Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modrac

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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modrac
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee (Kanton Tuzla, Bosnien und Herzegowina)
Unter besonderer Berücksichtigung ihres Beitrags zur Gewässersanierung
Martin Valencak
Abschlussarbeit
MAS ETH in Raumplanung
03.08.2009
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee _______________________________________August 2009
In grosser Dankbarkeit unserem neugeborenen Sohn Simon (29.7.2009) gewidmet
Dank
Meiner Partnerin Steffi gebührt ein riesiger Dank. Sie hat mir nicht nur während der Masterarbeit, sondern während des gesamten MAS den Rücken freigehalten. Ihr verdanke ich auch
das Lektorat des Manuskripts.
Sabina Jukan vom Umwelt- und Energiezentrum Tuzla (UEZ) hat Ruedi Stauffer und mir
über Ostern 2009 einen aufschlussreichen, interessanten und ausgezeichnet organisierten Besuch vor Ort ermöglicht. Sie übersetzte bei den Interviews und unterstützte uns auch in der
Folge tatkräftig, unter anderem mit ihren Recherchen zu spezifischen Fragestellungen.
Herzlichen Dank möchte ich auch dem Non-Profit-Übersetzungsbüro Stanislav Valencak aussprechen: Mein Vater hat mir wichtige Dokumente und ausgewählte Passagen aus dem Bosnischen ins Deutsche übersetzt, ohne die diese Arbeit kaum möglich gewesen wäre.
Ulrike Wissen und Andreas Schneider gaben mir als Korreferierende wichtige Inputs für die
Konzeption und den Aufbau dieser Arbeit.
Mit Ruedi Stauffer führte ich wertvolle Fachdiskussionen und verbrachte eine schöne Zeit
während unseres Besuches in Tuzla über Ostern.
Und schliesslich trugen Andreas Bally und Dzemila Agic mit ihren Hinweisen zum Zustandekommen und zur Ausrichtung dieser Arbeit bei.
Bei der Ausarbeitung dieser Arbeit haben mich verschiedene weitere Personen unterstützt.
Ihnen allen möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen.
Baden, im Juli 2009
Martin Valencak
I
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Vorwort
Mitarbeiter aus verschiedenen Fachbereichen der Metron stehen im Rahmen einer ehrenamtlichen Tätigkeit seit längerem in einem Fachaustausch mit der Region Tuzla, genauer gesagt
mit dem Umwelt- und Energiezentrum Tuzla (UEZ). Dieser umfasste z.B. Projekte im Energie- oder Mobilitätsbereich. Im Jahre 2007 unterbreitete das UEZ in Zusammenarbeit mit
Metron dem kantonalen Raumplanungsamt einen Vorgehensvorschlag zur Ausarbeitung eines
regionalen Richtplans Modracsee, der aber aus Kapazitäts- und Finanzierungsgründen seitens
des kantonalen Raumplanungsamts nicht weiterverfolgt wurde. Als nun seitens relevanter Akteure erneute Bestrebungen am Modracsee sichtbar wurden, interessierte ich mich in Absprache mit Ruedi Stauffer (Koordinator der Metron-Aktivitäten in Tuzla) für ein fachliches Engagement am Modracsee.
Schon in der Vorphase dieser Masterarbeit zeichnete sich ab, dass die schlechte Zugänglichkeit von Daten und Dokumenten und die zumeist nur in der Landessprache verfügbaren Originaldokumente eine Herausforderung für die Arbeit werden würden. Eine planerische Arbeit
unter etwas anderen Bedingungen als in Mitteleuropa durchzuführen, stellte für mich einen
besonderen Anreiz dar – im Bewusstsein, bei der Bearbeitung vermutlich auf die eine oder
andere Überraschung zu stossen und darauf reagieren zu müssen.
Das Abstract wurde deshalb bewusst offen formuliert, um Anpassungen am Thema zu ermöglichen. Die ursprünglich vorgesehene Stossrichtung der Arbeit musste dann aufgrund des
Ortsbesuchs aber nicht nur angepasst, sondern inmitten des Bearbeitungsprozesses nochmals
grundsätzlich modifiziert werden. Da zu diesem Zeitpunkt schon etliche Schritte der ursprünglichen Stossrichtung absolviert waren und es sich nach meiner Ansicht um wesentliche
Erkenntnisse handelte, werden im Folgenden sowohl die ursprüngliche wie die modifizierte
Stossrichtung dargestellt.
Die Masterarbeit gliedert sich deshalb in zwei Teile. Teil I mit den Kap. 1–5 umfasst die ursprüngliche Aufgabenstellung. Da die Stossrichtung der Arbeit änderte, werden Methodik und
Vorgehen teilweise verkürzt wiedergegeben. Diese Änderung wird in Kap. 5 in einem Zwischenfazit begründet. Teil II mit den Kap. 6–9 behandelt dann die modifizierte Stossrichtung.
Die Arbeit entstand in engem fachlichem Austausch mit einer parallel durch Ruedi Stauffer an
der Hochschule Luzern ausgearbeiteten Masterarbeit, die den Fokus auf akteur- und prozessorientierte Fragen legte („Konzept eines regionalen Netzwerks für das Gebiet Modrac-See“).
II
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Inhaltsverzeichnis
1
2
Einleitung ..................................................................................................................3
1.1
Hintergrund und Problemstellung .............................................................................. 3
1.2
Aufgabenstellung....................................................................................................... 6
1.3
Vorgehen und Methodik ............................................................................................ 6
Geschichtlicher Rückblick und heutiges Staatssystem .............................................9
2.1
Vor 1945: Fremdherrschaften.................................................................................... 9
2.2
1945 – 1991: Sozialistisches Staatssystem .............................................................. 9
2.3
1992 - 1995: Bosnienkrieg....................................................................................... 10
2.4
1995 - heute: Wiederaufbau & Staatsbildung.......................................................... 11
2.4.1 Staatswesen ................................................................................................. 11
2.4.2 Wirtschaft und Umwelt ................................................................................. 14
2.4.3 Gesellschaft.................................................................................................. 15
3
4
5
6
Analyse der Region Modracsee ..............................................................................17
3.1
Geographische Betrachtung.................................................................................... 17
3.2
Funktion und Nutzung des Modracsees und seiner Umgebung ............................. 19
3.3
Gewässerzustand und Ursachenforschung ............................................................ 20
3.4
Raumplanerische Betrachtung ................................................................................ 24
3.5
Entwicklungsabsichten des kantonalen Richtplans................................................. 31
Raumplanung in BiH ...............................................................................................36
4.1
Raumplanungssystem der Föderation BiH.............................................................. 36
4.2
Beiträge der Raumplanung zum Gewässerschutz .................................................. 40
4.3
Aktuelle Entwicklungen in der kantonalen Raumplanung und im Bauwesen ......... 42
Zwischenfazit ..........................................................................................................43
5.1
Transitionsphase und Wirtschaftslogik.................................................................... 43
5.2
Divergenz zwischen Planung und Praxis ................................................................ 44
5.3
Folgen für diese Arbeit ............................................................................................ 45
Neue Aufgabenstellung...........................................................................................47
III
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
7
Konflikt- und Potentialanalyse.................................................................................49
7.1
Konfliktmatrix ........................................................................................................... 49
7.2
Interessenskongruenz ............................................................................................. 52
7.3
Potentiale und Ressourcen ..................................................................................... 53
7.4
Tourismus und Naherholung ................................................................................... 58
7.4.1 Tourismus in BiH .......................................................................................... 58
7.4.2 Entwicklung am Modracsee ......................................................................... 59
7.4.3 Potential des Modracsees und seiner Umgebung ....................................... 62
8
Szenarien ................................................................................................................66
8.1
Grundgerüst der Szenarien ..................................................................................... 66
8.2
Schlüsselfaktoren und deren Ausgangszustand ..................................................... 66
8.3
Trend-Szenario „Stadtlandschaft - Weiterentwicklung bewährter Konzepte“ ......... 74
8.3.1 Vision............................................................................................................ 74
8.3.2 Konzept zur räumlichen Entwicklung ........................................................... 76
8.4
Alternativ-Szenario „Wasserland – Inwertsetzung brachliegender Potentiale“ ....... 81
8.4.1 Vision............................................................................................................ 81
8.4.2 Konzept zur räumlichen Entwicklung ........................................................... 82
9
Diskussion und Schlussbetrachtung .......................................................................92
9.1
Stolpersteine und Risiken........................................................................................ 92
9.1.1 Trend-Szenario „Stadtlandschaft - Weiterentwicklung bewährter Konzepte“
.................................................................................................................... 92
9.1.2 Alternativ-Szenario „Wasserland – Inwertsetzung brachliegender Potentiale“
.................................................................................................................... 94
10
9.2
Abwägung der Szenarien ........................................................................................ 95
9.3
Nächste Schritte ...................................................................................................... 97
Literatur .................................................................................................................98
Anhänge..................................................................................................................A1-A4
IV
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1
Vergleich von Zuflussmengen (Minimum) und Wasserentnahmen ............23
Tabelle 2
Wichtigste Ziele des kantonalen Richtplans für die Region Modracsee und
auffälligste Konfliktpotentiale ......................................................................32
Tabelle 3
Vergleich von Text- und Planinhalten des kantonalen Richtplans..............33
Tabelle 4
Raumplanerische Instrumente der Föderation BiH ....................................38
Tabelle 5
Konflikte zwischen den verschiedenen Nutzungen am Modracsee ...........51
Tabelle 6
Nutzungen und ihre gemeinsamen Interessen...........................................52
Tabelle 7
Ressourcen und Potentiale der Region Modracsee, Priorität gemäss
Gesetz, ihre Bewertung sowie Handlungsbedarf .......................................53
Tabelle 8
Schlüsselfaktoren für die regionale Raumentwicklung ...............................67
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1
Lage des Modracsees (vgl. auch Abbildung 3, S. 12) ............................3
Abbildung 2
Benzin- / Ölrückstände; Fischen im Abfall (2009) ..................................4
Abbildung 3
Der Staat BiH mit dem Grenzverlauf der Entitäten (blau) und der Lage
des Modracsees (roter Kreis) ...............................................................12
Abbildung 4
Topographie von BiH und der Region Tuzla (roter Kreis) ....................17
Abbildung 5
Schrägluftbild des Modracsees, seines Auslaufes (Spreca) und der
umgebenden Hügelzüge, mit Blickrichtung von Nord nach Süd ..........18
Abbildung 6
Badeszenen am Modracsee Mitte der 1990-er Jahre ..........................20
Abbildung 7
Algenblüte infolge des hohen Nährstoffgehalts und „ungesunde“ Farbe
des Modracsees im Dürrejahr 2003 .....................................................21
Abbildung 8
Fortschreitende Verlandung des Modracsees: Uferverläufe 1992
(dunkelblau) und 2007 (hellblau) ..........................................................22
V
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Abbildung 9
Trockenfallen grosser Seeteile im Dürrejahr 2003 und Normalzustand
(2009) ...................................................................................................23
Abbildung 10 Luftbild des Modracsees mit Strassenverlauf (weisse Linien, Dicke
entspricht der Strassenkategorie) und Zuglinien (gelb)........................25
Abbildung 11 Die drei Seeanstössergemeinden (links); Entfernung der vier
städtischen Zentren (schwarze Kreise; rechts) vom See .....................26
Abbildung 12 Siedlungsentwicklung und Waldrodungen am Nordufer des Modracsees
zwischen 2003 (links) und 2007 (rechts) ..............................................27
Abbildung 13 Beispiele der Siedlungsentwicklung am See........................................29
Abbildung 14 Reduktion der Zugänglichkeit des Seeufers zwischen 1992 (links) und
2007 (rechts): private Seeufer in Rot, öffentlich zugängliche Bereiche in
Grün......................................................................................................30
Abbildung 15 Irgendwann nach 1992 (Kartenbild links) neu erschlossene und
anschliessend überbaute Bereiche am Südufer (rechts)......................30
Abbildung 16 Schemaskizze Baugebietsausscheidung (in gelb) nach Art des
kantonalen Richtplans (links) resp. nach Schweizer Art (rechts, mit
Einzelbauten im Landwirtschaftsgebiet ausserhalb der Bauzone) .......35
Abbildung 17 Beispiel für zwei Bebauungspläne („regulacioni plan“): Ein moderner
(Gemeinde Zivinice) sowie ein aus sozialistischer Zeit stammender
(Gemeinde Lukavac) ............................................................................37
Abbildung 18 Ausgewählte Konfliktbereiche zwischen Nutzungen am Modracsee ...50
Abbildung 19 Potentiale der Region Modracsee ........................................................57
Abbildung 20 Tourismusattraktionen und Naturlandschaften in BiH. .........................59
Abbildung 21 Tourismusinfrastrukturen in Prokosovici in der Blütezeit Mitte der 1990er Jahre (links die Fontäne, rechts eine Tribüne am See)....................60
Abbildung 22 Szenen am Modracsee im Jahre 2009.................................................61
Abbildung 23 Touristische Infrastrukturen in Prokosivici (Privatzimmer und Laden
links, Aussicht vom Hotel Senad od Bosne rechts, 2009) ....................62
Abbildung 24 Merkmalsausprägung der beiden Szenarien........................................66
Abbildung 25 Luftaufnahme der Stadt Tuzla ..............................................................72
VI
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Abbildung 26 Impressionen aus Tuzla. ......................................................................73
Abbildung 27 Stadtregion Tuzla-Lukavac-Zivinice (rotes „Kleeblatt“; mit Modracsee
als Teil des linken „Kleeblatts“) mit wichtigsten Bezugspunkten (farbige
Pfeile) ...................................................................................................75
Abbildung 28 Geplante neue Strasseninfrastrukturen: Autobahn (rote dicke Linie),
Schnell-strassen (graue Linien) und Hauptstrassen (mitteldicke rote
Linien)...................................................................................................77
Abbildung 29 Grosse Industriezonen (blaue Ellipsen, bestehende Industriezonen
dunkelrosa und geplante violett gepunktet), kleinere Industriezonen
(rosa Ellipsen), bestehende und geplante Abbaugebiete (schwarz
schraffierte Flächen), Wohnzonen (in gelb) sowie Modracsee-Region
(hellgrün umrandet) ..............................................................................80
Abbildung 30 Vergleich der Baugebietsausscheidung gemäss kantonalem Richtplan
(links) resp. Alternativ-Szenario (rechts) ..............................................83
Abbildung 31 Konzeptplan zum Alternativ-Szenario „Wasserland“ (vgl. auch Anhang
A4) ........................................................................................................84
Abbildung 32 Referenzbild
einer
seequerenden
Personenseilbahn
(Gartenbauaustellung am Zürichsee, 1959 bis 1964) ..........................86
Abbildung 33 Referenzbilder attraktiver Flussräume inmitten der Stadt (Limmatufer,
Zürich) ..................................................................................................87
Abbildung 34 Konzeptplan zum Alternativ-Szenario „Wasserland“: Vergrösserte
Darstellung der Region Modracsee (vgl. auch Anhang A4) .................89
Wenn nicht anders vermerkt, ist der Autor Urheber der Abbildungen.
VII
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Abkürzungen / Glossar
AGSM
Arbeitsgruppe zum Schutz des Modracsees, eine 2008 ins Leben gerufene informelle Vereinigung von Akteuren, die eine Verbesserung des Gewässerzustands
am Modracsee anstreben
B&B
Abkürzung für „bed and breakfast“, ein normalerweise in Privathäusern offeriertes Übernachtungsangebot, das Frühstück, aber keine weiteren Mahlzeiten beinhaltet
BIP
Bruttoinlandprodukt
BiH
Bosnien und Herzegowina (Abkürzung für den in der Landessprache Bosna i
Hercegovina genannten Staat)
CIA
Central Intelligence Agency
EU
Europäische Union
KMU
Kleinere und mittlere Unternehmen
MIV
Motorisierter Individualverkehr
m.ü.M.
Meter über Meer
n.e.
nicht erwähnt
OHR
Büro des hohen Repräsentanten (Abkürzung von Office of the High Representative)
ÖV
Öffentlicher Verkehr
resp.
respektive
UEZ
Umwelt- und Energiezentrum Tuzla
z.B.
zum Beispiel
VIII
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Abschlussarbeit im Nachdiplomstudium Raumplanung
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee (Kanton Tuzla, Bosnien und Herzegowina)
Unter besonderer Berücksichtigung ihres Beitrags zur Gewässersanierung
Autor
Martin Valencak
Metron Landschaft AG
Stahlrain 2
5201 Brugg
+41 56 460 91 36
[email protected]
St. Ursusstr. 5
5400 Baden
+41 56 535 44 06
[email protected]
Referentin
Korreferentin
Korreferent
Prof. Dr. Adrienne Grêt-Regamey
Dr. Ulrike Wissen
Andreas Schneider
ETH Zürich
Institut für Raum- und
Landschaftsentwicklung
Wolfgang-Pauli-Str. 15
8093 Zurich
+41 44 633 29 57
[email protected]
ETH Zürich
Institut für Raum- und
Landschaftsentwicklung
Wolfgang-Pauli-Str. 15
8093 Zurich
+41 44 633 30 07
[email protected]
Metron Raumentwicklung AG
Stahlrain 2
5201 Brugg
+41 56 460 92 34
[email protected]
03.08.2009
1
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Kurzfassung
Der im Jahre 1964 als Reservoir für die industrielle Brauchwassernutzung aufgestaute
Modracsee übernahm nach und nach vielfältige weitere Funktionen, unter anderem als Trinkwasserspeicher, Tourismus- und Naherholungs-Landschaft sowie Retentionsbecken bei Starkniederschlägen. Die nach dem Bosnienkrieg einsetzende, relativ unkontrollierte Wirtschaftsund Siedlungsentwicklung führte schnell zu einer starken Verschmutzung des Sees mit drastischen Folgen wie Badeverbot, touristischem Niedergang, aufwändiger Trinkwasseraufbereitung, etc. Der Druck zu einer Sanierung des Gewässers stieg kontinuierlich und führte im Jahre 2006 zum Erlass des Gesetzes zum Schutz des Modracsee und im Jahre 2008 zur Gründung
einer informellen Arbeitsgruppe mit derselben Aufgabe.
Diese Masterarbeit will aufzeigen, dass zu einer Gewässersanierung nebst technischen Massnahmen auch raumplanerische Vorkehrungen notwendig sind. Die ursprüngliche Ausrichtung
der Arbeit, schweizerische Lösungsansätze im Schnittbereich Gewässerschutz-Raumplanung
auf ihre Übertragbarkeit auf die Verhältnisse und Raumplanungsinstrumente von BiH zu untersuchen, änderte im Verlauf der Arbeit aufgrund der Analyseerkenntnisse. Mithilfe von zwei
komplementären Szenarien, dem Trend-Szenario „Stadtlandschaft - Weiterentwicklung bewährter Konzepte“ und dem Alternativ-Szenario „Wasserland – Interwertsetzung brachliegender Potentiale“ soll unter den regionalen Akteuren eine Diskussion über die zukünftige Raumentwicklung der Region ausgelöst werden.
Schlagworte
Regionalentwicklung; Gewässersanierung; Nachhaltigkeit; Szenarien; Modracsee; Tuzla;
Bosnien und Herzegowina
Zitierungsvorschlag
Valencak, M. (2009) Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee (Kanton Tuzla,
Bosnien und Herzegowina) - unter besonderer Berücksichtigung ihres Beitrags zur Gewässersanierung, MAS-Thesis, MAS in Raumplanung, ETH Zürich.
2
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
1
1.1
Einleitung
Hintergrund und Problemstellung
Entstehung und Zweck des Modracsees
Der karstige Untergrund der bosnischen Gebirge, die 2/3 von Bosnien und Herzegowina
(BiH) bedecken, führt in Kombination mit der Kontinentalität des Klimas zu periodischer
Wasserknappheit. In der Region Tuzla sind zudem die Grundwasservorkommen wenig ergiebig (Bally 2008, S. 6). Um unter diesen Bedingungen die Ansiedlung von Industrien zu ermöglichen, die einen hohen Brauchwasserbedarf haben (wie z.B. Kokerei, Zement- und Sodafabrikation), wurde zu Zeiten des jugoslawischen Staates im Jahre 1964 der Modracsee aufgestaut.
Abbildung 1 Lage des Modracsees (vgl. auch Abbildung 3, S. 12)
Quelle: East View Cartographic (Fliegerkarte 1:250'000 der Defense Mapping Agency, 1996)
Der mit einer maximalen Wassertiefe von 18 m und einer durchschnittlichen von 5 m sehr
flachgründige See umfasste ursprünglich eine Fläche von ca. 1’700 ha und kam auf vormalig
relativ dünn besiedeltes, landwirtschaftlich genutztes und mit Waldstücken durchsetztes Land
3
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
zu liegen1. Vorerst primär der industriellen Brauchwassernutzung dienend, übernahm der
Modracsee nach und nach vielfältige weitere Funktionen. So leistet er heute z.B. einen wesentlichen Beitrag zur Trinkwasserversorgung der umliegenden Städte und spielt als einziges
grösseres Stillgewässer in der Region eine bedeutende Rolle für die Naherholung.
Beeinträchtigte Gewässerqualität und deren Folgen
Die Wirtschafts- und Siedlungsentwicklung ist vor allem seit dem Bosnienkrieg relativ unkoordiniert und unkontrolliert und nahm resp. nimmt kaum Rücksicht auf Umweltbelange. In
Zusammenhang mit der fehlenden Abwasserreinigung von Siedlungs- und Industrieabwässern
führte dies in Kürze zu einer starken Verschmutzung des Sees. Die jährlich in den See eingeleiteten Schmutzfrachten werden heute auf 750'000 Einwohner-Gleichwerte geschätzt (Bally
2008, S. 3). Auch die Ufer und die Umgebung sind teilweise mit Abfall verunreinigt.
Abbildung 2 Benzin- / Ölrückstände; Fischen im Abfall (2009)
Die negativen Seiten dieser Entwicklung sind vielfältig: Die schlechte Wasserqualität und der
damit verbundene schlechte Ruf führten zu einem touristischen Niedergang und einem faktischen Badeverbot, die Trinkwasseraufbereitung gestaltet sich sehr aufwändig, das Wasserfassungsvermögens des Sees wird durch die starke Verlandung infolge des Eintrags von Feinsedimenten aus dem Kohlebergbau laufend reduziert, etc.
Bestrebungen zur Aufwertung des Modracsees
Der Druck, etwas gegen die Gewässerverschmutzung des Modracsees zu tun, ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Man ist sich einig über den schlechten Zustand des
Sees. Dies mündete 1999 in ein Dekret, das den See zu einem Trinkwasserspeicher hoher Be-
1
Gemäss Aussagen von Hr. Arnautalic, Gewässerschutzexperte für den Modracsee (Interview Ostern 2009).
4
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
deutung erklärte. Nach Jahren ohne sichtbare Erfolge wurde im Jahre 2006 auf kantonaler
Ebene das Gesetz zum Schutz des Modracsees erlassen. Bisher harzt aber auch dessen Vollzug, unter anderem wegen der fehlenden Ausführungsbestimmungen.
Auf technischer Ebene ist die auf Initiative des UEZ und lokaler Vereine installierte, kleinere
Pflanzenkläranlage für eine Schule in der Ortsgemeinde Prokosovici (zugehörig zur Gemeinde Lukavac2) im Jahr 2007 als Erfolg zu verzeichnen. In der Gemeinde Zivinice ist mit Hilfe
von Geldern der Europäischen Union (EU) Bau einer grösseren Kläranlage mit 40'000 Einwohner-Äquivalenten geplant, an welche vor allem der Kern von Zivinice (einer je nach
Quelle3 ca. 50'-70’000 Einwohnern zählenden Stadt), nicht aber ein Grossteil der Industrieund Gewerbegebiete angeschlossen werden soll4.
Im Jahre 2008 fand ein Fachaustausch zwischen den Regionen Bodensee und Modracsee /
Tuzla statt, initiiert durch den Schweizer Gewässerspezialisten Andreas Bally. Auch in der
Schweiz waren die Seen in den 70-er Jahren in einem sehr schlechten Zustand; der „Turnaround“ wurde bei den meisten Seen jedoch erstaunlich schnell erreicht (Bally 2008, S. 9). Inspiriert durch diesen Fachaustausch hat sich anschliessend die bisher informelle „Arbeitsgruppe zum Schutz des Modracsees“ (AGSM) formiert. Die AGSM hat zum Ziel, die relevanten Akteure zu vereinigen und die Bestrebungen zur Gewässersanierung voranzutreiben und
einen konkreten Massnahmenkatalog zu erarbeiten. Sie besteht aus:
• Vertretern des kantonalen5 Ministeriums für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft,
• Vertretern des kantonalen Ministeriums für Raumplanung und Umweltschutz,
• Vertretern der Anrainerstädte Lukavac, Tuzla und Zivinice,
• Vertretern der Agentur für die Gewässer der Föderation BiH,
• Umwelt-Experten (unter anderem der Universität Tuzla),
• Vertretern des öffentlichen, halbstaatlichen Unternehmens Spreca (zuständig für die
Nutzung des Sees und die Gewässerqualität),
• Sabina Jukan vom UEZ, welche die AGSM koordiniert,
• und Andreas Bally als externem Experten, der eine beratende Funktion einnimmt.
2
Die genaue Lage aller beschriebener Ortschaften ist in der 1:50'000-Karte im Anhang A2 ersichtlich.
3
Gemäss Aussagen von Hr. Mujagic, Stadtplaner von Zivinice (Interview Ostern 2009) beträgt die heutige
Bevölkerungszahl von Zivinice ca. 70'000 Personen, gemäss kantonalem Richtplan gut 50’000.
4
Gemäss Aussagen von Hr. Nisic, Fachmann für Umwelt, und Nusret Mujagic, Stadtplaner von Zivinice (Interview Ostern 2009).
5
In der Föderation BiH heisst die Ebene über den Gemeinden nach Schweizer Vorbild ebenfalls „Kanton“.
5
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Die Stossrichtung der AGSM ist aufgrund der Gruppenzusammensetzung vorwiegend auf
technische und auch politische Massnahmen ausgerichtet. Zurzeit scheinen die Aktivitäten der
AGSM etwas zu stagnieren, da der Status der Arbeitsgruppe der Klärung bedarf.
1.2
Aufgabenstellung
Gewässerschutz ist eng mit raumplanerischer Vorsorge verknüpft, wie das Beispiel der Entwicklung der schweizerischen Gewässerschutz- und Raumplanungsgesetzgebung zeigt. Bleiben die Bestrebungen am Modracsee einzig auf technische Gewässerschutzmassnahmen ausgerichtet, so dürfte dies nicht zum Ziel führen, da parallel im Bauwesen oder der Raumplanung Tendenzen erkennbar sind, die den Gewässerschutzbestrebungen entgegenlaufen.
Grundlage dieser Arbeit ist darum die These, dass auf regionaler Ebene nebst Bemühungen
im Bereich des Gewässerschutzes gleichzeitig auch raumplanerische Anstrengungen notwendig sind, um die Gewässerbelastung nachhaltig zu verbessern. Die Arbeit will aufzeigen, mit
welchen Mitteln die Raumplanung zur Gewässersanierung und zu einer Nutzung der Entwicklungspotentiale des Modracsees beitragen kann.
Die Arbeit soll einen möglichst engen Bezug zu den effektiven Problemen am Modracsee haben und den an der Problemlösung interessierten Akteuren dienen. Adressat der Arbeit ist
primär die AGSM. Sie soll aber auch weiteren interessierten Akteuren zur Verfügung stehen.
1.3
Vorgehen und Methodik
Analyse
Als Einstieg diente eine breit angelegte Literatur- und Grundlagenrecherche. Diese gliederte
sich in zwei Teile. Der bosnische Teil der Analyse untersuchte das Staats- und Raumplanungssystem von BiH mit seinen Gesetzen und Instrumenten, die aktuell erkennbaren Nutzungen und Entwicklungen im Bereich des Modracsees (Bauwesen, Raumplanung, Gewässerqualität, etc.) sowie mögliche Entwicklungspotentiale.
Dies erfolgte einerseits über eine Dokumentenrecherche von der Schweiz aus. Dabei konnte
auf einige wenige Original-Dokumente zugegriffen werden, die ins Deutsche übersetzt sind,
so das kantonale Gesetz zum Schutz des Modracsees und die Vision 2020 (Institut für Urbanismus, ohne Jahreszahl, verfasst im Rahmen der Erarbeitung des kantonalen Richtplans für
die Mitwirkung). Der kantonale Richtplan selbst (Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz 2008), der aus 357 (!) Seiten Text und 30 Plänen besteht, umfasst sowohl Analysewie Programmteile. Aufgrund des Umfangs konnten nur einige wenige Schlüsselpassagen wie
6
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
z.B. die Ziele übersetzt werden. Das dazugehörige Kartenmaterial konnte vollumfänglich einbezogen werden. Es konnte auch auf Dokumente zurückgegriffen werden, die anlässlich des
Fachaustausches Bodensee – Modracsee und in der Initialphase der AGSM verfasst wurden.
Aufgrund des Engagements verschiedener Stiftungen aus dem deutschsprachigen Raum in
BiH besteht zudem eine relativ breite Basis an deutschsprachigen, überwiegend politologischen Hintergrunddokumenten, vor allem zu Fragen der Konfliktbewältigung, des sozialen
Zusammenhalts und des Staatsaufbaus.
Um vergangene und aktuelle Entwicklungen im Raum wie z.B. Siedlungsentwicklung, Seezugang oder Verlandung erfassen zu können, wurden Zeitreihenanalysen durchgeführt. Hierfür stand nur gescanntes Kartenmaterial aus dem Internet zur Verfügung: Jugoslawische Karten von 1977 (1:100'000) und 1992 (1:50'000) resp. amerikanische von 1996 (1:200'000) sowie Google-Earth-Luftbilder von 2003 bis 2007. Die Karten wurden teilweise in Google Earth
den aktuellen Luftbildern überlagert und so Entwicklungen erkennbar gemacht.
Andererseits erfolgte über Ostern 2009 zusammen mit Ruedi Stauffer ein viertägiger Besuch
der Region. Dieser diente dazu, den mittels der Recherchen aus der Schweiz gewonnenen
Eindruck vertiefen zu können und gezielt weitere Informationen zu beschaffen. Es fanden
zwei Ortsbesichtigungen statt. Schwerpunkte waren dabei unter anderem die aktuelle Landnutzung, der Zustand des Sees, seiner Ufer und der Infrastrukturen, aktuell ersichtliche Entwicklungen im Baubereich und die Evaluation von Potentialen und Konflikten.
Dem Kontakt mit lokalen Akteuren wurde eine hohe Bedeutung zugemessen. Mit Unterstützung von Sabina Jukan wurden fünf erkenntnisreiche Experten-Interviews mit 8 Schlüsselakteuren geführt, vorwiegend aus den kommunalen und kantonalen Verwaltungen (Interviewfragen vgl. Anhang). Diese dienten der Verifizierung der Stossrichtung der Arbeit, dem Klären von Fragen, Ergründen von Projekten und Entwicklungsabsichten, Erwerb von weiterführenden Materialien6 und Adressen, etc. Die Interviewpartner7 waren:
• Mirela Uljic, kantonales Ministerium für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft,
• Dragica Tesic, Direktorin des Amtes für Raumplanung und Städtebau im kantonalen
Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz,
6
Leider war es unmöglich, von Seite des Kantons weiterführende, nicht öffentlich zugängliche Grundlagen
wie z.B. die GIS-Daten des kantonalen Richtplans oder alte Kartengrundlagen zu erhalten.
7
Möglicherweise sind die offiziellen Titel der interviewten Personen nicht überall korrekt angegeben. Die
bosnischen Schriftzeichen werden in Eigennamen aus Gründen der Leserlichkeit vereinfacht dargestellt (z.B.
c anstelle von ć).
7
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
• Indira Sofic, Leiterin der Raumplanung in der Stadt Tuzla, und Zahid Arnautalic,
selbständiger Experte für den Modracsee,
• Osman Mahmutovic, Vertreter des Gemeindepräsidenten für Raumplanung und Finanzen der Gemeinde Lukavac, und Refik Aganovic, Leiter der Abteilung für Raumplanung sowie
• Asmir Nisic, Fachmann für Umwelt, und Nusret Mujagic, Stadtplaner von Zivinice.
Ergänzend wurden auch Literatur- und Dokumentenrecherchen vor Ort durchgeführt. Aufgrund der durch die obigen Schritte gewonnenen Erkenntnisse wurde anschliessend eine Konflikt- und Potentialanalyse durchgeführt.
Im schweizerischen Teil der Analyse wurde die Entwicklung der schweizerischen Gewässerschutz- und Raumplanungsgesetzgebung auf Lösungsansätze untersucht, die im Grundsatz
auf die Verhältnisse am Modracsee übertragbar sein könnten. Nebst Literaturrecherchen waren hierzu ursprünglich auch Interviews mit Experten und Zeitzeugen der Entstehungsperiode
der beiden Gesetzgebungen vorgesehen.
Synthese
Aus den erkennbaren Analogien mit Entwicklungen in der Schweiz und den Erkenntnissen
der Analyse sollten anschliessend raumplanerische Lösungen entwickelt werden, die spezifisch auf die örtlichen Verhältnisse am Modracsee und die gesetzlichen und instrumentellen
Möglichkeiten von BiH angepasst sind. Zum Abschluss war eine exemplarische Diskussion
der Lösungsansätze anhand eines Fallbeispiels vorgesehen.
8
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
2
Geschichtlicher Rückblick und heutiges Staatssystem
In den folgenden Abschnitten werden zuerst wichtige Etappen der jüngeren Geschichte kurz
wiedergegeben, die als Kontext fürs weitere Verständnis wichtig sind. Im Anschluss erfolgt
eine Analyse des heutigen Staatssystems.
2.1
Vor 1945: Fremdherrschaften
Ausser einer kurzen Periode von 1377 bis 1463 (Königreich Herzegowina) unterstand BiH
stets wechselnden Fremdherrschaften. Vom Mittelalter bis 1878 war es Teil des ottomanischen Reiches, wodurch sich der Islam in einer Koexistenz mit orthodoxem und katholischem
Glauben etablierte. Im gemeinsamen Einflussbereich zwischen Habsburgern und Ottomanen
gelegen, wurde es von beiden Kulturkreisen geprägt (Bing, 2000, S. 4). In der folgenden, bis
zum Ersten Weltkrieg dauernden Herrschaft der Habsburger erfolgte ein Entwicklungsschub,
unter anderem durch Eisenbahnprojekte. Das 1918 etablierte, aber mit ständigen Staatskrisen
kämpfende „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ zerfiel wieder, als ihm die Achsenmächte 1941 den Krieg erklärten. In BiH lag eine der Keimzellen für den Widerstand gegen die Faschisten. Neben den Weltkriegsereignissen tobte auch ein Bürgerkrieg, dem ein
Grosseil der geschätzten über eine Million Toten zuzuschreiben sind (Bing, 2000, S. 4).
2.2
1945 – 1991: Sozialistisches Staatssystem
Im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg ergriff der Partisanenführer Tito die Macht, der sich
geschickt zwischen Ostblock und den Westländern positionierte. Er setzte eine föderale Verfassung mit 6 Teilrepubliken ein, von denen eine Bosnien und Herzegowina war. BiH war
innerhalb Jugoslawiens als multiethnischer Staat (Serben, Kroaten, Bosniaken) ein „Jugoslawien im Kleinen“. Gemäss Volkszählung von 1991 waren die 4,36 Millionen Einwohner zu
ca. 44 % Bosniaken, zu ca. 31 % Serben und zu ca. 17 % Kroaten8.
Die jugoslawische Geschichtsschreibung strich den gemeinsamen Kampf der ethnisch gemischten kommunistischen Partisaneneinheiten gegen die faschistischen Okkupanten heraus,
ohne die im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen zwischen den einzelnen Ethnien zu
8
http://de.wikipedia.org/wiki/Bosnienkrieg
9
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
thematisieren9. Es gelang Tito, durch die generelle Steigerung der Lebensqualität Spannungen
zwischen den sehr unterschiedlich entwickelten Teilrepubliken weitgehend zu vermeiden; dabei bestand ein starkes Nord-Süd-Gefälle: Slowenien, Kroatien und die Vojvodina (nördlicher
Teil Serbiens) erbrachten den Hauptteil des Bruttosozialprodukts von Jugoslawien10. BiH gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer vor allem in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung zu den ärmsten und am wenigsten entwickelten Republiken Jugoslawiens. Prägend für
die weitere Entwicklung des Landes war Titos Entschluss, Rüstungs- und andere wichtige Industrien nach BiH zu verlegen, wodurch sich auch dessen Bodenschätze Eisenerz und Kohle
nutzen liessen. Das Bruttosozialprodukt lag 1967 fast 40% unter dem Landesdurchschnitt11.
Anschliessend begann sich die wirtschaftliche Situation langsam zu verbessern, als auch für
den zivilen Markt produzierende Werke und Unternehmen entstanden. Durch die olympischen
Winterspiele in Sarajevo 1984 wurde zudem ein Bauboom ausgelöst.
Nach Titos Tod 1980 bestand Jugoslawien formal noch weiter, jedoch gewannen überall die
Nationalisten die Oberhand. Währenddem Serbien-Montenegro den Fortbestand von Jugoslawien anstrebte, wollten die anderen Teilrepubliken höhere Autonomien in einem loseren
Konföderationsbund. Kurz nach den Unabhängigkeitserklärungen von Kroatien und Slowenien im Juni 1991 begannen die Jugoslawienkriege, bei denen Kriegstreiber alte ethnische
Konflikte aus den Weltkriegen wiederaufleben liessen.
2.3
1992 - 1995: Bosnienkrieg
Nach der Unabhängigkeitserklärung der Republik BiH im März 1992 in ihrem Grenzverlauf
wie zu Zeiten der früheren jugoslawischen Teilrepublik begannen auch in BiH kriegerische
Auseinandersetzungen. Der Bosnienkrieg war ausserordentlich grausam, durch starke ethnische Säuberungen geprägt und forderte ca. 100'000 Tote sowie ca. 2,2 Millionen Flüchtlinge12. Er wurde erst durch den Dayton-Vertrag Ende 1995 beendet. Dieser Vertrag prägte in
der Folge die Zukunft des Landes, indem er die heutige territoriale Struktur von BiH schuf
und die Verfassung festsetzte (siehe Kap. 2.4).
Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Folgen des Krieges waren verheerend. Die
Ethnien entmischten sich vielerorts weitgehend. Während des Krieges lagen die wirtschaftlichen Aktivitäten danieder, zwischen 1992 und 1995 waren Produktivitätseinbussen von 80 %
9
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Jugoslawiens
10
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Jugoslawiens
11
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_von_Bosnien_und_Herzegowina
12
http://de.wikipedia.org/wiki/Bosnienkrieg
10
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
zu verzeichnen (CIA 2008). Über die Hälfte der Gebäude wurden zerstört, darunter auch viele
Kulturdenkmäler.
Die Region Tuzla blieb glücklicherweise von starken Kriegshandlungen weitgehend verschont. Umso mehr Flüchtlinge liessen sich in der Gegend nieder. Deren provisorische Ansiedlungen, die zum Teil in Nichtsiedlungsgebieten lagen, wurden nach dem Krieg häufig zu
definitiven ausgebaut (so z.B. in einem ehemaligen Waldstück nahe Zivinice, das grossflächig
gerodet wurde). Die Region Tuzla blieb auch nach dem Krieg ethnisch gemischt.
2.4
2.4.1
1995 - heute: Wiederaufbau & Staatsbildung
Staatswesen
Neben dem Staat BiH mit eigener Regierung und Parlament wurden mit dem Dayton-Vertrag
die beiden Entitäten „Föderation Bosnien und Herzegowina“ (Federacija Bosne i Hercegovine) und „Serbische Republik“ (Republika Srpska) begründet, welche weitgehend die im
Kriegsverlauf erfolgten ethnischen Entmischungen im Raum abbildeten und sich nicht an alte
Gebietsstrukturen hielten (Ajanovic, Fetahagic, Jamakovic & Pleho 2008, S. 43; vgl.
Abbildung 3). Die Entitäten besitzen je eine eigene Exekutive, Legislative und Judikative und
weitgehende Autonomien13 – sie sind aber formell keine eigenen Staaten, sondern „nur“ administrative Einheiten. Die beiden Entitäten sind in sich wiederum unterschiedlich organisiert.
Die Föderation BiH besteht nach Schweizer Vorbild aus wiederum weitgehend autonomen
Kantonen14 und Gemeinden; die Serbische Republik hingegen ist zentralistischer organisiert
und weist keine Kantone, sondern ähnlich wie zu sozialistischen Zeiten nur Gemeinden auf.
Die katastrophale humanitäre und wirtschaftliche Lage und die sozialen Spannungen bewegten die internationale Gemeinschaft, in der Nachkriegsphase in BiH durch eine militärische
(SFOR / EUFOR) und zivile Kontrolle (durch den Hohen Repräsentanten) präsent zu bleiben.
Die ursprünglich nur temporär vorgesehene Funktion des Hohen Repräsentanten wurde im
Februar 2008 auf unbestimmte Zeit verlängert.
13
So hat der Gesamtstaat z.B. keinerlei Kompetenzen im Bereich Bauwesen und Raumplanung. Die Staatsaufgabe des Verteidigungs- und Polizeiwesens musste den Entitäten mühsam abgerungen werden.
14
So sind z.B. die Kompetenzen zur Sozial- und Wirtschaftsgesetzgebung auf Kantonsebene angesiedelt.
11
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee __________________________________________ 3.8.2009
Abbildung 3 Der Staat BiH mit dem Grenzverlauf der Entitäten (blau) und der Lage des
Modracsees (roter Kreis)
Quelle: http://www.un.org/Depts/Cartographic/english/htmain.htm
12
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Der Hohe Repräsentant resp. dessen Büro (OHR) besitzt weitgehende politische Möglichkeiten sowohl in der Legislative wie Exekutive. Er kann eigene Gesetze erlassen, solche der bosnischen Parlamente aufheben, neue Behörden schaffen oder Staatsangestellte entlassen15. Er
besitzt auch ein durch keinerlei Kontrollmechanismus eingeschränktes Vetorecht gegen jegliche Entscheidungen von Parlamenten oder Regierungen und kann damit auch demokratische
Erlasse überstimmen (Bickel 2005, S. 26). Diese Konstellation wird von verschiedener Seite
als sehr problematisch angesehen, da sie einer Stärkung und Respektierung der bosnischen
Demokratie entgegenlaufe (Slobodna Dalmacija 2004) und Spannungen zwischen Konfliktparteien per Dekret von Aussen löse anstelle von einem inneren Kompromiss (Bickel 2005, S.
4). Die Legitimation des OHR scheint heute sowohl innerhalb Bosniens als auch von aussenstehenden Organisationen und Experten zunehmend in Frage gestellt (Kurth 2009, S. 2ff.). Im
Juni 2009 eskalierte die Lage, als der Hohe Repräsentant einen umstrittenen Parlamentsbeschluss der Serbischen Republik annullierte, der eine Verlagerung von weiteren Zuständigkeiten hin zur Entität erzwingen wollte. Dies illustriert die von Bickel (2005, S. 24) erwähnte
Gefahr, dass im Verlauf der durch die internationale Gemeinschaft angestrebten Kompetenzreduzierung von Entitäten und Kantonen erhebliche Konflikte entstehen dürften.
Die durch das Abkommen von Dayton begründete Struktur ist eine Zwitterlösung (Ehrke
2003, S. 16): Zwar wurde der einheitliche Staat BiH formell beibehalten, seine Funktionen
aber auf ein Minimum reduziert. Gleichzeitig wurden die wichtigsten politischen Funktionen
den Entitäten zugeteilt. Der Staat ist damit zwar formell übergeordnet, dabei aber wichtiger
Funktionen entkleidet; es wird gar von einer dysfunktionalen Staatsverfassung gesprochen
(Fuster 2009).
Die Staatsstruktur mit ihren 3-4 Ebenen plus Hohem Repräsentanten entspricht einer komplizierten und aufgeblähten Konstruktion, die weltweit ihresgleichen sucht (Ajanovic, Fetahagic,
Jamakovic & Pleho 2008, S. 43). Bickel (2005, S. 7) nennt unglaubliche Zahlen: Demnach
besitzt BiH auf all seinen Staatsebenen 13 Premierminister, 180 Minister, 760 Parlamentarier
und rund 1200 Richter und Staatsanwälte, bei einer Bevölkerung von weniger als vier Millionen. In der Föderation BiH sind 10 % aller Arbeitnehmer in der Verwaltung angestellt (Federal Office of Statistics 2009), ein Anteil, der zumindest ein Europa seinesgleichen sucht
(Fuster 2009). Die Staatsstruktur hat einen schwachen Zentralstaat (CIA 2008, Stieger 2009),
Gerangel um Kompetenzen, unklare Schnittstellen, etc. zur Folge. Zusätzlich heikel erscheint,
dass die ethnische Trennung durch die Bildung der Entitäten und die Ausstattung mit einer
hohen Autonomie quasi zementiert wurde. Eine einheitliche Staatenbildung und die Bildung
einer gemeinsamen Identität wird dadurch erschwert (Bickel 2005, S. 7).
15
Gemäss Angaben des OHR (http://www.ohr.int/ohr-info/gen-info/default.asp?content_id=38612).
13
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
2.4.2
Wirtschaft und Umwelt
Nach dem Bosnienkrieg sprach die internationale Gemeinschaft, allen voran die EU, die
Weltbank, die USA, Japan und islamische Länder, insgesamt über 5.5 Milliarden US-Dollar
für den Wiederaufbau von BiH16. Die Wirtschaft wies zwischen 1996 und 1999, von einem
tiefen Niveau ausgehend, hohe Wachstumsraten auf. Nach einer Verlangsamung in den darauf
folgenden Jahren sind seit 2003 wieder kontinuierliche Wachstumsraten des Bruttoinlandprodukts (BIP) von durchschnittlich 6 % zu verzeichnen (Fuster 2009). Das BIP erreichte aber
erst 2005 wieder den Vorkriegsstand. Gegenüber den benachbarten Ländern (Serbien, Kroatien) beträgt es nur gut die Hälfte resp. ein Drittel. Es besteht weiterhin eine starke Abhängigkeit von Auslandhilfe (Bickel 2005, S. 7). Der Anteil des durch Rücküberweisung von Gastarbeitern aus dem Ausland gewährleisteten Teils des BIP beträgt beträchtliche 21 % (Müller
2009). Die ausländischen Direktinvestitionen, die zum Grossteil den Bankensektor betreffen
(Fuster 2009), sanken von 11 % des BIP im Jahre 2007 auf momentan unter 6 %. Dies trotz
günstiger Bedingungen wie die stabile, mit dem Euro verknüpfte Währung, niedrige Inflationsrate, qualifizierte Arbeitskräfte, Steuerbefreiung vieler Produkte innerhalb der EU, etc.
Die Metall-, Auto-, Bekleidungs- und Holzverarbeitungsindustrie zählen zu den wichtigsten
Exportzweigen. BiH zählt zudem zu den Energieexporteur-Ländern (vor allem durch Braunkohlekraftwerke). Potential wird daneben auch der Erzeugung erneuerbarer Energien oder
dem Tourismus zugerechnet (Fuster 2009). Im Jahre 2006 arbeiteten noch immer ca. 20 % der
Arbeitnehmer im 1. Sektor und erwirtschafteten damit ca. 10 % des BIP; ca. 33 % der Arbeitsplätze befanden sich im seit Titos Bestrebungen traditionell starken 2. Sektor, erarbeiteten aber nur 24 % des BIP; die höchste Wertschöpfung erzielte der 3. Sektor, in dem 48 % der
Arbeitsplätze 66 % des BIP erwirtschafteten (CIA 2008). Bestrebungen zur InfrastrukturEntwicklung sind im Gang: Im Bosnatal ist der Bau eines Autobahnabschnittes der Linie Adria-Sarajevo-Budapest geplant, im Eisenbahnbereich sind Investitionen in das Wagenmaterial
für den Fern- und Güterverkehr vorgesehen17.
Die globale Wirtschaftskrise trifft BiH momentan hart. Viele der Gastarbeiter müssen heimkehren, da sie ihre Stellen im Ausland in der Krise als erste verlieren (Müller 2009). Speziell
die Föderation BiH scheint momentan nahe am wirtschaftlichen Kollaps zu stehen, da sie sehr
hohe Verwaltungsausgaben hat und sich enorme Sozialleistungen leistet, speziell zugunsten
der Kriegsveteranen (OHR 2009). Auf individueller Ebene scheint das Unternehmertum im
Vergleich mit anderen Konfliktstaaten wie z.B. Kosovo wenig ausgeprägt (Bickel 2005, S.
16). Viele Klein- und Einzelunternehmen dürften allerdings in der Schattenwirtschaft tätig
16
Gemäss Angaben des staatlichen Aussenministeriums (http://www.mfa.gov.ba/Index_eng.htm)
17
http://de.wikipedia.org/wiki/Bosnien_und_Herzegowina
14
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
sein, was die statistische Erfassung erschwert. Gemäss CIA-Länderreport (CIA 2008) zählen
die folgenden Punkte zu den grössten volkswirtschaftlichen Problemen:
• Die hohen Staatsausgaben von ca. 40 % des BIP (unter anderem wegen des aufgeblähten Verwaltungsapparats),
• die hohe laufende Staatsverschuldung,
• eine sehr hohe Arbeitslosenquote18 sowie
• eine ausgeprägte Schattenwirtschaft von geschätzt bis zu 50 % des BIP (dadurch reduzieren sich auch die offiziellen Arbeitslosenzahlen). Ein Grossteil der neugeschaffenen Arbeitsplätze befindet sich im informellen Sektor (Bickel 2005, S. 15).
Auch der internationale Währungsfonds betont die Wichtigkeit der Senkung der Staatsausgaben (Fuster 2009). Probleme ortet der CIA-Report (CIA 2008) zudem in der primär bargeldbasierten und unregulierten Wirtschaft, der schwachen Durchsetzung der Gesetze und der
Korruption. Letzere wird mit dem aufgeblähten Verwaltungsapparat und der engen Verbindung wirtschaftlicher und politischer Strukturen in Verbindung gebracht (Fuster 2009); Auf
dem Korruptionsindex von Transparency International lag BiH 2007 auf Platz 84. Bickel
(2005, S. 15) erwähnt das Fehlen eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, der Investoren Sicherheit und gleiche Behandlung garantiert, als weiteres Manko. Die geringen Investitionen
durch das Ausland und das (zumindest im formellen Sektor) wenig ausgeprägte Unternehmertum dürfte auch mit den ungünstigen Rahmenbedingungen für den Aufbau eines neuen Unternehmens zusammenhängen; auf der Rangliste der Weltbank rangiert BiH auf dem unrühmlichen 161. Platz von 181 Ländern und damit weit hinter den Nachbarländern (Fuster
2009).Erschwerend für die Entwicklung des Landes ist, dass auch heute noch ausgedehnte
Gebiete des Landes vermint sind. Luftverschmutzung, ungeordnetes Abfallwesen, Probleme
mit der Wasserversorgung und Abholzung sind die grössten Umweltprobleme (CIA 2008).
2.4.3
Gesellschaft
Genaue Bevölkerungsdaten aktuellen Datums existieren nicht, die letzten zuverlässigen Daten
waren diejenigen der Volkszählung von 1991, die aber aufgrund des Krieges überholt sind.
Schätzungen zur aktuellen Bevölkerung variieren stark und betragen zwischen 3,8 Mio (deutsches auswärtiges Amt19) und etwa 4,6 Mio (CIA 2008).
18
Die Zahlen sind sehr widersprüchlich; das OHR (2009) reportiert eine Arbeitslosenquote von fast 41 %, die
Agency for Statistics of BiH (2008) ein Sinken in den letzten drei Jahren von über 30 auf knapp 24 %.
19
http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/01-Laender/BosnienUndHerzegowina.html
15
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Die Zivilgesellschaft scheint durch ein mangelndes Vertrauen in den Staat und eine gewisse
Passivität charakterisiert. Ersteres zeigt z.B. die Umfrage unter 600 Studierenden in allen
Landesteilen von BiH durch Puhalo (2005, S. 9ff.). Demnach traut über die Hälfte der Befragten den Politikern in BiH nicht zu, den Staat zu führen. Auf einer Skala von 1 bis 5 (Bestnote)
erhielt keine Institution eine Note über 3, und keine politische Organisation oder Person des
öffentlichen Lebens (vor allem Politiker) überragte die Note 2. Auch am Modracsee sind ähnliche Werte festzustellen. In der Umfrage von Stauffer (2009) bei Organisationen am Modracsee gaben nur 20 % der Befragten an, den lokalen Behörden zu vertrauen, dass sie sich um die
Entwicklung des Sees kümmern würden.
Das Vertrauen in die aktuellen politischen Institutionen ist auch nach Salaj’s Studie (2009, S.
129ff.) sehr niedrig. Nur 12 % der Befragten sind mit dem Zustand der Demokratie in BiH
zufrieden und nur 30 % interessieren sich für Politik. Beunruhigend ist auch der Umstand,
dass lediglich 29 % der Befragten Demokratie als Grundsatz unterstützen. Typisch für postkommunistische Gesellschaften ist auch folgendes Resultat: Die Frage, ob man anderen Menschen vertrauen kann, beantworteten nur 16 % der Befragten positiv. Stauffer (2009) schätzt
die Wurzeln dieser „Misstrauensgesellschaft“ älter ein und sieht einen Zusammenhang mit der
jahrhundertelangen Fremdbestimmung; eine Folge dieser Fremdbestimmung sind das Entstehen von Parallelstrukturen in Form von informellen, häufig ethnisch geprägten Netzwerken.
Die Passivität wird unter anderem als Folge von Titos autoritärem Staatssozialismus aufgefasst, der das Mitdenken des Einzelnen nicht förderte resp. das Abschieben von Verantwortung an übergeordnete Ebenen begünstigte (Bickel 2005, S. 28). Im kantonalen Richtplan
(Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz 2008, S. 24) wird die Entwicklung der lokalen Selbstverwaltung und die grössere Teilnahme der einzelnen Bürger denn auch explizit
als Ziel ausgewiesen. Nach Dahrendorf (2003) ist für den Aufbau einer funktionierenden Zivilgesellschaft eine stabile Periode von mindestens 60 Jahren vonnöten, ein Zustand, wie er in
den letzten 200 Jahren in BiH nie herrschte.
Interessant sind auch Erkenntnisse, wonach das Zugehörigkeitsgefühl zum Staat BiH sehr
stark variiert (Puhalo 2005, S. 39, Salaj 2009): Eine große Mehrheit der bosniakischen Bevölkerung empfindet sich als Staatsbürger von BiH, während der Prozentsatz bei der kroatischen
Bevölkerung deutlich geringer ist (63 % bei der Gesamtbevölkerung, nur 15 % bei den Studierenden) und bei der serbischen auf unter 1/3 sinkt (33 % bei der Gesamtbevölkerung, 4 %
bei den Studierenden). Die Gesellschaft scheint nach den Erkenntnissen von Salaj (2009, S.
122ff.) in vielen Schlüsselfragen ethnisch tief gespalten.
16
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
3
Analyse der Region Modracsee
Betrachtet wird im Folgenden hauptsächlich der See mitsamt den seenahen Bereichen (das
heisst die an den See anstossenden Siedlungen), die insgesamt gut 40 Quadratkilometer umfassen. Soweit relevant, werden die Betrachtungen für einzelne Aspekte auf das gesamte Einzugsgebiet des Modracsees ausgedehnt, das fast 1'200 Quadratkilometer umfasst (Bally 2008,
S. 3), resp. die Region Tuzla.
3.1
Geographische Betrachtung
BiH ist durch die von Nordwesten nach Südosten verlaufenden Dinarischen Alpen geprägt,
eine in weiten Teilen bewaldete Mittelgebirgslandschaft von bis zu 2’400 Metern Höhe. Die
Region Tuzla befindet sich an den hügeligen Ausläufern dieses Gebirges (vgl. Abbildung 4).
Abbildung 4 Topographie von BiH und der Region Tuzla (roter Kreis)
Quelle: http://maps.grida.no/go/graphic/topographic_map_of_bosnia_and_herzegovina
17
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Die Täler der grossen Flüsse Nordbosniens erstrecken sich in Nord-Süd-Richtung. Das Sprecatal ist als gut nutzbares, flaches Land funktional mit den nördlich angrenzenden, grossen
Flusstälern von Sava und Donau verbunden. In Richtung Landesinnere / Sarajevo müssen auf
kurvigen Strassen mehrere Gebirgsketten überwunden werden. BiH hat nur wenige grössere,
davon einige künstlich aufgestaute Seen. Diese Seen liegen überwiegend im Süden. Im Nordosten ist der 1964 aufgestaute Modracsee mit Ausnahme der aufgestauten Drina im Umkreis
von über 100 Kilometern das einzige grössere Stillgewässer.
Der Modracsee liegt in einer weiten, auf 200 m.ü.M. liegenden, vormals landwirtschaftlich
genutzten Ebene, die durch die Flüsse Spreca und Turija gebildet wird. Die Ebene wird durch
bewaldete Hügelrücken gefasst, die eine Höhe von 300 bis 400 m.ü.M. erreichen. Der Ausfluss des Stausees liegt dort, wo der Fluss Spreca den nördlichen Höhenzug durchbricht und
sich anschliessend mit dem Fluss Jala vereinigt, der das Tal von Tuzla bildet. Die Uferbereiche des Modracsees haben mit Ausnahme eines touristisch intensiver genutzten Bereichs in
Prokosovici ein ländliches Erscheinungsbild und werden überwiegend durch die Landwirtschaft und Strassendörfer geprägt, ergänzt mit einigen Waldstücken.
Abbildung 5 Schrägluftbild des Modracsees, seines Auslaufes (Spreca) und der umgebenden
Hügelzüge, mit Blickrichtung von Nord nach Süd
Quelle: Google Earth
18
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
3.2
Funktion und Nutzung des Modracsees und seiner Umgebung
Vorerst primär der industriellen Brauchwassernutzung dienend20, übernahm der Modracsee
nach und nach vielfältige weitere Funktionen (Zahlenangaben gemäss Bally 2008):
• Er deckt mit ca. 4,5 Mio m3 etwa 40 % des Trinkwasserbedarfs der Kantonshauptstadt Tuzla; weitere 1,9 Mio m3 werden durch die Stadt Lukavac gebraucht.
• Als Retentionsbecken von ursprünglich ca. 100 Mio m3 glättet der See die ausgeprägten Spitzen bei Starkniederschlägen (mit Zuflüssen bis zu 730 m3/s) und verhindert Überflutungen im Unterlauf der Spreca.
• Er dient als Absetz- und Klärbecken für Industrie- und Siedlungsabwässer.
• Der See und die umliegenden Feuchtgebiete wurden zu einem wichtigen Lebensraum
für die Tier- und Pflanzenwelt. So nutzen z.B. Wasservögel das Gebiet als Ganzjahres-Lebensraum resp. auf ihrem Durchzug. Zudem entwickelte sich im See ein grosser Fischbestand, vor allem von Weissfischen. Die Wasserhaltung des Sees sichert
ausserdem, dass der Unterlauf der Spreca ständig wasserführend ist, was für das
Ökosystem wichtig ist.
• Die am Ausfluss liegende Staustufe liefert Energie (3 Megawatt-Kraftwerk).
• Und nicht zuletzt entwickelte sich der See für die gesamte Region zu einem bedeutenden Tourismus- und Naherholungsgebiet21, da in der weiteren Umgebung keine
grösseren Seen vorhanden sind. Mitte der 1990-er Jahre fand eine etwa fünf Jahre
dauernde touristische Blütezeit statt, mit einem Schwerpunkt in der Ortsgemeinde
Prokosovici am Nordwestufer (vgl. Abbildung 6). Es entstanden Hotelbauten, Privatpersonen vermieteten Zimmer. Heute sind viele Tourismusinfrastrukturen in einem schlechten Zustand oder kämpfen mit schlechter Auslastung (vgl. Kap. 7.4).
Die seenahen Bereiche sind nach wie vor durch eine relativ kleinstrukturierte Landwirtschaft
geprägt. Am Nordwest- und am ganzen Südufer sind einige Strassendörfer vorhanden, die jeweils höchstens einige Tausend Einwohner besitzen. Das Nordostufer ist praktisch gänzlich
von Wald eingenommen. Die West- und die Ostseite sind als Schwemmland durch die Zubringerflüsse Turija resp. Spreca und Sumpfgebiete geprägt und sind weithin unproduktives
Land. Teilbereiche können landwirtschaftlich genutzt werden.
20
Der heutige Bedarf der Industrie beträgt etwa 3,8 Mio m3.
21
Der See ist unter Karpfenfischern europaweit berühmt für seine Bestände und die Dimensionen der Fische
(Rekordgewichte von bis zu 40 kg), was vor allem mit dem hohen Nährstoffgehalt des Wassers zusammenhängt.
19
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee __________________________________________ 3.8.2009
Abbildung 6 Badeszenen am Modracsee Mitte der 1990-er Jahre
Quelle: www.lukavac.org
Weite Teile des hydrologischen Einzugsgebietes sind bewaldet. Die Abholzung oder übermässige Nutzung der Wälder scheint Probleme mit Naturgefahren zu schaffen23. Innerhalb
des Einzugsgebiets liegen auch zwei grössere Städte mit ihren Industrien und Gewerbe24. Das
Zentrum von Zivinice, das nach kantonalen Zahlen ca. 50'000, nach städtischen25 Zahlen ca.
70’000 Einwohner aufweist und am Flusssystem der Spreca liegt, befindet sich etwa 7 km
östlich des Ostufers. Die Bergbaustadt Banovici mit ihren knapp 30'000 Einwohnern liegt,
getrennt durch die bewaldeten Hügel, 8 km vom Südufer entfernt und etwa 200 Meter erhöht.
In Banovici und Zivinice werden grossflächig Braunkohle und auch andere Rohstoffe abgebaut, überwiegend im Tagbau. Die Abbaugebiete sind bis heute zum grössten Teil nicht rekultiviert und bilden grosse Wunden in der Landschaft. Die Böden der Abbaugebiete und der Abraumhalden sind zum überwiegenden Teil degradiert und nicht nutzbar.
3.3
Gewässerzustand und Ursachenforschung
Wasserqualität
Siedlungs- und Industrieabwässer aus dem Einzugsgebiet des Sees fliessen wie fast im gesamten Land auch heute noch überwiegend ungeklärt in den See26. Zwar ist die Siedlungsdichte
direkt am See eher tief; Schätzungen gehen von ca. 20'000 Einwohnern in den seeanstossenden Ortsgemeinden aus (Bally 2008, S. 3). Die Einwohnerzahl im gesamten Einzugsbereich
23
Gemäss Aussagen diverser Interviewpartner (Ostern 2009) sowie Bericht des Ministeriums für Raumplanung
und Umweltschutz vom 27.1.2009.
24
Die Städte Tuzla und Lukavac liegen nördlich des Modracsees und daher nicht im Einzugsbereich des Sees.
25
Gemäss Angaben von Hr. Mujagic (Interview Ostern 2009).
26
Nur ca. 6 % der Abwässer von BiH werden in den 7 Kläranlagen des Landes aufbereitet (Bally 2008).
20
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
ist aber wesentlich höher und wird auf etwa 130'000 Einwohner geschätzt (ICS-UNIDO, CETA & MPV Spreca, ohne Jahreszahl). Diese Schätzung dürfte angesichts der 80-100'000
Einwohnern der beiden Städte Zivinice und Banovici aber eher zu tief liegen. Nebst den Siedlungsabwässern kommen als wesentliche Verschmutzer auch etwa 15 Industrie- und Gewerbebetriebe hinzu (unter anderem Kohle-Bergbauwerk, Möbelschreinerei, etc.). Die eingeleiteten Schmutzfrachten werden auf ca. 750'000 Einwohner-Äquivalente geschätzt (Bally 2008).
Bei der Industrie bestehen zwar verschiedentlich technische Einrichtungen, um belastende
Emissionen zurückzuhalten (wie z.B. Abgasfilter, Sedimentabscheider, etc.). Diese funktionsfähigen Einrichtungen sind aber aufgrund des mangelnden Vollzugs und Kontrolle der Umweltschutznormen, seitens des Staates aufgrund von mangelndem Personal, einer ungehinderten Wirtschaftsentwicklung und vermutlich auch Korruptionserscheinungen, seitens Unternehmen aus Kostengründen, häufig gar nicht in Betrieb26.
Abbildung 7 Algenblüte infolge des hohen Nährstoffgehalts und „ungesunde“ Farbe des
Modracsees im Dürrejahr 2003
Quelle: Sabina Jukan (UEZ)
Verlandung
Nebst biologisch-chemischen Belastungen werden auch grosse Mengen von (Fein-) Sedimenten in den See eingetragen. Für die Einträge sind zu 80 - 85 % die Kohlewaschanlagen der
Bergbauwerke im Einzugsgebiet verantwortlich27, deren Prozessabwässer ungeklärt und mit
grossen Mengen Kohlenstaub belastet in die Zubringerflüsse des Sees gelangen.
26
Gemäss Aussagen diverser Interviewpartner (Ostern 2009).
27
Gemäss Aussagen von Hr. Arnautelic (Interview Ostern 2009).
21
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Dies hat einschneidende Folgen. Bei seiner Aufstauung betrug die Seefläche noch ca. 1’700
ha. 1985 soll die Oberfläche noch etwa 1'670 ha betragen haben (ICS-UNIDO, CETA &
MPV Spreca, ohne Jahreszahl). Gemäss eigenen Abschätzungen (vgl. Abbildung 8) betrug die
Seeoberfläche im Jahre 1992 (gemäss den jugoslawischen 1:50’000-Karten) aber nur noch
etwa 1’450 ha. In den anschliessenden 15 Jahren bis ins Jahr 2007 hat sich die Seefläche gemäss Google-Earth-Luftbild nochmals um ca. 90 ha verkleinert (20 ha im Westen und 70 ha
im Osten) und beträgt noch ca. 1’350 ha. Nicht nur die Oberfläche, sondern auch das Volumen des Sees hat sich seit seinem Bestehen in den letzten 45 Jahren um ca. 13 % reduziert28.
Nebst der Verringerung des Volumens spielt auch die Entstehung von Flachwasserzonen eine
grosse Rolle, die zu einer schnelleren Erwärmung des Sees und im Folgenden erhöhter Schadstoff- und Nährstoffkonzentrationen, Verdunstung, Algenblüten (vgl. Abbildung 8), Fäulnisprozessen, Sauerstoffarmut etc. führen können. Solche Phänomene, die im schlechtesten Fall
zum ökologischen Kollaps des gesamten Sees führen können, sind aus den kleineren Schweizer Mittellandseen bestens bekannt.
Abbildung 8 Fortschreitende Verlandung des Modracsees: Uferverläufe 1992 (dunkelblau)
und 2007 (hellblau)
Quelle: Hintergrundbild aus Google Earth
28
Gemäss Aussagen von Hr. Arnautalic (Interview Ostern 2009)
22
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Wasserentnahme
Der durchschnittliche Zufluss in den Modracsee durch die Spreca beträgt ca. 16 m3/s (ICSUNIDO, CETA & MPV Spreca, ohne Jahreszahl). In Trockenjahren mit grosser Wasserknappheit wie z.B. im Jahre 2003 führt die eingeschränkte Frischwasserzufuhr der Zuflüsse in
Kombination mit Verdunstungserscheinungen aufgrund der Erwärmung des flachen Sees und
der fortlaufenden Entnahme beträchtlicher Wassermengen für Trink- und Brauchwasser (vgl.
Tabelle 1).
Lokale Wasserentnahmen für Bewässerung, Verluste durch Verdunstung, Transpiration der
Uferpflanzen, etc. wären natürlich ebenfalls mit zu berücksichtigen. Hierzu sind jedoch keine
Angaben vorhanden. Der Rückgang des Seespiegels um einige Meter in der Vertikalen äussert
sich in der Horizontalen aufgrund der Flachgründigkeit des Sees noch viel ausgeprägter. Die
Folge ist eine starke Reduktion der Gewässeroberfläche und eine Wanderung des Seeufers um
Dutzende von Metern seeeinwärts.
Tabelle 1
Vergleich von Zuflussmengen (Minimum) und Wasserentnahmen
Zufluss-Minimum der Zubringerflüsse
Konzessionierte Wasserentnahme für Trink- und Brauchwasser der Städte Tuzla und Lukavac
0.5 m3/s
0.32 m3/s
Davon Trinkwasser:
0.2 m3/s
Davon Brauchwasser:
0.12 m3/s
Quelle Zahlen: Bally (2008, S. 3)
Abbildung 9 Trockenfallen grosser Seeteile im Dürrejahr 2003 und Normalzustand (2009)
Quelle linkes Bild: Sabina Jukan (UEZ)
23
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Folgen dieser Entwicklungen
Die negativen Folgen dieser Entwicklungen sind vielfältig: Die schlechte Wasserqualität und
die damit verbundene Negativpropaganda führ(t)en zu einem touristischen Niedergang und
einem faktischen Badeverbot, die Trinkwasseraufbereitung gestaltet sich sehr aufwändig, das
Wasserfassungsvermögens des Sees wird durch die starke Verlandung laufend reduziert, der
im Bereich der Verlandung neu entstehende Untergrund ist kaum nutzbar, da sumpfig und
schlecht tragfähig, das Ökosystem wird durch Einleitungen von Schadstoffen geschädigt, etc.
Im Juni 2009 erfolgte ein grosses Fischsterben (vermutlich aufgrund der Einleitung von
Schadstoffen, ev. auch wegen der Sauerstoffarmut / Überhitzung des Sees). Weitere mögliche
Auswirkungen (wie z.B. Schadstoffakkumulationen in der Nahrungskette) sind noch kaum
erforscht. Diese negativen Folgen führen neben direkten Folgekosten wie z.B. der aufwändigeren Trinkwasseraufbereitung auch zu entgangenen volkswirtschaftlichen Nutzen von nicht
nutzbaren oder unternutzten Potentialen z.B. im Tourismusbereich.
Anlässlich des Ortsbesuchs erfuhren wir von einem durch die Anstössergemeinden und dem
UEZ initiierten Projekt, das dem Wissensdefizit von Seebesuchern und Bevölkerung über das
Ökosystem mit einer Informationsoffensive begegnen will. Es ist die Beschilderung von drei
wichtigen Zugangspunkten zum See, das Verteilen von Flugblättern in die örtlichen Haushalte
und Informationsveranstaltungen in den Anstössergemeinden vorgesehen.
3.4
Raumplanerische Betrachtung
Der Kanton Tuzla ist mit seinen gut 500'000 Einwohnern der bevölkerungsreichste in der Föderation BiH. Mit einer Bevölkerungsdichte von knapp 200 Einwohnern pro km2 ist er auch
der zweitdichteste (hinter dem Kanton Sarajevo)29. Die Stadt Tuzla weist eine Dichte von etwa 450 Einwohnern pro km2 auf30 (Federal Office of Statistics 2009). Die nachfolgenden Erkenntnisse entspringen den Ortsbesichtigungen sowie Analysen des Kartenmaterials, des kantonalen Richtplans (Ist-Zustand) und Google-Earth-Luftbildern.
Siedlungsstruktur und Erschliessung
Der Modracsee ist 1964 quasi „auf dem Lande“ entstanden. Es sind bis heute keine grösseren,
dichten Siedlungen unmittelbar am See vorhanden. Um den Modracsee selber sind bisher nur
etwa 20'000 Einwohner wohnhaft (Bally 2008, S. 3), wobei das Südufer wesentlich dichter
29
Dies entspricht in etwa der Bevölkerungsdichte der Schweiz, ist im Vergleich zum Kanton Zürich mit 750
2
EW/ km aber wenig (Quelle: http://www.statistik.zh.ch).
30
Im Vergleich dazu die Stadt Zürich mit gut 4'000 EW/km² und Winterthur mit knapp 1’500EW/km² (Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bevölkerungsdichte).
24
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
besiedelt ist (vgl. Karte im Anhang A3). Die Siedlungen entsprechen lang gezogenen, wenig
dichten Strassendörfern, die aus ursprünglich rein landwirtschaftlichen Siedlungen entstanden
sein dürften. Es ist auch etwas Gewerbe sowie vorwiegend am Nordwestufer touristische Infrastruktur vorhanden. Industrie fehlt fast gänzlich. In den Zentren der lokalen Ortsgemeinden
sind gewisse Zentrumsfunktionen wie Läden, Schulen, lokale Verwaltung, Apotheke, Post
oder Sportinfrastrukturen vorhanden.
Die Hauptsiedlungsgebiete erstrecken sich entlang der Regional- und Lokalstrassen. Der See
ist überwiegend per motorisierten Individualverkehr (MIV) erschlossen. Von Lukavac und
von Zivinice erreicht man den See (Prokosovici resp. Serici / Police) zwar per Bus gut. Entlang des Sees oder rund um den See verkehren aber nur wenige Busse.
Abbildung 10 Luftbild des Modracsees mit Strassenverlauf (weisse Linien, Dicke entspricht
der Strassenkategorie) und Zuglinien (gelb)
Quelle Hintergrundbild: Google Earth (2005)
Am Nordufer können ein West- und Ost-Teil unterschieden werden. Der bewaldete Ost-Teil
fällt als Rücken relativ steil zum See ab. Es sind ausser im östlichsten Zipfel (Ortsgemeinde
Kiseljak) keine Siedlungen vorhanden. Im West-Teil führt die Regionalstrasse direkt am See
entlang. In der Ortsgemeinde Prokosovici ist eine ziemlich dichte, überwiegend auf Touris-
25
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee __________________________________________ 3.8.2009
mus ausgerichtete Siedlung entstanden. Nebensträsschen erschliessen das sanft ansteigende
Hinterland, das über weite Strecken besiedelt ist. Das Südufer ist durch zufliessende Bäche
landschaftlich stärker gekammert. Die Regionalstrasse verläuft nur im westlichsten Teil ufernah. Ansonsten ist sie bis zu zwei Kilometer vom Ufer entfernt. Mehrere Stichstrassen führen
in Richtung Ufer und erschliessen grössere oder kleinere Siedlungseinheiten zumeist neueren
Datums. Etliche dieser Stichstrassen wurden erst nach 1992 gebaut oder seither ausgebaut.
Seeanstösser-Gemeinden
Die Zentren der Städte Tuzla (mit 130'000 Einwohnern), Zivinice (mit je nach Quellen 50'70’000 Einwohnern), Lukavac (mit 50'000 Einwohnern) und Banovici (mit knapp 30'000
Einwohnern) liegen in Luftlinie 3,5 (Lukavac) bis 10 km (Tuzla) vom See entfernt32. Das
Ostufer des Sees bildet in etwa die geographische Mitte der vier Kernstädte Tuzla, Zivinice,
Banovici und Lukavac. Doch nur drei der vier Städte teilen sich den Seeanstoss und nur zwei
die Seefläche. Lukavac nimmt den westlichen Teil und etwa 2/3 des Seeanstosses ein (vgl.
Abbildung 11). Der südöstliche Teil gehört zu Zivinice. Tuzla besitzt den kleinsten Teil des
Seeanstosses auf dem bewaldeten Nordostrücken und hat keinen Anteil an der Seefläche. Am
See selbst liegen mehrere kleinere, administrativ zu den umliegenden städtischen Gemeinden
gehörige Ortsgemeinden, die keine eigenen politischen oder administrativen Rechte besitzen.
Abbildung 11 Die drei Seeanstössergemeinden (links); Entfernung der vier städtischen
Zentren (schwarze Kreise; rechts) vom See
Quelle: Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz (2008)
32
Schätzungen der Einwohner-Zahlen von 2003 (Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz 2008).
26
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Siedlungsentwicklung am Modracsee
Das Interesse der kommunalen Planungsverantwortlichen für den See resp. dessen Umgebung
ist mit Ausnahme von Lukavac gering und scheint von der Entfernung der Zentren zum See,
den Anteilen am Seeanstoss und den direkten wirtschaftlichen Interessen abhängig (die touristisch am stärksten entwickelte Ortsgemeinde Prokosovici gehört zur Stadt Lukavac). Die Planungsverantwortlichen von Lukavac zeigten Entwicklungsideen für den Seeuferbereich, begründeten jedoch ihr weitgehendes Unvermögen zur Umsetzung dieser Pläne mit dem fehlenden Grundeigentum der Gemeinde in diesem Bereich32. Interessanterweise scheint sich die
Stadt Tuzla, die mit der Ortsgemeinde Kiseljak den zweiten, wenn auch viel kleineren touristischen Pol besitzt, kaum für die Entwicklung des Seeuferbereichs zu interessieren.
Die Siedlungsentwicklung hat sich gegenüber den 1980- / 90-er Jahren intensiviert: Der jährliche Zuwachs an Häusern wird auf 5 % geschätzt33. Die Siedlungsentwicklung erfolgt dabei
vor allem ausserhalb des bestehenden Siedlungsgebiets auf der „grünen Wiese“, teilweise mit
Anschluss an den bisherigen Dorfrand, teilweise losgelöst von bestehenden Siedlungen oder
anderen Gebäuden. Häufig wird einreihig entlang einer bestehenden oder neu angelegten
Strasse gebaut. Eine Feinerschliessung in die Tiefe fehlt häufig.
Abbildung 12 Siedlungsentwicklung und Waldrodungen am Nordufer des Modracsees
zwischen 2003 (links) und 2007 (rechts)
Quelle: Google Earth
Die Intensivierung der Bautätigkeit lässt sich auch an der Anzahl Beschäftigten im Bauwesen
resp. der Real Estate- / Vermietungs-Branche ablesen, die innert der letzten 3 Jahre um 15 %
32
Gemäss Erkenntnissen der Interviews (Ostern 2009).
33
Gemäss Recherchen von Sabina Jukan (UEZ) bei Verantwortlichen der Gemeinde Lukavac (Juli 2009) sowie
Angaben von Hr. Mahmutovic und Hr. Aganović (Interview Ostern 2009).
27
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
resp. 51 % gestiegen ist (Federal Office of Statistics 2009)34. Ein ansehnlicher Teil der Siedlungen ist informell entstanden, ohne Baubewilligung oder entgegen der Bauordnung; die
Strafe für illegales Bauen ist dabei im Gegensatz zu den für die Bewilligung fälligen Gebühren höchst bescheiden35. Es fällt auf, dass zumeist grosszügige, meist 3-stöckige Häuser gebaut werden, von denen häufig zwei Stockwerke ungenutzt bleiben; quasi also Bauen auf
Vorrat, ohne den genauen zukünftigen Bedarf der Familie abschätzen zu können.
Exkurs Zersiedlung
Das Phänomen der Zersiedlung wurde im grossen Stil erst durch Verbesserungen bei der Mobilität möglich, die für die Trennung von Wohn- und Arbeitsgebiet Grundvoraussetzung ist
(Perlik, Wissen, Schuler et al. 2008, S. 19); denn in der Regel verbleiben die Arbeitsplätze
weiterhin zentrumsnah resp. in dichter besiedelten Gebieten. Zersiedlung ist dabei nicht einfach ein Luxusproblem der Schweiz, das vor allem Landschaftsästheten bewegt, sondern hat
durchaus auch gewichtige ökonomische und ökologische Folgen, unter anderem in den Bereichen Gewässerschutz, Bodennutzung oder Raumplanung. So hat Zersiedlung beispielsweise
eine gesteigerte Flächenbeanspruchung und damit Zunahme der Bodenversiegelung und Abnahme der landwirtschaftlichen Nutzfläche zur Folge. Aufgrund der fehlenden Siedlungsdichte verunmöglicht es eine finanzierbare Erschliessung mit dem öffentlichen Verkehr (ÖV) und
schafft damit Abhängigkeiten vom motorisierten Individualverkehr, was den Bau weiterer
Strasseninfrastrukturen und eine erhöhte Lärm- und Luftbelastung nach sich zieht. Die Erschliessung von abgelegenen Liegenschaften oder Siedlungen mit Versorgungsinfrastrukturen
(wie Sauberwasser, Strom, Telefon, Abwasser) zieht hohe Infrastrukturkosten für die öffentliche Hand nach sich (in Erstellung wie Betrieb), sofern sie überhaupt möglich ist. Die für die
Aufrechterhaltung von Sozialinfrastrukturen wie Schulen oder Spitäler oder Anbieter des täglichen Bedarfs (z.B. Nahrungsmittel) benötigte Mindest-Siedlungsdichte kann in zersiedelten
Landschaften ohne erkennbare Zentrumsstruktur kaum erreicht werden.
Der im Wohnbereich erkennbaren Flucht aufs Land steht keine adäquate Entwicklung im Bereich der Arbeitsplätze gegenüber, die überwiegend in den städtischen Zentren oder Industriegebieten angeboten werden. Die Zersiedlung wird auf Ebene Kanton als Problem erkannt36,
von den kommunalen Raumplanungsverantwortlichen jedoch nicht als (grosses) Problem
wahrgenommen. Über die Gründe für die um den Modracsee erkennbare Flucht aufs Land
34
Einzig die Handels- / Reparaturbranche und die Tourismusbranche mit Steigerungen um 40 % resp. 27 %
können mithalten. Alle anderen Wirtschaftszweige stagnieren oder haben Steigerungen bis höchstens 5 %.
35
Gemäss Aussagen mehrerer Interviewpartner (Ostern 2009).
36
Gemäss Aussagen von Frau Tesic (Interview Ostern 2009) und „Vision 2020“ (Institut für Urbanismus, ohne
Jahreszahl).
28
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
kann nur spekuliert werden. Ob es die Folge der Ansiedlung von Flüchtlingen während des
Krieges, der gesteigerte Wohlstand, die Flucht vor der Stadt mit ihren Lärm- und Luftproblemen oder vielleicht auch kulturelle Gründe sind, bleibt offen.
Entwicklungen am Seeufer
Es können in den letzten Jahren zwei Entwicklungen am Seeufer ausgemacht werden. Zum
einen wurden in den letzten Jahren bisher unbebaute, aber erschlossene Parzellen am See
überbaut (vgl. Abbildung 13). Dem Ausbaustandard entsprechend dürften viele davon Gutverdienenden gehören, vermutlich sind auch etliche dieser Gebäude Zweitwohnungen. Der
Bodenpreis ist in den letzten Jahren explodiert und um den Faktor 5 bis 10 gestiegen37.
Abbildung 13 Beispiele der Siedlungsentwicklung am See.
1: Siedlungsbild 2003. 2: Siedlungsbild 2007 mit Bereichen von Bautätigkeit
(gelb). 3: Neuere Wohnhäusern am See. 4: Verbauung des Seeufers zugunsten
von Anlagestellen und Aufenthaltsflächen.
1
2
3
4
Quelle Hintergrundbild 1 und 2: Google Earth
37
Gemäss Recherchen von Sabina Jukan (UEZ) bei der Gemeindeverwaltung Lukavac.
29
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Die Privatparzellen reichen dabei bis an den See heran. Als Folge davon wird einerseits die
Naturnähe des Seeufers beeinträchtigt (durch die Anlage von Infrastrukturen, Strandbereichen, intensiv gepflegten Rasenanlagen, harte Uferverbauungen, etc.), andererseits der Seeuferzugang für die Öffentlichkeit verunmöglicht (vgl. Abbildungen 13 und 14).
Abbildung 14 Reduktion der Zugänglichkeit des Seeufers zwischen 1992 (links) und 2007
(rechts)38: private Seeufer in Rot, öffentlich zugängliche Bereiche in Grün
Quelle Hintergrundbild: Google Earth
Zum anderen entstehen entlang der neu errichteten Stichstrassen ans Seeufer neue Siedlungskerne, teilweise fern von den ursprünglichen Siedlungsgebieten und daher mit teuren Infrastrukturkosten verbunden und kaum mit Kanalisation erschliessbar.
Abbildung 15 Irgendwann nach 1992 (Kartenbild links) neu erschlossene und anschliessend
überbaute Bereiche am Südufer (rechts)
38
Abschätzung mittels eines Vergleichs der 1:50'000 Karte von 1992 und dem Google-Earth-Luftbild 2007.
30
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Quelle: East View Cartographic und Google Earth
3.5
Entwicklungsabsichten des kantonalen Richtplans
Die nachfolgenden Erkenntnisse wurden aufgrund der Analyse der Karten des kantonalen
Richtplans (Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz 2008), auszugsweiser Übersetzungen des Richtplantexts (unter anderem der Zielsetzungen) und des auf Dokuments Vision
2020 (Institut für Urbanismus, ohne Jahreszahl) und gewonnen.
Der Richtplan stützt sich auf verschiedene übergeordnete Dokumente ab, so z.B. die Strategie
der Entwicklung des Kantons Tuzla, die regionale Entwicklungsstrategie des Kantons Tuzla
für die Periode 2002-04 oder die regionale Strategie der Wirtschaftsentwicklung für die Region nordöstliches BiH. In der Bodenpolitik, einem sehr raumrelevanten Bereich, sind im
Richtplan keine Zielsetzungen definiert, denn es wird auf Vorschriften übergeordneter Ebenen
gewartet. Die wichtigsten, für die Region Modracsee relevanten Aussagen sind in Tabelle 2
aufgeführt. Kommentare des Autors sind kursiv aufgeführt.
Es fällt auf, dass in den Textdokumenten eine Divergenz zwischen Analysen / Prognosen und
der Konzeption und auch Interessenskonflikte zwischen verschiedenen Zielsetzungen bestehen. So bekommt man z.B. in den Analysen und Prognosen den Eindruck eines moderaten
Bevölkerungswachstums und genügender Baugebietsfläche, in der Konzeption wird dann jedoch von der Entwicklung einer zusammenwachsenden, grosse Expansionen beinhaltenden
Stadtregion Tuzla-Lukavac-Zivinice gesprochen. Die auffälligsten Konfliktpotentiale sind in
Tabelle 2 gekennzeichnet.
31
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Tabelle 2
Wichtigste Ziele des kantonalen Richtplans für die Region Modracsee und
auffälligste Konfliktpotentiale
Konfliktpotential
mit Nr.
Nr.
Aussage / Zielsetzung
1
Polyzentrisches räumliches Modell mit unterschiedlich ausgerichteten, verkehrstechnisch optimal verbundenen Zentren (Tuzla als kantonales Zentrum;
Lukavac, Zivinice und Banovici als Zentren für Industrie und Bergbau)
2
Bevölkerungswachstum im Kanton bis 2025 um 5 % (in den Gemeinden Lukavac, Zivinice resp. Tuzla von 2.5, 5 resp. 11 %)
Wachstum innerhalb der bestehenden Siedlungsfläche möglich (Aussage mag
insgesamt stimmen, ist aufgrund der mutmasslich ungleichen Verteilung der
Baugebietsreserven in städtischen und ländlichen Gebieten aber verwirrlich
und dürfte für die Agglomeration Tuzla nicht zutreffen)
3
Gleichmässige und harmonisierte Entwicklung von Tuzla, den Gemeindezentren und allen urbanen Siedlungen, um den hohen Migrationsdruck auf die
Zentren (und speziell Tuzla) besser abfangen und verteilen zu können
4
Territoriale Ausbreitung des Urbanisierungsprozesses über die ländlichen Siedlungen zwecks Verbesserung der Lebensbedingungen und Entlastung der Agglomeration Tuzla von Migrationsbewegungen (Stimulierung von Unternehmeraktivität, Eröffnung kleiner Produktionsbetriebe, intensiver landwirtschaftliche Produktion, Herstellung gesunder Nahrungsmittel, Aufbau tertiärer Sektor)
5
Intensivierung der Nutzung bereits genutzter Wohn- und Wirtschaftsgebiete
(Innenverdichtung); faktisch Null-Wachstum der Siedlungsfläche, Stopp der
Zersiedlung
4
6
Entwicklung einer zusammenwachsenden Stadtregion Tuzla-Lukavac-Zivinice
(und bis 2025 ev. auch Banovici)
2&5
7
Massives Investitionsprogramm in Strasseninfrastruktur innerhalb des Kantons
und zum Anschluss ans europäische Netz; Modernisierung bestehender Eisenbahnstrecken (3 Linien von Tuzla nach Brcko, über Lukavac nach Doboj sowie
nach Zvornik)
5
8
Rationelle Erschliessung von Energie- und Wasserressourcen; Modracsee für
Trink- & Brauchwasser für grosse Industrien, Thermal- & Mineralquellen in
der Nähe des Sees; Aus- und Neubau von Stauseen für Wasserversorgung;
Fortführung der Kohlekraftwerke, Ausbau der Wasserkraftnutzung; Nutzung
der Fernwärme für Tuzla
9
Fortführung der Gewinnung mineralischer Rohstoffe, überwiegend im Tagbau
(momentan vor allem Kohle, zukünftig ev. andere Rohstoffe wie Magnesit,
Quarzsand oder Gabbro); Rekultivierung der Abbauflächen
32
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Konfliktpotential
mit Nr.
Nr.
Aussage / Zielsetzung
10
Schutz der Landwirtschaftsfläche, Qualitätssteigerung und Produktionsintensivierung
4&6
11
Begradigung und Melioration von Flüssen und Feuchtgebieten, Schutz vor
Hochwasser
12
12
Schutz der Zuflüsse des Modracsees und des Modracsees selber
13
Förderung einer schnellen Tourismusentwicklung; am Modracsee (Gesundheits-) Tourismus und Naherholung vorgesehen
14
Ausbau der Schulinfrastrukturen; Bildung eines Universitätscampus in Tuzla
15
Förderung der lokalen Selbstverwaltung
16
Entsorgung: Regionale Abfalldeponie in Lukavac, Bau von kommunalen Abwasserreinigungsanlagen vor allem in urbanen Gebieten
Zum anderen sind die textlichen und planlichen Aussagen teilweise nicht kongruent. In
Tabelle 3 sind die wichtigsten planlichen Aussagen im Bereich des Modracsees und auffällige
Widersprüche zu den Zielsetzungen der Textdokumente wiedergegeben. Da erfahrungsgemäss Pläne als optisches Mittel mehr Beachtung finden und einen leichteren Zugang als ein
350-seitiger Text bieten, dürfte den Aussagen in den Plänen mehr Gewicht zukommen.
Tabelle 3
Vergleich von Text- und Planinhalten des kantonalen Richtplans
Textliche Aussagen
Überein- Widerstimmung spruch
Planliche Aussagen
Innenverdichtung und Im Bereich des Sees sehr grosszügig dimensioZersiedlungsstopp
nierte, praktisch zusammenhängende Baugebiete
(vgl. Kommentar unten)
x
x
Kein Ausbau der Schul-, Kultur- & Sportanlagen
x
Urbanisierung ländlicher Regionen
Tourismus-Entwicklung: Südufer als Jagdtourismus, Nordostufer als Ausflugsziel für Naherholung- / Wochenendtourismus und Nordwestufer als „Wohn- und Transittourismus“
x
Abfallbewältigung
Neue regionale Abfalldeponie
x
Formierung von Industrieregionen
Ausscheidung sehr grosser zusätzlicher Industrieflächen in Lukavac und Tuzla (Kategorisierung als „grosse Industriezonen mit mehr als 100
ha Fläche“)
x
33
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Textliche Aussagen
Überein- Widerstimmung spruch
Planliche Aussagen
Neu geplante Strasseninfrastrukturen: Autobahn
von Tuzla / Lukavac in Richtung Belgrad;
Schnellstrassen entlang des Sprecatals und von
Ausbau und ModerniTuzla über Zivinice nach Banovici; Hauptstrasse
sierung der Strassenvom Autobahnende über das Ostufer des
infrastruktur
Modracsees (Kiseljak) nach Zivinice
x
Ausbau der Regionalstrasse von Lukavac über
das Westufer nach Banovici
Fortführung des Abbaus von Rohstoffen
Grosse potentielle Abbaugebiete auf Gemeindegebieten von Banovici und Zivinice
x
Grossräumige (Trink-?)Wasserkanäle durch den
Sicherung Wasserver- ganzen Kanton
sorgung
Spreca-Korridor zwischen Zivinice und See vorgesehen für die Ausbeutung von Mineralwasser
x
Schutz des Modracsees
Schutz der Landwirtschaftsflächen
Naturwert hydrografischer Bedeutung
Nordostufer mit Fauna-Schutzgebiet, geschützter
Landschaft sowie Landschaftsparkgebiet
Grossflächige Ausscheidung von Baugebieten
x
x
Kommentar zur Stossrichtung des kantonalen Richtplans und zur Ausscheidung der
Siedlungsgebiete am Modracsee
Der Richtplan propagiert in der Region Tuzla ein massives Wachstum, einerseits bei der Bevölkerung, andererseits bei Industrien und Infrastrukturen. Dabei wird auf bestehende Industriebranchen und den motorisierten Verkehr fokussiert. Es soll eine grossräumige Stadtregion
entstehen, die auch heute ländlich geprägte Gebiete wie z.B. den Modracsee umfasst. Damit
soll der übermässige Druck auf die Stadt Tuzla abgefedert und verteilt werden und der
Wohlstand der Region und des Kantons steigen. Der Richtplan scheint dabei die Wünsche
und Absichten aller Akteure abzubilden und eine möglichst ungehinderte Wirtschafts- und
Siedlungsentwicklung ermöglichen zu wollen.
Wie und von wem die vorgesehenen, sehr grossen Investitionsvolumen aufgebracht werden
sollen, bleibt unklar. Der Einbezug des Modracsees in die Stadtregion erscheint heikel, sofern
nicht flankierende Massnahmen zur Sicherung der landschaftlichen und ökologischen Qualitäten und Potentiale ergriffen werden. Es sind Ähnlichkeiten und Parallelen mit Entwicklungsabsichten und Planungen in der Schweiz während der wachstumsgläubigen Boomjahre der
1950-er bis frühen 1970-er Jahre erkennbar - und auch zu den Bestrebungen der schweizeri-
34
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
schen Regionalpolitik zur Verteilung des Wachstums, des Bevölkerungsdrucks und des
Wohlstandes auch auf die ländlichen Regionen des Landes.Am Modracsee sind grosszügig
Siedlungsgebiete ausgeschieden, so in Prokosovici am Nordostufer39 und am Grossteil des
Südufers. Ausgenommen sind einige eingesprenkelte Wald- und Landwirtschaftsgebiete und
die sumpfigen Schwemmländer am West- und Ostufer des Sees. Es scheint, dass die Aussengrenze der Siedlungsgebiete im Richtplan durch die jeweils äussersten Häuser gebildet wurde,
ungeachtet der teilweise sehr geringen Dichte im Innern und der grossen unüberbauten Zwischenbereiche. Ein Vergleich zur Ausscheidung der Baugebiete, wie sie in der Schweiz in etwa gemacht würde, zeigt Abbildung 16.
Die grosszügige Ausscheidung der Siedlungsgebiete dürfte mit der Absicht zusammenhängen,
die Städte Tuzla, Lukavac und Zivinice (und ev. auch Banovici) zu einer kleeblattartigen
Stadtregion zu entwickeln, zu der auch der gesamte Modracsee zählt. Um diese Stadtregion zu
verwirklichen, ist ein massiver Ausbau des Strasseninfrastrukturnetzes vorgesehen, von denen
die Umgebung des Modracsees direkt oder indirekt ebenfalls betroffen ist. Werden die ausgeschiedenen Baugebiete am Modracsee in der heutigen Dichte überbaut, würde die Bevölkerungszahl am See stark steigen. Ganz zu schweigen, wenn zusätzlich auch noch die im Richtplan propagierte (und im Fall der sehr undichten Siedlungsgebiete am Modracsee auch sinnvolle) Innenverdichtung verfolgt würde. Wie sich mit einer solchen Baugebietsausscheidung
die Siedlungsentwicklung steuern resp. Zersiedlung eindämmen lassen soll, bleibt unklar.
Abbildung 16 Schemaskizze Baugebietsausscheidung (in gelb) nach Art des kantonalen
Richtplans (links) resp. nach Schweizer Art (rechts, mit Einzelbauten im
Landwirtschaftsgebiet ausserhalb der Bauzone)
39
Die kantonale Baugebietsausscheidung ist interessanterweise den kommunalen Planungsverantwortlichen
von Lukavac noch viel zu klein ausgefallen (Interview Ostern 2009).
35
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
4
Raumplanung in BiH
4.1
Raumplanungssystem der Föderation BiH40
Die Raumplanungssystematik entspringt im Aufbau und den Grundzügen weiterhin den sozialistischen Zeiten. Es sind einige kleinere gesetzliche Anpassungen vorgenommen worden.
Durch den Einschub weiterer Staatsebenen sind gegenüber dem ursprünglichen System noch
weitere Planungsträger und Instrumente hinzugekommen.
Der Staat BiH hat gemäss Verfassung keine Kompetenzen im Bauwesen und der Raumplanung (Ajanovic, Fetahagic, Jamakovic & Pleho 2008, S. 44), sondern diese sind auf Entitätsstufe (oder tiefer) angesiedelt. Es sind verschiedene Gesetze aus vormals sozialistischen Zeiten nach wie vor in Kraft, die von beiden Entitäten übernommen wurden. Zudem wurden
durch Kantone und Entitäten neue Gesetze entworfen. Daneben hat auch das OHR Gesetze zu
Land, Landbesitz und Raumplanung erlassen, so z.B. ein Gesetz zur Regulierung der Landnutzung und des Grundbesitzes (Ajanovic, Fetahagic, Jamakovic & Pleho 2008, S. 44).
In der Entität „Föderation BiH“ sind auf allen Ebenen Planungsbehörden und Instrumente
vorhanden (zumindest in Theorie, vgl. auch Tabelle 4, S. 38f.):
• Das Raumplanungsministerium der Föderation befasst sich vor allem mit generellen
Überlegungen zur räumlichen Entwicklungsstrategie und bekundet diese im föderalen Raumplan. Zudem ist es für die Bodenpolitik und die Ausbeutung der Bodenschätze zuständig. Es harmonisiert zudem die kantonalen Richtpläne.
• Die Kantone besitzen wesentlich mehr Kompetenzen. Ihnen gebührt die Gesetzgebung in den Bereichen Bauwesen und Raumplanung. Das kantonale Raumplanungsministerium hat vor kurzem den kantonalen Richtplan erlassen, den alle kommunalen
Planungen berücksichtigen müssen. Der Kanton hätte auch die Kompetenz zur Erarbeitung von regionalen Richtplänen. Das kantonale Raumplanungsamt erlebte aber
nach Beendigung des mit kanadischer Unterstützung erarbeiteten kantonalen Richtplans einen grossen Exodus an Mitarbeitenden und hat im Moment nur sehr eingeschränkte Kapazitäten.
40
Die folgenden Erkenntnisse entstammen den Interviews (Ostern 2009), der Dokumentation von Ajanovic,
Fetahagic, Jamakovic & Pleho (2008) sowie dem kantonalen Richtplan (Ministerium für Raumplanung und
Umweltschutz 2008).
36
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
• Die Gemeinden besitzen eine ganze Palette an Planungsinstrumenten. Teilweise sind
aktuelle Pläne, teilweise alte Pläne aus sozialistischen Zeiten vorhanden. Im privaten
Siedlungswesen sind sie alleine zuständig für die Bewilligungen, sofern das Ausmass
des Projekts nicht definierte Schwellenwerte sprengt (z.B. bezüglich Flächenverbrauch), kantonale Interessen tangiert sind oder kantonale Bewilligungen z.B. im
Wasserbereich eingeholt werden müssen.
Abbildung 17 Beispiel für zwei Bebauungspläne („regulacioni plan“): Ein moderner
(Gemeinde Zivinice) sowie ein aus sozialistischer Zeit stammender (Gemeinde
Lukavac)
Quelle: Stadtplanungsämter Zivinice und Lukavac
37
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee_______________________________________________________________________________________ 03.08.2009
Tabelle 4
Ebene
Raumplanerische Instrumente der Föderation BiH
Instrument
(Originaltitel)
Instrument (dt. Status, Bemerkungen
Übersetzung) 41
Prostorni plan
Federacije BiH
Föderaler
Raumentwicklungsplan
-
Instrument vorgesehen, aber noch nicht ausgearbeitet
-
Beinhaltet räumliche Entwicklungsstrategie
-
Massstab 1:200'000
-
Instrument vorgesehen, aber noch nicht ausgearbeitet
-
Spezialplanung für bestimmte Regionen oder Sachgebiete
-
Massstab 1:10'000 oder 1:25'000
-
Im Jahr 2008 erlassen
Kantonaler
Richtplan
-
Massstab 1:25'000 oder 1:50’000, auf 20 Jahre ausgelegt
Prostorni plan
Regionaler
podrucja
posebnih obiljezja Richtplan
Kantona
-
Instrument vorgesehen, aber noch nicht ausgearbeitet
-
Vorgesehen für Berg Konjuh und Modracsee
-
Flächendeckende Planung für Teilgebiete mit besonderem Regelungsbedarf
-
Massstab 1:10'000 oder 1:25'000
Föderation Prostorni plan
Spezialpodrucja
Richtplan /
posebnih obiljezja
Sachplan
Federacije
Kanton
41
Prostorni plan
Tuzlanskog
Kantona 20052025
Die deutsche Übersetzung dient der einfacheren Lesbarkeit. Zudem soll die Benennung in etwa den Zweck und die Ausrichtung des Instruments nach schweizerischer Namensgebung widerspiegeln.
38
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee_______________________________________________________________________________________ 03.08.2009
Ebene
Instrument
(Originaltitel)
Prostorni plan
Grada
Urbanisticki
plan
Instrument (dt.
Übersetzung)
Kommunaler
Richtplan
Städtebaulicher
Plan
Gemeinde
Regulacioni
plan
Urbanisticki
projekat
42
Status, Bemerkungen
-
Alte Pläne (80-er Jahre) zumeist vorhanden und theoretisch noch in Kraft, neuere Pläne
bisher noch kaum erstellt, trotz entsprechender Vorgabe im kantonalen Richtplan (obligatorisch für alle Gemeinden)
-
Umfasst gesamtes Gemeindegebiet und definiert unter anderem die Baugebiete
-
Massstab 1:25'000 oder 1:10'000, auf 20 Jahre ausgelegt
-
Für jene Teile des Gemeindegebiets, in denen intensive Bautätigkeiten erwartet werden,
also eine Detailplanung42 für das dichte Siedlungsgebiet; im Kanton nur für die städtischen Gebiete von Tuzla, Lukavac und Zivinice gefordert
-
Eines der zwei Hauptinstrumente der Gemeinde
-
Massstab 1:5'000 oder 1:2’500
-
In städtischen Gebieten sind zumeist aktuelle Pläne vorhanden, kaum aber in ländlichen
-
Eine Art Bebauungsplan mit sehr detaillierten und starren Vorschriften, unter anderem
zur Geschossigkeit sowie genauen Lage und Dimensionierung der Grundrisse innerhalb
einer Parzelle. Im Erscheinungsbild sehr vielgestaltig
-
Für alle Siedlungsgebiete ausser kleinen Streusiedlungen vorgesehen
-
Eines der zwei Hauptinstrumente der Gemeinde
-
Massstab 1:250 bis 1:1’000; auf 5 Jahre ausgelegt
-
Detailplanung auf Projektstufe, ähnlich gelagert wie der „regulacioni plan“
-
Massstab 1:200 oder 1:100
Bebauungsplan
Städtebauliches Projekt
Zonenpläne nach mitteleuropäischem Verständnis existier(t)en weder zu sozialistischen Zeiten noch heute. Es besteht eine „Lücke“ zwischen den relativ allgemeinen, wenig Informationen umfassenden kommunalen Richtplänen hin zu den sehr detaillierten und wenig Spielraum lassenden Bebauungsplänen.
39
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
4.2
Beiträge der Raumplanung zum Gewässerschutz
Gewässerschutz ist eng mit raumplanerischer Vorsorge verknüpft, wie das Beispiel der Entwicklung der schweizerischen Gewässerschutz- und Raumplanungsgesetzgebung zeigt. In der
Schweiz wird im geschichtlichen Rückblick bedauert, dass sich die eher dem rechtskonservativen Umfeld zugeordnete Raumplanung und der im links-grünen Umfeld entstandene Umweltschutz damals aus ideologischen Gründen zuwenig als Partner, sondern mehr als
Konkurrenten aufgefasst haben, obwohl eigentlich beide ähnliche Ziele verfolgen (KollSchretzenmayr 2008, S. 90).
Alleinige Bemühungen auf Gewässerschutzebene dürften im Fall des Modracsees unter anderem aufgrund des mangelnden Vollzugs von Umweltschutzbestimmungen und ungeordneter
oder den Gewässerschutzbestrebungen gar entgegenlaufender Entwicklungen in der Raumplanung und im Bauwesen nicht zum Erfolg führen.
Dabei scheinen durchaus Analogien zwischen BiH und der Schweiz vorhanden zu sein. Problematiken wie die vermehrte Abholzung oder Übernutzung der Wälder im Einzugsgebiet der
Flüsse und Seen, die Verschmutzung der Gewässer aufgrund eines Wirtschafts- und Siedlungswachstums ohne Grenzen oder ausgeprägte Zersiedlungserscheinungen sind in der
Schweizer Geschichte ebenfalls bekannt. Aber auch das Gerangel um die Kompetenzen auf
den verschiedenen Staatsebenen und die schwache Rolle des Gesamtstaates in raumplanerischen Fragen bei gleichzeitig hohem Autonomiegrad der anderen Staatsebenen kommt uns
vertraut vor. Und auch der Versuch, die Attraktivität der städtischen Zentren durch eine Entwicklung der ländlichen Regionen zu senken, ist seit Jahrzehnten in unterschiedlicher Ausprägung Ziel der schweizerischen Politik. Es scheint also legitim, Schweizer Lösungsmöglichkeiten auf ihre Übertragbarkeit auf die Verhältnisse in BiH zu untersuchen. Die Raumplanung könnte demnach beispielsweise folgende Beiträge zum Gewässerschutz leisten:
• Steuerung der Siedlungsentwicklung über eine konzentriere Ausscheidung der Baugebiete
• Reduktion der für den Gewässerschutz problematischen Zersiedlung (unter anderem
Erschliessungskosten- und Versiegelungsproblematik) über eine Konzentration neuer
Baugebiete im Bereich bestehender Siedlungen oder Ausscheidung in jenen Gebieten, die gut mit Kanalisation erschliessbar sind
• Vorgaben zur Abwasserklärung im Baugesetz (Anschlusspflicht an Kanalisation oder
dezentrale resp. objektbezogene Lösungen wie „septic tanks“ oder Kleinkläranlagen)
• Bau- und Nutzungsvorschriften für Wohnzonen und Tourismuszonen
40
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
• Schutz von wichtigen Landschafts- und Naturräumen (Wald, Ufergürtel, Feuchtgebiete, Flussräume, etc.) und Sicherung der Landwirtschaftsgebiete; dies verringert
Zersiedlung und Bodenversiegelung und erhält die Reinigungskraft der intakten
Ökosysteme
• Sicherung der Gewässerräume von Fliessgewässern über Fest- und Durchsetzung
von Gewässerabständen und Ausscheidung von Fliessgewässerparzellen, um diese in
ihrer Natürlichkeit zu erhalten oder eingedolte oder verbaute Gewässer zukünftig
einst renaturieren zu können
• Definition von Naturgefahren-Gebieten, wo nicht oder nur unter Auflagen gebaut
werden darf
• Sicherung der Zugänglichkeit der Seeufer über Festsetzung und Durchsetzung von
Gewässerabständen der Gebäude und Sicherung von Wegrechten entlang der Ufer;
Konzentration der Erholungsanlagen auf bestimmte Schwerpunktgebiete
• Ausscheidung von Freihaltegebieten in der Siedlung sowie von Wald- und Landwirtschaftsgebieten zur Sicherung der Grundwasseranreicherung
Beitrag des Gewässerschutzes zu einer nachhaltigeren Raumplanung
Interessanterweise ist nicht nur der angestrebte Beitrag der Raumplanung zum Gewässerschutz möglich, sondern auch das Gegenteil. Denn was die Raumplanung nicht erreicht hat,
nämlich griffige, verständliche Bestimmungen in einem neuen Raumplanungsgesetz, ist im
Bereich des Modracsees paradoxerweise quasi durch die Hintertür über ein „fremdes“ Ministerium geschaffen worden: Das 2006 erlassene Gesetz zum Schutz des Modracsees enthält
sehr weitgehende und restriktive Schutzbestimmungen, die bei einer 1:1-Auslegung kaum
umsetzbar erscheinen, aber bei geschickter Interpretation eine gute Handhabe auch für raumplanerische Massnahmen bieten.
In Artikel 7 verbietet es an den Ufern des Modracsees den Aufbau von touristischen und Naherholungsinfrastrukturen, Objekten mit wirtschaftlicher Zielsetzung sowie den Bau von
(Zweit-)Wohnungsbauten. In Artikel 8 werden gewisse Ausnahmemöglichkeiten von diesem
Grundsatz erwähnt. In Artikel 10 ergreift es auch im Einzugsbereich der Zubringerflüsse
Massnahmen, so z.B. verschärft es die Bewilligungspraxis für die Erstellung von Industrieund Gewerbebetrieben, erlässt ein Düngeverbot innerhalb eines 50 m breiten Pufferstreifens
und verbietet die Einleitung von Abwässern.
Das Gesetz stammt aus der Feder des kantonalen Ministeriums für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft. Somit ergeben sich bei den raumplanerischen Bestimmungen Zuständigkeits-,
Kompetenz- und Abgrenzungsfragen. Zumal gewisse Absichten des kantonalen Richtplans in
41
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Widerspruch zur Stossrichtung des Gesetzes zum Schutz des Modracsees stehen. Dies könnte
im Vollzug Schwierigkeiten bringen. Nach wie vor fehlen auch die in Artikel 12 vorgesehenen Ausführungsbestimmungen zum Gesetz, wodurch es bisher nicht anwendbar ist. Es bestehen Absichten, dass die AGSM diese Lücke ausfüllen könnte.
4.3
Aktuelle Entwicklungen in der kantonalen Raumplanung und
im Bauwesen
Gesetzgebung
Momentan laufen Bestrebungen, widerrechtliche oder ohne Bewilligung erstellte Bauten zu
legalisieren, die zumeist während oder nach dem Krieg entstanden. Vor kurzem wurde die
angestrebte Vereinigung von kantonalem Baugesetz und Raumplanungsgesetz in ein neues
Bau- und Raumplanungsgesetz vom Parlament abgelehnt. Interessanterweise war bei der
Ausarbeitung des gescheiterten neuen Bau- und Raumplanungsgesetzes auch die zusätzliche
Einführung eines zonenplan-ähnlichen und damit flexibleren Raumplanungsinstruments nach
mitteleuropäischem Vorbild vorgesehen.
Planungsablauf
Aufgrund der weitherum veralteten oder auch fehlenden übergeordneten Planungsgrundlagen
werden Baubewilligungen im Fall von Baubegehren häufig von gemeindlichen Baukommissionen vergeben43, die nach bestem Wissen und Gewissen das Baubegehren beurteilen. Dies
dürfte dem von Ajanovic, Fetahagic, Jamakovic & Pleho (2008, S. 47) erwähnten, in der Praxis verbreiteten Abkürzungsprozedere des ordentlichen Planungsverfahrens entsprechen.
Viele Bauwilligen scheinen es nach wie vor zu bevorzugen, ihre Bauten ohne formelle Baubewilligung zu erstellen und nehmen allfällige Strafen in Kauf, die zum einen niedrig angesetzt sind und zum anderen aufgrund der mangelnden Kontrolle häufig gar nicht ausgesprochen werden44.
43
Gemäss Aussagen von Interviewpartnern in Lukavac (Interview Ostern 2009).
44
Gemäss Angaben diverser Interviewpartner (Interviews Ostern 2009).
42
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
5
5.1
Zwischenfazit
Transitionsphase und Wirtschaftslogik
Nach dem Willen der internationalen Gemeinschaft sollte BiH „nebst“ der Bewältigung der
Kriegsfolgen in kürzester Zeit fundamentale Systemänderungen vollbringen, so den Wechsel
von der Plan- zur Marktwirtschaft, den Übergang zu einer Mehrparteien-Demokratie oder den
Aufbau neuer Wertsysteme. Das Land befindet sich inmitten dieses Aufbau- und Transformationsprozesses. Immer mehr zeigt sich aber, dass das Konstrukt, das im Dayton-Vertrag begründet wurde, etliche ungewollte Erscheinungen zur Folge hat. So wird dem Gesamtstaat
aufgrund der fehlenden Kompetenzen eine geringe Durchsetzungskraft zugeschrieben. Durch
die geschaffenen Territorialstrukturen und den auf Status- und Machterhalt ausgerichteten
Verwaltungsapparat werden das Entstehen eines gemeinsamen Wirtschaftsraums, entitätsübergreifende Planungen z.B. von Verkehrsinfrastrukturen, die Entstehung eines gemeinsamen Staatsverständnisses oder sinnvolle Aufwärtsverlagerungen von Kompetenzen verhindert
oder erschwert. So herrscht heute nicht nur ein grosses Misstrauen zwischen den beiden Entitäten und den Ethnien, sondern es ist auch ein grosses Misstrauen und Zurückhaltung der Privatpersonen gegenüber allen Ebenen der Politik und Verwaltung erkennbar.
Die Existenz des Hohen Repräsentanten und des OHR, die den Prozess des Staatsaufbaus begleiten und unterstützen sollen, hat unter anderem zur Folge, dass die Parteien und Entitäten
Extrempositionen vertreten und auf den „internationalen Schiedsspruch“ warten, ohne sich
selbst um einen tragfähigen Kompromiss zu bemühen. Die durchaus legitimen und nachvollziehbaren Absichten des OHR, wieder vermehrt Kompetenzen auf die Ebene des Gesamtstaats zurückzuverlagern, verhelfen zudem nicht zu der für den Staatsaufbau notwendigen
Ruhe, Sicherheit und Stabilität.
Die Wirtschaft von BiH hinkt nach wie vor, zeigt grosse Abhängigkeiten vom Ausland und
eine schwache Eigeninitiative auf Unternehmerstufe. Trotz günstiger Bedingungen für ausländische Investoren (stabile Währung, niedrige Inflationsrate, Steuerbefreiung vieler Produkte in der EU, etc.) scheuen diese Investitionen ins Land, vermutlich aufgrund von Rechtsunsicherheiten und der innerbosnischen Grenzen und Rivalitäten.
Gleichzeitig scheint der Staat den Unternehmen ungeachtet der Nebenwirkungen eine gewisse
„Narrenfreiheit“ zu gewähren, vermutlich in der Hoffnung, schnelle Fortschritte in der Wirtschaftsentwicklung und im Beschäftigungsgrad zu erzielen. Umweltschutz wird dabei aus betrieblicher Sicht als kostentreibender Faktor ohne erkennbaren Nutzen wahrgenommen. So-
43
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
lange parallel kein erkennbarer betriebs- oder volkswirtschaftlicher Nutzen entsteht oder von
den Verantwortlichen nicht erkannt wird, steht der Vollzug der Umweltschutzbestimmungen
natürlich unter einem schlechten Stern.
5.2
Divergenz zwischen Planung und Praxis
In den raumplanerischen Gesetzen und Instrumenten ist eine Mischung und Überlagerung von
sozialistischen und mitteleuropäischen Elementen und Philosophien erkennbar. Wohl wurden
gewisse Elemente der mitteleuropäischen Raumplanung übernommen, das Verständnis für die
Inhalte ist damit aber auch unter vielen Experten nicht automatisch gegeben (so z.B. bezüglich der Zersiedlungsproblematik). Nach Einschätzung der Autoren von Ajanovic, Fetahagic,
Jamakovic & Pleho (2008, S. 47) befindet sich die Planungssystematik von BiH in einer
Transitionsphase; es wird sich in der nächsten Zeit in der Praxis weisen, wie sich die Planungssystematik einspielt und welche der Instrumente sich bewähren und durchsetzen; und es
wird auch eine Klärung der Zuständigkeiten geben müssen.
Es sind klare Divergenzen zwischen der Planung und den in der Realität erkennbaren Entwicklungen feststellbar. Dies mag verschiedene Ursachen haben:
• Das Raumplanungssystem in BiH ist sehr kompliziert aufgebaut, sehr detailliert und
nur für Experten verständlich. 4 Planungsebenen mit 8 verschiedenen Instrumenten,
davon 4 auf Gemeindeebene, tragen nicht eben zur Transparenz und Verständlichkeit
bei. Die Komplexität äussert sich auch in der Anzahl Verfahrens- und Bewilligungsschritte und der Langsamkeit des Planungsprozesses.
• Die Planungsinstrumente sind sehr starr aufgebaut und kollidieren mit der heute von
der Wirtschaft geforderten Flexibilität. Viele Pläne sind nicht ausgearbeitet oder aber
völlig veraltet.
• Planung wird nach wie vor zumeist als hoheitlicher Verwaltungsakt verstanden, in
den die lokal Betroffenen nicht oder nur ungenügend einbezogen werden. Selbstredend ist dies für die Akzeptanz der Planung und die Umsetzung eine schlechte Voraussetzung.
• Auf individueller Ebene spielen Unverständnis für die Probleme oder Eigennutz eine
grosse Rolle. Bei gleichzeitig mangelnder Kontrolle der Normen durch die Kontrollinstanzen öffnet dies dem Wildwuchs Tür und Tor.
Zurzeit ist aufgrund der Komplexität, Trägheit und Unvollständigkeit des Planungssystems
eher ein Umgehen des Systems über Abkürzungen feststellbar (Ajanovic, Fetahagic, Jamakovic & Pleho 2008, S. 47).
44
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Im Falle des Modracsees kommt auf kommunaler Ebene erschwerend hinzu, dass die drei
Kernstädte Tuzla, Zivinice und Lukavac, welche sich den Seeanstoss teilen, nicht unmittelbar
am See gelegen sind. Der See liegt quasi im ländlich geprägten „Niemandsland“ zwischen
den drei Städten. Die Ortsgemeinden am See sind mit wenigen 1000 Einwohnern einwohnermässig relativ unbedeutend. Mit Ausnahme der Gemeinde Lukavac, deren seeanstossende
Ortsgemeinde Prokosovici bedeutende Tourismus-Einrichtungen aufweist, sind die Planungsund Städtebauverantwortlichen der beiden anderen Kernstädte indifferent resp. uninteressiert
an der räumlichen Entwicklung des Sees und der lokalen Ortsgemeinden. Demgegenüber
steht die Initiative der Lokalbevölkerung und der lokalen Ortsgemeinden am See, die aber
kaum politische und rechtliche Kompetenzen haben.
5.3
Folgen für diese Arbeit
Der ursprüngliche Ansatz einer überwiegend planungssystematisch ausgerichteten Arbeit
wird fallengelassen, da unter den oben beschriebenen Faktoren das Ziel einer praxisnahen,
umsetzbaren Lösung nicht erfüllt werden könnte. Folgende Aspekte scheinen für eine neue
Ausrichtung der Aufgabenstellung zentral:
• Vertrauen in die Planung durch alle Betroffenen ist ein zentraler Schlüssel zum Erfolg – in einer durch Misstrauen geprägten Gesellschaft eine grosse Herausforderung
und ein langwieriges Unterfangen. Nur so lässt sich allerdings die Basis für eine Akzeptanz der Planungsresultate legen und gleichzeitig auch ein Umsetzungsdruck und
eine soziale Kontrolle vor Ort erzeugen. Vertrauensbildend könnten ein ehrlicher,
frühzeitiger und aktiver Einbezug der Betroffenen in die Planung und eine schnelle
und erkennbare Umsetzung der Planungsresultate sein.
• Das Verfolgen der formellen, langwierigen und für Laien unverständlichen Planungswege scheint in diesem Kontext weder Voraussetzung noch dienlich zu sein.
Unkonventionelle Ansätze wie z.B. der Einbezug der informellen AGSM dürften unter der Bedingung der Transparenz und Information zielführender sein.
• Um die Akzeptanz von Planungen und Massnahmen zu erhöhen, ist ein erkennbarer
wirtschaftlicher Nutzen notwendig. Die Durchsetzung einschränkender Massnahmen
muss im Gegenzug einer möglichst breiten Akteurbasis ermöglichen, durch die Inwertsetzung bisher brachliegender Potentiale einen ökonomischen Nutzen aus dem
Modracsee zu ziehen. Allfällige Einbussen auf der einen Seite müssen dabei durch
Einnahmen auf der anderen Seite zumindest kompensiert werden.
• Der Einbezug von lokalen Initiativen und bottom-up entwickelten Ideen und Potentialen muss ein vorrangiges Ziel sein.
45
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Folgende Annahmen liegen daher der Neuausrichtung der Arbeit zu Grunde (vgl. Kap. 6):
1) Um den Gewässerschutzanliegen zum Erfolg zu verhelfen, ist zum einen eine erhöhte,
möglichst auf lokaler Ebene anfallende wirtschaftliche Wertschöpfung unter- oder ungenutzter Ressourcen und Potentiale (wie z.B. Natur und Landschaft) von grosser Bedeutung. So lassen sich Mehraufwendungen und Nutzungsrestriktionen infolge von
Gewässerschutzmassnahmen rechtfertigen und leichter durchsetzen. Zum anderen ist
der bisher weitgehend fehlende Einbezug der Zivilgesellschaft und der lokalen Ortsgemeinden in die Entwicklung von Gewässerschutz- und Raumplanungen notwendig.
Die Masterarbeit von Ruedi Stauffer (2009) befasst sich eingehender mit letzterem
Aspekt und schlägt einen auf Kooperationsnetzwerken basierenden Ansatz vor.
2) Um diese Wertschöpfungssteigerung auf lokaler Ebene zu erreichen und gleichzeitig
möglichst vielen Akteuren die Möglichkeit zu bieten, von dieser Entwicklung zu profitieren, bieten sich Regionalentwicklungsmodelle an, welche die vorhandenen Potentiale auf nachhaltige Weise nutzen. Die Kombination von Tourismus und Naherholung
mit der Erzeugung von regionalen Handwerks-, Gewerbe- und kulinarischen Produkten aus Fischerei, Forst- und Landwirtschaft scheint ein geeigneter Ansatz, um Impulse für eine nachhaltige Entwicklung des Modracsees zu setzen. Eine solche Regionalentwicklung ist mit den angestrebten Gewässerschutzzielen kompatibel. Um einer
nachhaltigen Regionalentwicklung zum Erfolg zu verhelfen, sind auf raumplanerischer
Ebene wichtige Voraussetzungen zu schaffen.
46
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
6
Neue Aufgabenstellung
Die Annahmen von Kap. 5.3 leiten zu einer neuen Aufgabenstellung über. Mithilfe einer szenarienartigen Gegenüberstellung von zwei möglichen, kontrastierenden Zukünften der Regionalentwicklung, die einen Zeithorizont bis 2025 beleuchten, soll eine Dialog- und Diskussionsgrundlage für alle an der Entwicklung des Modracsees interessierten Akteure und Organisationen geschaffen werden:
• Im Trend-Szenario „Stadtlandschaft - Weiterentwicklung bewährter Konzepte“ wird
der während der jugoslawischen Zeit eingeschlagene Entwicklungspfad in einer der
heutigen Zeit angepassten Weise weiterentwickelt. Leitschnur ist dabei der liberale,
auf Wachstum ausgelegte kantonale Richtplan und die darin vorgesehenen Massnahmen im Bereich Modracsee. Einbezogen werden auch raumplanerische Trends
und Wunschlinien, wie sie heute im Feld erkennbar sind.
• Das Alternativ-Szenario „Wasserland – Inwertsetzung brachliegender Potentiale“ beschreibt einen Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen Regionalentwicklung,
die um den See weniger auf starkes Wachstum, sondern mehr auf die Inwertsetzung
der regionalen Potentiale und lokalen Initiativen ausgelegt ist. Diese mündet in eine
gesteigerte Wertschöpfung, die vielen Akteuren zugute kommt. Standbeine sind Tourismus, Forst- und Landwirtschaft, Fischerei und das lokale Gewerbe.
Die Szenarien sollen
• ausgewählte Wirkungszusammenhänge aufzeigen und zur politischen Prioritätensetzung beitragen,
• möglichst auch für Nicht-Fachleute verständlich sein,
• den Dialog unter den Akteuren und Organisationen über die Zukunft des Modracsees
initiieren (wie z.B. die AGSM, lokalen Vereine und Organisationen, Ortsgemeinden
oder Lokalbevölkerung) und zur Koalitionsbildung anregen (Netzwerkbildung).
Die Szenarien enthalten jeweils eine Vision und ein räumliches Entwicklungskonzept, das aus
Karte und Text besteht.
Vorgehen und Methodik
In Ergänzung zu Teil I (Kap. 2 bis 5) wurden weitere Einschätzungen und Erkenntnisse lokaler Akteure mitberücksichtigt. Die dazugehörigen Daten stammen zum einen von einer durch
Ruedi Stauffer bei lokalen Vereinen und Organisationen per Internet durchgeführten Umfra-
47
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
ge, unter anderem zu Potentialen und Stärken des Modracsees (Stauffer 2009). Diese Umfrage
wurde vom Autor mitbenutzt, um gezielt ergänzende Angaben zum Tourismus zu erheben.
Die Vertiefung der Analysen erfolgt in Kap. 7 (Konflikte und Potentiale sowie Tourismus).
Bei der Szenariotechnik geht es im Unterschied zu Prognosen, die eine hohe Wahrscheinlichkeit und Eintreffensgenauigkeit anstreben, vor allem um die Beschreibung von Schlüsselfaktoren und Wirkungszusammenhängen (Bock und Libbe 2005, S. 85). Szenarien sind fiktionale, dabei aber plausible Beschreibungen von verschiedenartigen Zukünften. Die Theorie und
Ansätze zur Szenariotechnik sind vielfältig. In dieser Arbeit wird ein angewandter, strukturierter, aber nicht wissenschaftlicher Ansatz verwendet. Der Grund ist zum einen die beschränkten, zumeist nur in qualitativer (und nicht quantitativer) Form zur Verfügung stehenden Eingangsdaten, zum anderen aber vor allem die Zielsetzung, einen Dialog unter den Akteuren über die Zukunft des Modracsees und eine regionale Zusammenarbeit zu initiieren
(Perlik, Wissen, Schuler et al. 2008, S. 26). Bei einem niedrigen Organisationsgrad unter den
Akteuren ist die „commitment-Szenarioplanung“, die mit erfahrungsgestützten KontrastSzenarien arbeitet (Trend vs. Alternativen; Neumann 2005, S. 18) gut geeignet. Da mit dem
kantonalen Richtplan schon ein Trend-Szenario vorhanden ist, bietet sich die Erarbeitung eines alternativen, konträren Szenarios an.
Als Strukturierungstechnik wird in Kap. 8 mit Szenarienachsen gearbeitet, welche mit ihren
gegensätzlichen Merkmalen die relevantesten Zukunftsprobleme abbilden. Diese entsprechen
Zukunftsproblemen mit der grössten Unsicherheit oder den bedeutendsten räumlichen Auswirkungen (Perlik, Wissen, Schuler et al. 2008, Anhang I). Damit wird das Grundgerüst für
die Ausarbeitung der Szenarien aufgespannt. Im vorliegenden Fall werden zwar zwei Merkmalskategorien verwendet, diese aus Zeit- und Komplexitätsgründen aber nicht zur Aufspannung einer Vierfelder-Matrix verwendet, sondern auf einer Achse abgetragen (vgl. Kap. 8.1).
Aufbauend auf den Analysen von Teil I und abgestützt auf Bosshard, Frick und Kühne (2008,
S. 19) werden anschliessend Schlüsselfaktoren identifiziert und ausgewählt. Diese sind in den
Bereichen Siedlung, Verkehr, Landschaft und Erholung, Gesellschaft, Wirtschaft, Umwelt
sowie Ver- und Entsorgung angesiedelt. Zuerst wird deren Ausgangzustand beschrieben. Im
Folgenden werden mit Hilfe dieser Schlüsselfaktoren die Zukunftsbilder entworfen. Als Abschluss werden die entworfenen Szenarien auf ihre Stolpersteine und Risiken untersucht.
Bei einer auf Kommunikation ausgerichteten Szenariotechnik wäre natürlich der Einbezug der
Adressaten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt besonders wichtig (Perlik, Wissen, Schuler
et al. 2008, Anhang I). Aufgrund der zeitlichen Dimension dieser Arbeit, der Distanz und der
Sprachschwierigkeiten musste darauf jedoch verzichtet werden. In einem nächsten Schritt
(ausserhalb der Masterarbeit) sollten die entworfenen Szenarien dann mit den Akteuren diskutiert und weiterentwickelt werden.
48
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
7
7.1
Konflikt- und Potentialanalyse
Konfliktmatrix
Konflikte entstehen durch Rivalitäten unter den Landnutzungen, sei es durch direkte Flächenkonkurrenz, durch anders gelagerte Zielsetzungen oder störende Immissionen. Viele Nutzungen sind miteinander kompatibel. In diesem Fall sind multifunktionale Landnutzungen möglich. Bei einer monofunktionalen Landnutzung wird viel mehr Fläche benötigt, um alle Nutzungsansprüche zu befriedigen. Nutzungen wie z.B. der Abbau von Rohstoffen im Tagbau,
die auf grossen Flächen andere Nutzungen ausschliessen, gehören dazu.
In der Konfliktmatrix (vgl. Tabelle 5, S. 51) sind die prägendsten Nutzungen in der Region
aufgeführt. In der linken Spalte stehen die Akteure, in der oberen Spalte die Empfänger; jede
Nutzung kann sowohl Empfänger wie Auslöser („Akteur) von Konflikten sein. Konflikte, die
im Falle einer Durchsetzung des Akteurs für den Empfänger bedeutende Einschränkungen
nach sich ziehen, sind gelb eingefärbt. Konflikte, die für den Empfänger existenzbedrohend
wirken können, falls sich der Akteur mit seinem Anliegen durchsetzen kann, sind orange eingefärbt. Sich ausschliessende Nutzungen sind schliesslich rot eingefärbt. Die Einträge im
Schnittbereich derselben Nutzung entsprechen kritischen Entwicklungen, die ohne das Dazutun einer der anderen Nutzungen entstehen.
Beispiel: Der Tourismus als Akteur kann gegenüber dem Gewässer- und Naturschutz infolge
seines Bedürfnisses nach Gewässernutzungen Konflikte auslösen. Er scheint im Fall des
Modracsees aufgrund des starken Gewässerschutzgesetzes und der gewichtigen Ansprüche an
die Gewässerqualität aber wenig durchschlagungskräftig und bedrohlich für den Gewässerschutz zu sein. Umgekehrt ist der Tourismus „Empfänger“ der im Gesetz zum Schutz des
Modracsees geäusserten Nutzungseinschränkungen wie z.B. dem Verbot von Motorbooten.
Kritisch für den Tourismus am Modracsee ist die Konkurrenz durch Billigferien im benachbarten Ausland und auch das negative Image des Sees.
49
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee ________________________________________ 03.08.2009
Abbildung 18 Ausgewählte Konfliktbereiche zwischen Nutzungen am Modracsee
1-3: Für Tourismus, Ökosystem, Image und Energienutzung problematische
Niedrigwasserstände in den Jahren 2003 und 2008, als Folge einer
Kombination von Dürre und anhaltender Wassernutzung. 4: Einzelbauten im
Landwirtschaftsland. 5: Riesige Kraterlandschaft im Bereich des Kohletagbaus
in Zivinice. 6: Wilde Abfalldeponie im Bereich der Strasse, nahe am See.
1
2
3
4
5
6
Quelle: Bilder 1 – 3 Sabina Jukan (UEZ)
50
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee_______________________________________________________________________________________ 03.08.2009
Tabelle 5
Empfänger
Akteur
Konflikte zwischen den verschiedenen Nutzungen am Modracsee
Gewässer- & Naturschutz
Landwirtschaft
Abbau (Kohle, Erden)
Wohnen
Tourismus
Verhinderung ZerAuflagen für Betrieb Verhinderung schädsiedlung
(> Gefährdung Ren- licher Nutzungen
keine
Auflagen objektspez. tabilität)
(z.B. Motorboote)
Abwasserklärung
Intensivierung (>
Widerstand gegen
Intensivierung der
Rentabilität KleinStrukturarmut)
Zersiedlung / Über- Widerstand gegen
Bewirtschaftung (>
bauerntum unter ImLandwirtschaft
bauung des Landwirt- Tagbauvorhaben
Düngung, Erosion,
See-Eutrophierung (>
port-Konkurrenz
schaftslandes
Strukturarmut)
Algenproblem)
Nutzung & Verbau- Konsum von LandVerhinderung SeezuBodenpreissteigerun- Verhinderung von
ung der Seeufer,
wirtschaftsland für
gang / lärmige Nutgen durch hohe Nach- immissionsträchtigen zungen
Wohnen „im Grünen“ Wohnungsbau
Wohnen
frage (Begünstigung Nutzungen im
Möglichst günstige
Bodenpreissteigerun- Luxussegment)
Möglichst günstige
Wohnumfeld
Abwasserentsorgung gen
Abwasserentsorgung
Wertminderung
Billige Entsorgung
Zugänglichkeit, ÄsWohneigentum (ImFortführung und
thetik / LandschaftsAbbau (Kohle, von Abfällen und
Ausbau Kohlenutmissionen, Ästhetik, keine
Erden)
Produktionsrückstän„Konsum“, Gewäszung im Tagbau
Zugänglichkeit, Geden via Gewässer
serqualität, Lärm
wässerqualität)
Gewährung Seeufer- Widerstand gegen
Konkurrenz durch
Uneingeschränkte
Fortführung des ex- zugang
Billigferien im AusTagbauvorhaben in
Gewässernutzung für
tensiven, idyllischen
Tourismus
Tourismus, NaherhoSeenutzung (Ruhe- / allen touristisch ge- land
Kleinbauerntums
nutzten Gebieten
lung und Sport
Negatives Image See
Idylle-Störung)
Uneingeschränkte
GewässernutNutzungssteigerung Düngeeinschränkun- Nutzung
zung (Trink- &
Uneingeschränkte
(Ausbau Kraftwerk, gen (wegen Nitratkeine
Brauchwasser,
Nutzung
Anschlusspflicht
an
Ausbau Industrien)
rückständen)
Energie)
Kanalisation
Gewässer- &
Naturschutz
Düngeverbot
Auflagen bei Intensivierung und Bewässerung
51
Gewässernutzung
(Trink- & Brauchwasser, Energie)
Nutzungs-Einschränkungen (zugunsten
Ökosystem und Gewässerqualität)
keine
Stabilisierung Seepegel (> Nutzungseinschränkung)
Möglichst günstige
Abwasserentsorgung
Möglichst billige
Entsorgung Produktionsrückstände (>Verlandung > Verringerung Seevolumen)
Stabilisierung Seepegel (> Nutzungseinschränkung)
Rivalität um Wasser
bei Niedrigwasserstand
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Interpretation
• Der Gewässerschutz scheint mit Hilfe des Gesetzes zum Schutz des Modracsees genügend potent, um gegenüber anderen Nutzungen einschränkend aufzutreten; gleichzeitig bereitet ihm eine Menge anderer Nutzungen Probleme.
• Die Landwirtschaft scheint nicht genügend stark, um andere Nutzungen wesentlich
zu beeinträchtigen. Sie selbst ist durch Bautätigkeit und Abbauvorhaben bedroht.
• Das Wohnen kann diverse andere Nutzungen konkurrenzieren, wird selbst durch andere Nutzung eingeschränkt, jedoch nicht ernsthaft bedroht.
• Die Abbautätigkeit hat direkt (sofern in der Nähe des Sees erfolgend, was aber nicht
der Fall sein dürfte) oder indirekt die stärksten negativen Auswirkungen auf andere
Nutzungen. Vor allem mit dem Umweltschutz bestehen bedrohliche Konflikte.
• Tourismus ist höchstens bei intensiven Tourismus- und Wassersportformen konfliktär, ist selbst aber in hohem Masse von anderen Nutzungen bedroht.
• Eine übermässige Gewässernutzung kann den an einem stabilen Seespiegel interessierten Nutzungen (Wohnen, Tourismus) Probleme bereiten. Die verschiedenen Nutzungen können sich in Zeiten von Wasserknappheit rivalisieren. Auch die fortschreitende Verlandung ist längerfristig heikel.
7.2
Interessenskongruenz
Es gibt nicht nur Konflikte zwischen Nutzungen, sondern es können auch gemeinsame Interessen zwischen Nutzungen auftreten, die sich gegenseitig unterstützen können.
Tabelle 6
Nutzungen und ihre gemeinsamen Interessen
Nutzungen
Gemeinsames Interesse
Natur- und Gewässerschutz, Wohnen und
Tourismus
gute Wasserqualität
Natur- und Gewässerschutz
unverbaute Seeufer
Natur- und Gewässerschutz, Landwirtschaft und Raumplanung
nachhaltige Nutzung der Seeregion, unter anderem Eindämmung der Zersiedlung
Landwirtschaft, Wohnen und Tourismus
Fortführung einer (idyllische Bilder erzeugenden)
landwirtschaftlichen Bewirtschaftung
Gewässerschutz, Gewässernutzung, Tourismus und Wohnen
Verhinderung der Verlandung
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee_______________________________________________________________________________________ 03.08.2009
7.3
Potentiale und Ressourcen
Da im Gesetz zum Schutz des Modracsees und in weiteren Dokumenten die Ressourcen des Modracsees priorisiert und ausführlich beschrieben und auch in dieser Arbeit schon verschiedentlich erwähnt sind, werden sie in Tabelle 7 nur kurz kommentiert. Es werden zusätzliche Potentiale beschrieben, die in den Umfragen erwähnt wurden oder durch Ortsbegehungen und Recherchen zu Tage traten. Dabei wird
im Gegensatz zum Gesetz zum Schutz des Modracsees nicht nur das Gewässer selbst, sondern auch das weitere Umland mit einbezogen. In
Tabelle 7 werden basierend auf Kap. 7.1 und 7.2 die Potentiale und Ressourcen bewertet. Zudem wird allfälliger Handlungsbedarf in den
einzelnen Bereichen aufgezeigt. Der Bereich Tourismus / Naherholung wird dabei in Kap. 7.4 ausführlicher thematisiert.
Tabelle 7
Ressourcen und Potentiale der Region Modracsee, Priorität gemäss Gesetz, ihre Bewertung sowie Handlungsbedarf
Potential / Ressource Priorität45 Bewertung & Handlungsbedarf
Trinkwasser
1
Schlüsselressource, da grosse Bevölkerungsteile mit Trinkwasser versorgend; wegen der schlechten Wasserqualität aufwändige Aufbereitung notwendig.
Weiterführung der Nutzung, jedoch grösstmögliche Rücksichtnahme auf die Konstanz des Wasserspiegels.
Ev. Verringerung der Bezugsmenge notwendig.
Ergänzende Alternativlösungen wie Grund-, Mineral- oder Quellwassernutzung untersuchen (Kiseljak).
Brauchwasser
2
Früher von grosser Bedeutung. Zukünftiger Bedarf abhängig von weiterer Industrie-Entwicklung und Alternativlösungen.
Ergänzende Nutzung weiterhin möglich, solange zu keinen grossen Wasserspiegelschwankungen führend.
Brauchwassermanagement und Überprüfung der Kontingentierungen unter Forcierung der Projektideen
der Industrie zu Wasserrecycling und alternativer Wasserquellen (z.B. Jala).
45
Gemäss Gesetz zum Schutz des Modracsees.
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Potential / Ressource
Priorität
Bewertung & Handlungsbedarf
Hochwasserschutz
im Unterlauf
3
Fortführung in bisheriger Form.
Tourismus & Naherholung
4
Vergrösserung des Seevolumens durch eigenwirtschaftliche Nutzung der Sedimenteinträge prüfen.
Eine der grössten momentan unternutzten Ressourcen, vor allem wegen mangelnder Wasserqualität und
attraktiver Alternativ-Angebote im Ausland.
Genauere Analyse siehe Kap. 7.4
Sicherung Restwassermenge Unterlauf
5
Fortführung in bisheriger Form.
Energieproduktion
(Elektrizität)
6
An Staustufe kleineres Kraftwerk mit 3 Megawatt. Ausbau der Wasserkraftnutzung im ganzen Kanton
vorgesehen gemäss kantonalem Richtplan.
Wasserkraftnutzung weiterhin möglich, solange zu keinen grösseren Wasserspiegelschwankungen führend.
Ergänzend auch Nutzung von thermischer Energie (Thermalquelle Zivinice, ev. Erdwärme / Geothermie)
und Solarenergie im Gebäudebereich prüfen.
Landschaft
n.e.
Hohe landschaftliche Qualität des Modracsees und der angrenzenden, durch Landwirtschaft, Wald, Relief
und Gewässer reich strukturierten Gebiete.
Verstärkte Inwertsetzung für Tourismus & Naherholung sowie Wohnen möglich.
Durch Zersiedlung sowie Aufgabe oder Intensivierung/ Rationalisierung der Landwirtschaftsnutzung bedroht. Erhalt des attraktiven Landschaftsbildes und Verzicht auf Intensivierung müsste den Landwirten ev.
entgolten werden.
Wohnen
n.e.
Idyllische, zumeist dünn besiedelte und unternutzte Wohnlagen vorhanden, sowohl solche mit grossartigem Panorama an den Hanglagen wie auch solche mit direktem Seebezug. Qualitäten der Wohnlagen:
Aussicht, hoher Grünanteil, ländliches Leben, Ruhe, relative Unerschlossenheit, Seenutzung.
Verdichtete Nutzung bei gleichzeitigem Erhalt der Landschaftsqualitäten prüfen.
54
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee_______________________________________________________________________________________ 03.08.2009
Potential / Ressource
Priorität
Gesundheit & Wellness
n.e.
Bewertung & Handlungsbedarf
Thermalquellen Zivinice (die notabene heute zur Trinkwassergewinnung genutzt werden), Mineralquellen
Kiseljak sowie Ruhe und Abgeschiedenheit als ideale Voraussetzungen für den Aufbau von Gesundheitsnutzungen. Verbesserungen bei Gewässerqualität notwendig. Nähe zur Industrie als kritische Faktoren
(Luftqualität, Landschaftsbild).
Eher ergänzende Nutzung, in Zusammenhang mit Tourismus und Naherholung.
Naturräume
(Feuchtgebiete und
natürliche Seeufer)
n.e.
Verkehrsinfrastrukturen
n.e.
Hoher ökologischer Wert vor allem der ausgedehnten Feuchtgebiete und natürlichen Uferbereiche, sowohl
für Pflanzen- und Tierwelt wie auch natürliche Reinigungsprozesse des See- und Flusswassers.
Qualitäten in ihrer heutigen Form erhalten und stärker in Wert setzen, z.B. durch Natur-Exkursionen.
Starke Fixierung auf MIV, Unternutzung des ÖV.
Verschiedene alte Verkehrsinfrastrukturen mit Umnutzungs- / Reaktivierungspotential vorhanden, so z.B.
alte Eisenbahnlinien im Nordosten und Osten des Sees oder heutige, Abbaumaterial transportierende Seilbahn (Potential für Umnutzung zu attraktiver Personenseilbahn für Sightseeing oder ÖV-Erschliessung;
vgl. Titelbild).
Intensivierung der bestehenden Verkehrsinfrastrukturen (Zuglinie Tuzla-Lukavac sowie Strasse LukavacProkosovici) für den ÖV möglich.
Wassertaxi vorhanden, aber keine Kursschiffe über den See (Potential für Shuttle Nord-Südufer Prokosovici-Police oder Shuttle Kiseljak-Prokosovici).
Ausbau der uferbegleitenden Langsamverkehrsinfrastruktur (Fuss- und Fahrradwege) vor allem am Süd-,
West- und Ostufer (Nordufer schon grösstenteils gut erschlossen) notwendig.
Jagd und Fischerei
n.e.
Momentan eher regionale Bedeutung sowie bei ausgewählten Kennern in ganz Europa.
Verstärkte Inwertsetzung von Jagd- und Fischereitourismus, Aufbau einer kommerziellen Fischerei und
fischverarbeitendes Gewerbe, auch für Export, prüfen (Fischräucherei; unter Annahme einer verbesserten
Wasserqualität und damit kulinarisch hochwertigeren Fischarten).
Kultur
n.e.
Einige kultur-historische Zeugen, so unter anderem alte Moscheen am Südufer. Kulturangebote in den
zwei Kulturhäusern sowie Kultur-Festival in Prokosovici ausbauen resp. reaktivieren.
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Potential / Ressource
Landwirtschaft
Priorität
n.e.
Bewertung & Handlungsbedarf
Bisher weitgehend kleinteilige, kleinbäuerliche Landwirtschaft. Hänge von mittlerer Produktivität,
Schwemmland von hoher Produktivität (sofern nutzbar). Durch Zersiedlung und Globalisierung bedroht.
Intensivierungs- oder Aufgabeerscheinungen bisher kaum ersichtlich, zukünftig aber wahrscheinlich.
Naturnahe, kleinteilige und regionale Produktion als Qualität zu vermarkten beginnen (ev. mit Label und
auch für Export).
Forstwirtschaft
n.e.
Multifunktionale Forstwirtschaft anstreben, welche Holznutzung mit Schutz vor Naturgefahren, Bereitstellung von Naherholungsraum und Lebensräumen für Pflanzen und Tiere kombiniert.
Abbau von Mineralien
n.e.
Heute vorwiegend oberirdischer Abbau und fehlende Rekultivierung. Nicht direkt im Seebereich, sondern
etwas versteckt in den südlichen Hügeln.
Monofunktionale Landschaftsnutzung, Zerstörung ganzer Landschaften.
Wettbewerbsfähigkeit des Abbaus unter Berücksichtigung obligatorischer Rekultivierungen prüfen.
Umstellung auf unterirdischen Abbau forcieren. Aus Bergbausicht (trotz Einsparungen bei Rekultivierung
und Verminderung der ökologischen Probleme) zwar vermutlich deutlich teurer, aus volkswirtschaftlicher
Sicht aber günstiger (Fortführung land- und forstwirtschaftlicher Nutzung oder Möglichkeit zur Ausscheidung von Wohngebieten, massiv geringerer landschaftlicher und ökologischer Minderwert).
Attraktionspotential des Bergbaus für den Tourismus nutzen (Besichtigungen, Museum, etc.).
Wirtschaftlichkeit und technische Möglichkeiten einer Nutzung von Fein-Sedimenten und Kies im Mündungsbereich der Flüsse in den Modracsee prüfen (Baggerung im Mündungsbereich).
Fazit
Nebst den im Gesetz erwähnten sind etliche weitere Potentiale und Ressourcen vorhanden, die sich bei der Schaffung der nötigen Rahmenbedingungen aktivieren lassen. Wie schon in Kap. 7.1 erwähnt, bestehen einige Nutzungskonflikte. Um möglichst viele Potentiale gleichzeitig in Wert setzen zu können, sind teilweise Kompromisslösungen oder Regelungen nötig (vgl. Szenarien in Kap. 8).
56
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
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Abbildung 19 Potentiale der Region Modracsee
1: Reich strukturierte Land(wirt)schaft. 2: Sumpf- / Flusslandschaft. 3: Wassersport. 4: Tourismusinfrastrukturen in Prokosovici. 5: Fischerhäuschen und
Personenschiff (Wassertaxi). 6: Moschee als kultur-historisches Zeugnis.
1
2
3
4
5
6
Quelle: Bilder 3 - 5 Sabina Jukan (UEZ)
57
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
7.4
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Tourismus und Naherholung
Die Nutzung des Modracsees und Umgebung als Tourismus- und Naherholungsgebiet stellt
insofern einen Spezialfall dar, als dass diese Nutzung vor gut zehn Jahren eine spektakuläre
Blütezeit (vgl. Abbildung 6, S. 20) und anschliessend wieder einen starken Abschwung erlebte. Aus Sicht des Autors stellen Tourismus und Naherholung ein grosses und unternutztes Potential dar; auch Fuster (2009) beschreibt das hohe Potential des Tourismus in BiH. Um die
Gründe für den Auf- wie auch Abschwung und das Potential des Modracsees genauer abschätzen zu können, wird dieser Bereich im Folgenden genauer beleuchtet.
7.4.1
Tourismus in BiH
BiH ist ausserhalb der ehemaligen jugoslawischen Republiken als Tourismusdestination weitgehend unbekannt. Zu Unrecht, bietet das Land mit seinen grossartigen Landschaften und
dem spannenden Kulturmix mit Einflüssen von Orient und Okzident doch vielerlei Attraktionen. Touristische Hauptattraktionen der Föderation BiH sind der Küstenort Neum an der Adria, die bekannten Skigebiete in der Umgebung von Sarajevo, die bis auf 2’400 m.ü.M. reichen und 1984 die Winterolympiade austrugen, die Stadt Mostar mit ihrer berühmten Brücke,
der Marienwallfahrtsort Medjugorie sowie die Gewässerlandschaften verschiedener Flüsse in
den Karstgebirgen mit ihren Canyons, Wasserfällen und unterirdischen Höhlen (vgl. auch
Abbildung 20).
Der Tourismus in der Föderation BiH erholt sich langsam von den Kriegsfolgen und weist
einen Aufwärtstrend auf. Anzahl Betten wie Anzahl Touristen sind seit 2006 um einen Fünftel, die Logiernächte um 12 % auf 750'000 gestiegen (Federal Office of Statistics 2009). Dies
sind im internationalen Vergleich, z.B. zu den 2,5 Millionen Logiernächten, die allein die
Stadt Zürich aufweist, bisher eher bescheidene Zahlen.
1/3 der Touristen kommt aus dem Inland, 2/3 aus dem Ausland. Kroatien, Slowenien,
Deutschland, Italien, USA und Österreich sind die wichtigsten Herkunftsländer. Viele Gastarbeiter aus dem Ausland verbringen ihre Sommerferien in ihrer Heimat (Müller 2009), werden
aber vermutlich statistisch nicht als Touristen erfasst. Mit durchschnittlich nur gut zwei Übernachtungen pro Tourist ist die Föderation BiH eine eher kurz besuchte Destination.
58
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
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Abbildung 20 Tourismusattraktionen und Naturlandschaften in BiH.
1: Sonnenpyramide bei Sarajevo. 2: Mäandrierender Bergbach im Winter.
3: Rafting auf der Rakitnica. 4: Mostar. 5: Neretva. 6: Gravice-Wasserfälle.
7: Gebirgslandschaft Bielasnjca. 8: Skigebiet Jahorina bei Sarajevo. 9: Bach im
Laubmischwald.
1
2
3
4
5
6
8
7
9
Quelle: diverse Internetseiten
7.4.2
Entwicklung am Modracsee
Der Aufschwung in den 1990-er Jahren
Der See dürfte schon bald nach seiner Entstehung eine Rolle für die Naherholung der Region
und den Tourismus gespielt haben. Gemäss übereinstimmenden Quellen fand in den Jahren
von 1994 bis 1998 ein starker Aufschwung im Tourismusbereich statt mit einer Kulmination
in den Jahren 1996 / 199746. Als Gründe für den Aufschwung werden das Ende des Kriegs,
46
Alle Zahlenangaben gemäss Recherchen von Sabina Jukan (UEZ) auf der Gemeinde und bei der Tourismusorganisation von Lukavac sowie einer in diesem Bereich tätigen NGO (Juli 2009).
59
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
die Grenzöffnung sowie höhere Einkommen genannt. Eine nicht unwesentliche Rolle dürften
aber auch die Visumspflicht für Angehörige von BiH und fehlendes Geld für teurere Ferien
gespielt haben. Die Mehrheit der Gäste scheinen Tagestouristen gewesen zu sein, die von
ganz Bosnien kamen. In der Blütezeit waren im Hochsommer täglich 5-6'000 Gäste in Prokosovici, die in bis zu 40 Bussen anreisten. Es wurden 3-3’500 Badeeintritte verkauft. Die Zahl
der Betten in dieser Zeit wird auf gegen 2'000 geschätzt, davon 200 in Hotels. In Prokosovici
wurden dabei von Privaten ca. 1000 Betten angeboten.
Abbildung 21 Tourismusinfrastrukturen in Prokosovici in der Blütezeit Mitte der 1990-er
Jahre (links die Fontäne, rechts eine Tribüne am See)
Quelle: www.lukavac.org
Damals wurden verschiedenste Wassersportarten und –infrastrukturen angeboten (Wasserscooter, Motorboot- und Wasserskifahren, Kajak, Kanu, Segeln, Tauchen). Es wurden Wettbewerbe im Kajak, Segeln und Fischen durchgeführt und auch Fahrräder vermietet. Eine 40 m
hohe, heute aus Kostengründen nicht mehr betriebene Fontäne war installiert. Auch das
Nachtleben war mit Restaurants, Diskotheken und Bars ausgeprägt. Zudem fand ein Festival
der traditionellen bosnischen Musik und Konzerte statt.
Neben Prokosovici entwickelte sich auch am Nordostufer in Kiseljak etwas Tourismusinfrastruktur, unter anderem ein Campingplatz und ein Gasthaus. Der Zugang zum Wasser scheint
dort aber weniger massentauglich zu sein, dafür sind die Verhältnisse für Fischer umso besser.
Auch am Südufer des Sees gibt es gewisse Tourismusinfrastrukturen, unter anderem ein Restaurant direkt am See, ein Fischrestaurant, ein Ökocamp in Serici mit Übernachtungsmöglichkeiten in Holzpavillons an einem Zufluss des Modracsees und eine WochenendhausSiedlung mit Zimmervermietung.
60
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
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Der Abschwung und heutiger Zustand
Die Gründe für den anschliessenden Abschwung dürften mehrschichtig sein. Die Hauptrolle
spielt sicherlich die massive Verschlechterung der Gewässerqualität (durch Abwässer von Industrie und Siedlung bei gleichzeitig steigendem Bedarf für Trink- und Brauchwasser). Heute
herrscht ein faktisches Badeverbot. Die sowohl ästhetisch wie auch für die Nutzbarkeit unbefriedigenden, starken Wasserspiegelschwankungen (wie z.B. im Dürrejahr 2003) sind negativ
fürs Image (aufgrund seiner Flachgründigkeit ist der Modracsee auf Schwankungen besonders
empfindlich). Aber auch der wirtschaftliche Aufschwung und Billigst-Ferienangebote z.B. in
die Türkei erlaubten vielen Einwohnern, im Ausland Ferien zu verbringen. Heute sind viele
Infrastrukturen unternutzt oder zerfallen teilweise sogar. Es sind auch halbfertige Bauwerke
vorhanden. Private Anbieter von Zimmern scheint es nur noch wenige zu geben.
Abbildung 22 Szenen am Modracsee im Jahre 2009.
1: Gasthaus in Kiseljak. 2: Campingplatz in Kiseljak. 3: Arena in Prokosovici.
4: Hotel in Prokosovici.
1
2
3
4
Doch es sind Anstrengungen erkennbar, den Tourismus zu reanimieren. Es werden nationale
Segelregatten und Kajakwettkämpfe durchgeführt. In Prokosovici und Bikodze finden (teil-
61
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
weise folkloristische) Konzerte statt. Auch im naturnahen Tourismus sind Aktivitäten zu verzeichnen, so die Installation eines Lehrpfads im Feuchtgebiet der Spreca-Mündung. Es bestehen Pläne zum Bau eines kleinen Hafens im Dammbereich, um die diversen Bojenplätze am
See zu konzentrieren47. Das Marketing wurde vor zwei Jahren zentralisiert und an eine kantonale Tourismusagentur delegiert. Deren Einnahmen, die durch Gebühren von Tourismusagenturen finanziert sind, fliessen momentan aber leider noch nicht in die Regionen zurück.
Abbildung 23 Touristische Infrastrukturen in Prokosivici (Privatzimmer und Laden links,
Aussicht vom Hotel Senad od Bosne rechts, 2009)
Quelle Bild 2: Sabina Jukan (UEZ)
7.4.3
Potential des Modracsees und seiner Umgebung
Naherholung
Der Modracsee ist das einzige grössere Gewässer im Norden von BiH. Daher spielt er für die
Naherholung der Region eine herausragende Rolle. In seiner unmittelbaren Umgebung liegen
vier Städte, die zusammen mehr als eine Viertel Million Einwohner aufweisen. Aufgrund der
geringen Konkurrenz an attraktiven Naherholungsangeboten (mit Gewässerbezug) braucht es
wenig, um dieses Potential wieder vermehrt zu nutzen.
Tourismus
Der Modracsee und die unmittelbare Umgebung weisen kein absolutes touristisches Highlight
auf, aufgrund dessen Touristen „von alleine“ an ihn pilgern würden – mit Ausnahme der
Karpfenfischer. Seine Attraktivität liegt vielmehr in der Kombination der Qualitäten. Er kann
mit seiner idyllischen Lage an den Ausläufern des bosnischen Mittelgebirges, landschaftli-
47
Dies könnte aber zu Konflikten mit der dort erfolgenden Energie- oder Trinkwassergewinnung führen.
62
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
chen Qualitäten sowie Naturwerten brillieren. Obwohl aufgestaut, ist dies nur bei der Staustufe oder Niedrigwasserstand erkennbar. Die reich strukturierte, kleinparzellierte Kulturlandschaft wechselt mit ausgedehnten Feuchtgebieten an den Seeufern und mäandrierenden Zuflüssen und kontrastiert mit den ausgedehnten Waldgebieten auf den Hügelzügen. Die generell sehr hohe Biodiversität in BiH wird am Modracsee durch das Element Wasser noch weiter gesteigert. Die Gewässerlandschaft ist unter anderem für Fische, Insekten und Vögel ein
Paradies. Touristisches Potential weisen auch die Mineralquellen von Kiseljak, die Thermalquellen von Zivinice, die heute für die Trinkwasserversorgung von Tuzla genutzt werden,
oder die alten Moscheen am Südufer auf. In den umliegenden hügligen Waldgebieten liegt
unter anderem Potential für Wandern und Trekking, Biken und Jagen.
Interessant ist, dass der See verschiedene Abschnitte mit unterschiedlichen Charakteristika
aufweist, die jeweils für andere Tourismus- oder Naherholungsformen prädestiniert sind:
• Die Ortsgemeinde Prokosovici am Nordwestufer ist mit ihren geballten Infrastrukturen direkt am See und der guten Zugänglichkeit schon heute auf Tourismus- und
Naherholungsformen ausgelegt, die ein intensiveres Unterhaltungs- und wasserseitiges Aktivitätenangebot beinhalten. Die Ortsgemeinde ist auf der Strasse gut und
schnell von Lukavac erreichbar.
• Das aufgrund des Reliefs und der Erschliessungssituation schwieriger erreichbare
Nordostufer, das heisst im Wesentlichen die Ortsgemeinde Kiseljak, spricht mit den
bis zum Ufer reichenden, steil abfallenden Wäldern, der pittoresken, uferbegleitenden Panoramastrasse und dem weitgehenden Fehlen von Bebauung eher den naturorientierten Individualtouristen an (Fischer, Wanderer, Camper, Ruhe Suchende,
Picknicker, etc.). Gewisse Infrastrukturen sind schon vorhanden.
• Das weitläufige, weitgehend landwirtschaftlich genutzte Südufer mit seinen lang gezogenen Strassendörfern ist aufgrund der Erreichbarkeit, der schlechteren Zugänglichkeit des Ufers und der Lage der Siedlungen weniger für konzentrierte, sondern
eher für extensive Tourismus- und Naherholungsformen mit Wertschätzung für lokale Produktion und Ruhe sowie Bezug zu den lokalen Anbietern prädestiniert (Typ
Bed & Breakfast [B&B], Schlafen im Stroh / Ferien auf dem Bauernhof, etc.). Solche
touristischen Angebote fehlen heute noch weitgehend.
Da der See erst 1964 entstanden ist, fehlen ältere Siedlungskerne direkt am Wasser, welche
die hohen Natur- und Landschaftswerte ergänzen könnten. Auch pittoreske, historische Ortsbilder sucht man in den Strassendörfern um den See oder den nahe gelegenen Industrie-Städte
Lukavac und Zivinice vergeblich. Hingegen weist die ca. 10 Kilometer entfernte, lebendige
Studentenstadt Tuzla mit ihrer autofreien, geschäftigen Altstadt und den Strassencafés, alten
63
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Kulturzeugen (Moscheen, osmanische Häuser) sowie dem künstlich geschaffenen, von lokalen Salzvorkommen gespiesenen Salzsee diverse Attraktionen auf.
Der Hauptfokus liegt auf Sommertourismus. Aber auch im Winter sind attraktive Angebote
möglich: Während der kurzen Zeit, wenn der See zufriert, könnten Aktivitäten wie Schlittschuhlaufen oder Eisfischen angeboten werden. Die Nutzung der Thermalquellen (für Wellness oder Kurangebote) oder Wintersportaktivitäten wie Schneeschuhlaufen oder bestehende
Angebote wie Langlauf in Banovici oder Skifahren am nahe gelegenen Berg Konjuh sind weitere Möglichkeiten im Winter.
Zielgruppen
Naherholungsgäste oder Tagestouristen dürften bei einer Verbesserung der Gewässerqualität schon mit einer leichten Steigerung der Angebotsqualität ansprechbar sein. Unter den
Mehrtages-Touristen können die Zielgruppen der Fischer und Ornithologen aufgrund der
hohen spezifischen Attraktivität des Sees relativ leicht angesprochen werden. Für andere
Zielgruppen wären jedoch gezielt attraktive Angebote zu entwickeln.
Im westlichen Teil des Sees liegt das Potential mehr bei den unterhaltungs- und aktivitätsorientierten Angeboten (Nachtleben, verschiedene Wassersport-Aktivitäten wie Tauchen oder
Segelregatta, Abenteuersport in den südlichen Hügelgebieten wie Paragliding, DownhillBiken, Jagen, Filmfestival, etc.). Es könnten auch Spezialitäten wie z.B. „Ein Tag im Leben
eines Bergbaukumpels“, Spezial-Sightseeingtouren in den Gondeln der Materialseilbahn oder
alten Eisenbahn-Schmalspurwagen oder Winter- und Sommer-Snowboarden auf den Abraumhalden der Bergbauindustrie angeboten werden. Es sind gezielt Synergien mit Anbietern
ergänzender Leistungen in der weiteren Umgebung zu suchen oder aufzubauen, für die ideale
Voraussetzungen in BiH vorhanden sind (wie z.B. Höhlentauchen, Riverrafting, Canyoning,
etc.). Zielgruppen wären für solche Angebote primär Touristen aus BiH oder allenfalls den
angrenzenden Ländern.
Der östliche Teil ist prädestiniert für natur- und landschaftsorientierte, Ruhe und Erholung
offerierende Angebote. Wellness-Angebote (z.B. Sole- oder Thermalbad, Yoga, Massagen),
Naturbeobachtungs-Exkursionen, Kanufahrten oder Fischen im Flussdelta, Wander- und
Fahrradtouren, Trekkingtouren im nahe liegenden Naturpark Konjuh und kulturelle Stadtführungen in Tuzla („vom Mittelalter über den Sozialismus zur mediterranen Studentenstadt“)
könnten hier beispielsweise angeboten werden. Ergänzend könnten auch Tages-Exkursionen
in einen der letzten europäischen Urwälder (Perucica), zu den Gravice Wasserfällen, in die
historische Stadt Mostar oder zur Sonnenpyramide bei Sarajevo angeboten werden. Diese
Angebote könnten z.B. auf die ihre Sommerferien in BiH verbringenden Gastarbeiter zugeschnitten werden. Oder es könnten Kontakte zu ausländischen Anbietern aufgebaut werden,
64
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
die an individuellen, natur- und kulturorientierten Tourismusformen interessiert sind (Typ
„Baumeler Wanderferien“).
Das Südufer kann ergänzende Angebote bereitstellen, die für beide Zielgruppen interessant
sein können (B&B, Schlafen im Stroh, Mitarbeit auf dem Bauernhof und bei der Produktion
lokaler Spezialitäten, ergänzende kulturelle Angebote, etc.).
Voraussetzungen für die Inwertsetzung der Potentiale
Zwingend für einen Aufschwung von allen Tourismus- und Naherholungsformen und für alle
Zielgruppen ist a) die Sanierung der Gewässerqualität und b) das Erreichen einer relativen
Konstanz beim Seespiegel. Bei einer Ausrichtung auf extensive und wellness-orientierte Tourismusformen und mitteleuropäische Touristen ist der Erhalt einer spannenden, kleinteiligen
(Kultur-)Landschaft, der Erhalt grösserer ruhiger, naturnaher Bereiche sowie die Sanierung
der stossenden Umweltprobleme (Luftqualität, Abfall) eine weitere zwingende Voraussetzung. Bilder der kanalisierten Jala in Tuzla, von Fischsterben am Modracsee oder von luftverschmutzenden Industriekomplexen könnten dabei sehr negativ fürs Image sein.
Verbesserungspotential besteht bei der Erschliessung mit dem ÖV, der Zugänglichkeit der
Seeufer, des lokalen Wegnetzes (Rundweg entlang des Ufers, Fahrrad- und Wanderwege,
etc.), der Vermarktung regionaler Produkte sowie ergänzenden Komplementärangeboten
(Wellness, Kultur, Abenteuer, Industriegeschichte, etc.).
Fazit
Die Reanimierung von Naherholung und Tagestourismus, wie er in den 1990-er Jahren
stattgefunden hat, bedingt vor allem die Sanierung des Gewässers. Damit wären die Voraussetzungen für weitere Investitionen von privater Seite geschaffen. Der Fokus liegt dabei mehr
auf Sommertourismus, aber auch im Winter kann ein attraktives Angebot geschaffen werden.
Wenn Mehrtagestouristen angesprochen werden wollen, braucht es eine gezielte Entwicklung des Modracsees und seiner Umgebung. Ein deutlicher Ausbau des Angebots, die Erstellung von zusätzlichen Infrastrukturen und klare Spielregeln zur Gewässernutzung wären vonnöten. Aufgrund der räumlichen Differenzierung können durchaus verschiedene Zielgruppen
angesprochen werden. Allerdings erschwert dies ein klares Marketingprofil der Region. Um
zusätzlich auch ausländische Touristen anziehen zu können, müssten vermutlich Angebotspakete unter Miteinbezug weiterer touristischer Highlights im Land offeriert werden. Kritisch
sind hierbei jedoch der industrie-orientierte Charakter der Region und die damit verbundenen
Umweltprobleme.
65
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
8
03.08.2009
Szenarien
8.1
Grundgerüst der Szenarien
Das Grundgerüst der beiden Szenarien „Stadtlandschaft - Weiterentwicklung bewährter Konzepte“ und „Wasserland – Inwertsetzung brachliegender Potentiale“ wird von zwei Merkmalen aufgespannt, deren Ausbildung für die Raumentwicklung als sehr entscheidend gelten.
Das erste betrifft die Grundhaltung, unter der sich die bosnische Gesellschaft organisiert: Ist
sie freiheits- und individuumsorientiert, gibt der Staat nur die groben Rahmenbedingungen
vor und vertraut auf die Selbststeuerungkräfte von Gesellschaft und Wirtschaft – oder überwiegt die Überzeugung, dass eine gewisse hoheitliche Steuerung für eine nachhaltige Entwicklung notwendig ist und das Wohlergehen der Gesamtgesellschaft über dem des Individuums steht. Das zweite Merkmal betrifft die Ausrichtung im Bereich Wirtschaft: Die staatlichen Investitionen auf grosse Industrien ausrichten, die zu Zeit des Sozialismus aufgebaut
wurden – oder auf die Innovationskraft der kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) in
der Region.
Abbildung 24 Merkmalsausprägung der beiden Szenarien
Trend-Szenario „Stadtlandschaft“
Alternativ-Szenario „Wasserland“
- Liberale Grundhaltung und
Individualismus
- Auf grosse Industrien und Infrastrukturausbau ausgerichtet
- Auf nachhaltige Entwicklung
ausgelegt
- Auf lokale KMU und regionale
Potentiale ausgerichtet
8.2
Schlüsselfaktoren und deren Ausgangszustand
Für die Raumentwicklung um den Modracsee werden Schlüsselfaktoren in verschiedenen Bereichen identifiziert (vgl. Tabelle 8). Diese Schlüsselfaktoren haben eine Geschichte und einen heutigen Zustand, die im Folgenden beschrieben werden. Die Schilderung basiert auf den
in Teil I beschriebenen Erkenntnissen sowie weiteren Recherchen und den Eindrücken vor
Ort und dient als Hintergrund für die Szenarienbeschreibung in den Kap. 8.3 und 8.4.
66
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
Tabelle 8
03.08.2009
Schlüsselfaktoren für die regionale Raumentwicklung
Bereich
Schlüsselfaktoren
Siedlung
Bodennutzung, Nutzungsmix & Zentrumsfunktionen
Verkehr
Mobilitätsverhalten & ÖV-Angebot
Landschaft & Erholung
Landschaftsqualität, Seezugang, Naherholung & Freizeit
Gesellschaft
Bildungsniveau, Vertrauen & Beziehungen
Wirtschaft
Strukturwandel & Wirtschaftskraft, Beschäftigung
Umwelt
Umweltprobleme, Naturgefahren
Ver- & Entsorgung
Energie, Umgang mit Abfällen
Siedlung: Bodennutzung
Weite Flächen um den Modracsee sind nach wie vor durch die auf kleinbäuerlichen Ackerund Gemüsebau ausgerichtete Landwirtschaft genutzt. In den Schwemmebenen der Flüsse
gibt es ausgedehnte, sumpfige Flächen, die nicht bewirtschaftet oder genutzt werden können.
Die wenig dichten Siedlungen wachsen entlang bestehender Strassen zusammen. Die einst gut
unterscheidbaren einzelnen Dörfer am See, am Südufer häufig auf den fingerartigen Rücken
angeordnet, werden in dem sich ausdehnenden Häuserteppich zunehmend unkenntlich. Kleinräumig ist auch etwas Industrie und Gewerbe vorhanden.
Vor allem seit dem Bosnienkrieg haben die Zersiedlung und die Flucht aufs Land stark zugenommen. Flüchtlinge bauen ihre Häuser an einem neuen Standort auf, Gastarbeiter, Rückkehrer aus dem Ausland und eine neue Oberschicht investieren ihr Geld in Immobilien, Wünsche
vom Eigenheim tun das ihrige dazu. Auch ist die regulierende Kontrolle des Staates weitgehend inexistent oder wenig wirkungsvoll. Die niedrigen Strafen für Bauen ohne Baubewilligung fördern dies zusätzlich. Die Mobilität ermöglicht ein Wohnen auf dem Land und ein Arbeiten in der Stadt. Die durch die hohe Arbeitslosigkeit geförderte selbständige Tätigkeit
macht die Leute zudem unabhängig von Arbeitgeber und -ort. Mit Hilfe des Gesetzes zur Legalisierung illegaler Bauten soll nun wieder ein legaler Ausgangszustand hergestellt werden.
Siedlung: Nutzungsmix & Zentrumsfunktionen
Vor allem in den Dorfzentren sind gewisse Zentrumsfunktionen wie die örtlichen Verwaltungen, Post, Apotheken, kleinere Läden, Gewerbebetriebe wie z.B. lokale Bauunternehmen oder
Restaurants und Schulen vorhanden. In den älteren Siedlungen am Südufer existieren kulturell-religiöse (Kulturhaus, Moscheen) und Freizeitinfrastrukturen (Sportplatz, Schwimmbad).
In Prokosovici sind touristische Infrastrukturen konzentriert (Hotels, Restaurants, Bars, Arena, Strand, etc.).
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Die lebendige Altstadt von Tuzla mit ihren Geschäften und Gastronomiebetrieben stellt einen
willkommenen Kontrapunkt zu den eher gesichtlosen Zentren der anderen grösseren Städte
der Region dar. Sie erfährt seit einigen Jahren eine massive Aufwertung (Ausscheidung einer
grosszügigen Fussgängerzone, Renovation des öffentlichen Raums) und wird immer mehr zu
einem regionalen Anziehungspunkt hoher Qualität.
Verkehr: Mobilitätsverhalten & ÖV-Angebot
Währenddem zu jugoslawischen Zeiten der ÖV relativ gut ausgebaut war (Zug- und enges
Busnetz), brach er im Krieg aufgrund der Infrastrukturzerstörung zusammen. Nach dem Krieg
wurde vor allem in die leichter in Stand zu stellende Strasseninfrastruktur investiert. Dabei
wurden allerdings weder ein staatliches Bussystem aufgebaut noch Konzessionen vergeben.
Der ÖV ist heute vor allem in den Agglomerationen ausgebildet und umfasst verschiedenste,
untereinander nicht koordinierte Bus- und Taxianbieter mit einem entsprechend chaotischen
Angebot. Ab Tuzla bestehen heute ganze zwei Zugsverbindungen (in Richtung Brcko / Grenze). Am Modracsee existieren eine gute Verbindung von Lukavac an den See (Prokosovici)
und von Zivinice zu den Gemeinden am Südufer sowie vereinzelte, sehr selten verkehrende
Linien entlang oder rund um den See.
Die Zersiedlung sowie das Auto als Statussymbol führen zu einer starken Zunahme des MIV.
Entsprechend überlastet sind die auf viel kleinere Verkehrsmengen ausgerichteten Strassen.
Die Stadtzentren mit ihren grosszügig ausgelegten Boulevards werden durch den Verkehr
eingeschnürt und verlieren zusehends an Lebensqualität.
Landschaft & Erholung: Landschaftsqualität
Der Modracsee ist von überwiegend bewaldeten Hügelrücken umgeben. Die Landschaft ist
aufgrund der kleinstrukturierten Besitzverhältnisse und der eher extensiven Landwirtschaft
nach wie vor reich gegliedert. Einzelbauten ausserhalb des eigentlichen Siedlungsgebietes beginnen sich jedoch immer mehr auszubreiten. In vom See nicht einsichtbaren Gebieten (auf
dem Plateau von Banovici und südlich von Zivinice) hinterlässt der Kohletagbau riesige
Wunden in der Landschaft.
Die Verlandung des Sees im Bereich der Zubringerflüsse im Westen und Süden lässt das Seeufer deutlich wandern. Vormals Seeanstoss geniessende Siedlungen vor allem im Südosten
(Westteil der Ortsgemeinde Serici und zunehmend auch Ostteil der Ortsgemeinde Priluk)
werden zu Binnenland-Siedlungen. Die neu entstehenden Landgebiete im Schwemmlandbereich sind aufgrund ihrer schlechten Tragfähigkeit und der Vernässung für eine Nutzung uninteressant und stellen ein weitgehend unberührtes Naturparadies dar.
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Landschaft & Erholung: Seezugang
Der öffentliche Seezugang war früher grundsätzlich vielerorts möglich, doch wegen fehlender
Erschliessung faktisch nur im Bereich der wenigen Stichstrassen an den See etabliert. Heute
ist das teure Haus am See stark nachgefragt. Folglich wird das Land am See erschlossen. Da
nur die Wasserfläche dem Staat gehört, das Land bis zum Ufer aber den Privaten und keine
staatlichen Bestimmungen zur Freihaltung der Seeufer bestehen, wird der öffentliche Seezugang durch die private Bautätigkeit zunehmend erschwert bis verunmöglicht.
Landschaft & Erholung: Naherholung & Freizeit
Der Modracsee wird seit seiner Entstehung als Naherholungsgebiet genutzt und ist das wichtigste neben den städtischen Freiräumen wie z.B. dem künstlichen Solesee in Tuzla. Der See
und seine Ufer werden für verschiedenste Aktivitäten wie Baden, Tauchen, Segel- und Motorsport, Kajak, Camping, Picknicken, Nachtleben oder schlicht als Treffpunkt, die Umgebung vor allem für Wandern, Naturbeobachtung, Jagd und Bergsport benutzt. Verschiedenste
Vereine und Organisationen (unter anderem in den Bereichen Fischerei und Jagd, Wassersport, Bergsport, Jugend, Ökologie, Bildung) sind in der Region Modracsee aktiv.
Gesellschaft: Bildungsniveau
Das zu sozialistischen Zeiten hohe Bildungsniveau scheint sich auch nach dem Bosnienkrieg
wieder zu etablieren. Die Universität Tuzla umfasst 13 breit gefächerte Fakultäten, die Studienrichtungen wie Maschinenbau, Elektrotechnik, Chemie, Medizin, Jurisprudenz, Ökonomie und Naturwissenschaften anbieten. Zurzeit sind rund 20'000 Studierende48 an der Universität Tuzla eingeschrieben.
Gesellschaft: Vertrauen & Beziehungen
Das Vertrauen zwischen den Ethnien, aber auch zwischen Bürger und Staat ist nach wie vor
tief erschüttert. Die traditionelle Solidarität innerhalb der Grossfamilien scheint nach und
nach durch individualisiertere Lebensformen abgelöst zu werden, was bei der hohen Arbeitslosigkeit und den tiefen Einkommen Probleme erzeugt.
Wirtschaft: Strukturwandel & Wirtschaftskraft
Die nach dem Zweiten Weltkrieg bäuerlich ausgerichtete Gesellschaft von BiH wurde durch
Titos Industrialisierungsprogramm transformiert. Die Flussebenen in der Region Tuzla wurden mit grossen, energieintensiven Industrieagglomeraten (Chemie, Zement, Soda, Koks)
überzogen und die Mineralvorkommen im grossen Stil ausgebeutet. Während des Bosnien-
48
Gemäss Angaben der Universität Tuzla (http://www.untz.ba).
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
krieges brach diese Industrie in sich zusammen. Anschliessend wurden diese Industriezweige
– auch in Ermangelung von Alternativen – wieder mit viel Geld in Fahrt gebracht, obwohl
teilweise Zweifel angebracht sind (Zukunftsaussichten und Wettbewerbskraft dieser Industriezweige, Energiekonsum, Umweltbelastung durch CO2-Ausstoss, Luft- und Gewässerverschmutzung, etc.). Heute sind etliche dieser Unternehmen privatisiert, das Kohlekraftwerk
und der Abbau von Steinen aber weiterhin staatlich. Mit Ausnahme des Kohlekraftwerks und
der Zementfabrik scheinen viele der Gross-Unternehmen wie z.B. die Soda-, Koks- und Chemiefabrik mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen49.
Viele Leute fanden auch eine Beschäftigung in der Verwaltung, die heute fast 10 % der Arbeitnehmenden umfasst. Dies verwundert nicht weiter, sind doch Posten bei der Verwaltung
deutlich besser bezahlt als vergleichbare in der Privatwirtschaft.
Klare Tendenzen eines Wandels hin zu einer Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft sind
bisher kaum auszumachen. Das Unternehmertum scheint nach wie vor nicht stark ausgebildet
oder nur verdeckt in der Schattenwirtschaft vorhanden zu sein, mit Ausnahme der auf die internationalen Projekt- und Fördergelder spezialisierten Organisationen und Unternehmen. Eine Integration der kleinen, informellen Unternehmen in die formelle Wirtschaftswelt wird
durch die exorbitant hohen Sozialabgaben von ca. 50 % der Lohnsumme (Fuster 2009) erschwert. Die Abhängigkeit von ausländischen Unterstützungsprogrammen und den Überweisungen der Gastarbeiter aus dem Ausland ist nach wie vor hoch, die Wirtschaftskraft im Vergleich zu den umliegenden Ländern tief. Die hohe Ausgabenquote des Staates, die schwache
Leistungsbilanz und die nur langsam steigenden Investitionen der ausländischen Privatwirtschaft erschweren die Wirtschaftsentwicklung.
Am Modracsee dominiert nach wie vor der 1. Sektor. Die Bewirtschaftungsvoraussetzungen
für die Landwirtschaft werden durch Siedlungstätigkeit und kleinteilige Vererbung jedoch
zusehends erschwert. Bemühungen zur Intensivierung der Landwirtschaft oder zum Schutz
des Landwirtschaftslandes sind kaum ersichtlich. Fischerei wird nur hobbymässig betrieben.
Im weiteren Umfeld ist der sehr flächenintensive, andere Nutzungen ausschliessende Abbau
von Rohstoffen von grosser Bedeutung.
Ergänzend sind auch einige kleinere Gewerbebetriebe und etwas Industrie vorhanden. Während und nach dem Bosnienkrieg erlebte auch der Tourismus eine Blütezeit. Aufgrund der
sich rapide verschlechternden Gewässerqualität und alternativer Angebote brach diese Branche aber anschliessend ein und kämpft heute um ihr Überleben. Gewässerseitig ist vor allem
die Nutzung von Trinkwasser für Tuzla und Lukavac sowie Brauchwasser für die Industrien
von Lukavac bedeutend.
49
Gemäss Angaben diverser Interviewpartner (Ostern 2009).
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Wirtschaft: Beschäftigung
Nach langen Jahren hoher offizieller Arbeitslosenzahlen (bei gleichzeitig ausgeprägter Schattenwirtschaft) ist der Beschäftigungsgrad in den letzten drei Jahren markant gestiegen. Viele
Familien leben aber nach wie vor von den Rücküberweisungen der Gastarbeiter. Seit kurzem
steigt nun aber die Rückkehrquote der im Ausland arbeitslos gewordenen Gastarbeiter wie
auch die Arbeitslosigkeit wieder stark an, bedingt durch die globale Wirtschaftskrise.
Umwelt: Umweltprobleme
Schon zu sozialistischen Zeiten war die Gewässerqualität des Modracsees nicht hervorragend,
aber aufgrund der stärkeren Kontrolle von Industriebetrieben und der kontrollierten Siedlungsentwicklung deutlich besser als heute. Nach einer Periode der Entspannung während des
Bosnienkriegs ist der Gewässerzustand heute aufgrund der unkontrollierten Siedlungs- und
Wirtschaftsentwicklung und der ungeklärten Einleitung aller Siedlungs- und Industrieabwässer schlecht bis katastrophal. Die schlechte Wasserqualität ist nicht nur ein ästhetischökologisches, sondern auch ein ökonomisches Problem (Tourismuseinbruch, teure Trinkwasseraufbereitung).
Vor allem im Winterhalbjahr steckt die Region zudem unter einer dichten Smogdecke, ausgelöst durch Abgase von Industrie, Kraftwerk, Heizungen und Verkehr. Grosse Flächen in der
Region sind aufgrund des Kohletagbaus und fehlender Rekultivierung degradiert und instabil.
Umwelt: Naturgefahren
Die zunehmende Ausbeutung der Wälder sowie die fehlende Rekultivierung der Abbaufelder
begünstigen Erdrutsche und Hochwasser. Die Hochwasserschutzfunktion, die der Modracsee
durch seine Retentionswirkung für den Unterlauf der Spreca erfüllt, sinkt aufgrund der zunehmenden Verlandung und der damit verbundenen Kapazitätsreduktion kontinuierlich.
Ver- & Entsorgung: Energie
Die Energieversorgung der Region erfolgt seit jeher überwiegend über das Lignit und Braunkohle nutzende thermische Kraftwerk (mit einer Leistung von 780 Megawatt). Lignit hat dabei einen noch schlechteren Wirkungsgrad und höheren CO2-Ausstoss als Braunkohle und ist
damit sehr umweltbelastend. Ergänzend findet an der Staustufe des Modracsees eine gewisse
Wasserkraftnutzung statt (3 Megawatt).
Ver- & Entsorgung: Umgang mit Abfällen
Abfall wird in grossen Mengen illegal oder umweltschädigend entsorgt, als Einleitung in Gewässer, Abfalldeponien im Wald oder am Strassenrand, etc. Das Umweltbewusstsein der Bevölkerung hat aufgrund der Tätigkeiten verschiedener zivilgesellschaftlicher, teilweise
Modracsee-spezifischer Umweltschutz- und weiterer Organisationen allerdings zugenommen.
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Abbildung 25 Luftaufnahme der Stadt Tuzla
Abbildung 25 zeigt abschliessend am Beispiel des Kantonshauptortes Tuzla noch einmal einige der Schwierigkeiten, mit denen die Region und insbesondere auch Tuzla als deren Entwicklungsmotor zu kämpfen hat. Tuzla liegt lang gezogen im Tal der Jala, das von Hügelzügen begrenzt wird. Das schöne Zentrum mit der lebendigen Altstadt (violett) wie auch grosse
Wohngebiete sind von zwei Hauptstrassen (gelb) eingeklemmt, auf der sich der MIV 4- bis 6spurig in die Stadt resp. an der Stadt vorbei wälzt. Auch Wohngebiete am Hang oder die Freiräume wie Wälder oder der Salzsee (grün) sind durch die MIV-Achsen vom Zentrum abgetrennt. Auch der völlig naturfremde, kanalisierte Fluss Jala (grün punktiert), der keinerlei
Freiraumqualitäten aufweist, verläuft in diesem zentralen Bereich. Der ÖV ist gegenüber dem
MIV benachteiligt, endet doch der Bahnhof (rot) weit vom Zentrum entfernt in den westlichen
Vororten. Fussgänger müssen entlang der Hauptstrassen unattraktive Industriegebiete (blau)
durchqueren, wenn sie vom Bahnhof ins Zentrum wollen. Die flächenintensiven, aber zumeist
wenig dichten Industriekomplexe belegen die Einfallsachsen nach Tuzla und dominieren den
ersten Eindruck, den man von der Stadt erhält.
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Abbildung 26 Impressionen aus Tuzla.
1: Auch nachts belebte Strassencafés in der Altstadt. 2: Unternutzter Bahnhof.
3: Kohlekraftwerk Tuzla. 4: Fluss Jala bei der Altstadt. 5: 4-spurige
Einfallsachsen. 6: Historische Bausubstanz (serbisch-orthodoxe Kirche).
1
2
3
4
5
6
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
8.3
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Trend-Szenario „Stadtlandschaft - Weiterentwicklung
bewährter Konzepte“
Dieses Szenario entspricht einer möglichen Interpretation und Weiterentwicklung der Leitgedanken, Ziele und Konzeptinhalte des kantonalen Richtplans (inkl. Vision 2020). Ebenfalls
enthalten sind räumliche Entwicklungstendenzen, wie sie heute in der Region erkennbar sind.
Die Kartenauszüge zum Trend-Szenario „Stadtlandschaft“ entstammen dem kantonalen
Richtplan (Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz 2008). Die textlichen Beschreibungen entsprechen zum überwiegenden Teil den Kartendarstellungen. Abweichungen zum
Richtplan resp. dessen abgebildeten Karten bestehen sind im Text entsprechend vermerkt.
8.3.1
Vision
Die drei Städte Tuzla, Lukavac und Zivinice, ev. zu einem späteren Zeitpunkt auch Banovici,
werden in einem politisch und ökonomisch liberal ausgerichteten Umfeld zu einer gemeinsamen, zusammenwachsenden Stadtregion entwickelt. Urbanisierungprozesse strahlen dabei
auch in die weitere Umgebung aus. Die Stadtregion wird zum Motor der gesamtkantonalen
Entwicklung. Grundpfeiler für die Wirtschaftsentwicklung sind die zu sozialistischen Zeiten
aufgebauten, grossen Industriebetriebe und der Abbau der Bodenschätze. Mittels einer Vervierfachung der Industriefläche und gezielten Anreizen wird die Bildung von Industrieclustern angestrebt. Die Funktionsfähigkeit der Stadtregion wird durch ein massiv ausgebautes Strasseninfrastrukturnetz sichergestellt.
Die Region Modracsee dient dabei zunehmend als Wohnsitz der Ruhe und Idylle suchenden
Oberschicht und als Wochenendsitz für erholungssuchende Stadtbewohner. Über die Ausscheidung des kantonalen Richtplans hinaus werden in allen gut gelegenen und bebaubaren
Gebieten Wohnzonen ausgeschieden. Bildungs- und Kultureinrichtungen, Einkaufsmöglichkeiten wie auch Arbeitsplätze befinden sich in den über das gut ausgebaute Strassennetz
schnell erreichbaren Städten Zivinice, Lukavac und Tuzla. Die Gewässerqualität des Modracsees verbessert sich dank technischer Massnahmen langsam.
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Abbildung 27 Stadtregion Tuzla-Lukavac-Zivinice (rotes „Kleeblatt“; mit Modracsee als Teil
des linken „Kleeblatts“) mit wichtigsten Bezugspunkten (farbige Pfeile)
Quelle: Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz (2008), Kartenblatt 28
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
8.3.2
03.08.2009
Konzept zur räumlichen Entwicklung
Siedlung: Bodennutzung
Die hohe Vorbelastung der Landschaft zwischen Tuzla und Lukavac durch Industriebauten
wird in Kombination mit der flachen Topografie, der guten Erschliessung und den grossen
Landreserven für die Ausscheidung grosszügiger Industriegebiete genutzt.
Am Modracsee wird die kleinbäuerliche Landwirtschaft am Seeufer und den angrenzenden
Hügelzügen vom wesentlich ertragsreicheren Wohnungsbau abgelöst. In der grossartigen
Landschaftskulisse werden in den geeigneten Lagen verschiedenartig positionierte Wohngebiete in unterschiedlichen Dichten geschaffen (gehobene Mittelklasse bis Luxussegment).
Angesichts der grossen Waldflächen von BiH werden im Waldrücken am Nordostufer in Ergänzung zum kantonalen Richtplan ausgewählte Südhanglagen als Top-Wohnstandorte entwickelt. Das Zusammenwachsen der Siedlungen wird akzeptiert.
Mit Hilfe der Trockenlegung grosser Sumpfgebiete, der Begradigung von Flüssen und Güterzusammenlegungen kann die landwirtschaftliche Nutzfläche auf Kosten von Feuchtgebieten
insgesamt erhalten werden. Auf diesen hochproduktiven Böden betreiben zukünftig wenige
Grossbauern intensiven Gemüseanbau mit gegenüber heute massiv gesteigerten Erträgen.
Siedlung: Nutzungsmix & Zentrumsfunktionen
Der Erhalt von Infrastrukturen des täglichen Bedarfs, von Kultureinrichtungen oder Arbeitsplätzen wird in den Ortsgemeinden am See nicht aktiv gefördert, da die Zentrumsfunktionen
und das Arbeitsplatzangebot durch die umliegenden, schnell erreichbaren Städte abgedeckt
sind und somit keine genügende Nachfrage vor Ort besteht. Auch die Verteilung der beschränkten Investitionsvolumen verlangt eine Prioritätensetzung (Strassen- und Industrieentwicklung vor Kultur und Freizeit).
Verkehr: Mobilitätsverhalten & ÖV-Angebot
Das Auto als Symbol für Status, Freiheit und Individualität ist das primäre Verkehrsmittel der
Region, in den ländlichen Gebieten gar das einzige. Der wachsende MIV und die dadurch
verursachte Stauzunahme bedingen regelmässige Kapazitätsausbauten des Strassennetzes.
ÖV spielt in den genügend dichten, städtischen Agglomerationen und zur Verbindung der
Zentren eine tragende Rolle. Die staatliche Eisenbahn ist auf den Hauptlinien Tuzla-Lukavac
resp. Tuzla-Zivinice wichtig für die Beförderung grosser Personenströme und wird modernisiert. Der Aufbau eines die Nachfrage abdeckenden privaten Busnetzes wird durch den Kanton unterstützt. Zwischen Lukavac und Prokosovici wird eine auf Tagestourismus und Naherholung ausgerichtete Busverbindung angeboten, die restlichen Busverbindungen an den und
um den See werden mangels Nachfrage stark ausgedünnt oder gestrichen.
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Abbildung 28 Geplante neue Strasseninfrastrukturen: Autobahn (rote dicke Linie), Schnellstrassen (graue Linien) und Hauptstrassen (mitteldicke rote Linien)
Quelle: Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz (2008), Kartenblatt 14
Der durch die Siedlungsentwicklung ausgelöste Mobilitätsbedarf erfordert am Südufer des
Modracsees zusätzlich zum kantonalen Richtplan den Bau einer neuen, direkteren Regionalstrasse, womit die bestehende Lücke im Regionalnetz geschlossen wird und praktisch eine
Ringstrasse um den See entsteht.
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Landschaft & Erholung: Landschaftsqualität
Der Modracsee und die umliegenden Hügel werden als Kulisse für das Wohnen in ihrer heutigen Art weitgehend erhalten. Die grossen Grundstücke der privaten Hausbesitzer mit ihren
parkartigen Umgebungen ermöglichen, den Durchgrünungsgrad trotz verstärktem Siedlungsbau hoch zu halten. Der naturräumliche Wert des Gebiets sinkt durch die Gestaltung der privaten Seeuferbereiche, die Trockenlegung der Sumpfgebiete und Begradigung der Flüsse. Der
Bergbau mit seiner monofunktionalen Landnutzung wird im „Hinterland“ des Modracsees
betrieben, wodurch die Landschaftsqualitäten am See nicht tangiert sind.
Trotz politischer Einflussnahme der neuen Seeuferbewohner und technischer Massnahmen
steigt die Gewässerqualität nur wenig und langsam an, Seespiegelschwankungen kommen
auch weiterhin vor. Schuld sind den Gewässerschutzmassnahmen entgegenlaufende Entwicklungen wie das Bevölkerungs- und Siedlungswachstum und der Ausbau der Industrie.
Landschaft & Erholung: Seezugang
Die Seeufer decken die Bedürfnisse der privaten Anstösser nach Aufenthalt am See, privaten
Landungsstegen, etc. ab. Durch die Einzäunung der Grundstücke und die Privatisierung der
Zugangsstrassen erhöhen sich Qualität und Wert des Landes, da störende öffentliche Nutzungen landseitig weitgehend vermieden werden können. Öffentliche Seezugänge bestehen vorwiegend am Nordufer (Prokosovici, Kiseljak), am Südufer nur im Bereich der wenigen öffentlichen Strassen am und an den See.
Landschaft & Erholung: Naherholung & Freizeit
Die in Angriff genommenen technischen Massnahmen zur Verbesserung der Gewässerqualität
können Investoren überzeugen, am Nordwestufer in die Reaktivierung des Tourismus- und
Naherholungssegments zu investieren. Dadurch entsteht ein erweitertes Angebot sowohl in
der gebauten Infrastruktur wie auch beim Aktivitätsangebot (z.B. bei den Wassersportnutzungen). Kiseljak als schlecht erschlossener, vorwiegend auf Natur ausgerichteter Bereich ist
weiterhin ein Geheimtipp unter Kennern und in der Fischereiwelt. Die Naherholung beeinträchtigt die angestrebte gehobene Wohnnutzung am See kaum, da die beiden Nutzungen
räumlich weitgehend getrennt sind (Nord- vs. Südufer).
Gesellschaft: Bildungsniveau
Im öffentlichen Bildungsangebot halten Wirtschaftlichkeitsüberlegungen Einzug, wodurch
sich das Studium verteuert. Bei einer sinkenden Anzahl Studierenden steigt gleichzeitig die
Qualität der Ausbildung. Die Oberschicht schickt ihren Nachwuchs dennoch zunehmend an
ausländische Universitäten.
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Gesellschaft: Vertrauen & Beziehungen
Die Kleinfamilie löst die Grossfamilie als wichtigsten Bezugspunkt ab, die Solidarität innerhalb der Grossfamilie reduziert sich. Vielen erscheint dies als Befreiung, sind sie nun doch
alleine für den Erfolg in ihrem Leben verantwortlich und müssen diesen nicht mit entfernten
Verwandten teilen.
In der liberalisierten Gesellschaft nimmt die Bedeutung von guten Beziehungen zu Wirtschaft
und Politik zu, um unternehmerische Ideen in einem nach wie vor kompliziert aufgebauten
Verwaltungsstaat mit langen Bewilligungswegen schnell umsetzen zu können.
Wirtschaft: Strukturwandel & Wirtschaftskraft
Die noch staatlichen, grossen Industrie-Unternehmen werden modernisiert und für die Privatisierung vorbereitet. Im Bereich der Industrie-Cluster in der Spreca- / Jala-Flussebene, die
auch Dienstleistungsunternehmen offen stehen, kann die regionale Standortmarketingagentur
dank günstigen Bedingungen und Anreizen (tiefes Lohnniveau, wenige Vorgaben und Einschränkungen bezüglich Betrieb, tiefe Steuern, etc.) grössere Industrieunternehmen aus den
ehemaligen jugoslawischen Republiken zu einer Ansiedlung überzeugen. Zudem entstehen im
Sog der grösseren Unternehmen kleinere und mittlere Zuliefererbetriebe. Die Bauwirtschaft
floriert dank des starken Siedlungswachstums.
Die Staatsverschuldung steigt aufgrund der grossen Investitionsprogramme in die Infrastruktur zwischenzeitlich stark an, kann aber dank zunehmender Steuerabgaben der Unternehmen
und einem Abbau übertriebener Sozialleistungen (z.B. bei den Veteranen) aufgefangen werden.
In der Region Modracsee ist nach wie vor der 1. Sektor vorherrschend (Bergbau, Forst- und
Landwirtschaft), wobei die Wertschöpfung der Betriebe durch intensivere Produktionsformen
bei gleichzeitig reduziertem Mitarbeiterbestand steigt. In Prokosovici entwickelt sich dank
neuer Investoren ein intensiver Tagestourismus und Naherholungsbetrieb, dessen Wertschöpfung allerdings das Nachkriegs-Niveau aufgrund der Gewässerqualität und attraktiver Alternativangebote nicht mehr ganz erreicht.
Wirtschaft: Beschäftigung
Nach dem Abflauen der globalen Wirtschaftskrise steigt der Beschäftigungsgrad wieder an.
Aufgrund der Ausrichtung der Wirtschaft werden dabei vor allem technologisch ausgerichtete
Berufe nachgefragt. Die Arbeitsplätze befinden sich dabei zunehmend in den Agglomerationen und Zentren, da dort gut ausgebildete Arbeitskräfte verfügbar sind.
79
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Abbildung 29 Grosse Industriezonen (blaue Ellipsen, bestehende Industriezonen dunkelrosa
und geplante violett gepunktet), kleinere Industriezonen (rosa Ellipsen),
bestehende und geplante Abbaugebiete (schwarz schraffierte Flächen),
Wohnzonen (in gelb) sowie Modracsee-Region (hellgrün umrandet)
Quelle: Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz (2008), Kartenblatt 16
Umwelt: Umweltprobleme
Die Gewässerverschmutzung des Modracsees wird durch technische Massnahmen (Abwasserklärung) zwischenzeitlich etwas verbessert, steigt aber aufgrund der flächenintensiven
Siedlungs-, Verkehrs- und Wirtschaftsentwicklung, der Intensivierung der Landwirtschaft,
Trockenlegung von Feuchtgebieten und Verbau der Gewässer mittelfristig wieder an.
Die Smogdecke in der Region bleibt weiterhin bestehen, da die Energienutzung weiterhin auf
Kohle basiert und die forcierte Industrieentwicklung und die Abgase des wachsenden MIV
zusätzliche Belastungen auslösen. Als neuartiges Umweltproblem wird die Lärmzunahme
durch den intensivierten MIV auch in vormals ruhigen Gebieten wahrgenommen. Altlasten in
den ehemaligen oder bestehenden Industriegebieten können aufgrund der hohen Kosten nicht
saniert werden.
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Umwelt: Naturgefahren
Die liberalisierte Siedlungsentwicklung, die zunehmende Versiegelung des Bodens, die intensivierte Nutzung in Land- und Forstwirtschaft und die Eindolung und Begradigung von Gewässern lassen als Kehrseite die Naturgefahren ansteigen (Erdrutsche und Hochwasser). Die
Hochwasserspitzen fallen ausgeprägter aus, wodurch auch der Sedimenteintrag in den
Modracsee weiter steigt und sich die Verlandung beschleunigt.
Ver- & Entsorgung: Energie
Die Energieversorgung der Region erfolgt überwiegend über Braunkohle. Der Ausbau der
Wasserkraftnutzung leistet einen Beitrag an den durch steigenden Wohlstand und Siedlungsentwicklung zunehmenden Energieverbrauch.
Ver- & Entsorgung: Umgang mit Abfällen
Dank Sensibilisierungskampagnen wird der Siedlungsabfall via Kehrichtabfuhr grösstenteils
geregelt in der regionalen Deponie entsorgt, die wilde Ablagerung von Abfällen sinkt. Nach
kurzer Zeit besteht jedoch bereits Ausbaubedarf bei den Deponien. Die neue, von der EU mitfinanzierte Kläranlage in Zivinice sowie die objektbasierte Abwasserklär-Einrichtungen der
neuen Privatresidenzen lassen die Belastung durch Siedlungsabwässer sinken.
8.4
Alternativ-Szenario „Wasserland – Inwertsetzung
brachliegender Potentiale“
Dieses Szenario setzt auf die intrinsischen Qualitäten und heute noch ungenügend entwickelten Potentiale der Region Modracsee. Es ist in der beschriebenen Art so in grossen Teilen weder im kantonalen Richtplan vorgesehen noch mit der heute erkennbaren räumlichen Entwicklung vereinbar.
8.4.1
Vision
Die Region Tuzla-Modracsee setzt unter dem Primat der haushälterischen Bodennutzung konsequent auf die Entwicklung ihrer Qualitäten, die in der landschaftlich und topographisch
reizvollen Umgebung, dem gut ausgebildeten Humankapital, der guten Erschliessung, einem
im Vergleich zu umliegenden Ländern vergleichsweise niedrigen Lohnniveau und einer diversifizierten Wirtschaft liegen. Sie nützt die Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft zur dringenden Sanierung ihrer Umweltprobleme und den Ausbau des ÖV. Damit
schafft sie die Voraussetzungen für die verstärkte Ansiedlung von wertschöpfungsintensiven
Dienstleistungsunternehmen, die für die Weiterentwicklung des Landes von grosser Bedeutung sind. Zusammen mit dem traditionell starken industriellen Standbein, der Inwertsetzung
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
von Land- und Forstwirtschaft sowie umweltverträglichem Bergbau ist die Entwicklung der
Region zukünftig breit auf die Säulen von 1., 2. und 3. Sektor abgestützt. Die optimal erschliessbare und topographisch begünstigte Achse Tuzla-Lukavac nimmt die Hauptentwicklung im Bereich Industrie und Dienstleistung auf. Die lebendige Universitätsstadt Tuzla mit
ihrer hübschen Altstadt und der pittoresken sozialistischen Skyline wird zum Zentrum des
Dienstleistungssektors.
Der Modracsee wird als mit dem ÖV gut erreichbarer, in der Mitte der vier umliegenden Städte liegender, idyllischer Komplementärraum zur geschäftigen Jala- / Spreca-Flussebene entwickelt. Ziel ist eine verstärkte wirtschaftliche Inwertsetzung der Potentiale, von der eine
Breite an Akteuren profitiert. Der See ist in drei Abschnitte unterteilt, die verschiedene Ansprüche befriedigen. Es entsteht ein Zentrum für Wellness- und Gesundheits-, Sport- und Naturerlebnistourismus. Die Produktion und Veredelung hochwertiger regionaler Spezialitäten
aus Fischerei, Land- und Forstwirtschaft durch das lokale Gewerbe bildet die zweite Basis der
Regionalentwicklung. Lokale Unternehmeraktivitäten und Privatinitiativen werden unterstützt, mit einem Fokus auf KMU. Es wird strikt auf Sozial-, Umwelt- und Landschaftsverträglichkeit der Entwicklung geachtet. Die Dörfer haben eine hohe Lebensqualität und bieten
die notwendigen Dienstleistungen und Infrastrukturen für den täglichen Bedarf an.
Es entsteht ein regionales Bewusstsein und eine Wertschätzung für die Entwicklung der Region. Zusammen mit kontinuierlichen kleinen Investitionen in die Abwasserklärung und der gezielten Elimination einzelner Verunreinigungsquellen erholt sich die Gewässerqualität rasch.
8.4.2
Konzept zur räumlichen Entwicklung
Abbildung 31 (S. 84) zeigt eine verkleinerte Darstellung des Konzeptplans (für den Plan in
Originalgrösse mit Legende vgl. Anhang A4). Dieser weist im Bereich des Modracsees (innerer Perimeter) einen höheren Detaillierungsgrad auf; im äusseren Perimeter sind keine Bodennutzungen eingetragen. Aufgrund des Massstabes sind im gesamten Plan keine Baugebiete
eingetragen, mit Ausnahme von Entwicklungsschwerpunkten für Dienstleistungs- und Industrieansiedlungen. Wie eine Baugebietsausscheidung aussehen könnte, ist exemplarisch in
Abbildung 30 dargestellt.
Abbildung 30 zeigt zwei Bilder desselben Ausschnittes in der Gemeinde Police am Südufer
des Modracsees. Zum einen ist der kantonale Richtplan mit seinen grosszügigen Baugebietsausscheidungen abgebildet, die auch heute landwirtschaftlich genutzte oder Waldflächen
umfassen. Zum anderen ist eine mögliche Zonierung im Sinn des Alternativszenarios abgebildet, die nebst Baugebieten, die durchaus ein Siedlungswachstum zulassen, auch Schutzgebiete, Landwirtschaftsland / Wald und Gebiete zur Sicherung des öffentlichen Seezugangs umfassen. Es wurden keine genaueren Zonierungen gemacht, da dies so in BiH unbekannt ist.
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Abbildung 30 Vergleich der Baugebietsausscheidung gemäss kantonalem Richtplan (links)
resp. Alternativ-Szenario (rechts)
Legende kantonaler Richtplan
Baugebiet
Legende Alternativ-Szenario
Baugebiet
Wald
Naturschutzgebiet
Landwirtschaftsland
Gewässerparzelle (Bach)
Regionalstrasse
Öffentlicher Seezugang
Modracsee / Bach
-
Hochspannungsleitung 400 kV
Landwirtschaftsland oder Wald
Einzelbaute im Landwirtschaftsland
Mittelspannungsleitung 35 kV
Grenze der Ortsgemeinde
Quelle Bild 1: Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz (2008, Blatt 27.7);
Hintergrund Bild 2: Google Earth (2007)
Siedlung: Bodennutzung
Die Multifunktionalität der Bodennutzung wird zum Grundsatz der Region, Monofunktionalität wie z.B. im Kohletagbau zur absoluten Ausnahme. Die Ausscheidung der Baugebiete gemäss kantonalem Richtplan wird hinsichtlich einer haushälterischen Bodennutzung überprüft.
Die Ansiedlung von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen im Tal von Jala / Spreca erfolgt über Umnutzungen von Industriebrachen und bestehenden Gebäudevolumen sowie eine
Verdichtung des Bestandes. Damit kann der Bedarf nach Bauzonen über Jahr(zehnt)e abgedeckt werden. Die internationale Gemeinschaft finanziert die hierfür notwendigen, aufwändigen Altlastensanierungen mit. Bei zusätzlichem Bedarf an Bauzonen würde die Ebene zwi-
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Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
schen Lukavac und Tuzla bedarfsgerecht und etappenweise und unter Wahrung der landschaftlichen Qualitäten entwickelt; bestehende Bauten dienten dabei als Kristallisationskerne.
Abbildung 31 Konzeptplan zum Alternativ-Szenario „Wasserland“ (vgl. auch Anhang A4)
Quelle Hintergrundbild / Layout: Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz (2008)
Am Modracsee werden drei unterschiedliche Zonen gebildet. Bestehende Siedlungsgebiete
werden verdichtet und Landreserven im Innern der bestehenden Siedlungen erschlossen; erst
im Anschluss kann eine Bautätigkeit ausserhalb der bestehenden Siedlungsgebiete geprüft
werden. Dabei erfolgt stets eine Interessensabwägung zwischen Landwirtschaftsnutzung,
Landschaftsqualität und Siedlungsentwicklung. Eine Ausnahme bildet die Zone I, wo intensiver Tourismus und Wohnen die Schwerpunkte bilden und weniger Einschränkungen bezüglich Siedlungswachstum bestehen.
Siedlung: Nutzungsmix & Zentrumsfunktionen
Die verschiedenen Dörfer am See bieten einen breiten Mix an Alltagsnutzungen und Infrastrukturen, vom Einkauf über Schulen, Restaurants bis zur Kultur. Es sind auch lokale Arbeitsplätze vorhanden. Die historischen Siedlungseinheiten bleiben zur Stärkung der Identität
auch in Zukunft erkennbar; ein Zusammenwachsen der Dörfer wird durch den Erhalt natürlicher Zäsuren wie Bachläufe, Waldgebiete oder Hügelrücken vermieden. Der angestrebte Erhalt resp. Ausbau der Zentrumsfunktionen bedingt eine Verdichtung der Zentren und Ortsker-
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ne, um eine genügende Nachfrage generieren zu können. Auch eine gute Erschliessung mit
dem ÖV ist eine Grundvoraussetzung.
Verkehr: Mobilitätsverhalten & ÖV-Angebot
Angesichts beschränkter Kapazitäten auf den Strassen und der Luftverschmutzung werden der
ÖV und der Fuss- und Fahrradverkehr in der Region prioritär gefördert; der MIV spielt die
Hauptrolle in schwach besiedelten Gebieten. Der MIV wird in städtischen Gebieten durch
flankierende Massnahmen gedrosselt und dadurch die Attraktivität des ÖV gesteigert. Die
Notwendigkeit der im Richtplan vorgesehenen Strassenausbauten wird unter diesen Aspekten
überprüft, wobei die Anbindung ans nationale und internationale Strassennetz nicht in Frage
gestellt wird. Aufgrund der Topographie ist strassenseitig der Anschluss an die nördlich der
Region gelegenen Gebiete sinnvoll und wichtig (obwohl diese nicht zur Föderation gehören).
Der Ausbaustandard in Richtung Sarajevo wird aufgrund der schwierigen Topographie für
den MIV nicht gesteigert. Angesichts der umständlichen Erreichbarkeit von Nordbosnien per
Zug oder Auto und der Topographie in Richtung Landesinnere wird auch eine gute Erreichbarkeit der Region per Flugzeug sichergestellt.
Das ÖV-Netz wird aus Bahn und Bus gebildet. Bestehende Eisenbahnlinien werden reaktiviert und ausgebaut. Diese dienen nebst dem Personentransport teilweise auch als Güterbahn
für den Transport von Abbaumaterial und Industrieerzeugnissen. Durch Konzessionierungen
entsteht ein geregeltes, zuverlässiges ÖV-Angebot. Kern des ÖV-Ausbaus bildet ein stadtbahnartiger Leichttriebzug, der im Halbstunden- bis Stundentakt als Shuttle auf der Linie Lukavac-Tuzla-Flughafen-Zivinice verkehrt. Dabei wird das Trassee in Tuzla von der heutigen
Endstation in den westlichen Vororten über das historische Zentrum hinaus als Neubaustrecke
in Richtung Zivinice verlängert. Hierfür erfolgt ein Rückbau der 4-spurigen, südlich des Zentrums von Tuzla verlaufenen Hauptstrasse.
Die Erschliessung der Entwicklungsschwerpunkte mit dem ÖV ist dank deren Anordnung an
der Bahn (resp. teilweise auch Bus / Seilbahn) optimal. Die Erschliessung der Naherholungsund Tourismusgebiete am Modracsee wird durch stündliche Busverbindungen Tuzla-Kiseljak
und Zivinice-Police, die Personenseilbahn Lukavac-Prokosovici-Svatovac (siehe unten) sowie
ergänzender Busangebote auf der Strecke Lukavac-Prokosovici gebildet. Am See bestehen
Umsteigemöglichkeiten auf den Bus, der als Rundkurs regelmässig den See umfährt oder auf
das die Tourismusgebiete und –attraktionen verbindende, solarbetriebene Shuttle-Schiff. Der
im Richtplan vorgesehene, auf den MIV ausgerichtete Ausbau der Regional- und Hauptstrassen im Bereich des Sees wird gestrichen und damit bewusst eine gewisse „Unerschlossenheit“
für den MIV belassen.
Als spezielle Attraktion wird die seequerende, heute Abbaumaterial transportierende Seilbahn
(vgl. Titelbild) zu einer Personenseilbahn umgenutzt. Diese verkehrt auf der Strecke Lukavac
– Modracsee – Hügelzug Svatovac bis zu den Bergbaugebieten bei Banovici, mit den Halte85
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stellen Bahnhof Lukavac, Aussichtsturm Prokosovici, Seeufer Prokosovici, Seeufer PolicePustoline, Bergrestaurant Svatovac, Bergbaugebiet Vijenac. Für die Umnutzung wird die bestehende Infrastruktur benutzt, die einzig in Lukavac geringfügig bis zum Bahnhof verlängert
werden muss. Mit dieser Bahn wird ein entspanntes Sightseeing des gesamten Gebietes möglich. Dank mehrerer Haltestellen werden Gebiete für Naherholung / Tourismus neu erschlossen und zusätzliche Angebote wie z.B. Downhill-Biken, Wandern in den waldigen Hügeln
oder Besichtigung der Bergbaugebiete ermöglicht.
Abbildung 32 Referenzbild einer seequerenden Personenseilbahn (Gartenbauaustellung am
Zürichsee, 1959 bis 1964)
Quelle: Neue Zürcher Zeitung vom 17.4.2009, S. B10
Der Zugang zum Modracsee von den umliegenden Städten wird durch attraktive Fussgängerund Fahrradachsen gefördert. Auch am See wird die sanfte Mobilität unterstützt. Ein durchgängiger, fahrrad- und fusstauglicher Uferweg verbindet die Naherholungsgebiete und Attraktionen. Ein Verleih von Fahrrädern in den Naherholungsgebieten und subventionierte Bezugsmöglichkeiten für die Anwohner unterstützen die sanfte Mobilität.
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Landschaft & Erholung: Landschaftsqualität
Die Konzentration der Bauzonen ermöglicht im Jala- / Sprecatal den Erhalt grosser Landschaftsräume. Am Modracsee steuert ein Landschaftskonzept Erhalt und Entwicklung der
Landschaft und die Siedlungsentwicklung. Wichtige Landschaftselemente wie Gewässer mit
ihrer Bestockung oder Waldgebiete werden geschützt und günstige Voraussetzungen für den
Erhalt einer extensiven Landwirtschaft geschaffen. Auch die Feuchtgebiete, natürlichen Ufergürtel und Schwemmländer der Flüsse werden unter Berücksichtigung der touristischen Ansprüche zu grossen Teilen unter Schutz gestellt (als reinigendes Ökosystem, Naturschutzobjekte, Naturbeobachtungsräume für Touristen und die Umweltbildung). Der Abbau von Bodenschätzen erfolgt in der gesamten Region Modracsee prinzipiell untertags. Bestehende
Tagbaugebiete werden nach und nach rekultiviert.
Landschaft & Erholung: Seezugang
Es wird planerisch und baurechtlich ein genügend breiter Uferstreifen für öffentliche Zwecke
gesichert, so z.B. den Bau eines durchgehenden Uferwegs für Fahrrad- und FussgängerNutzung oder Badebereiche. Die Aufwertung der öffentlichen Seezugänge im Bereich der
Dorfkerne für Anwohner wie Naherholungssuchende erfolgt teilweise in Zusammenarbeit mit
Tourismusanbietern.
Landschaft & Erholung: Naherholung & Freizeit
Die Qualität des Naherholungsraums in den Städten wird durch die Aufwertung und Renaturierung der Flussräume, die Erweiterung der Fussgängerzonen und die Aufwertung der Parks
und Grünräume deutlich gesteigert.
Abbildung 33 Referenzbilder attraktiver Flussräume inmitten der Stadt (Limmatufer, Zürich)
Der Modracsee wird nach seinen Potentialen und Qualitäten abschnittsweise verschiedenartig
entwickelt. Das Nordwestufer ist dabei mehr auf Aktivitäten und Konsum ausgerichtet (Wassersport, Nachtleben, etc.). Das Nordostufer ist auf Ruhe Suchende, Naturerlebnis und Gesundheit / Wellness spezialisiert. Am Südufer ist ein extensiver, auf Privatangebote (B&B)
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ausgerichteter Tourismus vorhanden. Mit den weitläufigen bewaldeten Hügelgebieten ist es
zudem für ergänzende Sportangebote prädestiniert. Auch die lokalen Vereine und Organisationen bieten Aktivitäten an. Die Sport-Fischerei verschiebt ihren Fokus von den Weissfischen
auf die im nährstoffärmeren Wasser aufkommenden Speisefische wie Hecht, Forelle oder
Egli. Lokale Spezialitäten aus Fischerei, Landwirtschaft und Jagd werden in Restaurants und
Läden um den See angeboten. Die verschiedenen Bojenplätze werden in einem kleinen Hafen
konzentriert. Dabei sind auf dem See nur Solar- und Elektroboote zugelassen.
Gesellschaft: Bildungsniveau
Der Bildung wird als Zukunftskapital und Schlüsselressource für die Weiterentwicklung in
eine Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft hohe Priorität zugeschrieben. Das Niveau von
Schul- und Universitätsausbildung wird weiter gesteigert. Dabei werden allen Schichten dieselben Zugangschancen geboten. Die in der gesamten Stadt verstreuten Institute und Fakultäten werden in einem Campus gebündelt.
Die Universität gründet in Zusammenarbeit mit Umweltschutzorganisationen und den lokalen
Ortsgemeinden ein „Kompetenzzentrum Umwelt“ am Einfluss der Spreca in den Modracsee,
das sich sowohl der Umweltbildung wie auch der Erforschung des Seeökosystems widmet.
Gesellschaft: Vertrauen & Beziehungen
Das Bewusstwerden über die Entwicklung der Region und gemeinsame Aktivitäten und Anstrengungen lassen die Akteure von Zivilgesellschaft und Staat langsam Vertrauen ineinander
fassen. Eine vermittelnde Rolle übernehmen dabei Organisationen wie lokale Vereine. Die
lokalen Ortsgemeinden erhalten zudem von ihren Mutterstädten eine gewisse Autonomie zugeteilt, wodurch Aufgaben und Kompetenzen besser übereinstimmen.
Wirtschaft: Strukturwandel & Wirtschaftskraft
Anstelle von andauernden Zuschüssen in wenig zukunftsträchtige Gross-Unternehmen fokussiert der Staat Geld und Energie auf die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für Privatinvestoren und die Förderung von KMU (z.B. durch den Abbau von Hürden für die Gründung
von Unternehmen, Sanierung der Umwelt, Gewährleistung einer hohen Bildungsqualität, gute
ÖV-Erschliessung, etc.). Durch die auf KMU ausgerichtete Förderungspolitik profitiert eine
breite Schicht vom wirtschaftlichen Aufschwung, und es kann verhindert werden, dass Klumpenrisiken entstehen. Diese Stossrichtung wird aufgrund ihrer umweltschonenden und sozialverträglichen Strategie auch von der internationalen Gemeinschaft mit ihren Förder- und Projektgeldern entsprechend unterstützt.
Es werden ideal mit dem ÖV erschlossene Entwicklungsschwerpunkte wie z.B. das Eisenbahndreieck Bosanska Poljana / Sicki Brod, der Flughafen oder die Umgebung von Bahnhöfen aufgebaut. Durch die räumliche Konzentration der Industrie werden die Industriezonen für
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die Dienstleistungsbranche geöffnet. Aufbauend auf den universitären Ausbildungsgängen in
Schlüsselbereichen wie Ökonomie, Recht oder Umweltwissenschaften und dem ausgezeichneten Knowhow in bestehenden Branchen wie Medizin, Metallverarbeitung oder der chemischen Industrie werden gezielt neue, wertschöpfungsintensive Dienstleistungs- und Industrieunternehmen auch aus dem ferneren Ausland angeworben. Die aufgrund der Auslandaufenthalte der Gastarbeiter und Rückkehrer aus dem Ausland und der Lage zwischen Orient und
Okzident vorhandene hohe Sprach- und Kulturgewandtheit der Gesellschaft bietet hierzu eine
weitere günstige Voraussetzung. Auch innovative Unternehmen, die Produkte, Beratungen
und Planungen im Umweltbereich anbieten, erfahren einen starken Aufschwung.
Abbildung 34 Konzeptplan zum Alternativ-Szenario „Wasserland“: Vergrösserte Darstellung
der Region Modracsee (vgl. auch Anhang A4)
Quelle Hintergrundbild / Layout: Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz (2008)
Im Bergbau werden die staatlichen Unternehmen auf ihre Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsträchtigkeit geprüft und unrentable sowie stark umweltbelastende Abbaugebiete kurzbis mittelfristig geschlossen. Die Beschäftigten finden Alternativen in neu geschaffenen Unternehmen und Branchen. Der Abbau der stark umweltbelastenden Braunkohle und Lignit
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wird zugunsten der unterirdischen Förderung anderer Bodenschätze wie Quartzsand oder
Magnesit nach und nach reduziert.
Nach einer Initialphase, in der für die Erschaffung günstiger Rahmenbedingungen bedeutende
Investitionen nötig sind, wird der Staatshaushalt in der Folge gegenüber heute deutlich entlastet. Dank einer sozialverträglichen Neuordnung der Sozialabgaben, die eine deutliche Senkung des Abgabesatzes erreicht, kann die florierende Schattenwirtschaft zunehmend in die
formelle Wirtschaft integriert werden, wodurch dem Staat mehr Finanzmittel zufliessen. Der
Aufwand für die Erschliessung und den Betrieb von Infrastrukturen (Wasser, Abwasser,
Strom, etc.) oder die Trinkwasseraufbereitung wird dank der Konzentration der Siedlungsgebiete kleiner. Mehraufwände beim ÖV-Ausbau stehen Minderausgaben bei den Strasseninfrastrukturen gegenüber.
Im Bereich des Modracsees wird der Auf- und Ausbau und die Inwertsetzung von breit gefächerten Branchen aus dem 1., 2. und 3. Sektor möglich. Fischerei, Land- und Forstwirtschaft
sowie Rohprodukte veredelnde Betriebe (wie z.B. Fischräuchereien, Molkereibetriebe, Möbelschreinereien) bilden den einen Schwerpunkt. Deren hochwertige, unter Bio- / ÖkoStandards erzeugten Produkte (wie z.B. geräucherte Fische, Fruchtsäfte, Wildspezialitäten,
Massivholzmöbel, etc.) gelangen unter anderem in den Export, sind aber auch für den InlandMarkt und die Tourismusbranche interessant. Tourismus und Naherholung sowie Wellnessund Gesundheitsnutzungen ist der andere Schwerpunkt. Auch im Umweltbereich entstehen
Arbeitsplätze (z.B. im „Kompetenzzentrum Umwelt“). Die Wertschöpfung fällt lokal an, wovon eine Breite Bevölkerungsschicht profitiert.
Wirtschaft: Beschäftigung
Durch die Integration der Schattenwirtschaft und den wirtschaftlichen Aufschwung sinkt die
Arbeitslosenquote deutlich. In städtischen Gebieten entstehen durch den ausgezeichneten ÖV
weiträumigere Pendlerverflechtungen, im Gebiet des Modracsees liegt der Fokus auf lokalen
Arbeitsplätzen. Berufe aus den Bereichen Umweltwissenschaften, Materialwissenschaften,
Chemie oder Geologie erfreuen sich wegen der hohen Nachfrage nach Berufen mit Knowhow
im Umweltsektor (Altlastensanierungen, Gewässersanierungen und -renaturierungen, Gestaltung von Deponien, Recycling, etc.) grosser Nachfrage. Es entstehen auch neue Berufsprofile
wie z.B. Ranger oder Exkursionsleiter in den Naturschutzgebieten.
Umwelt: Umweltprobleme
Die Umweltprobleme im Bereich des Modracsees sinken deutlich, indem Raumplanung, Gewässerschutz, die lokale Bevölkerung und die Wirtschaft ihre gleich gerichteten Interessen
koordinieren. Die Umsetzung von Ufer- und Feuchtgebietsschutz und Flussrenaturierungen
helfen, die natürlichen Reinigungskräfte zu sichern. Mit Hilfe eines intelligenten Wassermanagements wird der Seepegel stabilisiert. Die kontrollierte Siedlungsentwicklung bei gleich-
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zeitiger Abwasserklärung reduziert den Eintrag von belastenden Substanzen und Abwässern.
Soziale Kontrolle vor Ort wie auch verstärkte Kontrollen der Umweltschutzbestimmungen
durch den Staat tun das ihrige dazu.
Durch die Neuausrichtung der Wirtschaft im Sprecatal und Brauchwasserrecycling sinken der
Bezug von Modracwasser wie auch die Luftbelastung beträchtlich. Der Lignit-Abbau wird
wegen der hohen Umweltbelastung eingestellt, Braunkohle nach und nach substituiert. Auch
viele gesundheitsschädigende Altlasten können in Zusammenhang mit der Sanierung von
Umnutzungsgebieten entschärft werden. Die Lärmbelastung der Wohngebiete und Zentren
wird durch den Ausbau des ÖV-Netzes reduziert.
Umwelt: Naturgefahren
Durch die Sicherung der Waldfläche, Reduktion der Zersiedlung, die nachhaltige Bewirtschaftung in Forst- und Landwirtschaft, den Schutz der naturnahen Gewässer und die Sicherung genügender Räume für die Flüsse und Rekultivierungsbestrebungen im Bergbau können
Naturgefahren (vor allem Überschwemmungen und Erdrutsche) bedeutend reduziert werden.
Ver- & Entsorgung: Energie
Die Region setzt vollumfänglich auf erneuerbare Energien, für die ausgezeichnete klimatische
Bedingungen herrschen. Nebst dem ökosystemverträglichen Ausbau der Wasserkraftnutzung
wird die Nutzung von Solar- (im Gebäudebereich) und Windenergie (in zentralen Windparks
in den Hügeln) sowie Geothermie forciert. In einer Übergangsphase muss ergänzend weiterhin Braunkohle zur Energienutzung beigezogen werden; deren Anteil sinkt aber kontinuierlich.
Ver- & Entsorgung: Umgang mit Abfällen
In 1. Priorität erfolgt eine Verbrauchsreduktion an der Quelle. Zusätzlich erfolgt ein konsequentes Recycling. Die noch verbleibende Abfallmenge wird anschliessend deponiert. Langfristig ist für die Siedlungsabfälle die Verbrennung in Kehrichtverbrennungsanlagen vorgesehen.
Die Siedlungsabwässer am Modracsee werden zum einen über die grosse Kläranlage von Zivinice gereinigt. In den Dörfern werden in Ergänzung zu objektspezifischen Massnahmen lokal mehrere kleinere Pflanzenkläranlagen installiert.
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9
9.1
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Diskussion und Schlussbetrachtung
Stolpersteine und Risiken
Beide Szenarien weisen jeweils ihre spezifischen Risiken auf, die das Erreichen der beschriebenen Entwicklung gefährden oder gar gänzlich scheitern zu lassen drohen. Diese Risiken
werden im Folgenden genauer beleuchtet; dabei wird zwischen Schlüsselrisiken, die das beschriebene Szenario fundamental bedrohen, und weiteren Gefahren unterschieden, die das
Szenario belasten, aber nicht grundsätzlich erschüttern.
9.1.1 Trend-Szenario „Stadtlandschaft - Weiterentwicklung bewährter
Konzepte“
Schlüsselrisiken
Der Kern dieses Szenarios – ein dynamisches und grossflächiges Wachstum der Stadtregion
und ihrer wirtschaftlichen Hauptträger, der Industrien – baut auf massiven Investitionen der
öffentlichen Hand auf, so z.B. in Strassen- oder Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen. Aber
auch die Förderung und Stützung von wirtschaftlich maroden Gross-Unternehmen dürfte Milliarden verschlingen, bis diese international wettbewerbsfähig positioniert sind - oder im
schlechteren Fall mit Subventionen am Leben erhalten werden müssen.
Wer diese hohen Investitionsvolumen aufbringen soll, bleibt unklar. Private Investoren werden unter der aktuellen Klimaerwärmungs-Debatte kaum das Risiko eingehen, Geld in unsaubere, wenig zukunftsträchtige Branchen wie den Braunkohleabbau zu investieren. Ebenso
wenig werden sie sich angesichts ethnischer Spannungen und der fehlenden Kooperation zwischen den Entitäten für die geplanten, grenzüberschreitenden Infrastrukturbauten begeistern
lassen. Sowohl für die grösseren Strassenbauvorhaben wie auch die grossen staatlichen Industrieunternehmen verbleibt somit primär die öffentliche Hand als Investorin. Doch die hoch
verschuldete Föderation dürfte diese Investitionsvolumen nie selbst aufbringen können. Ob
die internationale Gemeinschaft einspringt, ist angesichts der ungewissen Wettbewerbsfähigkeit und der Umweltbelastung durch Industrie- und Bergbauunternehmen mehr als zweifelhaft; auch die Finanzierung von Strassenbauinfrastukturen erscheint angesichts des fehlenden
Engagement des Kantons für den ÖV als ungewiss.
Die Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsträchtigkeit der avisierten Branchen und Unternehmen, die zumeist mit veralteten Technologien ausgerüstet sind, sich aber in einem globalisierten Markt bewegen, ist ein Schlüsselrisiko, nicht nur in Zeiten der globalen Rezession.
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Muss BiH dereinst die EU-Umweltnormen erfüllen, könnte dies die Rentabilität der heute unter weitgehender Absenz von Umweltnormen produzierenden Betriebe deutlich verschlechtern. Private Investoren werden dies berücksichtigen. Und bei Investitionen der öffentlichen
Hand müsste man die Frage stellen, ob deren Gelder nicht in zukunftsträchtigere Branchen
investiert werden sollten. Im Falle eines Scheiterns des Szenarios wären gravierende Schäden
wie eine zerstörte Landschaft und Umwelt und hohe Arbeitslosenzahlen die Folge.
Angenommen, die notwendigen Investitionen für den Strassenbau kämen zusammen, wird
dies aufgrund der besseren Erreichbarkeit einen nochmaligen Schub für die Siedlungsentwicklung in der Region Modracsee auslösen, sei es im Bereich Wohnen, Tourismus oder
Naherholung. Hat der Staat (als Umsetzender der gesellschaftlichen Werthaltungen) dabei
keine klaren Vorstellungen von der gesamthaften Entwicklung oder vermag er diese nicht in
einer qualitativen Weise zu steuern (z.B. mittels kleinerer Bauzonen, einem seeumspannenden
Landschaftsentwicklungskonzept), droht durch Zersiedlung, Nutzungsintensivierung oder –
aufgabe, Abholzung, Verlärmung, etc. ein kaum wieder gut zu machender Verlust der spezifischen Qualitäten und Potentiale der Region, das heisst vor allem der Natur- und Kulturlandschaft und der Ruhe. Dies würde sowohl die Existenz ganzer Wirtschaftszweige (wie
Tourismus oder Landwirtschaft) als auch die Handlungsoptionen zukünftiger Generationen
unwiederbringlich zerstören.
Ganz zu schweigen von den negativen Effekten auf die Gewässerqualität des Modracsees,
welche die oben beschriebene ungesteuerte Entwicklung wie auch weitere Absichten des Szenarios (Intensivierung der Landwirtschaft, Melioration von Feuchtgebieten, Degradierung der
Böden durch den Tagbau, etc.) haben würde.
Weitere Gefahren
Der Ausbau von Strasseninfrastrukturen bewirkt nach einer kurzzeitigen Entspannung der
Stausituation bekannterweise vor allem eine weitere Zunahme des wenig umweltverträglichen
und bezüglich Beförderungskapazität ineffizienten MIV. Damit werden die neuen Strassenkapazitäten schnell aufgefüllt und weiterer Bedarf für Ausbau geschaffen – ein Teufelskreis,
der die Entwicklung der Stadtregion behindern könnte. Zudem wird auch das Lärm- und
Luftverschmutzungsproblem weiter gesteigert.
Durch die Förderung der Industrien und des Bergbaus wird ein Umfeld kreiert, das mit seinen
zerstörten Landschaften, den grossflächigen Industriekomplexen und den damit verknüpften
Umweltproblemen nicht eben eine hohe Standortsqualität aufweist. Damit sinkt die Attraktivität für internationale Unternehmen und der potentielle Investorenkreis reduziert sich.
Dass das Szenario neben der Industrie weitere Wirtschaftszweige langfristig fördern kann,
bleibt unsicher: Die mehr auf den internen Markt ausgerichtete Baubranche ist stark von der
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Konjunktur abhängig; zudem droht im Privatsektor schon bald ein Sättigungsgrad erreicht zu
sein. Und die Tourismusentwicklung ist voll und ganz von einer Verbesserung der Gewässerqualität (und je nach Tourismusform vom Erhalt der Landschaftsqualität) am Modracsee abhängig, die in diesem Szenario mehr als ungewiss ist. Die massive Vergrösserung der Industriezonen, die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion und das in der Stadtregion
angestrebte Bevölkerungswachstum ziehen zudem einen stärkeren Brauchwasserbezug und
erhöhten Trinkwasserbezug nach sich, was die für Wohnen und Tourismus / Naherholung
notwendige Stabilisierung des Seewasserspiegels in Frage stellt.
Die mit diesem Szenario begünstigte Schere zwischen Arm und Reich und der Frust über den
Profit einiger weniger Akteure von der angestrebten Wirtschaftsentwicklung könnten zu sozialen Spannungen auch innerhalb der Ethnien führen. Am Modracsee geht die angestrebte
Entwicklung des gehobenen Wohnens zu Lasten der Landwirtschaftsnutzung, aber auch der
jetzigen Bewohner, die kaum mehr Arbeitsplätze vor Ort finden oder die Existenzgrundlage
des eigenen Betriebs gefährdet sehen, Infrastrukturen des täglichen Bedarfs wie auch Schulen
verlieren und nicht zuletzt durch die stark steigenden Bodenpreise verdrängt werden.
9.1.2 Alternativ-Szenario „Wasserland – Inwertsetzung brachliegender
Potentiale“
Schlüsselrisiken
Das Szenario geht einher mit bedeutenden Veränderungen. Die Verlagerung der Wirtschaftsförderung von wenigen grossen auf viele kleinere und mittlere Unternehmen, die Schliessung
unproduktiver oder stark umweltbelastender Staatsbetriebe, die Umstellung von Tag- auf
Bergbau beim Abbau von Bodenschätzen, die Einschränkung der Baugebiete oder Ausscheidung von Naturschutzgebieten dürften kurzfristig nicht nur Gewinn bringen, langfristig jedoch unverzichtbar für eine stabile, nachhaltige Entwicklung der Region sein. Weisen Zivilgesellschaft, Staat und Unternehmen die Bereitschaft für diesen Schritt auf?
Eine zweite Schlüsselfrage ist die Attraktivität der Region für ausländische Unternehmen
und Investoren und die Aktivierbarkeit des regionalen oder lokalen Unternehmertums und
der Eigeninitiative in einem als eher passiv beschriebenen Umfeld. Insbesondere die engere
Region Modracsee benötigt initiative, engagierte Persönlichkeiten, die an die Region glauben
und sich für die Entwicklung der Region einsetzen. Bezüglich der internationalen Unternehmen wird entscheidend sein, ob sich angesichts ethnischer Spannungen, Umweltproblemen
und Unzulänglichkeiten im entitätsübergreifenden Wirtschaftsraum Vertrauen in die Stabilität
des Landes und die Fähigkeit zur Problemlösung aufbauen lässt. Es müssen auch dringend
staatliche Hürden wie die enorm aufwändigen und langwierigen Bewilligungsverfahren abgebaut werden.
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Die notwendigen Investitionen in die Sanierung der Umwelt und den Ausbau des ÖV oder
der erneuerbaren Energien bedingen zudem beträchtliche Finanzmittel, die der Staat kaum
selbst erbringen kann; es besteht also auch in diesem Szenario eine gewisse Abhängigkeit von
Privatinvestoren oder Investitionen der internationalen Gemeinschaft.
Innenverdichtung ist gegenüber Aussenwachstum immer mit höherem Koordinations- und
Planungsaufwand, lokalen Widerständen und zumeist auch höheren Kosten verbunden. Auch
in diesem Bereich ist Überzeugung und Engagement von Schlüsselakteuren eine wichtige
Voraussetzung, um das Ziel der haushälterischen Bodennutzung und des Erhalts der Landschaftsqualität zu erreichen.
Weitere Gefahren
Billige Auslandferien oder Negativ-Propaganda von umweltverschmutzenden Industriekomplexen oder mangelnder Gewässerqualität können eine Gefahr für den Aufbau des Tourismus in der Region Modracsee darstellen. Die Attraktivität des Angebots hängt zudem stark
mit der Breite an Attraktionen und Aktivitäten zusammen, das durch die Kooperation verschiedener einzelner Akteure geschaffen werden kann – auch mit Anbietern ausserhalb der
Region. Auch eine unklare Positionierung der Region durch ein zu diffuses Angebot kann
marketingseitig ungünstig sein.
9.2
Abwägung der Szenarien
Das angestrebte Wachstum und die Entwicklung der Stadtregion im Trend-Szenario „Stadtlandschaft - Weiterentwicklung bewährter Konzepte“ wird primär auf Kosten der Umwelt-, Gewässer- und Landschaftsqualität erkauft, anstatt dass es Beiträge zur Bewältigung
der drängenden Probleme im Umweltbereich leisten würde. Damit ist das Ziel sowohl dieser
Arbeit wie auch der regionalen Politik, zu einer Verbesserung der Gewässerqualität am
Modracsee zu gelangen, gefährdet. Das Szenario geht im Unterschied zum AlternativSzenario zudem auch kaum auf die spezifischen Qualitäten des Modracsees und seiner Umgebung ein.
Das Trend-Szenario beruht auf den sehr optimistischen, auf starkes Wachstum ausgelegten
Annahmen und Zielsetzungen des kantonalen Richtplans, die der Autor in Frage stellt (vgl.
auch Fazit von Kap. 3.5). Es baut auf Gross-Industrien auf, die mit ihren veralteten Technologien und umweltbelastenden Produktionsmethoden nicht mehr zeitgemäss sind. Die Stossrichtung des Richtplans - ein dynamisches, mit Hilfe grosser Investitionen erlangtes Wachstum,
dessen räumliche Entwicklungen und die Umweltfolgen aber lenk- und kontrollierbar bleiben
– erscheint unter den momentanen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen in BiH nur sehr schwierig realisierbar. Die Polarisie95
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rung und Verdrängungserscheinungen könnten zu weiteren gesellschaftlichen Spannungen,
auch innerhalb der Ethnien, führen. Es wird bezweifelt, dass für die angestrebten Entwicklungen überhaupt Investoren gefunden werden können, wodurch auf lange Frist Gelder der öffentlichen Hand eingeschossen werden müssten.
Das Alternativ-Szenario „Wasserland – Inwertsetzung brachliegender Potentiale“ bietet
der Region Modracsee eine Perspektive, die auf ihre Potentiale zugeschnitten ist, und trägt zur
Sanierung des Sees bei. Die Investitionen des Staates fallen vor allem in einer Anfangsphase
an, in der er günstige Rahmenbedingungen für das Engagement der einheimischen und internationalen Investoren und Unternehmer schafft. Anschliessend kann sich der Staat schrittweise zurückziehen. Das Szenario fördert alle drei Wirtschaftssektoren, ist breit abgestützt und
reduziert damit das Klumpenrisiko einer einseitigen Förderung weniger Branchen und Unternehmen, wie es im Trendszenario „Stadtlandschaft“ der Fall ist. Über eine Aktivierung lokaler Initiativen und eine lokal anfallende Wertschöpfung lässt es viele Akteure profitieren.
Dem Autor ist bewusst, dass einige der Veränderungen auf hoher Ebene angesiedelt sind und
damit zum Teil ausserhalb des Einflussbereichs der lokalen Akteure ist. Mitentscheidend für
den Erfolg ist damit auch die Positionierung der internationalen Gemeinschaft als wichtiger
Geldgeberin oder des Hohen Repräsentanten als massgeblicher Kraft im Land.
Ein bedeutender Vorteil des Alternativ-Szenarios liegt im Angebot von Optionen. Im Tourismus- / Naherholungsbereich kann sowohl mehr auf die Karte Mehrtagestourismus wie auch
auf Naherholung / Tagestourismus gesetzt werden. Es ist eine Fokussierung auf Inland- oder
Auslandtourismus denkbar. Es können auch selektiv nur Teilgebiete des Modracsees (Zone I,
II oder III) entwickelt werden. Die beschriebenen Entwicklungsabsichten im Sprecatal resp.
am Modracsee bedingen sich zudem nicht zwingend gegenseitig: Die Förderung einer nachhaltigen, auf KMU ausgerichteten Entwicklung am Modracsee könnte auch in einem stark
industriell geprägten Umfeld im Jala- / Sprecatal erfolgen, solange gewisse Rahmenbedingungen wie die Gewässersanierung oder die Minimierung staatlicher Hürden (wie langwierige
Bewilligungsverfahren oder hohe Sozialabgaben) gewährleistet sind. In einem solchen Fall
wäre die Entwicklung des Modracsees sicherlich mehr auf Inlandtourismus und Naherholung
auszurichten als auf Auslandtourismus.
Fördergelder der internationalen Gemeinschaft dürften im Alternativ-Szenario „Wasserland“
gegenüber dem auf starkes Wachstum und traditioneller Industrie fokussierten Trend-Szenario
„Stadtlandschaft“ leichter erhältlich sein, da nachhaltige und emotional positiv besetzte Felder
wie Umweltsanierung, erneuerbare Energien oder die Förderung des ÖV im Vordergrund stehen. Auch Privatinvestoren dürften zu Investitionen in zukunftsträchtige Branchen bereit sein.
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Fazit
Um dem Ziel einer Sanierung des Modracsees zum Durchbruch zu verhelfen, scheint das Alternativ-Szenario „Wasserland“, das auf eine nachhaltige Regionalentwicklung abzielt, wesentlich erfolgsversprechender zu sein. Die Risiken scheinen besser kalkulierbar und weniger
gewichtig zu sein. Allerdings ist hierzu eine Abkehr von heute erkennbaren Entwicklungen
und eine Anpassung gewisser Zielsetzungen und Massnahmen im kantonalen Richtplan notwendig.
Mit welchen Raumplanungs- und weiteren Instrumenten die Umsetzung des Szenarios erfolgen müsste, bleibt in dieser Arbeit aus den erwähnten Gründen unbehandelt und der Kreativität der bosnischen Raumplanungsexperten überlassen.
9.3
Nächste Schritte
Die in Kap. 8 geschilderten Szenarien sollten als Nächstes mit der AGSM, der Lokalbevölkerung und allen massgeblichen und interessierten Akteuren diskutiert, angepasst und weiterentwickelt werden. Sollten die Diskussionspartner zur Überzeugung gelangen, dass das Alternativ-Szenario „Wasserland“ oder ein ähnlich gelagertes Szenario für die Region die bessere
Stossrichtung darstellen würde, müssten die Rahmenbedingungen angepasst werden. Eine
wichtige Rolle kommt dabei auch der Politik, den umliegenden Städten und dem kantonalen
Raumplanungsamt zu, da sie wesentliche Rahmenbedingungen setzen müssen oder zu beeinflussen vermögen.
Unabhängig davon, welches Szenario ausgewählt wird, sind in jedem Fall Raumplanungsmassnahmen auf gesetzlicher oder planerischer Ebene notwendig, um die Bestrebungen des
Gewässerschutzes zu einer Sanierung der Gewässerqualität unterstützen zu können (vgl. Kap.
4.2). Ansonsten drohen die heute erkennbaren oder zukünftig geplanten Entwicklungen in der
Raumentwicklung jegliche technische Massnahmen im Gewässerschutz zu unterlaufen und zu
neutralisieren.
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Federation of BiH, Sarajevo.
Fuster, T. (2009) Bosnien – ein Labyrinth für Investoren, in Neue Zürcher Zeitung vom
23. Juli 2009, 21, Zürich.
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Modrac Reservoir as Basic Ressource for Water Supply of Citizens and Industry
of Tuzla Canton – Danube River Basin, Projektunterlagen, Projektträger:
International Centre for Science and High Technologies ICS-UNIDO Trieste
Italy, CETA Geokarst Engeneering S.r.l. Trieste Italy und MPV „Spreca“ Tuzla.
98
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Institut für Urbanismus (ohne Jahreszahl) Vision 2020 – Planen Sie Ihren Lebensraum,
Mitwirkungsdokument für 2. Phase des kantonalen Richtplans (deutsche
Übersetzung), Tuzla.
Koll-Schretzenmayr, M. (2008) gelungen? misslungen? Die Geschichte der
Raumplanung Schweiz, NSL / NZZ-Verlag, Zürich.
Kurth, H. (2009) Ein auf der Strecke gebliebener Transformationsprozess: Die OHRMission in Bosnien und Herzegowina, Berichte aus Südosteuropa, 5, FriedrichEbert-Stiftung, Sarajevo / Banja Luka.
Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz (2008) Räumlicher Plan für den
Bereich des Kantons Tuzla: 2005-2025, PrintCom, Tuzla.50
Müller, W. (2009) Diaspora-Geld für Bosnien-Herzegovina, in Rendez-Vous
Sommerserie „Das liebe Geld“ vom 17.7.2009, Radio DRS 1, Zürich.
Neumann, I. (2005) Strategische Szenarioplanung von Städten und Regionen zwischen
Wissensgenerierung und Orakeln, in I. Neumann (Hrsg.) Szenarioplanung in
Städten und Regionen, Theoretische Einführung und Praxisbeispiele, 13-35,
Thelem, Dresden.
Office of the High Representative (2009) 35th Report of the High Representative for
Implementation of the Peace Agreement on Bosnia and Herzegovina to the
Secretary-General of the United Nations, Sarajevo.
Perlik M., U. Wissen, M. Schuler, J. Hofschreuder, A. Jarne, M. Keiner, D. Cavens und
W.A.Schmid (2008) Szenarien für die nachhaltige Siedlungs- und
Infrastrukturentwicklung in der Schweiz (2005-2030), Nationales
Forschungsprogamm NFP 54 „ Nachhaltige Siedlungs- und
Infrastrukturentwicklung“, Zürich.
Puhalo, S. (2005) Vertrauen der Studenten in BiH in den eigenen Staat und seine
Institutionen, Friedrich-Ebert-Stiftung, Banja Luka.
Salaj, B. (2009) Sozialer Zusammenhalt in Bosnien und Herzegowina, Friedrich-EbertStiftung, Sarajevo.
Stieger, C. (2009) Unsichtbare Mauer auf dem Balkan, in Neue Zürcher Zeitung vom
27. Juni 2009, 1-2, Zürich.
Slobodna Dalmacija (2004) Bosnien-Herzegovina braucht Kantonisierung, Interview
mit Gerold Knaus, Direktor der European Stability Initiative (ESI) vom 14. April
2004, www.esiweb.org/pdf/esi_bosniagovernance_reactions_id_8_a.pdf.
50
Übersetzung des Originaltitels „Ministarstvo prostornog uredenja i zastite okolice (2008) Prostorni plan za
podrucje Tuzlanskog kantona: 2005-2025“ (im Internet verfügbar unter http://www.vladatk.kim.ba/Vlada/
Dokumenti/pptk.htm). Der „räumliche Plan des Kantons Tuzla“ entspricht nach schweizerischen Vorstellung
in etwa einem kantonalen Richtplan.
99
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Stauffer, R. (2009) Konzept eines regionalen Netzwerks für das Gebiet Modrac-See –
Möglichkeiten und Grenzen regionaler Entwicklungsprozesse in PostkonfliktGesellschaften, MAS-Thesis, MAS in
Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung, Hochschule Luzern.
Weitere Quellen
Bericht des Ministeriums für Raumplanung und Umweltschutz des Kantons Tuzla vom
27.1.2009 (zum Gesetzesentwurf der Schutzlandschaft Konjuh).
Kantonales Gesetz über den Schutz des Stausees „Modrac“ vom 31. 5. 2006 (deutsche
Übersetzung), Tuzla.
100
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
Anhänge
A 1 Interview-Fragebogen
Allgemeine Fragen
A. Welches sind die relevantesten Entwicklungen (Siedlung, Bevölkerung, Nutzung, Projekte) in der Region Modracsee in den letzten Jahren?
B. Welches sind die wichtigsten Funktionen und Nutzungen des Modracsees und seiner
Umgebung heute? Wo sehen Sie ungenutzte Potentiale?
C. Welches sind die grössten raumplanerischen Probleme oder Konflikte im Einzugsbereichs des Modracsees? Wo besteht Handlungsbedarf?
D. Was sind die Entwicklungsabsichten am See? Gibt es Schlüssel-Projekte oder Schlüsselakteure für die weitere Entwicklung? Sind diese Akteure in die Planung miteinbezogen?
E. Wie funktioniert das Zusammenspiel der verschiedenen Gesetze und Instrumente, und
welche sind dies? Wie funktioniert die Umsetzung der Gesetze und Bestimmungen?
F. Welche aktuellen Entwicklungen bei den Gesetzen oder Planungen gibt es?
Spezifische Fragen
1. Stark einschränkende Vorschriften im “Gesetz zum Schutz des Modracsee”: Umsetzbarkeit und Umsetzung? Stand der Ausarbeitung des dazugehörigen Plans und der
Dienstvorschriften? Zusammenspiel mit Raumplanungs- und Baugesetz?
2. Wie sah das Gebiet des Stausees vor dem Stausee aus, und wie wurde es genutzt?
3. Entwicklung im Bereich Tourismus: bisher, zukünftig? Probleme, Chancen?
4. Wie war die Siedlungsentwicklung vor, während und seit dem Krieg? Gibt es Karten,
Pläne, Luftbilder dazu?
5. Hintergrund und Bedeutung des Gesetzes zur Legalisierung illegal gebauter Bauten?
6. Umsetzung des kantonalen Richtplans: konkretes Vorgehen, Produkte, Probleme
7. Stand Abwasserbehandlung / Kläranlagen: Standort, Kapazität, etc.
8. Aussagen des kantonalen Richtplans im Bereich Modracsee (BauzonenDimensionierung; Teil des städtischen Dreiecks/Kleeblatts; Industriezonen-Grösse
Lukavac; geplante Strasseninfrastrukturen; Erholungs-Komplexe und ihre Standorte)
A-1
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee
03.08.2009
A 2 1:50’000-Karte der Region Modracsee (1992)
Quelle: East View Cartographic
A-2
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee __________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ 3.8.2009
A 3 Konzeptkarte zu Trend-Szenario „Stadtlandschaft“
Quelle: Ministerium für Raumplanung und Umweltschutz 2008; Legende vom Autor sinngemäss ins Deutsche übersetzt
A-3
Szenarien zur Raumentwicklung der Region Modracsee __________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ 3.8.2009
A 4 Karte Alternativ-Szenario „Wasserland“
A-4

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