Blick ins Buch - Buch-Kunst

Transcription

Blick ins Buch - Buch-Kunst
Flattersatz
Zeitung in der Lyrik
Mit einer Einführung
und einem Nachwort
herausgegeben von
Sascha Boßlet und Bernd Philippi
Conte
Verlag
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Herausgeber und Verlag danken den Rechteinhabern für die erteilte
Abdruckerlaubnis. Für einige Autor(inn)en waren die Rechteinhaber nicht
festzustellen; hier ist der Verlag bereit, nach Anforderung rechtmäßige
Ansprüche abzugelten.
Besonders danken Herausgeber und Verlag der Stiftung Kunst, Kultur und
Soziales der Sparda-Bank Südwest eG für die großzügige Projektförderung.
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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-941657-13-7
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich
geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags
unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen,
Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
© Conte Verlag 2011
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Verlagsinformationen im Internet unter www.conte-verlag.de
Umschlag:
Satz:
Gesetzt aus:
Markus Dawo unter Verwendung einer Fotografie von Sascha Boßlet
Bernd Philippi und Markus Dawo
Sabon von Jan Tschichold
Zwischentitel aus der Zapfino von Hermann Zapf
Vorwort
Schriftsteller sind (ganz normale) Zeitungsleser
Am Bahnhofskiosk, im Stadtpark, in der U-Bahn und beim Arzt im
Wartezimmer, unterm Eiffelturm, in Manhattan und am Berliner
Alexanderplatz, am Strand unter Palmen und in der eingeschneiten
Berghütte … an jedem Ort und zu jeder Zeit eint Millionen Menschen
rund um den Globus eine Beschäftigung: Sie halten die Welt in ihren
Händen. Mal gedankenverloren, dann wieder interessiert; gelangweilt,
zerstreut, aber auch wissbegierig werden die in den meisten Lebenslagen viel zu großen Bogen der Tages- und Wochenzeitungen, der
Boulevard-Blätter genauso wie die ihrer „seriösen“ Gegenparts, mit
Händen und Blicken bearbeitet.
Ein unverkennbares Knistern – der unweigerliche Beginn eines jeden
Flirts mit dem Medium Zeitung: Weltereignisse und Lokalpolitik,
Börsenkurse, Sportresultate, Wahlergebnisse und Heiratsannoncen
… raschelnd zieht die Welt am Leser vorüber; gierig wird sie mit
den Händen festgehalten und genauso schnell zerknüllt und achtlos
liegengelassen.
Interessieren die meisten Leser dabei lediglich die Fakten und Kuriositäten, das Spannende und Entsetzliche, setzen sich die Schriftsteller
darüber hinaus auch mit dem Medium „Zeitung“ in seiner Funktion
auseinander. Politische und gesellschaftliche Ereignisse geben ihnen
Anlass, über das Medium Zeitung zu schreiben. So zeigt sich die
Spannbreite der in dieser Anthologie zusammengestellten Gedichte:
Von der Morgenlektüre am Frühstückstisch (Johannes Kühn) oder im
Zug (Lutz Rathenow) bis hin zu kritischen Auseinandersetzungen mit
dem Medium Zeitung (Bertholt Brecht) oder einfach nur ästhetisch
(Arnfrid Astel).
Interessant ist dabei auch, dass sich die Schriftsteller schon sehr früh
mit der Presse im Allgemeinen beschäftigen. Wird das Geburtsjahr
der Zeitung auf 1605 festgelegt, erstaunt es umso mehr, dass schon
Theobald Hock vor diesem Datum das Thema aufgreift. In seinem
Gedicht geht es um die „Neue Zeitung“, ein unmittelbarer Vorläufer
unserer heutigen Zeitung. Der Autor schreibt von „Verlangen, Lust
und Gefallen“ im Zusammenhang mit den Nachrichten, die in
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den Blättern stehen; Wünsche, die wir Leser auch heute noch von
einer Zeitung fordern. Sind es doch gerade Sensationsmeldungen,
Schauergeschichten und Schrecklichkeiten, die uns so sehr interessieren. Gerade die Vorläufer unserer heutigen Zeitung sind voll
von diesen „Sensationen“. Und hierin unterscheiden wir (ganz
normale) Leser uns wohl in keinster Weise von den Schriftstellern,
wenngleich hier und da Gedichte sich auch mal kritisch mit dem
Medium „Zeitung“ auseinandersetzen.
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So spiegeln die lyrischen Texte auch die rund 400jährige Zeitungsgeschichte wider. Die Höhen und Tiefen der Presselandschaft
in Deutschland zeigen das Auf und Ab zwischen Zensur und
Pressefreiheit auf. Tiefgreifende Einschnitte in die Freiheit der Presse
werden ebenso thematisiert, wie die Zügellosigkeit der Presse im
Umgang mit Sensationsmeldungen. Dabei muss die Zeitung nicht
immer das Thema des Gedichtes sein – sie kann auch nur mal so eben
nebenbei als Nebendarsteller fungieren. Ist sie Hauptprotagonist, wird
mitunter heftig kritisiert. So zeichnet sich unsere Gedichtsammlung
auch durch eine spannende Bandbreite aus! Wie wir (ganz normale)
Zeitungsnutzer, lesen auch die Schriftsteller ganz unterschiedlich: mal
gedankenverloren, dann wieder interessiert; gelangweilt, zerstreut,
aber auch wissbegierig und kritisch!
Aus einer Vielzahl lyrischer Texte von deutschsprachigen Autoren
haben wir eine Auswahl an interessanten Texten zusammengestellt.
Dabei haben wir auch lyrische Texte in die Auswahl aufgenommen,
die sich mit Zeitschriften beschäftigen.
Die Gedichte sind in drei Rubriken eingeteilt: Im ersten Teil „Nun
abonniere, Publikum!“ steht die Zeitung im Vordergrund: Zeitung,
Hauptsache. Neben Klagen über Zensur, stehen auch Rezepte für
ein „besseres Blatt“.
Im zweiten Teil „Im Treppenflur weht die Zeitung auf“ werden
lyrische Texte aufgeführt, bei denen die Zeitung eher eine Nebenrolle
spielt: Zeitung, nebenbei und hergeweht.
Im letzten Teil der Anthologie ist die Zeitung Anlass zum Gedicht:
„Was auch immer geschieht, er entnimmt es der Zeitung“. Für
Autoren mit kritischem Blick auf das politische oder gesellschaftliche
Geschehen wird die Zeitungsmeldung Ausgangspunkt des literarischen Schreibens.
Sascha Boßlet
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Edwin Bormann
Rezept für eine Musterzeit­schrift
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Vor allen Dingen müßt ihr haben:
Ein Dutzend Bilder, in Holz gegraben,
Ein Mandel Vignetten, zinkographiert,
Ein Prachtblatt, in Öldruck ausgeführt!
Dann lasset mir in die Schranken treten
Ein Schock verlockender Autoritäten.
Die brauchen nur alle drei Jahr was zu schreiben,
Doch müssen sie stets auf dem Titelblatt bleiben.
Jetzt schafft mir von fruchtbaren Federn zur Stelle
Ein Schnippchen Roman und zwei Häppchen Novelle.
Laßt drauf ’nen Professor in anderthalb Spalten
Der Wissenschaft tiefste Probleme entfalten.
Auch darf man das Koloniale nicht missen,
Drum schnell, eh’ sie wieder wo anders hissen!
Zwei Rätsel, ’nen Rebus, ’ne Schachpartie,
Einen Witz (aber fragt mich nur nicht wie!)
Hurra! einen scheckigen Umschlag drum ...
Jetzt abonniere, Publikum!
Hoffmann von Fallersleben
Wie ist doch die Zeitung interessant
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Wie ist doch die Zeitung interessant
Für unser liebes Vaterland!
Was haben wir heute nicht alles vernommen!
Die Fürstin ist gestern niedergekommen,
Und morgen wird der Herzog kommen,
Hier ist der König heimgekommen,
Dort ist der Kaiser durchgekommen –
Wie interessant, wie interessant!
Gott segne das liebe Vaterland!
Wie ist doch die Zeitung interessant
Für unser liebes Vaterland!
Was ist uns nicht alles berichtet worden!
Ein Portepeefähnrich ist Leutnant geworden,
Ein Oberhofprediger erhielt einen Orden,
Die Lakaien erhielten silberne Borden.
Die höchsten Herrschaften gehen nach Norden,
Und zeitig ist es Frühling geworden –
Wie interessant, wie interessant!
Gott segne das liebe Vaterland!
Theobald Hock
Die Welt will stets neu’ Zeitung hören
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Neue Waren und neu’ Zeitung viel
Will haben die Welt stets zu ihrem Spiel
Und bleibt doch, vorhin wie noch,
Im alten Tand und Wesen,
Wie sie ist allzeit g’wesen.
Stets neue Tracht, neu’ Mär’ und Lug
Die Welt bringt auf die Bahn mit Trug.
Es ist zu thain ums Geld allein
Die neue und alte Welte
Sucht altes und neues Gelde.
Der Vorwitz und fleischlich’ Begier
Bringt allzeit etwas Neues herfür.
Der Vorwitz heuer macht Jungfrauen teuer,
Die Alten wohlfeil eben,
Weil niemand nichts drum will geben.
Oft der Neu-Zeitungs-Bot’ kommt z’ Haus,
Der aber mit dem Geld bleibt aus.
Wohl seltsam ist und neu zur Frist,
Macht Verlangen, Lust und Gefallen,
Man kann’s nicht teuer g’nug zahlen.
Ein Wunder ist, daß wir so gern
Stets andre fremde Ding wollen hör’n,
Die uns dabei nichts angehen frei,
Und unser eignen Sachen
Anfechtung uns nicht machen.
Also geht’s in der Welt jetzt zu,
Nach Neuem verlangt uns spät und fruh.
Was wir haben schon, ficht uns nicht an,
Wir wollen’s auch nie spüren
Als bis wir’s gleich verlieren.
Inhalt
Sascha Boßlet Schriftsteller sind (ganz normale) Zeitungsleser..... 5
„Nun abonniere, Publikum!“
Zeitung, Hauptsache
Alfred Andersch Artikel 3 (3)................................................. 10
Achim von Arnim Literaturgeschichte . .................................. 15
Arnfrid Astel Der Zeitungsleser ............................................ 17
Edwin Bormann Rezept für eine Musterzeit­schrift ......................18
Nicolas Born Abonnement ..........................................................19
Volker Braun Fragen eines Arbeiters während der Revolution .....20
Bert Brecht Das Amt für Literatur . .............................................21
Jörg Burkhard warum bauern beltz-bücher verpacken . ...............22
Friedrich Christian Delius Bericht der Karin T.
aus dem Pressehaus . ..............................................................23
Franz Dingelstedt Nadowessische Totenklage
um den letzten Zensor . ..........................................................24
Hilde Domin Graue Zeiten .........................................................26
Albert Ehrenstein Die Zeitschrift geht ein ...................................29
Adolf Endler Ende einer Tour ............................................... 31
Hans Magnus Enzensberger bildzeitung ......................................32
Ute Erb Allure belesener Leute ....................................................34
Herbert Eulenberg [Wunsch] .......................................................35
Hoffmann von Fallersleben Wie ist doch die Zeitung
interessant . ............................................................................36
Theodor Fontane Zeitung . ........................................................37
Ferdinand Freiligrath Freie Presse ...............................................38
Johann Friedrich Zeitung ............................................................40
Johann Wolfgang Goethe Rezensent . ..........................................42
Günter Grass Außer Plan ............................................................43
Günter Grass Prophetenkost .......................................................44
Franz Grillparzer [Journale] ........................................................45
Peter Hacks Jetztzeit . ..................................................................46
Ludwig Harig Die Ballade von Siebenpfeiffer und Wirth .... 47
Walter Hasenclever Die Todesanzeige ..................................... 49
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Theobald Hock Die Welt will stets neu’ Zeitung hören ...............50
Friedrich Hölderlin Die beschreibende Poesie . ............................51
Erich Kästner Kleine Sonntagspredigt .........................................52
Sarah Kirsch Zeitung ..................................................................54
Karl Kraus Couplet des Schwarz-Druckers . ................................55
Johannes Kühn Zeitung am Kaffeetisch ......................................57
Peter Maiwald Judas-Versionen . .................................................58
Eduard Mörike Abschied ............................................................59
Christian Morgenstern Die Mittagszeitung .................................60
Helmut Preißler Friedhelm Gluger .......................................... 61
Joachim Ringelnatz Berlin . .........................................................62
Jürgen Theobaldy Im „Cafe de Paris“ gesehen ............................63
Kurt Tucholsky An das Publikum .............................................. 64
Rudolf Otto Wiemer Gute Nachrichten ......................................65
Karl Alfred Wolken Morgenstunde ..............................................66
„Im Treppenflur weht die Zeitung auf ...“
Zeitung, nebenbei und hergeweht
Ilse Aichinger Abgezählt ..............................................................68
Alfred Andersch Der Tod in London ................................ 69
Rose Ausländer Der Briefträger . .................................................70
Eva-Maria Berg fünf mäntel der einen stadt ................................71
Nicolas Born Keiner für sich, alle für niemand ............................73
Bertolt Brecht Vergnügungen ......................................................74
Rolf Dieter Brinkmann Gedicht ..................................................75
Hans Georg Bulla Nachrichten . ..................................................76
Hans Magnus Enzensberger Küchenzettel ...................................77
Gerhard Falkner schwarz / rot / gold ...........................................78
Gerald Fiebig herbst in lissabon ..................................................79
Peter Hamm Speisewagen . ..........................................................81
Harald Hartung Ankunft .....................................................82
Harald Hartung Ghasel .............................................................83
Rolf Haufs Ein Augenblick im Juni .............................................84
Sarah Kirsch Kleine Adresse ........................................................85
Sarah Kirsch Erdrauch ................................................................86
Ursula Krechel Jetzt . ...................................................................87
Michael Krüger Zwei Wiederholungen . ......................................88
Günter Kunert Mein Golem ........................................................89
Lutz Rathenow Deutschland im ICE ..........................................90
Joachim Ringelnatz Schlacht mit richtigen Bomben ....................91
Gerhard Rühm wegwerfgesellschaft ............................................92
Gerhard Tänzer Vor einer bröckligen Hauswand ........................93
Jürgen Theobaldy Das Bündel . ...................................................94
Hans-Ulrich Treichel Morgenandacht . ........................................95
Kurt Tucholsky Mutterns Hände .................................................96
Peter Waterhouse Fragen und Anzeichen .....................................97
Rotraud Wieland Alter Neger in Schildow .............................. 98
„was auch immer wo geschieht, er entnimmt es der zeitung...“
Zeitung, Anlass zum Gedicht
Günther Anders Zeitungsnachricht ........................................ 100
Arnfrid Astel Lesen ...................................................................101
Arnfrid Astel Morgenzeitung .....................................................102
Rose Ausländer Sonntag am Riverside Drive . .............................103
Bertolt Brecht . .............................................................................104
Edwin Wolfram Dahl
Notat November Neunzehnhundertneunundachtzig ............105
Jürgen Fuchs..............................................................................107
Günter Grass Heringe ...............................................................108
Heinrich Heine Verkehrte Welt . ................................................110
Stephan Hermlin Die Vögel und der Test ..................................... 111
Yaak Karsunke boycott à la carte ..............................................112
Yaak Karsunke unermüdlicher kämpfer ....................................113
Heinar Kipphardt Annoncenakquisition ...................................114
Sarah Kirsch Ende des Jahres ................................................ 115
Karl Kraus Die Zeitung . ..................................................... 116
Joochen Laabs Momentaufnahme Altes Grenzland ...................117
Reinhard Lettau Ein Beispiel für die verschiedenen
Wirkungen einer Zeitungsmeldung ......................................118
Ulf Miehe In meinem Zimmer . ......................................... 119
Godehard Schramm España ......................................................120
Gerhard Tänzer Gefundenes Fressen .........................................121
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Jürgen Theobaldy Mein junges Leben .......................................122
Peter Waterhouse Brand in der Puppenfabrik in Bangkok
Tote und Tote (11.5.1993) ...................................................124
Bernd Philippi Gedichte sind Scheibenwischer . .........................127
Die Autor(inn)en und ihre Gedichte...........................................150
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