Trauerrede Horst, 03.01.2014

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Trauerrede Horst, 03.01.2014
SterniPark nimmt Abschied
Trauerrede für Dr. Horst Hassel
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Horst mochte diese Tage nach dem Weihnachtsfest und Silvester. Nicht, dass er
nicht gern mit seiner Familie die Feiertage verbrachte, aber dann freute er sich auch,
dass es wieder, wenn auch kaum merklich länger hell blieb und er wieder in ein
neues Jahr starten konnte.
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Jedes Mal ein kleiner Aufbruch. Ich erwähne das, weil ich Horst vor knapp fünfzig
Jahren auch in einer Zeit des Aufbruchs kennen gelernt habe. Horst ist 1949
geboren, nur viereinhalb Jahre nach Ende des Krieges und der Nazi-Diktatur, einen
Tag nach Gründung der DDR, die nun schon 23 Jahre Geschichte ist. Viele, von
denen, die heute hier Abschied nehmen, gehören zu dieser Generation.
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Horst, dessen Vater früh starb und an den er, wie er mir noch vor zwei Wochen
erzählte, nur ganz wenig Erinnerungen hat, kam nicht aus einer der eingesessenen
Flensburger Familien. Seine Mutter heiratete bald wieder, mit dem Stiefvater, der die
fünf Jahre ältere Stiefschwester mitbrachte, kam er nicht so gut zurecht. Es war
nicht selbstverständlich, dass Jungen mit sozialen Hintergrund wie Horst den
beschwerlichen und teuren Weg zum und durch das Gymnasium schafften - und
dann noch auf die feinste Schule der Stadt, das Alte Gymnasium. Das war damals
noch eine reine Jungenschule. Seinem Interesse für Mädchen hat das aber keinen
Abbruch getan.
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Die Lehrer an den Gymnasien berichteten noch unkritisch von ihren
Kriegserlebnissen. Die ehemalige Mitgliedschaft in einer der Nazi-Organisationen
wurde dabei genauso ausgeblendet wie der Holocaust. Wir erfuhren, warum
Deutschland den Krieg verloren hat, aber nicht, warum das auch gut so war.
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Das Nichterwähnen und Nichtverarbeiten der deutschen Geschichte war aber nur
das eine. Hinzu kam, dass die typisch deutschen Tugenden wie Gehorsam und
Unterordnung weiter kultiviert wurden und den Jugendlichen die Freude am Leben
eingeschränkt. Horst war wohl in der Spätphase seiner Pubertät, als in diesen Muff
die Beatles und noch besser die Rolling Stones einbrachen. Die Haare wurden
länger, bei Horst irgendwann bis zu den Schulterblättern. Horsts Generation
rebellierte gegen die Väter, die Lehrer, die Autoritäten. Es sollte alles anders werden.
Horst war in dem seiner Generation den Namen gebenden Jahr 1968 gerade
achtzehn Jahre alt. Ein Jahr später machte er das Abitur. Im gleichen Jahr wurde
Willi Brandt Bundeskanzler.
Es ging nicht nur um Politik, es ging um die Freiheit, Tun und Lassen zu können,
was man für richtig hielt und nicht eingeengt zu sein von Konventionen. “Freedom is
just another word for nothing left to loose”, sang Janis Joplin über “Me and my Bobby
McGee”. Nichts zu verlieren, aber eine Welt zu gewinnen. Zu dieser Freiheit gehörte
auch die sexuelle, die es bis dahin für unverheiratete junge Menschen kaum gab.
Dabei hielt Horst sich - wie die meisten seiner Altersgenossen - indes nicht an den
damals verbreiteten Satz: “Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum
Establishment.” Im Gegenteil: er ging eine Verbindung mit Inga ein, die lange
Bestand haben sollte, 1971 heirateten sie.
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Zum Freiheitsgedanken gehörte aber auch die Erkenntnis, dass denjenigen Hilfe
gewährt werden muss, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren waren.
Dass Horst dafür Verständnis hatte, versteht sich aus seiner Geschichte von selbst.
Materielle Not hat er zwar nicht gelitten, aber seine Kindheit verbrachte er zum Teil in
einer Behelfswohnung in Kielseng. Es wurde damals auch zum ersten Mal
wahrgenommen, dass Menschen an dieser Gesellschaft und durch diese
Verhältnisse krank werden können. Und - auch das ist für Horst weiteren Werdegang
nicht unwichtig - man machte Erfahrungen mit den positiven und negativen
Auswirkungen von Drogen.
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Rudi Dutschke prägte damals das Wort vom “langen Marsch durch die Institutionen”,
der allen bevor stand, die in dieser Zeit aufbrachen. Das wurde teilweise gar nicht
gern gehört. Auch Horst gehörte zunächst zu denen, die die Gesellschaft gleich
ganz auf den Kopf stellen oder gar aus den Angeln heben wollten. Er brach ein
Volkswirtschaftsstudium in Kiel ab, der weitere Weg führte ihn an die Seite der
damals hoch geschätzten Arbeiterklasse ins Stahlwerk nach Salzgitter , wo er es wie er nicht ohne Stolz berichtet - zum zweiten Walzer brachte.
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Aber dann hat er den Weg durch die Institutionen doch angetreten. Er studierte ab
1974 in Göttingen Medizin und landete in der Fachrichtung, die für ihn geschaffen
war oder für die er geschaffen war. “Es ist ein Glück für die Patienten, dass ich kein
Chirurg geworden bin.” hat er dazu bemerkt. Darüber, dass er auch als Internist nicht
Erstbesetzung gewesen wäre, waren wir uns einig nach einer Episode vor ein paar
Jahren, die ich hier berichten darf, weil wir sie nie geheim gehalten haben und später
auch herzlich darüber gelacht haben. Ich kam eines Tages nach längerer
Fahrradfahrt bergauf mit letzter Kraft und jagendem Puls bei Horst an. Er bot sich
an, meinen Blutdruck zu messen. Er habe gerade ein automatisches Messgerät fürs
Handgelenk erworben, noch original verpackt. Ohne die Gebrauchsanweisung zu
lesen, legte er es an. Dabei muss ihm ein Fehler unterlaufen sein. Denn das Gerät
ermittelte Werte von 230 zu 150. Psychologisch geschult erklärte er mir, das sei
hoch aber nicht Besorgnis erregend. Insgeheim erwog er aber schon, wie er mir
später gestand, einen Rettungshubschrauber zu ordern. Dann besann er sich
jedoch, irgendwo von früher noch ein herkömmliches Messgerät mit
Oberarmmanschette und Stethoskop zu haben. Er fand es, legte es an und
ermittelte jetzt die richtigen, niedrigeren Blutdruckwerte, die er für nach sportlicher
Betätigung durchaus akzeptabel erklärte. So war Horst auch: er verließ sich nicht auf
den ersten Blick, sondern schaute auch zweimal hin, bevor er sich ein Urteil bildete.
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Parallel zum Medizinstudium wurde in Braunschweig, wohin er mit Inga gezogen
war, die Familie erweitert: 1975 kam Maike zur Welt, 1977 Gunnar. Seinen
beruflichen Einstieg hatte er in Hannover, später folgte die Ausbildung zum
Neurologen und Psychiater in Braunschweig. 1985 promovierte er mit einer Arbeit
unter dem Titel “Der Aufbau einer integrierten psychosozialen Beratungseinrichtung Feststellungen zu Entwicklung, Inanspruchnahme und Arbeitsweise” zum Doktor der
Medizin. Horst war da Mitte dreißig. Und weil der Weg bei ihm über mehrere
Stationen gegangen war, hat er später seinen Kindern selbst auch keine Vorschriften
zum Studienweg gemacht. Er akzeptierte, dass keiner in seine beruflichen
Fußstapfen tritt, obwohl er das vielleicht gern gesehen hätte, sondern förderte und
unterstützte ihre eigenen Wege nach Kräften.
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Auch wenn die Jahre in Braunschweig für ihn gut waren, drängte es doch in die
Heimatstadt Flensburg zurück. Auch reizte ihn die Arbeit als selbständiger Arzt. Und
so übernahm er 1986/87 die Nervenarztpraxis in der Moltkestraße, nach einem Jahr
kam Aegidius Schneider als Partner dazu.
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Ich habe Horst nach dem Aufbruch Ende der sechziger Jahre lange aus den Augen
verloren. Unsere Freundschaft ist in den letzten zehn Jahren entstanden. In den
vielen Gesprächen auf langen Autofahrten, beim und nach dem Essen am
Wochenende oder jeden Freitag im Odore haben wir aber gemeinsam unsere
Geschichte uns gegenseitig erschlossen.
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Kein Aufbruch führt schnurstracks und ohne Umwege zum Ziel, manchmal verirrt
man sich auch. Das konnte Horst zugeben und wir konnten gemeinsam darüber
lächeln. Auf abgeschlossene Kapitel in seinem Leben blickte er positiv zurück.
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Die erste Ehe zerbrach Anfang der neunziger Jahre. Trotzdem oder gerade deshalb
erzählte er gern von der Zeit, als Maike und Gunnar kleiner waren und er sich - für
die Zeit noch untypisch aber für einen Achtundsechziger konsequent - um ihre
Erziehung gekümmert hat, solange es das Studium zuließ. Später in der Zeit in der
Klinik musste er diese Aktivität mit den Kindern mehr aufs Wochenende verlegen. Er
berichtete besonders von gemeinsamen Urlauben im Wohnwagen und nicht so
ganz geglückten Winterabenteuern mit dem Schlitten.
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Als nächstes Kapitel folgten ab 1994 die Jahre mit Verena und ihren Kindern Luisa,
Robert und Philipp. Horst zog mit ihnen aufs Land und blieb nach einer Phase des
unsteten Wohnungswechsels, dort fünfzehn Jahre heimisch, wenn auch die letzten
fünf wieder allein. In Estrup wurde ein renovierungsbedürftiges Gemäuer von Grund
auf saniert und für zehn Jahre ein gemeinsames Zuhause. Dort traf ich ihn 2003
wieder, als er gerade begann, sich fürs Joggen und später den Marathon zu
begeistern. Eigentlich war Fußball sein Sport, aktiv und passiv. Das verband ihn
besonders mit Gunnar. Er war Mitglied beim HSV: “Da muss man leidensfähig sein”,
erklärte er und wenn er ins Stadion ging, war wahrscheinlich, dass der HSV verlor.
Aber immerhin: der Verein ist, worauf Horst gern hinwies, als einziger fünfzig Jahre
in der ersten Liga geblieben. Gleichzeitig war er förderndes Mitglied bei Roter Stern
Flensburg. Aber zurück zum Laufen. Eines Tages nahm er mich mit auf einen
Spaziergang vom seinem Haus bis zu einem Acker, vielleicht eineinhalb Kilometer
entfernt. Er erzählte, wie er sich nach einer Fußballverletzung vorgenommen habe,
dieses kurze Stück wieder laufen zu können. Und dann sei eben immer wieder ein
Stück hinzugekommen. So wie bei Forrest Gump, der auch nur ein Stück laufen
wollte und dann immer weiter lief. Womit bewiesen ist, dass nicht nur Narren
Gefallen am Laufen finden. Horst soll das, so wird berichtet, wenn die Tage mit
Arbeit gefüllt waren und es zu früh dunkel wurde auch mit Lampe auf dem Kopf
gemacht haben.
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Warmherzig blickte er auch auf diese Zeit mit Luisa und Robert zurück; der Tod ihres
Bruders Philipp im Jahre 2002 hat auch ihn schwer getroffen. Horst war verletzlich,
gleichzeitig wusste er aber auch, dass er Verletzungen bei anderen zurück gelassen
hat; aber das Thema haben wir eher am Rande behandelt. Und so soll es auch
heute sein.
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Aus Vätern werden Großväter. Zweimal ist ihm das gegönnt gewesen mit seiner
Enkelin Zoe und seinem Enkel Bela. Die Besuche der Enkel in Flensburg waren
Highlights in seinem privaten Leben. Im vergangenen Sommer erfand er bei der
Gartenarbeit, die er immer mit Hingabe gemacht hat, mit Bela die Haussäge. Und
wenn er dann selbst nach Freiburg fuhr, um die beiden und ihre Eltern zu besuchen,
soll es in der ansonsten von der Sonne verwöhnten Stadt öfter geregnet haben.
Horst nannte das das “Opa-Wetter”, was dem Spaß mit den Enkeln aber keinen
Abbruch tat. Der ging so weit, das auch einmal der Weihnachtsbaum wackelte.
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Man sagt es so schön - und oft trifft es nicht zu. Aber bei ihm stimmt es wohl. Arzt
war nicht nur sein Beruf sondern Berufung. Weil Menschen in dieser Gesellschaft
auf der Strecke bleiben, an ihr krank werden, hat er sich eingesetzt für einen neuen
Blick auf die damit oft verbundenen Suchtkrankheiten und ihre Behandlung. Auf
dem Marsch durch die Institutionen der Medizin ist er unter anderen zur Substitution
gekommen, die das Leben der betroffenen Menschen nicht grundlegend ändert,
aber doch ein Stück besser macht. Dabei waren viele Hürden und Vorbehalte zu
überwinden - und Horst hat sich dadurch auch oft eingeengt gefühlt. “Das ist nicht
mainstream, aber trotzdem richtig”, meinte er dann. Das galt nicht nur für die
Substitution, sondern auch für die Betreuung von Schwangeren und Müttern in
Konfliktsituationen oder die kranken Menschen, die er - lange noch mit dem
Motorrad durch Angeln brausend - in den verschiedenen Einrichtungen besuchte.
Als Arzt selbst musste er im Umgang mit den Menschen, die zu ihm kamen,
insgesamt
eine schwierige Gradwanderung schaffen. Auf der einen Seite die
Empathie, das Mitgefühl für die Patienten. Davon hatte er eine ganze Menge. Das
merkte man, wenn er, natürlich immer unter strikter Wahrung der Schweigepflicht,
berichtete von einzelnen Schicksalen. Er hat diese Menschen und ihre Entwicklung
verstanden und da, wo das gar nicht mehr ging, sich um Verständnis bemüht. Und
auf der anderen Seite bedurfte es der Distanz, um sich von den Patienten nicht
vereinnahmen zu lassen. Diese Gratwanderung ist ihm gelungen.
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Neben seiner beruflichen Tätigkeit war es ihm selbstverständlich, ehrenamtliches
Engagement zu übernehmen, sei es als Vorstandsmitglied bei der Brücke und
SterniPark oder als Stifter bei der Stiftung Findelbaby. Genauso wichtig und
unterstützenswert war es ihm, dass in Flensburg mit der Carl-von-OssietzkyBuchhandlung ein Buchladen mit anspruchsvollem und linkem Programm bestehen
konnte. In zahlreichen Arbeitskreisen wirkte er mit.
Und Horst pflegte
Freundschaften und Bekanntschaften, mag es der Sport mit Henning und Harry
gewesen sein oder das Männerfrühstück mit Michael, Paul und Turi, das Horst in
seinem separaten Wohntrakt in Estrup begründete. 2009 kam er auf die Idee,
seinen Sommerurlaub mit den Alpenmännern auf einer Wanderung über gerade
diese Berge zu verbringen. Im Jahr darauf sollte es dann aufs Dach der Welt gehen -
eine neue Herausforderung. Es war schon gebucht, aber dann schätzte er realistisch
ein, dass da oben die Luft wohl doch etwas zu dünn sein könnte.
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Abgesehen von seinen alpinen Abenteuern wollte Horst schon vor ein paar Jahren vielleicht auch frustriert durch die genannten Widerstände - kürzer treten. Dann ist er
aber noch einmal durchgestartet. Nach über zwanzig Jahren in der gut eingeführten
Facharztpraxis in der feinen Moltkestraße ein neuer Aufbruch in die
Gemeinschaftspraxis mit fünf Ärzten in der Waitzstraße, die am 1. April 2011 eröffnet
wurde. Zu ihm und Aegidius Schneider gesellten sich Elisabeth Dethleffsen, Britta
Ricken und Michael Lappe. Das entscheidende Motiv waren dabei wieder die
Menschen, die seine Patienten waren und deren Versorgung er verbessert sehen
wollte. Dass nebenbei dieser Beruf auch seinen Mann ganz gut ernährte hat er
indes nie verschwiegen und sich dafür auch nicht geschämt. Warum auch? 1968
meinten wir zwar, nichts zu verlieren zu haben, aber ein Armutsgelübde haben wir
auch nicht abgelegt.
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Dem Aufbau der Gemeinschaftspraxis folgte ein weiterer Aufbruch. Horst war
inzwischen aus Estrup nach Flensburg gezogen; das Kind aus dem Kielseng unten
an der Förde war oben in Fahrensodde mit Blick bis nach Dänemark angekommen.
Und dort verliebte er sich wieder. Eines Tages kam er ins Odore - inzwischen ein
Nebenwohnsitz - und sagte: „Ich habe jetzt eine Freundin. Sie heißt Lena.” Als ich
seinen Blick sah, war mir alles klar und ich antwortete: “Du wirst sie heiraten.” So
kam es dann auch. Erst bekam sie eine Schublade in seinem Haus, dann eine
Schrankhälfte, dann den Schlüssel und heute vor 53 Wochen heirateten die beiden
im Nordertor. Ich zitierte aus diesem Anlass aus einem Chanson von Hildegard
Knef: “Der alte Wolf wird langsam grau, nun will er friedlich sein und lieb zu seiner
Frau.” Er war es. Und sie stellte sich auf sein Leben ein. Er gewann sie für sein
Hobby, das Laufen. Er filmte vieles mit dem Handy, so auch ihren ersten ZehnKilometerlauf in Dresden, und zeigte jedem, wie eine etwas erschöpfte Lena fröhlich
in die Kamera rief: Ich will nach Hause. Natürlich sind beide gut angekommen. Vor
etwa mehr als drei Monaten haben wir die Hochzeit gefeiert. Die beiden wünschten
sich als Geschenk eine Kreuzfahrt: Horst goes Traumschiff. Vor wenigen Wochen
zeigte er dann seinen Rentnerausweis und erklärte: noch 208 Wochen. Dann wollte
er Schluss machen mit der täglichen anstrengenden Arbeit in der Praxis von sieben
Uhr morgens bis 19 Uhr abends und auch mal am Wochenende. An einem solchen
Wochenende Anfang September schickte er mir einmal eine SMS “Einen dicken
Kuss aus der Praxis.” und zwei Minuten später: “War natürlich nicht für dich.” Sie
war für Lena; er hatte sich beim Empfänger vertippt.
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Der lange Marsch war anstrengend. Er hat Horst Herz, sein großes und gütiges
Herz, vor der Zeit altern lassen. Da halfen 21 Marathonläufe in den letzten zehn
Jahren nicht. Er hat das nicht gewusst. Nach einem glücklichen
Weihnachtsaufenthalt in Freiburg mit der Familie, wollte Horst am zweiten
Weihnachtstag morgens wieder etwas trainieren und dabei die Brötchen holen. Auf
dem Weg ereilte ihn ein Herzinfarkt, an dessen Folgen er dann trotz aller ärztlichen
Bemühungen gegen Mittag starb.
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So stehen wir hier am Ende eines Weges, mit dem wir alle nicht gerechnet hatten. Er
war zu kurz, aber er es ist trotzdem kein unfertiges Leben. Er hätte gern noch einige
Kapitel mehr geschrieben. Aber die er geschrieben hat, machen ein beachtliches
Lebenswerk aus, das allen Respekt verdient.
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Neulich traf ich Horst und berichtete, dass ich in Aix-en-Provence war. “Da hättest
Du doch mal nach dem Fotoapparat gucken können, den ich 1969 beim Trampen
an der Autobahnauffahrt vergessen habe”, meinte er. Wie viele dieser Generation
hatte er gute Erinnerungen an den “Summer of 69", vielleicht sogar verklärte. Die
ersten Menschen waren auf dem Mond gelandet und es schien alles möglich. Wir
beiden älteren Herren zumindest schwelgten ein bisschen in den Erinnerungen frei
nach dem Song von Bryan Adams: “Aber wenn ich jetzt zurückblicke, scheint dieser
Sommer ewig gedauert zu haben, und wenn ich die Chance hätte, würde ich für
immer dort sein wollen”, und kokettierten mit einem “back to the roots”. Dann
berichtete ich von der dortigen Ausstellung zum 100. Geburtstag von Albert Camus.
Wir waren uns einig. Der hat wohl recht gehabt damit, dass die Welt absurd ist, das
Leben aber lebenswert wird durch den Geist der Revolte. Oder einfacher: dadurch,
dass man versucht, die Welt durch seine Aktivität irgendwie ein bisschen zu
verändern, besser zu machen. Das hat Horst nicht nur versucht. Das ist ihm
gelungen.
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Albert Camus zugeschrieben wird auch das Wort: “Gehe nicht vor mir her, vielleicht
folge ich dir nicht. Geh nicht hinter mir, vielleicht führe ich dich nicht. Geh einfach
neben mir und sei mein Freund.”
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Hier sind viele Freunde von Horst versammelt. Und dieses Wort über Freundschaft
passt auf Horst. Dass er einem folgt, dessen konnte man nie sicher sein. Im
Gegenteil. Man musste damit rechnen, dass er in eine ganz andere Richtung wollte
oder zumindest schwere Bedenken anmeldete gegen den vorgeschlagenen Weg.
Gegen Führer hatten wir ohnehin eine tief begründete Abneigung. Horst machte
Vorschläge; er warb für die Richtung, die er einschlagen wollte, nahm die Menschen,
mit denen er arbeitete, ob als Kollege oder als Chef, mit.
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Aber wie oft war er neben uns. Nahm Freunde in den Arm. Das wird vielen von uns
fehlen. Aber vielleicht bleibt ein wenig von dem guten Gefühl, dass dieser Freund
neben uns steht.
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