Gewöhnliche Differentialgleichungen und Dynamische Systeme
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Gewöhnliche Differentialgleichungen und Dynamische Systeme
Prof. Dr. Reiner Lauterbach SS 2008 Gewöhnliche Differentialgleichungen und Dynamische Systeme Lösungen zur Klausur 12.7.2008 Aufgabe 1 (Lösung von Differentialgleichungen, 20 Punkte) 1. Lösen Sie die folgende Differentialgleichung mit der Methode der Trennung der Veränderlichen, dabei sei c > 0 eine reelle Konstante: ẋ = x2 − c2 . 2. Bestimmen Sie für die verschiedenen Anfangswerte das maximale Existenzintervall und bestimmen Sie das asymptotische Verhalten der Lösungen. Lösung 1.) Wir stellen zunächst fest, dass x(t) = ±c Ruhelagen sind, da die rechte Seite lokal Lipschitz stetig ist, können sich keine zwei Lösungen schneiden, und damit kann keine Lösung die Linie x = ±c überqueren, wir werden dies noch brauchen. Wir betrachten für x(t) 6= c die Gleichung x2 1 dx = 1, − c2 dt fassen x als Funktion von t auf und integrieren von t0 bis t. Dies ergibt Zt x2 1 dx ds = t − t0 . − c2 ds t0 Wir substituieren x(s) = p, dann integrieren wir die linke Seite von x0 bis x Zx p2 1 dp = t − t0 . − c2 x0 Wir sehen p2 − c2 = (p − c)(p + c) und damit ist p2 1 1 1 1 1 = − . 2 −c 2c p − c 2c p + c 1 Dann erhalten wir als Integral 1 (ln |x − c| − ln |x0 − c| − ln |x + c| + ln |x0 + c|) = t − t0 . 2c Wir erhalten |x − c||x0 + c| = 2c(t − t0 ) ln |x0 − c|||x + c| und damit |x − c||x0 + c| = e2(t−t0 ) . |x0 − c|||x + c| Die Vorzeichen von x − c und x0 − c bzw. x + c und x0 + c sind jeweils gleich (wegen der Eindeutigkeit der Lösung) und damit ist (x − c)(x0 + c) = e2(t−t0 ) . (x0 − c)(x + c) Wir schreiben dies x0 − c 2(t−t0 ) e . x0 + c Bezeichnen wir den Faktor von (x + c) rechts mit K = K(t), so ergibt sich x − c = (x + c) (1 − K)x = c(K + 1) oder K +1 2 x=c = c −1 + . 1−K 1−K Durch Rücksubstitution erhält man den gewünschten Ausdruck: ! 2 x(t) = c −1 + . −c 2(t−t0 ) 1 − xx00 +c e 2.) Nun kann abhängig vom Startwert das Verhalten der Lösung diskutiert werden, wir unterscheiden 1. x0 < −c: In diesem Fall x0 − c < x0 + c < 0, daher ist gilt x0 − c x0 + c > 1. x0 −c x0 +c > 0. Für den Betrag Daher gibt es ein t1 < 0 mit 1 − K(t1 ) = 0. Für t > 0 ist1 − K(t) 6= 0 und limt→∞ (1 − K(t)) = −∞ also limt→∞ x(t) = −c. 2 2. −c < x0 < c: In diesem Fall ist x0 − c < 0. x0 + c 1 − K(t) 6= 0 für allet ∈ R, d.h. die x(t) existiert für alle Zeiten. limt→−∞ (1 − K(t)) = 1 und damit x(t) → c, für t → ∞ konvergiert 2 gegen Null, und x(t) → −c. 1−K(t) 3. c < x0 : Nun ist x0 − c < 1. x0 + c Also gibt es ein t1 > 0, so 1 − K(t1 ) = 0, x(t) hat also nach rechts ein beschränktes Existenzintervall. Für t → −∞ konvergiert 1 − K(t) gegen 1 und x(t) → c. 0< Aufgabe 2 1 A= 0 −1 (Matrixexponentialfunktion, 20 Punkte) Gegeben sei 0 1 1 0 0 1 1. Bestimmen Sie E(A, t). 2. Wie verhält sich det(E(A, t)) für t → ±∞. Lösung 1 0 , nennen wir die letzte Matrix B , so gilt 0 ist cos t 0 sin t cos t 0 sin t E(A, t) = E(1l, t)E(B, t) = et 1l 0 1 0 = et 0 1 0 . − sin t 0 cos t − sin t 0 cos t 0 0 1. A = 1l + 0 0 −1 0 1lB = B1l und damit 2. Es gilt det(E(A, t)) = etr(A)t = e3t . Damit ist auch das Verhalten für t → ±∞ klar. 3 Aufgabe 3 (Matrixexponentialfunktion, 10 Punkte) Sei L die Menge der reellen n×-Matrizen mit Spur 0. Zeigen Sie n o n o n×n E(A, 1) A ∈ L ⊂ B ∈ R det B = 1 . Gilt Gleichheit? Lösung Hat A die Spur 0, so folgt aus det E(A, 1) = etr(A) , dass E(A, 1) die Determinante 1 hat. Die Abbildung ist nicht surjektiv, denn eine Matrix mit Determinante 1 kann einfache negative Eigenwerte haben, Beispiel ! −2 0 . 0 − 21 Aufgabe 4 (Stabilität, 20 Punkte) Im Folgenden wird das gewhnliche Differentialgleichungssystem ẋ = −y + αx3 ẏ = x + αy 3 (1) in der reellen Ebene mit Parameter α ∈ R betrachtet. (a) Berechnen Sie alle Ruhelagen der planaren Gleichung (1) und untersuchen Sie jeweils die zugehrigen linearisierten Systeme auf Stabilitt in Abhngigkeit des Parameters α ∈ R. Welche Rckschlsse knnen daraus auf die Stabilitt der jeweiligen Ruhelagen des nichtlinearen Systems (1) gezogen werden? (b) Zeigen Sie, dass es auer im Falle α = 0 keine geschlossenen Orbits auf Kreisen um den Ursprung für die Differentialgleichung (1) existieren. Htte Ihnen diese Erkenntnis bereits bei der Stabilittsuntersuchung der Ruhelagen der Differentialgleichung (1) weitergeholfen? Lösung Teil a Wie bekannt bilden die Lösungen des im Allgemeinen nichtlinearen Gleichungssystems ( −y + αx3 = 0 (2) x + αy 3 = 0 die Ruhelagen der planaren Differentialgleichung (1). Das Umformen der erste Gleichung nach y mit anschließendem Einsetzen in die zweite liefert die notwendige Bedingung ! 0 = x + αy 3 = x + α · (αx3 )3 = x + α4 x9 = x(1 + α4 x8 ). 4 (3) Folglich muss unabhängig von dem Parameterwert α die x-Koordinate einer Ruhelage notwendigerweise verschwinden, woraus letztendlich unter Einbeziehung der ersten Gleichung (x0 , y0 ) = (0, 0) die einzige Ruhelage von (1) für jedes α ∈ R ist. Das zu (1) zugehörige lineare Problem an der Ruhelage (x0 , y0 ) = (0, 0) lautet ! ! ! ! ! ẋ 3αx20 −1 x 0 −1 x = = (4) ẏ 1 3αy02 y 1 0 y und ist somit ebenfalls unabhängig von der Wahl des Parameters α ∈ R. Zur Analyse des Stabilitätsverhaltens der trivialen Ruhelage der linearen autonomen Differentialgleichung (4) werden die Eigenwerte λ1,2 ∈ C der zugehörigen Systemmatrix berechnet: !! ! 0 −1 λ −1 ! det λE2 − = det = λ2 + 1 = 0 ⇒ λ1,2 = ±i. 1 0 1 λ Daraus erhalten wir die Stabilität der Ruhelage (x0 , y0 ) = (0, 0) der Gleichung (4) fr alle α ∈ R. Es handelt sich insgesamt um ein prototypisches Beispiel eines Knotens. Die Stabilitätsanalyse des linearisierten Problem lässt keine Rückschlüsse auf das Stabilitätsverhalten der trivialen Ruhelage des ursprünglichen nichtlinearen Systems zu. Teil b Um den Ursprung radialsymmetrische Lösungen der Differentialgleip chung (1) sind dadurch ausgezeichnet, dass deren Abstand r = x2 + y 2 zum Ursprung in Abhängigkeit der freien Variablen t konstant bleibt; d.h. insbesondere ṙ(t) = 0. Die Berechnung der zeitliche Veränderung des Abstandes einer beliebigen nichttrivialen Lösung (x, y) liefert xẋ + y ẏ ṙ = p x2 + y 2 x(−y + αx3 ) + y(x + αy 3 ) = r 4 −2xy + 2αx + 2yx + 2αy 4 = r (x4 + y 4 ) = 2α . r 5 Hier raus folgt, dass im Falle α 6= 0 die notwendige Bedingung ṙ = 0 nicht erfüllt sein kann und somit keine um den Ursprung radialsymmetrische Lösungen existieren können. Viel interessanter an der oberen Rechnung ist jedoch der Umstand, auf das Stabilitätsverhalten der trivialen Lösung der Differentialgleichung (1) schließen zu können: Im Falle α < 0 impliziert diese nämlich, dass für eine beliebige nichttriviale Lösung ṙ negativ ist, und im Falle α > 0 positiv. D.h. für α < 0 laufen alle nichttrivialen Lösungen in die Ruhelage hinein, während für α > 0 alle von der trivialen Ruhelage weglaufen. Also ist die Ruhelage (x0 , y0 ) = (0, 0) von (1) fr α < 0 asymptotisch stabil und für α > 0 instabil. Da im Falle α = 0 das System (1) die Gestalt der linearen Differentialgleichung (4) annimmt und die triviale Lösung dann stabil ist, ist somit das vollständige Stabilitätsverhalten aller Ruhelagen von (1) in Abhängigkeit von Parameter α ∈ R bestimmt worden. Aufgabe 5(Variation der Konstanten, 25Punkte) sin t 1 0 1 Es sei A = 0 −1 0 und f (t) = 1 . Zeigen Sie cos t 0 0 1 u̇ = Au + f (t) hat eine eindeutig bestimmte periodische Lösung. Geben Sie die Periode dieser Lösung und eine Schranke für ku(t)kRn an. Lösung Da A keine Eigenwerte auf der imaginären Achse hat, und f beschränkt ist, gibt es eine eindeutig bestimmte beschränkte Lösung. Diese ist periodisch (wie in den Übungen gezeigt) und eine Periode ist die von f , also 2π. Der Angangswert dieser Lösung ist im stabilen und instabilen Raum getrennt auszurechnen. Der stabile Raum ist eindimensional und gegeben durch 0 r 1 , r ∈ R. 0 Die Bedingung für die Beschränktheit für t → −∞ lautet Zt y0 + lim t→−∞ 0 6 e−s ds = 0 oder Z0 y0 = e−s ds = 1. −∞ Im instabilen Unterraum hat die Linearisierung die Gestalt ! 1 1 A= . 0 1 Die matrixexponentialfunktion hat die Gestalt E(A, t) = et 1 t 0 1 ! . Der Anfangswert genügt der Bedingung ! Z∞ x0 + E(A, −s)f (s) ds = 0. z0 0 Damit müssen die Integrale Z∞ x0 = − e−s (sin s + s cos s) ds 0 und Z∞ z0 = − e−s cos s ds 0 ausgewertet werden. Obwohl man diese leicht explizit angeben kann, wollen wir uns mit Abschätzungen zufrieden geben Z∞ |z0 | ≤ e−s ds = 1 0 und Z∞ |x0 | ≤ (1 + s)e −s 0 Z∞ ds = 2 0 7 se−s ds. Die Stammfunktion von se−s ist gegeben durch −e−s − se−s , daher kann man |x0 | abschätzen durch |x0 | ≤ 2. Insgesamt hat man für ku0 kRn ≤ √ 2 + 22 = √ 6. Damit ergibt sich aus der Darstellung 0 ≤ t ≤ 2π Zt E(A, t − s)f (s) ds u(t) = E(A, t)u0 + 0 die Abschätzung ku(t)kRn ≤ Z2π 2π Z √ kE(A, t)k dt 6 + kE(A, t − s)kkf (s)k ds. 0 0 √ √ Es gilt √ kAk ≤ 3, damit ist kE(A, r)k ≤ e 3r k und damit erhält man mit kf k ≤ 3, die (grobe) Abschätzung √ √ ku(t)k ≤ 2π 2+e 32π ≤ 12+312 = 4096000+19200+240+13 = 4096000+19453 = 4115453. Durch etwas sorgfältigere Abschätzung des zweiten Integrals bekommt man deutlich bessere Abschätzungen. Aufgabe 6 (Periodische Systeme, 15 Punkte) Es sei A : R → Rn×n eine periodische matrixwertige Funktion und u̇ = A(t)u die zugehörige Differentialgleichung. 1. Definieren Sie die Begriffe charakteristischer Multiplikator. 2. Beweisen Sie die Aussage: 1 ist genau dann ein charakteristischer Multiplikator ist, wenn die Differentialgleichung u̇ = A(t)u eine periodische Lösung besitzt. 8 3. Zeigen Sie, dass die Variationsgleichung längs eines periodischen Orbits eines autonomen Systems immer einen charakteristischen Multiplikator 1 besitzt. Lösung Die ersten beiden Teile können direkt im Vorlesungskript nachgelesen werden. Ist u eine periodische Lösung einer autonomen Gleichung, so ist u̇ = V (u) und damit ist für w = u̇ ẇ = ü = Du V (u)u̇ = Du V (u(t))w. eine periodische Lösung der Variationsgleichung längs der periodischen Lösung. Die Behauptung folgt dann aus Teil 2. Aufgabe 7 (Hamiltonsysteme, 10 Punkte) Es sei H : R2 → R stetig differenzierbar, u̇ = J∇H(u) das zugehörige Hamiltonsystem. Ist u0 ein echtes lokales Maximum, oder Minimum, so gibt es in jeder Umgebung U von u0 geschlossene Orbits. Beantworten Sie die Frage, ob es eine Umgebung U gibt, so dass alle Orbits in U \ {u0 } geschlossen sind. Sie brauchen Ihre Antwort nicht zu begründen. Lösung H ist nicht konstant, ohne Beschränkung der Allgemeinheit handelt es sich bei u0 um ein Minimum von H. Also gibt es eine Umgebung U von u0 mit H(u) > H(u0 ) für u ∈ U , u 6= u0 . Ist y ∈ H(U ) ein regulärer Wert von H, so ist H −1 (y) ein geschlossener Orbit in U . Im allgemeinen ist die Umgebung nicht mit geschlossenen Orbits ausgefüllt. Wir betrachten die Funktion f : R → R gegeben durch 1 f (x) = max x sin , 0 . x Sei Zx F (x) = f (s) ds. 0 Sei H(x) = F (kxk). Dann ist H(0) = 0, für x 6= 0 ist H(x) > 0. Insofern ist 0 ein echtes Minimum. 1 Aber auf den Kreisringen auf denen sin kxk < 0 ist J∇H(x) = 0. 9