Peter W. Marx: Max Reinhardt. Vom bürgerlichen Theater zur

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Peter W. Marx: Max Reinhardt. Vom bürgerlichen Theater zur
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unter die Lupe genommen. Ferdinand ist der jüngere Bruder von jenem Wilhelm von Bayern, der
die CdA-Darstellungen von Schloss Trausnitz in
Auftrag gab und er bereiste in den 1560er Jahren
die Höfe Norditaliens. In seinen Berichten findet
die Autorin theaterhistoriografische Zeugnisse für
die Theatralität dieser Zeit und macht Vorbildmomente für die Münchner Hochzeitfeier von 1568
aus, in deren Umfeld die erste dokumentierte
improvisierte Aufführung der CdA entstand.
Im 2. Teil des Buches werden u.a. neue Funde
in die bestehende Bilderlandschaft eingebettet,
Motivketten und Vorläufer aufgespürt, sowie
Ausbreitung und Wirkung von Sujets untersucht.
Katritzky kontextualisiert nach kunsthistorischer
Manier die besprochenen Werke und nimmt eine
Reihe von Neudatierungen und -zuschreibungen
vor. Dabei bewegt sie sich wie viele vor ihr – es
liegt in der Natur der Sache – zuweilen auf hypothetischem Terrain.
Da detaillierte Beschreibungen von der Aufführungspraxis professioneller italienischer Truppen vor 1600 fehlen, ist man für Informationen zu
Bühne und Bühnenbild weitgehend auf die bildnerischen Darstellungen angewiesen. So bespricht
Katritzky im 3. Teil ihrer Arbeit anhand von Darstellungen verschiedene Kategorien von Bühnenformen. Weiter wird den zentralen Bühnen-Figuren ein kurzes Kapitel gewidmet, das präzise Informationen zu Kostüm, erster Nennung des Bühnennamens und den dahinter stehenden comici
liefert. Eine Übersicht über die wichtigsten Bilderfolgen, die Vorlagen für viele der später auftauchenden Varianten dienten, rundet das Werk
ab.
Mit der Fülle an Informationen, den 340 s/w
Abbildungen, der 40-seitigen Bibliografie und
dem 47-seitigen Index bietet die Edition wie kein
anderes Buch eine Übersicht über das wesentliche
ikonographische Material der CdA. Der Laie auf
dem Gebiet erhält einen soliden Einstieg in die
historischen Quellen und in die Ikonographie
dieser Theaterform, der Forschende ein wertvolles
Nachschlagewerk. Die Autorin bespricht die Quellenlage und die Zusammenhänge von Werken von
Ambrogio Brambilla, Sebastian Vrancx, Jan Bruegel, Louis de Caulery, Marten de Vos, Mitglieder
der Valckenborch und Francken Familien. Stiche
von Jaques Callot und Werke aus dem StockholForum Modernes Theater, Bd. 22/1 (2007), 96–98.
Gunter Narr Verlag Tübingen
mer Recueil Fossard werden genauso herangezogen wie eine Menge wenig bekannter oder bis
dahin unbekannter Darstellungen aus dem weiten
Spektrum der bildgewordenen Reflexion zur
Commedia dell’Arte.
Zürich
STEFANO MENGARELLI
Peter W. Marx: Max Reinhardt. Vom
bürgerlichen Theater zur metropolitanen
Kultur. Tübingen: A. Francke Verlag,
2006, 244 Seiten.
Kaum eine andere Größe der europäischen Regie
der ersten Dekaden des ausgehenden 20. Jahrhunderts ist so oft zum Gegenstand theaterwissenschaftlicher Auseinandersetzungen geworden wie
Max Reinhardt. Die beeindruckende Fülle der
Publikationen, die zu Lebzeiten Reinhardts entstanden ist, wurde befördert durch die enorme
gesellschaftliche Ausstrahlung dieses einzigartigen
Künstlers, dem es binnen weniger Jahren gelungen
war, zu einem in ganz Europa gefeierten Theatermacher und Leiter eines Theaterimperiums zu
avancieren, und sie stand ganz im Zeichen der
Suche nach seinem Erfolgsgeheimnis. Der erst
einige Jahre nach dem Tod Reinhardts gewonnene
Abstand zu seinem Schaffen ermöglichte eine
differenzierte Einschätzung seines Theaters und
dessen Einordnung sowohl in den theatralen als
auch in den gesellschaftlichen Kontext seiner Zeit.
Nach knapp sechzig Jahren der ziemlich intensiven Beschäftigung mit dem Mythos Reinhardt
scheinen heute sowohl seine Theaterunternehmen
und alle seine Inszenierungen mehrfach und aus
verschiedenen Blickwinkeln untersucht als auch
sein Privatleben in einzelnen Aspekten rekonstruiert zu sein. So wird jeder neue Versuch, einen
analytischen Blick auf Reinhardts Leben zu werfen, schon allein deswegen zu einem spannenden
Unterfangen, weil es immer komplizierter wird,
neue Gesichtspunkte zu finden, unter denen Reinhardts Theaterarbeit analysiert werden könnte.
Peter Marx, dem Autor der jüngsten MaxReinhardt-Monographie, ist es gelungen, einen
neuen Zugang zum Phänomen Reinhardt zu fin-
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den, indem er seine Betrachtungen methodisch an
die Definition der Theatergeschichte als “Analyse
des Verhältnisses von Inszenierung und dem
Theater als Produktions- und Rezeptionsort” (19)
anknüpfte und Reinhardts Theater als “Reflex der
es umgebenden Zeit und Gesellschaft” (12) zur
Diskussion stellte.
Die zentrale Blickrichtung der Studie, wie sie
bereits in ihrem Untertitel thematisiert erscheint,
bewegt sich vom “bürgerlichen Theater zur metropolitanen Kultur”. Reinhardts Theaterkonzept
wird dabei als Ausdruck der infolge der sozialen
Veränderungen Ende des 19. und Anfang des 20.
Jahrhunderts entstandenen Bürgerlichkeit begriffen. “Das Theater Max Reinhardts kann als
ein typisches Beispiel dieser Bürgerlichkeit angesehen werden”, lautet die Leitthese des Verfassers,
“an die es sich gezielt anlehnte und für die es
ausdrücklich Angebote und Räume eröffnen
wollte. Es entfaltet sich vor dem Hintergrund
dieses Verständnisses von Bürgerlichkeit, es entwächst diesem aber gleichzeitig und wird Bestandteil einer internationalen, metropolitanen Kultur”
(26).
Im ersten Teil der Studie, “Theaterräume –
Theaterentwürfe – Theaterformate”, wird der
programmatische Pluralismus Reinhards Theaterkonzeptes am Beispiel dreier Theaterprojekte vor
Augen geführt. Zuerst beschäftigt sich der Verfasser mit dem Kabarett Schall und Rauch (1901), an
dessen Programm, Innenausstattung und äußerer
Gestaltung sich künstlerische Bestrebungen und
wirtschaftliche Ambitionen Reinhardts zu Beginn
des 20. Jahrhunderts ablesen lassen. Ein Einblick
in die Spielplangestaltung dieser Kleinkunstbühne
und die darauffolgende Beschreibung ihrer räumlichen Verhältnisse und Atmosphäre macht ersichtlich, dass Schall und Rauch Reinhardt einen
weiten Spielraum für Experimente mit verschiedenen ästhetischen Mitteln und Theaterformen eröffnete, deren Nebeneinander seinen späteren
Inszenierungsstil auszeichnete. Zugleich orientierte sie sich in ihrer grundlegenden Intention, die
u.a. im exquisiten Interieur und in der zentralen
Lage zum Tragen kam, auf die “großbürgerliche
Salonkultur” und ihre “Repräsentationsformen”
(51f.) und war dadurch auch imstande, “einen
Prozess der ‘Besiedelung’ der Stadt unter neuen
Vorzeichen” (52) zu reflektieren.
Die Kammerspiele des Deutschen Theaters,
auf die Marx im nächsten Schritt eingeht, zeigten
sich ebenfalls einerseits der “Idee eines Salontheaters um die Jahrhundertwende” [77] verhaftet. Reinhardt verstand es, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Exklusivität dieser
Bühne zu betonen. Durch die hohen Eintrittspreise, Frackzwang und die entsprechende Innenausstattung der Räume machte er die Kammerspiele zu einer “Bühne für die bürgerliche SelbstDarstellung, deren Habitus gezielt Eleganz und Stil
großbürgerlicher Lebensführung evozierte” (75).
Andererseits betrachtete er dieses Theater, wie
Marx am Beispiel von zwei zukunftsweisenden
Produktionen Reinhardts – Ein Sommernachtstraum (1905) und Gespenster (1906) – ausführt, als
ein Experimentierort, an dem er, wie es bereits die
Gespenster-Inszenierung beweist, “mit der herkömmlichen Inszenierungstradition” zu brechen
suchte, indem er “sich nicht länger am Ideal einer
möglichst getreuen, realistischen Darstellung”
orientierte, sondern diese mit Hilfe der Bühnenbildentwürfe von Edvard Munch “vielmehr
dem Konzept eines visuellen Gesamteindrucks
unter[ordnete] “ (67).
Das den ersten Teil abschließende Kapitel
beschäftigt sich mit Reinhardts Arena-Aufführungen, in denen sich partiell Reinhardts Vision vom
Theater der Fünftausend materialisiert findet und
die eine weitere Entwicklungsphase des Theaterkonzeptes von Reinhardt markieren. Eine detaillierte Beschreibung der berühmten König OedipusInszenierung im Zirkus Schumann macht deutlich, dass die Großrauminszenierungen, die “auf
eine mehrtausendköpfige Zuschauerschar angelegt” (83) wurden, als ein “spiegelbildlicher
Gegenentwurf” (90) zu den an die bürgerlichen
Salons referierenden Konzepte des Kabaretts und
der Kammerspiele gedacht waren. Sie wurden zu
“ein[em] Reflex auf die Erfahrung der modernisierten Großstadt” (102) und sie sollten die Aufgabe erfüllen, der “das bürgerliche Theater […]
nicht mehr gewachsen war”: die Masse “in eine
Gestalt zu füllen” (117).
Beschäftigen sich die Kapitel des ersten Teils
der Studie mit Reinhardts ästhetischem Programm, so stehen im Blickfeld des zweiten Teils
“der organisatorische Aufbau des ‘Theaterimperiums’ Reinhardt sowie seine Arbeitsweise”
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(119). Im einleitenden Kapitel, “,Reinhardt goes
global!’ Tourneen, Gastspiele, Expansionen”,
skizziert der Verfasser anhand einer detaillierten
Beschreibung der 1911 in der Londoner Olympia
Hall herausgebrachten Großrauminszenierung
von The Miracle, mit der Reinhardt “aus dem
deutschen Sprachraum auf das internationale
Parkett” (135) trat, wie Reinhardts Theater sich
“zu einer Kunstform entwickelte, die konsequent
den Horizont nationaler, bürgerlicher Kunst
überschritt” (119).
Bemerkenswert ist das Kapitel, in dem Marx
sich mit den wenigen Arbeiten Reinhardts für die
Filmindustrie beschäftigt. In Anbetracht der weiten Bandbreite ästhetischer und technischer Mittel, zu denen Reinhardt in seinen Inszenierungen
griff, kann man allerdings eine intensive Wendung
des Regisseurs zum aufgehenden Medium Film
vermuten.
In der Tat aber ist es Reinhardt trotz einigen
Versuchen nicht gelungen, im Kino an seine Theatererfolge anzuknüpfen. Von Reinhardts ‘Rendezvous’ mit dem Film ‘profitierte’ hauptsächlich
der Film, der aus seinen Arbeiten starke Impulse
bezogen hat.
Der enorme Erfolg Reinhardts, auf den im
Buch immer wieder hingewiesen wird, wirft die
Frage nach den wirtschaftlichen Grundlagen seiner Unternehmungen sowie nach Strategien,
deren Einsatz die Nivellierung der für die bürgerliche Gesellschaft charakteristischen Gegenüberstellung von Kunst und Ökonomie ermöglichte,
auf, der im Band ebenfalls nachgespürt wird.
Anschließend müssen auch die Schlusskapitel
des Bandes, die das Theater von Max Reinhardt
im Kontext und als Teil der deutsch-jüdischen
Geschichte und “als historisches Lehrstück, das
zentrale Züge der historischen Entwicklung offenbart” (211) diskutieren und die das Bild des Reinhardtschen Schaffens plastisch vollenden, erwähnt
werden.
Der Gesamteindruck, der nach der Lektüre
entsteht: eine präzise, kenntnisreiche, klar strukturierte, elegant geschriebene und gut zu lesende
Arbeit.
Berlin
SVETLANA JUKANITSCHEWA
Forum Modernes Theater, Bd. 22/1 (2007), 98–100.
Gunter Narr Verlag Tübingen
Martin Baumeister: Kriegstheater. Groß
stadt, Front und Massenkultur 1914–1918.
Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte. Neue Folge. 18. Essen: Klartext Verlag,
2005; 320 Seiten.
Die Theatergeschichte des 20. Jahrhunderts ist in
den letzten Jahren ein wenig stiefmütterlich behandelt worden. Zwar sind eine Reihe von wichtigen Einzelmonographien erschienen bzw. fanden
einzelne Aspekte eine Würdigung, Arbeiten aber,
die in größerem Maßstab darauf zielen, Theater
(mit all seinen Formen und Schattierungen) in
seiner Wirkung auf den kulturellen und sozialen
Kontext zu beschreiben, haben nur wenige sich
zur Aufgabe gemacht.
Martin Baumeister wendet sich in seiner Studie Kriegstheater diesem Zusammenhang zu, wenn
er das Verhältnis von Theater und theatralen Formen und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs
bzw. der ‘mentalen Aufrüstung’ im Vorfeld untersucht. Es ist nicht ohne Ironie, oder wenn man es
ernster formulieren will, symbolische Bedeutung,
dass ein solch wichtiger Anstoß, eine solche kreative Weiterung des historiographischen Blicks nicht
von einem Theaterwissenschaftler, sondern von
einem Historiker kommt. Verzichtet man allerdings auf disziplinären Lokalpatriotismus, kann
man sich vor allem daran freuen, dass hier der so
oft beschworene interdisziplinäre Blickwinkel
eindrucksvoll sein Potenzial unter Beweis stellt.
Theater, so der Ausgangspunkt von Baumeister, hatte entscheidenden Anteil an der Mobilisierung der Bevölkerung, die für einen Massenkrieg
wie den Ersten Weltkrieg unverzichtbar war. So
einleuchtend dies auf den ersten Blick sein mag,
methodisch erfordert ein solcher Fokus einen
beständigen Grenzwechsel zwischen der sog.
Hoch- und Populärkultur. Dies aber ist nur möglich, wenn man seine Begriffe grundsätzlich hinterfragt:
Populäre Kultur lässt sich dementsprechend
weniger durch ästhetisch-moralische Kategorien
bestimmen, wie sie ihre zeitgenössischen Gegner
ins Feld führten und die noch bei wissenschaftlichen Diskussionen um die ‘Trivialliteratur’ und
das ‘Trivialtheater’ im Vordergrund standen, sondern mehr durch ihren über den Markt vermittelten demokratischen Charakter. (16)

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