Rechtsschutz gegen öffentlich-rechtliche Zwangsmaßnahmen einer

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Rechtsschutz gegen öffentlich-rechtliche Zwangsmaßnahmen einer
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Stand: 8. Dezember 2010
Rechtsschutz
gegen
öffentlich-rechtliche Zwangsmaßnahmen
einer Behörde
von
Dr. Marco Haase
Der folgende Aufsatz gibt einen Überblick über die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die
öffentlich-rechtlichen Zwangsmaßnahmen einer Behörde im deutschen Recht. Er beschäftigt
sich nicht mit den Rechtsschutzmöglichkeiten gegen zivilrechtliche oder strafrechtliche
Zwangsmaßnahmen. Er erhebt darüber hinaus keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern
beschränkt sich darauf, die wesentlichen Grundzüge des deutschen Rechts darzustellen.
Da der Rechtsschutz im öffentlichen Recht nicht verständlich ist, ohne Kenntnis des
materiellen Verwaltungsrechts, werden zunächst die Grundlagen des deutschen materiellen
Verwaltungs- und Verwaltungsvollstreckungsrecht zusammengefaßt (Teil A), anschließend
werden die Rechtschutzmöglichkeiten vorgestellt (Teil B).
A. Grundlagen
des
deutschen
materiellen
Verwaltungs-
und
Verwaltungsvollstreckungsrechts
I. Zuständigkeit im Bundesstaat
Die Bundesrepublik Deutschland ist föderal organisiert. Bund und Länder führen deshalb ihre
Aufgaben aus eigenem Recht aus. Grundsätzlich sind die Länder für die Gesetzgebung und
die Ausführung der Gesetze zuständig. Das Grundgesetz hat aber dem Bund in sehr vielen
Bereichen die Kompetenz für die Gesetzgebung übertragen. Für das Polizei- und
Ordnungsrecht haben aber weiterhin die Länder die Gesetzeszuständigkeit. So regelt
beispielsweise Berlin das Polizei- und Ordnungsrecht im sog. Allgemeinen Sicherheits- und
Ordnungsgesetz für Berlin (ASOG).
Selbst wenn dem Bund die Gesetzeszuständigkeit zusteht, obliegt die Ausführung dieser
Gesetze in der Regel den Ländern. In diesen Fällen regeln grundsätzlich die Landesgesetze
das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsvollstreckung. Es ist aber möglich, daß
2
Bundesgesetze auch besondere Bestimmung für die Verwaltung durch die Länder vorsehen.
Wenn der Bund die Gesetze selbst ausführt oder die Länder mit der Ausführung beauftragt,
gilt das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) und das Verwaltungsvollstreckungsgesetz
(VwVG) des Bundes.
Sofern die Länder die Gesetzgebungskompetenz haben, können die Gesetze, insbesondere im
allgemeinen
Polizei-
und
Ordnungsrecht
und
im
Verwaltungsvollstreckungsrecht,
voneinander abweichen. Die Prinzipien sind aber in allen Gesetzen identisch. Die
Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder stimmen sogar gänzlich mit dem VwVfG des
Bundes überein.
Das
Verwaltungsprozeßrecht
ist
bundeseinheitlich
durch
eine
Bundesgesetz,
die
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), geregelt.
II. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Zentrales Prinzip des deutschen öffentlichen Rechts ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Die
öffentlich-rechtliche
Maßnahme
einer
Behörde
ist
rechtswidrig,
wenn
sie
unverhältnismäßig ist. Da Verwaltungsgerichte überprüfen können, ob eine behördliche
Maßnahme rechtmäßig ist, kann sie auch prüfen, ob die Maßnahme verhältnismäßig ist. Eine
Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen ist, um ein
legales Ziel zu erreichen. Die Prüfung der Gerichte erfolgt deshalb in folgender Reihenfolge:
1.) Zulässigkeit des bezweckten Erfolgs
Die Maßnahme muß einen zulässigen Zweck verfolgen. Ist der Zweck der Maßnahme
unzulässig, ist auch die Maßnahme rechtswidrig.
2.) Geeignetheit
Eine Maßnahme ist geeignet, wenn mit der Maßnahme ein rechtlich zulässiges Ziel erreicht
werden kann. Kann durch die Maßnahme das Ziel nicht erreicht werden, ist die Maßnahme
unrechtmäßig. Wenn die Behörde durch ein Verbot der Ansammlung von Menschen die
Ausbreitung einer Krankheit verhindern will, sich die Krankheit aber nicht durch den Kontakt
mit anderen Menschen überträgt, ist das Verbot zur Erreichung des Zwecks ungeeignet.
3.) Erforderlichkeit
Eine Maßnahme ist rechtswidrig, wenn sie nicht erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt
es, wenn der Zweck durch eine andere Maßnahme, die den Betroffenen weniger belastet,
ebenso gut erzielt werden kann. Wenn die Behörde dem Eigentümer auferlegt, einen Baum zu
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fällen, weil herabstürzende Äste Passanten verletzten könnten, ist die Maßnahme nicht
erforderlich, wenn es ausreicht, daß einzelne Äste beseitigt werden.
4.) Angemessenheit
Eine Maßnahme ist schließlich auch dann rechtwidrig, wenn sie unangemessen ist. Das ist der
Fall, wenn die Belastung für den Betroffenen völlig außer Verhältnis zu den bezweckten
Vorteilen der Maßnahme steht. Es ist also eine wertende Abwägung zwischen den Nachteilen
für den Betroffenen und dem durch die Maßnahme erstrebten Vorteilen erforderlich. Ist ein
Haus einsturzgefährdet und sind Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend, dann ist bei einer
Gefahr für Menschen die Abrißverfügung angemessen, weil der Schutz der Gesundheit der
Menschen die Vermögenseinbuße des Eigentümers aufwiegt. Überschreitet ein Haus
hingegen den gesetzlichen vorgeschriebenen Grenzabstand um wenige Zentimeter, ist eine
Abrißverfügung nicht angemessen, da der Schutz des Nachbarn außer Verhältnis steht zu der
Vermögenseinbuße des Bauherrn.
III. Unterscheidung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit
Gerichte überprüfen, ob eine Behörde rechtmäßig gehandelt hat. Die Maßnahme einer
Behörde ist rechtswidrig, wenn die Behörde nicht zuständig war oder wenn das Verfahren
oder die Form nicht eingehalten worden ist. Vor allen Dingen aber ist eine belastende
Maßnahme rechtswidrig, wenn es keine gesetzliche Rechtsgrundlage für die Maßnahme gibt.
Als gesetzliche Grundlagen gilt nur ein Parlamentsgesetz, in dem alle wesentlichen Fragen
geregelt sind. Die Verordnung einer Behörde allein kann eine belastende Maßnahme nicht
rechtfertigen. Eine Maßnahme ist darüber hinaus rechtswidrig, wenn nicht alle
Voraussetzungen, die das Gesetz nennt, erfüllt sind.
Viele Verwaltungsgesetze räumen der Behörde bei der Entscheidung Ermessen ein. Wenn die
Voraussetzungen des Gesetzes erfüllt sind, kann die Behörde in diesen Fällen im Rahmen
ihres Ermessens entscheiden, ob sie handelt, welche Maßnahme sie gereift und gegen wen sie
die Maßnahme richtet. Das Ermessen wird vom Gericht nur eingeschränkt überprüft. Deshalb
ist bei der Überprüfung des Ermessens zwischen der sog. Rechtmäßigkeit und der sog.
Zweckmäßigkeit der Entscheidung zu unterscheiden. Das Gericht überprüft nur die
Rechtmäßigkeit des Ermessens.
Die Behörde hat ihr Ermessen unrechtmäßig ausgeübt, wenn es den eigenen
Ermessensspielraum
nicht
gesehen
hat
und
nicht
zwischen
verschiedenen
Handlungsmöglichkeiten gewählt hat (sog. Ermessensausfall). Die Behörde hat darüber
hinaus ihr Ermessen falsch ausgeübt, wenn sie nach sachwidrigen Kriterien entschieden hat
4
(sog. Ermessensfehlgebrauch). Schließlich hat die Behörde das Ermessen rechtswidrig
ausgeübt, wenn sie eine Maßnahme ergreift, die nicht vom Gesetz erlaubt ist (sog.
Ermessensüberschreitung). Ermessensüberschreitung liegt insbesondere vor, wenn die
Maßnahme unverhältnismäßig war. 1
Sofern das Gesetz verschiedene Handlungsmöglichkeiten vorsieht und die Behörde nach
sachgemäßen Kriterien eine dieser Handlungsmöglichkeiten ausgewählt hat, überprüft das
Gericht hingegen nicht, ob diese Handlungsmöglichkeit tatsächlich die beste, also die
zweckmäßige Handlungsmöglichkeit war. Dieser Begriff der Zweckmäßigkeit ist nicht mit
dem der Geeignetheit zu verwechseln. Die Geeignetheit wird im Rahmen der
Verhältnismäßigkeit vom Gericht überprüft.
IV. Wirksamkeit, Nichtigkeit, Rechtswidrigkeit und Bestandskraft
Ein Verwaltungsakt ist wirksam, sobald er dem Adressaten bekannt gemacht worden ist (§ 41
VwVfG).
Die Wirksamkeit ist grundsätzlich unabhängig von der Rechtmäßigkeit. Auch wenn der
Verwaltungsakt rechtswidrig ist, bleibt der Verwaltungsakt in der Regel wirksam. Die
Wirksamkeit des Verwaltungsakts endet erst, wenn eine Behörde oder ein Gericht ihn
aufgehoben hat. Nur bei besonders schwerwiegenden Fehlern ist der Verwaltungsakt nichtig
(§ 44 VwVfG). Im Falle der Nichtigkeit ist Verwaltungsakt auch ohne eine Aufhebung durch
die Behörde oder durch ein Gericht unwirksam.
Wer durch einen Verwaltungsakts belastet ist, kann nur innerhalb einer Frist von in der Regel
einem Monat nach Bekanntgabe durch Widerspruch gegen den Verwaltungsakt vorgehen
(§ 70 VwGO). Gegen einen ablehnenden Widerspruchsbescheid kann er innerhalb einer Frist
von ebenfalls einem Monat Klage einlegen (§ 74 VwGO). Legt er innerhalb dieser Fristen
keinen Widerspruch und keine Klage ein, wird der Verwaltungsakt bestandskräftig. In diesem
Fall kann die Wirksamkeit nicht mehr von einer Behörde oder einem Verwaltungsgericht
überprüft werden. Der Verwaltungsakt bleibt deshalb endgültig wirksam, obwohl er
möglicherweise rechtswidrig ist. Nur in Ausnahmefällen besteht ein Recht auf
Wiederaufnahme des Verfahrens.
Ein nichtiger Verwaltungsakt kann hingegen nicht bestandskräftig werden; die Nichtigkeit
kann deshalb jederzeit vom Gericht festgestellt werden.
1
Maurer § 7 Rn. 19ff ; Wolff § 31 Rn. 57ff.
5
V. Anspruch auf Abwehr eines Eingriffs und Anspruch auf Belastung eines anderen
Im Verhältnis zwischen dem einzelnen und der Behörde ist zwischen zwei Konstellationen zu
unterscheiden:
In der ersten Konstellation belastet eine behördliche Maßnahme einen einzelnen. Der einzeln
will deshalb gegen diese Maßnahme vorgehen. Hier geht es also um die Frage, ob dem
einzelnen ein Abwehranspruch gegen einen Maßnahme der Behörde zusteht. Wenn die
Behörde dem Eigentümer eines Hauses auferlegt, das Haus abzureißen, stellt sich
beispielsweise die Frage, ob dem Eigentümer ein Abwehranspruch gegen diese
Abrißverfügung zusteht, weil diese rechtswidrig ist.
In der zweiten Konstellation wird ein Dritter von dem Tun oder Unterlassen eines anderen
gestört. Der Dritte will deshalb, daß die Behörde gegen den anderen vorgeht. In diesem Fall
geht es um die Frage, ob ein Dritter von der Behörde verlangen kann, daß die Behörde
Maßnahmen gegen einen anderen ergreift. Wird beispielsweise ein Nachbar von einem illegal
errichteten Haus gestört, ist fraglich, ob der Nachbar von der Behörde verlangen kann, daß der
Eigentümer des illegal errichteten Hauses dieses abreißen muß.
Darüber hinaus gibt es noch Fälle, in denen der einzelne von der Behörde eine Begünstigung
verlangt, zum Beispiel den Erlaß einer Baugenehmigung. Diese Fälle sind aber für die
Verwaltungsvollstreckung nicht relevant.
VI. Mögliche Zwangsmaßnahmen
Behördliche Zwangsmaßnahmen können wie folgt unterschieden werden.
1.) Vollstreckung eines Verwaltungsaktes
Die Zwangsmaßnahmen können der Vollstreckung eines Verwaltungsaktes dienen. Ein
Verwaltungsakt kann einem einzelnen ein Gebot oder ein Verbot auferlegen. Durch den
Verwaltungsakt kann der einzeln z.B. verpflichtet werden, Geld zu zahlen, eine Handlung
vorzunehmen, das Handeln der Behörde oder einer dritter Personen zu dulden oder eine
Handlung zu unterlassen. Die durch den Verwaltungsakt begründete Verpflichtung muß aber
noch durchgesetzt werden. Das erfolgt durch die Vollstreckung.
Bei der Vollstreckung eines Verwaltungsaktes, der ein Handeln, Dulden oder Unterlassen
anordnet, können folgende Zwangsmittel eingesetzt werden.
a) Ersatzvornahme (§ 10 VwVG)
Bei vertretbaren Handlungen, also Handlungen, die von anderen Personen durchgeführt
werden können, kann die Behörde privatrechtlich einen Dritten mit der Handlung beauftragen.
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Die Behörde kann dann von dem Pflichtigen, also der Personen, gegen die sich der
Verwaltungsakt richtete, die Kosten für die Beauftragung des Drittens verlangen. Wenn ein
Haus einsturzgefährdet ist und die Gefahr besteht, daß Passanten verletzt werden, kann die
Behörde anordnen, daß der Eigentümer des Hauses Sicherungsmaßnahmen trifft. Wenn der
Eigentümer diesem Gebot nicht nachkommt, kann die Behörde einen Dritten beauftragen,
diese Sicherungsmaßnahmen durchzuführen. Die Behörde darf im Anschluß daran von dem
Eigentümer Ersatz der Kosten für die Beauftragung des Dritten verlangen.
b) Zwangsgeld und Ersatzzwangshaft (§ 11 VwVG; § 16 VwVG)
Wenn der Verwaltungsakt nicht auf eine vertretbare Handlung gerichtet ist oder wenn die
Handlung zwar grundsätzlich vertretbar ist, im konkreten Fall aber sinnvollerweise nur von
dem Adressaten des Verwaltungsaktes ausgeführt werden kann, kann die Behörde ein
Zwangsgeld auferlegen. Das Zwangsgeld ist keine Strafe, sondern ein Beugemittel. Es dient
also allein der Durchsetzung der Verpflichtung. Wenn die Pflicht erfüllt worden ist, kann das
Zwangsgeld nicht mehr verlangt werden. Umgekehrt kann die Festsetzung eines
Zwangsgeldes wiederholt werden, solange der Pflichtige der Pflicht nicht nachgekommen ist.
Ein Zwangsgeld kann neben einer Kriminalstrafe verhängt werden. Der Grundsatz, daß jeder
für eine Tat nur einmal bestraft werden kann (ne bis in idem), hat deshalb für das Zwangsgeld
keine Bedeutung. 2
Subsidiär zum Zwangsgeld kann eine Zwangshaft angeordnet werden. Voraussetzung dafür
ist, daß das Zwangsgeld nicht erlangt werden kann. Die Zwanghaft ist von einem Richter
anzuordnen und kann höchstens eine Woche dauern. Die Zwangshaft ist in der deutschen
Praxis sehr selten. 3
c) Unmittelbarer Zwang (§ 12 VwVG)
Schließlich kann ein Verwaltungsakt durch unmittelbaren Zwang ausgeführt werden. Hier
kann die Behörde auf die Person oder Sache durch körperliche Gewalt einwirken.
Unmittelbarer Zwang liegt beispielsweise vor, wenn die Behörde eine Wohnung aufbricht
oder wenn sie eine Person wegträgt.
Für die Auswahl der Zwangsmittel gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, d.h., daß
unmittelbarer Zwang beispielsweise nur dann zulässig ist, wenn ein Zwangsgeld nicht
erfolgreich ist und die Belastung vom bezweckten Erfolg aufgewogen wird.
2
Maurer § 20 Rn. 15.
3
Maurer § 20 Rn. 16.
7
Andere Zwangsmittel sind zur Vollstreckung eines Verwaltungsaktes nicht zulässig. Die
Behörde darf beispielsweise keine Leistungen an den Pflichtigen vorenthalten und nicht gegen
den Pflichtigen zum Boykott aufrufen.
2.) Unmittelbare Ausführung durch schlichtes Verwaltungshandeln (Realakt)
Eine Behörde kann auch Zwangsmaßnahmen durchführen, ohne zunächst einen
Verwaltungsakt zu erlassen. Die Zwangsmaßnahme erfolgt dann durch ein sog. schlichtes
Verwaltungshandeln, d.h. einen sog. Realakt. Ein Realakt ist auf einen tatsächlichen Erfolg
gerichtet, während ein Verwaltungsakt auf einen rechtlichen Erfolg, nämlich die Berechtigung
und Verpflichtung des Adressaten, gerichtet ist. Beispielsweise kann die Behörde bei einem
umgestürzten Tanklastwagen das auslaufende Öl abpumpen lassen oder eine brennende
Wohnung aufbrechen.
Früher wurde in diesen Fällen vertreten, daß hier der Verwaltungsakt und die
Zwangsmaßnahme zusammenfallen. Es wurde nämlich angenommen, daß der Eigentümer des
Tanklastwagens oder der Wohnung zugleich verpflichtet wurde, die Maßnahme der Behörde
zu dulden. Da ein Verwaltungsakt jedoch ein Recht oder eine Pflicht für den Betroffenen
begründet, ist ein Verwaltungsakt gegenüber dem Betroffenen bekannt zu machen (§ 41
VwVfG). Wenn die Behörde aber gegenüber dem Betroffenen keine Pflichten bekannt
gemacht hat, weil der Betroffene z.B. gar nicht anwesend war, liegt auch kein Verwaltungsakt
vor. Dann kann auch keine Pflicht aus dem Verwaltungsakt vollstreckt werden. Die
Zwangsmaßnahme kann deshalb in diesen Fällen ohne einen vorhergehenden Verwaltungsakt
erfolgen. 4
VII. Prinzip der Vollstreckung im Verwaltungsrecht
Im Zivilrecht kann eine Person nur dann einen Anspruch gegen eine andere Person mit Zwang
durchsetzten, wenn ein Gericht nach Abschluß eines Gerichtsverfahrens einen entsprechenden
Titel erteilt hat. Den Titel kann eine Privatperson nicht selbst vollstrecken; vielmehr muß sie
die Vollstreckung durch einen Gerichtsvollzieher beim Gericht beantragen.
Im Verwaltungsrecht hingegen kann die Behörde Verwaltungsakte erlassen, die ohne ein
gerichtliches Verfahren direkt vollstreckt werden dürfen. Der Verwaltungsakt ist also wie ein
Gerichtsurteil im Zivilrecht ein Vollstreckungstitel. Darüber hinaus muß die Behörde keine
fremde Vollstreckungsbehörde einschalten, sondern kann den eigenen Verwaltungsakt selbst
vollstrecken.
4
Maurer § 20 Rn. 26 ; Wolff § 64 Rn 101.
8
Grund für diesen Unterschied ist, daß das Gewaltmonopol beim Staat liegt. Eine Privatperson
darf deshalb grundsätzlich nicht selbst mit Gewalt ihre Ansprüche durchsetzen. Umgekehrt
verlangt der Verzicht des einzelnen auf die Möglichkeit der Gewaltanwendung zugunsten des
Staates, daß der Staat im Rahmen des rechtlich Zulässigen den einzelnen wirksam schützt.
Die Möglichkeit der Behörde, Verwaltungsakte selbst zu vollstrecken, dient der Effizienz der
behördlichen Tätigkeit. Darüber hinaus besteht die Vermutung, daß die Behörde wie ein
Gericht grundsätzlich im Rahmen des Rechts handelt. Deshalb ist eine präventive gerichtliche
Überprüfung von behördlichen Zwangsmaßnahmen im Prinzip nicht erforderlich.5
Eine Behörde kann auch privatrechtlich handeln. In diesem Falle wird sie wie eine
Privatperson behandelt und muß ihre Ansprüche vor einem Zivilgericht einklagen.
VIII. Voraussetzung für die Durchführung von Zwangsmaßnahmen
1.) Allgemeine Voraussetzungen für die Vollstreckung von Verwaltungsakten
Die Vollstreckung eines Verwaltungsaktes setzt voraus, daß es einen Verwaltungsakt mit
einem Gebot oder Verbot für den Adressaten, d.h. einen sog. belastenden Verwaltungsakt,
gibt; ein begünstigender Verwaltungsakt kann nicht vollstreckt werden.
Darüber hinaus muß der Verwaltungsakt vollstreckbar sein. Ein Verwaltungsakt ist zum einen
vollstreckbar, wenn keine Rechtsmittel zulässig sind, er also bestandskräftig ist. Zum anderen
ist ein Verwaltungsakt auch dann vollstreckbar, wenn die Behörde erklärt hat, daß der
Verwaltungsakt sofort vollstreckt werden darf. (Vgl. dazu unten unter B I 3.)
2.) Allgemeine Voraussetzungen für die Durchführung von Zwangsmaßnahmen ohne
Verwaltungsakt
Zwangsmaßnahmen ohne Verwaltungsakt sind zulässig, wenn ein Verwaltungsakt zulässig
wäre und eine besondere Eilbedürftigkeit besteht, die es nicht erlaubt, zunächst einen
Verwaltungsakt zu erlassen. 6
3.) Besondere Voraussetzungen für die Durchführung von Zwangsmaßnahmen
Die allgemeinen Polizeigesetze oder andere ordnungsrechtliche Spezialgesetz können für
einzelne Zwangsmaßnahmen besondere Voraussetzungen festlegen. Das allgemeine
Polizeirecht regelt beispielsweise die Voraussetzungen für die sog. Standardmaßnahmen.
Darunter versteht man spezielle Befugnisse der Polizei und der Ordnungsbehörden, z.B. die
Feststellung der Identität einer Person, die Räumung eines Platzes, die Durchsuchung einer
5
Maurer § 9 Rn. 40; Wolff § 45 Rn. 3.
6
Maurer § 20 Rn. 25.
9
Wohnung, die Ingewahrsamnahme einer Person oder die Erstellung von Filmaufnahmen an
öffentlichen Orten.
IX. Verfahren bei der Durchführung von Zwangsmaßnahmen
Bei der Durchführung von Zwangsmaßnahmen ist zwischen der Vollstreckung von
Geldforderungen,
der
Vollstreckung
von
sonstigen
Verwaltungsakten
und
den
Zwangsmaßnahmen ohne vorherigen Verwaltungsakt zu unterscheiden. Der Verwaltungsakt,
der vollstreckt werden soll, wird Grundverwaltungsakt genannt.
1.) Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung eines Zahlungsverfügung
Das öffentlich-rechtliche Vollstreckungsverfahren für die Eintreibung von Geldforderungen
entspricht im wesentlichen der Vollstreckung im Privatrecht. Dieses Verfahren wird hier nicht
näher behandelt.
2.) Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung von sonstigen Gebots- und Verbotsverfügungen
Bei der Vollstreckung eines Verwaltungsaktes, der jemanden zu einem Handeln, Dulden oder
Unterlassen verpflichtet, ist zwischen drei Verfahrensschritte zu unterscheiden. (1) Die
Behörde muß gegenüber dem Pflichtigen die Durchführung der Vollstreckungshandlung
schriftlich androhen. Dabei muß die geplante Zwangsmaßnahme genau angegeben werden
und es muß eine Frist für die Ausführung des Verwaltungsaktes gesetzt werden (§ 13 VwVG).
(2) Darüber hinaus muß die Zwangsmaßnahme festgesetzt werden. Die festgesetzte
Maßnahme muß der angedrohten Maßnahme entsprechen (§ 14 VwVG). (3) Schließlich muß
die Behörde das Zwangsmittel anwenden.
Diese Verfahrensschritte können im sog. gestreckten Verfahren nacheinander erfolgen. Es ist
aber auch möglich, daß diese verschiedenen Schritte gleichzeitig durchgeführt werden.
Insbesondere
können
der
Erlaß
des
Verwaltungsaktes
und
die
Androhung
der
Zwangsvollstreckung gleichzeitig erfolgen. Bei Eilbedürftigkeit können alle Schritte
gleichzeitig durchgeführt werden. 7
Die
Androhung
und
die
Festsetzung
der
Zwangsmaßnahme
sind
wie
der
Grundverwaltungsakt Verwaltungsakte, die Ausführung des Verwaltungsaktes ist hingegen
ein Realakt.
7
Wolff § 64 Rn. 94ff.
10
3.) Zwangsmaßnahme ohne Verwaltungsakt
Bei Eilbedürftigkeit kann die Behörde auch ohne einen vorhergehenden Verwaltungsakt eine
Maßnahme mit oder gegen den Willen des Pflichtigen durch schlichtes Verwaltungshandeln
durchführen. Man spricht hier von unmittelbarer Ausführung (s.o. unter VI 2.).
4.) Besondere Verfahrensregelungen für einzelne Zwangsmaßnahmen
Für einzelne Zwangsmaßnahmen können die Polizei- und Ordnungsgesetze ein besonderes
Verfahren anordnen. Beispielsweise kann die Wohnungsdurchsuchung außer bei Gefahr im
Verzuge nur von einem Richter angeordnet werden (für Berlin: § 37 ASOG). Wird eine
Person in Gewahrsam genommen, ist die Person über den Grund der Maßnahme und über die
Rechte zu belehren. Außerdem muß die Person Gelegenheit haben, eine Vertrauensperson zu
verständigen (für Berlin: § 32 ASOG). Darüber hinaus ist die Ingewahrsamnahme
unverzüglich von einem Gericht zu überprüfen (für Berlin: § 30 ASOG).
B. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Anwendung und gegen die NichtAnwendung von Zwangsmaßnahmen der Behörde
Für die Frage, welche Rechtsschutzmöglichkeit gegen Zwangsmaßnahmen eine Behörde
bestehen, ist zwischen folgenden Fallgruppen zu unterscheiden: Eine Person wendet sich
präventiv gegen die Anwendung einer Zwangsmaßnahme (I.),
ein Dritter verlangt eine
Zwangsmaßnahme gegenüber einer anderen Person (II.), eine Person verlangt nach
Durchführung der Zwangsmaßnahme die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser
Zwangsmaßnahme (III.) oder eine Person verlangt die Beseitigung der Folgen der
Zwangsmaßnahme (IV). Wenn eine Person der Ansicht ist, daß die Entscheidung des
Gerichtes über die Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme gegen seine Grundrechte verstößt,
kann sie darüber hinaus mittels einer Verfassungsbeschwerde das Bundesverfassungsgericht
anrufen (V).
I. Rechtsschutz gegen die Anwendung von Zwangsmaßnahmen
Richtet sich eine Zwangsmaßnahme gegen eine Person, kann die Person zunächst gegen den
zugrundliegenden Grundverwaltungsakt Widerspruch einlegen (1.). Darüber hinaus kommt
eine Klage gegen den Verwaltungsakt in Betracht (2.). Um zu verhindern, daß ein
Verwaltungsakt vollstreckt wird, kann ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt
werden (3.).
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1.) Widerspruch
Als Rechtsschutzmöglichkeit kommt zunächst der Widerspruch in Betracht.
a) Zulässigkeit
Gegen jeden Verwaltungsakt ist in der Regel ein Widerspruch zulässig und für eine spätere
Klage auch erforderlich (§ 68 VwGO). Da nicht nur der Grundverwaltungsakt, also die zu
vollstreckende Ge- oder Verbotsverfügung, sondern auch die Androhung und die Festsetzung
der Zwangsmaßnahme ein Verwaltungsakt ist, ist es auch möglich, einen Widerspruch nur
gegen die Androhung der Vollstreckung oder gegen die Festsetzung der Vollstreckung
einzulegen. Das ist insbesondere dann erforderlich, wenn nicht (allein) die Rechtswidrigkeit
des Grundverwaltungsaktes, sondern auch die Rechtswidrigkeit der Anordnung oder der
Festsetzung gerügt wird, beispielsweise, weil die Androhung kein bestimmtes Zwangsmittel
angegeben hatte oder die Festsetzung nicht der Androhung entsprochen hat. Ein Widerspruch
gegen die Androhung der Zwangsmaßnahme oder die Festsetzung ist grundsätzlich
unabhängig vom Widerspruch gegen den Grundverwaltungsakt möglich. Deshalb kann gegen
die Androhung und die Festsetzung auch dann Widerspruch eingelegt werden, wenn der
Grundverwaltungsakt bereits bestandskräftig ist.
Ein Widerspruch gegen das schlichte Verwaltungshandeln (Realakte) einer Behörde ist
hingegen nicht statthaft. Ein Widerspruch gegen die bloße Anwendung der Zwangsmaßnahme
ist deshalb nicht möglich.
Der Widerspruch ist nur innerhalb einer bestimmten Frist zulässig. Wenn dem
Verwaltungsakt eine Belehrung über die Möglichkeit des Widerspruches beigefügt ist, beträgt
die Frist in der Regel einen Monat ab Bekanntgabe. Fehlt die Rechtsmittelbelehrung kann
innerhalb eines Jahres Widerspruch eingelegt werden (§ 58 Abs. 2 VwGO).
Der Widerspruch wird bei der Behörde eingelegt, die den Verwaltungsakt erlassen hat, der
sog. Ausgangsbehörde. Der Widerspruch muß schriftlich oder zur Niederschrift bei der
Behörde eingelegt werden (§ 70 VwGO). Um einen Widerspruch zur Niederschrift einzulegen,
muß der Betroffene bei der Behörde seinen mündlichen Widerspruch protokollieren lassen.
Die Ausgangsbehörde prüft den Widerspruch. Hilft sie dem Widerspruch nicht ab, sondern
bleibt sie bei ihrer ursprünglichen Ansicht, legt sie den Widerspruch der nächsthöheren
Behörde, der sog. Widerspruchsbehörde, vor.
b) Prüfungsumfang
Die Ausgangs- und die Widerspruchsbehörde prüfen jeweils sowohl die Rechtmäßigkeit des
Verwaltungsaktes also auch die Zweckmäßigkeit. Bei einem Widerspruch gegen die
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Androhung und der Festsetzung des Zwangsmittelns wird nicht die Rechtmäßigkeit und
Zweckmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes geprüft.
c) Inhalt der Entscheidung
Gehen die Ausgangsbehörde oder die Widerspruchsbehörde davon aus, daß der
Verwaltungsakt rechtwidrig oder unzweckmäßig ist, heben sie den Verwaltungsakt auf.
Anderenfalls wird der Widerspruch durch einen Widerspruchsbescheid abgelehnt.
Der Widerspruchsbescheid ist zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen.
2.) Klage im Hauptsacheverfahren
Bei einer Klage ist zwischen den Fällen zu unterscheiden, in den sich der Betroffene gegen
einen bereits erlassenen Verwaltungsakt richtet, und den Fällen, bei denen sich der Betroffene
vorbeugend gegen die Durchführung einer Zwangsmaßnahme richtet. Im ersten Fall kommt
eine Anfechtungsklage in Betracht (a), im zweiten eine vorbeugende Unterlassungsklage (b).
a) Anfechtungsklage gegen einen bereits erlassenen Verwaltungsakt
Eine Anfechtungsklage kommt in Betracht, wenn die Behörde gegenüber einer Person ein
besonderes Ge- oder Verbot ausgesprochen hat, das später vollstreckt werden könnte. So
kommt beispielsweise eine Anfechtungsklage in Betracht, wenn die Behörde einer Person
auferlegt, ein Haus zu räumen.
(0) Zuständiges Gericht
Für eine Anfechtungsklage gegen eine Zwangsmaßnahme der Behörde ist das
Verwaltungsgericht zuständig. Das Verwaltungsgericht ist ein selbständiger Gerichtszweig
neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die für Zivil- und Strafsachen zuständig ist, der
Finanzgerichtsbarkeit, der Arbeitsgerichtsbarkeit und der Sozialgerichtsbarkeit.
(1) Zulässigkeit
Will der Betroffenen verhindern, daß ein Verwaltungsakt gegen ihn vollstreckt wird, kann er
gegen den Grundverwaltungsakt Anfechtungsklage erheben. Da auch die Androhung der
Zwangsvollstreckung und die Festsetzung der Zwangsvollstreckung Verwaltungsakte sind,
kann auch allein gegen die Androhung und die Festsetzung geklagt werden, sofern diese
eigene Fehler aufweisen. Eine Anfechtungsklage gegen die tatsächliche Ausführung der
Zwangsmaßnahme, den Realakt, ist hingegen nicht zulässig.
Eine Anfechtungsklage ist nur zulässig, wenn der Betroffene bereits gegen den
Verwaltungsakt Widerspruch eingelegt und der Widerspruch zurückgewiesen worden ist (§
68 VwGO). Die Klage muß innerhalb von einem Monat nach Bekanntgabe des
Widerspruchsbescheides eingereicht werden (§ 74 VwGO). Versäumt der Betroffene,
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rechtzeitig Widerspruch oder Klage einzulegen, wird der Verwaltungsakt bestandskräftig. Der
Verwaltungsakt ist dann wirksam, obwohl er unter Umständen rechtswidrig ist (s.o.).
Klagebefugt ist, wer behauptet, daß der Verwaltungsakt sein subjektives Recht verletzt, § 42
Abs. 2 VwGO. Da ein belastender Verwaltungsakt den Adressaten stets zumindest in seinem
allgemeinen Freiheitsgrundrecht aus § 2 Abs. 2 GG beschränkt, verletzt ein rechtswidriger
Verwaltungsakt zumindest dieses allgemeine Freiheitsgrundrecht des Adressaten aus Art. 2
Abs. 2 GG. Der Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes ist deshalb stets klagebefugt.
Dagegen ist nicht klagebefugt, wer nicht die Möglichkeit darlegt, selbst durch die Maßnahme
in seinen Rechten verletzt zu werden. Damit ist die sog. Popularklage ausgeschlossen. Es
kann also niemand gegen eine behördliche Maßnahme klagen, die nicht ihn, sondern einen
Dritten belastet. 8
Eine Klage ist ausgeschlossen, wenn kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Das ist insbesondere
der Fall, wenn der Pflichtige den Verwaltungsakt erfüllt hat oder der Verwaltungsakt bereits
vollstreckt worden ist. Nach Vollstreckung kann deshalb nicht mehr die Aufhebung des
Verwaltungsaktes verlangt werden.
Der Kläger kann vor dem Verwaltungsgericht in der ersten Instanz selbst vor Gericht
auftreten, er kann sich aber auch durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen (§ 67 VwGO).
Vor dem Oberverwaltungsgericht oder dem Bundesverwaltungsgericht muß sich der Kläger
von einem Anwalt vertreten lassen.
Im Gegensatz zum Zivilgericht ermittelt das Verwaltungsgericht den Sachverhalt von Amts
wegen; es gilt also im Verwaltungsprozeß der Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO). Das
Gericht wird insbesondere von sich aus die Akten der Behörde anfordern.
(2) Prüfungsumfang
Das Gericht prüft, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig war und der Kläger dadurch in seinen
Rechten verletzt worden ist (§ 113 VwGO). Das Gericht prüft also ausschließlich die
Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahmen, nicht aber die Zweckmäßigkeit (s.o. unter III.).
Das Gericht überprüft insbesondere, ob die Voraussetzungen der gesetzlichen Grundlage
eingehalten worden sind und ob Ermessensfehler vorliegen. Das Gericht beachtet aber den
Ermessensspielraum der Behörde.
(3) Inhalt der Entscheidung
Kommt das Gericht zum Ergebnis, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und deshalb den
Kläger in seinen Rechten verletzt hat, hebt das Gericht den Verwaltungsakt auf (§ 113
VwGO). Der Verwaltungsakt darf dann nicht mehr vollstreckt werden.
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Würtenberger § 21 Rn. 274, 280.
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(4) Rechtsmittel
Gegen das Urteil eines Verwaltungsgerichts ist die Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht
zulässig. Im Berufungsverfahren wird überprüft, ob in der ersten Instanz die Tatsachen richtig
ermittelt worden sind und Rechtsfehler vorliegen (§ 128 S. 1 VwGO). Gegen die Berufung ist
die
Revision
zum
Bundesverwaltungsgericht
nach
Zulassung
durch
das
Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht zulässig (§ 132 VwGO).
In der Revision prüft das Bundesverwaltungsgericht nur Rechtsfragen.
b) Vorbeugende Unterlassungsklage
Mit Hilfe der sog. vorbeugenden Unterlassungsklage kann der Kläger verhindern, daß die
Behörde in der Zukunft eine Zwangsmaßnahme durchführt
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oder einen belastenden
Verwaltungsakt erläßt. So kommt beispielsweise eine vorbeugende Unterlassungsklage in
Betracht, wenn die Gefahr besteht, daß eine Behörde ohne wirksame Abrißverfügung an den
Eigentümer, ein Gebäude beseitigen läßt.
(1) Zulässigkeit
Ein vorheriger Widerspruch ist nicht möglich und erforderlich.
Eine Klagebefugnis besteht nur dann, wenn der Kläger geltend macht, durch die zukünftige
Zwangsmaßnahme oder den Verwaltungsakt möglicherweise in seinen eigenen Rechten
verletzt zu sein.
Die vorbeugende Unterlassungsklage verlangt ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis. Dazu
genügt nicht, daß der Erlaß eines belastenden Verwaltungsaktes oder die Durchführung einer
Zwangsmaßnahme droht. Dieses Rechtsschutzbedürfnis besteht vielmehr nur dann, wenn der
für den Regelfall vorgesehene nachträgliche Rechtsschutz keinen effektiven Schutz bietet.
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß nach Erlaß eines Verwaltungsakts neben dem
Hauptsacheverfahren auch die Möglichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes besteht. Ein
qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis besteht in der Regel, wenn durch die vorbeugende
Unterlassungsklage verhindert werden soll, daß vollendete Tatsachen geschaffen werden oder
ein irreparabler Schaden eintritt. 10 Das wäre bei einer Klage gegen den Abriß eines Hauses
der Fall, nicht aber bei einer Klage, die verhindern soll, daß die Behörde eine Abrißverfügung
erläßt. Im letzteren Fall kann der Kläger nämlich gegen die Abrißverfügung vorgehen, ohne
daß ein irreparabler Schaden entsteht.
Ebenso besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Verstoß gegen den zukünftigen
Verwaltungsakt eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat darstellt. Es ist dem Betroffenen
9
Lemke § 18 Nr. 2; 5.
10
Würtenberger § 27 Rn. 490.
15
nämlich nicht zuzumuten, daß die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem
Ordnungswidrigkeits- oder in einem Strafverfahren geprüft wird. 11
Schließlich ist anerkannt, daß ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, wenn eine Vielzahl von
Einzelmaßnahmen droht. 12
(2) Inhalt der Entscheidung
Wenn die drohende Zwangsmaßnahme oder der drohende Verwaltungsakt rechtswidrig wären
und den Kläger dadurch in seinen Rechten verletzen würden, wird das Gericht die
Durchführung dieser Maßnahmen untersagen.
3.) Vorläufiger Rechtsschutz
Um die Vollstreckung eines Verwaltungsaktes zu verhindern, gibt es neben einer Klage im
Hauptsacheverfahren ein gerichtliches Eilverfahren zum vorläufigen Rechtsschutz. Auch hier
ist zwischen dem Fall, daß der Betroffene die Vollstreckung eines bereits erlassenen
Verwaltungsaktes verhindern will (a), und dem Fall, daß der Betroffene verhindern will, daß
in der Zukunft eine Zwangsmaßnahme ohne einen vorhergehenden Grundverwaltungsakt
durchgeführt oder ein Verwaltungsakt erlassen wird (b).
a) Vorläufiger Rechtsschutz gegen die Vollstreckung eines Verwaltungsaktes
(1) Grundprinzip
Ein Verwaltungsakt ist unabhängig von der Rechtmäßigkeit in der Regel wirksam und könnte
insofern auch vollstreckt werden. Legt der Adressat des belastenden Verwaltungsakts aber
gegen den Verwaltungsakt Widerspruch und/oder Klage ein, wird die Vollstreckbarkeit des
Verwaltungsaktes suspendiert; Widerspruch und Klage haben daher sog. aufschiebende
Wirkung (§ 80 Abs. 1 S. 1 VwGO). Solange gegen einen Verwaltungsakt ein Widerspruch
oder eine Klage anhängig ist, darf der Verwaltungsakt also nicht vollstreckt werden. In
diesem Fall ist ein vorläufiger Rechtsschutz nicht erforderlich. Legt der Eigentümer eines
Haus, gegen den die Behörde eine Abrißverfügung erlassen hat, Widerspruch ein, darf die
Verfügung nicht vollstreckt werden. Eine Zwangsmaßnahme ist dann unzulässig, so daß ein
vorläufiger Rechtsschutz nicht erforderlich ist.
Ausnahmsweise kann aber der Verwaltungsakt auch bei einem Widerspruch und einer Klage
sofort vollstreckbar sein. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verwaltungsakt von einem
Polizeibeamten erlassen worden ist (§ 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder wenn die Behörde aus
Gründen des öffentlichen Interesses die sofortige Vollstreckbarkeit angeordnet hat (§ 80 Abs.
11
Würtenberger § 27 Rn. 492.
12
Würtenberger § 27 Rn. 493.
16
2 Nr. 4 VwGO). Die Behörde kann z.B. bei einer Abrißverfügung anordnen, daß das Gebäude
sofort abzureißen ist, weil es eine unmittelbare Gefahr für die öffentlichen Sicherung und
Ordnung sei. Da das Hauptsacheverfahren mehrere Monate dauern kann, könnte dann der
Verwaltungsakt vollstreckt werden, bevor das Gericht über die Rechtswidrigkeit des
Verwaltungsaktes
entschieden
hat.
Um
das
zu
verhindern,
sieht
die
Verwaltungsgerichtsordnung ein besonderes Verfahren zum vorläufigen Rechtsschutz vor.
(2) Zuständiges Gericht
Zuständig für dieses Verfahren ist ebenfalls das Verwaltungsgericht, und zwar das Gericht,
das auch in der Hauptsache zuständig ist § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
(3) Zulässigkeit
Der Adressat des belastenden Verwaltungsaktes hat hier nach § 80 Abs. 5 VwGO einen
Antrag an das Gericht zu stellen, daß die aufschiebende Wirkung entweder angeordnet (im
Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder, wenn die Behörde die sofortige Vollziehbarkeit
angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), wiederhergestellt wird.
Antragsbefugt ist hier, wer behauptet, durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt in seinen
Rechten verletzt zu werden. Antragsbefugt ist daher stets der Adressat eines belastenden
Verwaltungsaktes.
(4) Prüfungsumfang
Das Gericht prüft, ob das Interesse des Adressanten des Verwaltungsaktes an dessen
Aussetzung größer ist als das Vollziehungsinteresse. Das ist in der Regel bereits dann der Fall,
wenn nach summarischer Prüfung der Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Für eine summarische
Prüfung verzichtet das Gericht in der Regel auf eine genaue Feststellung des Sachverhalts und
auf eine Beweiserhebung. Wenn nach summarischer Prüfung das Gericht zu dem Ergebnis
kommt, daß die Abrißverfügung rechtswidrig ist, stellt es die aufschiebende Wirkung wieder
her. 13
Sofern die aufschiebende Wirkung durch eine Anordnung der Behörde entfällt (§ 80 Abs. 2
Nr. 4 VwGO), stellt das Gericht auch dann die aufschiebende Wirkung wieder her, wenn der
Verwaltungsakt zwar nach summarischer Prüfung rechtsmäßig erscheint, aber ein besonderes
Interesse an der sofortigen Vollstreckung fehlt. Das ist bei einer Abrißverfügung
beispielsweise der Fall, wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, daß die Abrißverfügung
zwar wahrscheinlich rechtmäßig ist, weil das Haus ohne Genehmigung errichtet worden ist,
aber keine Gefahr für die öffentliche Sicherung und Ordnung besteht. 14
13
Würtenberger § 28 Rn. 532.
14
Würtenberger § 28 Rn. 532.
17
Wenn die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren offen sind, kommt es zur
Interessenabwägung. Der Rechtsschutz ist dabei desto gewichtiger, je schwerwiegender die
dem Betroffenen auferlegte Belastung ist und je offensichtlicher die sofortige Vollziehung der
Verfügung zu einem schweren und irreparablen Schaden führen kann. 15 Insbesondere wenn
sich die Folgen als schwer und irreparabel erweisen, rechtfertigt nur ein ganz erhebliches
öffentliches Vollzugsinteresse die Anordnung der sofortigen Vollziehung. 16 Dabei ist der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
(5) Inhalt der Entscheidung
Wenn das Gericht zu der Ansicht kommt, daß das Aussetzungsinteresse gegenüber dem
Vollziehungsinteresse überwiegt, stellt das Gericht die aufschiebende Wirkung wieder her.
Der Verwaltungsakt darf dann nicht vollstreckt werden.
Das Gericht kann innerhalb weniger Stunden über einen Antrag auf Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung entscheiden.
(6) Rechtsmittel
Gegen die Entscheidung des Gerichtes ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht
zulässig.
b) Vorläufiger Rechtsschutz gegen die Durchführung einer belastenden Maßnahmen oder
den Erlaß eines Verwaltungsaktes
Wenn die Gefahr besteht, daß die Durchführung einer Zwangsmaßnahme oder der Erlaß eines
Verwaltungsaktes die Verwirklichung eines Rechts vereitelt, kommt ein Antrag auf eine
einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO (oder § 80 Abs. V Satz 3 VwGO) 17 in Betracht.
Wenn zum Beispiel die Gefahr besteht, daß eine Behörde ein Haus abreißen läßt, kann der
Eigentümer des Hauses bei Gericht die Untersagung dieser Zwangsmaßnahme beantragen.
(1) Zulässigkeit
Die Klage ist nicht statthaft, wenn durch Anordnung oder Widerherstellung der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ein einstweiliger Rechtsschutz erlangt werden
kann. Das scheidet aber aus, wenn noch gar kein Verwaltungsakt erlassen worden ist oder die
Behörde im Begriff ist, eine Vollstreckungsmaßnahme durchzuführen, obwohl der
15
Würtenberger Rn. 533.
16
Finkelnburg/Jank Rn. 581.
17
Für den Fall, daß die Behörde die aufschiebende Wirkung nicht berücksichtigt, ist streitig, ob das Gericht
einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO oder nach § 123 VwGO bewährt. App/Wettlaufer §
41 Rn. 13; Lemke § 18 III.
18
zugrundeliegende Verwaltungsakt wegen des Widerspruch oder der Klage nicht vollstreckbar
ist.
Antragsbefugt ist auch hier nur, wer geltend macht, selbst in einem Recht verletzt zu sein.
Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht nur dann, die gerichtliche Anordnung erforderlich ist, um
eine Recht des Betroffenen zu sichern. Das ist nur dann der Fall, wenn ein nachträglicher
Rechtsschutz nicht ausreicht. Deshalb ist in der Regel die einstweilige Anordnung gegen den
Erlaß eines Verwaltungsaktes unzulässig, da bei Widerspruch und Klage der Verwaltungsakt
nicht vollstreckt werden kann. Droht hingegen die Vollstreckung ohne vollstreckbaren
Verwaltungsakt ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zulässig. 18
(2) Prüfungsumfang
Das Gericht prüft zwei Gesichtspunkte: (1) Der Antragssteller muß ein Anordnungsanspruch
zusteht. Das ist der Fall, wenn die entsprechende Unterlassungsklage nach summarischer
Prüfung offensichtlich zulässig und begründet ist. (2) Außerdem muß ein Anordnungsgrund
gegeben sein. Das ist der Fall, wenn die Sache eilbedürftig ist, wenn also ohne die
gerichtliche Untersagung der Zwangsmaßnahme vollendete Tatsachen geschaffen werden
würden.
(3) Inhalt der Entscheidung
Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird das Verwaltungsgericht die Zwangsmaßnahme
oder den Erlaß eines Verwaltungsakts untersagen.
II. Gerichtlicher Rechtsschutz zum Schutz des Anspruchs auf Durchführung von
Zwangsmaßnahmen
Steht einem Dritten gegen eine Behörde ein Anspruch darauf zu, daß die Behörde einen
Verwaltungsakt gegen eine andere Person erläßt und vollstreckt, kann der Dritte ebenfalls
gerichtlichen Schutz beantragen. Das kommt zum Bespiel in Betracht, wenn der Dritte
behauptet, auf dem Nachbargrundstück zu seinem Haus sei ein Haus illegal errichtet worden,
und dieser Dritte nunmehr bei der Behörde beantragt, daß die Behörde gegen den Nachbarn
eine Abrißverfügung erläßt. Auch hier besteht neben dem Widerspruch (1.) und dem
Hauptsacheverfahren (2.) die Möglichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes (3.).
18
Würtenberger § 28 Rn. 544.
19
1.) Widerspruch
Wenn der Antrag eines Dritter gegen einen Behörde auf den Erlaß eines belastenden
Verwaltungsakt gegen einen anderen, abgelehnt wird, kann der Dritte gemäß § 68 Abs. 2
VwGO gegen die Ablehnung Widerspruch einlegen.
2.) Klage im Hauptsacheverfahren
Wenn auch die Widerspruchsbehörde seinem Antrag nicht stattgegeben hat, kann der Dritte
Verpflichtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erheben.
a) Zulässigkeit
Dem Dritten steht eine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO zu, wenn nicht ausgeschlossen
ist, daß die Ablehnung des belasteten Verwaltungsaktes rechtswidrig war und der Dritte
dadurch in seinen Rechten verletzt worden ist. Das setzt voraus, daß das Gesetz, das die
Behörde zum Handeln gegen eine Person ermächtigt, einem Dritten ein subjektives Recht
gewährt. Das ist dann der Fall, wenn dieses Gesetz den Dritten schützen soll. Deshalb kommt
es darauf an, ob ein Gesetz drittschützend ist. Dafür ist bei jedem Gesetz gesondert der
Schutzzweck der Norm zu prüfen. Die polizeiliche Generalklausel, die die Polizei dazu
ermächtigt, zur Gefahrenabwehr gegen eine Person Maßnahmen zu ergreifen, schützt
beispielsweise auch die Interessen eines Drittens, für den die Gefahr besteht.19 Im Baurecht
kommt es darauf an, ob die baurechtliche Bestimmung, den Dritten schützen soll. Das ist zum
Beispiel beim Abstandgebot bei der Bebauung der Fall. Hat der Nachbar unter Verstoß gegen
das Baurecht sein Gebäude zu dicht am Grundstück des Dritten errichtet, hat der Nachbar
damit eine Bestimmung des Baurechtes verletzt, die den Dritten schützen soll. Dem Dritten
steht dann ein Anspruch auf Einschreiten der Behörden zu. 20
Vor
Erhebung
der
Verpflichtungsklage
ist
gemäß
§
68
Abs.
2
VwGO
ein
Widerspruchsverfahren erfolglos durchzuführen.
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 2 VwGO in der Regel einen Monat.
b) Prüfungsumfang
Das Gericht prüft, ob eine belastende Maßnahme gegen eine Person zulässig ist und dem
Dritten ein Anspruch zusteht, daß die Behörde diese Maßnahme ergreift. Ein Anspruch auf
Erlaß einer Maßnahme besteht zum Beispiel dann nicht, wenn die Behörde Ermessen hat. In
diesem Fall hat der Dritte gegen die Behörde nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung. Das Gericht übt aber nicht selbst Ermessen aus.
19
Gusy § 3 Rn. 90 ff.
20
Maurer § 8 Rn. 8 ff.
20
c) Inhalt der Entscheidung
Das Verwaltungsgericht verurteilt die Behörde zum Erlaß eines belastenden Verwaltungsaktes
gegen eine andere Person, wenn der Dritte einen Anspruch auf den Erlaß des
Verwaltungsaktes hat. Das ist der Fall, wenn der Nichterlaß gegen ein Gesetz verstößt, das
den Dritten schützen soll.
3.) Vorläufiger Rechtsschutz auf Durchführung einer Zwangsmaßnahme
Begehrt ein Dritter, daß die Behörde unverzüglich gegen eine andere Person einschreitet, ist
zwischen zwei Fällen zu unterscheiden: Wenn die Behörde noch keinen Verwaltungsakt
erlassen hat, kommt ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO
in Frage (a). Hat die Behörde bereits einen Verwaltungsakt gegen erlassen, gegen der
Betroffene Widerspruch eingelegt hat, kommt ein Antrag des Dritten nach § 80 a VwGO auf
Anordnung der sofortigen Vollstreckung in Betracht (b).
a) Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO
(1) Zulässigkeit
Eine Antragsbefugnis besteht, wenn der Antragsteller die Möglichkeit darlegt, daß er einen
Anspruch auf Durchführung einer Maßnahme gegen die Behörde hat. Das ist der Fall, wenn
die Ermächtigungsgrundlage für die Zwangsmaßnahme auch den Dritten schützen soll.
(2) Prüfungsumfang
Das Gericht prüft, ob der Antragsteller, d.h. der Dritte, glaubhaft macht, daß ihm ein
subjektives Recht gegenüber der Behörde zusteht und die Sache eilbedürftig ist. Der
Antragsteller muß deshalb glaubhaft machen, daß ohne die Anordnung die Gefahr einer
Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung einer Rechtsverwirklichung besteht oder die
Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich ist.
b) Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollstreckung nach § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5
VwGO
Hat die Behörde gegen eine Person einen belastenden Verwaltungsakt erlassen, der einen
Dritten begünstigt und hat die betroffene Person gegen den Verwaltungsakt Widerspruch
eingelegt, so kann der Verwaltungsakt gemäß § 80 Abs. 1 VwGO nicht vollstreckt werden.
Der Dritte kann aber gemäß § 80 a Abs. 2 VwGO beantragen, daß die Behörde den
Verwaltungsakt für sofort vollstreckbar erklärt. Kommt die Behörde diesem Antrag nicht
nach, kann der Dritte nach § 80 a Abs. 3 VwGO vor dem Verwaltungsgericht beantragen, die
sofortige Vollstreckung anzuordnen. Dieser Antrag ist nur zulässig, wenn der Dritte einen
Anspruch auf Erlaß des belastenden Verwaltungsaktes hat.
21
Auf dieses Rechtsmittel ist der Dritte beispielsweise in folgendem Fall angewiesen: Eine
Person errichtet ohne Genehmigung ein Gebäude, das gegen drittschützende Vorschriften des
Baurechts verstößt. Die Behörde erläßt deshalb eine Abrißverfügung. Gegen diese Verfügung
legt der Betroffene Widerspruch ein. Der Nachbar verlangt als Dritter, daß die
Abrißverfügung dennoch sofort vollstreckt wird, weil durch den Bau seine Rechte irreparabel
beeinträchtigt werden. Wenn die Behörde nicht die vorläufige Vollstreckbarkeit erklärt, kann
der Dritte einen entsprechenden Antrag vom dem Verwaltungsgericht stellen. 21
III. Nachträgliche Klage auf Feststellung der Unrechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahmen
oder der Unrechtmäßigkeit des Unterlassens
Wenn sich der belastende Verwaltungsakt erledigt hat, weil der Pflichtige den Verwaltungsakt
erfüllt hat oder weil die Behörde den Verwaltungsakt vollstreckt hat, besteht kein
Rechtsschutzbedürfnis auf Aufhebung des Verwaltungsaktes. In diesem Falle kann der
Adressat des Verwaltungsaktes dennoch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gemäß §
43 VwGO feststellen lassen.
1.) Zulässigkeit
Voraussetzung für die Zulässigkeit der Feststellungsklage ist ein Feststellungsinteresse des
Klägers. Das Feststellungsinteresse besteht, wenn eine Wiederholungsgefahr gegeben ist 22
oder das erledigte Verwaltungshandeln diskriminierend gewirkt hat und deshalb ein
Rehabilitationsinteresse besteht. 23 Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Polizei eine Person
zu Unrecht des Platzes verwiesen hat und diesen Platzverweis zu Unrecht mit Gewalt
vollstreckt hat.
Wenn die Klage bereits vor der Durchführung der Zwangsmaßnahme eingereicht worden ist,
besteht auch dann ein Feststellungsinteresse, wenn später ein Schadenersatzanspruch geltend
gemacht werden soll, für den die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts Voraussetzung ist. Ist
hingegen die Zwangsmaßnahme bereits vor Klageerhebung durchgeführt worden, ist aus
Gründen der Prozeßökonomie sofort ein Anspruch auf Schadenersatz geltend zu machen. 24
2.) Prüfungsumfang
Das Gericht prüft die Rechtmäßigkeit der Maßnahme.
21
Würtenberger § 20 Rn. 512 c.
22
Würtenberger § 37 Rn. 653.
23
Würtenberger § 37 Rn. 654.
24
Würtenberger § 37 Rn. 656.
22
3.) Inhalt der Entscheidung
Wenn das Gericht zur Ansicht kommt, daß die Maßnahme rechtswidrig war, stellt sie die
Rechtswidrigkeit fest. Eine Aufhebung ist nicht notwendig, weil der Verwaltungsakt sich
erledigt hat und deshalb nicht mehr vollstreckt werden kann.
IV. Ersatzansprüche
Sofern eine rechtswidrige Zwangsmaßnahme durchgeführt worden ist, stehen dem Pflichtigen
folgende Ersatzansprüche zu.
1.) Folgenbeseitigungsanspruch
Wenn durch eine hoheitliche Zwangsmaßnahme in ein subjektives Recht, z.B. das
Eigentumsrecht, eingegriffen wurde und dadurch ein rechtswidriger Zustand geschaffen
wurde, der noch andauert, besteht ein Anspruch auf Wiederherstellung des ursprünglichen
Zustandes. Dieser Anspruch kann aus den Grundrechten abgeleitet werden. 25 Hat die Behörde
zum Beispiel zu Unrecht eine Sache beschlagnahmt, muß sie die Sache zurückgeben.
Der Folgenbeseitigungsanspruch scheidet allerdings aus, wenn die Wiederherstellung des
früheren Zustandes tatsächlich nicht mehr möglich, rechtlich nicht zulässig oder für die
Verwaltung nicht zumutbar ist. An der Zumutbarkeit fehlt es, wenn die Wiederherstellung
einen unverhältnismäßig großen Aufwand erfordern würde. 26
2.) Ausgleichsanspruch
Sofern der Grundverwaltungsakt und/oder die Zwangsmaßnahme einer Behörde rechtswidrig
waren, die Folgen nicht mehr rückgängig gemacht werden können und der Betroffene dadurch
in seinen Recht verletzt wird, steht dem Betroffenen ein Anspruch auf einen angemessenen
Ausgleich zu. Dieser Anspruch ist zum Teil in den Gesetzen zum Polizei- und Ordnungsrecht
geregelt (vgl. für Berlin: § 59 Abs. 2 ASOG). Sofern eine gesetzliche Regelung fehlt, besteht
der Anspruch gewohnheitsrechtlich. 27
Der Anspruch setzt kein Verschulden eines Beamten voraus, gewährt aber andererseits keinen
vollen Schadenersatz. So ist insbesondere der entgangene Gewinn nicht zu ersetzen. Grund
für diese Beschränkung des Ersatzes ist der Gedanke, daß voller Schadenersatz grundsätzlich
nur gewährt wird, wenn der Schaden auf ein schuldhaftes Verhalten zurückgeführt werden
kann; nur der schuldhaft Handelnde ist für den aus seiner Handlung entstehenden Schaden
25
Maurer § 30 Rn. 5.
26
Maurer § 30 Rn. 14.
27
Maurer § 27 Rn. 87 ff.; 106
23
verantwortlich. Hat eine Behörde zwar rechtswidrig, aber nicht schuldhaft gehandelt, trägt sie
keine Verantwortung. Deshalb besteht auch kein Schadenersatzanspruch. Andererseits hat
derjenige, der von einer rechtswidrigen Maßnahme betroffen ist, gegenüber anderen Personen,
gegen die keine rechtswidrige Maßnahme ergangen ist, ein sog. Sonderopfer erbracht.
Deshalb ist es gerechtfertigt, daß die Behörde dem Betroffenen einen Ausgleich gewährt.
3.) Schadenersatzanspruch
Sofern jemand, der ein öffentliches Amt ausübt („Amtswalter“), beim Erlaß des
Grundverwaltungsakts oder bei der Durchführung der Zwangsmaßnahme schuldhaft eine
Amtspflicht verletzt, besteht ein Anspruch auf Schadenersatz. Dieser Anspruch ist zunächst
ein zivilrechtlicher Anspruch des Betroffenen gegen den schuldhaft handelnden Amtswalter.
Nach Art. 34 GG wird aber diese Schadenersatzpflicht des Amtswalters vom Staat
übernommen.
Voraussetzung ist, daß der Amtswalter eine Amtspflicht verletzt hat, die den geschädigten
Anspruchsspruchsteller schützen sollte. Der Erlaß eines rechtswidrigen, belastenden
Verwaltungsaktes oder dessen Vollstreckung stellen stets die Verletzung einer Amtspflicht
dar, nämlich die Verletzung der Pflicht, den Betroffenen nicht durch rechtswidrige
Maßnahmen in seinen Freiheitsrechten zu beschränken. Läßt eine Behörde beispielsweise im
Wege der Ersatzvornahme rechtswidrig ein Haus abreißen, so hat der Amtswalter eine
Amtspflicht gegenüber dem Eigentümer verletzt, dessen Eigentumsrecht zu schützen. Wenn
die Behörde es ablehnt, einen belastenden Verwaltungsakt zu erlassen, besteht nur dann ein
Schadenersatzanspruch des Dritten, wenn der Dritte durch die Ablehnung in seinen Rechten
verletzt ist. Unterläßt es eine Behörde zum Beispiel gegen den Eigentümer eine
Abrißverfügung zu verhängen und entsteht einem Dritten dadurch ein Schaden, kann der
Dritte nur dann Schadenersatz verlangen, wenn er einen Anspruch auf Erlaß der
Abrißverfügung hat. Das ist nur dann der Fall, wenn das Gesetz, das zum Erlaß der
Abrißverfügung ermächtigt, gerade den Dritten schützen soll.
Die Amtspflichtverletzung, d.h. der Erlaß eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und/oder
dessen Vollstreckung, muß schuldhaft erfolgt sein. Der Amtswalter muß also vorsätzlich oder
fahrlässig gehandelt haben.
Im Falle einer schuldhaften Amtspflichtverletzung kann der Geschädigte nicht nur einen
Ausgleich, sondern vollständigen Ersatz des Schadens in Geld verlangen. Es ist also auch der
entgangene Gewinn zu ersetzen. 28
28
Maurer § 26 Rn. 44.
24
V. Verfassungsbeschwerde
Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG kann jedermann, mit der Behauptung, durch die öffentliche
Gewalt in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum
Bundesverfassungsgericht
erheben.
Bundesverfassungsgerichtsgesetz
Voraussetzung
(BVerfGG),
ist
daß
gemäß
vor
§
90
Abs.
Einlegung
2
einer
Verfassungsbeschwerde der Rechtsweg ausgeschöpft ist. Der Kläger muß also zunächst vor
dem Verwaltungsgericht bis zur letzten Instanz gegen die Zwangsmaßnahmen erfolglos
vorgegangen sein.
Das Gericht prüft dann, ob eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt gegen ein Grundrecht des
Beschwerdeführers verstößt. Als Maßnahme der öffentlichen Gewalt kommt das
Gerichtsurteil in Betracht, das die Zwangsmaßnahme oder den zugrundeliegende
Verwaltungsakt bestätigt hat.
Das Verfassungsgericht prüft, ob die gerichtliche Entscheidung unter Verkennung von
Grundrechten zustande gekommen ist. Das ist der Fall, wenn das Verwaltungsgericht die
Grundrechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes oder der Maßnahme verkannt hat. Insbesondere
prüft
das
Verfassungsgericht,
ob
bei
der
Prüfung
der
Verhältnismäßigkeit
der
Zwangsmaßnahme Grundrechte verkannt worden sind.
Das Verfassungsgericht prüft ebenfalls, ob die gerichtliche Entscheidung Gesetze angewandt
hat, die verfassungswidrig sind. Die Verfassungswidrigkeit kann sich daraus ergeben, daß das
Gesetz nicht richtig erlassen worden ist. Das ist der Fall, wenn der falsche Gesetzgeber das
Gesetz erlassen hat. Ein Gesetz ist zum Beispiel verfassungswidrig, wenn der Bund es
erlassen hat, obwohl die Länder zuständig sind. Ebenso überprüft das Verfassungsgericht, ob
die Voraussetzungen für das Gesetzgebungsverfahren eingehalten worden sind.
Kommt das Verfassungsgericht zur Ansicht, daß die Gerichtsentscheidung, die eine
Zwangsmaßnahme für rechtmäßig erachtet hat, verfassungswidrig ist, hebt es dieses Urteil auf.
Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht bei Eilbedürftigkeit einen Streitfall
im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes auch durch eine einstweilige Anordnung regeln.
Literaturverzeichnis:
App, Michael; Welllaufer, Arno: Verwaltungsvollstreckungsrecht, 4. Auflage, München 2005.
25
Finkelnburg, Klaus/Jank, Klaus Peter: Vorläufiger Rechtsschutz im
Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage 2008.
Gusy, Christoph: Polizei- und Ordnungsrecht, 7. Auflage 2009.
Lemke, Hanno-Dirk: Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes und der Länder, BadenBaden 1997.
Maurer: Hartmut: Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage, München 2006.
Würtenberger, Thomas: Verwaltungsprozeßrecht, 2. Auflage München 2006.
Wolff, Hans J./Bachof, Otto/Stober, Rolf/Kluth, Winfried: Verwaltungsrecht I, 12. Auflage
2007.