Andreas Lange
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Andreas Lange
○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Spielend lernen ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Andreas Lange Computerspiele - vom Spielzeug zum Medium Als Henri Langlois 1936 in Paris mit der Cinematheque das erste Filmmuseum gründete, war dies fast drei Jahrzehnte nachdem erste kommerzielle Kinos in den USA eröffneten und 34 Jahre nachdem die Gebrüder Skladanowsky erste Filmbilder projizierten. Und genau 34 Jahre war es her, dass mit Space War am M.I.T. in Boston das erste Videospiel programmiert wurde, als wir 1996 den Entschluss fassten, mit der Gründung des Computerspiele Museums die weltweit erste ständige Ausstellung nur über Computerspiele zu eröffnen. Offenbar bewegten wir uns damit im Trend, dass neue Medien eine bestimmte Zeit benötigen, um als solche wahr bzw. ernst genommen zu werden. Das Sammeln und retrospektive Zurückschauen und Ausstellen bringt eine andere Einstellung zum jeweiligen Medium zum Ausdruck als die der öffentlichen Meinung in seinen Anfängen. Man besinnt sich förmlich des Wertes des Mediums und seiner Geschichte. Denn man erkennt, dass die Geschichte des Mediums auch ein Teil der eigenen Geschichte ist. Es mögen Überlegungen wie diese sein, die die Veranstalter veranlasst haben, den Workshop unter das Teilmotto „Historische Utopien“ zu stellen. In jedem Fall blicken die „Computerspiele-Pädagogen“ auf eine fast ebenso lange Zeit der Beschäftigung mit Computerspielen zurück, wie diese, zumindest in ihrer kommerziellen Variante, alt sind. In der Tat ist ihr Beitrag ein ganz wichtiger zum Verständnis der digitalen interaktiven Unterhaltung und ihrer gesellschaftlich, kulturellen Verortung. In unserer geplanten ständigen Ausstellung, die ich im Folgenden kurz darstellen möchte, wird die pädagogische Beschäftigung mit Computerspielen einen wichtigen Platz einnehmen. Doch bevor ich diesen etwas genauer betrachte, gestatten Sie mir zuerst, ebenfalls einen kurzen Rückblick auf die nun auch schon neun Jahre zurückliegenden Anfänge des Computerspiele Museums zu werfen. Als wir1 an einem kalten Januartag vor sieben Jahren in einer damals noch ungastlichen Sackgasse in Berlin Mitte unsere kleine Ausstellung zur Geschichte der digitalen interaktiven Unterhaltungskultur eröffneten, haben wir uns alle nicht träumen lassen, dass uns diese Idee auch heute noch umtreibt. Was war geschehen? Erstmalig wurden die bisher nicht zusammengedachten Begriffe „Computerspiele“ und „Museum“ vereint und in Form einer Ausstellung konkretisiert. Vieles ist damals aus dem Bauch heraus entstanden. Unsere Ressourcen waren viel zu knapp, als dass wir es 199 MaC* - Reloaded: Perspektiven aus der Skepsis ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ uns hätten leisten können, einen großen Masterplan zu entwerfen. Getrieben wurden wir von der Gewissheit, dass Computerspiele mehr sind als nur ein Kinderspielzeug. Mit bescheidenen Mitteln mussten wir in kürzester Zeit unserer Vision Gestalt verleihen. Umso mehr waren wir überrascht, dass sich unsere Idee schnell herumsprach und wir ausschließlich positives Feedback, sogar international, erhielten. Von da an verdichteten sich unsere Ahnungen zur Gewissheit, dass wir mit unserer Idee offensichtlich einen Nerv der Zeit getroffen hatten. Wir waren nun das erste Computerspiele Museum weltweit – ein Ruf, der uns bis heute Verpflichtung und Ansporn zugleich ist. Und so war auch die Schließung unserer ständigen Ausstellung Ende 2000 vor allem dadurch motiviert, sie in einem schöneren und größeren Rahmen wieder zu eröffnen. Seitdem sind nun vier Jahre ins Land gegangen, in denen wir, vor allem dank vieler Spender, beständig unsere Sammlung erweiterten und projektbezogene Ausstellungen auf die Beine stellten. Wir konnten uns über Arbeit nie beklagen, da Computerund Videospiele nun von immer mehr Menschen als interessantes und facettenreiches Kulturgut wahrgenommen wurden. Innerhalb kurzer Zeit gab es kaum mehr eine wissenschaftliche Disziplin, die nicht ihr spezifisches Interesse an den digitalen Spielen entdeckte. Selbst das Feuilleton begann, wenn auch nur zögerlich, sich den Games zu öffnen. Die Geschichte der Computerspiele reicht mittlerweile über ein halbes Jahrhundert lang zurück. Angefangen als experimentelle Spielereien in Universitäten haben sie sich in dieser Zeit über Rummelplatzattraktionen und Kinderspielzeug zu einem etablierten Player im internationalen Entertainmentbusiness entwickelt. Ohne Frage haben die bis heute gewachsenen Umsätze zu diesem ständigen Bedeutungszuwachs beigetragen. Doch wäre dies allein wohl kaum ausreichend, wenn die Games nicht von Natur aus etwas hätten, das uns neu über so grundlegende Fragen wie das Verhältnis von Schöpfer, Werk und Rezipient, Story und Bild, Spiel und Gesellschaft, Immersion und Reflexion nachdenken ließe. Computerspiele sind, wie der Name schon sagt, auf der Schnittstelle zweier für unsere heutige, hochtechnisierte Gesellschaft entscheidender Koordinaten angesiedelt: Auf der einen Seite sind sie von Anfang an untrennbar mit der zentralen Technologie, dem Computer, verbunden. Sie sind die ersten so genannten „digital born artefacts“ und bis heute mit Abstand die populärsten. Und zum anderen befriedigen sie das urmenschliche Bedürfnis nach Spielen. Steht doch das Spielen am Anfang einer jeden individuellen Weltbemächtigung und glaubt man bekannten Spielforschern wie Johan Huizinga, steht es sogar am Anfang der menschlichen Kultur überhaupt. Gerade die Spielnatur der Games ist früher meiner Meinung nach oft unterbewer- 200 ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Spielend lernen ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ tet worden. Grund dafür waren wohl die zunehmende Fähigkeit der Computer, konkrete Spielgeschichten und Figuren entstehen zu lassen. So war und ist die Verlockung groß, die Spielhandlungen mit denen aus dem Fernsehen und Film zu vergleichen. Rasch kam man dabei dann oft zu dem pessimistischen Schluss, dass die Spielhandlungen lediglich aus Cliches bestehen, und dazu häufig auf Action- und Gewaltdarstellungen reduziert sind. Hinzufügen möchte ich, dass die Spieledesigner auch alles tun, um eine solche Interpretation nahezulegen. Scheinen sie doch tatsächlich eine besondere Vorliebe für diese aus Film und Fernsehen bekannten clickhaften Bilder und Handlungs-Konstellationen zu haben und diese scheinbar kritiklos in den Kosmos ihrer Games zu übernehmen. Doch scheint mir gerade diese auffällige „Lustlosigkeit“ der Spieleproduzenten, eine eigene Bildsprache zu entwickeln, eine interessante Fährte zu sein, der eigentlichen Natur der Games nahezukommen, nämlich der als Spiele. Denn mir drängt sich immer mehr der Eindruck auf, dass sich der Großteil der Spiele viel weniger an der Realität als an der medial vermittelten Realität orientiert. Auch wenn dies im Gegensatz zu den oft von den Marketingabteilungen verfassten Werbetexten á la „Bei diesem Rennspiel fühlst du dich, als ob du selbst im Cockpit sitzen würdest …“ steht, komme ich doch zunehmend mehr zu der Überzeugung, dass das eigentliche Referenzmedium für die Spieldesigner das Fernsehen und der Film sind. Nicht der tatsächliche Krieg wird in Games spielerisch aufgegriffen, sondern der Krieg, so wie wir ihn aus dem Fernsehen kennen. Als Beispiel dafür soll mir hier ein mittlerweile in Games häufiger anzutreffender Effekt dienen. So wird vor allem in Autorennspielen aber auch zunehmend in anderen Genres ein rechenintensiver Effekt eingesetzt, der lediglich aus dem Fernsehen bekannt ist, dort aber als Fehler üblicherweise vermieden wird. Gemeint ist der Linseneffekt, der entsteht, wenn man mit der Kamera in einem bestimmten Winkel in die Sonne filmt. Bildschirmfoto N.I.C.E. 2 (Synetic, 1998) 201 MaC* - Reloaded: Perspektiven aus der Skepsis ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ So gesehen ist also die Bezeichnung „Videospiele“ durchaus wörtlich zu nehmen. Offensichtlich gibt es ein großes Bedürfnis, mit den im Fernsehen gesehen Bildern spielerisch umzugehen. Und eigentlich ist dies auch kaum verwunderlich. Ist doch eine der grundlegenden menschlichen Eigenschaften, dass wir mit allen technischen und kulturellen Errungenschaften neben (und oft vor) der rationalen Anwendung auch spielerisch umgehen. Allerdings war dies bis zur Erfindung der Videospiele in den frühen 1970er Jahren mit den lediglich passiv zu konsumierenden Fernsehbildern nicht möglich. Bedenkt man, dass diese bereits damals ein fester Bestandteil unserer Lebenswirklichkeit waren, ist das Populärwerden der Videospiele nur allzu verständlich und – pädagogisch gedacht – zumindest prinzipiell willkommen. Doch machen die Games die Bilder des Fernsehens nicht einfach nur spielbar, sondern sie verändern auch ihre Bedeutung, indem sie sie in einen neuen Kontext, den Spielkontext setzen. So erweitern die Games auch den Kanon der etablierten Geschichten und Mythen und passen ihn den Bedingungen der digitalen Welt an. So scheint es uns nur konsequent, das Konzept für unsere neue Ausstellung in diesem Spannungsverhältnis anzusiedeln. Ziel unserer geplanten Ausstellung, die den Titel „Medium Computerspiel“ trägt, wird es sein, die Games im Kanon der etablierten Medien zu verorten und ihre spezifischen Eigenschaften und Besonderheiten anschaulich zu machen. Dabei begreifen wir Computerspiele und die sich an ihnen entzündeten Diskussionen auch als ein Phänomen, das, einem Spiegel gleich, uns auch immer wieder über unsere individuelle und gesellschaftliche Verfasstheit nachdenken lässt. Gerade die pädagogische Beschäftigung mit Games ist uns in diesem Zusammenhang aufgrund ihrer langen Geschichte eine der wichtigsten Quellen. Aber auch die gute Dokumentation der Positionen und Diskussion ist Grund für den Wert, den sie für uns hat. Daher möchte ich die Vorstellung unseres Ausstellungskonzeptes mit der Darstellung des so genannten „Jugendschutzmoduls“ beginnen, in der Hoffnung, dass ich damit auch einen Teil Ihrer Geschichte berühre. Um dann aber auch noch ein „mediales Thema“ anklingen zu lassen, gebe ich kurz Einblick in die Beziehung von Games und Musik, einem weiteren Modul in unserem Konzept – nicht zuletzt, weil es sich dabei um einen lange vernachlässigten Aspekt der Games handelt. Medium Computerspiel Pädagogen gebührt die Ehre, die ersten Profis jenseits der Branche selbst gewesen zu sein, die das Thema Computerspiele ernst genommen haben. Bereits Mitte der 70er Jahre entwickelte sich aus der Kontroverse um das Spiel Death Race das freiwil- 202 ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Spielend lernen ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ lige Alterseinstufung System für Videospiele in den USA. Pädagogen nahmen von damals an eine prägende Stellung im öffentlichen Diskurs über Computerspiele ein. Es waren ihre Fragen nach dem Verhältnis von Computerspielen und Heranwachsenden die die öffentliche Diskussion dominierten. Computerspiele wurden in der breiten Öffentlichkeit hauptsächlich als Kinderspielzeug wahrgenommen. Dabei spielte es keine Rolle, welche Ansätze gewählt und welche Ergebnissen erzielt wurden. Diese waren innerhalb des pädagogischen Spektrums durchaus breitgefächert. Jedoch fokussierte das bloße Fehlen anderer „seriöser“, nicht pädagogischer Perspektiven zur Verengung des Fokus auf die Verbindung der Games mit Heranwachsenden – zumal eben auch letztere die ersten waren, die der Faszination des neuen Mediums „erlagen“. Erst in den vergangenen ca. sechs Jahren haben auch andere Disziplinen die Computerspiele für sich entdeckt und tragen die ihnen gemäßen Fragestellungen an die Games heran. Bildschirmfoto Death Race (Exidy, 1976) Aber auch auf einer direkteren Ebene ist zumindest die bewahrpädagogische Position verantwortlich für die Schwierigkeiten der Games als neues, erst noch zu begreifendes Medium wahrgenommen zu werden. So wurde 1984 in der BRD das Jugendschutzgesetz novelliert. Als eine der Folgen wurde die öffentliche Aufstellung der Videospieleautomaten verboten. Diese wanderten in die nur noch für Erwachsene zugänglichen Hinterzimmer, was ihr ohnehin schon schlechtes Image verstärkte. Eine vielleicht vergleichbare Entwicklung vollzieht sich gerade in Verbindung mit den so genannten Internetcafés, die von vielen Jugendlichen auch zum gemeinsamen Netzwerkspiel benutzt werden. In einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig wurde kürzlich festgelegt, dass Internetcafes von nun an juristisch als Spielhallen geführt werden müssen. In mittelbarem Zusammenhang mit der 1984er Jugendschutznovelle standen auch die ersten Indizierungen von Computerspielen. So wurde zum Beispiel das bereits 1982 für den Atari 2600 erschienene Spiel „River Raid“ als eines der ersten in Deutschland 1984 auf den Index gesetzt. Wir begreifen Jugendschutz als Kristallisationspunkt verschiedener gesellschaftlicher Interessen. Er dient damit auch der Verständigung der Gesellschaft über ein 203 MaC* - Reloaded: Perspektiven aus der Skepsis ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ River Raid (Activison, 1982) neues Medium, die uns hilft, mit unseren Unsicherheiten umzugehen. Anhand der Analyse des jeweiligen historischen Diskussionsstandes können wir daher auch immer etwas über unsere eigene Geschichte und unser Verhältnis zur digitalen Informationsgesellschaft erfahren. Dabei ist es keineswegs so, dass im Rahmen des Jugendschutzes immer nur das so genannte Establishment zu Wort kommt. So wurde z. B. erstmalig in der deutschen Indizierungsgeschichte eine Fangruppe des zur Indizierung beantragten Titels zur Anhörung zugelassen. In diesem Falle (Counterstrike), wurde sogar dem Plädoyer der Fans für den sportlichen Charakter des Spiels gefolgt und es nicht indiziert. Auch die Industrie selbst ist sich in verschiedenen Kulturkreisen in unterschiedlicher Weise ihrer Verantwortung immer wieder bewusst geworden. In Deutschland fiel die 1994 von der Industrie mitinitiierte Gründung der Unabhängigen Selbstkontrolle für Unterhaltungssoftware (USK) nicht ganz zufällig in die Zeit, in der sich die CD-ROM als Datenträger für Spiele durchsetzte. Aufgrund der technischen Weiterentwicklung erschienen gewalttätige Spielinhalte nun in einem wesentlich realistischeren Gewandt. Nachdem die USK ohne gesetzliche Grundlage auf rein freiwilliger Basis neun Jahre lang Alterseinstufungen für Computerspiele vergab, ist sie aufgrund einer erneu- 204 ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Spielend lernen ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Counter Strike (Sierra, 2000) ten Jugendschutznovelle 2003 gesetzlich anerkannt. Seitdem ist sie das Jugendschutzinstrument der Bundesländer in Sachen Computerspiele. Doch eignet sich die Analyse des Bereichs Jugendschutz nicht nur für die historische Analyse der Befindlichkeiten der eigenen Gesellschaft. Da Jugendschutz auch immer eng mit den jeweiligen kulturellen Gegebenheiten verknüpft ist, kann man anhand seiner auch gut kulturelle Unterschiede im Umgang mit dem neuen Medium Computerspiele verdeutlichen. So werden z. B. in Deutschland gewalttätige Inhalte, vor allem wenn sie mit Krieg zu tun haben, kritischer beurteilt als im angloamerikanischen Raum. Dort hingegen besteht wiederum eine größere Empfindlichkeit gegenüber sexuellen Inhalten als bei uns oder in Japan. Und last but not least lässt sich anhand des Jugendschutzes auch ein Vergleich des Umgangs der Gesellschaft mit dem neuen Medium Computerspiel zu dem mit traditionellen Medien ziehen. Denn die Argumente, die in Verbindung mit der Diskussion um Games gebraucht werden, sind größtenteils auch unter mehr oder weniger ähnlichen Umständen in Bezug auf andere Medien gefallen. Hier lassen sich Kontinuitäten 205 MaC* - Reloaded: Perspektiven aus der Skepsis ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Leisure Suit Larry: In the Land of the Lounge Lizards (Sierra Online, 1987), bekam in den USA die Alterseinstufung „M“ (Major, ab 17 Jahren) ebenso wie Unterschiede herausarbeiten. Letztendlich wird es unseren Besuchern überlassen bleiben, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Doch werden sie darum auch nicht herumkommen. Verlagert sich doch Jugendschutz im Zeichen des Internets immer mehr von der staatlichen Ebene weg hinein in den privaten Bereich. Mehr und mehr ist die Selbstverantwortung der Erziehungsberechtigten gefragt, sowie die Fähigkeit der Spieler, eigene Grenzen zu ziehen. Games und Musik Die frühen Gamesounds waren einfach jedoch umso einprägsamer. Wer noch die frühen Spiele kennt und heute noch einmal spielt, spürt sofort, wie wichtig der Sound war und ist. Unmittelbar ersteht vor dem geistigen Auge wieder das Bild der Spielhalle oder des Jugendzimmers inklusive der damaligen Atmosphäre und den Gefühlen. Im Gegensatz zu Bildern wird der Sound zwar weniger bewusst wahrgenommen, prägt sich jedoch ungleich tiefer ins (Unter-) Bewusstsein ein. Die Spieleentwickler lernten erst mit der Zeit diese Bedeutung der Spielgeräusche kennen. Vieles war in den frühen Tagen des Gamedesigns soundtechnisch noch dem Zufall überlassen. So war es nicht unüblich, dass der Programmierer auch gleichzeitig noch der Soundingenieur (und der Graphiker) war. Nicht immer waren die Spieledesigner musikalisch so talentiert wie z. B. Al Lowe, der mit seiner Larry Reihe nicht nur einen Meilenstein des Erwachsenenspiels schuf, sondern mit dem Larry Theme auch einen echten Ohrwurm kreierte. Bei aller Einfachheit kommt den frühen Gamesounds jedoch eine interessante musikhistorische Bedeutung zu. In Bezug auf ihre prinzipielle Wiederholbarkeit stehen sie in einer Reihe mit experimenteller Musiker, die seit den 50er Jahren, damals noch mit meterlangen Magnetbändern, mit repetativen Sounds arbeiteten. Ihr wohl bekanntester Vertreter ist John Cage. Anders als diese erreichten die Gamesounds jedoch Millionen von Ohren und Herzen. Gepaart mit ihrer synthetischen/digitalen Natur können sie durchaus als Wegbereiter der Technomusik gesehen werden, in der ebenfalls maschinenerzeugte Sounds 206 ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ Spielend lernen ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ in Loops aneinandergereiht werden. So kommt es nicht von ungefähr, dass gerade die historischen Gamesounds verstärkt in aktueller elektronischer Musik eingesetzt werden. Doch spätestens mit der Einführung der CD-ROM sollten auch komplexere bzw. traditionellere Soundtracks aufgrund des größeren Speicherplatzes in die Spiele Einzug halten. Spiele wie wipeout (1995) setzen diesbezüglich Meilensteine. Der Soundtrack wird seit dem nicht nur als spielunterstützendes Element eingesetzt, sondern grundsätzlich auch als eigenständig vermarktbares Produkt erkannt. So verwundert es auch nicht, dass ein Grammy speziell für Gamemusik geplant ist. Symphonische Konzerte ausschließlich mit Computerspielemusik wie die Eröffnungskonzerte der Games Convention sind ein offensichtlicher Beleg dafür, dass die Gamesounds mittlerweile im Establishment des Kulturbetriebes angekommen sind. Doch wären sie nicht Gamesounds, wenn sie nicht von dort auch gleich wieder auf- und ausbrechen würden. Sambarasseln, Tanzmatten und Kongatrommeln haben eine ganz neue Art des digitalen Spielens hervorgebracht. Die Musik wird nun selbst zum Spielelement und der eigene Körper zum Controller. Bei dieser Art Games wird besonders offensichtlich, was ja für andere Spielgenres ebenso gilt: die digitalen Spiele haben auch eine Nähe zum Tanz. Es kommt auf Rhythmusgefühl und exaktes Timing an. Auch die Finger können tanzen. Es sind Aspekte und Geschichten wie diese, die wir in den einzelnen Modulen erzählen, von denen wir insgesamt 13 geplant haben. Weitere Module unserer zukünftigen Ausstellung sind Aspekten wie dem Starprinzip, der Etablierung der Gamesbranche als Freizeitindustrie, dem mobilen Spiel, Multiplayergames, Virtual Reality und zukünftigen Entwicklungen wie pervasive Gaming gewidmet. Das Konzept zur Ausstellung entstand ursprünglich als Teil eines größeren Vorhabens. Die Mitgliederversammlung des Verbandes der Unterhaltungssoftware (VUD) fasste Mitte Januar 2004 nicht nur den Beschluss, den Sitz der Geschäftsstelle des Verbandes nach Berlin zu verlegen. Sie beschloss zugleich, ein GAMESHOUSE als Haus für interaktive Kultur zu gründen. Im Rahmen dieses Hauses sollte auch die Ausstellung „Medium Computerspiel“ ihren Platz finden. Im Projekt fanden unterschiedliche Partner zusammen. Neben dem Branchenverband VUD steht der Förderverein für Jugend und Sozialarbeit e. V. (fjs), Träger des Computerspiele Museums und der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), die in ihren Archiven in mehr als zehn Jahren jene einzigartigen Sammlungen an Hard- und Software bewahrt und gepflegt haben, die im Rahmen der Ausstellung und der wei- 207 MaC* - Reloaded: Perspektiven aus der Skepsis ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ teren Angebote eines Gameshouses öffentlich nutzbar werden können. Als großer Glücksfall erwies sich im Frühjahr 2004 die Zusage von Herrn Prof. Diel, die Szenenbilder der Ausstellung als Projektarbeit der Studierenden im Fachbereich Visuelle Kommunikation der Universität der Künste Berlin auszuschreiben. Die Präsentation der Ergebnisse im Juli 2004 gehört zu den glücklichsten Momenten derer, die sich für das Gesamtprojekt bisher engagiert haben. Obwohl die geplante Eröffnung unserer neuen ständigen Ausstellung 2004 aufgrund der Auflösung des VUDs nicht zustande kam, verfolgen wir die Realisierung des hier kurz vorgestellten Konzeptes weiter. Es ist dies sozusagen unser Teil des zweiten Teilmottos dieser Konferenz „Aktuelle Perspektiven“. Ich bin sicher, dass die museale und die pädagogische Auseinandersetzung mit Computerspielen nicht nur wie gezeigt in der Vergangenheit sondern auch in Zukunft wichtige Anknüpfungspunkte haben werden. Anmerkung 1 Das Museum wird bis heute vom Förderverein für Jugend und Sozialarbeit (fjs) e. V. getragen. 208