Predigt über Matthäus 6, 25-35 - Französischen Kirche zu Berlin

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Predigt über Matthäus 6, 25-35 - Französischen Kirche zu Berlin
15. Sonntag nach Trinitatis
Pfarrerin M. Waechter
28.September 2014
Französische Friedrichstadtkirche
Der Gottesdienst wurde als dt-fr. Gottesdienst im Rahmen der Interkulturellen Woche
2014 unter dem Motto „Gemeinsamkeiten finden, Unterschiede feiern“ gefeiert.
Predigt über Matthäus 6, 25-35
25Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch
nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der
Leib mehr als die Kleidung? 26Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten
nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr
denn nicht viel mehr als sie? 27Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne
zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? 28Und warum sorgt ihr euch um die
Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen
sie nicht. 29Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen
ist wie eine von ihnen. 30Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht
und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr
Kleingläubigen? 31Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden
wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? 32Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer
himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. 33Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. 34Darum sorgt nicht für morgen,
denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage
hat.
Liebe Gemeinde,
es war einmal eine Lilie, die an abgelegener Stelle an einem kleinen Bach wuchs. Die Lilie war
schöner gekleidet als der König Salomo. Sie war sorglos und froh. Unmerklich und glückselig glitt die
Zeit dahin wie das fließende Wasser des Baches.
Eines Tages flog ein Vogel vorüber. Es war ein unfreundlicher Vogel und anstatt sich an der
Schönheit der Lilie zu erfreuen, wollte er sich wichtig machen. Er flog um die Lilie herum und prahlte.
Er schwärmte von seiner Freiheit. Er erzählte alle möglichen Geschichten, von anderen viel
prächtigeren Blumen, die weit weg wuchsen und viel schöner und lieblicher seien, als die Lilie am
Bach.
So wurde die Lilie traurig. Und je mehr sie auf den Vogel hörte, desto bekümmerter wurde sie. Sie
fühlte sich gefangen und gebunden und fand den Bach langweilig. Sie jammerte: ach warum muss ich
nur hier an dieser abgelegenen Stelle wachsen und warum bin ich so klein und gar nicht schön?
Ich denke, in uns allen steckt dann und wann die unzufriedene Lilie: Ach, warum bin ich so klein und
gar nicht schön? Warum gelingt den anderen immer alles besser als mir? Warum habe ich nicht dies
und das? Warum sind meine Eltern nicht reich und meine Kinder nicht begabt?
Ich denke, in uns allen steckt dann und wann auch der hochnäsige Vogel: Oh ja, ich bin wichtiger als
die anderen! Oh ja, ich kann dies und das besser als sie! Oh ja, und wenn ich nur sehe, was die
machen, denken und sagen, dann bin ich ja froh, dass ich anders bin. Ach, wenn ich doch nur nichts
mit ihnen zu tun hätte.
15. Sonntag nach Trinitatis
Pfarrerin M. Waechter
28.September 2014
Französische Friedrichstadtkirche
Diese Lilien und diese Vögel in uns sind voller Sorgen. Ihre Sorgen sind genährt aus Neid und
Überheblichkeit. Man könnte die Haltung so zusammenfassen: Unterschiede wahrnehmen und drüber
verbittern und verhärten. Aber unser Motto, das Motto der Interkulturellen Woche ist ein anderes:
Gemeinsamkeiten finden, Unterschiede feiern!
Und dabei kommt es auf die Reihenfolge an. Bevor wir als unzufriedene Lilien und hochnäsige Vögel
aufeinander treffen und unsere Unterschiede uns gegenseitig vorhalten, sollten wir feststellen, was uns
miteinander verbindet. Welche Gemeinsamkeiten wir haben.
Die kleine Geschichte von der Lilie am Bach und dem Vogel stammt von Sören Kierkegaard.1 Und er
sagt: Die Lilie ist der Mensch. Der Vogel steht für die Gedanken, die immer nur vergleichen und
launenhaft umherflattern und an der Verschiedenheit, der wir begegnen, verzweifeln. Was lernt also
der Bekümmerte von den Lilien? Er lernt sich damit begnügen, ein Mensch zu sein.
Unsere größte Gemeinsamkeit ist, dass wir alle Menschen sind. Menschen mit Ängsten und Sorge.
Hier in der Kirche verbinden uns noch weitere Gemeinsamkeiten. Wir teilen den einen Glauben an
Jesus Christus und haben dadurch eine große Verbundenheit. Wir teilen unseren Glauben, unser Liebe,
unsere Hoffnung miteinander. Wenn wir uns unserer gemeinsamen Wurzeln sicher sind, dann kann
sich alles andere daraus ergeben. Jesus sagt:
Trachtet zuerst nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit, dann wird euch alles andere zufallen.
Auch Jesus kommt es auf die Reihenfolge an.
Trachtet zuerst nach dem Gemeinsamen- der gemeinsamen Hoffnung auf das Reich Gottes-, bemüht
euch und strebt danach gerecht miteinander zu leben, habt Gottes Gerechtigkeit vor Augen: Gott, der
jeden Menschen als sein geliebtes Kind annimmt, - dann wird euch alles andere zufallen. Und dann
können auch Unterschiede gefeiert werden.
Wer sich seiner Gemeinsamkeiten sicher ist, kann Unzufriedenheit und Hochnäsigkeit abschütteln und
hat die Freiheit Unterschiede zu feiern. -Natürlich gibt es Unterschiede, die dem Reich Gottes und
seiner Gerechtigkeit widersprechen. Und ungerechte Unterschiede müssen beseitigt und nicht gefeiert
werden.- Aber die unterschiedlichen Kulturen und Sprachen, verschiedene Altersgruppen und
Unterschiede zwischen Männern und Frauen sie gehören mit zum Reich Gottes und diese dürfen wir
feiern.
Jesus will unser Bewusstsein schärfen, für das, was wirklich wichtig ist. Trachten wir zuerst nach
Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit…
dann werden wir schön, weil wir einander ansehen.
dann werden wir frei, weil es Unterdrückung unter Brüder und Schwestern nicht geben kann.
dann werden wir satt, weil alle füreinander sorgen.
dann sind wir mit uns und unserem Menschsein in all seiner Unterschiedlichkeit und seinen
vielfältigen Facetten im Reinen, weil Gott das Menschsein angenommen hat.
Amen
1
Kierkegaard, Sören, Was wir lernen von den Lilien auf dem Felde und den Vögeln unterm Himmel, nach dem
Dänischen frei bearbeitet von Alfred Puls, Berlin 1916. Gefunden in: Predigtmeditationen im christlichjüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe I, 2008, S. 325.