Andreas Lange

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Andreas Lange
Computerspiele - vom Spielzeug
zum Medium
Als Henri Langlois 1936 in Paris mit der Cinematheque das erste Filmmuseum gründete, war dies fast drei Jahrzehnte nachdem erste kommerzielle Kinos in den USA
eröffneten und 34 Jahre nachdem die Gebrüder Skladanowsky erste Filmbilder projizierten. Und genau 34 Jahre war es her, dass mit Space War am M.I.T. in Boston das
erste Videospiel programmiert wurde, als wir 1996 den Entschluss fassten, mit der
Gründung des Computerspiele Museums die weltweit erste ständige Ausstellung nur
über Computerspiele zu eröffnen. Offenbar bewegten wir uns damit im Trend, dass
neue Medien eine bestimmte Zeit benötigen, um als solche wahr bzw. ernst genommen zu werden. Das Sammeln und retrospektive Zurückschauen und Ausstellen bringt
eine andere Einstellung zum jeweiligen Medium zum Ausdruck als die der öffentlichen Meinung in seinen Anfängen. Man besinnt sich förmlich des Wertes des Mediums und seiner Geschichte. Denn man erkennt, dass die Geschichte des Mediums
auch ein Teil der eigenen Geschichte ist.
Es mögen Überlegungen wie diese sein, die die Veranstalter veranlasst haben, den
Workshop unter das Teilmotto „Historische Utopien“ zu stellen. In jedem Fall blicken
die „Computerspiele-Pädagogen“ auf eine fast ebenso lange Zeit der Beschäftigung
mit Computerspielen zurück, wie diese, zumindest in ihrer kommerziellen Variante,
alt sind. In der Tat ist ihr Beitrag ein ganz wichtiger zum Verständnis der digitalen
interaktiven Unterhaltung und ihrer gesellschaftlich, kulturellen Verortung. In unserer geplanten ständigen Ausstellung, die ich im Folgenden kurz darstellen möchte,
wird die pädagogische Beschäftigung mit Computerspielen einen wichtigen Platz einnehmen. Doch bevor ich diesen etwas genauer betrachte, gestatten Sie mir zuerst,
ebenfalls einen kurzen Rückblick auf die nun auch schon neun Jahre zurückliegenden Anfänge des Computerspiele Museums zu werfen.
Als wir1 an einem kalten Januartag vor sieben Jahren in einer damals noch ungastlichen Sackgasse in Berlin Mitte unsere kleine Ausstellung zur Geschichte der digitalen interaktiven Unterhaltungskultur eröffneten, haben wir uns alle nicht träumen
lassen, dass uns diese Idee auch heute noch umtreibt. Was war geschehen? Erstmalig
wurden die bisher nicht zusammengedachten Begriffe „Computerspiele“ und „Museum“ vereint und in Form einer Ausstellung konkretisiert. Vieles ist damals aus dem
Bauch heraus entstanden. Unsere Ressourcen waren viel zu knapp, als dass wir es
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uns hätten leisten können, einen großen Masterplan zu entwerfen. Getrieben wurden
wir von der Gewissheit, dass Computerspiele mehr sind als nur ein Kinderspielzeug.
Mit bescheidenen Mitteln mussten wir in kürzester Zeit unserer Vision Gestalt verleihen. Umso mehr waren wir überrascht, dass sich unsere Idee schnell herumsprach
und wir ausschließlich positives Feedback, sogar international, erhielten. Von da an
verdichteten sich unsere Ahnungen zur Gewissheit, dass wir mit unserer Idee offensichtlich einen Nerv der Zeit getroffen hatten. Wir waren nun das erste Computerspiele Museum weltweit – ein Ruf, der uns bis heute Verpflichtung und Ansporn
zugleich ist. Und so war auch die Schließung unserer ständigen Ausstellung Ende
2000 vor allem dadurch motiviert, sie in einem schöneren und größeren Rahmen
wieder zu eröffnen.
Seitdem sind nun vier Jahre ins Land gegangen, in denen wir, vor allem dank vieler
Spender, beständig unsere Sammlung erweiterten und projektbezogene Ausstellungen auf die Beine stellten. Wir konnten uns über Arbeit nie beklagen, da Computerund Videospiele nun von immer mehr Menschen als interessantes und facettenreiches
Kulturgut wahrgenommen wurden. Innerhalb kurzer Zeit gab es kaum mehr eine
wissenschaftliche Disziplin, die nicht ihr spezifisches Interesse an den digitalen Spielen entdeckte. Selbst das Feuilleton begann, wenn auch nur zögerlich, sich den Games
zu öffnen.
Die Geschichte der Computerspiele reicht mittlerweile über ein halbes Jahrhundert
lang zurück. Angefangen als experimentelle Spielereien in Universitäten haben sie
sich in dieser Zeit über Rummelplatzattraktionen und Kinderspielzeug zu einem etablierten Player im internationalen Entertainmentbusiness entwickelt. Ohne Frage haben die bis heute gewachsenen Umsätze zu diesem ständigen Bedeutungszuwachs
beigetragen. Doch wäre dies allein wohl kaum ausreichend, wenn die Games nicht
von Natur aus etwas hätten, das uns neu über so grundlegende Fragen wie das Verhältnis von Schöpfer, Werk und Rezipient, Story und Bild, Spiel und Gesellschaft, Immersion und Reflexion nachdenken ließe. Computerspiele sind, wie der Name schon
sagt, auf der Schnittstelle zweier für unsere heutige, hochtechnisierte Gesellschaft
entscheidender Koordinaten angesiedelt: Auf der einen Seite sind sie von Anfang an
untrennbar mit der zentralen Technologie, dem Computer, verbunden. Sie sind die
ersten so genannten „digital born artefacts“ und bis heute mit Abstand die populärsten. Und zum anderen befriedigen sie das urmenschliche Bedürfnis nach Spielen.
Steht doch das Spielen am Anfang einer jeden individuellen Weltbemächtigung und
glaubt man bekannten Spielforschern wie Johan Huizinga, steht es sogar am Anfang
der menschlichen Kultur überhaupt.
Gerade die Spielnatur der Games ist früher meiner Meinung nach oft unterbewer-
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tet worden. Grund dafür waren wohl die zunehmende Fähigkeit der Computer, konkrete Spielgeschichten und Figuren entstehen zu lassen. So war und ist die Verlockung groß, die Spielhandlungen mit denen aus dem Fernsehen und Film zu vergleichen. Rasch kam man dabei dann oft zu dem pessimistischen Schluss, dass die Spielhandlungen lediglich aus Cliches bestehen, und dazu häufig auf Action- und Gewaltdarstellungen reduziert sind. Hinzufügen möchte ich, dass die Spieledesigner auch
alles tun, um eine solche Interpretation nahezulegen. Scheinen sie doch tatsächlich
eine besondere Vorliebe für diese aus Film und Fernsehen bekannten clickhaften Bilder und Handlungs-Konstellationen zu haben und diese scheinbar kritiklos in den
Kosmos ihrer Games zu übernehmen. Doch scheint mir gerade diese auffällige „Lustlosigkeit“ der Spieleproduzenten, eine eigene Bildsprache zu entwickeln, eine interessante Fährte zu sein, der eigentlichen Natur der Games nahezukommen, nämlich der
als Spiele. Denn mir drängt sich immer mehr der Eindruck auf, dass sich der Großteil
der Spiele viel weniger an der Realität als an der medial vermittelten Realität orientiert. Auch wenn dies im Gegensatz zu den oft von den Marketingabteilungen verfassten Werbetexten á la „Bei diesem Rennspiel fühlst du dich, als ob du selbst im
Cockpit sitzen würdest …“ steht, komme ich doch zunehmend mehr zu der Überzeugung, dass das eigentliche Referenzmedium für die Spieldesigner das Fernsehen und
der Film sind. Nicht der tatsächliche Krieg wird in Games spielerisch aufgegriffen,
sondern der Krieg, so wie wir ihn aus dem Fernsehen kennen. Als Beispiel dafür soll
mir hier ein mittlerweile in Games häufiger anzutreffender Effekt dienen. So wird vor
allem in Autorennspielen aber auch zunehmend in anderen Genres ein rechenintensiver
Effekt eingesetzt, der lediglich aus dem Fernsehen bekannt ist, dort aber als Fehler
üblicherweise vermieden wird. Gemeint ist der Linseneffekt, der entsteht, wenn man
mit der Kamera in einem bestimmten Winkel in die Sonne filmt.
Bildschirmfoto N.I.C.E.
2 (Synetic, 1998)
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So gesehen ist also die Bezeichnung „Videospiele“ durchaus wörtlich zu nehmen.
Offensichtlich gibt es ein großes Bedürfnis, mit den im Fernsehen gesehen Bildern
spielerisch umzugehen. Und eigentlich ist dies auch kaum verwunderlich. Ist doch
eine der grundlegenden menschlichen Eigenschaften, dass wir mit allen technischen
und kulturellen Errungenschaften neben (und oft vor) der rationalen Anwendung
auch spielerisch umgehen. Allerdings war dies bis zur Erfindung der Videospiele in
den frühen 1970er Jahren mit den lediglich passiv zu konsumierenden Fernsehbildern nicht möglich. Bedenkt man, dass diese bereits damals ein fester Bestandteil
unserer Lebenswirklichkeit waren, ist das Populärwerden der Videospiele nur allzu
verständlich und – pädagogisch gedacht – zumindest prinzipiell willkommen.
Doch machen die Games die Bilder des Fernsehens nicht einfach nur spielbar, sondern sie verändern auch ihre Bedeutung, indem sie sie in einen neuen Kontext, den
Spielkontext setzen. So erweitern die Games auch den Kanon der etablierten Geschichten und Mythen und passen ihn den Bedingungen der digitalen Welt an.
So scheint es uns nur konsequent, das Konzept für unsere neue Ausstellung in
diesem Spannungsverhältnis anzusiedeln. Ziel unserer geplanten Ausstellung, die den
Titel „Medium Computerspiel“ trägt, wird es sein, die Games im Kanon der etablierten
Medien zu verorten und ihre spezifischen Eigenschaften und Besonderheiten anschaulich zu machen. Dabei begreifen wir Computerspiele und die sich an ihnen entzündeten Diskussionen auch als ein Phänomen, das, einem Spiegel gleich, uns auch
immer wieder über unsere individuelle und gesellschaftliche Verfasstheit nachdenken lässt.
Gerade die pädagogische Beschäftigung mit Games ist uns in diesem Zusammenhang aufgrund ihrer langen Geschichte eine der wichtigsten Quellen. Aber auch die
gute Dokumentation der Positionen und Diskussion ist Grund für den Wert, den sie
für uns hat. Daher möchte ich die Vorstellung unseres Ausstellungskonzeptes mit der
Darstellung des so genannten „Jugendschutzmoduls“ beginnen, in der Hoffnung, dass
ich damit auch einen Teil Ihrer Geschichte berühre. Um dann aber auch noch ein
„mediales Thema“ anklingen zu lassen, gebe ich kurz Einblick in die Beziehung von
Games und Musik, einem weiteren Modul in unserem Konzept – nicht zuletzt, weil es
sich dabei um einen lange vernachlässigten Aspekt der Games handelt.
Medium Computerspiel
Pädagogen gebührt die Ehre, die ersten Profis jenseits der Branche selbst gewesen
zu sein, die das Thema Computerspiele ernst genommen haben. Bereits Mitte der
70er Jahre entwickelte sich aus der Kontroverse um das Spiel Death Race das freiwil-
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lige Alterseinstufung System für Videospiele in den USA. Pädagogen nahmen von
damals an eine prägende Stellung im öffentlichen Diskurs über Computerspiele ein.
Es waren ihre Fragen nach dem Verhältnis von Computerspielen und Heranwachsenden die die öffentliche Diskussion dominierten. Computerspiele wurden in der breiten Öffentlichkeit hauptsächlich als Kinderspielzeug wahrgenommen. Dabei spielte
es keine Rolle, welche Ansätze gewählt und welche Ergebnissen erzielt wurden. Diese
waren innerhalb des pädagogischen Spektrums durchaus breitgefächert. Jedoch fokussierte das bloße Fehlen anderer „seriöser“, nicht pädagogischer Perspektiven zur
Verengung des Fokus auf die Verbindung der Games mit Heranwachsenden – zumal
eben auch letztere die ersten waren, die der Faszination des neuen Mediums „erlagen“. Erst in den vergangenen ca. sechs Jahren haben auch andere Disziplinen die
Computerspiele für sich entdeckt und tragen die ihnen gemäßen Fragestellungen an
die Games heran.
Bildschirmfoto Death Race (Exidy, 1976)
Aber auch auf einer direkteren Ebene ist zumindest die bewahrpädagogische Position verantwortlich für die
Schwierigkeiten der Games als neues,
erst noch zu begreifendes Medium
wahrgenommen zu werden. So wurde 1984 in der BRD das Jugendschutzgesetz novelliert. Als eine der
Folgen wurde die öffentliche Aufstellung der Videospieleautomaten verboten. Diese wanderten in die nur noch für Erwachsene zugänglichen Hinterzimmer,
was ihr ohnehin schon schlechtes Image verstärkte. Eine vielleicht vergleichbare Entwicklung vollzieht sich gerade in Verbindung mit den so genannten Internetcafés, die
von vielen Jugendlichen auch zum gemeinsamen Netzwerkspiel benutzt werden. In
einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig wurde kürzlich festgelegt, dass Internetcafes von nun an juristisch als Spielhallen geführt werden müssen.
In mittelbarem Zusammenhang mit der 1984er Jugendschutznovelle standen auch
die ersten Indizierungen von Computerspielen. So wurde zum Beispiel das bereits
1982 für den Atari 2600 erschienene Spiel „River Raid“ als eines der ersten in Deutschland 1984 auf den Index gesetzt.
Wir begreifen Jugendschutz als Kristallisationspunkt verschiedener gesellschaftlicher Interessen. Er dient damit auch der Verständigung der Gesellschaft über ein
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River Raid (Activison, 1982)
neues Medium, die uns hilft, mit unseren Unsicherheiten umzugehen. Anhand der
Analyse des jeweiligen historischen Diskussionsstandes können wir daher auch immer
etwas über unsere eigene Geschichte und unser Verhältnis zur digitalen Informationsgesellschaft erfahren.
Dabei ist es keineswegs so, dass im Rahmen des Jugendschutzes immer nur das so
genannte Establishment zu Wort kommt. So wurde z. B. erstmalig in der deutschen
Indizierungsgeschichte eine Fangruppe des zur Indizierung beantragten Titels zur
Anhörung zugelassen. In diesem Falle (Counterstrike), wurde sogar dem Plädoyer der
Fans für den sportlichen Charakter des Spiels gefolgt und es nicht indiziert.
Auch die Industrie selbst ist sich in verschiedenen Kulturkreisen in unterschiedlicher Weise ihrer Verantwortung immer wieder bewusst geworden. In Deutschland
fiel die 1994 von der Industrie mitinitiierte Gründung der Unabhängigen Selbstkontrolle für Unterhaltungssoftware (USK) nicht ganz zufällig in die Zeit, in der sich die
CD-ROM als Datenträger für Spiele durchsetzte. Aufgrund der technischen Weiterentwicklung erschienen gewalttätige Spielinhalte nun in einem wesentlich realistischeren Gewandt.
Nachdem die USK ohne gesetzliche Grundlage auf rein freiwilliger Basis neun Jahre lang Alterseinstufungen für Computerspiele vergab, ist sie aufgrund einer erneu-
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Counter Strike (Sierra, 2000)
ten Jugendschutznovelle 2003 gesetzlich anerkannt. Seitdem ist sie das Jugendschutzinstrument der Bundesländer in Sachen Computerspiele.
Doch eignet sich die Analyse des Bereichs Jugendschutz nicht nur für die historische Analyse der Befindlichkeiten der eigenen Gesellschaft. Da Jugendschutz auch
immer eng mit den jeweiligen kulturellen Gegebenheiten verknüpft ist, kann man
anhand seiner auch gut kulturelle Unterschiede im Umgang mit dem neuen Medium
Computerspiele verdeutlichen. So werden z. B. in Deutschland gewalttätige Inhalte,
vor allem wenn sie mit Krieg zu tun haben, kritischer beurteilt als im angloamerikanischen Raum. Dort hingegen besteht wiederum eine größere Empfindlichkeit gegenüber sexuellen Inhalten als bei uns oder in Japan.
Und last but not least lässt sich anhand des Jugendschutzes auch ein Vergleich des
Umgangs der Gesellschaft mit dem neuen Medium Computerspiel zu dem mit traditionellen Medien ziehen. Denn die Argumente, die in Verbindung mit der Diskussion
um Games gebraucht werden, sind größtenteils auch unter mehr oder weniger ähnlichen Umständen in Bezug auf andere Medien gefallen. Hier lassen sich Kontinuitäten
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Leisure Suit Larry: In the Land of the
Lounge Lizards (Sierra Online, 1987),
bekam in den USA die Alterseinstufung
„M“ (Major, ab 17 Jahren)
ebenso wie Unterschiede herausarbeiten. Letztendlich wird es unseren
Besuchern überlassen bleiben, sich
ein eigenes Urteil zu bilden. Doch
werden sie darum auch nicht herumkommen. Verlagert sich doch Jugendschutz im
Zeichen des Internets immer mehr von der staatlichen Ebene weg hinein in den privaten Bereich. Mehr und mehr ist die Selbstverantwortung der Erziehungsberechtigten gefragt, sowie die Fähigkeit der Spieler, eigene Grenzen zu ziehen.
Games und Musik
Die frühen Gamesounds waren einfach jedoch umso einprägsamer. Wer noch die
frühen Spiele kennt und heute noch einmal spielt, spürt sofort, wie wichtig der Sound
war und ist. Unmittelbar ersteht vor dem geistigen Auge wieder das Bild der Spielhalle oder des Jugendzimmers inklusive der damaligen Atmosphäre und den Gefühlen. Im Gegensatz zu Bildern wird der Sound zwar weniger bewusst wahrgenommen,
prägt sich jedoch ungleich tiefer ins (Unter-) Bewusstsein ein.
Die Spieleentwickler lernten erst mit der Zeit diese Bedeutung der Spielgeräusche
kennen. Vieles war in den frühen Tagen des Gamedesigns soundtechnisch noch dem
Zufall überlassen. So war es nicht unüblich, dass der Programmierer auch gleichzeitig
noch der Soundingenieur (und der Graphiker) war. Nicht immer waren die Spieledesigner musikalisch so talentiert wie z. B. Al Lowe, der mit seiner Larry Reihe nicht
nur einen Meilenstein des Erwachsenenspiels schuf, sondern mit dem Larry Theme
auch einen echten Ohrwurm kreierte.
Bei aller Einfachheit kommt den frühen Gamesounds jedoch eine interessante
musikhistorische Bedeutung zu. In Bezug auf ihre prinzipielle Wiederholbarkeit stehen sie in einer Reihe mit experimenteller Musiker, die seit den 50er Jahren, damals
noch mit meterlangen Magnetbändern, mit repetativen Sounds arbeiteten. Ihr wohl
bekanntester Vertreter ist John Cage. Anders als diese erreichten die Gamesounds
jedoch Millionen von Ohren und Herzen.
Gepaart mit ihrer synthetischen/digitalen Natur können sie durchaus als Wegbereiter der Technomusik gesehen werden, in der ebenfalls maschinenerzeugte Sounds
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in Loops aneinandergereiht werden. So kommt es nicht von ungefähr, dass gerade
die historischen Gamesounds verstärkt in aktueller elektronischer Musik eingesetzt
werden.
Doch spätestens mit der Einführung der CD-ROM sollten auch komplexere bzw.
traditionellere Soundtracks aufgrund des größeren Speicherplatzes in die Spiele Einzug halten. Spiele wie wipeout (1995) setzen diesbezüglich Meilensteine. Der Soundtrack wird seit dem nicht nur als spielunterstützendes Element eingesetzt, sondern
grundsätzlich auch als eigenständig vermarktbares Produkt erkannt. So verwundert
es auch nicht, dass ein Grammy speziell für Gamemusik geplant ist. Symphonische
Konzerte ausschließlich mit Computerspielemusik wie die Eröffnungskonzerte der
Games Convention sind ein offensichtlicher Beleg dafür, dass die Gamesounds mittlerweile im Establishment des Kulturbetriebes angekommen sind.
Doch wären sie nicht Gamesounds, wenn sie nicht von dort auch gleich wieder
auf- und ausbrechen würden. Sambarasseln, Tanzmatten und Kongatrommeln haben eine ganz neue Art des digitalen Spielens hervorgebracht. Die Musik wird nun
selbst zum Spielelement und der eigene Körper zum Controller. Bei dieser Art Games
wird besonders offensichtlich, was ja für andere Spielgenres ebenso gilt: die digitalen
Spiele haben auch eine Nähe zum Tanz. Es kommt auf Rhythmusgefühl und exaktes
Timing an. Auch die Finger können tanzen.
Es sind Aspekte und Geschichten wie diese, die wir in den einzelnen Modulen erzählen, von denen wir insgesamt 13 geplant haben. Weitere Module unserer zukünftigen Ausstellung sind Aspekten wie dem Starprinzip, der Etablierung der Gamesbranche als Freizeitindustrie, dem mobilen Spiel, Multiplayergames, Virtual Reality
und zukünftigen Entwicklungen wie pervasive Gaming gewidmet.
Das Konzept zur Ausstellung entstand ursprünglich als Teil eines größeren Vorhabens. Die Mitgliederversammlung des Verbandes der Unterhaltungssoftware (VUD)
fasste Mitte Januar 2004 nicht nur den Beschluss, den Sitz der Geschäftsstelle des
Verbandes nach Berlin zu verlegen. Sie beschloss zugleich, ein GAMESHOUSE als Haus
für interaktive Kultur zu gründen. Im Rahmen dieses Hauses sollte auch die Ausstellung „Medium Computerspiel“ ihren Platz finden.
Im Projekt fanden unterschiedliche Partner zusammen. Neben dem Branchenverband
VUD steht der Förderverein für Jugend und Sozialarbeit e. V. (fjs), Träger des Computerspiele Museums und der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), die in ihren Archiven in mehr als zehn Jahren jene einzigartigen Sammlungen an Hard- und
Software bewahrt und gepflegt haben, die im Rahmen der Ausstellung und der wei-
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teren Angebote eines Gameshouses öffentlich nutzbar werden können.
Als großer Glücksfall erwies sich im Frühjahr 2004 die Zusage von Herrn Prof. Diel,
die Szenenbilder der Ausstellung als Projektarbeit der Studierenden im Fachbereich
Visuelle Kommunikation der Universität der Künste Berlin auszuschreiben. Die Präsentation der Ergebnisse im Juli 2004 gehört zu den glücklichsten Momenten derer,
die sich für das Gesamtprojekt bisher engagiert haben.
Obwohl die geplante Eröffnung unserer neuen ständigen Ausstellung 2004 aufgrund
der Auflösung des VUDs nicht zustande kam, verfolgen wir die Realisierung des hier
kurz vorgestellten Konzeptes weiter. Es ist dies sozusagen unser Teil des zweiten Teilmottos dieser Konferenz „Aktuelle Perspektiven“. Ich bin sicher, dass die museale und
die pädagogische Auseinandersetzung mit Computerspielen nicht nur wie gezeigt in
der Vergangenheit sondern auch in Zukunft wichtige Anknüpfungspunkte haben
werden.
Anmerkung
1
Das Museum wird bis heute vom Förderverein für Jugend und Sozialarbeit (fjs) e. V.
getragen.
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