Kleiner Mann was nun - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag

Transcription

Kleiner Mann was nun - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag
Helmut Bez
Kleiner Mann was nun
Theaterstück nach dem Roman von Hans Fallada
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
1
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2007
Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte,
vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder
Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien.
Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt.
Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und
strafrechtliche Folgen nach sich.
Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von:
henschel SCHAUSPIEL
Marienburger Straße 28
10405 Berlin
Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar
unverzüglich an den Verlag zurückzusenden.
F1
2
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
PERSONEN
Jachmann
Dr. Sesam
Pinneberg
Emma Mörschel, genannt Lämmchen
Herr Mörschel
Frau Mörschel
Karl Mörschel
Kleinholz
Schulz
Lauterbach
Marie Kleinholz
Mia Pinneberg
Lehmann
Keßler
Wendt
Otto, ein Herr
Else, eine Dame
Eine zweite Dame
Heilbutt
Jänecke
Puttbreese
Fräulein Coutureau
Frau Nothnagel
Franz Schlüter
Photograph
Schutzmann
Spannfuß
Kröpelin
Drei Arbeitslose/Zeitungsverkäufer/Lehrjunge/SA-Leute
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
3
1
Jachmann
Jachmann
Mein Name ist Jachmann. Wie Sie mich so vor sich sehen, so in
Schale comme il faut und dernier cri, so hat es mich heute früh um
sechs noch gar nicht gegeben. Ich habe einen Onkel, der pflegte zu
sagen: Setzt mich nackt aus auf dem Marktplatz von *** oder ***
oder im finstersten Wald, am nächsten Morgen seht ihr mich in
Schale bei Kempinski frühstücken. Die Sache ist ganz einfach. Man
muß nur die Wege kennen, die zum Ziel führen und darf sich nicht
scheuen, sie zu gehen. Oder zu BESCHREITEN. Diese Formulierung
für die, die gern etwas höher hinauswollen. Bildungsmäßig. Für die,
die was auf sich halten. Oder von sich. Der Rede Sinn: Das Leben
stellt einen vor gewisse Tatsachen, und denen muß man sich stellen,
SO ODER SO. Gewisse Tatsachen, sagte ich. Ich denke da an einen
gewissen Johannes Pinneberg. Pinneberg, jawohl, Sie haben richtig
gehört. Gewisse Tatsachen auf der einen Seite – Johannes Pinneberg
auf der anderen. Leute, die Sache ist es wert, daß wir darüber reden.
2
Die Arztpraxis von Dr. Sesam
Vor dem Schreibtisch auf den Besucherstühlen sitzen Pinneberg und Emma Mörschel.
Dr. Sesam hinter seinem Schreibtisch.
Sesam
Ja, mein lieber Herr …
Pinneberg
Pinneberg, Johannes Pinneberg.
Sesam
Meine gründliche Untersuchung hat ergeben, daß Ihre entzückende
kleine Frau schwanger ist.
(Pinneberg und Emma Mörschel sehen sich an.)
Pinneberg
Wir hatten uns etwas in der Art gedacht, Herr Doktor.
Sesam
Das sollte eine freudige Kunde für Sie sein. Und sie ist es ja wohl
auch, oder? Sie sind was von Beruf, Herr Pinneberg?
Pinneberg
Buchhalter, Herr Doktor. Bei der Firma Emil Kleinholz Getreide und
Futtermittel.
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
5
Sesam
Buchhalter. Da haben Sie …?
Pinneberg
Einhundertachtzig im Monat.
Sesam
Einhundertachtzig.
(Er versinkt in ein tiefes Nachdenken.)
Lämmchen
Herr Doktor, ich will das Kind.
Pinneberg
Vielleicht legt mir Herr Kleinholz ein bißchen zu. Ich bin bei Kleinholz angestellt, im Büro.
Sesam
Ja, vielleicht hilft Herr Kleinholz. Ich lobe euern Entschluß, er ist
aller Achtung wert. Ich würde Sie um fünfzehn Mark bitten für
meine Bemühungen, es tut mir leid, umsonst kann ich es nicht
machen, aus Prinzip nicht …
Pinneberg
Aber ich bitte Sie, Herr Doktor …
Sesam
… aber es ist ein Freundschaftspreis.
(Sie gehen ab.)
3
Dr. Sesam
Sesam
6
Ich hätte den beiden weiß Gott geholfen, schweren Herzens zwar,
aber ich hätte ihnen den Gang zur Engelmacherin erspart. Für einen
Freundschaftspreis hätte ich sie von ihren Sorgen befreit. Ich gelte
im Städtchen für wohlhabend, weil ich etliche vornehme Damen
als Patientinnen habe, die Gattinnen reicher Unternehmer und Geschäftsleute, die das Glück eines Frauenarztes machen sollten. Was
diesen Damen fehlt, ist nicht unbedingt erheblich, es macht mir
im Grunde wenig Kopfzerbrechen, denn es sind zumeist gut ausgebildete und lustvoll ausgetragene Hypochondrien. Doch die weniger
Begüterten, die zu mir kommen, machen mir zuweilen Sorgen; sie
kommen, weil sie wirklich krank sind oder eines Arztes bedürfen aus
anderen Gründen, aus Gründen, für die ein Frauenarzt die richtige
Adresse ist, wie eben gesehen. Wir schreiben das Jahr 1931, die wirtschaftliche Lage ist alles andere als rosig, und der Leidtragende ist,
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
wie könnte es anders sein, vor allen anderen der KLEINE MANN, und
der KLEINE MANN dauert mich gar zu sehr. Ich sage: dem Kleinen
Manne muß geholfen werden, aber die einzige Art, in welcher ich
ihm helfen kann, ist zu einem Freundschaftspreis seinen Kindersegen
zu mindern. Aber sie haben sich wohl geniert, mich, den braven
Dr. Sesam, mit dieser Sache zu behelligen …
(Er geht kummervoll ab.)
4
Pinneberg und Emma Mörschel
Pinneberg
(Etwas unglücklich.) Lämmchen, wir kriegen ein Kind. Und wir haben
doch so aufgepaßt.
Lämmchen
Junge, es ist wunderbar.
Pinneberg
Wirklich? Du freust dich?
Lämmchen
Ich bin glücklich.
Pinneberg
Was machen wir nun?
Lämmchen
Wir fahren zu meinen Eltern nach Platz. Ich muß sie doch von
dem freudigen Ereignis unterrichten. Und ich muß ihnen den Vater
meines Kindes vorstellen.
Pinneberg
Ja. Gut. Das machen wir. Aber dann heiraten wir sofort, damit du
nicht mehr Emma Mörschel bist, sondern Lämmchen Pinneberg, vor
Gott und der Welt.
Lämmchen
Du willst mich wirklich heiraten?
Pinneberg
Das ist nun eine Ehrensache für mich geworden.
(Sie gehen ab.)
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
7
5
Jachmann
Jachmann
DAS IST NUN EINE EHRENSACHE FÜR MICH GEWORDEN. Was für ein
Wort. EHRENSACHE. Zum Weinen schön. Er heiratet sie, weil sie ein
Kind von ihm kriegt. Er wird sagen, daß er sie heiratet, weil er sie
liebt. Das darf man ihm glauben. Aber wer hat sich nicht alles durch
solch eine Sache schon die besten Gelegenheiten verdorben! Hätte
er nicht auf eine gute Partie warten sollen? Leute, ich sage euch:
das läuft nicht rund. Und warum läuft es nicht rund? Ganz einfach
WEIL ER SICH GENIERT! Die Pinnebergs sind aber beide nicht recht
von dieser Welt. Aber MAN MUSS VON DIESER WELT SEIN, WENN MAN
IN DIESER WELT ÜBERLEBEN WILL! ABER was wäre die Welt ohne die
Pinnebergs? Die Frage laß ich mal im Raume stehn, wie es so schön
heißt.
6
Die Wohnküche der Familie Mörschel
Vater Mörschel sitzt am Tisch und ißt Kartoffelpuffer, welche Frau Mörschel am Herd stehend herstellt.
Karl Mörschel steht mit nackten Oberkörper am Spülstein und wäscht sich.
Frau Mörschel
Wenn man Puffer brät, stinkt es nun mal. Aber nicht daß Sie etwa
denken, Herr Pinneberg, bei uns riecht es sonst nicht. Bei uns riecht
es immer nach Proletariat. Nach ehrlichem Arbeiterschweiß.
Lämmchen
Aber Mutter …
Frau Mörschel
Karl, wie viele willst du noch?
Karl
Ich bin satt. Hab auch keine Zeit mehr. Ich muß zur Versammlung.
Frau Mörschel
Er ist bei den Kommunisten, Herr Pinneberg. Wenn Sie das vielleicht
stört, Herr Pinneberg?
Pinneberg
Aber ich bitte Sie, Frau Mörschel!
Karl
(Singt.) Völker hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht!
Lämmchen
Mein Bruder ist sehr penibel, was die Körperpflege angeht. Er geht
zu keiner Verabredung, zu keiner Versammlung, ohne sich vorher …
8
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
Ich meine, falls du daran Anstoß nimmst, daß er sich hier in der
Küche, während wir essen …
Pinneberg
Ich bin ja fertig.
Frau Mörschel
Sie haben ja gerade man einen mit Müh und Not.
Pinneberg
Ich bin kein starker Esser.
Karl
Das kannst du dir gar nicht leisten.
Pinneberg
Wie bitte?
Lämmchen
Karl, du bist ungezogen. Frech bist du. Richtig eklig.
Pinneberg
Laß doch, Lämmchen.
Karl
Wie nennt er dich? Lämmchen? Ich lach mir’n Ast.
Lämmchen
Wirklich richtig eklig.
Pinneberg
Herr Mörschel junior, ich bin Angestellter der Firma Kleinholz in
Ducherow und habe 180 pro Monat auf der Hand.
Karl
Keine Abzüge?
Pinneberg
Die gehen natürlich noch weg.
Karl
Bezahlte Überstunden?
Pinneberg
Überstunden ja, Bezahlung nein. Herr Kleinholz sagt aber …
Karl
Was der Unternehmer sagt, schert unsereinen einen Scheißdreck,
Herr Pinselberg.
Pinneberg
Pinneberg. Johannes Pinneberg.
Lämmchen
Karl, das sind alles Sachen, die vergeß ich dir nie. (Zu Pinneberg.)
Dabei meint ers gar nicht so, er ist eine Seele von Mensch.
Karl
Den sogenannten Unternehmer, den Ausbeuter, Herr Pinneberg, den
fegen wir eines Tages von der Bühne des Weltgeschehens, daß die
Fetzen fliegen.
Pinneberg
Wie wollen Sie das denn machen, Herr Mörschel, Herr Karl, wie soll
denn das …
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
9