Einfachheit gewinnt, aber wie? - Gottlieb Duttweiler Institute
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Einfachheit gewinnt, aber wie? - Gottlieb Duttweiler Institute
LZ 42 22. Oktober 2010 JOURNAL Lebensmittel Zeitung 27 Einfachheit gewinnt, aber wie? Die Antwort auf diese zentrale Frage ist ein wesentlicher Schlüssel, um die Kauflust der Konsumenten aufrecht zu erhalten. E s ist wieder soweit. Egal in welchen Ländern ich bin und zu welchen Themen ich referiere, ob es um internationale Lieferketten, um Sortimente, Nachhaltigkeit, Staatsschulden oder Währungs-Kriege geht: Die Menschen sind mit dem „Zuviel“ überfordert. Ihr Informationsbedarf ist ziemlich rasch gedeckt, danach kommt unweigerlich nur noch Konfusion und damit Missstimmung und Kaufverweigerung. Sehr deutliche Anzeichen für den allgemeinen Überdruss sind gegenwärtig der Aufstieg des Populismus, die zunehmende Skandalisierung und Diffamierung von Personen in der Öffentlichkeit oder auch das wachsende Misstrauen in die Anbieter. Am Gottlieb Duttweiler Institut haben wir uns – nicht zum ersten Mal – intensiv mit dem Thema Einfachheit auseinandergesetzt. An unserer Handelstagung vom 9. und 10. September begann unser Moderator Jürgen Müller, Chefredaktor der „TextilWirtschaft“, den zweiten Veranstaltungstag sehr treffend mit dem Satz: „Es ist gar nicht so einfach, einfach zu sein“. Und auch unsere Teilnehmer befanden bei einer Saalabstimmung, ihre Kunden seien zu kompliziert geworden, ihre interne Organisation zu schwerfällig, zudem nähmen die Regulierungen weiter zu, und Technologie bringe zwar Vereinfachungen, werde aber immer anfälliger und unvorhersehbarer und schaffe zusätzliche Nebenkosten. Sagen wir es gleich, es gibt keine Patentrezepte, zumal Komplexität heute exponentiell zunimmt. Viel mehr als Einfachheit besteht daher eine große Sehnsucht nach ihr. Immerhin lassen sich aber ein paar Ansatzpunkte erkennen: Erlebte Einfachheit. Einfachheit ist nicht statistisch oder numerisch messbar. Einfachheit lässt sich, und das mag überraschen, auch nicht an Artikelzahlen festmachen, weniger ist nicht in jedem Fall besser. Nebenbei bemerkt: Es war interessant zu sehen, wie sich die Warenhausvertreter an unserer Tagung darum stritten, wer mehr Artikel anbiete; 400 000 schien ihnen I L L U S T R AT I O N : M I C H A E L R U P P E L 1 besser als 300 000. Dabei lenkt die Zahlenhuberei nur ab vom Wesentlichen. Entscheidend sind nämlich in vielen Vertriebskanälen gar nicht die Artikelzahl oder die Sortimente, sondern der erlebte Gesamteindruck: was Einfachheit ist numerisch nicht messbar die Menschen wie erleben. Oder, wie es mein alter Freund Paco Underhill sagt: „Either you’re lost in the store, or you’re deliciously lost in the store.“ Solange mich meine Erfahrungen – selbst in einem großflächigen oder artikelzahlintensiven Laden – in positive Stimmung versetzen, verdrießt mich die Vielfalt auch nicht: Vielmehr nehme ich sie als Ganzes positiv wahr. Umso wichtiger wird aber die Dramaturgie: Wir wissen aus der Verhaltensforschung, dass Menschen sich mit Vorliebe an dramatischen Resultaten orientieren, dass sie sich an außergewöhnliche Erlebnisse besser erinnern und dass sie in einer Serie von Angeboten häufig das erste oder das letzte auswählen. Wahrnehmung von Convenience. Die vergangenen 60 Jahre Konsum und freie Verfügbarkeit von immer mehr Waren zu immer noch tieferen Preisen haben uns faul und gleichgültig gemacht. Wir sind – trotz der neuen „interaktiven“ und „partizipativen“ Medien, trotz Facebook und Google – weiterhin sehr passive Konsumenten: Wir lassen uns bedienen. Schon die kleinste Anstrengung wird als Zumutung abqualifiziert. Faulheit, modern mit „Convenience“ übersetzt, ist einer der wesentlichsten Treiber in den Konsumgütermärkten. Wenn etwas komfortabel und konvenient ist, sind wir sogar zu Abstrichen anderswo bereit – selbst bei der Qualität, wie etwa beim iPhone gesehen. Convenience heißt somit häufig auch Bedenkenlosigkeit: Wer liest noch Gebrauchsanweisungen? Wer nimmt noch Verpackungsbeilagen wahr? 2 „Gut-genug-Produkte“. Bei der Unterhaltungselektronik entwickelt sich seit dem Beginn der Krise 2008 ein starker Trend hin zu „gut genug“. Statt immer mehr Features und mehr Optionen lieber eine sinnvolle Auswahl. Beim Auto hat zum Beispiel der Tata Nano das Potenzial zum Goodenough-Pro- 3 dukt. Einfachheit bedeutet hier sinnvolle Beschränkung. Ein Gerät muss vor allem funktionieren und soll preiswert sein. Das ist auch durchaus vernünftig, denn heute lernen wir: Jedes Technologie-Produkt, das auf den Markt kommt, ist schon veraltet, wenn wir es kaufen. Je älter eine Technologie aber ist, desto größer die Chance, dass sie eine längere Lebensdauer hat. Und: Wie schnell brauchen wir 3Dund HDTV-Fernseher wirklich, wenn unsere alte Flimmerkiste eigentlich noch tadellos funktioniert? Förderung von Qualität und Qualitätsbewusstsein. Brauchen wir bei Nahrungsmitteln wirklich drei, vier oder gar fünf Preislagen? Brauchen wir nicht in erster Linie gute, gesunde Lebensmittel zu anständigen Preisen? Keine Branche hat über die letzten Jahre so starke Vertrauenseinbussen erlitten wie der Lebensmittelhandel. Warum? Weil Lebensmittel inzwischen viel komplexer sind als ein technisches Gerät: Zu viele Zutaten machen ein Produkt unkenntlich. Michael Pollan, einer der weltweit einflussreichsten Food-Kritiker, schreibt in seinem Buch „In Defense of Food: An Eater’s Manifesto“, die Verbraucher sollten allen Produkten misstrauen, die mehr als fünf Ingredienzen haben. Denn bei denen nehme die Gefahr potenzieller Schädlichkeit exponentiell zu. Das bedeutet auch: 4 Förderung der Verständlichkeit von Produkten. Aber bitte auf eine freundliche Art! Der Verbraucher muss ein minimales Verständnis haben von dem, was er konsumiert – nicht nur aus Haftungsgründen. Wie gefährlich Produkte als 5 Ehrlichkeit schafft Vertrauen bloße Black Boxes sind, haben uns die Finanzmärkte eindrücklich demonstriert: am Schluss bezahlt die Öffentlichkeit den Schaden. Einfachheit heißt daher, dass es ohne ein Begreifen der Produkte nicht geht. Ein vorbildliches Beispiel liefert hier das Ginger Beer der kultigen SandwichKette Pret. Auf der Dosen steht „No nasties“ und es gibt eine Liste von allem, was dem Produkt nicht beigefügt ist. Die Aussage dahinter lautet: „Wir machen alles, um deine Gesundheit zu fördern. Aber ist es wirklich gut für deine Gesundheit? Ehrlich, wir können nicht sicher sein“. So schafft man Vertrauen – durch Ehrlichkeit. Einfachheit durch „sanfte Erziehung“. Ich würde behaupten, dass nicht nur die Verbraucher immer fauler geworden sind, sondern auch die Anbieter. Sie haben es sich viel zu einfach gemacht. Und „zu einfach“ ist tödlich, denn das ist die Negativ-Version von „einfach“. Anbieter müssen die Verbraucher auf kluge und sympathische Art in die richtige Richtung „erziehen“, auf Englisch gibt es dafür den wunderbaren Ausdruck „to nudge“, „anstupsen“. So wie eine Elefantenmutter ihrem Baby mit einem kleinen Rüssel-Schubser zeigt, wo das Futter ist – ohne es zu zwingen, in eine bestimmte Richtung zu gehen. Je besser die Konsumenten Produkte verstehen, desto stärker ihre Lust, sich weiter 6 Auch die Anbieter sind faul geworden mit ihnen auseinanderzusetzen. Und verstehende Konsumenten sind definitiv loyaler als Convenience-Konsumenten. Sie suchen weitere Informationen selbstständig und machen auch mehr Gebrauch von Self-Service. So werden Konsumenten letztlich zu Fans – für Händler zweifelsohne der beste Weg, sinnvolle Einfachheit zu erzielen. Einfachheit durch Kontext-Management. Die Händler haben viel mehr in ihren „Händen“ als sie sich vormachen. So wissen wir, wie wichtig das sogenannte „Framing“ ist – also wie wir Informationen präsentieren. Wenn uns ein Arzt vor der Operation eine Überlebenschance von 70 Prozent prognostiziert, ist eine ganz andere Botschaft als die Mitteilung, dass 30 Prozent der Patienten an der Operation sterben. Desgleichen macht das Umfeld der Produktpräsentation einen wesentlichen Teil der WerteWahrnehmung aus: Die Mode-Kette Old Navy etwa präsentiert gezielt „Fundamentals“, gruppiert also bestimmte Bekleidungsstücke so, dass sie als die „wesentlichen“ kommuniziert werden. Uniqlo, ein starker Anbieter von „Fast Fashion“, verpackt TShirts in Dosen und schafft so das (positive) Erlebnis eines ConvenienceStores. Bekannte Produkte werden so auf eine neue und auch witzige Art einfach dargestellt und erlebbar gemacht. Ich habe Sie eingangs gewarnt: Das hier sind nur Beispiele, im besten Fall repräsentative. Wichtiger als Benchmarks ist aber in jedem Fall das Bewusstsein um den Verdruss der Kunden. Haben Sie daher den Mut, neue Wege zu gehen! Denn Einfachheit ist ein wesentlicher Schlüssel, um die Kauflust der Konsumenten aufrecht zu erhalten. lz 42-10 7 Dr. David Bosshart ist CEO des renommierten Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI), Rüschlikon. Der Schweizer ist ein weitgereister und anerkannter Handelsexperte. In vielen Top-Etagen der Branche ist er ein geschätzter Gast „Bosshart Ansichten“ erscheint in unregelmäßigen Abständen exklusiv in der LZ.