Schreiben vom 04.04.2016
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Schreiben vom 04.04.2016
An Winfried Kretschmann, Bündnis 90/Die Grünen Edith Sitzmann, Bündnis 90/Die Grünen Thomas Strobl, CDU Guido Wolf, CDU Stuttgart, 4. April 2016 Zu den beginnenden Koalitionsverhandlungen in Baden-Württemberg: Vielfalt wirkt positiv, wenn sie sichtbar gemacht und gelebt wird! Sehr geehrter Winfried Kretschmann, sehr geehrte Edith Sitzmann, sehr geehrter Thomas Strobl, sehr geehrter Guido Wolf, an diesem Mittwoch beginnen in Baden-Württemberg die Koalitionsverhandlungen zwischen Bündnis 90/Die Grünen und der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Der überaus großen Bedeutung dieser Gespräche, weit über die Landesgrenzen hinaus, sind Sie sich natürlich alle vollumfänglich bewusst. Sie tragen im Rahmen dieses Prozesses aber auch Verantwortung für einen diskriminierungsfreien und respektvollen Umgang mit Minderheiten. Für uns als IG CSD Stuttgart e.V., dem Trägerverein des Christopher Street Day-Kulturfestivals in der Landeshauptstadt und politisch engagierten Verein, spielen die Verhandlungen zur grün-schwarzen Regierungskoalition eine gewichtige Rolle. Natürlich insbesondere aus dem Blickwinkel der Belange von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren Menschen im Land. In den vergangenen fünf Jahren hat sich Baden-Württemberg auf den Weg gemacht hin zu mehr Akzeptanz und Gleichberechtigung. Und dies nicht zum Selbstzweck, sondern zum Wohle der Gemeinschaft. So ist doch der Umgang mit Minderheiten einer der wahren Gradmesser für unsere Demokratie. Selbstverständlich ist uns sehr wohl bewusst, dass in diesem Themenfeld für die angehenden Koalitionäre durchaus Potenzial für unterschiedliche Sichtweisen oder gar offene Konflikte liegt. Wir wollen Sie jedoch ermutigen, diese Aspekte vorschnell oder gleich ganz beiseite zu wischen. Stellen Sie sich dem partnerschaftlichen Diskurs auch in dieser Sache. Er lohnt sich. Und das für alle Beteiligten im Land. Gerne möchten wir mit diesem Schreiben die von unserer Warte aus wichtigsten Punkte skizzieren, die den bisher eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen würden: Im Mittelpunkt steht die Weiterentwicklung des Begonnenen in der Beförderung von Strukturen und Beratungsangeboten in angemessener, weil gut erreichbarer, vernetzter und sichtbarer Weise. So wird lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren Menschen eine aktive Teilhabe in der Gesellschaft ermöglicht. Um bereits in der Schule einen wirksamen Schutz vor Diskriminierung zu schaffen, ist eine angstfreie Bildung das klare Ziel. Das bedeutet, die Vielfalt von Geschlecht sowie die Vielfalt sexueller Orientierung als Teil der Gesellschaft sichtbar zu benennen. Eine klare Unterstützung für inter- und transsexuelle Kinder sowie Regenbogenfamilien ist anzustreben, um alle willkommen zu heißen und niemanden auszuschließen. Wichtig ist eine Unterstützungshaltung des Landes für die Leistungspflicht der Krankenkassen bei begleitenden Therapien und medizinischen Eingriffen für transsexuelle und transgender Menschen. Zudem gilt es, ein Problembewusstsein zu schaffen, um ungewollte und nicht-indizierte geschlechtszuweisende Operationen bei Intersexualität zu verhindern. Gesellschaftliche Vielfalt soll auch in den Beratungsgremien Einzug halten. Dabei geht es nicht um eine starre Quotierung, sondern um die Berücksichtigung realer Lebensentwürfe in Bereichen, in denen sie bisher (nahezu) unsichtbar sind. Aus der Geschichte zu lernen heißt, sie umfassend aufzuarbeiten. Hier liegt, was die Schicksale von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren Menschen angeht, weiterhin einiges im Verborgenen. Beispielsweise in der Repressions-Geschichte vor, aber gerade auch nach 1945. Zu klären wird auch sein, wie eine grün-schwarz geführte Landesregierung eine gemeinsame Haltung in Fragen der Gleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften sowie rund um die Belange von Regenbogenfamilien findet. Und nein, bei all den hier aufgeführten Aspekten geht es keineswegs um Sonderrechte oder eine einseitige Überbetonung einzelner Weniger. Es geht vielmehr um den Umgang mit gesellschaftlichen Realitäten. Von dieser vorhandenen Vielfalt können die Menschen und das kann das Land profitieren. Vielfalt macht uns stark und ist mitnichten eine Bedrohung. Wo sie jedoch als solche wahrgenommen oder zu eben dieser stilisiert wird, ist Aufklärung zu leisten und den offenen Diskurs zu suchen. Hier kann Grün-Schwarz vielleicht einen gemeinsamen Weg weisen, um dem bewussten Schüren von Ängsten entgegen zu wirken. Eine tragfähige Lösung der Koalitionäre wird in diesen Themenfeldern aber vor allem dann gelingen, wenn Tonalität und Schärfe aus dem Wahlkampf sowie der Zeit davor konsequent abgestellt werden. Parteitaktische Überlegungen sind in der nun anstehenden Auseinandersetzung zurückzustellen. Schließlich geht es nicht nur um Maßnahmen auf stets geduldigem Papier, sondern um reelle Schicksale von Baden-Württembergerinnen und BadenWürttembergern. Nehmen Sie sich als verhandlungsführende Personen Ihrer beider Parteien bitte die Zeit für ehrliche und offene Diskussionen. Denn es lohnt sich aus unserem Dafürhalten, einen Aktionsplan wie den „Für Akzeptanz und gleich Rechte. Baden-Württemberg.“ auch in dieser neuen politischen Konstellation konsequent fortzusetzen – nicht nur für die betroffenen Menschen, sondern für alle Menschen im Land. Vielfalt wirkt positiv, wenn sie denn aktiv gestaltet, sichtbar gemacht und tatsächlich gelebt wird. Im Land gibt es dafür diskussionswürdige Ansätze und zahlreiche dialogwillige Partner. Dazu gehört natürlich insbesondere das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg als landesweiter Ankerpunkt für mehr als 100 Vereine, Gruppen und Initiativen aus allen Regionen. Aber auch viele weitere gesellschaftliche Akteure jenseits des LSBTTIQ-Umfelds wissen Akzeptanz und Vielfalt zu schätzen. Sie alle stehen mit ihren Erfahrungen aus dem Alltag beratend und unterstützend zur Seite, um Baden-Württemberg sichtbar vielfältiger zu machen. Sollten Sie Fragen an die IG CSD Stuttgart e.V. haben, so ist unser ehrenamtliches Team gerne unter 0151 52800447 oder via [email protected] behilflich. Freundliche Grüße IG CSD Stuttgart e.V. Christoph Michl Geschäftsführer