Leistungssteigernde Substanzen im Freizeitsport
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Leistungssteigernde Substanzen im Freizeitsport
Dr. Mischa Kläber Handout zum Vortrag Suchtgefahren beim Konsum leistungssteigernder Substanzen im Freizeitsport im Rahmen des Symposiums Jugend und … „Amphetamine und andere leistungssteigernde Substanzen“ veranstaltet von der Städtischen Drogen- und Suchtberatungsstelle Erlangen im E-Werk Erlangen EINLEITUNG Nicht erst seit gestern hat sich Doping als eine spezielle Form des Medikamentenmissbrauchs zur sportlichen Leistungssteigerung in den westlichen Industrienationen zu einem gesamtgesellschaftlichen Problemkomplex entwickelt, der sich inzwischen als hyperstabil zu erweisen scheint. Bereits in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts ist bei US-amerikanischen Polizei- und Militärangehörigen sowie bei Collegestudenten ein leistungsoptimierender Anabolikamissbrauch enormen Ausmaßes nachgewiesen worden. Auch prominente Schauspieler und Heldenfiguren, wie Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone und viele andere, die weltweit Millionen Menschen als körperliche Vorbilder regelrecht verehren, gaben den langjährigen Konsum von Anabolika und Wachstumshormonen zu oder fielen bei Grenzkontrollen mit illegalen Dopingmitteln auf. In Deutschland scheint darüber hinaus eine medikamentöse Beeinflussung von Körper oder Psyche sowohl in der Arbeitswelt als auch an Schulen und Universitäten nicht die Ausnahme zu sein, um beispielsweise Müdigkeitszustände zu vertreiben, Prüfungsängste zu reduzieren oder Stimmungen aufzuhellen. Dies wurde von Lieb (2010) mit der Formulierung „Hirndoping“ begrifflich auf den Punkt gebracht und ist in weiten Teilen als eine Entsprechung zur modernen Leistungsgesellschaft zu verstehen. Selbst im sexuellen Bereich findet die medikamentöse Leistungsmanipulation des Körpers via Viagra, Cialis oder Levitra immer mehr Anhänger. Folglich ist in Anlehnung an Geipel (2008) von einer „gedopten Gesellschaft“ auszugehen, in der die Einnahme von Dopingmitteln und anderen leistungssteigernden Substanzen in nahezu allen Lebensbereichen angekommen ist. 1. DOPING JENSEITS DES WETTKAMPFSPORTS Inzwischen durchzieht Doping sämtliche Bereiche des modernen Sports und macht selbst vor einem hobbymäßig betriebenen Breiten- oder Freizeitsport nicht halt. Doping kennt keine Altersgrenzen, denn selbst Pensionäre, die ihre leistungsfähigsten Jahre bereits hinter sich gelassen haben, aber auch Kinder und Jugendliche sind vor -1- dieser Missbrauchsform nicht gefeit. So zeigt Rathgeber (2004: 84ff.) in einer Studie, dass 9 % der befragten Schüler der Jahrgangsstufen elf und zwölf – meist in Zusammenhang mit einer Fitness-Studiomitgliedschaft – über Erfahrungen mit dem Konsum leistungssteigernder Dopingsubstanzen verfügen und 27 % der Befragten gleichaltrige Konsumenten aus ihrem näheren sozialen Umfeld kennen. Für den freizeitsportlichen Laufbereich (Volksläufe, Marathon u.Ä.) liegen unterdessen Erkenntnisse vor, die einen ausufernden Konsum von bedenklichen Nahrungsergänzungspräparaten sowie Schmerzmitteln konstatieren. „Bei der Einnahme von Schmerzmitteln ist der weibliche Anteil mit 53,2 % etwas höher als bei den Männern [41,3 %]“ (Steuer et al. 2009: 222). Als besonders dramatisch stellt sich jedoch die Situation in kommerziellen Fitness-Studios dar. Hier hat sich über viele Jahre hinweg ein soziales Milieu ausdifferenziert, in dem Jugendliche und Erwachsene trotz der von außen kommenden gesundheitsorientierten Mahnungen notorisch auf hohem Niveau Dopingmittel auch ohne medizinische Notwendigkeit einnehmen: um den eigenen Körper zielgerichtet zu modellieren, um außeralltägliche Körpererfahrungen zu sammeln, um Distinktionssowie Achtungsgewinne in Peergroup-Konstellationen zu erzielen oder um sich funktionsspezifisch für Türstehertätigkeiten u.Ä. zu qualifizieren (vgl. Kläber 2010: 91ff.). 2. ZUR DOPINGSITUATION IN FITNESS-STUDIOS Bezüglich der Fitness-Studiobesucher in Deutschland, die ihr Training mit Unterstützung verschreibungspflichtiger Dopingmittel absolvieren, sind bereits Ende des vergangenen Jahrhunderts alarmierende Daten vorgelegt worden. So kam eine Lübecker Forschergruppe zu dem Ergebnis, dass 24 % der Männer und 8 % der Frauen in kommerziellen Fitness-Studios Dopingpräparate konsumieren – oder bereits einmal konsumiert haben. Die damals im norddeutschen Raum eruierten Ergebnisse wurden dann rund zehn Jahre später durch eine Tübinger Forschergruppe um den Mediziner und Juristen Heiko Striegel in den wesentlichen Punkten bestätigt. Fasst man die beiden Studien zusammen, ist von einem Dopingkonsumenten-Gesamtanteil von ca. 13 bis 16 % auszugehen (vgl. Boos et al 1998; Striegel 2008). Das ergibt hochgerechnet bei knapp sieben Millionen registrierten Fitness-Studiobesuchern allein für Deutschland mehrere hunderttausende Dopingmittelkonsumenten (User); die Dunkelziffer ist dabei nicht inbegriffen. Vor diesem Hintergrund sind alle bisherigen Bemühungen im Kampf gegen Doping als wenig erfolgreich zu bezeichnen. Hinzu kommen Daten aus einer aktuellen Studie, die die oben genannte Befundlage nicht nur bestätigen, sondern in Teilen sogar eine weitere Verschlechterung der Dopingsituation in FitnessStudios bescheinigen. Die folgende Tabelle vergleicht die Lübecker-Studie aus dem Jahr 1998 mit der aktuellen Studie (2011) aus dem Raum Frankfurt: -2- 1998 Lübeck 2011 Frankfurt 2011 Frankfurt (incl. Uni-Studios) Männer: User-Anteil 24 % 25 % 12,9 % Frauen: User-Anteil 8% 14 % 3,6 % User-Gesamtanteil 16 % 19,5 % 8,25 % Dopingversorgung durch einen Arzt 28 % 15 % Studien Tabelle 1: Die Daten entstammen dem Artikel „Doping im Freizeitsport konstant weit verbreitet“ (vgl. aerzteblatt.de vom 2. Mai 2011) Die obigen Daten zeigen, dass die Anzahl an männlichen Usern in kommerziellen Fitness-Studios „nur“ um ein Prozent angestiegen ist, während die Anzahl der weiblichen User um 6 % zugelegt hat. Insgesamt hat sich der User-Gesamtanteil einer von Experten oft genannten Dunkelziffer von mindestens 20 % mit nunmehr 19,5 % deutlich angenähert. Bezieht man die eruierten Daten von Mitgliedern in universitären Fitness-Studioeinrichtungen mit ein, geht dies mit einer frappierenden Verringerung der Prozentangaben einher. Doch auch die Anzahl derjenigen, die ihre Dopingpräparate direkt von einem Arzt beziehen – ob nun über Privatrezept oder via Scheinindikation – ist von 15 auf 28 % angestiegen. Demzufolge muss man von einer Konsolidierung, wenn nicht sogar von einer Verschlechterung der Dopingsituation in Fitness-Studios ausgehen (vgl. Ärzte Zeitung, 05.05.2011). 3. ERKLÄRUNGSANSÄTZE ZUM DOPING IM FITNESS-STUDIO Für ein tiefenscharfes Dopingverständnis hat Kläber (2010) im Rahmen einer Studie mit dem Titel „Doping im Fitness-Studio – die Sucht nach dem perfekten Körper“ herausgearbeitet, wie Dopinghandlungen auch im Bereich des Freizeitsports in soziale Bedingungen, Netzwerke und Beziehungsfallen eingebettet sind. So wird beispielsweise das Training und die Ernährung körpermodellierender Fitness-Studiobesucher maßgeblich durch das sportliche Umfeld bestimmt. In Fitness-Studios findet ein reger Austausch über Trainings- sowie Ernährungsstrategien statt. Leistungen im Rahmen einer Aufbau- oder Abnehmdiät werden im Studioumfeld besonders gewürdigt. Daher sind Körpermodellierer überaus anfällig für Dopingpraktiken, mit denen sich die Körperoptik im Rahmen der Diätmaßnahmen deutlich effizienter modellieren lässt (vgl. Kläber 2010: 126ff.). Doping ist demzufolge keine – wie man landläufig oftmals meint – isolierte, rein individuelle Entscheidung „böser“ oder gar „dummer“ Menschen; vielmehr werden Dopinghandlungen durch ein vorbereitendes und assistierendes Umfeld initiiert und getragen. Denn weder das zu erlernende Doping-Know-how noch die benötigten Dopingpräparate fallen vom Himmel. An den Biographien von Fitness-Studiomitgliedern, -3- die ambitioniert trainieren und bereits ein überdurchschnittliches Leistungsniveau erreicht haben, lassen sich Trainingszwänge, Ess-Störungen sowie Dopinghandlungen daher ausschließlich vor dem Kontext eingeschworener Netzwerke plausibel erklären (vgl. Kläber 2010: 195ff.). 3.1 BIOGRAPHISCHE DYNAMIKEN Mit der Mitgliedschaft und dem regelmäßigen Training in einem Fitness-Studio beginnen biographische Dynamiken an der Athletenbiographie zu wirken, die auch Gefahren mit sich bringen. Unabhängig vom angepeilten Körperideal – egal ob das des Bodybuilding-, Fitness- oder Gesundheitssports – geht es den meisten Kraftsportambitionierten vorrangig um eine nachhaltige Verbesserung der individuellen Körperoptik, also der ‚Figur’. Um sichtbare und beständige „Erfolge“ am eigenen Körper verbuchen zu können, bedarf es biographischer Fixierungen, die sich auf einer sachlichen, zeitlichen, sozialen und räumlichen Ebene differenzieren lassen (vgl. Bette/Schimank 2006: 117ff.). Auf sachlicher Ebene muss man sich als Körpermodellierer im zunehmenden Maße mit trainingsoptimierenden Methoden, ernährungs- oder diätspezifischen Strategien und leistungs- oder stoffwechselsteigernden Substitutionspraktiken auseinandersetzen. Diesbezüglich gibt es für Kraftsport-Neulinge viel zu lernen. Auf der zeitlichen Ebene lässt sich aufzeigen, dass ambitionierte Studiomitglieder immer mehr Zeit für ihr Training aufbringen und zu diesem Zweck der Aufenthalt im FitnessStudio drastisch zunimmt. Für die Zubereitung der Mahlzeiten, die stets pedantisch auf ihren Nährwert- und Kaloriengehalt zu überprüfen sind, geht ebenfalls nicht wenig Zeit verloren. Generell ist zu konstatieren, dass Körpermodellierer in ihren Sport hyperinkludiert sind. Das heißt, dass sie sich ihrem Sport mit ‚Haut und Haaren’ hingeben. Der gesamte Tagesablauf ist nach ihrem Training ausgerichtet sowie zeitlich durchstrukturiert. Auf der sozialen Ebene ist frappant, dass sich die Sozialkontakte von Studiobesuchern im zunehmenden Maße auf Personen aus dem studiointernen Umfeld oder aber auf Personen mit ähnlichen Interessen (Training, Ernährung, Supplements, Doping u.Ä.) reduzieren. Unter ‚Gleichgesinnten’ lassen sich ernährungs- und substitutionsbedingte Verhaltensauffälligkeiten leichter ausleben und müssen nicht permanent gerechtfertigt werden. Es entsteht ein starkes Gefühl der sozialen Nestwärme, was sich letztlich auch auf der räumlichen Ebene niederschlägt. So reduziert sich der Lebensraum vieler Kraftsportler immer drastischer auf das heimische Fitness-Studio, das nicht selten zum Dreh- und Angelpunkt oder Lebensmittelpunkt wird. Selbst bei der Buchung eines Hotelurlaubs ist das Vorhandensein eines adäquaten Fitness-Studios für die Entscheidungsfindung ausschlaggebend. Während des (sport-)biographischen Verlaufs bildet sich bei passionierten Körpermodellierern ein „Leistungsindividualismus“ aus. Es wird eine kontinuierliche Verbesserung der Körperoptik angestrebt. Jeglicher figurtechnische Rückschritt kommt einer -4- regelrechten Katastrophe gleich und führt zu einem sukzessiv waghalsiger werdenden Ernährungs- oder Dopingverhalten (vgl. Kläber 2010: 89f.). Dieser Umstand markiert eine (rigide) biographische Pfadabhängigkeit: Je intensiver sich ein Athlet über seine Körperoptik definiert, also die ‚Figur’ zum Identitätsaufbau vereinnahmt, desto schwieriger wird es, den einst eingeschlagenen und oft weit fortgeschrittenen biographischen Pfad eines Körpermodellierers wieder zu verlassen. Um eine nachvollziehbare Körperoptikverbesserung „dauerhaft“ zu gewährleisten, werden dann alle Möglichkeiten der Leistungssteigerung – speziell im Bereich der Sporternährung und des Dopings – erbarmungslos ausgereizt (Kläber 2010: 251ff.). 3.2 SPIRALFÖRMIGE ESKALATIONEN In vielen Fällen mündet ein anfänglich noch ausgewogenes und gesundes Essverhalten in ein schier krankhaftes Diäthalten für den unbedingt gewollten Waschbrettbauch oder in ein maßloses Mästen für den sehnsüchtig erhofften Muskelmassezuwachs. Bei weiblichen Studiomitgliedern können sich aufgrund des steigenden – z.T. durch die Massenmedien auferlegten und durch die Peergroup verstärkten – Leistungsdrucks zum Schlanksein starke Ess-Störungen wie Bulimie entwickeln. Männer hingegen unterliegen meistens einem Leistungsdruck zum Muskulössein und neigen daher tendenziell zu einer einseitigen und überreichlichen Ernährungsweise, aber in einigen Fällen auch zu Formen der Magersucht, um einen möglichst niedrigen Körperfettgehalt zu erlangen und auf Dauer zu erhalten (vgl. Dalhaus 2010). Doch nicht nur die Essgewohnheiten spitzen sich zu und werden rigoroser. Um den Stoffwechsel im Rahmen einer Diät weiter anzuheizen, nehmen viele Fitness-Studiobesucher Fatburner, Grünteekapseln, L-Carnitin und andere Nahrungsergänzungspräparate ein. Junge Männer, die an einem möglichst schnellen Muskelmasseaufbau interessiert sind, konsumieren vorzugsweise Eiweißpulver, Creatin oder Prohormone. Beim Konsum derartiger Präparate entwickelt sich bereits eine Dopingmentalität, die zugleich den Einstieg in die Dopingspirale darstellen kann – wohlgemerkt kann, nicht zwangsläufig muss. Nicht wenige Studiomitglieder wagen dann aufgrund entfesselter Selbstansprüche, die vom oktroyierten Leistungsdruck der Peergroup verstärkt werden, den folgenreichen Griff zu (verschreibungspflichtigen) Dopingmitteln wie Ephedrin, Clenbuterol, Amphetamine, Anabolika oder sogar Wachstumshormonen. Die Dopingpraktiken werden sodann stetig radikaler und risikoreicher; sie drohen allmählich zu eskalieren. Der Begriff Eskalation impliziert bereits eine gewisse Eigendynamik und Steigerungsform. Beide Aspekte können wiederum Merkmale für ein sich ausbildendes Suchtverhalten sein. An den biographischen Verlaufsfiguren leistungsorientierter Körpermodellierer lassen sich die beiden Merkmale problemlos festmachen (vgl. Kläber 2009: 94). Ab dem Zeitpunkt, an dem es zu einer „ersten“ Dopinghandlung kommt, entfaltet sich eine ungemein potente Eigendynamik. Der spiralförmige Verlauf der Dopinghandlungen ver-5- deutlicht einen Anfang ohne Ende, der für viele User-Biographien kennzeichnend ist. Durch die Toleranzentwicklung im Hinblick auf die verwendeten Substanzen verdichten und verschärfen sich die Dopinghandlungen unaufhörlich. Die Dosierungen werden sukzessiv erhöht, die Einnahmezeiten werden länger und immer mehr Dopingsubstanzen werden miteinander kombiniert. Umgangssprachlich kann man dies auch als ‚Teufelskreis’ bezeichnen, dem man (nur) schwerlich entkommt. Zu viel hat man bereits auf sachlicher, zeitlicher und sozialer Ebene in den Körper investiert, so dass Rückschritte oder Stagnationen als nicht mehr hinnehmbar erscheinen. Die körperliche Gesundheit wird zunehmend aufs Spiel gesetzt und der Athletenkörper wird zum riskierten Körper. Doping gewinnt allmählich Züge einer Drogensucht und die Wahrscheinlichkeit dafür, dass zusätzlich zu den Dopingmitteln Kokain, Speed, Marihuana u.Ä. eingenommen wird, steigt deutlich an (vgl. Boos et al. 1998: 710f.). 4. DOPING UND DIE ROLLE DER MEDIZINER Immer öfter lassen sich Fitness-Studiokunden vorerst nur ihre Ernährungspläne und dann nicht selten auch ihre Dopingpraktiken von Medizinern „absegnen“. Inzwischen dopen sich über 30 % der in Studien befragten User unter ärztlicher Kontrolle (vgl. Boos et al. 1998; Striegel 2008). Folglich kommt den User-betreuenden Medizinern in den Netzwerken der Fitness-Studios als interne Externe eine wichtige Rolle zu. NonUser konsultieren diese devianzbereiten Mediziner – nicht selten auf Anraten eines befreundeten Users – vorerst zum Zweck einer Diätberatung. Diese Beratung erfolgt ähnlich wie die eventuell später in Anspruch genommene Dopingbetreuung anhand der aktuellen Blutwerte (vgl. Kläber 2010: 207ff.). Scharf formuliert ist zu resümieren, dass besagte Mediziner aus Profitgier die Neigungen zu Ess-Störungen und Doping (bzw. Medikamentenmissbrauch) von Fitness-Studiokunden wissentlich schüren. Generell reichen diesbezüglich wenige Mediziner aus, um eine Vielzahl an User-Netzwerken in diversen Fitness-Studioeinrichtungen im Hinblick auf ihre Diät- und Dopingpraktiken weiter zu professionalisieren. SCHLUSSBETRACHTUNG Gemäß Kläber (2010: 185f.) stellen Bodybuilder bezüglich der Know-how-Vermittlung und der Präparatsbeschaffung eine Dopingavantgarde dar. Ebenso werden Kenntnisse, wie und wann bestimmte Medikamente ein- oder abzusetzen sind, um entweder das Körperpanorama effektiv aufzubauen, gewisse Leistungsfaktoren zu verbessern oder positive Kontrollen zu vermeiden, sehr häufig durch Bodybuilder weitergegeben. Ähnlich verhält es sich mit dem Wissen, wie Medikamentenfälschungen durch subtile Kennerschaft entlarvt werden können. Über sog. Insiderliteratur, die bewusst den Schein seriöser Fachliteratur fingiert, sowie über dopingfreundliche Internetforen wird das Erfahrungswissen von Bodybuildern für jedermann zugänglich gemacht. Da-6- rüber hinaus besteht die Gefahr diverser Ausstrahlungseffekte, die vom Dopingmilieu der Fitness-Studios auf den traditionellen Vereinssport ausgehen. Denn nicht wenige Vereinssportler sind auch Mitglied in einem kommerziellen Fitness-Studio und tragen dann das dort erlernte Doping-Know-how in die traditionellen Sportvereine (vgl. Kläber 2010: 195f.). Auch ehemalige Spitzensportler, die während oder nach ihrer Sportkarriere dem Kraftsport verhaftet blieben oder ihren eigenen teueren Dopingkonsum durch ein Dealen in den Studios zu refinanzieren trachten, sind in diesem Milieu bereits auffällig geworden. Demgemäß muss man der Dopingsituation in kommerziellen Fitness-Studios deutlich mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen als dies bisher der Fall war. In Bezug auf konkrete Lösungsansätze ist zu berücksichtigen, dass Doping einen Sachverhalt darstellt, in dem komplexe Strukturen und Prozesse zusammenlaufen, folglich sind auch komplexe Gegenmaßnahmen einzuleiten. Angemessen komplexe Lösungsstrategien müssen stets aus einer intelligenten Kombination einander wechselseitig flankierender Maßnahmen bestehen. Erstens ist eine kontinuierlichere und rigorosere Aufklärungsarbeit von Nöten, die das nicht zu unterschätzende Gefahrenpotential biographischer Dynamiken, strukturell bedingter Mechanismen und Zwänge in Zusammenhang mit einem Dopinggebrauch in den Vordergrund rückt. Zweitens ist über eine – wie auch immer geartete – Verpflichtung der Fitness-Studiobetreiber im Hinblick auf eine bessere Kontrolle ihres Binnenraums nachzudenken. Drittens sind (neue) wissenschaftliche Erkenntnisse über Doping an der Schnittstelle zur Praxis verständlicher, aber auch vehementer zu kommunizieren. Zu guter Letzt sind viertens über Kontrollmöglichkeiten und bei Entlarvung über angemessene Sanktionsmaßnahmen für User-betreuende Mediziner nachzudenken. Dem Autor ist durchaus bewusst, dass diese Maßnahmen lange nicht ausreichen und einer Ergänzung bedürfen, sie aber ein erster Schritt in die richtige Richtung wären. -7- BASISLITERATUR: Kläber, Mischa, 2010: Doping im Fitness-Studio. Die Sucht nach dem perfekten Körper. Bielefeld: transcript. Die Debatte um das Dopingproblem des Spitzensports verstellt den Blick auf jene Dopingpraktiken, die jenseits des öffentlichen Interesses tagtäglich im Breiten- und Freizeitsport stattfinden. In der Lebenswelt der Kraftsportler und Bodybuilder hat sich ein Milieu etabliert, in dem Medikamente missbräuchlich eingesetzt werden, um den als defizitär wahrgenommenen Körper zu überarbeiten. Durch Interviews mit Dopingnutzern, betreuenden Medizinern und weiteren Akteuren bringt Mischa Kläber Licht in die Dopingszene kommerzieller Fitness-Studios. Die damit gewonnenen Erkenntnisse über die Einstellungen der Dopingnutzer sowie über bestehende Netzwerke, konspirative Praktiken und eskalatorische Suchtspiralen sind frappierend. Sie zeigen, wie sehr Techniken der medikamentösen Körpermodellierung unter Inkaufnahme der Nebenwirkungen bereits im Alltag angekommen sind. WEITERE LITERATUR: Bette, Karl-Heinrich und Uwe Schimank, 2006: Doping im Hochleistungssport. Anpassung durch Abweichung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (2. Auflage). Boos, Carsten, Peter Wulff, Peter Kujath und Hans-Peter Bruch, 1998: Medikamentenmissbrauch beim Freizeitsportler im Fitnessbereich. In: Deutsches Ärzteblatt, 95. Jg., H. 16, C 708-712. Dalhaus, Laura, 2010: Essstörungen im Fitness- und Freizeitsport. Untersuchungen zum Ess- und Trainingsverhalten von Mitgliedern in Fitness- und Freizeitanlagen. Westfälischen Wilhelms-Universität Münster: Dissertationsschrift. Geipel, Ines, 2008: No Limit. Wie viel Doping verdrängt die Gesellschaft. Stuttgart: Klett Cotta. Kläber, Mischa, 2009: Doping im Fitness-Studio. In: Karl-Heinrich Bette (Hrsg.), Doping im Leistungssport. Darmstadt: Verein zur Förderung des Darmstädter Hochschulsports, 70-114. Lieb, Klaus, 2010: Hirndoping. Warum wir nicht alles schlucken sollten. Mannheim: Artemis & Winkler. Rathgeber, Tobias, 2004: Doping eine Gefahr für den Jugendsport? Berlin: Weißensee. Steuer, M., V. Höltke, K. Hömberg und E. Jakob, 2009: Befragung zum Konsum von NEM und Medikamenten im Freizeit- und Breitensport. In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 60. Jg., H. 07-08, 222-223. Striegel, Heike, 2008: Doping im Fitness-Sport. Eine Analyse zwischen Dunkelfeld und sozialer Kontrolle. Baden-Baden: Nomos. Dr. (phil.) Mischa Kläber Technische Universität Darmstadt Institut für Sportwissenschaft Magdalenenstraße 27, 64289 Darmstadt E-Mail: [email protected] -8-