Platon, Apologie 39e-40c: Das Schweigen des Daimonions
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Platon, Apologie 39e-40c: Das Schweigen des Daimonions
Platon, Apologie Beispielübersetzung 39e-40c: Das Schweigen des Daimonions – Mit denen, die für meinen Freispruch gestimmt haben, würde ich mich gern noch über die Ereignisse unterhalten1, solange die Beamten noch zu tun haben und ich noch nicht dorthin gehe, wo ich nach meiner Ankunft sterben muss. So bleibt für diese kurze Zeit2 doch3 noch bei mir, ihr Männer. Denn euch, weil ich euch als Freunde betrachte4, bin ich bereit5 zu erklären, was das, was mir nun geschehen ist, wohl zu bedeuten hat. Mir ist nämlich, ihr Herren Richter, etwas ganz Wunderliches geschehen. Meine gewohnte Sehergabe trat ja früher immer sehr häufig in Erscheinung und widersetzte sich schon bei unbedeutenden Kleinigkeiten unermüdlich, wenn ich dabei war, irgendetwas falsch zu machen. Nun ist mir das zugestoßen, wovon wohl mancher glauben könnte, dass es das schlimmste Unglück sei6, und was auch tatsächlich dafür gehalten wird7. Und doch hat sich mir das Zeichen des Gottes weder widersetzt, als ich am Morgen aus dem Haus ging, noch als ich hierher vor das Gericht trat, noch an irgendeiner Stelle in meiner Rede, wenn ich im Begriff war8, etwas zu sagen9. Dabei hatte es mich doch in anderen Gesprächen oft mitten im Reden unterbrochen. Jetzt aber ist es mir in diesem ganzen Prozess an keiner Stelle entgegengetreten. Was ist nun meiner Meinung nach der Grund dafür?10 Ich werde es euch sagen: Mir scheint das, was mir widerfahren ist, etwas Gutes zu sein, und alle die von uns11, die glauben, dass der Tod etwas Schlechtes sei, müssen sich irren. Dafür habe ich einen schlagenden Beweis: Das gewohnte Zeichen hätte mich gewiss gewarnt, wenn ich nicht im Begriff wäre, einen guten Weg zu gehen12. 1 Höflichkeits-Potentialis Τοσοῦτος kann ein „so groß“, aber auch ein „so klein“ bedeuten. 3 „doch (bitte)“ als Ausdruck der Inständigkeit für μοι, interpretiert als Dat. ethicus. Möglich wäre auch, μοι zu παραμείνατε zu ziehen („bleibt bei mir“). 4 PC, ὡς als einfach kausal oder den subj. Grund bezeichnend („weil ihr meiner Meinung nach Freunde seid“); so hier übersetzt. 5 Θέλω meist „bereit sein“, „einwilligen“, im Gegensatz zu βούλομαι „(planvoll) wollen“, „beabsichtigen“. 6 Relativische Verschränkung, mit Nominalausdruck aufgelöst 7 (im Graecum-Text ausgelassen) 8 μέλλω im Gegensatz zu βούλομαι: futurisches Hilfsverb, „dabei sein“, „im Begriff sein“, „(gleich) tun werden/sollen“ („sollen“, wenn das Bevorstehende gewiss ist). 9 ἐρεῖν: Futur von λέγω (μέλλω steht meist mit Inf. Futur) 10 Frage-Verschränkung, mit Nominalausdruck aufgelöst 11 (πάντες), ὅσοι „alle, die“, hier mit ἡμεῖς verbunden. Auch möglich: „(wir) alle, die wir“ 12 Oder: „wenn es mir (gemeint ist: in der bevorstehenden Zukunft, μέλλω) nicht gut ergehen würde“ (καλῶς πράττω dann aufgefasst als „es geht mir gut“) 2