bildet die Schwangerschaft und Niederkunft
einer Mitarbeiterin. Wird beispielsweise eine
Mitarbeiterin, die zum Zeitpunkt der Kündigung nicht schwanger war, innerhalb der Kündigungsfrist schwanger, so dauert das Arbeitsverhältnis um die Dauer der Schwangerschaft
und nach Niederkunft weitere 16 Wochen fort.
Diese Gruppe macht deutlich, dass ein bereits
gekündigtes Arbeitsverhältnis unter Umständen noch Monate weiterdauern kann.
Arbeitspflicht
Nicht immer sind sich beim Eintritt eines
Sperrfristensachverhaltes alle Beteiligten über
die Rechtslage im Klaren. Manch ein Arbeitgeber sah sich schon der Verlockung ausgesetzt, dem gekündigten Mitarbeitenden nichts
zu sagen, obwohl er sich der Rechtslage und
der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses
durchaus bewusst war. Diese Taktik kann ins
Auge gehen, spätestens dann, wenn der Arbeitnehmende am letzten Tag auf die Verlän-
gerung pocht, oder wenn später die Arbeitslosenkasse auf den Arbeitgeber zurückgreifen
will.
Grundsätzlich besteht zwar keine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem
Arbeitnehmenden, doch sollte in aller Regel
die Sachlage offen angesprochen und dabei
dem Mitarbeitenden offengelassen werden,
ob er die Verlängerung in Anspruch nehmen
möchte. Entscheidet der Mitarbeitende, dass
er auf der Verlängerung des Arbeitsverhältnis-
12 wichtige Grundsätze
1. Sperrfristenschutz haben die Mitarbeitenden nur dann, wenn der Arbeitgeber
das Arbeitsverhältnis gekündigt hat.
Kein Schutz besteht, wenn es sich um
eine Arbeitnehmerkündigung handelt.
2. Während der Dauer einer Sperrfrist ruht
die Kündigungsfrist. Nach Ablauf der
Sperrfrist, entweder durch Arbeitswiederaufnahme oder durch Ablauf der gesetzlichen Höchstdauer, läuft die Kündigungsfrist weiter.
3. Gilt für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Endtermin, z. B. das Monatsende, und fällt durch das Ruhen der
Kündigungsfrist das effektive Ende der
Kündigungsfrist nicht mit dem Endtermin zusammen, so dauert das Arbeitsverhältnis noch bis zum entsprechenden
Endtermin fort.
4. Neue Sperrfristensachverhalte in der Zusatzfrist – zwischen effektivem Ende der
Kündigungsfrist und dem Endtermin –
lösen keine neue Sperrfrist aus.
5. Grundsätzlich löst jeder Sperrfristensachverhalt eine neue Sperrfrist aus.
6. Bei zeitlich überlappenden Sperrfristen,
gilt die längere.
7. Für die Sperrfristenberechnung infolge
Krankheit und Unfall unerheblich ist, ob
es sich um eine ganze oder nur teilwei-
se Arbeitsverhinderung handelt. Bei Teilarbeitsunfähigkeit erfolgt keine proportionale Verlängerung der Sperrfrist.
8. Auch in der Freistellung geniesst der gekündigte Mitarbeitende den Sperrfristenschutz.
9. Zu einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses resp. zur längeren Lohnzahlung
kommt es grundsätzlich nur dann, wenn
dies der Mitarbeitende oder die Mitarbeiterin auch will. Verzichtet er oder sie
ausdrücklich darauf, so endigt das Arbeitsverhältnis gemäss Kündigung.
10. Den Verzicht auf Verlängerung der Kündigungsfrist durch den Mitarbeitenden
sollte sich der Arbeitgeber aus Beweisgründen schriftlich bestätigen lassen.
11. Sperrfristenschutz gilt nicht in der Probezeit. Ausserdem gilt er nicht bei befristeten Verträgen bei Ablauf, nicht bei
fristloser Kündigung und grundsätzlich
nicht bei vertraglicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
12. Der Sperrfristenschutz läuft mit neuem
Dienstjahr nicht wieder neu an. Das im
Gesetz genannte Dienstjahr dient lediglich zur Bemessung der Höchstdauer.
Läuft allerdings eine Arbeitsunfähigkeit
in ein neues Dienstjahr, das gemäss Gesetz einen längeren Sperrfristenschutz
vorsieht, so gilt der längere.
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ses besteht, so muss er auch seine Arbeitskraft
zur Verfügung stellen. Denn Lohnzahlung gibt
es auch in diesen Fällen nur, wenn der Gekündigte auch effektiv gearbeitet hat. Verzichtet
der Gekündigte auf die Weiterbeschäftigung,
so sollte dies aus Beweisgründen unbedingt
schriftlich festgehalten werden.
Sperrfristen in Folge
Es gilt der Grundsatz, wonach jeder Sachverhalt eine neue Sperrfrist auslöst und die Sperrfrist von Neuem zu laufen beginnt. Dieser
Grundsatz gilt nicht, wenn es sich um einen
Rückfall handelt. Wenn jemand innerhalb der
Kündigungsfrist infolge des gleichen Unfalls
zwei- oder mehrmals arbeitsunfähig ist, werden alle Abwesenheiten zusammengerechnet,
weshalb die maximale Dauer der Sperrfrist
schneller erreicht ist, als wenn jedes Mal eine
neue Sperrfrist zu laufen beginnen würde.
Wenn aus verschiedenen Sachverhalten eine
Sperrfrist eintritt, also beispielsweise zunächst
Krankheit, dann Unfall und schliesslich
Schwangerschaft, so löst jeder dieser drei
Sachverhalte eine neue Sperrfrist aus. Nach
einer Abwesenheit wird der Zeiger also wieder auf null zurückgestellt. Dies ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch bei
Krankheit und Unfall der Fall, obwohl das Gesetz diese beiden Gründe in einem Atemzug
nennt und die Lehre eigentlich davon ausgeht,
dass bei Krankheit und Unfall die Tage zusammengezählt werden. Doch das letzte Wort hat
das Bundesgericht, und das hat bislang stets
anderes entschieden.
Überlappende Sperrfristen
Nun ist auch denkbar, dass in einer laufenden
Sperrfirst eine weitere hinzukommt. Hier gilt,
dass die längere der beiden Sperrfristen zählt.
Ist also beispielsweise eine Mitarbeiterin verunfallt, löst dies eine Sperrfrist aus, so lange
wie die Arbeitsunfähigkeit effektiv dauert, im
längsten Fall aber so lange, wie die gemäss
ihrem Dienstjahr geltende gesetzliche Höchstdauer der Sperrfrist gilt. Wird die gleiche Mitarbeiterin nun innerhalb dieser unfallbedingten Sperrfrist schwanger, so löst die Schwan-
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Der Sperrfristenschutz gilt nicht während der
Probezeit, ebenso nicht bei fristloser Kündigung
sowie bei vertraglicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
gerschaft eine neue Sperrfrist aus und
letztendlich gilt diejenige Sperrfrist, die länger
dauert – in diesem Fall wohl die Schwangerschaft. Es ist also unerheblich, welche Sperrfrist zuerst eintritt, es zählt allein, wie lange
die Sperrfrist dauert.
Teilarbeitsunfähigkeit zählt
Die Sperrfrist wird im Übrigen genau gleich
ausgelöst, auch wenn es sich nur um eine teilweise Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit
oder Unfall handelt. Wenn nun beispielsweise
die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit lediglich 20 Prozent beträgt, so ist die Sperrfrist
zu zählen, wie wenn es sich um 100 Prozent
Arbeitsunfähigkeit handeln würde. Der Sperrfristenschutz gilt auch dann, wenn der gekündigte Mitarbeitende freigestellt wurde.
Um nicht erst am letzten Tag der Kündigungsfrist von einem Sperrfristensachverhalt «überrascht» zu werden, sollte der Arbeitgeber in
seiner Freistellungserklärung darauf hinweisen, dass allfällige Arbeitsunfähigkeiten unverzüglich zu melden und zu belegen sind.
Schliesslich sei noch auf den Fall hingewiesen,
in welchem eine Arbeitsunfähigkeit in ein neues Dienstjahr reicht, und das neue Dienstjahr
gemäss Gesetz einen längeren Sperrfristenschutz vorsieht. In diesem Fall gilt die längere der beiden Sperrfristen (Beispiel: Arbeitsunfähigkeit beginnt im ersten Dienstjahr und
dauert ins zweite hinein; es gilt die Sperrfrist
des zweiten Dienstjahres).
Sperrfristenfragen können dann und wann zu
rauchenden Köpfen führen. Es gilt, wie so oft,
immer den konkreten Einzelfall zu prüfen.
Auch sollte man sich als Arbeitgeber der Möglichkeit der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bewusst sein und bereits vor der Kündigung einschätzen, welche Risiken bestehen
könnten und allenfalls Alternativen zur Arbeitgeberkündigung prüfen.
Porträt
Brigitte Kraus ist Inhaberin der Agentur
Konzis in Zürich. Die Agentur vereint Arbeitsrecht und Kommunikation und richtet
sich an Unternehmen für die aktive juristische und kommunikative Begleitung bei
betrieblichen Veränderungsprozessen mit
personalrechtlichen Folgen. Brigitte Kraus
ist Juristin und ausgebildete Fachperson für
Unternehmenskommunikation und war
viele Jahre am Bezirksgericht in Zürich als
Arbeitsrichterin tätig.
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Brigitte Kraus-Meier
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