Zeugnisdruck und Notenangst

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Zeugnisdruck und Notenangst
Zeugnisdruck und Notenangst
Eine Konfinachmittag zum Hauptberuf der Konfirmanden
(Steffen Kaltenbach)
Hintergrund und Ziel:
Konfis sind Schülerinnen und Schüler. Schule bestimmt einen breiten Bereich ihres Lebens.
Bei allen Stärken, die Schule in den letzten Jahren entwickeln konnte, bleiben der
Leistungsdruck und die Einstufung in die Schularten Bereiche großer Verletzbarkeit für
Jugendliche allen Alters. Bei der Zeugnisübergabe „noch einmal davon gekommen zu sein“
kann als Rettungserfahrung Jugendlicher sehr konkret erlebt werden. Wo es nicht mehr zu
einer Versetzung reicht, werden soziale Kontakte zu Mitschülerinnen und Mitschülern genauso
abgeschnitten wie die Hoffnung auf eine Wertschätzung der Person. Seit Mitte der 90er Jahre
ist zudem auch bei Schülerinnen und Schülern im Gymnasium die Angst verbreitet, aufgrund
der - hier nicht im Sinn des Schulzeugnisses - ungenügenden Leistungen bzw. Noten an den
Einlassbedingungen der Erwerbswelt zu scheitern bzw. zu versagen. Nicht zuletzt bleibt die
Feststellung, dass Schulzeugnisse den Menschen auf einen Teil seiner personalen
Kompetenz reduzieren.
Ziel dieser Einheit ist die Wertschätzung der Person als Ganzer und die Eröffnung eines
Raums, in dem es möglich wird, über Schulängste und Zeugnisdruck zu reden.
Zeit:
Die ganze Reihe bedarf einer doppelten Zeitstunde. Eine Auswahl ist möglich.
1
Zeit
5´
Programm
Warming up: Zügiges Schreiten im Raum mit Begrüßungsverhalten in
unterschiedlichen Rollen zur Musik: Unter Geschäftspartnern, unter
Freundinnen/Freunden, unter Mönchen/Nonnen, beim Militär, zwischen Lehrerin
und Schüler bei der Zeignisübergabe, Körperhaltung beim Heimweg mit einem
schlechten/ mit einem guten Zeugnis.
2
2´
Einstieg: Das Sorgentelefon für Kinder und Jugendliche steht im Juli nicht still,
Nachhilfe - Einrichtungen haben Hochkonjunktur.
3
8´
Schreibgespräch (mit meditativer Musik): Assoziationen zum Begriff „Zeugnis“
und weitergehende Assoziationen/Fragen Antworten/Stellungnahmen zu den
Assoziationen der anderen.
Hierzu werden Tische mit Papier überzogen (ideal sind Zeitungsendrollen) und
Stifte bereitgelegt. Zum Prozessualen Ergänzungsvorgang während eines
Schreibgesprächs vgl. unten M 1).
4
5´
Kohleumrisszeichnung des eigenen Gesichts als
sehr schnelle Aktion: DIN A 4 Papier stärkerer Qualität
(z.B. 160 g) wird vors Gesicht gehalten, bei
geschlossenen Augen versucht jede und jeder, die
wesentlichen Umrisse des eigenen Gesichts mit einem
Zeichenkohlestift „durchzuzeichnen“. So entstehen
maskenartige Gesichtskonturen bzw. karrikaturhafte
Skizzen.
Die Zeichnung liegt vor der jeweiligen Person. Die
Leitung geht mit breitem Pinsel und roter Farbe umher
und überstreicht das "Gesicht" mit einer roten
Notenziffer (fragen, ob die Person eine 5 oder 6
verträgt! Nicht nur schlechte Noten verteilen!).
5
20´
Kleingruppenaustausch: Wie wirkt diese Bezifferung? Wird sie mir, meiner
Gesamtleistung, meiner Persönlichkeit gerecht?
6
7´
Informationsimpuls: Probleme junger Leute; Stellenwert der Schulangst (s.u. M
2). Präsentation als Folie auf dem Overheadprojektor oder als Blatt (Rückseite:
Lied: Zeugnistag).
7
6´
Lied: Reinhard Mey: Zeugnistag (Musik).
8
30´
Diskussion: Notenangst als Elternfurcht?
9
5´
Aufrichtübung in Partnerarbeit: Zwei Personen stehen nebeneinander. Eine der
beiden Personen beugt sich – immer noch stehend – weit nach vorn abwärts, bis
die Fingerspitzen annähernd den Boden erreichen. Aus dieser tiefen "Verbeugung"
wird Wirbel für Wirbel aufgerichtet. Die danebenstehende Person unterstützt das
langsame Aufrichten dadurch, dass sie mit zwei Fingern der Wirbelsäule des/der
Andern Wirbel für Wirbel aufwärts wandert (langsam, jeder einzelne Wirbel soll
sich spürbar aufrichten. Am Schluss steht der/die Gebeugte wieder ganz aufrecht
und streckt seinen Kopf dem Himmel entgegen.
Nach erfolgter Übung wechseln die Rollen der beiden nebeneinander Stehenden.
10
25´
Brief an meine/n Lehrer/in (Einzel- oder Partnerarbeit): Entwürfe als Einzelsätze
oder als ganzer Brief entstehen. Hierfür Papier und Stifte bereitlegen. Die Briefe
werden anonym gesammelt und vom Leitungsteam in Auszügen redigiert. Die
Ergebnisse können in eine Lehrerinnen- und Lehrerkonferenz gespiegelt werden,
wenn dies vorher abgesprochen und von den Teilnehmenden autorisiert ist.
Beispiele aus früheren Einheiten finden sich bei M 4.
11
5´
Neugestaltung der Gesichtszüge (Wiederholung von 4).
12
5´
Aufrecht stehen vor meinem Gott/meinen Eltern/meiner Lehrerin/mir selbst:
Die Gesichtsskizze (neu) liegt vor jeder Person, wird tief gebeugt betrachtet, dann
Aufrichtübung wie 9. Segenswort, wie z.B. aus Psalm 8:
2 Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen,
der du zeigst deine Hoheit am Himmel!
3 aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge /
hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen,
dass du vertilgest den Feind und den Rachgierigen.
4 Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk,
den Mond und die Sterne, die du bereitet hast:
5 was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,
und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
6 Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,
mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.
7 Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk,
alles hast du unter seine Füße getan:
10 Herr, unser Herrscher,
wie herrlich ist dein Name in allen Landen.
Materialien:
M 1: Beispielhafte Stichwortketten
Stichwortketten aus bereits erlebten Schreibgesprächen:
„Giftzettel“ → „gehört in den Giftschrank“ → „hab keinen“ → „Pech!“
Oder: „Gerichtsurteil“ → „aber kennt der Lehrer den Menschen, den er richtet, wirklich?“
→ „Nein“. → „Mancher schon“ → „Den hätte ich auch gern.“
Oder: „Schule ist das halbe Leben.“ → „Und die andere Hälfte?“
Oder: „Wie sieht Gott die Sache mit den Zeugnissen?“
M 2 Probleme junger Menschen
Die Daten sind entnommen aus Silbereisen, Vaskovics, Zinneker: Jungsein in Deutschland.
Jugendliche und junge Erwachsene 1991 und 1996. Die Shell-Jugendstudie 2000 enthält
diese Fragestellung nicht. Die Zahlen sind Prozentangaben (z.B. geben 44% der Befragten
an, dass sie Arbeitslosigkeit als Problem für sich erkennen).
Alte Bundesländer
männlich
Arbeitslosigkeit (44,0)
Drogenprobleme (33,0)
Probleme mit Personen
im Nahbereich (28,0)
Schul- und Ausbildungsprobleme (25,6)
Lehrstellenmangel (23,0)
Geldprobleme (19,0)
Zukunftsangst (17,9)
Gewalt/Banden (17,9)
Gesundheit (17,8)
mangelnde Freizeitgelegenheiten (14,4)
weiblich
Arbeitslosigkeit (46,6)
Drogenprobleme (40,3)
Probleme mit Personen
im Nahbereich (34,6)
Schul- und Ausbildungsprobleme (28,7)
Lehrstellenmangel (24,7)
Geldprobleme (15,3)
Zukunftsangst (20,7)
Gewalt/Banden (17,8)
Gesundheit (18,6)
Umweltprobleme (12,2)
M 4 Dokumentierte Briefauszüge aus früheren Seminaren
„Bevor ich mein Zeugnis bekomme, und ich weiß schon, was ich bekomme, werde ich richtig
krank, habe keinen Hunger mehr und würde am liebsten in einem Atombunker eingeschlossen
sein.“
„Ich stehe ziemlich schlecht. Geben Sie mir nochmal eine Chance, mich zu verbessern.“
„Hilfe, am Dienstag schreiben wir eine Arbeit; ich kann bestimmt in der Nacht nicht schlafen,
da ich echt Schiss hab, dass ich sie verhau.“
„Hey ihr Lehrer, wie wärs denn, wenn ihr den Unterricht nicht immer nur trocken und langweilig
durchzieht, sondern auch in Verbindung mit Interessen der Schüler gestaltet. Denn wenn der
Unterricht Spass macht, fällt mir das Lernen oft nicht schwer. Wenn der Unterricht langweilig
ist, schalte ich auch oft ab und muss zuhause das Ganze nachholen, was sich auf meine
Noten auswirkt.“
M 3 Reinhard Mey: Zeugnistag
CD: „Keine ruhige Minute“, Intercord 1987 .
http://www.reinhard-mey.de/start/texte/alben/zeugnistag