Neue Qualifikationsanforderungen in der Hauswirtschaft
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Neue Qualifikationsanforderungen in der Hauswirtschaft
Wandel der Dienstleistungen – Neue Qualifikationsanforderungen in der Hauswirtschaft Fachtag IBB 2010, Bremen Fachschule Hauswirtschaft in dualer Form Freitag, 28.03.2008 Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Gliederung 1. System personenbezogener Dienstleistungsberufe 2. Beschäftigungsstrukturen in personenbezogenen Dienstleistungsberufen 3. Modernisierungsrisiken und Modernisierungschancen 4. Leitbildwandel in der Hauswirtschaft 5. Aus- und Weiterbildung in der Hauswirtschaft 6. Kompetenz- und Qualitätsanforderungen 7. Ordnungsrechtliche Innovationen Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 2 Spannungsverhältnis personenbezogene Dienstleistungsberufe Strukturprobleme Arbeitsmarkt Beschäftigung • Wachstumsbranche personenbezogene Dienstleistungsberufe • Ökonomischer Bedeutungszuwachs Nachfrage an Berufsfachlichkeit Kompetenzentwicklung Berufliche Handlungskompetenz • Methoden- und Fachkompetenz • Sozialkompetenz als „Dienstleistung am Menschen“ gestalten • Individual- und Selbstkompetenz • Prekarisierung • Niedriglohnsektor Missmatch Ordnungsrecht/Curriculum • Vereinheitlichung der Ausbildungsordnungen • Standardisierung personenbezogener Tätigkeiten • Durchlässigkeit duale/vollzeitschulische Ausbildung • Curriculare Schnittstellen herstellen Ausbildungssituation • Fehlende Standardisierung • Semi-Professionalität Hohe Arbeitslosigkeit Lehramtsausbildung • Akademisierung und Positionierung als Berufswissenschaft • Interdisziplinarität und Fachwissen • Übergang Schule-Beruf gestalten • Kooperation und Vernetzung • Wissenstransfer und TheoriePraxis-Bezug Modernisierungspotenziale Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 3 Wachstum und Beschäftigungsstrukturen Bedeutungswachstum • Wachsende Nachfrage nach bezahlter, haushaltsnaher Dienstleistung • Veränderte Qualifikationsanforderungen und neue Beschäftigungsstrukturen • Demografischer Wandel und steigender Anteil älterer Menschen • Versorgungslücke im Haushalt und Vermarktlichung haushaltsnaher Dienstleistungen • Steigende Erwerbsarbeit von Frauen, insbesondere Frauen mit Kindern • Umstrukturierung im Gesundheits- und Sozialwesen Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 4 Quantitative Beschäftigungsentwicklung Ökonomischer Bedeutungszuwachs • USA: Von 3,8 Mio. neuen Arbeitsplätzen entfallen 2,3 Mio. auf Dienstleistungssektor (insb. Lebensmittel/Gesundheitsbereich) • Europa: 70 % der Bruttowertschöpfung durch Dienstleistungswirtschaft • Deutschland: Beschäftigungswachstum in personenbezogenen Dienstleistungsberufen und Rückgang in produktionsorientierten und primären Dienstleistungen Prognose: 1975-2010: + 6, 5 % personenbezogen/- 6,6 produktionsbezogen Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 5 Quantitative Beschäftigungsentwicklung Ökonomischer Bedeutungszuwachs • Personenbezogene Dienstleistungen als typisch weibliches Berufsfeld (75 % Frauenanteil) ¾ Gesundheitsberufe: 77,8 % ¾ Sozial- und Erziehungsberufe: 66,0 % ¾ Private Hauswirtschaft 95 % • Allgemeine Zunahme der weiblichen Erwerbstätigkeit beruht auf Zuwachsraten in personenbezogenen Dienstleistungen, insbesondere in sozialen und sozialpflegerischen Berufen • Strukturelle Veränderungen der Wirtschaftssektoren: Zuwachs des Dritten Sektors und Neuverteilung personenbezogener Arbeit zwischen Gemeinde, Markt, Staat und Drittem Sektor Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 6 Qualitative Beschäftigungsstrukturen Prekarisierung im Niedriglohnsektor • Teilzeitarbeit insbesondere von Frauen und niedrige Einkommensgruppen • Steigende Anzahl arbeitslos gemeldeter Personen • Befristete Arbeitsverträge und deregulierte Beschäftigungsverhältnisse • Abdrängung in einfache Dienstleistungen und Niedriglohnsektor zu Löhnen von 6 bis 10 € • 22 % aller Beschäftigten im Niedriglohnsektor • Zunahme von Mini-/Midi-Jobs • Zunahme illegaler Beschäftigung und Konkurrenz durch Schwarzarbeit (Löhne weit unter 6 €) • Land- und Bauwirtschaft sowie personenbezogene Dienstleistungen, insbesondere Personen mit Migrationshintergrund Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 7 Modernisierungsrisiken in der Beschäftigungsstruktur • Diskrepanz zwischen Nachfrage (quantitativ und qualitativ) und Ausbildungs-/ Beschäftigungsstruktur • Nachfrage nach hoher fachlicher Qualifizierung bei gleichzeitiger Dequalifizierung personenbezogener Bereiche • Konkurrenz von gering Qualifizierten mit fachlich Qualifizierten auf Einfacharbeitsplätzen • Missmatch: Wachsender Bedarf trotz hoher Arbeitslosigkeit • Gering Qualifizierte und Frauen sind Verlierer des Strukturwandels Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 8 Modernisierungspotentiale Neue Aufgabenbereiche und Qualifikationsanforderungen • Hohe fachliche Qualifikationserfordernisse für personenbezogene Dienstleistungen • Komplexe und überfachliche Kompetenzanforderungen • Neuschneidung personenbezogener Berufsprofile für Markt- und Dienstleistungsentwicklung ¾ Passung zwischen Nachfrage und Qualifikation herstellen • Standardisierung und ordnungsrechtliche Vereinheitlichung der Ausbildung sowie curriculare Bündelung an den Schnittstellen Hauswirtschaft, Pflege, Soziales • Neue ordnungsrechtliche Reformen und Arbeitsmarktinstrumente nutzen ¾ Berufsausbildung ¾ niedrigschwellige Qualifikationen ¾ Kompetenz- und Qualitätsentwicklung Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 9 Leitbildwandel in der Hauswirtschaft Arbeitsmarktorientierung: Dienstleistungserbringung unter differierenden ökonomischen, sozialen und demografischen Bedingungen Professionsanforderungen: Flexibles und professionelles Handeln in verschiedenen Dienstleistungssettings sowie für verschiedene Zielgruppen Curriculum: Gestaltung von neuen Schnittstellen, Hauswirtschaft als Partnerin der Pflege- und gastgewerblichen Berufe Ordnungsrecht: Durchlässigkeiten, Stufenausbildung, Verbundausbildung Leitbild: Abkehr von Verrichtungsorientierung zur Personenorienti erung, insbesondere Betreuung und Versorgung (Care) Berufsbildung: Hauswirtschaft im Spannungsverhältnis von Professionalisierung und Benachteiligtenförderung Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 10 Ausbildungssituation • Tradition: Duale Ausbildung (Bund) und vollzeitschulische Ausbildung (Länder) • Untergeordnete Rolle der dualen Berufsausbildung im Rahmen der Berufspädagogik • Minderbewertung, fehlende Standardisierung und ordnungsrechtliche Vereinheitlichung • Bedeutungsgewinn von außerbetrieblichen, vollzeitschulischen oder externen Qualifizierungsformen • Hoher Anteil an Externenprüfungen (gem. § 43ff. BBiG) • Zunahme der Ausbildung im Helfer/-innenberuf (gem. § 66 BBiG bzw. § 42m HwO) • Zunehmende Ausbildung in der beruflichen Rehabilitation (Helferinnenebene) Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 11 Fort- und Weiterbildung Meister/-in der HW gepr. Fachhauswirtschafter/in Staatl. gepr. Wirtschafter/ -in Staatl. gepr. Hauswirtschaftlicher/ -e Betriebsleiter/-in Dipl. Oecotrophologe/-in (FH/Uni) etc. Berufliche Erstausbildung zum/-r Hauswirtschafter/-in ermöglicht vielfältige Fortund Weiterbildungswege Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 12 Kompetenzanforderungen Fachwissen, Lebensweltbezug, Interdisziplinarität Umgang mit gesellschaftlichem Wandel • Orientierungswissen • problemlösende Gestaltungskompetenzen • Erinnerungs- und Utopiefähigkeit Lebenslanges Lernen • Neues Wissen, neue Kompetenzen aneignen • veraltete Deutungen, Lösungskonzepte verlernen Allgemeinwissen und Spezialwissen • Systematisch und kasuistisch • Interdisziplinär und fachlich • Wissenschafts- und handlungsorientiert • Theorie- und Praxisbezogen Lebensweltkompetenz • Arbeit des Alltags • Haushaltsführung • Lebensführung Kompetenzen Biographisches Lernen • Initiative, (Eigen-) Verantwortung • Selbstreflexivität • Selbstvertrauen • Umgang mit gebrochener Identität Soziale Kompetenzen • Teamfähigkeit • Kommunikationsfähigkeit • solidarisches Handeln Gerechtigkeitskompetenz • Sensibilität für Recht, Unrecht, Ausgrenzung und Ungleichheit Ökologische Kompetenz • Pfleglicher Umgang mit Natur, Mensch und Dingen Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 13 Qualitätsstandards für professionelle Hauswirtschaft Dienstleistungsunternehmen • Kundenzufriedenheit • Wettbewerbsfähigkeit Kunden Mitarbeiter • Bedarfsgerechte und fachlich korrekt erbrachte Dienstleistung • Qualifiaktionsadäquater Arbeitsplatz • Marktkenntnisse • Qualität • Betriebswirtschaftliche Kenntnisse • Attraktive Dienstleistungsangebote • Fachlich u. persönlich qualifiziertes Personal • Zuverlässigkeit • Transparenz hinsichtlich des Angebots (Preis-/ Leistungsverhältnis) • Weiterbildungsmöglichkeiten • Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten • Vereinbarkeit von Beruf und Familie Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Quelle: Kettschau 2007b Seite 14 Professionsstrategien und berufspädagogische Bedarfe Curriculare Bündelung und fachübergreifende Kompetenzen Berufliche Handlungskompetenzen • Allgemeinwissen und Fachwissen vernetzen • Kunden- und Marktorientierung • Arbeiten und Lernen in „Ungewissheitsstrukturen“ • Personenbezug und Prozessuale Lern-/Arbeitsprozesse • Zuschnitt von Kompetenzen auf differenzierte Berufsfelder • Verknüpfung von Teilcurricula zu Kerncurriculum • Durchlässigkeit zwischen Berufsfeldern und Fort-/Weiterbildung Profession Curriculumentwicklung und didaktische Implikationen • Lernfeldansatz und geschlechterreflektierte Didaktik • Handlungsorientierung und Problemlösungskompetenz • Situatives, biografisches, erfahrungsbezogenes Lernen • Implementierung von Genderkompetenz Ordnungspolitische Reformbedarfe • Vereinheitlichung von ordnungsrechtlichen Vorgaben und Standardisierung der Ausbildung • Dualisierung und Regelung nach Berufsbildungsgesetz • Verknüpfung von vollzeitschulischen und dualen Prinzipien • Modularisierung und Teilzeitausbildung Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 15 Ordnungsrechtliche Reform der Berufsbildung Hintergründe und Ziele Globalisierung Europäisierung Kompetenzen Vorberufliche Bildung Ausbildung Berufliche Weiterbildung Berufsvorbereitung Ausbildungsmodelle Nachqualifizierung Berufsorientierung Neue Ausbildungsberufe Modularisierung Berufswahl Ausbildungsqualität Qualifizierungsbausteine Ausbildungschancen Anerkennung von Ausbildungsabschnitten BBiG (2005) Neues Fachkonzept BA (2004) Kammern Gestreckte Prüfungen Anerkennung vollzeitschulischer Ausbildung Arbeitslehre Qualitäts-/ Organisationsentwicklung Bildungssystem Eintragung von Teilzeitberufsausbildung Schule/Betrieb Durchlässigkeit –Flexibilisierung Verzahnung Professionalisierung Lernortkooperation Regionale Netzwerke Autonomie Europäische/ internationale Anschlussfähigkeit Arbeit Beruf Berufspädagogik Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 16 Innovationskreis berufliche Bildung 10 Eckpunkte Schulabschlüsse erreichen – Ausbildungsreife 1) Mehr verbessern für Benachteiligte optimieren – 2) Ausbildungsvorbereitung Förderstrukturen neu ordnen optimieren – Wege in betriebliche Ausbildung 3) Übergänge sichern stärken – Flexibilisierung der beruflichen 4) Berufsprinzip Bildung vorantreiben verbreitern – Ausbildungsplatzkapazitäten 5) Ausbildungsbasis effektiv nutzen 6) Durchlässigkeit verbessern –Anschlussfähigkeit beruflicher Abschlüsse sichern „Zweite Chance“ für Qualifizierung – Nachqualifizierung junger 7) Erwachsener vorantreiben 8) Europäische Öffnung – Mobilität und Anerkennung verbessern Ausbildung im europäischen Vergleich stärken – Potenzial 9) Duale auf dem internationalen Bildungsmarkt sichern 10) Grundlagen für zukunftsorientierte Berufsbildungspolitik schaffen – Kooperation von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik stärken Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 17 Leitlinie 4: „Berufsprinzip stärken – Flexibilisierung der beruflichen Bildung vorantreiben“ • Schaffung horizontaler und vertikaler Übergänge an Schnittstellen des dualen Systems und vollzeitschulischen Systems • Anrechnung von Leistungen vollzeitschulischer Berufsbildungsgänge (§ 43 BBiG, § 36 HwO) und Zulassung von Externen (Berufserfahrung) zur Kammerprüfung (45 BBiG, § 37 HwO) • Nutzung des Konzepts der Ausbildungsbausteine • Nutzung von Kompetenzbeschreibungen in Ausbildungsordnungen • Gliederung von Ausbildungsinhalten in Kompetenzabschnitte und Anerkennung informeller Kompetenzen (z. B. Lebenswelt) und beruflicher Vorbildung (§ 7.1 BBiG) • Strukturierung von Berufsgruppen in gemeinsame Kernqualifikationen und Spezialisierungsmöglichkeiten (Kerncurriculum personenbezogene Dienstleistungen) • Schaffung eines breiten Berufsbildes mit enger Verzahnung von Aus- und Weiterbildung bei Neuordnung von Ausbildungsberufen • Stärkung der fachlichen und pädagogischen Qualifikation von Ausbildern und Prüfern Quelle: BMBF 2007 Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 18 Leitlinie 6: Durchlässigkeit verbessern – Anschlussfähigkeit beruflicher Abschlüsse sichern • „Kein Abschluss ohne Anschluss“ • Ausbau von Zusatzqualifikationen an den Schnittstellen zwischen beruflicher Aus- und Weiterbildung • Schnellerer Aufstieg durch berufliche Fortbildung • Schaffung modularer und kompetenzorientierter Fortbildungsordnungen • Schaffung differenzierter Übergangs- und Anrechnungsmöglichkeiten im System der Berufsbildung und Hochschule (Duale Studiengänge – Duale Fachschule – Lehre plus) • Entwicklung von Studiengängen unter Berücksichtigung beruflicher Qualifikationen sowie Entwicklung/Schaffung von Anerkennungsund Anrechnungsverfahren für beruflich Qualifizierte Quelle: BMBF 2007 Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 19 Publikationshinweise Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 20 Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 21 Prof. Dr. Marianne Friese, Justus-Liebig-Universität Giessen Seite 22 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 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