Was ist die Matrix - Pädagogische Hochschule Karlsruhe

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Was ist die Matrix - Pädagogische Hochschule Karlsruhe
„Wir treffen uns heute Nachmittag zum Theologie-Seminar in Second Life…“
– PH Karlsruhe beschreitet neue Wege virtueller Hochschuldidaktik
Erfahrungen einer Studentin aus dem Seminarangebot „(Religions)Pädagogisches Handeln in virtuellen Welten“ von AOR Gerhard Mäckle und Prof. Dr. Thomas Meurer
Sie denken, sie bräuchten mindestens 9 Leben um die ganze Welt kennen zu lernen? Jedes
Museum ihrer Wahl zu besichtigen und eine Sightseeingtour durch ganz Europa oder Asien
zu machen? Seien sie ganz unbesorgt, denn alles was sie dazu brauchen ist ein zweites Leben
und hier bieten sich ganz neue Möglichkeiten in der online 3D Welt „Second Life“ von dem
Erfinder Linden Lab, die die Pädagogik und Theologie Studierenden der PH Karlsruhe gemeinsam mit der Goethe-Universität Frankfurt in zwei parallel laufenden Vorlesungen erkunden. Aber was genau ist eigentlich „Second Life“ und wie kommt man dort hin?
Man muss im gewissen Sinne „neugeboren“ werden, in Form eines Avatars, was nichts anderes heißt als in Form einer künstlichen Figur, eines Stellvertreters. Ob man diesen Avatar als
sein Ebenbild erschaffen möchte oder in die Rolle einer völlig neuen Person schlüpfen will
bleibt jedem selbst überlassen.
Zu Beginn findet man sich auf einem „Help Island“ wieder, auf dem man in einem kleineren
Gebiet, mit anderen Neulingen, die Welt von Second Life erkunden kann. Man lernt zu gehen,
zu laufen, ja sogar fliegen ist in dieser Welt kein Problem. Trotz der großen Arbeit, Second
Life möglichst realitätsnah nachzubilden befinden wir uns also plötzlich jenseits der Erdanziehungskraft und schauen aus der Vogelperspektive unseren Mitmenschen beim Leben zu.
Durch ein kleines Fenster am unteren Rand des Bildschirms hat man die Möglichkeit mit den
anderen Avataren, bzw. mit den Personen, die hinter diesen künstlich erstellten Menschen
stehen, Kontakt aufzunehmen. Durch ein Mikrofon kann man sich sogar auf akustischer Ebene mit den Mit-Avataren unterhalten. Auch wenn man in dieser Welt weder Schmerzen erleiden noch sterben kann, sollte man, grade mit persönlichen Informationen, sehr vorsichtig sein.
Wer weiß, wer an der anderen Seite des Bildschirms sitzt und von einem Moment auf den
anderen kann ihr zweites Leben Auswirkungen auf ihr Reales haben. Es gibt zwar auch Regeln und Etikette für Second Life, aber wie im Real Life auch gibt es immer wieder Menschen, die sich dem widersetzen. Es sei also alles mit Vorsicht zu genießen.
Hat man sich in auf der Hilfs-Insel einigermaßen zurechtgefunden geht es auch schon gleich
weiter, in die nahezu unendlichen Weiten von Second Life.
3 verschiedene Länder in nur 1 ½ Stunden. Sie glauben, dass ist nicht möglich? Willkommen
in der Welt von Second Life. Hier findet man Deutschland, ja sogar Baden-Württemberg,
Hamburg, Berlin, Rom, New York, die Bronx, Italien, Griechenland ... Und innerhalb von
wenigen Sekunden kann man sich an jeden beliebigen Ort teleportieren. Und schon wieder
widersetzen wir uns den Naturgesetzen der realen Welt. Aber genau das macht dieses zweite
Leben ja so unglaublich interessant. Die Tatsache, dass ich mit meinem Avatar weniger Einschränkungen habe und Dinge ausprobieren kann, die im realen Leben unvorstellbar wären.
Hängt der Computer an einer Stelle, dann drückt man einfach auf „Reset“ und schon wird das
Leben neu gestartet. Wird eine Situation zu anstrengend oder unangenehm, so drückt man
einfach auf „Exit“ und schon ist man raus.
In unserer ersten Sitzung, in der wir mit der Gruppe von Studierenden der Goethe-Universität
Frankfurt zusammenarbeiten, treffen wir uns vor St. Georg. Natürlich sitzt dabei jeder in seinem Seminarraum und keiner befindet sich auch nur in der Nähe der Kirche. Es handelt sich
hierbei um unseren ersten Lehr- und Lernversuch Versuch in der virtuellen Welt. Wird das
der Unterricht der Zukunft?
Die nicht zu 100%-ige Planbarkeit von Unterricht wird hier durch technische Probleme noch
sichtbarer, hier ein Rauschen, da hängt jemand oder wird gar „rausgeschmissen“, trotzdem
schaffen wir es, uns in Gruppen online zu besprechen.
Als Seminar-Gruppen wollen wir uns zum einen mit den Chancen und Gefahren der virtuellen
Welt beschäftigen und uns vor allem der Verbindung von Religion und Pädagogik widmen.
Welche Möglichkeiten für den Unterricht der Zukunft bietet so eine Online-Welt?
Zum anderen, werden wir im Laufe des Semesters in Kleingruppen einen Platz in Second Life
online „vor Ort“ vorstellen. Wir werden beispielsweise gemeinsam den Kölner Dom besichtigen, uns das Holocaust-Denkmal in Berlin ansehen oder ein Museum an einem anderen Ort
auf der Welt besuchen. Alles was wir sehen ist dabei künstlich und nachgestellt, aber alles
was wir hören, die Vorträge unserer Kommilitonen, die historischen Begebenheiten sind real.
Gleich zu Beginn unserer „Reise“ treffen wir auf den „Architekten“ von St. Georg, natürlich
nur von dem zweiten St. Georg. Er führt uns durch das Gebäude und erzählt uns einiges dazu.
Eine Führung, zu der wohl die wenigsten von uns im realen Leben gekommen wären, denn
wann trifft man schon einmal den Architekten einer solchen Kirche persönlich?!
Unser erster größerer Ausflug führt uns nach Mekka. Eine Online-Pilgerreise sozusagen und
schon zeigen sich die Vorteile und Überraschungen eines nicht vollständig planbaren Unterrichts. Als erstes müssen wir unsere Schuhe ausziehen, denn ob real oder virtuell, es handelt
sich hierbei um eine heilige Stätte und man sollte der Religion im ersten, wie im zweiten Leben seinen Respekt zollen.
Natürlich kommt schnell die Frage auf, ob dies nicht etwas zu übertrieben sei, „doch denkt
man länger darüber nach, finde ich es doch recht sinnvoll möglichst nah am realen Leben zu
bleiben.“ (Zitat Student).
Während wir uns nacheinander mit Hilfe einiger Koffer, die sich am Eingang befinden in kostenlose Gewänder einhüllen (nicht alles in Second Life ist ohne Geld zu bekommen), kommt
eine Frau auf uns zu, die uns, dank ihres Deutsch-Übersetzungsprogramm, einige Informationen zu Mekka geben kann und ihre Hilfe für weitere Erkundungstouren und Informationen
anbietet. Und genau hier kommt wieder einmal der reale Aspekt von Second Life zum Tragen, die Tatsache nämlich, dass ein anderer Mensch, den wir nicht kontrollieren können, unverhofft auftaucht und mit uns agiert. Wären wir im realen Mekka, würden dort sicherlich
auch Touristenführer oder ähnliches stehen und ihre Hilfe anbieten.
Natürlich hat Second Life, wie alles Virtuelle, auch seine Grenzen. So muss man doch noch in
die reale Welt zurückkehren, um vom Sofa, Schreibtischstuhl oder Pult aufzustehen um sich
Essen zu machen. Second Life bietet zwar die Möglichkeit der Kommunikation, aber sonst
können keine der Grundbedürfnisse dort befriedigt werden. Der Avatar kann zwar lachen,
aber freuen muss man sich schon selbst. Doch alles was auf eine virtuelle Ebene gestellt werden kann, kann dort zum Einsatz kommen. Man kann Texte, Karten und Bilder untereinander
verschicken. Und auch für viele Firmen bietet Second Life eine Plattform um neue Kontakte
zu knüpfen, Produkte zu verkaufen - sei es nun durch Linden Dollar (die Währung in Second
Life) oder letztendlich durch den Euro, oder andere reale Währungen.
Grade in der heutigen Mediengesellschaft sollte betont werden, dass Second Life eine Erweiterung, nicht aber ein Ersatz des realen Lebens ist. Wie uns Filme wie „Matrix“ zeigen, kann
man sich sehr schnell in solchen virtuellen Welten verlieren und zu leicht den Realitätsverlust
verlieren. Doch allein die Tatsache, dass wir mit einer anderen Universität Seminare online
abhalten können zeigt, dass der Unterricht der Zukunft durchaus auch online stattfinden kann
und sich so manche neuen Möglichkeiten auftun. Nehmen wir als Beispiel einen Schüler, der
dank Internet vom Krankenbett aus am Geschichtsunterricht in der 4. Stunde teilnehmen
kann. Auch dient solch eine Plattform mit all ihrer Vielfalt der Veranschaulichung und somit
dem Verständnis. Wird also das nächste Mal im Religionsunterricht vom Kölner Dom gesprochen, so teleportiert man sich eben einfach schnell dort hin, um sich ein eigenes Bild davon machen zu können. Auch zahlreiche Museenbesuche können online mit Klassen veranstaltet werden, ohne einen Bus organisieren und Eintritt zahlen zu müssen.
Wie schnell es von unserem Seminar mit E-Meetings mit Online-Unterrichtsversuchen zum
etablierten E-Learning kommen wird ist noch unklar. Es gilt erstmal herauszufinden, in welchem Umfang solch ein Lernen überhaupt Sinn macht und wo es eher zu Abstumpfung oder
Verhinderung des Lehrens und Lernens führen kann.
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen haben wir Studierenden einen Kriterienkatalog, einen so genannten „Second-Life-Guide“ an die Hand bekommen. Demnach müssen wir Orte
und Gebäude in der virtuellen Welt nicht nur nach ihrem historischen Hintergrund bewerten,
sondern auch einen Blick auf die Didaktik werfen. Inwiefern macht es Sinn, mit Schülern
bestimmte Unterrichtsthemen online zu besprechen, ist ein Selbstlernen möglich und welche
interaktiven Möglichkeiten gibt es an den vorgestellten Orten?
Fest steht jedoch, dass sowohl für Schülerinnen und Schüler (es gibt ein extra „Second Life“
für Minderjährige) wie auch für Erwachsene „Second Life“ eine völlig neue Plattform bietet
um sich auszutauschen, Erfahrungen zu machen und weiter zu bilden. Und auch, wenn diese
Online-Welt durchaus ihre Grenzen hat, so sei abschließend mit dem Logo von Apfelland,
dem wohl beliebtesten deutschen Ort in Second Life, zu sagen: „Im Apfelland ist alles möglich“ also lassen auch sie ihr zweites Leben nicht länger auf sich warten und tauchen sie ein,
in die Welt von „Second Life“.
Sarah Rehkopf