Das Projekt Zukunft.

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Das Projekt Zukunft.
WISSENSCHAFT & DEBATTE
MITTWOCH, 29. MÄRZ 2006 | NR. 63
THINK-TANKS
|9
Anpfiff zum Milliardenspiel
UNSERE THEMEN
MO ÖKONOMIE
DI ESSAY
Fußball und Geld: Sozialwissenschaftler visualisiert den internationalen Handel mit Fußballprofis
MI GEISTESWISSENSCHAFTEN
R. WENGENMAYR | FRANKFURT
KERSTIN SCHNEIDER | BERLIN
R
ousseaus Diktum „Zurück zur
Natur“ wird in Deutschland
wörtlich genommen. Natur ist
zum Sporterlebnisraum für Mountainbiker, Skifahrer oder NordicWalker geworden. Auch Unternehmen nutzen den Freizeitwert einer Region, um Mitarbeiter anzulocken. Welche gesellschaftlichen
und ökologischen Auswirkungen
dieser Ansturm der Freizeitsportler hat, wird am Institut für Natursport und Ökologie der Deutschen Sporthochschule Köln
(DSHS) erforscht.
Dort arbeiten 30 Sport- und Naturwissenschaftler gemeinsam an
Forschungsprojekten,
beraten
Kommunen,
Naturschutzverbände und touristische Unternehmen. „Vor allem Tourismusgemeinden sind an unserer Arbeit interessiert, weil sie von einer intakten Natur und Landschaft abhängen“, erklärt Institutsleiter Professor Ralf Roth. Zu den Forschungsthemen gehört die Untersuchung
von Sportbedarf und -entwicklung in siedlungsnahen Gebieten,
in touristischen Regionen und in
Naturschutzgebieten. Fragen werden sowohl aus sozialempirischer,
ökonomischer als auch ökologischer Perspektive diskutiert: Welche Sport- und Erholungsangebote braucht man? Wie lenkt man
die Nutzer? Welche Auswirkungen auf das Ökosystem gibt es?
„Wir müssen schon mal Kommunen überzeugen, dass sie nicht
stärker in Wintersport investieren, und bieten andere Lösungsmöglichkeiten an“, sagt Roth.
Das Institut ist eingebunden in
das Centrum für nachhaltige
Sportentwicklung (CENA), eines
der vier Kompetenzzentren der
DSHS. Das CENA wurde vor vier
Jahren gegründet und bündelt die
Kompetenzen von vier Instituten:
neben Natursport und Ökologie
die Institute für Freizeitwissenschaft, Sportsoziologie sowie
Sportökonomie und Sportmanagement. Um die Projekte abzustimmen, treffen sich die Forscher aus
allen Instituten und verteilen Aufgaben innerhalb des Netzwerkes.
Im WM-Jahr hat das Institut
mit der Unesco und der Aktion
saubere Landschaft, einer Umweltinitiative der deutschen Wirtschaft, ein Symposium zum
Thema „Umwelt, Nachhaltigkeit
und Sportevents“ veranstaltet.
„Neben Umwelt- und Ressourcenschutz ging es auch um die Frage,
wie man große Sportveranstaltungen nutzt, um Umweltthemen zu
kommunizieren“, sagt Roth. Solche Fragen sollen stärker internationale diskutiert werden.
Doch viele Menschen, häufig
Kinder, werden vom Sportenthusiasmus nicht erreicht. Ein gesellschaftliches Phänomen, das die
Wissenschaftler in ihre Untersuchungen mit einbinden müssen.
Das Institut für Natursport und
Ökologie (DSHS) im Internet:
www.dshs-koeln-natursport.de
Mit Algorithmen zur Ästhetik
Krempels Grafik zeigt, dass FC Chelsea, Juventus Turin und Real Madrid
die Clubs mit den meisten ausländischen Spielern sind. Offenbar sind
sie besonders kaufkräftig. Das Gros
der Spieler kommt aus Brasilien. Das
überrascht kaum – eher die Bedeutung Großbritanniens. Deutschland
agiert in beiden Fällen im Mittelfeld,
ist aber eng mit allen wichtigen Fußballmärkten vernetzt.
Nach Krempels Ansicht liegt es an
den Besonderheiten unseres Systems, dass die deutschen Vereine, allen voran Bayern München, beim
Handel nicht ganz vorne mitspielen.
Der Deutsche Fußball-Bund vermarktet die Übertragungsrechte zentral.
Dabei verteilt er die Erlöse so um,
dass auch kleinere Vereine und der
Breitensport profitieren. „Die größten Clubs werden dabei sozusagen
stärker besteuert“, so Krempel. Entsprechend weniger Kapital haben sie
für den Einkauf von Spielern.
Die Ästhetik und Leichtigkeit von
Krempels Netzwerkbildern täuschen
DO NATURWISSENSCHAFTEN
FR LITERATUR
WORLD VIEW
USA
The New York Times
Illustration: Lothar Krempel, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln
Sport und
Ökologie
Lothar Krempels neuester Coup ist
die Analyse des internationalen
Marktes für Fußballprofis. Der Sozialwissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in
Köln fragte sich, welcher Nationalspieler bei welchen Vereinen im Ausland spielt. Im Internet fand er alle nötigen Daten, zum Beispiel die Spielerlisten des internationalen Fußballverbandes Fifa.
Der Wissenschaftler ist Experte in
der Erforschung von unterschiedlichsten gesellschaftlichen Netzwerken. Er zeichnet sie in farbigen Karten nach, die das oft komplexe Beziehungsgeflecht leicht lesbar machen.
Intuitiv erkennen Betrachter, welcher Akteur wichtig ist, welcher
nicht und wer mit wem in Verbindung steht. Da die Grafiken kaum erklärenden Text benötigen, sprechen
sie eine Sprache, die international
verständlich ist.
Sein Fußball-Projekt sieht der Forscher keinesfalls als nette Spielerei
zur Weltmeisterschaft. Mit nur zwei
Zahlen skizziert er, welche enorme
wirtschaftliche Bedeutung dieser
Markt hat: Während die in Genf ansässige
Welthandelsorganisation
WTO dieses Jahr mit einem Budget
von rund 110 Millionen Euro auskommen muss, weist allein die Fifa in ihrem Geschäftsbericht 2004 einen Umsatz von knapp 475 Millionen Euro
aus. Im Jahr der WM dürfte dieser
noch kräftig steigen.
Krempel interessiert am Vergleich
beider Organisationen besonders die
Tatsache, dass die WTO derzeit eher
noch für den klassischen Welthandel
mit Industrieprodukten steht. Der
Handel mit Fußballprofis gehorcht jedoch neueren Marktgesetzen. „Der
jüngste internationale Markt ist der
Handel mit Eigentumsrechten, mit
Patenten und Urheberrechten“, stellt
der Forscher fest.
Ein solcher Motor treibt auch den
Spielermarkt an, denn das Kapital
kommt zunehmend aus dem Verkauf
von Übertragungsrechten. Das Fernsehen vor allem spült enorme Erträge in die Kassen der großen Clubs.
„Manchen Clubs bringt das bei den
Einkünften dreißig Prozent und
mehr“, sagt Krempel, „während die
Eintrittskarten im Schnitt nur noch
gut zwanzig Prozent ausmachen.“
Weitere Einnahmequellen sind Sponsoren, Merchandising und die Börse
– vor allem bei britischen Clubs.
Komplexe Beziehungsgeflechte: Die Grafik zeigt den internationalen Markt für Fußballprofis. Die Heimatländer der Spieler sind als Quadrate dargestellt, die Vereine als Kreise. Die Farben repräsentieren ausgewählte Länder. Je größer ein Symbol ist, desto größer sein Gewicht im Netzwerk – so haben der FC Chelsea, Juventus Turin und Real Madrid die meisten ausländischen Spieler. Die Dicke der Pfeile repräsentiert die Menge der transferierten Fußballer.
darüber hinweg, dass sie mit Hilfe ausgefeilter Mathematik und leistungsfähiger Computer entstehen. „Erst seit
zehn, 15 Jahren können wir solche
Mengen an Informationen ordnen“,
sagt Krempel. Die mathematischen
Verfahren stammen aus der Physik
und der Technik. Mit ihnen errechnen zum Beispiel die Designer elektronischer Chips, welches elektrische Netz die vielen Millionen Transistoren so optimal verbindet, dass
die Leitungen sich möglichst selten
überkreuzen.
Krempel nutzt die Fähigkeit dieser
Algorithmen, um auch sehr unübersichtliche Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Akteuren entflechten zu können. Seine Bilder machen
das verborgene Innenleben großer
Datenmengen für unseren visuell arbeitenden Verstand sinnlich erfassbar. Diese blieben sonst völlig abstrakt. „Die Psychologen nennen das
auch externalisiertes Denken“, erklärt Krempel den vor die Augen verlagerten Verarbeitungsprozess.
Die Daten über den internationalen Markt für Fußballprofis hat der
Wissenschaftler in verschiedenen Bildern aufbereitet. Bei seiner Analyse
des Spielermarktes entdeckte er
auch, dass dieser die Form einer Pyramide hat. An der Spitze stehen die
reichsten Clubs, die vor allem Spieler
aus dem Mittelbau der Fußballnationen kaufen. Diese wiederum holen
sich ihre Talente aus den weniger entwickelten Ländern an der Fußball-Peripherie.
Entgegen der Spielerwanderung
fließen über die Kaufsummen Geldströme vom Zentrum zur Peripherie.
„Die Muster in den Bildern sind also
gar nicht so unschuldig, wie sie auf
den ersten Blick anmuten“, bilanziert
Krempel.
Auf keinen Fall unschuldig ist die
Visualisierungsmethode, die der Sozialwissenschaftler entwickelt hat.
Krempel bricht damit fast schon ein
Tabu. „Die Geisteswissenschaft hat
sich vom Bild immer abgewendet,
weil sie nach Wahrheit hinter den
Dingen sucht“, erklärt er, „da stört
das Bild, weil es eher ein Trugbild
ist.“ Das berechtigte Misstrauen der
Geisteswissenschaft erwächst aus
der historischen Erfahrung. Immer
haben die Herrschenden versucht,
die Macht der Bilder für ihre Zwecke
zu instrumentalisieren. Das reicht
von den Heiligenbildern der Kirche
bis zur Selbstdarstellung des Adels,
der sich zumindest im Bild „unsterblich“ machen konnte. Die reichen
Handelsblatt
Schwerpunkt
Bürger haben das später übernommen.
Umso wichtiger ist für Krempel
die Nachvollziehbarkeit seiner Bilder.
Auf einer Odyssee durch andere Disziplinen von der Kartografie bis zur
Farbmetrik hat er eine Bildsprache
entwickelt, deren Elemente streng
wissenschaftlich begründet sind. Damit versucht der Forscher, die Zweifel
seiner Kollegen auszuräumen.
Seine größten Erfolge feiert er zurzeit bei Managern in Wirtschaft und
Politik. Diese wissen die Aussagekraft seiner Bilder sehr zu schätzen.
Kürzlich führte er in drei spinnen-
netzartigen Grafiken eindrucksvoll
den Zerfall des Firmengeflechts der
„Deutschland AG“ vor Augen. Kein
Text oder Zahlenwerk vermag das so
klar und deutlich. „Das ging durch die
Medien, sogar die Deutsche Bank
fragte an, ob sie die Bilder für Schulungszwecke verwenden darf “, erzählt Krempel. Eine seiner frühen
Grafiken, die das Handelsgeflecht
zwischen den OECD-Ländern darstellt, hat es sogar in die New Yorker
Hall of Science geschafft.
Infos zum Thema Netzwerkvisualisierung: www.mpifg.de/
ak/themen/visual.html
Hoch gelobt vom Rezensenten
wird ein neues Buch über den
Irak-Krieg: „Cobra II“ von Michael
R. Gordon und Bernard E. Trainor. An diesem spannend geschriebenen Werk, das den Titel
der Militär-Operation zum Sturz
Saddam Husseins trägt, werde
sich künftig jedes Buch zum
Thema messen müssen, schreibt
Sean Naylor. Detailliert schildern
die Autoren, wie es zur Irak-Invasion im März 2003 kam, wie Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Meinung militärischer Experten in den Wind schlug, die ein
größeres Kontingent als 140 000
Soldaten forderten. Hier habe der
Kern für die Anarchie und das
Missmanagement nach dem
Ende des Saddam-Regimes gelegen, meinen die Autoren. Und sie
ziehen einen weiteren interessanten Schluss: Obwohl Präsident
Bush noch im März 2002 erklärte, es gebe keine Kriegspläne
gegen Irak, habe die US-Regierung schon Ende 2001 den
Schwerpunkt von Afghanistan
nach Irak gelegt und mit der Planung einer Invasion begonnen.
www.nytimes.com/2006/
03/28/books/28nayl.html
Großbritannien
The Guardian
Duncan Campbell schreibt, dass
Hunderte von Deserteuren der
US-Army nach Kanada gekommen seien und versuchten, den
Status eines politischen Flüchtlings zu erlangen mit dem Argument, dass die USA im Irak
Kriegsregeln gebrochen hätten.
In einem Präzedenzfall steht das
Urteil unmittelbar bevor.
www.guardian.co.uk/usa/
story/0,,1740987,00.html
Die Kernergebnisse der Studie des Basler Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos belegen es beeindruckend:
Die Aufgaben, die auf Deutschland bis 2030 zukommen, sind enorm. Wachstumsschwäche, Verschuldung und
Arbeitslosigkeit werden uns erhalten bleiben.
Das Handelsblatt wagt am 3. April einen realistischen und ungeschönten Blick in die Zukunft. Der neue
Deutschland Report 2030 zeigt wissenschaftlich fundiert, wie sich Verschuldung, Beitragssätze und
Renten entwickeln, wo Problemfelder aber auch Chancen liegen. Erstmalig in Deutschland ...
Der Prognos Deutschland Report 2030.
Das Projekt Zukunft.
„Die Zukunft hat schon begonnen. Aber noch kann sie,
wenn rechtzeitig erkannt, verändert werden.“ Robert Jungk
Meinungsvielfalt und Kommunikation
Die Universität Dortmund feiert 30 Jahre Medienökonomie in Deutschland
CHRISTOPH MOSS | DORTMUND
Expertentagungen haben etwas von einem Familientreffen. Man kennt sich,
man schätzt sich, man hat sich viel zu
erzählen. Die Familie der Medienökonomen lebt und arbeitet über den Globus verteilt – umso interessanter sind
die Gespräche, wenn Mitglieder dieser Gesellschaft Geburtstag feiern.
Vor 30 Jahren wurde in Deutschland, in Dortmund, die Medienökonomie begründet – ein wissenschaftliches Fach, das Ökonomie und Kommunikationswissenschaft
verbindet.
Gerd Kopper, Journalistik-Professor
an der Universität Dortmund, war der
erste Lehrstuhlinhaber dieser Disziplin. Sein Kollege Jürgen Heinrich verfasste das erste Lehrbuch zu diesem
Fach in Deutschland. „Medienökonomie“, schreibt Heinrich dort, „untersucht, wie die Güter Information, Unterhaltung und Verbreitung von Werbebotschaften in aktuell berichtenden
Massenmedien produziert, verteilt
und konsumiert werden“. Letztlich
hinterfragt Medienökonomie also die
wirtschaftlichen Bedingungen des
Journalismus. Und damit erklärt sich,
warum diese Disziplin viele Anhänger in der Kommunikationswissenschaft hat.
Zur Feier im Dortmunder ErichBrost-Institut kamen Experten aus
Frankreich, Großbritannien, Österreich, Spanien, Ungarn, Schweiz, Holland, USA und Deutschland. Der international renommierteste Vertreter ist
Robert Picard, Professor an der USHochschule Harvard und an der
schwedischen Jönköping International Business School. Die Beschäftigung mit dem Thema Medienökonomie habe stark zugenommen, sagte Picard. Weniger als ein Dutzend Forscher weltweit habe sich vor drei Jahrzehnten mit dem Fach auseinander gesetzt. „Heute sind es Hunderte.“ Und
doch sei das Fach noch immer ein Wai-
senkind, gemessen an seiner Bedeutung.
Europäische Medienökonomen setzen sich häufig mit Fragen der Medienkonzentration auseinander. Wenn Tageszeitung A die Tageszeitung B
kauft, untersuchen die Forscher die
ökonomischen Effekte einer solchen
Transaktion – zum Beispiel Effizienzgewinne, die entstehen, weil journalistische Produkte in der Herstellung nahezu gleich teuer sind, egal ob sie von
vielen oder von wenig Lesern goutiert
werden. Die Medienökonomen hinterfragen aber auch die journalistischen
Konsequenzen, insbesondere für die
Meinungsvielfalt, die immer dann leidet, wenn ein Monopolist bestimmen
kann, welche Themen in seinen Medien wichtig sind. Ein gemeinsamer
europäischer Medienmarkt existiere
jedenfalls noch nicht, so das Fazit der
Experten. Und auch eine gemeinsame
Medienkonzentrationskontrolle sei
noch nicht in Sicht.
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Mehr Informationen unter www.prognos.com/deutschlandreport