Henne und Ei bei Killerspielen

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Henne und Ei bei Killerspielen
Ute Sparschuh
Henne oder Ei zuerst?
Herr Pfeiffer und der Zusammenhang von Medienkonsum, Schulleistungen und Jugendgewalt
Prof. Dr. Christian Pfeiffer zieht aus Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts
Niedersachsen e.V. (KfN) lautstark öffentlich weitreichende Schlüsse; z.B. über die
außerschulische Kinder- und Jugendarbeit, die er für überflüssig hält 1. Mal abgesehen davon,
dass die außerschulische Jugendarbeit nie das Thema seiner Forschungsprojekte war, sind
auch die von Herrn Pfeiffer in der Presse vorzugsweise als Schlagzeilen präsentierten
Schlussfolgerungen im Stile von „Je mehr Fernsehen, Computerspiele und Junge, desto
dümmer“ unseriös.
Pfeiffer stützt solche öffentlichen Äußerungen auf Daten aus KfN- Projekten wie
„Mediennutzung und Schulleistung“ (Laufzeit 2005 bis 2008), „Medien im Kindesalter“
(2005/2006), „Schülerbefragung 2005“. 2
In seinem zusammenfassenden Aufsatz 3 wird völlig zu Recht bedauernd festgestellt, dass
Fernseher, Computer, Spielkonsole immer häufiger bei immer jüngeren Kindern
(Vorschulalter) in deren Kinderzimmer einziehen und die Zeit, die Kinder und Jugendliche
damit verbringen, sich immer weiter ausdehnt.
Und zu Recht wird ab und an klargestellt, dass „Schule, Familie, Peers und Medien“ die
Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen „maßgeblich“ prägen (S.1); dass „der
Zusammenhang zwischen Schulleistungen und Mediennutzungsgewohnheiten mit vielen
weiteren relevanten Einflussvariablen verknüpft“ ist (S.8); kurz: dass es außer dem immer
wieder eindeutig gefundenen Wirkungsgeflecht zwischen familiärem Hintergrund – Bildung –
Schulerfolg und Lebenschancen eine Vielfalt von Einflussfaktoren gibt, die im heute
bestehenden komplizierten Geflecht von Sozialisationsfaktoren eine Rolle spielen.
Komplexitätsreduktion
Im Gegensatz dazu stehen aber die tendenziösen und unseriösen Assoziationen oder
Behauptungen von scheinbar einfachen Kausalzusammenhängen im Sinne von „Wenn“ (TV
im Kinderzimmer) – „Dann“ ( schlechtere Schulleistungen).
PISA (und vorher und im Folgenden ähnlich auch weitere Studien) beschreiben familiäre
Einflüsse mit deren „kulturellem, ökonomischem und sozialem Kapital“; von hier ausgehend
lassen sich Zusammenhänge mit sozialer Aktivität der Kinder und Jugendlichen, Gesundheit
und Gesundheitsbewusstsein, Engagementbereitschaft, politischem Interesse, Qualität (nicht
Quantität!) der Mediennutzung, Freizeitpräferenzen überhaupt, Intensität von Werten und
Orientierungen, Zukunftsoptimismus etc. feststellen, ohne dass einzelne kausale
Zusammenhänge im Sinne von Wenn – Dann... eindeutig beschreibbar wären. Erkennbar sind
komplexe Zusammenhänge, die Aussagen über eher bessere oder schlechtere Bedingungen
des Aufwachsens zulassen4.
1
Siehe den Beitrag von Benedikt Sturzenhecker „Ende 2006: Die ’Affäre’ geht weiter“
Alle unter www.kfn.de vorgestellt.
3
Siehe Pfeiffer, Mößle, Rehbein, Kleinmann: Medienkonsum, Schulleistungen und Jugendgewalt, KfN 2006,
www.kfn.de/medienkonsumschulleistungundgewalt.pdf. Hier sind Ergebnisse der Projekte verdichtet und interpretiert. Auf
diesen Text beziehen sich die folgenden Anmerkungen
4
Vgl. z.B. aktuelle Studien wie die SHELL-Jugendstudie (Hurrelmann et al. Frankfurt/Main 2006), Jugendsurvey 3 des
Deutschen Jugendinstituts (Gille et al., Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland, Wiesbaden 2006), Jugendliche
als Akteure im Verband (Fauser, Fischer , Münchmeier, Opladen 2006), 2. Freiwilligensurvey der Bundesregierung (Hrsgb:
BMFSFJ, Berlin 2006).
2
Pfeiffer et al. hingegen beschreiben die Quantität und auch die Inhalte des Medienkonsums
Jugendlicher (beunruhigend, ohne Zweifel!), fragen nach den Auswirkungen und geben
prompt die Antwort: „Zunächst einmal verarmt ihre soziale Existenz“, das „vielseitige
Freizeitverhalten“ findet nicht statt, es wird zu wenig Sport getrieben...(S.3).
Und wenn das Ei vor der Henne da war? Wenn die Kinder und Jugendlichen, die sozial eher
abgehängt und auch nicht sportlich aktiv sind, das durch mehr Medienkonsum
kompensieren? Oder wenn die kulturelle und soziale Armut einiger Elternhäuser Ursache für
beides und ein ganzes Geflecht von sozialer und körperlicher Unbeweglichkeit bis
Medienkonsum ist?
Die Frage gilt auch dem von den Autoren sehr flapsig hergestellten Zusammenhang „...weil
schlechte Noten nun einmal das Risiko erhöhen, in die Jugendkriminalität abzurutschen.“
(S.11) – wenn nun beides, schlechte Noten und Kriminalitätsrisiko- gleichermaßen Folgen
einer gemeinsamen „Ursache“ wären? Und wenn die von den Autoren zitierte Aussage aus
einer Langzeitstudie der Columbia-University „Die Bevorzugung von Freizeitaktivitäten und
Medieninhalten, die Dispositionen zur Aggression und Delinquenz ausrichten und verfestigen
können, steht im Rahmen eines allgemein devianteren Lebensstils“ (S.11) nun auch gerade
darauf hinweist, dass es keinen eindeutigen kausalen „Wenn Gewaltmedien - Dann“ Zusammenhang gibt?
Selbstverständlich belegen die Daten aus der KfN-Schülerbefragung das Zusammenspiel
verschiedener Faktoren (häufig Kampfspiele spielen - männliche Gewaltbereitschaft
befürworten – eigene höhere Gewaltbereitschaft, S.11 und 12).. Den Kausalzusammenhang:
je mehr Gewaltspiele –desto mehr tatsächliche Gewalt, belegen sie nicht, der wird suggeriert.
Seriös ist: Lieber etwas länger wundern.....
Nun weisen Pfeiffer et al. durchaus darauf hin, dass Faktoren wie „Bildungshintergrund“ der
Eltern und „gewaltfreies harmonisches Familienklima“ auch eine Rolle spielen, nicht nur für
die Schulleistungen, auch für Art und Quantität der Mediennutzung, für elterliche Begleitung
und Kontrolle von Medienkonsum. Aber die präsentierten Daten und ein schwer
überschaubares „Pfadmodell“ (auf S.8 und 9) rechtfertigen auf keinen Fall die zweimalige
zusammenfassende Aussage dort: „...kann es nicht verwundern“. Nämlich erstens: „Da die
Medienfaktoren (vergleichsweise hoher Gerätebesitz, hohe Medienzeiten und hohe Präferenz
für Mediengewaltinhalte) vor allem auf Jungen zutreffen, kann es nicht verwundern, dass sich
Leistungsdefizite in der Schule vor allem bei den Jungen zeigen“. Und zweitens kann „nicht
verwundern“: „Von den Dortmunder Jungen, die einen vergleichsweise hohen Gerätebesitz
und hohe Medienzeiten aufweisen, haben nur 30 Prozent am Ende der vierten Klasse eine
Empfehlung für das Gymnasium erhalten, in München sind es 49 Prozent.“
Ja wenn das so einfach wäre –Jungen glotzen mehr und anders Fernsehen als Mädchen und
werden deshalb von ihnen in der Schule abgehängt, und die Münchner Jungen glotzen
weniger als die Dortmunder und können deshalb eher das Gymnasium besuchen! Dann
könnte man natürlich jede Menge an Zeit und Geld sparen, um z.B. herauszufinden, warum
Mädchen die Jungen bei den Schulleistungen überflügeln. Oder warum es z.B. bei den PISAStudien ein deutliches Gefälle zwischen verschiedenen Bundesländern gibt.
Der eigentliche Misstand liegt tiefer als TV im Kinderzimmer
Pfeiffer et al. verweisen auch darauf, dass TV-Kinderprogramme Schulleistungen verbessern
können, und zwar am Beispiel der Sesamstraße (S.5). Nun war aber das Interessante an der
Evaluation der Sesamstraße seinerzeit, dass entgegen der Absicht die „Bildungs“-Wirkung
gerade bei Kindern aus sowieso bildungsorientierten Elternhäusern auftrat – weil eben die
vorzugsweise vor die Sendung gesetzt und begleitet wurden. Die Feststellung im Gutachten,
dass es aus wissenschaftlicher Sicht keinen Grund gibt, dass in Kinderzimmern von
Grundschülern Fernseher stehen müssen (S.13) –vor 50 Jahren gab es auch keinen
wissenschaftlichen Grund, dass Kinder Micky Mouse und Fix und Foxi-Comics lesen
sollten!- verweist mit dem Sesamstraßen-Befund besonders anschaulich darauf, dass
gesellschaftliche Entwicklungen unabhängig von wissenschaftlicher oder pädagogischer
Plausibilität stattfinden. Es muss aber wissenschaftlich seriös und pädagogisch angemessen
mit ihnen umgegangen werden. Und das heißt laut und öffentlich zu vertreten, dass es für
gelingende bzw. misslingende Sozialisation bedeutendere Missstände als TV im
Kinderzimmer gibt. Denn Fakt ist auch: Trotz gleichem Micky Mouse-Konsum –der eine
wurde Literaturprofessor, der andere „Prekariat“. Trotz gleicher Verfügbarkeit medialer Hardund Software: Der eine wird Betriebswirtschaftstudent, der andere Teilnehmer im
Schulverweigerer-Projekt. Und auch mit Schwertern bringen die einen sich gegenseitig um,
die anderen machen Pflugscharen daraus.
Aber im Ernst und ohne Verharmlosung und in aller Gemeinsamkeit: Ja, die ständige
Bildschirmglotzerei bei Kindern und Jugendlichen ist furchtbar und die Inhalte vieler Spiele
(und Videos und TV-Programme) sind Schwachsinn. Und ein Kinderalltag vor 50 Jahren, der
nach der Schule die Alternativen stellte: geh ich erst raus, mache dann Hausaufgaben und lese
danach oder umgekehrt, war natürlich einfacher für Kinder, Eltern und Pädagogen und vor
allem risikoloser als der Alltag mit vielen potentiellen medialen Alternativen heute. Alles
spricht für die Empfehlung Pfeiffers: „Keine Bildschirmgeräte in Kinderzimmer“. Aber wem
hilft sie angesichts der Macht des Faktischen und des faktisch Vorhandenen?. Angesichts des
Einflusses der Peers und des Marktes? Angesichts der Unmöglichkeit auch für engagierte
Eltern zu Dauerauseinandersetzungen mit ihren Kindern (alternativ: Dauerüberwachung)?
Pfeiffers Alternative: Flächendeckende Ganztagsschulen. Für diese, mit attraktiven
anregenden Angeboten, sprechen viele Gründe, ebenso wie für verstärkte Förderung
außerschulischer Jugendarbeit. Hauptabsicht dahinter darf aber nicht sein „Solange das Kind
in der Schule / Jugendgruppe ist, kann es nicht vor dem Fernseher/Computer sitzen“. Sondern
Hauptabsicht und unser aller gemeinsames Anliegen sollte sein: Alle Kinder, alle
Jugendlichen müssen unabhängig von der Mitgift der sozialen Herkunft Teilhabe an
Geselligkeit, Bildung, Anregung, Gemeinschaft, Mitgestaltung und damit persönlicher
Zukunft haben!
Ute Sparschuh, Jan. 07