PRESSEMITTEILUNG DER GSAAM e.V. – Deutsche Gesellschaft

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PRESSEMITTEILUNG DER GSAAM e.V. – Deutsche Gesellschaft
PRESSEMITTEILUNG DER GSAAM e.V. – Deutsche Gesellschaft für Prävention
und Anti Aging Medizin – FEBRUAR 2016
Fetale Programmierung: Die Gesundheit des Menschen wird im Mutterleib bestimmt
Und: Was Nahrungssupplemente in der Schwangerschaft bewirken können
Experte: Prof. Dr. Bernd Kleine-Gunk, Leiter der Schön Klinik Nürnberg/Fürth und Präsident der
Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti Aging Medizin e.V.
Dass der Lebensstil werdender Mütter einen direkten Einfluss auf die Entwicklung des Fötus und die
Gesundheit des Neugeborenen hat, ist seit langem kein Geheimnis mehr. Bereits vor mehr als 20
Jahren beschrieb der Epidemiologe David Barker in diesem Zusammenhang erstmals epigenetische
Mechanismen, eine Art „fetale Programmierung“, die als „Barker-Hypothese“ in die
Medizingeschichte einging. Barker untersuchte das Schicksal einer Vielzahl von Kindern, die während
des „Holländischen Hungerwinters“ in den Jahren 1944/45 zur Welt gebracht wurden. Die stark
untergewichtigen Babies entwickelten im Erwachsenenalter extreme Spätfolgen durch die
Unterversorgung im Mutterleib. Dazu zählten unter anderem kardiovaskuläre und metabolische
Krankheiten (wie Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen u.a.). Die Mangelernährung während der
Schwangerschaft hatte offensichtlich in weiterer Folge zu einer besonders guten Kalorienverwertung
geführt. (1) Die Entdeckung eines bedeutungsvollen Zusammenhangs!
In den letzten Jahren entwickelte sich die Epigenetik zu einem wichtigen Wissenschaftszweig und
liefert immer wieder neue Erkenntnisse, die die Präventivmedizin stark beeinflussen. Mit
umfangreichem Studienmaterial und beeindruckenden Forschungsergebnissen beschreibt die
Epigenetik die Auswirkung(en) von Faktoren wie Umwelt, Hormone, Stress oder Ernährung auf die
Aktivität der Gene. Untersuchungen erwiesen, dass die Folgen des Lebenswandels der Mutter nicht
nur die Gesundheit des Kindes (bereits im Mutterleib) beeinflussen, sondern dass die Gesundheit
und Krankheit des Menschen für sein gesamtes Leben geprägt werden. Und nicht nur dieses einen
Menschen: in weiterer Folge kann dieser genetische Code sogar noch an die nächste Generation
vererbt werden! In diesem Zusammenhang sprechen die Forscher von der „intrauterinen Prägung“
(= in der Gebärmutter) – ein Begriff, der für viele Schwangere in naher Zukunft immer mehr an
Bedeutung gewinnen wird (2). Die Offenheit für das Thema besteht in der Gesellschaft durchaus –
das Interesse und ein steigendes Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil und eine gute
Ernährungsweise werden als wichtige Pfeiler der Prävention anerkannt.
Die Genaktivität des Kindes wird in sogenannten zeitlichen Fenstern („windows of opportunity“) in
besonderem Maße geprägt. Die intrauterine Entwicklung ist hierbei das wichtigste Fenster. Die
Kinder werden in dieser entscheidenden Phase für das gesamte spätere Erwachsenenleben geprägt.
(1)
Dieses Wissen wirft ein vollkommen neues Licht auf die Bedeutung der Primärprävention während
der Schwangerschaft. Eine entsprechende Lebensstilberatung durch den behandelnden Gynäkologen
und auch eine optimale Nährstoffsupplementation ist für werdende Mütter der Schlüsselfaktor zur
Gesundheit des Kindes.
Stichwort Nahrungsmittelsupplementation: Was man jetzt weiß ist, dass die körperliche und geistige
Entwicklung des Kindes und die spätere Gesundheit des Erwachsenen stark von der entsprechenden
Versorgung mit hochwertigen Makro- aber auch Mikronährstoffen während der Schwangerschaft
abhängt. In diesem Zeitraum besteht ein gesteigerter Bedarf an speziellen Nährstoffen, die nicht
ausreichend über die Nahrung aufgenommen werden können. Dies muss über Supplementation
ausgeglichen werden. Bei der Auswahl der Supplemente sind besonders die Resorption,
Bioverfügbarkeit (Aufnahme und Verfügbarkeit eines Stoffes am Wirkort) und die Wirkung im
Organismus zu berücksichtigen.
Hier ein Überblick
Schwangerschaft:
über
die
wichtigsten
Nahrungsmittelsupplemente
während
der
Folsäure
Bereits frühe Studien zeigten, dass durch die Gabe von Folsäure, einem wasserlöslichem Vitamin, das
unter anderem in grünem Gemüse oder Kartoffeln enthalten ist, die Zahl an Neuralrohrdefekten bei
Neugeborenen um 70 Prozent gesenkt werden konnte. (3) Auch das Risiko für Herzfehlbildungen und
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten wird reduziert. (4) Die Studien ergaben auch eine Senkung des
Abortrisikos durch eine entsprechende präkonzeptionelle Gabe von Folsäure, da diese in
Zusammenarbeit mit den Vitaminen B6 und B12 das sogenannte Homocystein hemmt, das als
Risikofaktor für eine erhöhte Abortrate sowie kardiovaskuläre und neurodegenerative Erkrankungen
gilt. (5) Achtung: es kommt hier nicht nur auf die richtige Dosierung an, sondern auch auf die
Darreichungsform. Natürliche Folate, zum Beispiel aus Gerstengras, werden etwa viel besser
aufgenommen als synthetische Folsäure! (6)
Jodid
Jodmangel gilt als häufigste Ursache für die Schilddrüsenunterfunktion. Da durch die breite
Verwendung von jodiertem Speisesalz die Versorgung heute allgemein sehr gut ist, konnte die
empfohlene Dosis der Supplementation für Schwangere herabgesetzt werden. (7) Trotzdem
empfiehlt sich eine Gabe in entsprechender, angepasster Menge um die Stoffwechselsituation des
Kindes zu begünstigen. Bereits leichte Verzögerungen können ansonsten zu Entwicklungsstörungen
des Neugeborenen führen. (8)
Selen
Auch Selen spielt eine wichtige Rolle im Schilddrüsenstoffwechsel. Zudem zeigen neueste
Erkenntnisse einen Zusammenhang zwischen Selenmangel und dem späteren Auftreten von Asthma
bei neugeborenen Kindern. (9)
Vitamin E
Vitamin E Mangel kann ebenfalls zu einem erhöhten Asthmarisiko führen. In Deutschland befindet
sich die Hälfte aller Frauen statistisch gesehen unter der empfohlenen Zufuhr. (10) Entscheidend für
die Wirkkraft ist die Unterscheidung zwischen natürlichem und synthetisch hergestelltem Vitamin E,
das in klinischen Studien unbefriedigende Ergebnisse zeigte. (11) Der Grund hierfür ist, dass in
synthetischem Vitamin E meist nur das sogenannte alpha-Tocopherol verwendet wird, eine
Einzelform des Vitamins. Es gibt jedoch acht verschiedene Formen von Vitamin E, vier Tocopherole
und vier Tocotrienole – diese haben eine 40 bis 60 Mal höhere antioxidative und
antiinflammatorische Wirkung! Ein wichtiger Baustein also, der entzündlichen Prozessen des
Organismus entgegen wirkt.
Vitamin D
Über die hohe Bedeutung von Vitamin D ist sich die Medizin einig. Gerade in der Schwangerschaft
kann ein Mangel negative Auswirkungen auf Mutter und Kind haben. 90 Prozent aller Frauen in
Mitteleuropa weisen einen Vitamin D Mangel auf. (12) Umso wichtiger ist es auf eine ausreichende
Vitamin D Versorgung während der Schwangerschaft zu achten. Nur durch Sonneneinstrahlung und
die Nahrung kann kein ausreichender Wert an erforderlichem Vitamin D erreicht werden! Die
Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfahl vor kurzem sogar eine Erhöhung der täglichen
Menge. (13)
Coenzym Q10
Coenzym Q10 spielt als einer der wichtigsten Radikalfänger des Körpers eine erhebliche Rolle in der
Schwangerschaft. Ein Mangel kann zu einem erhöhten Abortrisiko oder einer frühzeitigen
Wehentätigkeit führen. (14)
Omega-3-Fettsäuren
Die positive Wirkung der Omega-3-Fettsäuren ist seit vielen Jahren bekannt, sie beugen
kardiovaskulären und neurodegenerativen Erkrankungen vor und sind während der Schwangerschaft
unter anderem für die Hirnentwicklung des Fötus mitverantwortlich. (15) Als wichtigster Lieferant gilt
prinzipiell Fischöl, allerdings ist hier zu besonderer Achtsamkeit zu raten: Viele Seefische, wie etwa
der Lachs, werden seit langer Zeit gezüchtet. Die Fische können von sich selbst aus kein Omega 3
bilden, hierzu benötigen sie spezielle Algen als Nahrung. Diese Algen sind in der Zucht nicht
vorhanden. In der Supplementation mit Omega 3 sollte der Patient daher auf Präparate bauen, die
aus Mikroalgen gewonnen werden. Natürlich auch besonders interessant für die steigende Zahl der
Vegetarier und Veganer – bereits um die 10% aller deutschen Frauen zählen zu einer dieser Gruppen.
Mit Produkten auf Algenbasis wird auch die Problematik der Schwermetallbelastung umgangen: viele
Supplemente werden heute aus Fischabfallprodukten hergestellt, die nicht der erforderlichen Güte
entsprechen. (16)
Fragen zum Thema an Prof. Dr. Kleine-Gunk:
Herr Professor, werden Supplemente während der Schwangerschaft automatisch vom
behandelnden Arzt empfohlen oder soll die Patientin das Thema aktiv ansprechen?
Nein, die Patientin muss das Thema unter normalen Umständen nicht selbst ansprechen. Jeder
kompetente Gynäkologe wird der schwangeren Patientin nach erfolgten Erstuntersuchungen eine
geeignete Supplementation empfehlen/verschreiben.
Können die Ergänzungsmittel auch negative Nebenwirkungen haben?
Ein klares Nein. Natürlich kann es bei einer extremen Überdosierung zu negativen Auswirkungen
kommen, aber dies kommt so gut wie garnicht vor. Hält sich die Patientin an die
Dosierungsvorschläge und die Empfehlung des Arztes besteht absolut keine Gefahr.
Was muss die Patientin während der Einnahme ansonsten noch berücksichtigen? Muss sie einem
bestimmten, angepassten Lebensstil folgen?
Natürlich ist es wichtig –aber das ist nichts Neues - nicht zu rauchen und auch gänzlich auf Alkohol zu
verzichten. Nicht mal ein Gläschen zwischendurch – denn schon das kann dem ungeborenen Kind
Schaden zufügen.
Bei manchen Supplementen empfiehlt es sich schon ab einem gewissen Zeitraum vor der
Schwangerschaft zu beginnen. Plant man eine Schwangerschaft und kann daher die Einnahme
gezielter berechnen, sollte man ab circa sechs Wochen vorher mit der Einnahme von Folsäure
beginnen. Dies ist sehr wichtig um Neuralrohrdefekten aktiv entgegenzuwirken.
Bekommt die Patientin auch hochwertige Supplemente im Drogeriemarkt?
Die Basisprodukte sind in der Drogerie vorhanden, das wären etwa Folsäure oder Jod. Dies reicht
aber nicht aus – daher sollte die Patientin die Supplementation mit ihrem behandelnden Arzt
besprechen und auf hochwertige Präparate aus der Apotheke zurückgreifen.
CV Prof. Dr. Bernd Kleine-Gunk unter:
http: //www.kleine-gunk.de/pages/praxisteam-01.html
Website der GSAAM e.V:
www.gsaam.de
Pressekontakt der GSAAM e.V:
Barbara Eienbach
[email protected]
[email protected]
+49 (30) 740 744 745
+49 173 584 66 84
Quellen:
1) Barker DJ, Winter PD, Osmondl C, Matgetts B, Simmonds SJ: Weight in infancy and death from ischaemic heart disease, Lancet 1989; 2: 577-580.
2) Plagemann A, Rodekamp E, Harder T, Dudenhausen JW: Spätfolgen der intrauterinen Prägung. In: Dudenahusen JW (Hrsg) Das vorgeburtliche
Wachstum des Kindes – Prägung und Schicksal. Urban und Vogel, München 2007 pp 9-22
3) Czeizel AE, Dudás I: Prevention of the first occurence of neural-tube defects by periconceptional vitamin supplementation. N Engl J Med 1992;
327(26): 1832-1835
4) Bailey LB, Berry RJ: Folic acid supplementation and the occurrence of congenital heart defects, orofacial clefts, multiple births and miscarriage.
Am J Clin Nutr 2005; 81(5): 1213S-1217S
5) Nelen WL, Blom HJ, Steegers EA et al.: Homoysteine and folate levels as risk factors for recurrent early pregnancy loss. Obstet Gynecol 2000;
95(4): 519-524
6) Ulrich CM Patte JD: Folate Supplementation: Too much of a Good Thing? Cancer Epidemiol Biomarker Prv 2006; 15: 189-193
7) Bühling KJ, Schaff J, Bertram H et al.: Supply of iodine during pregnancy – an inventory in Berlin, Germany. Z Geburtshilfe Neonatal 2003;
207(1):12-16
8) Haddow JE, Palomaki GE, Allan WC et al.: Maternal thyroid deficiency during pregnancy and subsequent neuropsychological development of
the child. N Engl J Med 1999; 341(8): 549-555
9) Patelarou E, Giourgouli W, Lykeridou A et al.: Assiciation between biomarker-quantified antioxidant status during pregnancy and infancy and
allergic disease during early childhood: a systematic review. Nutr Rev 2011; 69(11): 627-641
10) Devereux G, Turner SW, Craig LC et al. : Low maternal vitamin E intake during pregnancy is associated with asthma in 5-year-old-children. Am J
Respir Crit Med 2006; 174(5): 499-507
11) Klein EA et al.: Vitamin E and the Risk of Prostate Cancer. The Selenium and Vitamin E Cancer. Prevention Trial (SELECT) Jama 2011; 3006 (14):
1549-1556
12) Mulligan M et al.: Implications of vitamin D deficiency in pregnancy and lactation. Am J Obstet Gynecol 2010; 202: 429
13) Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Vitamin D. In Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. 1. Auflage. 4. korrigierter Nachdruck. Neustadt:
Neuer Umschau Buchverlag 2012
14) Noia G, Littarru GP, De Santis M et al.: Coenzyme Q10 in pregnancy. Fetal Diagn Ther 1996 Jul-Aug;11 (4) : 264-70
15) Hibbeln JR, Davis JM, Steer C et al.: Maternal seafood consumption in pregnancy and neurodevelopmental outcomes in childhood (ALSPAC
study): an observational cohort study. Lancet 2007; 369(9561): 578-585
16) Ryckebosch E, Bruneel C, Termote-Verhalle R et al.: Nutritional evaluation of microalgae oils rich in omega-3 long chain polyunsaturated acids
as an alternative for fish oil. Food Chem 2014 Oct 1; 160:393-400