Wie viele zusätzliche Hotelbetten verkraftet Kempten?

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Wie viele zusätzliche Hotelbetten verkraftet Kempten?
Wie viele zusätzliche Hotelbetten verkraftet Kempten?
Kemptener Hoteliers stellen geplanten Hotelturm stark in Frage
Der von dem Investor Walter Bodenmüller geplante Hotelneubau am Berliner Platz mit 400
Gästebetten soll bereits in 4 Jahren an den Start gehen. Vorher sind weitere Hoteleröffnungen
geplant, respektive bereits in Bau: ArtHotel 112 Betten, Brauhöfe 200 Betten, Soloplan City 50
Betten und MyParkhotel mit einer Erweiterung von 100 Betten. Dies sind bis zum Jahr 2020
zusätzliche 862 Betten allein in der Kemptener Innenstadt. Eine kolossale Steigerung zu den seit
Jahren bestehenden Hotels mit derzeit 1.330 Betten.
Die Entwicklung der Hotelbettenbelegung der letzten 5 Jahre zeigt in der Tat eine enorme
Steigerung. So präsentiert das Landesamt für Statistik in Bayern Ende 2015 insgesamt 260.718
Übernachtungen in 19 bestehenden Hotels. Alles gesund wirtschaftlich operierende Betriebe
zwischen 9 und 190 Betten stark. Doch der Schein trügt. Während in sehr starken Sommermonaten
Belegungen von über 85 % erreicht werden, bringen es die Kemptener Hotels in einigen
Wintermonaten gerade mal auf 45 % Auslastung. Zu wenig, um für entsprechende Rücklagen
dringend benötigender Investitionen in der Zukunft zu sorgen. Die starke Erhöhung der
Übernachtungszahlen im vergangenen Jahr resultiert u.a. vom Bau und der Eröffnung eines großen
Möbelhauses in Kempten, überregionalen Veranstaltungen wie beispielsweise dem G7 Gipfel sowie
Firmenfusionierungen im Kemptener Umkreis mit erhöhtem Übernachtungsaufkommen von rund
8.500 Nächtigungen. Allesamt Veranstaltungen, die in dieser Form in den nächsten Jahren nicht
wieder zu erwarten sind. Der internationale Reisemarkt stagniert derzeit oder bricht völlig
zusammen: Allein die USA hat eine Reisewarnung für das gesamte Europa herausgegeben und seit
den Anschlägen in Paris und Brüssel ist auch der japanische Reisemarkt praktisch zum Erliegen
gekommen.
Wie sollen diese Zahlen ein Großobjekt wie dem des geplanten Hotelturms mit einer geschätzten
Jahresauslastung von über 73.000 Übernachtungen jährlich rechtfertigen? Alle anderen bis zum Jahr
2020 eröffneten Hotelprojekte fordern ebenfalls eine Auslastung von 84.000 Jahresübernachtungen,
eine Steigerung von stolzen 40% innerhalb der nächsten 4 Jahre! Die Berechnung bezieht sich hierbei
auf eine jährliche, durchschnittliche Belegung von nur 50%. Hotels dieser Größenordnung benötigen
allerdings eine Jahresauslastung von 70 % um deren Qualitäts-Standards halten und die damit
verbundenen Kosten decken zu können. Neben der geplanten Erhöhung der Bettenkapazität in der
Innenstadt Kemptens sind im Umkreis von etwa 40 km weitere 1.940 Hotelbetten geplant, die
ebenfalls Auswirkungen auf den bestehenden Markt der Allgäu-Metropole haben werden.
Die touristische Gesamtentwicklung der Stadt Kemptens hingegen stagniert derzeit gewaltig.
Während in der überarbeiteten Version der „Strategieplanung Tourismus Kempten“ aus dem Jahr
2014 für die Stadt insgesamt ca. 1.200 Hotelbetten im Jahr 2020 vorgesehen waren, haben wir
bereits heute diese Zahl bei weitem übertroffen. Die von der Stadt Kempten angepriesenen Projekte
zur Weiterentwicklung der touristischen Freizeitaktivitäten und Sehenswürdigkeiten sind bei weitem
nicht umgesetzt oder weiterentwickelt worden (Quelle: Strategieplan Tourismus Kempten 2020). Hier
ein paar Beispiele dazu: Bei der Radrunde Allgäu bleibt die Allgäu-Metropole Kempten als Ziel außen
vor, ebenfalls bei der Wander-Triologie Allgäu. Alle Routen führen weit um Kempten herum. Die bei
vielen Allgäu-Touristen stets hoch im Kurs stehenden Ski- und Winterwander-Aktivitäten sind von
Kempten aus zu unbequem erreichbar und daher ebenfalls kaum ein Thema. Aufgrund eines
Freizeitbades kommt niemand explizit nach Kempten und die Installation eines spannenden
Freizeitparks ist bisher nicht angedacht.
In Sachen Wirtschaftstourismus sieht es ähnlich aus: Soweit bekannt, sind keine weiteren
Firmenansiedlungen und/oder Erweiterungen bestehender Firmen geplant. Die Stadt Kempten
verfügt über keine großen Areale zur Ansiedlung von neuem Gewerbe oder Industrie.
Das APC-Gelände ist derzeit hinsichtlich Erweiterung des Kultur- und Städtetourismus mit
Übernachtungen kein Aushängeschild für die „älteste Stadt Deutschlands“, abgesehen vielleicht vom
neuen Themenspielplatz. Die Belebung der „kleinen Therme“ durch thematisierte
Wochenendaufenthalte für Reisegruppen wurde nach der Zustellung eines Eventkonzeptes durch ein
Kemptener Hotel noch vor Einzug in die Ausschusssitzung durch das Kulturamt aufgrund angeblicher
Nicht-Authentizität und möglicher Sachbeschädigung der Fundstätte durch ein erhöhtes
Besucheraufkommen anlässlich eines Events mit gastronomischen Hintergrund bereits im Vorfeld
abgeschmettert. Die Öffnungszeiten der Kemptener Museen sind im Winter stark eingeschränkt oder
sie sind gar geschlossen. Echte Highlights, welche für einen mehrtägigen Aufenthalt animieren
könnten und die Deutschlandweit für Aufsehen sorgen würden, sind derzeit nicht geplant.
Ausstellungen, Galerien und Konzerte beschränken sich bis auf kleinere Ausnahmen auf
wiederkehrende Angebote und die größten Events der Stadt, wie die Allgäuer Festwoche und der
Weihnachtsmarkt, weisen stagnierende bzw. rückläufige Besucherzahlen auf. Derzeit sind die
Winterkataloge der Busreiseveranstalter in Druckvorbereitung für eine große Reisemesse in Köln, auf
der Homepage des „weihnachtlichen Kemptens“ ist aber leider nur das Programm vom Vorjahr
ersichtlich. Lediglich der neue Termin für 2016 ist aktualisiert (Stand 6.6.2016). Wann sollen denn die
Busgruppen akquiriert werden für den kommenden Winter, wenn nicht bereits jetzt die Programme
hierfür fest stehen? Ebenso spricht man von einer Museumsvielfalt, doch die für das Allgäu
sprechenden Traditionsthemen wie Käse- und Bierherstellung werden hier nicht angegangen oder
kommen zu kurz. Neben den Angeboten in der bigBOX Allgäu und dem Stadt-Theater sind attraktive
Dauerinszenierungen, wie sonst im Festspielhaus Füssen, dem Freilichttheater Altusried und auf der
Seefestbühne Bregenz angeboten, in Kempten nicht zu finden. Dies könnte ein weiteres Standbein
für mehrtägige Übernachtungen von Busgruppen und Individualtouristen in Kempten sein.
Ein weiteres großes Thema sind Tagungen & Kongresse für 100 bis 500 Personen. In der
Vergangenheit versuchte man sich mit der Organisation von verschiedenen Groß-Veranstaltungen,
eine weitere kontinuierliche Weiterentwicklung dieses für die Hotellerie so wichtigen
Wirtschaftszweiges blieb allerdings aus. Heute können wir uns lediglich noch über die alle zwei Jahre
stattfindende Braunviehzüchtertagung freuen, und die Fachtagung der Schaaf- und Ziegenzüchter hat
gerade für nächstes Jahr abgesagt - schade. Darüber hinaus findet immer im November das Allgäu
Symposium für Orthopädie statt, die MTRA Tagung der bayerischen Röntgengesellschaft und alle 10
Jahre (!) ein gemeinsamer Kongress der freiberuflichen Vermessungsingenieure im
Deutschsprachigen Raum (wobei 2015 der letzte stattfand). Die Anzahl dieser Großveranstaltungen
sind gemessen an der Hotelbettenzahl viel zu gering für eine Stadt in der Größe Kemptens. Im
schlecht ausgelasteten Winterhalbjahr sind nach wie vor keine Festivitäten, die Übernachtungen mit
sich bringen könnten, seitens der Stadt geplant. Selbst der für Busgruppen und Individualreisende
touristisch attraktive Jahreswechsel kann in Kempten nur bedingt mehrtägig vermarktet werden, da
alle touristischen Leistungsträger geschlossen haben.
Von einer Belebung der Innenstadt, wie von den Stadtvätern sowie des Einzelhandelsverbandes
gewünscht, ist schon aufgrund der Lage des neuen Hotelturms nicht auszugehen, da die Gäste
bereits am Einfahrtstor der Stadt abgefangen und durch das Hotelangebot mit mehreren
Restaurants, Boutiquen, Wellnessabteilung und Veranstaltungsräumen aufgehalten werden.
Aufgrund der Autobahnnähe werden Gäste lediglich zu einer Zwischenübernachtung auf der
Durchreise in den Süden animiert, nicht aber zu einem vieltägigen Aufenthalt mit Mehrwert für die
touristischen Leistungsträger und den Einzelhandel der Stadt. Ein vier Sterne Plus Stadthotel mit
externer Wellnesseinrichtung kann definitiv nicht im „Luxussegment“, wie von der Stadt gefordert,
angesiedelt werden. Hier werden falsche Vorstellungen hervorgerufen.
Kempten beherbergt derzeit ca. 75% Geschäftsreisende, die restlichen 25% stellen Freizeittouristen
dar, die sich überwiegend auf die Sommermonate Mai bis Oktober verteilen. Demnach stellt sich für
die nächsten Jahre als größte Herausforderung für die Stadt die touristische Belebung der
Wintermonate von November bis April. Die Statistik des Bayerischen Landesamtes sagt aus, dass in
den letzten vier Jahren die Belegung in den Wintermonaten zwar analog der Bettenkapazität
gestiegen ist, gegenüber den Sommermonaten jedoch unverändert schwach blieb. Dies lässt die
Prognose zu, dass bei einer Erhöhung der Bettenkapazität die Belegung in den einzelnen Hotels
extrem sinken wird und bedingt durch die schwache Auslastung im Winter die Existenz, insbesondere
der kleineren individuellen und persönlich geführten Hotels, in der Zukunft sehr in Frage gestellt
wird. Alteingesessene Traditionshotels werden allem Anschein nach aufgrund des Drucks der Großen
schließen müssen.
Die Aussagen zum Bau des Hotelturms seitens des Investors Walter Bodenmüller lassen derzeit
einige Fragen ungeklärt. Auf Nachfrage der Kemptener Hoteliers konnte Bodenmüller weder eine
konkrete Aussage bezüglich der hier entstehenden Zimmeranzahl noch der Hotelklassifizierung von 3
bis 4 ½ Sterne treffen. Ebenfalls ist unklar, wer der zukünftige Betreiber sein könnte und über den
Namensgeber, eine internationale Hotelkette, wird ebenfalls noch spekuliert. Auch über das
Aussehen, die Höhe des Gebäudes und die Gestaltung der äußeren Fassade ist noch lange nicht
entschieden. Auf die Frage der Kemptener Hoteliers, wie er denn gedenkt die Betten zukünftig zu
füllen, antwortet Bodenmüller, dass das die Angelegenheit des Betreibers sei. Bei großen Hotelketten
sei es üblich, dass Stammgäste durch ein Kundenbindungsprogramm Punkte sammeln können, die
sie als Treuebonus in einem anderen Hotel der gleichen Kette wieder einlösen können. Aber mal im
Ernst: Wer würde als Stammgast eines internationalen Konzernhotels beispielsweise in Paris, London
oder Madrid Punkte sammeln, die er in der „Weltstadt“ Kempten wieder einlöst? Heutzutage ist es
üblich, dass genau diese Klientel die Attraktivität nutzt, sich die gesammelten Punkte in Flugmeilen
umwandeln zu lassen. Die Punktesammler bei den Geschäftsreisenden sind international eher
rückläufig aufgrund der Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien von Unternehmen in Sachen
Regeltreue (Compliance). Die meisten Hotel-Konzerne sind mittlerweile dazu übergegangen, den
Stammgast vor Ort durch Restaurantvergünstigungen, speziellen Wellnessangeboten oder
kostenfreien Zimmer-Upgrades zu belohnen, statt mit Sammelpunkten. Hierdurch kann der Betreiber
des Hotelturms sicher keine neuen Gäste für den Standort Kempten gewinnen. Investor Bodenmüller
spricht weiter von „Monteuren“, die lieber in ein renommiertes Markenhotel gehen würden, statt in
ein „Allerweltshotel“ ohne Bekanntheitsgrad. Scheinbar weiß Bodenmüller nicht, dass Monteure
über ein äußerst knappes Budget verfügen und demnach eher ein 2 Sterne Hotel oder eine günstige
Pension, als ein 4 Sterne Plus Hotel, wie von Bodenmüller angedacht, buchen würden. Darüber
hinaus sei an dieser Stelle anzumerken, dass eine internationale Hotelmarke noch lange kein Garant
dafür ist, ausreichend Buchungen von internationalen Gästen für eine Stadt zu generieren. Aktuelles
Beispiel hierzu: Das bigBOX HOTEL Kempten. Seit Hoteleröffnung im Jahr 2013 gehört dieses einer
internationalen Hotelmarke an. Ein entsprechendes Buchungsaufkommen für das Hotel und somit
für die Destination Kempten/Allgäu konnte der Konzern jedoch nur im äußerst geringen Masse
generieren, kein lukratives Geschäft also.
Die zukünftige Hotelbetten-Schwemme wird, insbesondere in den auslastungsschwachen Monaten,
einen harten Preiskampf mit sich bringen. Derzeit liegen die Übernachtungspreise der Kemptener
Hotels bereits ca. 30% hinter dem deutschen Durchschnitt. Wie will ein Hotel mit 400 Betten im
Hochpreissegment bei dieser minimalen Auslastung im Winter wettbewerbsfähig sein können? Dies
geht nur über einen massiven Preisverfall, zu Lasten der bestehenden und mit viel Herzblut privat
geführten Hotels!
Die Kemptener Hoteliers haben bereits Ende 2014 eine Interessensgemeinschaft gebildet. Der
„Kempten Tourismus- und Veranstaltungsservice“ sieht sich nicht in der Verantwortung, ausreichend
attraktive touristische Ziele zu entwickeln, um die Hotelbetten Kemptens ganzjährig auslasten zu
können. Da haben es sich die Hoteliers zum Ziel gemacht, den Übernachtungstourismus in Kempten
zu fördern und die Stadt, mit deren Einrichtungen und Sehenswürdigkeiten als ganzjähriges Angebot,
zu fordern. Diese Interessengemeinschaft hat ihre Aufgaben in den letzten Monaten konkretisiert
und beispielsweise die Fachhochschule, Bereich Fakultät Tourismus, mit namhaften Professoren ins
Boot geholt. Es wurden unter anderem Arbeitsgruppen gebildet, welche prioritär die Dringlichkeit in
einer modernen Internetpräsentation mit touristischen Angeboten der Stadt Kempten sehen und an
der Gestaltung der Angebote zuarbeiten wollen, sowie die Buchbarkeit von Hotelzimmern über die
Kemptener Website optimieren wollen, denn vergleichbare Städte wie Aalen, Bamberg, Bayreuth
oder Aschaffenburg sind Kempten weit voraus.
Alles in Allem fordert die Hotellerie Kemptens für die Zukunft ein gesundes Wachstum der
Bettenanzahl analog und proportional zum Wachstum des Wirtschaftsstandortes Kempten. „Wir
brauchen keine Bettenburgen ohne Individualität, Herz und Persönlichkeit“, so die Hoteliers. Der
Hotelmarkt Kempten benötigt viel mehr und ganz konkret ein stetes Wachstum des
Wirtschaftstourismus durch Ansiedlung von neuem Gewerbe und Industrie sowie die Vermarktung
Kemptens als Standort für Tagungen und Kongresse. Für den Individualtouristen sowie Reisegruppen
werden attraktive und lebendige touristische Angebote hinsichtlich Freizeiterlebnisse, Kultur und
Events dringend gebraucht.
Kempten, 09. Juni 2016
Kontakt:
Interessengemeinschaft Kemptener Stadthotels
Vorsitzende: Johannes Bernhard, Hausleitung JUFA Kempten, Stadtbadstraße 5, 87439 Kempten
Zu erreichen über: [email protected]; Telefon 0831-523 84 08-0
Und: Dirk Koehler, Hoteldirektor, bigBOX HOTEL, Kotterner Straße 62, 87435 Kempten
Zu erreichen über: [email protected]; Telefon: 0831-512 88-0

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